Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog: Jankar
Ikanema Two: Gegenwart
Vergangenheit: Ascarde
Vergangenheit: Piraten
Vergangenheit: Deuter der Deutler
Vergangenheit: Tratto
Vergangenheit: Die Schmerzwechte
Vergangenheit: Sivkadam
Vergangenheit: Aeusen XIV
Epilog: Jankar
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2112
Verschollen in Tradom
Der Landesherr von Pombar – unter Piraten und Valentern
von Uwe Anton
Es ist ein seltsames Imperium, auf das Perry Rhodan mit der Besatzung der LEIF ERIKSSON im Herbst 1311 Neuer Galaktischer Zeitrechnung gestoßen ist: Das Reich Tradom erstreckt sich über mehrere Galaxien, befindet sich fast 400 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt und wird von einer großen Militärmacht beherrscht, die nun auch nach der Menschheitsgalaxis greift.
Durch das mysteriöse Sternenfenster kam Trah Rogue, ein Konquestor des Reiches, in die Milchstraße. Er forderte die Liga Freier Terraner ultimativ auf, dem Reich beizutreten. Perry Rhodan weigerte sich, und es kam zum Konflikt. In dessen Verlauf konnte das Raumschiff des Konquestors vernichtet werden – allerdings gelang Trah Rogue die Flucht.
Mittlerweile konnten zwei Raumschiffe aus der Milchstraße durch das Sternenfenster nach Tradom vorstoßen: die LEIF ERIKSSON unter Rhodans Kommando und die KARRIBO unter dem Befehl der Arkonidin Ascari da Vivo. Während die Galaktiker im Kugelsternhaufen Virginox – weitab der wichtigen Planeten des Reiches Tradom – eine geheime Basis errichten, schwärmen Beiboote aus, um die Galaxis zu erkunden. So erschließt sich langsam ein Bild der fremden Sterneninsel. Doch dann scheint es, als sei ausgerechnet der Mausbiber Gucky VERSCHOLLEN IN TRADOM ...
Ikanema Two – Der Landesherr von Pombar berichtet von seinem wechselvollen Leben.
Perry Rhodan – Der Terraner wartet auf die Rückkehr seiner Kundschafter.
Ascarde – Die Rishkanische Kara muss sich mit ihrem Gelübde auseinander setzen.
Inckaz – Die Kommandantin des Piratenschiffes zeichnet sich durch Brutalität aus.
21. November 1311 NGZ
Das Fauchen der Thermokanonen war so laut, dass der Galornenanzug Rhodan automatisch vor den Schallwellen abschirmte.
Der Terranische Resident kniff die Augen zusammen, konnte die Strahlen aber nicht sehen. Die Bordwaffen der LEIF ERIKSSON bündelten nicht das Licht des sichtbaren Teils des Spektrums, sondern die für das menschliche Auge unsichtbaren Infrarotwellen. Die ultraheißen Strahlen glasierten die meterdicken Erdreichschichten und den Fels, der die Ränder des Schachtes bildete.
»Wir haben den ersten der beiden Schächte ausgehoben«, sagte Cerxtro. Der Nachkomme von Terranern und Springern wirkte gänzlich unbeeindruckt vom Lärm. Cerxtro, der als Leiter der Abteilung Logistik für den Nachschub und die Versorgung der LEIF ERIKSSON zuständig war, warf einen Blick auf sein Computer-Pad, in dem er die wichtigsten Listen und Daten gespeichert hatte.
Rhodan lächelte schwach. Cerxtros Geste entsprang reiner Gewohnheit. Der fast zwei Meter große, stämmige Mann mit dem roten Haar und dem zu Zöpfen geflochtenen roten Vollbart hatte hinsichtlich der Bedarfs- und Versorgungsgüter ein fast fotografisch perfektes Gedächtnis und wusste stets ganz genau, wo was zu finden war.
Der Terranische Resident schaute zum Horizont. Dort konnte er den 23 Kilometer durchmessenden Tafelberg ausmachen, auf dem sich Kischario befand. Die Hauptstadt Jankars bedeckte nicht nur das Plateau und die Steilhänge rundherum bis auf den letzten Quadratmeter, sie setzte sich auch auf der Ebene darunter strahlenförmig fort.
Nach Rhodans Auffassung waren die beiden Schächte viel zu nah der Hauptstadt ausgehoben worden. Etwas mehr Abstand zu Kischario wäre ihm lieber gewesen, doch die Jankaron hatten die Standorte selbst vorgeschlagen.
Die beiden Bohrschächte waren riesig. Sie waren mit Desintegratoren ausgehoben worden und sollten als Unterstände für die LEIF ERIKSSON und die KARRIBO dienen.
Genau genommen waren es keine Schächte, sondern Löcher. Der Einfachheit halber hatten die Techniker den Fels auf 2000 mal 2000 mal 2000 Metern aufgelöst. Mit Prallfeldern hatten sie zunächst verhindert, dass die Wände einstürzten, mit Thermostrahlern verhärteten sie die Flächen nun, um die notwendige Stabilität zu erzeugen. All das hatte Cerxtro organisiert. Und der Logistiker hatte eine Idee gehabt, auf die er wirklich stolz war.
»Zur dauerhaften Aussteifung«, erklärte er Rhodan, »werden wir erstmals große materieprojektive Elemente schaffen, wie sie bei der LEIF ERIKSSON im Bereich der Hangargalerie Verwendung finden. Ihre strukturimmanente Halbwertszeit beträgt fünf Jahre. Für diese Zeit sind sie auf keine weitere Versorgung angewiesen und können wie normale festmaterielle Objekte behandelt werden.«
»Ja. Die unvermeidliche Leckage durch Energieverlust. Natürlich kommt es immer zu Verlusten durch Verdunsten oder Aussickern von Energie und Materie auf Grund einer undichten Stelle. Aber fünf Jahre müssten allemal reichen ...«
Rhodan nickte düster. Auch er ging davon aus, dass sie sich in fünf Jahren nicht mehr hier befinden würden. Hier, in einem Kugelsternhaufen vor Tradom.
Fast 400 Millionen Lichtjahre von der heimatlichen Milchstraße entfernt. Fast im Herzen eines feindlichen Reiches, über das sie so gut wie nichts wussten.
Nein, in fünf Jahren würden sie die Rückkehr in die Milchstraße geschafft haben.
Oder schon längst tot sein.
Cerxtro schaute wieder auf sein Pad. »Mit diesem Vorgehen schlagen wir praktisch zwei Fliegen mit einer Klappe. Sogar bei einem energetischen Totalausfall lassen sich die Segmente weiterhin nutzen, andererseits können wir sie, wie jede Form von plastischer Energie, später jederzeit wieder auflösen und ihren Energiegehalt in die Gravitrafspeicher zurückleiten. Und eine Ortungsgefahr besteht, nachdem sie einmal erstellt und eingebaut sind, ebenfalls nicht.«
»Ausgezeichnet«, sagte Rhodan. »Das ist wohl die beste Lösung.«
»Die jankarische Industrie ist ja leider nicht in der Lage«, sagte Cerxtro, »in kürzester Zeit derart riesige Stahlelemente anzuliefern, die die Unterstände wie mit Käfigstäben statisch stabilisieren könnten. Obwohl wir den Jankaron angeboten haben, solche Elemente einzutauschen ...«
»Wann werden die Arbeiten abgeschlossen sein?«
»Wenn alles glatt geht«, fuhr der Logistiker fort, »sind sie in einer Woche beendet. In ihren Unterständen werden die beiden Raumschiffe bei abgeschalteten Energieerzeugern übrigens so gut wie nicht zu orten sein ... falls Jankar vom Feind entdeckt werden sollte.«
Rhodan legte den Kopf zurück. Die LEIF ERIKSSON schwebte wie ein riesiger Berg über ihm. Das Schiff hatte den Thermostrahlerbeschuss mittlerweile eingestellt oder zumindest kurzzeitig unterbrochen.
Ein Kreuzer der VESTA-Klasse glitt scheinbar schwerelos aus einem Hangar und nahm Kurs auf Kischario. Das Beiboot hatte HÜ-Schirmprojektoren, Orter und Taster für die Jankaron geladen. Der vereinbarte Technologietransfer war angelaufen. Er war Teil des Handels, den sie mit den Vogelabkömmlingen geschlossen hatten.
Cerxtro hatte das Beiboot ebenfalls bemerkt. »Die Raumschiffe der Jankaron werden nach und nach mit terranischen und arkonidischen HÜ-Schirmen und Ortungsgeräten ausgerüstet«, sagte er. »Meine Leute überwachen den Einbau und schulen die Jankaron bereits. Auch in dieser Hinsicht sind wir voll im Zeitplan.«
Beide Seiten profitierten von diesem Handel: einen relativ sicheren Unterschlupf gegen relativ hochwertige Technik. Das Jan-System wurde damit für die rückständigen Zivilisationen des Kugelsternhaufens Virginox praktisch unangreifbar.
Dabei legte Rhodan größten Wert darauf, dass die Jankaron keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zogen. Alle Konkurrenten um die Anteile am Handelskuchen in Virginox sollten und würden denken, die Jankaron hätten den technologischen Sprung eigenständig vollzogen.
Es durfte keinerlei verräterische Aktivitäten um den Planeten Jankar geben. Das war für Rhodan die wichtigste Voraussetzung, um in ihrem Versteck auf absehbare Dauer unbehelligt zu bleiben.
Auf Dauer ... aber nicht fünf Jahre lang. Auch wenn man den Eindruck bekommen konnte, die LEIF ERIKSSON und die KARRIBO der arkonidischen Admiralin Ascari da Vivo würden sich auf dem Planeten Jankar häuslich einrichten – fünf Jahre würden sie nicht durchstehen, davon war Rhodan überzeugt.
»... findest du nicht auch?«
Rhodan schreckte auf. »Was hast du gesagt?«
»Schon gut«, sagte Cerxtro. »Machst du dir wegen irgendetwas Sorgen?«
Der Terranische Resident sah den Springer-Terraner-Mischling nur an.
Cerxtro zuckte mit den Achseln. »Klar, unsere gesamte Lage ist dazu angetan, sich Sorgen zu machen ...« Er senkte den Blick und rief auf seinem Computer-Pad eine andere Datei auf.
Rhodan wandte sich ab. Er machte sich in der Tat große Sorgen, nicht nur wegen der allgemeinen Lage, sondern auch wegen der PHÖNIX. Der Kreuzer LE-KR-01 unter dem Kommando von Rudo K'Renzer, dem Chef der sechs Kreuzerflottillen der LEIF ERIKSSON, war noch immer überfällig, und Rhodan glaubte allmählich nicht mehr daran, dass die Vermissten in nächster Zeit eintreffen würden.
An Bord der PHÖNIX befanden sich unter anderem der Mausbiber Gucky und die USO-Katsugos TOMCAT und SHECAT. Es wäre keineswegs das erste Mal, dass der Ilt sich mit seinen Parafähigkeiten in Schwierigkeiten brachte. Doch Rudo K'Renzer galt als sehr besonnener Führungsoffizier.
Dennoch ...
Rhodan hatte im Lauf seines Jahrtausende währenden Lebens gelernt, seinen Gefühlen zu vertrauen. Aus irgendeinem Grund hatte sich schon vor einiger Zeit ein sehr schlechtes Gefühl in seiner Magengrube eingestellt, was den Ilt betraf. Eine Unruhe, die ihm eigentlich völlig fremd war.
Dunkle Wolken zogen heran und hüllten den unteren Teil der LEIF ERIKSSON in ein grauschwarzes Spiel aus sich ständig verändernden Formen ein. Sie schienen gegen das Raumschiff anzustürmen, es vereinnahmen zu wollen, als würde dann eine unwiderstehliche Säure aus ihnen abregnen, die den Fremdkörper in ihrem Himmel einfach auflösen würde.
»Wir warten noch einen Tag ab«, murmelte Rhodan leise vor sich hin, »und wenn die PHÖNIX bis dahin nicht zurückgekehrt ist, werden wir sie suchen ...«
Ikanema Two trat an die Fensterfront des Turmzimmers. Tief unter ihm breitete sich der weiche Schimmer Barloffts aus, Barloffts der Prächtigen, deren Bewohnern seine ganze Sorge galt. In den meisten Häusern der Millionenstadt brannte Licht. Die Dunkelheit war gerade erst angebrochen, der Abend war noch jung.
Der Landesherr lächelte schwach. Er stellte sich immer wieder sehr gern vor, was jemand sehen würde, der gerade aus der Hauptstadt zu ihm heraufschaute.
Er würde einen Gebirgszug inmitten des Häusermeers sehen, einen hundert Meter in die Höhe ragenden, natürlichen Monolithen, der mit altertümlichen Seilbahnen und einigen Hochstraßen, über die sämtlicher Gleiterverkehr gelenkt wurde, an die Stadt angebunden war. Und darauf eine Zitadelle aus braunem Sandstein, mit Türmen aus einem Material, das wie weißer Marmor aussah.
Ikanema schaute nach Osten. Nicht weit entfernt vom Tributkastell glomm auf einer riesigen, 450 Meter in den Himmel ragenden, güldenen Säule das Auge Anguelas. Der Anblick der dunkelroten, schwach leuchtenden Mikrosonne von achtzig Metern Durchmesser erfüllte ihn normalerweise mit Ausgeglichenheit und innerem Frieden, doch nicht an diesem Tag.
Ikanema seufzte leise. »Vergrößerungsfeld«, sagte er.
Normalerweise zoomten die Vergrößerungsfelder automatisch die Ausschnitte der Umgebung heran, die der Landesherr anvisierte, doch Anguelas Auge bildete die Ausnahme. Das Auge war heilig, und Ikanema legte Wert darauf, es in seiner Ganzheit zu betrachten. Es badete ganz Barlofft in seinem gütigen Licht.
»Anguela, du alles beschützende Macht«, begann Ikanema die Litanei, die im Verlauf der letzten Jahrzehnte immer größere Bedeutung für ihn gewonnen hatte, »die du über Tradom und seine Völker wachst, die du alles siehst und für die Lebewesen in deinen Galaxien sorgst ... in Tradom und Terelanya und Terenga und Irsatur ...«
Wie ich für die auf Pombar, dachte er und tadelte sich sofort für seine Blasphemie.
Wie konnte er es wagen, sich auch nur ansatzweise mit Anguela zu vergleichen? Und es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er ganz anders gedacht ...
Eines Tages, wenn meine Zeit gekommen ist, wird meine Seele in das Unendliche Nichts hinter Anguelas Auge eingehen, dachte er. Oder vielleicht sogar in Anguela selbst. Aber das waren nur Spitzfindigkeiten. Unterschiedliche Begriffe unterschiedlicher Völker, die ein und dasselbe bedeuteten.
Ikanema richtete den Blick auf die Säule, und das Vergrößerungsfeld zoomte sie heran. Sie durchmaß fünfzig Meter und war von oben bis unten mit kleinteiligen Ornamenten bedeckt.
Der Landesherr hatte schon oft versucht, diesen stilisierten Verzierungen einen Sinn zu entnehmen, doch es war ihm noch nie gelungen.
Wer hatte sie auf der Säule angebracht? Was sollten sie ausdrücken? Manchmal argwöhnte Ikanema, dass die Ornamente nur vom Glauben ablenken, den Blick vom Großen, eigentlich Wichtigen, zum Kleinen, Unbedeutenden richten sollten.
»Anguela, steh mir bei«, flüsterte er. »Ich brauche deine Hilfe jetzt. Ich werde sie belügen müssen. Zumindest darf ich ihnen nicht die ganze Wahrheit sagen. Aber wie kann ich das? Sie sind mein eigen Fleisch und Blut.«
Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Unmenge Verzierungen ihm etwas offenbarten, ihm irgendeinen Rat gaben, und sie taten es auch nicht.
Das ganze Leben besteht nur aus Verlust, dachte er. Einem Verlust nach dem anderen. Pombaren, die wir lieben ... irgendwann sterben sie und lassen dich allein zurück. Und nicht nur Pombaren ...
Er dachte an Ascarde und Tratto und Pirguso und an all die anderen, die ihn ein Stück seines Weges begleitet hatten ... und die er verloren hatte.
Manchmal wünschte er sich, er wäre statt ihrer gestorben. Nur, damit er das Gefühl des Verlusts nicht mehr ertragen musste. Den Schmerz. Die Trauer. Lieber ging er, und die anderen mochten allein zurückbleiben und um ihn trauern. Falls sie es denn taten.
Er riss sich zusammen. Der Abend war noch jung, und er hatte noch einiges zu regeln.
Ich werde sie belügen müssen, dachte er erneut.
Ikanemas Blick glitt nach unten, und ein Vergrößerungsfeld erfasste die dreißig Meter hohe, goldene Standarte vor der Säule und dann die Fahne, die daran wehte, das Quadrat vor der gelben, vielzackigen Sonne auf weißem Grund, den achtzackigen Stern im Inneren des Rechtecks, das von einem Schwert mit gerader, zweischneidiger Klinge und einem Smaragdknauf durchstoßen wurde.
Dem Schwert der Inquisition.
Der Inquisition der Vernunft.
Dem Schwert auf der Fahne des Reiches Tradom, die auf jeder Welt des Reiches wehte, genau, wie es auf jeder Welt ein Tributkastell gab. Zumindest auf jeder erschlossenen und einigermaßen dicht besiedelten.
Der Landesherr seufzte erneut und wandte sich vom Fenster ab. Hinter ihm brach die Vergrößerung der Fahne in sich zusammen, als hätte sie nie existiert, wäre immer nur Illusion und Täuschung gewesen.
Es ist zu unser aller Bestem, dachte er. Und zum Besten von Pombar.
Ikanema verließ das Turmzimmer. Eine steile, altmodische Treppe führte hinab in die oberste Etage der Herrschaftlichen Zitadelle. Die Stufen waren ausgetreten; an den Rändern des Treppenhauses höher als in der Mitte.
Schon sein Elter war diese Treppe hinaufgestiegen, um ins Turmzimmer zu gelangen, und dessen Elter vor ihm. Ungezählte Generationen von Pombaren hatten diese Treppe benutzt, und auch Ikanema hatte sich stets geweigert, sie durch einen Aufzug oder gar Antigravschacht zu ersetzen.
Die Zitadelle war oberhalb von Barlofft errichtet worden, der Hauptstadt des Planeten Pombar, und der Landesherr setzte ganz bewusst die Füße auf eine Stufe nach der anderen. Er war der Herrscher seines Volkes, und er stand oberhalb seines Volkes, wie die Zitadelle sich oberhalb von Barlofft erhob.
Doch er wollte jedes Mal, wenn er das Turmzimmer betrat, daran erinnert werden, dass es kein Vorzug war, Landesherr von Pombar zu sein. Es war eine Last und Bürde, die schwer auf seinen Schultern lag und die bald auf denen eines seiner Kinder liegen würde.
Auch dieses Kind sollte immer wieder daran erinnert werden, dass es in gewisser Hinsicht genauso schwer war, ein guter Landesherr zu sein, wie es mühselig war, ins Turmzimmer zu gelangen.
Ikanema hatte den Fuß der Treppe erreicht und zögerte kurz. Aber es gab kein Zurück.
Er hatte sich mit seinem Laokaon besprochen, das Für und Wider genau abgewogen und seine Entscheidung getroffen.
Jetzt musste er sie nur noch vertreten.
Und durchsetzen.
Der Landesherr öffnete die Tür zum Konferenzraum.
*
Schlagartig verstummten alle Gespräche, seine fünf Kinder schienen mitten in ihren Bewegungen zu erstarren. Doch nur einen Augenblick lang wirkten sie wie gefroren in der Zeit, dann drehten sie sich unisono zu ihm um.
Ikanema fragte sich, ob sie sich wunderten, wieso er allein kam, ohne seinen Laokaon.
Der Landesherr freute sich, sie zu sehen. Sie fanden nur selten zusammen, nicht einmal zu den wichtigsten Familienfesten waren all seine Kinder anwesend.
Sie führen ihr eigenes Leben, dachte Ikanema. In alle Himmelsrichtungen zerstreut, geben sie ihr Bestes, um sich auf Pombar oder sogar den Welten des Reiches Tradom zu behaupten.
»Du hast ein Fest anberaumt ...«, sagte Tickali, der Älteste.
»... und uns ausdrücklich aufgefordert ...«, fuhr Trickore, sein zweites Kind, fort.
»... ja pünktlich hier zu erscheinen ...«, sagte Trackino, der Dritte.
»... weil du uns ...« Tostani, der Vierte.
»... wichtige Neuigkeiten zu verkünden hast«, vollendete Tassoli, sein jüngstes Kind, den Satz.
»Das ist richtig«, sagte der Landesherr. »Aber lasst euch zunächst einmal begrüßen.« Er schritt die Reihe seiner Kinder ab, berührte zärtlich ihre Brustgesichter und genoss seinerseits den sanften Druck ihrer Fingerspitzen auf dem nackten Oberkörper.
»Die Seele in meiner Brust ist froh, euch gesund und wohlbehalten hier zu sehen«, sagte er. »Ich weiß, ihr führt euer eigenes Leben und habt genug mit euch selbst zu tun, aber ich habe euch wirklich aus einem wichtigen Grund hierher gebeten.« Er kam sofort zur Sache. »Ich beabsichtige, die Regierungsgeschäfte des Planeten Pombar in absehbarer Zeit aufzugeben. Ich möchte die Zeit, die mir noch bleibt, nutzen, um mich ganz meiner Leidenschaft widmen zu können, der Archäologie. Aus diesem Grund gilt es, nun inoffiziell meine Nachfolge zu regeln.«
*
Seine Kinder sahen ihn an. Die Mimik ihrer Brustgesichter kündete zwar von Überraschung, doch sie hielt sich in Grenzen.
Sie haben mit diesem Schritt gerechnet, dachte Ikanema.