Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Epilog
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2181
Die Liebenden der Zeit
Sie dienten den Kosmokraten – und wechselten zu einem Rebellen
von Hubert Haensel
Seit der Oxtorner Monkey und Alaska Saedelaere, der Terraner mit dem Cappinfragment, durch einen Zeitbrunnen gingen, erlebten sie eine beispiellose Odyssee. Unter anderem bekamen die beiden Aktivatorträger mit, wie der Schwarm Kys Chamei quasi »abgeschaltet« wurde und nach über einer Million Jahren in einer fremden Galaxis strandete.
Mittlerweile bewegen sie sich durch eine Region des Universums, die ihnen bislang völlig unbekannt war. Es handelt sich um das Erste Thoregon, und seine Bewohner halten ihre kosmische Region für ein absolutes Utopia. Die zwei Männer erkennen rasch, dass dieses Utopia seine Schattenseiten besitzt. Zeitbrunnenjäger zerschlagen beispielsweise mit absoluter Härte jeden Widerstand gegen die Regierung, die auf seltsame Weise unbestimmt bleibt. Aber es gibt eine Rebellenbewegung ...
Mit Hilfe dieser Rebellen schaffen es Monkey und Saedelaere nicht nur, das Hantelraumschiff SOL mit seiner Besatzung zu befreien. Sie erhalten zudem Kontakt zu zwei Algorrian, den uralten Wesen, um die sich im Ersten Thoregon zahlreiche Mythen ranken. Dabei handelt es sich anscheinend um DIE LIEBENDEN DER ZEIT ...
Le Anyante – Die Algorrian findet sich auf einmal in einer völlig unbekannten Zeit wieder.
Curcaryen Varantir – Der Algorrian gilt selbst unter seinesgleichen nicht gerade als sympathischer Zeitgenosse.
Atlan – Der Arkonide wird wieder einmal mit seiner Ritteraura konfrontiert.
Ronald Tekener – Der Aktivatorträger erfährt mit anderen Terranern eine uralte Geschichte.
Sie waren seit einer Ewigkeit konserviert, eingegossen in einen Block glasartigen Materials, das sich in diesem Moment endgültig verflüchtigte.
In der medizinischen Station der SOL herrschte Alarm. Trotzdem gab es wenig, was die beiden Algorrian während ihres Erwachens hätte erschrecken können: Nur zwei Kampfroboter hielten sich im Hintergrund, alle Schutzschirme waren dem Außenbereich vorbehalten.
Obwohl diese Wesen den Zentauren der altterranischen Mythologie ähnelten, wirkten sie fremd und bedrohlich. Noch Sekundenbruchteile nach dem Verschwinden der Konservierungsmasse standen die massigen Leiber wie erstarrt, und viele in der Zentrale der SOL-Zelle-1 glaubten wie ich, eine von ihnen ausgehende Gefahr zu spüren.
Wahnwitzig schnell zerrten die Algorrian ihre plumpen Zweihand-Gewehre aus den Seitentaschen. Sogar diese Waffen hatten sich bislang jedem unserer Analyseversuche entzogen. Ein irisierendes Flirren umfloss die Mündungen, und ich bildete mir ein, dass es sich auf Atlans Brust spiegelte.
»Nein!«, wollte ich schreien, aber mir stockte der Atem. Mit anzusehen, wie Atlan an Bord der SOL starb, von Geschöpfen ermordet, denen eben noch unsere Hoffnung gegolten hatte, war selbst für mich zu viel.
Dao-Lins Finger krallten sich in meinen Arm. »Diese Algorrian sind anders, als wir glauben«, fauchte sie. »Wir hätten sie niemals an Bord nehmen dürfen und schon gar nicht ihr Erwachen herbeisehnen ...«
Ein rauer, dröhnender Laut zerriss die Stille. Einer der Algorrian riss sein Gewehr herum. Ich starrte geradewegs in den aufzuckenden Blitz ...
... die Bildübertragung erlosch.
Weil du vom Leben besessen bist, darfst du nicht sterben. Du bist auserwählt, die Zeit zu überdauern, eingeschlossen in einen Block, der deinen Körper und deinen Geist konserviert.
Spürst du Furcht? Du weißt es nicht. Aber selbst wenn, du würdest solche negativen Gedanken niemals eingestehen.
Vor dir liegt eine Reise, wie sie nie zuvor ein Algorrian angetreten hat. Du bist begierig darauf zu erfahren, wo dein Weg enden wird. Dann wirst du endlich auch das Leben begreifen, das hinter dir liegt.
Le Anyante, Fundament-Stabilisatorin
Alle Hoffnungen waren vergeblich gewesen, das Schicksal ließ sich nicht betrügen. Sie fror. Nur vorübergehend hatte die Kälte ihren Blick verschleiert und den Atem stocken lassen, aber schon prustete sie los.
Der Zorn ließ ihre Barten schwellen. Sie spürte, wie das Blut in die Nasententakel schoss und ein erregtes Peitschen auslöste. Zugleich bebten die Nüstern, der Puls hämmerte in den Schläfen und drohte den Schädel zu sprengen. Bis in die Ohrfasern fraß sich der Schmerz vor.
Dann flutete das Blut zurück. Eine heiße Woge quoll unter der Schädeldecke nach vorne, staute sich in den Lidern und ließ die Augen tränen. Zwei hastige Atemzüge folgten ...
Etwas war anders, das spürte Le Anyante überdeutlich. In der Luft hing nicht mehr das Aroma der engen Felsenkammer, sondern eine metallische Beimengung. Prüfend sog sie den Geruch ein und spuckte in hohem Bogen aus.
Schlagartig begriff die Algorrian. Sie befand sich nicht mehr in der Kammer, wahrscheinlich nicht einmal mehr in der Stadt Aldarimme. Jemand hatte den Block aus Ysalin Magran gefunden und aufgetaut.
Also kein Fehlschlag. Aber wie viel Zeit mochte vergangen sein ...?
Später! Vorerst benötigte sie nur eine einzige Antwort: Hatte sie es mit Freund oder Feind zu tun?
Die Schatten vor ihr nahmen Gestalt an, verschwommen zwar, doch zugleich so deutlich, dass ihre Befürchtungen zur Gewissheit wurden. Die neue Umgebung wirkte fremd und bizarr und war größer als das Versteck.
Le Anyante scharrte mit dem rechten Hinterbein – die erste nervöse Zuckung, weil ihr der Geruch des Partners in die Nase stieg. Curcaryen stand in unmittelbarer Nähe. Seine Ausdünstungen zeugten von beginnender Panik, er begann zu stinken, als hätte er sich in Schwefelschlamm gewälzt. Zum ersten Mal seit langem hatte Le Anyante sogar Verständnis dafür. Ihr wurde beim Anblick der Fremden ebenfalls abwechselnd heiß und kalt.
Es waren Zweibeiner. Mit ovalem Schädel und nacktem Gesicht. Ungefähr so hoch wie ein Algorrian, aber weit weniger gewichtig.
Kattixu?
Le Anyante spürte, dass Curcaryen zur Waffe griff. Sie fasste ebenfalls mit zwei Händen nach hinten und wuchtete das Tivar-Gewehr aus dem Futteral. Curcaryen zielte spontan auf den weißhaarigen Zweibeiner, aber sie stieß ein verhaltenes Schnauben aus, das ihn besänftigen sollte.
Curcaryen Varantir hatte stets zum Extrem geneigt. Deshalb schob die Algorrian den Hinterleib zur Seite, bis sie endlich Curcaryens Wärme spürte. Er rieb prompt seine Flanke an ihrem Schenkel. Das lenkte ihn ab. Was Le Anyante jetzt gewiss nicht erleben wollte, war, dass ihr Gefährte die Nerven verlor und wild um sich schoss. Sie war selbst sehr nahe am Ende ihrer Beherrschung und musste alle Kraft zusammennehmen.
Der Gedanke an die Kattixu wühlte in ihren Eingeweiden. Dass ausgerechnet die schattenhaften Humanoiden sie entdecken würden, hatte niemand einkalkuliert.
Le Anyante versuchte, alles gleichzeitig zu begreifen. Dem unbekannten Raum haftete ein Hauch von Sterilität an. Vermutlich handelte es sich um eine Art physikalisches Labor oder eine Krankenstation. Beides hätte den Gesetzen der Logik entsprochen: Die Fremden hatten das Abschmelzen der Blöcke permanent überwacht.
Die Algorrian erschrak über ihre eigenen Gedanken. Vielleicht handelten diese Zweibeiner nur wie spielende Kinder, aus Neugierde und ohne zu wissen, was sie wirklich auslösten.
Die beiden kegelförmigen Maschinen im Hintergrund waren Kampfroboter, kein Zweifel. Noch zeigten sie keine Reaktion, aber ihre Stärke stand außer Zweifel.
Le Anyante spürte, dass ihr Gefährte in Panik geriet. Seine Barten zuckten. Jeden Moment konnte er das Gewehr auf die Roboter abfeuern und den eigenen Schutzschirm aktivieren. Ohne darüber nachzudenken, dass sich der Raum in eine Hölle verwandeln würde.
»Tu's nicht, mein Lieber!«, brachte Le hervor. Zugleich trat sie ihn mit aller Kraft in die Flanke, riss ihr eigenes Tivar-Gewehr herum und feuerte einen Blendstrahl auf die Überwachungsoptik ab.
Das alles war die Sache eines einzigen Augenblicks. Curcaryen brüllte auf, er stieg auf den Hinterbeinen in die Höhe und wollte sich auf die Fremden stürzen, aber Le Anyante fuhr ebenso schnell herum. Mit einer Hand schob sie ihr Gewehr in die Tasche zurück, mit zwei Händen umklammerte sie Curcaryens Waffe, und die Finger der vierten Hand wühlten sich in seinen struppigen Kinnbart.
»Wir wollen nichts Böses!«, rief sie aufgeregt in den Raum. »Es ist nur ...«
»Sprich weiter!« Scharf und schneidend hing die Stimme des weißhaarigen Zweibeiners im Raum. Er sprach das Kaqagire mit seltsamem Akzent, auf Anhieb nur schwer verständlich.
Le Anyante warf den Kopf herum. Die Kampfroboter schwebten bedrohlich nahe, von starken Schirmfeldern geschützt. Nur eine knappe Armbewegung des Weißhaarigen hatte sie am Eingreifen gehindert.
»Wir sind ... etwas verwirrt«, gestand die Algorrian.
Curcaryen tänzelte unruhig. Immerhin lockerte er seinen Griff um das Gewehr. Le Anyante schenkte ihm ihr hinreißendstes Lächeln. Seine Verwirrung wich nur langsam. Danach würde sich die Eifersucht wieder einen Weg in seine Gefühle bahnen. Aber niemand konnte das Geschehene rückgängig machen, es hatte keinen anderen Weg gegeben.
Le Anyante fühlte sich sogar stark und stolz deshalb. »Bis hier haben wir es geschafft«, raunte sie im Flüsterton, als sie Curcaryens Gewehr ins Futteral zurückschob, »und wir werden alles andere überstehen.«
Der Zweibeiner stand mittlerweile dicht vor ihnen. In einer Geste, die wohl seine Friedfertigkeit ausdrücken sollte, breitete er die Arme aus und zeigte seine leeren Handflächen. Fünf Finger, registrierte Le Anyante. Aber da war noch etwas anderes, was ihr Misstrauen wach hielt, eine seltsame Ausstrahlung, für die sie keine Erklärung hatte. Eine Aura, die sie als Bedrohung identifizierte.
»Ich heiße Atlan«, sagte der Zweibeiner schwerfällig, als hätte er nie richtig gelernt, die Umgangssprache Kaqagire zu benutzen.
»Le Anyante.« Die Algorrian lächelte, wenngleich sie instinktiv nicht gewillt war, mehr preiszugeben. Mit einer knappen Kopfdrehung deutete sie auf Curcaryen. »Mein Begleiter ist Curcaryen Varantir. – Unsere Waffen schweigen ...« Für einen Augenblick glaubte sie, hinter Atlans Äußerem etwas erkennen zu können, was ihn unheimlich machte. »Jedenfalls, solange wir in Frieden miteinander umgehen.«
»Intelligente Wesen sollten das können«, prustete Varantir. Er verschränkte das obere, aus den schmalen Schultern ragende knochige Armpaar vor dem Oberkörper, während er mit den beiden unteren Armen nach hinten griff und sich ausgiebig die Hinterbacken kratzte. Sekundenlang war das schabende Geräusch der einzige Laut, dann ließ Curcaryen ein wohliges Ächzen vernehmen.
Le Anyante fixierte Atlan unverändert. Die anderen Zweibeiner interessierten sie kaum; nur ihm hing diese undefinierbare Ausstrahlung an.
»Wir wollen nicht kämpfen«, sagte der Weißhaarige mit Nachdruck, und Le Anyante glaubte es ihm sogar. »Es ist besser, miteinander zu reden.«
Sie starrte ihn an, kniff die Brauen zusammen und richtete die spitzen Ohren auf. Für einen Moment glaubte sie, ein Aufleuchten in seinen Augen zu bemerken. Unwillkürlich reckte sie den Oberkörper nach vorn und zog die Lippen in die Breite. Ein verhaltenes Gurgeln drang aus ihrer Kehle. Atlans letzter Satz hatte glatt und einstudiert geklungen. Das gefiel ihr nicht – und Curcaryen reagierte ebenfalls unverhohlen misstrauisch. Sie spürte sein inneres Beben. Das und die Ungewissheit, was mit ihnen geschehen war, bildeten eine brisante Mischung. Curcaryens ungestümes Erbe konnte jeden Moment aufbrechen.
»Es war Zufall, dass die Kammer in Aldarimme entdeckt wurde. Anfangs wusste niemand zu sagen, ob die beiden Blöcke nur konservierte Särge waren oder ...« Atlan unterbrach sich, weil weitere Zweibeiner eintrafen.
Curcaryen redete halblaut, aber was er murmelte, verstand nicht einmal Le Anyante. Mehrmals spuckte er aus, Speichel troff über seinen Kinnbart. Es war klar, dass er ebenfalls an Kattixu glaubte. Die Zweibeiner waren so verschieden, dass dafür genetische Manipulationen verantwortlich sein mussten.
Anyante starrte auf den hageren, dunkelhaarigen Mann, der sein Gesicht hinter einer Maske verbarg. Aber war das überhaupt ein Gesicht? Ein Prickeln durchlief ihren Körper, als sie die irrlichternde Glut unter den schmalen Maskenschlitzen sah. Dieses Wesen lebte auf einer anderen Ebene. Es war instabil ... hatte seine Fundamente verloren ...
»Alaska Saedelaere«, sagte Atlan. Anyante hörte es nur mit einem Ohr, sie war gezwungen, besänftigend auf Curcaryen einzureden, dessen Zittern sich sogar auf sie übertrug.
Der andere Zweibeiner war ein Koloss, unglaublich breit in den Schultern und massig. Sein Körper mochte weit mehr als das Doppelte eines ausgewachsenen Algorrian wiegen. Die dunkel schimmernde Haut war haarlos, wirkte so ekelhaft glatt, als wäre sie poliert worden, und anstelle normaler Augen steckten zwei kreisrunde künstliche Linsen in den Höhlen.
Was war das nur für eine Welt, in der solche Wesen die Führung übernommen hatten? Die Hoffnung auf eine gute Zukunft erschien vergeblich. Le Anyante schrie auf, als sie Curcaryens Überlegungen spürte. Er bereute, die Konservierung überlebt zu haben. Warum waren sie nicht gemeinsam in dem Block aus Ysalin Magran erstickt – warum ...? Seine Verzweiflung wurde zur Todessehnsucht, doch schon der nächste Atemzug versetzte sein heißes Blut in Wallung. Mit bebenden Flanken schien er jeden Moment losstürmen zu wollen, um alles hinter sich zu lassen, was er nicht akzeptieren konnte.
»Du kannst nicht ewig vor dir davonlaufen.« Anyante drängte sich an ihren Gefährten, ihr Leib fing sein Beben ab. Sanft kroch ihre Hand über seinen Nacken. Curcaryen warf den Kopf hoch, während ihre Tentakelbarten sich viel zu flüchtig streiften.
Monkey hieß der massige Zweibeiner. Le Anyante registrierte den Namen nur beiläufig. Curcaryens überschießende Reaktion war ihr wichtiger. Aber das ging die Fremden nichts an, von denen sie noch immer nicht wusste, ob sie Freund oder Feind waren.
Atlan verstummte. »Wenn ihr mir nicht zuhört ...«, sagte er in ärgerlichem Ton.
Le Anyante warf den Kopf in den Nacken und entblößte die Zähne. »Doch«, versicherte sie dröhnend, »es ist alles in Ordnung.«
Der Fremde glaubte ihr nicht. Das nahm sie mit ihren feinen Sinnen wahr. Und sie mochte ihn ebenso wenig wie die anderen, die nichts Besseres zu tun hatten, als Curcaryen und sie anzugaffen. Dafür hatten sie nicht geschlafen ...
Wie lange eigentlich?
Sie kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Atlan hatte eben behauptet, dass dieser Monkey die Konservierungsblöcke aus der Kammer entfernt und mit Hilfe von Mochichi abtransportiert hatte.
»Mochichi?«, röhrte Curcaryen. »Wenn diese Dilettanten das Ysalin Magran berührt haben, krieg ich die Krätze! – Haben sie?« Sein Röcheln klang erbärmlich. Es war das einzige Geräusch in der plötzlich angespannten Atmosphäre. »Haben sie?«, brüllte er noch einmal, und diesmal ließ er sich von Anyantes Berührung nicht besänftigen. Er ging zwei blitzschnelle Schritte auf Atlan zu und breitete die Arme aus, als wolle er den Zweibeiner am Ausweichen hindern. Sein Schädel ruckte nach vorne und verharrte höchstens eine Handspanne vor dem Gesicht des Weißhaarigen.
»Sag uns, was geschehen ist!« Jedes Wort brachte Varantir wie einen Fluch hervor. »Alles!«
Atlan schwieg. Er vergaß sogar das Atmen. Kein Wunder, dachte Le Anyante, und in ihre Gedanken mischte sich Schadenfreude. Curcaryen stinkt wie ein brünstiger Bock. Sie wartete ab, wie lange der Zweibeiner dem standhalten würde. Schon hob er seine Hand und presste sie vor die höckerartige Nase und den schmalen Mund.
»Warum höre ich nichts?«, schnauzte Curcaryen ungehalten. »Wer, bei THOREGON, hat hier das Sagen?«
»Ich habe das Kommando«, brachte Atlan hervor. Er blieb standhaft und schaffte es sogar, den Potenzial-Architekten mit der linken Hand auf Distanz zu halten. Curcaryen wurde davon überrascht. Kein Zweibeiner durfte so mit einem Algorrian umspringen.
Nur ein Ächzen drang über Anyantes Lippen, als sie endlich begriff, wer da vor ihr stand. Von Anfang an hatte sie Atlans Aura registriert, aber nicht verstehen wollen. Noch immer sträubte sich jede Faser ihres Körpers gegen die erschütternde Wahrheit.
Mit zwei Händen griff Le Anyante nach dem schweren Tivar-Gewehr, mit den beiden anderen aktivierte sie ihren Schutzschirm.
»Nicht schießen!«, rief Atlan.
Er meinte nicht sie und ebenso wenig Curcaryen, dessen Schirmfeld ebenfalls aufleuchtete, sondern seinesgleichen und die beiden kegelförmigen Kampfmaschinen. Er war auch kein Kattixu ... Die Wahrheit erwies sich als sehr viel schlimmer.
*
Ihre Finger umkrampften das Gewehr, bis die Knochen bleich unter der Haut hervortraten. Die eigene Aggressivität drohte sie zu überwältigen. Sie starrte Atlan an und glaubte, dass ihre ansonsten graublauen Augen vom Blut schon ebenso rot gefärbt waren wie seine. Ein schreckliches Rot, das sie ängstigte und zugleich anstachelte.
Wild peitschten die Barten gegen das Gewehr, als müssten sie vollenden, was ihre Finger noch verweigerten.
Atlan sagte etwas, das Le Anyante nicht verstand. Nicht verstehen wollte. Ihre mühsam zurechtgerückte neue Welt war in einem Scherbenhaufen zusammengebrochen, kaum, dass sie begonnen hatte, Gestalt anzunehmen.
»Ich weiß nicht, was ich von eurem Verhalten denken soll. Wir sind keine Feinde.«
Nein, du bist kein Feind, dachte die Algorrian bitter. Keuchend holte sie Luft und versuchte, alle Gedanken zu verdrängen, die sie quälten. Wie befreiend wäre es gewesen, hätte sie jetzt losbrüllen, toben und um sich schlagen können ... Du bist nur ein Ritter der Tiefe! – Noch immer sträubte sie sich, das anzuerkennen.
»Was ist los?«
Warum um alles in der Welt stand er noch immer ohne eigenen Schutzschirm vor ihr? War seine Ethik so hoch entwickelt, dass er glaubte, allein damit alles Negative abwehren zu können? In Le Anyante wuchs eine grimmige Entschlossenheit. Sie brauchte nur den Finger zu krümmen, und der Ritter der Tiefe würde sterben. In letzter Sekunde erkannte sie, dass es nicht ihr eigener wilder Zorn war, der sie nach dem Auslöser tasten ließ, sondern Curcaryens rüde Art, die sich auf sie übertrug. Mit einem wütenden Tritt in den Unterleib stoppte sie ihn.
»Ich bedauere, dass wir nicht miteinander reden können«, sagte Atlan. »Vielleicht bringt ein neuer Tag mehr Erfolg. Ich hoffe es jedenfalls.« Er wandte sich zu seinen Leuten um. »Alaska, Monkey, bitte kümmert euch um die beiden und weist ihnen ein angemessenes Quartier zu.«
Wie lange hatten sie geschlafen? Alles schien von der Beantwortung dieser einen Frage abzuhängen. Die Ritter der Tiefe hatten – zu früherer Zeit – als moralisch über alle Zweifel erhaben gegolten, ihre Ethik als vorbildlich. Aber sie standen eindeutig auf der Seite der kosmischen Ordnungsmächte, und das machte sie zu unversöhnlichen Gegnern. Kein Algorrian würde noch einem Ritter der Tiefe vertrauen. Es sei denn ... Wir kennen die aktuellen Gegebenheiten nicht.