Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
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10.
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2182
Der THOREGON-Plan
Eine Superintelligenz intrigiert – sie strebt nach Veränderung im Kosmos
von Hubert Haensel
Seit einiger Zeit operiert das Hantelraumschiff SOL in einem ganz besonderen Kosmos, im Ersten Thoregon. Es handelt sich dabei um eine Art Miniatur-Universum, in das die Besatzungsmitglieder der SOL vom Mahlstrom der Sterne aus kamen. Vergleichbar ist das Erste Thoregon vor allem mit dem PULS, in den sich die Superintelligenz ES zurückgezogen hat.
Mittlerweile haben Atlan und die anderen Menschen an Bord der SOL mehr über die Bedingungen im Ersten Thoregon erfahren. Vor allem die Erkenntnisse, die der Oxtorner Monkey und der Terraner Alaska Saedelaere gesammelt haben, kommen ihnen dabei zugute. Sie wissen, dass die Bewohner des Kugelsternhaufens in einem nahezu perfekten Utopia leben – es herrscht Frieden, und allen Bewohnern geht es vergleichsweise gut.
Allerdings besitzt dieses Utopia sehr wohl seine Schattenseiten. Die so genannten Zeitbrunnenjäger zerschlagen beispielsweise mit absoluter Härte jeden noch so kärglichen Widerstand.
Inzwischen hat die SOL zwei neue Gäste an Bord: Es handelt sich um zwei Algorrian, die Angehörigen des mittlerweile legendären Volkes, dessen Existenz offensichtlich seit undenklichen Zeiten mit dem Ersten Thoregon verknüpft ist. Die zwei Algorrian erzählen aus ihrem Leben – und sie enthüllen eine große Gefahr: Es ist DER THOREGON-PLAN ...
Le Anyante – Die Fundament-Stabilisatorin überdauert mehrere Millionen Jahre.
Curcaryen Varantir – Der geniale Potenzial-Architekt entwickelt immer neue Erfindungen im Auftrag höherer Mächte.
Hunderte Algorrian standen inmitten greller Lichtkaskaden, die Daten des Versuchsablaufs übermittelten. Kau Elyama war eine von ihnen, als Technikerin in den Informationsfluss einbezogen. Sie schwitzte und fror abwechselnd, und ihre Flanken bebten. Ich schaffe es nicht! Der Gedanke erschien ihr ebenso unerträglich wie die erdrückende Informationsfülle. Ihre Unruhe wuchs. »Nein!«, wollte sie schreien, als die Schwärze des noch engen Tunnels zu pulsieren begann – sie brachte keinen Laut über die Lippen. Alle werden sterben!
Die pulsierende Düsternis griff um sich, schwappte über sie hinweg und verschluckte das Experimentalschiff.
Kau Elyama verfluchte die eigene Unsicherheit. Es gab so viel zu tun, aber sie dachte nur an den Tod.
Die ANSORJA fiel durch die Schwärze, die sich zur pulsierenden Röhre ausweitete. Mäandernd durchstieß der Energietunnel den PULS in Richtung Standarduniversum.
Jubel brandete auf. Für Sekundenbruchteile glaubte Elyama zu sehen, wie die Schwesterschiffe vom Dimensionsgefälle durcheinander gewirbelt wurden. Normale Raumschiffe wohlgemerkt, nicht die uralten Spezialkonstruktionen.
Nur noch wenige Augenblicke ...
Der Alarm fraß sich in ihre Gedanken vor. Dutzende Datenübertragungen brachen zusammen. Nur ein Bild blieb: Die pulsierende Tunnelröhre wies Risse auf, grelle Eruptionen perforierten die Wandung vollends.
Der Tod kam aberwitzig schnell ...
Kau Elyama sah die Schutzschirme der ersten Experimentalschiffe zusammenbrechen. Die Walzenraumer glühten auf, wurden von atomaren Gluten auseinander gerissen.
Dann war da nur noch ein greller Blitz, der auch die ANSORJA zu spalten schien. Eine Feuerwoge rollte heran, riss Elyama von den Beinen und wirbelte sie mit sich.
Die Technikerin hatte es geahnt. Diesmal ließ sich der Tod nicht überlisten.
Diesmal?
Unverständnis und Verwirrung beherrschten sie, bevor ihr Bewusstsein erlosch.
*
Eine Mikrobe über der brodelnden Oberfläche einer Riesensonne – ungefähr dieser Größenvergleich traf auf den monströsen Sonnenschlepper zu, der aus weiter Distanz gesehen annähernd würfelförmig erschien, aber dennoch aus unterschiedlich großen, bis zu zwanzig Kilometer durchmessenden Scheibensegmenten aufgebaut war. Und was wie die Korona eines riesigen Sterns anmutete, mochte ebenso gut das Ende des Universums sein: ein mehrere tausend Lichtjahre durchmessender Wall aus Energie, ein unaufhörlich brodelnder Strom, mal Protuberanzen gebärend, die größer waren als viele Sonnensysteme, dann wie eine Sintflut durch den Raum tobend, ein unaufhörliches Brodeln und Wogen, in dem sich die Urkraft des Universums manifestierte.
Im Innern dieser Glutzone lag der PULS – ein Nichts, mit den Sinnen nicht zu erfassen, ein Ort außerhalb des Universums.
Plötzlich war da ein Hauch von Düsternis. Ein winziger, dunkler Fleck, vielleicht nur ein Schattenwurf. Wenngleich in der gleißenden Feuerwand nichts existierte, was einen Schatten hätte werfen können. Der Fleck veränderte sich, wirkte im einen Moment kreisrund, im nächsten oval und erschien letztlich wie ein zuckender, immaterieller Ring – das Tor in eine andere Welt. Er spie Trümmer aus.
Das Wrack eines Raumschiffs.
Weitere Trümmerwolken folgten. Keine Aussicht auf Überlebende. Die Besatzungen konnten das Auseinanderbrechen ihrer Schiffe nicht einmal in den Raumanzügen überstanden haben.
Als Letztes ein Walzenschiff im trügerischen Schutz flackernder Schirmfelder. Auf irrwitzigem Kurs stürzte es aus dem zuckenden Aufriss hervor, schwer beschädigt und von Explosionen zerfetzt.
Kein Versuch, die Triebwerke zu aktivieren ...
Keine Lebenszeichen über Funk ...
Dennoch näherte sich der Sonnenschlepper. Seine starken Traktorstrahlen zerrten das Wrack aus dem Sog der Glutzone.
Augenblicke später brachen die letzten Segmente des Schutzschirms zusammen. Robotkommandos landeten auf der geborstenen Schiffshülle und drangen ins Innere vor. Falls Besatzungsmitglieder überlebt hatten, mussten sie gerettet werden. Jedes Leben war kostbar.
*
Schwerelos schwebte sie in zeitloser Unendlichkeit, wurde sich der eigenen Existenz nur zögernd wieder bewusst.
Der quälenden Unruhe folgte ein grauenvoller Schmerz. Kau Elyama brüllte ihr Entsetzen hinaus. »... ich will nicht sterben! Nicht so jung ...«
Ihr Atem stockte, als die Erinnerung über ihr zusammenschlug: ... Feuer ringsum, nahezu alle Schiffsfunktionen ausgefallen, die künstliche Schwerkraft spielte verrückt. Ihr Schutzschirm vor dem Zusammenbruch. Heftige Entladungen überall, die Holokontrollen nur noch verwehende Schleier. Viele Wissenschaftler verwundet oder tot. Sie wurde herumgewirbelt, versuchte vergeblich, sich abzufangen, und rutschte eine Schräge hinab, die eben noch der Boden gewesen war. Urplötzlich Dunkelheit ringsum, dann grelle Entladungen. Ein Überschlagsblitz ließ ihren Schutzschirm endgültig zusammenbrechen und fraß sich mit sengender Hitze durch ihren Raumanzug hindurch ...
Der eigene Pulsschlag dröhnte in ihren Ohren.
Eine trübe grüne Flüssigkeit umspülte sie. Von irgendwoher erklangen Geräusche, dumpfe Stimmen, aber was sie sagten, blieb unverständlich.
*
Ein Hauch von Nässe hing in der Luft. Im Schatten der schweren Regenwolken war es kühler geworden. Triumphierend warf die Algorrian den Kopf in den Nacken, stieß einen lang gezogenen Ruf aus und galoppierte los. Wasser und Schlamm spritzten davon. Die halb mannshohen Uferpflanzen peitschten gegen ihren Leib, Blütenstaub wirbelte auf und färbte ihr Fell. Sie genoss das Alleinsein ebenso wie das Gefühl grenzenloser Freiheit; ihre Heimat war ein Paradies. Schaum troff von ihren Lippen, der Wind spielte mit der Mähne ...
Abrupt schreckte sie auf. Oft träumte sie in letzter Zeit Dinge, die sie nicht verstand, die ihr fremd erschienen, aber manchmal auch unglaublich vertraut. Die Frau, die sie dann vor sich sah, kannte sie nicht. Eine schöne Frau, mit glänzendem Fell, langer Mähne und einem begehrenswerten Körper.
Hässlich war Kau selbst nicht, aber sich mit der Unbekannten aus ihren Träumen zu vergleichen ... Ihre Gedanken stockten, der Schmerz brach wieder aus, als tobten Lavaströme unter ihrer Haut.
»Ich sehe, dass du endlich bei Bewusstsein bist, Kau Elyama.« Die Stimme, so leise und einschmeichelnd sie klang, erschreckte sie. »Wie fühlst du dich? Weißt du, was geschehen ist?«
Elyama riss die Augen auf. Doch sie brachte nur ein Stöhnen über die Lippen.
Über sich, jenseits des grünen Schimmers, registrierte sie vage Konturen. Kau Elyama glaubte, einen kantigen Schädel zu sehen, der sie aus großen Augen fixierte wie ein seltenes Insekt in einem Schaukasten.
Bin ich das?, durchzuckte es sie. Ein aufgespießtes Insekt?
Seit Wochen argwöhnte sie, dass da noch eine Wahrheit sein musste, das andere Leben aus ihren Träumen. Innerlich tief zerrissen, litt sie seither unter Konzentrationsschwierigkeiten und glaubte, in der Zwangsjacke einer viel zu engen Haut zu stecken. Fing so der Wahnsinn an?
»Deine Hirnströme gleiten von einem Extrem ins andere, Kau. Aber dir kann nichts mehr geschehen, du bist in Sicherheit.«
Sie entsann sich. Als jüngste Technikerin gehörte sie der Gruppe an, die den Prototyp des Tunnelprojektors fertig gestellt hatte. Seit mehr als tausend Jahren verlangte die Superintelligenz THOREGON von den Algorrian eine technische Vorrichtung für den jederzeitigen Wechsel vom PULS in den Standardraum.
Der Tunnelprojektor hatte die Erwartungen nicht erfüllt. Schaudernd dachte Kau Elyama an die zuckende, dunkle Röhre.
Die Schwärze ängstigte sie. Auch jetzt noch.
»Wo ... bin ... ich ...?« Stockend brachte sie die Frage über die Lippen. Es war unwichtig, dass sie dabei Flüssigkeit schluckte, denn mit jedem Atemzug sog sie ohnehin die klebrige Nässe in ihre Lungen und erstickte nicht.
»Du liegst in der Krankenstation des Sonnenschleppers XANTHARAAN im Regenerationsbad«, antwortete die Stimme. »Deine Haut war zu neunzig Prozent verbrannt, das Fleisch vom Nacken an bis auf den Rücken mit Überresten des Raumanzugs verbacken.«
»Eine Operation ...?«
Der Mediziner schwieg. Flüchtig glaubte Kau Elyama, Bruchstücke seiner Gedanken aufzufangen. Er betrachtete sie voll Mitleid und Bedauern.
Die Schmerzen wurden so grauenvoll, als würde ihr Fleisch von den Knochen gelöst. Kau schrie sich die Seele aus dem Leib.
»Ich habe ein Medikament aufgelöst.« Wie aus weiter Ferne hallte die Stimme heran. »Es wird dir helfen, das Schlimmste zu überstehen.«
»Wie ... lange ...?«
Schweigen.
»Die Wahrheit!«, brauste Elyama auf. »Ich habe ... ein ... Recht darauf.«
»Der Zusammenbruch des Tunnels hat Verstrahlungen verursacht, die uns fremd sind«, sagte der Mediziner endlich. »Derzeit können wir nur deine Schmerzen lindern. Und das wird bis auf weiteres nur in dem Regenerationstank möglich sein.«
Sie starrte vor sich hin und war zu keiner Regung mehr fähig. Warum bin ich nicht tot? Dieser eine Gedanke beherrschte sie.
»Du wirst wahrscheinlich überleben«, sagte der Mediziner. Spürte er nicht, wie drohend seine Worte klangen? »Aber deine volle Bewegungsfähigkeit wirst du nie zurückerlangen.«
»Ich will ... mich sehen!« Sie keuchte und schluckte erneut wahnsinnig viel Flüssigkeit dabei. Für einen Moment keimte die aberwitzige Hoffnung auf, dass sie ertrinken würde. Kau Elyama sehnte sich sogar danach, sterben zu dürfen. Irgendetwas in ihr redete ihr ein, dass dem Tod ein neuer Anfang folgen musste. Die Erkenntnis, dass die Flüssigkeit sie mit allen Nährstoffen und Sauerstoff versorgte und ein Ertrinken unmöglich war, ließ sie haltlos zittern.
»Deine Flanken sind noch von Schorf überzogen, Kau«, erläuterte der Mediziner unvermittelt. »Die Brandwunden benötigen Zeit, um zu heilen.«
Elyama spürte, dass er die Unwahrheit sagte. Sie besaß schon von Jugend an die Fähigkeit, sich in andere Algorrian hineinzuversetzen. Falls sie die kommenden Wochen wirklich überlebt ... Das war es, was den Mediziner bewegte. Er sprach den Satz nur nicht aus.
Elyama schloss die Augen und ließ sich treiben. Der Tod war nicht ihr Feind, das spürte sie deutlich. Sobald er kam, würde sie ihn mit offenen Armen empfangen.
Und dann ...?
Da war vieles, was sie verwirrte. Schon die Träume, die ihr oft wie vergessene Erinnerungen erschienen. An diesen Träumen klammerte sie sich fest, sie waren alles, was sie hatte.
Was ist das Leben wirklich?, dachte sie gequält. Ein Spiel? Aber wer bewegt die Figuren? Die Superintelligenzen, die Kosmokraten – oder gibt es Wesenheiten über den Ordnungsmächten?
*
Unruhig wälzte sie sich von einer Seite auf die andere.
»Was ist mit dir?«, raunte eine kehlige Stimme neben ihr.
Sie blickte in ein markantes Gesicht. Tiefe Falten zeugten davon, dass ihr Gefährte in den vergangenen Jahrzehnten zu viel gearbeitet hatte. Sanft glitten seine Hände ihren Rücken hinab und tasteten über ihre Flanken. Trotz der angenehmen Wärme seines Körpers sträubte sie sich gegen die Annäherung. »Alles hat sich verändert, lass mir Zeit, mich daran zu gewöhnen.«
»Haben wir nicht endlich die lang ersehnte Sicherheit gefunden, Le? Was willst du mehr? Tulacame 2 ist dem Zugriff der Hohen Mächte entzogen, unser Volk kann in Frieden und Freiheit leben und steht nicht mehr im Frondienst.«
Sie lachte hell – und brach verwirrt ab. Ein funkelnder, silberner Schein erfüllte plötzlich den Raum. Keine fünf Schritte entfernt schwebte ein Heliote, eine der energetischen Ballungen, in denen sich ein Bewusstseinssplitter THOREGONS manifestierte.
»Ich bin gekommen, um euch zu informieren.« Überlaut dröhnte die kraftvolle mentale Stimme des Helioten. »Der PULS und sein Sternhaufen sind fortan exterritoriales Gebiet. Mit den Kosmokraten wurde der Vertrag von Mahagoul geschlossen, der dies zum Inhalt hat. Euch beiden verdankt THOREGON sehr viel, aber auch dem gesamten Volk der Algorrian.«
»Dieser Vertrag schreibt unsere Freiheit fest?«
»Er beruht auf Gegenseitigkeit«, antwortete der Heliote. »THOREGON hat sich verpflichtet, den PULS nicht weiter auszudehnen. Im Gegenzug verzichten die Hohen Mächte auf die Galaxis Mahagoul, die als Einflussbereich der Superintelligenz THOREGON festgeschrieben wird. Damit besteht endlich die Möglichkeit, die extrauniversale Zone des PULSES für unbestimmte Zeit zu verlassen.«
»Aber Sicherheit wird nur für Mahagoul garantiert?«
»Das ist ganz richtig, Curcaryen Varantir ...«
*
Curcaryen ...? Kau Elyama schreckte aus unruhigem Schlaf auf. Seit Tagen träumte sie von jenem Algorrian. In den kurzen Perioden, in denen ihre Schmerzen dank des Medikaments erträglich wurden, versuchte sie immer verzweifelter, sich zu erinnern. Sie glaubte zu spüren, dass sie mehr über ihn wissen sollte, aber sie entsann sich nicht. Immerhin hatte sie sich zum ersten Mal an seinen Namen erinnert.
Curcaryen Varantir ... Sie lauschte dem Nachhall in ihren Gedanken, einem Gefühl sonderbarer Vertrautheit.
Erneut wischten die Schmerzen alles beiseite. Zeitweise wurden sie unerträglich, dann brüllte Kau nur noch, bis sie die Besinnung verlor. Öfter und heftiger kamen diese Anfälle, aber die Ärzte konnten nichts dagegen tun. Ihre Ratlosigkeit war Elyama nicht lange verborgen geblieben.
»Lasst mich endlich in Frieden sterben!«
Mit ihrer Forderung stieß sie auf schroffe Ablehnung. Leben fragte nicht danach, ob es unerträglich geworden war, es verleugnete sich auch nicht. Die Entscheidung, ein Dasein vorzeitig zu beenden, hätte jeder Moral Hohn gesprochen.
Seit Wochen lag Kau Elyama im Regenerationsbad. Sie hatte gelernt, die Tage nicht mehr in Perioden von Helligkeit und Düsternis einzuteilen, sondern nach den häufiger werdenden Perioden qualvoller Schmerzen und den weit selteneren Momenten, in denen die Medikamente ihr Erleichterung verschafften. Mitunter dämmerte sie nur noch wie in Trance dahin, dann kamen Tagträume, die sie für Augenblicke in andere Welten entführten.
... ein Raumschiff, riesig in seinen Ausmaßen, schon die Wandung einen Kilometer dick. Im Innern eine fantastische Landschaft: weit gespannte Ebenen in saftigem Grün, durchbrochen von Wasserläufen und einer Vielzahl schimmernder Seen. Das alles im Licht künstlicher Sonnen – ein Paradies, in das sie gern für immer geflohen wäre.
... in der endlosen Schwärze des Universums weit verstreut und bizarren Mustern folgend, Sterneninseln wie funkelnde Juwelen. Ein berauschender Anblick, ein Hauch der Unendlichkeit. In allen Galaxien zigtausendfach verschiedenes Leben. Es nahm überhand, breitete sich ungehemmt aus, eroberte ...
Allein diese Phantasien gaben Kau Elyama noch Kraft, ihr Schicksal zu ertragen. Ebenso die gedankliche Nähe des Algorrian, der ihr in verschiedener Gestalt immer wieder begegnete.
Eine neue Woge der Schmerzen ließ sie die Besinnung verlieren.
Als die Pforte des Jenseits Kau wieder ausspie, hing ein Schatten über ihr. Jemand musterte sie von außerhalb des Beckens. Es war nicht der Mediziner, das glaubte sie deutlich zu spüren.
Der Schatten beugte sich tiefer herab. Kau Elyama riss die Augen auf. Verzerrt sah sie die Umrisse eines kantigen Schädels; ein kräftiger Kiefer, darüber aufgeblähte Wangen und die Augen sehr schräg, mit buschigen Brauen, die fingerlang zu den Seiten abstanden. Der Blick dieser Augen schien sie zu durchdringen. Auch die spitzen, abgeknickten Ohren waren ihr zugewandt.
Stumm betrachtete sie der Fremde. Einen Moment lang fühlte Kau Elyama sich ihm hilflos ausgeliefert in ihrer Verletzlichkeit, dann trafen sich ihre Blicke als gäbe es keine unruhige, von Schlieren durchsetzte Flüssigkeit. Elyama spürte, wie die Ruhe in ihr wuchs. Zugleich empfand sie große Vertrautheit.
Sie kannte diesen Mann. Nicht sein Äußeres, das sie nie zuvor gesehen hatte, vielmehr reichte ihr Erkennen tiefer – es war der Mann aus ihren Träumen.
»Kau Elyama«, sagte er. »Ich bin Curcaryen Varantir.«
Sie starrte ihn an und zugleich war ihr, als würde ein Schleier beiseite gezogen, der bislang ihre Erinnerungen blockiert hatte.
»Diesmal habe ich dich zu spät gefunden«, sagte Curcaryen. »Ich könnte mich dafür selbst in den Rücken beißen.«
Sie schwieg, kämpfte gegen die erneut aufbrechenden Schmerzen und die Flut der Erinnerung gleichermaßen an. Kau Elyama – der Name erschien ihr mit einem Mal unbedeutend, einer von Dutzenden, die sie in früheren Leben getragen hatte. Mühsam bewegte sie die Lippen und murmelte sehnsüchtig ihren richtigen Namen: »Le Anyante.«
Curcaryen tauchte erst die Schulterarme bis zu den Ellbogen ins Becken und gleich darauf die Hüftarme. Kau Elyama, aber weit eher schon Le Anyante, spürte seinen Willen, sie zu berühren.
Diese beruhigende Vertrautheit zwischen ihnen war nicht immer so gewesen.
Die Erinnerung riss sie mit sich ...
Eine Ewigkeit lag es zurück, mehr als eineinhalb Millionen Jahre, seit die Fundament-Stabilisatorin Le Anyante zur Aufpasserin des Potenzial-Architekten Curcaryen Varantir geworden war. Sie hatten sich nicht ausstehen können; er ein stinkender, arroganter, aber auch genialer Kerl und sie um nichts in der Welt gewillt, seine Annäherungsversuche zu dulden. Während eines Zeitbrunnenexperiments waren sie beide ums Leben gekommen. Ein schwarzes, kreisrundes Loch in das Nichts ... es war explodiert, hatte Curcaryen und sie in Gedankenschnelle getötet, aber vielleicht auch ihrem Geist die Unsterblichkeit verliehen.
Wie Schuppen fiel es Le Anyante von den Augen. Der Dimensionstunnel hatte ebenfalls diese scheinbar undurchdringliche, lichtlose Schwärze gezeigt. Im Nachhinein erhielt ihre Furcht einen Sinn.
Unwillig wischte Le alle diese Gedanken beiseite. »Es ist schön, dich zu sehen«, brachte sie mühsam hervor. »Ich kann dich nur nicht ... umarmen.«
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