Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
Epilog
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2183
Mit den Augen der Cishaba
Im Zentrum der Galaxis – eine mörderische Macht entwickelt sich
von Ernst Vlcek
An drei ganz unterschiedlichen Stellen sind zur aktuellen Handlungszeit – man schreibt den Mai 1312 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – Menschen von der Erde in kosmische Geschehen verwickelt, die ursächlich mit dem Thema Thoregon zusammenhängen. So operiert beispielsweise das Hantelraumschiff SOL mit seiner Besatzung unter dem Kommando des Arkoniden Atlan im so genannten Ersten Thoregon, einer Art Miniatur-Universum.
Kampfraumschiffe der Terraner, Arkoniden und Posbis haben zur selben Zeit in der Galaxis Tradom einen Brückenkopf errichtet, fast vierhundert Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Die Überwindung dieser unglaublichen Entfernung war nur möglich, weil die Verbündeten es schafften, das Sternenfenster in ihre Hand zu bekommen. Dieses Medium erlaubt die Reise über ungeheure Strecken in Nullzeit, und es wurde ursprünglich errichtet, weil das Reich Tradom die Milchstraße erobern wollte.
Und während in der Galaxis Tradom die Kämpfe gegen die unbekannten Herrscher der Inquisition der Vernunft weitergehen, entwickelt sich in der heimatlichen Milchstraße ein ganz neues Problem. Roi Danton, der Sohn von Perry Rhodan, lernt dieses Problem direkt kennen – er sieht es MIT DEN AUGEN DER CISHABA ...
Roi Danton – Der Aktivatorträger fliegt aufgrund eines seltsamen Hinweises ins Dromp-System.
Sinjune Toria – Die Agentin des Terranischen Liga-Dienstes wird Zeuge schrecklicher Geschehnisse.
Dalia Argula – Die ferronische Cheffunkerin wird Opfer des Doppelsicht-Phänomens.
Yashino Hishmatuun – Der Cishaba gehört zu den Priestern der Vollendung.
Algakira Tufune – Der Oberste Vollstrecker zelebriert die Totenmessen der Cishaba.
4. Mai 1312 NGZ
Melancholisch betrachtete Yashino Hishmatuun die Anzeigen des holografischen Fernflugschreibers.
Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie jene Sterneninsel erreichten, die zur Vernichtung ausgeschrieben war. Der Priester der Vollstreckung wandte sich von den Anzeigen ab und blickte die neben ihm stehenden Cishaba an.
»Bald schon werden wir ein Licht entzünden, Gashato«, sagte er verklärt, »und damit viele andere Lichter zum Erlöschen bringen.«
»Tod dem Leben«, sagte Gashato Tugomorte und fügte feierlich hinzu: »Alles, was ist, muss enden!«
Yashino Hishmatuun bestätigte das mit einer Geste und machte sich auf den Weg zum Modell der Vollstreckung. Er hatte eine spezielle Einladung erhalten. Diese Ehre wurde einem Cishaba nicht alle Tage zuteil, und es erfüllte ihn mit großem Stolz.
In diesem Modell konnte er das KRO'GOM'ATHO als Gesamtheit und im Detail sehen. Und er durfte das Innerste dieses mystischen Wunderwerks schauen: das Kro Gom. Dabei handelte es sich um eine gigantische Kugel aus einem unbegreiflichen Stoff, die in eine weitaus größere Hohlkugel eingebettet war. Der Anblick des Kro Gom machte ihn ob seiner Gewaltigkeit schwindelig.
Und obwohl er nur mit einem holografischen Abbild konfrontiert wurde, vermeinte er, seine besondere Aura zu verspüren, von seiner unvergleichlichen Ausstrahlung durchdrungen zu werden. Yashino Hishmatuun wurde davon förmlich berauscht, während er durch das Holo dieses Tempels der Vernichtung schritt, dieser Kathedrale der Austilgung. Das Kernstück des KRO'GOM'ATHO.
Was für eine unbändige, elementare Kraft davon ausging!
Dabei ruhte das Kro Gom noch. Obwohl es desaktiviert war, gab es in ihm verschiedene Abläufe, die nie zum Stillstand kamen. Als lebte es, als sei es ein schlafender Riese, der sich zu einer Kugel zusammengerollt hatte. Das Kro Gom war jederzeit einsatzbereit. Es fehlte nicht viel, es zu erwecken und aktiv werden zu lassen. Nur wenige Handgriffe und ein paar Befehle, die für Yashino Hishmatuun geradezu Beschwörungsformeln waren, dazu ein spezieller Impuls – und schon würde der Galaxienzünder sein Vernichtungsprogramm ablaufen lassen. Unaufhaltsam ...
Aber zuerst mussten sie das Ziel erreichen. Und selbst dann konnte vom Obersten Vollstrecker nicht willkürlich entschieden werden. Denn bevor das Vernichtungszeremoniell beginnen durfte, musste erst das Dekret der Vollstreckung eintreffen. Ohne diesen entscheidenden Impuls durfte niemand den Vollzug vornehmen.
Und dann hatte das letzte Wort immer noch Zattokura.
Yashino Hishmatuun schauderte wohlig, als er an diesen Namen dachte ... Er assoziierte damit Tod und Finsternis und das endgültige Ende von allem. Und wenn das Kro Gom das Herz des KRO'GOM'ATHO war, war Zattokura seine Seele.
Der Priester der Vollstreckung war guter Dinge.
Man hatte die Cishaba nicht hierher geschickt, um die Wunder einer Galaxis zu schauen. Sie waren hierher unterwegs, um sie auszulöschen. Früher oder später würde der Oberste Vollstrecker den entscheidenden Befehl erhalten.
Der Priester schreckte aus seinen Gedanken hoch.
Er hatte einen Impuls erhalten, der das gesamte KRO'GOM'ATHO durchdrang. Doch das war ein ganz anderer. Er zeigte den Cishaba an, dass sie die Zielgalaxis erreicht hatten.
Sie brauchten nur noch die erforderliche Position zu beziehen und abzuwarten.
Es ging bereits hoch her, als Sinjune Toria auf der Orbitalstation Koredein Palace eintraf. Das Fest hatte längst begonnen, und »June«, wie Freunde sie nannten, kannte viele Personen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Es fanden sich aber auch Personen unter den prominenten Gästen, die sogar aus anderen Sonnensystemen angereist waren. Ein buntes Völkergemisch drängte sich im großen Festsaal, in den angrenzenden Räumen und den Korridoren. Die meisten Anwesenden waren allerdings Humanoide verschiedenster Ausprägungen, zu denen sich nur wenige Wesen gesellt hatten, die nicht von Lemurern abstammten.
Der Lordkanzler von Dromp V hatte zu seinem 70. Geburtstag nach Koredein Palace eingeladen – und fast alle waren gekommen. Die bronzefarbene Scheibe mit einem Durchmesser von 700 Metern und einer Dicke von 100 Metern galt zu Recht als faszinierender Ort für allerlei Festlichkeiten.
Als einer der mächtigsten Männer seiner Welt war Bohumil Bourgo Zanon zur Hedden geradezu verpflichtet, einen solchen Ort zu wählen. Er war die rechte Hand von Präsident Coltamon Aguinento, der seinerseits ein strenges, geradezu diktatorisches Regime über Dromp V führte.
Auf Dromp V hatte eine präsidiale Diktatur geradezu Tradition. Immerhin hatte der Planet einst zur Zentralgalaktischen Union gehört, zu jener Zeit, als dieses Sternenreich den Höhepunkt seiner Existenz erreicht hatte. Damals gehörten zur ZGU, die von Abtrünnigen des Solaren Imperiums gegründet worden war, fast 600 Welten, über die 21 so genannte Kalfaktoren diktatorisch herrschten. Präsident Coltamon Aguinento behauptete von sich, von einem dieser terrastämmigen Kalfaktoren in direkter Linie abzustammen. Darauf begründete sich sein Regime.
June fand diese alten Geschichten eher albern; sie wusste, dass nichts von den Behauptungen des Diktators stimmte. Aber für sie zählten andere Dinge. Sie war der Einladung schließlich nicht gefolgt, um dem mächtigen Lordkanzler zu imponieren.
Sie war in dem Bewusstsein gekommen, dass er ein Auge auf sie hatte, und sie gedachte, diesen Vorteil für sich auszunützen. Ihr war ausschließlich an Kontakten zu einflussreichen Leuten gelegen, um über diese an Informationen heranzukommen.
June hatte absichtlich mit ihrem Auftauchen gewartet, bis der offizielle Teil vorbei war. Sie mochte es nicht, zu sehr ins Rampenlicht gerückt zu werden. Sie hielt sich lieber im Hintergrund, um die Vorgänge ringsum zu beobachten und Erkundigungen einzuziehen. Dabei kam sie trotzdem mit den richtigen und wichtigen Leuten ins Gespräch, zu einer Zeit aber, wenn sie selbst es wünschte.
Der Gastgeber entdeckte sie dennoch rasch. Strahlend eilte er auf sie zu.
»June, meine Schönheit, du Stern dieses Festes!«, rief er und lachte über sein feistes, jovial wirkendes Gesicht. Kurz versuchte er sogar, sie an sich zu drücken, aber sie hielt ihn höflich, aber bestimmt auf Distanz. Bohumil betrachtete June mit bewundernden Blicken. »Du siehst heute wieder zum Anbeißen aus!«
Der stark übergewichtige Mann war rund 1,80 Meter groß und wirkte gemütlich. Dieser Eindruck täuschte: Tatsächlich war er eiskalt und ging geradezu über Leichen. June wusste, dass es sich bei dem schwarzen Haar, das ihm wallend auf die Schultern fiel, um ein Implantat handelte; ohne dieses wäre er völlig kahl gewesen. Dazu passend trug der Lordkanzler eine schwarze, locker am Leib anliegende Lederkombination und kniehohe Stiefel. Von der linken Schulter spannte sich schräg über die Brust zur Taille eine grünrot gestreifte Schärpe. Die rechte Brustseite war mit zwei Dutzend Orden geschmückt, von denen jeder für ein vollstrecktes Todesurteil stehen könnte.
»Und du wirst mit diesem Outfit deinem Ruf als Henker von Dromp V gerecht, Bourgo«, spöttelte sie.
»Das bin ich mir nun einmal schuldig!«, rief er lachend. »Aber du weißt, dass ich sehr galant sein kann.«
»Du kannst vor Charme förmlich sprühen«, log sie.
Diese Aussage brachte ihn erneut zum Lachen. Der Lordkanzler nahm sie am Arm, lotste sie durch das Gedränge und stellte sie allen möglichen Leuten vor.
Zwischendurch raunte er ihr zu: »Ich habe im Hoteltrakt ein Zimmer für dich reserviert. Und du hast jederzeit Zugang zu meiner Suite.«
Das könnte dir so passen, dachte June. Sie sagte aber nichts, sondern lächelte lieber nach allen Seiten.
Die meisten Menschen, die Zanon zur Hedden ihr vorstellte, waren für June unbedeutend, und sie vergaß sie sofort wieder. Aber es waren einige darunter, die ihr Interesse erweckten.
Wie etwa der arkonidische Adelige Avendo nert Ginstan, der einem völlig unbekannten Geschlecht angehörte und mit guten Kontakten zu höchsten militärischen Kreisen des Kristallimperiums prahlte.
Interessant war auch Luego Perestan, ein terranischer Geschäftsmann mittleren Alters, der andeutete, dass er mit Positroniken auf dem Schwarzmarkt gute Geschäfte machte. Des Weiteren blieb June der Blue Yülcic Yüle im Gedächtnis, weil er sein Geld mit Hypnose und »gesteuertem Persönlichkeitstausch« verdiente – was bedeutete, dass er etwa Junes Geist in Bourgos Körper und umgekehrt hätte versetzen können. Da er im Showgeschäft tätig war, blieb June skeptisch, obwohl sie die Probe aufs Exempel auch nicht machen wollte. Der Epsaler Hanoo Kouren, den sie auch »Pirat« nannten, war amüsant, weil er pointiert Geschichten erzählen konnte.
»Was hältst du von den Ara-Zwillingen?«, fragte Bourgo sie, während sie auf zwei Aras zusteuerten, die etwas abseits standen und keinen glücklichen Eindruck machten.
»Sind sie das?«, fragte sie. Bourgo drückte bestätigend ihren Arm. »Ich habe schon viel über sie gehört – wie jeder auf Dromp V. Aber ich habe sie noch auf keiner Veranstaltung zu sehen bekommen. Sie sind wohl sehr öffentlichkeitsscheu?«
»Ich habe sie aus ihrem Schneckenhaus geholt«, sagte Bourgo, als sie die beiden Aras erreichten. Er deutete auf den links stehenden und dann auf den anderen. »Ojan und Afshin, Mikrobiologe und Nanochirurg, die Retter von Dromp V.«
»Entschuldigung«, sagte der rechte. »Aber ich bin Ojan. Und das ist mein Bruder Afshin.«
»Wenn schon«, sagte Bourgo mit einer wegwerfenden Geste. »Ich kann sowieso keinen Ara vom anderen unterscheiden. Und Ara-Zwillinge schon gar nicht.«
Der Lordkanzler führte June weiter. Sie folgte ihm nur widerstrebend. Denn sie hätte sich gerne mit den beiden Galaktischen Medizinern unterhalten. Doch Bourgo steuerte bereits auf den nächsten Gast zu.
»Die beiden sind mir immer noch suspekt«, raunte er ihr im Gehen zu. »Auch wenn der Präsident Gnade vor Recht ergehen ließ.«
»Es ist doch erwiesen, dass sie zu keiner Terrororganisation gehören.«
»Trotzdem ...«
Es war zwei Jahre her, dass Dromp V von einer unheimlichen Seuche heimgesucht worden war, gegen die es keine Mittel gab. Präsident Coltamon Aguinento beschuldigte die Untergrundorganisation »Rote Kalfaktoren« der Urheberschaft für diese Seuche. Der Ara Afshin wurde im Zuge einer Säuberungsaktion festgenommen und als Mitglied dieser Organisation der Mittäterschaft beschuldigt. Er beteuerte stets seine Unschuld, egal welchen Foltern man ihn ausgesetzt haben mochte.
Seinem Zwillingsbruder Ojan gelang die Flucht in den Untergrund, wo er den Seuchenerreger lokalisieren konnte. Zwei Monate später lieferte Ojan dem Diktator ein Serum zur wirksamen Bekämpfung der Seuche, die damit tatsächlich bezwungen werden konnte. Gleichzeitig erbrachte Ojan den Beweis, dass die Seuche durch verbotene Importe von einer Quarantänewelt eingeschleppt worden war. Und dass Ojan und Afshin nichts mit den »Roten Kalfaktoren« zu tun hatten.
Die Hintergründe drangen an die Öffentlichkeit, noch ehe der Geheimdienst des Präsidenten die Wahrheit vertuschen konnte. Ojan und Afshin wurden als Märtyrer und Lebensretter gefeiert und als die »Ara-Zwillinge« zu Volkshelden. Aber sie spielten sich nie als solche auf und blieben zurückgezogen.
June bedauerte es, sich nicht mit ihnen unterhalten zu können, weil Bourgo darauf bestand, sich mit ihrer Schönheit zu zieren. Aber vielleicht ergab sich noch Gelegenheit für ein Gespräch; die Feierlichkeiten waren für mehrere Tage angesetzt.
Es hätte June interessiert, ob die Ara-Zwillinge tatsächlich den »Roten Kalfaktoren« angehörten. Ihr Interesse entsprang nicht bloß persönlicher Neugierde, sondern gewissermaßen beruflichem Interesse.
»Ich sehe, ich langweile dich«, sagte Bourgo plötzlich und betrachtete sie prüfend. »Darum werde ich dir jetzt deine Unterkunft zeigen.«
June ging innerlich sofort in Abwehrstellung. Aber sie ließ sich zu dem ihr zugedachten Zimmer im Hoteltrakt führen.
Als ihr Bourgo das auf antik getrimmte Himmelbett zeigte, sagte er launig: »Es ist groß genug, uns beide darauf Walzer tanzen zu lassen.«
»Es gehört allerhand dazu, mich in Walzerstimmung zu bringen«, sagte sie abweisend und beeilte sich, zur Gesellschaft zurückzukommen.
Eines stand von diesem Augenblick für sie fest: Sie würde nicht auf Koredein übernachten. Sie wollte keineswegs unter politischen Druck geraten, nur weil sie einen aufdringlichen Lordkanzler Zanon zur Hedden abweisen musste.
Sie war darum auch erleichtert, als er bei ihrer Rückkehr in den Festsaal von einer fünfköpfigen Gruppe von Springern mit Beschlag belegt wurde.
»Entschuldige, aber dringende Geschäfte ...«, sagte der Lordkanzler bedauernd.
»Schon in Ordnung.«
June machte sich auf die Suche nach den Ara-Zwillingen, konnte die beiden aber nirgendwo finden. Vermutlich hatten sie sich auf ihre Zimmer zurückgezogen.
Es war schon zu vorgerückter Stunde, als June aus ihrer Wohnung auf dem Planeten ein ultrakurzes Warnsignal empfing. Das konnte alles Mögliche bedeuten. Aber da sie sich ohnehin entschlossen hatte, das Fest vorzeitig zu verlassen und erst nach einer Ruhepause wiederzukommen, machte ihr das empfangene Signal die Entscheidung leicht.
Sie achtete darauf, unbeobachtet zu sein. Dann suchte sie den nächsten Transmitter auf und ließ sich zu ihrer Wohnstätte in Houskana, der Hauptstadt von Dromp, abstrahlen.
Dort angekommen, überprüfte sie zuerst ihre Wohnung. Alles war in Ordnung, wie die routinierte Überprüfung ergab. Niemand hatte sich an ihren Räumlichkeiten vergriffen, es gab keinerlei Abhöreinrichtungen oder Ähnliches.
Erst nach dieser Prüfung ließ sie den großen Wandschrank zur Seite gleiten, hinter dem eine kleine, aber modern ausgestattete Orteranlage des Terranischen Liga-Dienstes installiert war, teilweise über verborgene Kanäle verbunden mit den offiziellen Ortungseinrichtungen der planetaren Sicherheitsbehörde. Es war Junes bestgehütetes Geheimnis, dass sie TLD-Agentin war.
*
Es war kurz nach Mitternacht Standardzeit. Der 5. Mai 1312 Neuer Galaktischer Zeitrechnung war erst 20 Minuten alt.
June aktivierte das Orterdisplay. Es kamen im Moment keine ungewöhnlichen Daten herein. Alle aus dem gesamten Dromp-System angezeigten Werte lagen innerhalb der Normen. Laut Informationen des Displays hatte es jedoch vor elf Minuten und 27 Sekunden einen ungewöhnlich starken Ausschlag gegeben.
»Genau zu dem Zeitpunkt, als ich auf Koredein das Warnsignal empfangen habe«, murmelte June, aktivierte die entsprechende Zeit und startete das Replay.
Es dauerte nicht lange, bis sich ein Ortungsreflex zeigte. Er war sehr schwach und diffus, verschwommen und durchscheinend – und scheinbar immateriell. Weder die Energie- noch die Massetaster schlugen aus. Die Reflexion wirkte eher wie der Schatten, wie der Abdruck eines Objekts. Das Ding bewegte sich mit relativ hoher Geschwindigkeit, mit ungefähr einem Drittel Licht, quer durch das System in Richtung Sonne Dromp. June versuchte, die Größe dieses Abdruckes zu ermitteln – und wurde blass.
»Was ist denn das?«, flüsterte sie entsetzt.
Im selben Moment – als es die Bahn des dritten Planeten gekreuzt hatte – war die Reflexion auf einmal verschwunden, als sei sie in eine andere Dimension abgedriftet. Insgesamt hatte der Spuk nur wenige Minuten gedauert.
June atmete kräftig durch und ließ das Messergebnis wiederholen. Sie erhielt immer wieder dasselbe Resultat wie beim ersten Mal.
1000 Kilometer! Dieses Ding, von dem sie ein Ortungsecho erhalten hatte, besaß einen Durchmesser von rund tausend Kilometern.
Nachdem die erste Aufregung über diese sensationelle Entdeckung in ihr abgeklungen war, ordnete June ihre Gedanken zu kritischen Überlegungen.
Was war das für ein Objekt, das einen Abdruck von solcher Größe hinterließ? »Ein Raumschiff dieser Größe gibt es in der Galaxis nicht«, sagte sie halblaut.
Handelte es sich vielleicht um einen technischen Fehler? Oder hatte ein unbekanntes Ereignis dieses Phänomen ausgelöst? Ein Hyperbeben vielleicht?
»Durchaus möglich.« June spürte, wie es ihr kalt den Rücken hinunterlief. Immerhin war das gigantische Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße, das Dengejaa Uveso, nur rund 1900 Lichtjahre entfernt. Von diesem Gravitationszentrum der Milchstraße gingen immer wieder Störungen aus. Aus diesem Grund galt die Zone, in der Dromp lag, als ein für die Raumfahrt gefährliches Gebiet.
Während June die aufgezeichneten Orterdaten nach möglichen Fehlern untersuchte, schaltete sie sich in die Regierungsfrequenzen von Dromp V ein. Aber auf keiner von ihnen wurde auf dieses Phänomen eingegangen. Kein Sterbenswort darüber.
»Entweder halten die alle dicht«, murmelte sie vor sich hin. »Oder es hat niemand außer mir die Erscheinung registriert.« Sie lächelte kurz. Möglich war das. Während der Festlichkeiten sahen es die Wachleute in den Ortungsstationen wohl nicht ein, ihren Dienst nach Vorschrift zu erfüllen, und feierten in kleinem Kreis ebenfalls.
Es war deshalb ganz gut möglich, dass sie etwas Ungeheuerliches entdeckt hatte, von dem niemand sonst etwas ahnte. Was mochte so heimlich, still und leise in das System eingeflogen und vermutlich in den Ortungsschutz der Sonne gegangen sein?