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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Abgesang (I)

1.

2.

Abgesang (II)

3.

4.

5.

Abgesang (III)

6.

7.

8.

Abgesang (IV)

9.

10.

11.

12.

Epilog

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2188

Gekapert

 

Entsetzen über Tulacame 2 – die SOL in fremder Hand

 

von Leo Lukas

 

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Während sich in den Weiten der Galaxis Tradom die Entscheidung zwischen den Terranern und ihren Verbündeten auf der einen Seite sowie der Inquisition der Vernunft auf der anderen Seite anbahnt, ist das Raumschiff SOL in einer anderen kosmischen Region unterwegs: Das Hantelschiff operiert unter dem Kommando des Arkoniden Atlan im Ersten Thoregon, einer Art Miniatur-Universum.

Im Frühjahr 1312 Neuer Galaktischer Zeitrechnung entdecken die Menschen an Bord der SOL, dass sich im Ersten Thoregon seit Jahrmillionen einige Entwicklungen anbahnen, die von großer Bedeutung für die bewohnten Planeten der heimatlichen Milchstraße sind. Wenn die Mächte in diesem Kosmos – die Superintelligenz THOREGON und die ihr zuarbeitenden Völker – ihre Ziele verwirklichen, droht den Bewohnern der Menschheitsgalaxis sogar die Vernichtung.

Doch vor der Gefahrenabwehr steht für die SOL-Besatzung erst einmal die Erkundung. In der Sperrzone des Ersten Thoregons müssen Atlan und seine Begleiter allerdings etwas Unangenehmes feststellen: Die SOL ist tatsächlich GEKAPERT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Ronald Tekener – Der Smiler spielt mit gefährlich hohem Einsatz.

Dao-Lin-H'ay – Der Kartanin wird zeitweise übel mitgespielt.

Le Anyante – Die uralte Algorrian spielt sich geradezu unerträglich auf.

Curcaryen Varantir – Der Potenzial-Architekt wagt ein spezielles Computerspiel.

Alaska Saedelaere – Sein Cappinfragment spielt verrückt.

Abgesang (I)

 

Das ist furchtbar.

Ich will das nicht sehen. Der Anblick zerreißt mir das Herz. Dennoch vermag ich die Augen nicht abzuwenden.

Ich bin keineswegs der Einzige, der mit den Tränen kämpft. Weit über hunderttausend Personen starren wie ich auf die Holoprojektionen.

An deren unterem Rand wechseln die Ziffern des Chronometers; unerbittlich und viel zu schnell.

Ach, wenn jemand die Zeit anhalten könnte! Aber das kann niemand; jedenfalls niemand von uns.

Ich will schreien, doch kein Ton kommt über meine Lippen. Den anderen scheint es ähnlich zu ergehen.

Es ist still. Totenstill.

Wir schweigen. Was gäbe es noch groß zu sagen?

Wir wohnen den letzten Sekunden eines Raumschiffs bei, das weit mehr war als bloß ein gewaltiges, intergalaktisches Beförderungsmittel, weit mehr als ein provisorisches, fliegendes Zuhause: unser aller Heimat.

Stumm stehen wir, die Hände geballt. Längst ist es zu spät, ist die Entscheidung gefallen. Wir können nichts mehr tun, nur beobachten, während die viel zu kurze Frist verstreicht.

Alles in mir sträubt sich, als wahr zu akzeptieren, was ich sehe. Doch leider, dies ist kein Traum, auch keine Vorspiegelung irgendeiner Pararealität.

Dies ist wirklich der 6. Mai 1312 NGZ, 14.59 Uhr und 23 Sekunden.

Wir verfolgen, starr vor Schreck, den traurigen Abgesang eines Mythos, den Tod einer Legende. Das Ende der SOL.

1.

Zwei Tage vorher

 

»Na, da haben wir uns ja zwei schöne Schneewittchen eingehandelt«, raunte Tekener so leise, dass es nur Dao-Lin-H'ay hören konnte.

Die Kartanin verzog den lippenlosen Mund. »Bitte?«

»Ein altes terranisches Märchen. Ich hab's dir schon ein paar Mal zu erzählen versucht, aber offenbar bist du immer gleich eingeschlafen.«

Dao runzelte die von einem unvergleichlich zarten, hellen Flaum bedeckte Stirn. Ihr rechtes Ohr flatterte irritiert. Ganz entzückend sah das aus ...

Als sie Teks amüsiertes Blinzeln bemerkte, verkleinerten sich ruckartig ihre dunklen, senkrecht geschlitzten Pupillen. Mit einer energischen Kinnbewegung bedeutete sie ihrem Lebensgefährten, er solle sich gefälligst wieder auf die Geschehnisse in der Zentrale konzentrieren.

Ronald Tekener seufzte. Sehr erbaulich war nicht, was vor seinen Augen geschah.

Er hatte in seinem langen Leben eine Vielzahl fremdartiger Lebensformen kennen gelernt. Sicher, nur wenige davon waren den Terranern so treue Freunde geworden wie Icho Tolot, der Haluter, der alle anderen Anwesenden überragte.

Doch hatte sich mit den meisten Intelligenzwesen, sofern sie grundsätzlich friedlich gesinnt waren, recht rasch eine von gegenseitiger Achtung und Rücksichtnahme geprägte Zusammenarbeit etablieren lassen.

Das jüngste Beispiel dafür stellten die Mochichi dar.

Na gut, Zit Akreol hat wohl mit Monkey gewisse Schwierigkeiten gehabt, erinnerte sich Tekener, aber mal ehrlich – wer hat das nicht?

Zwischen dem Oxtorner und Tolot wirkten Elle Ghill, die Zirkulare Direktorin, und ihr nicht einmal 1,40 Meter großer Artgenosse noch fragiler als sonst. Auch Tonko Kerzner, der Ertruser mit dem mächtigen Schnauzbart, überragte die Mochichi um gut einen Meter.

Tekener ließ den Blick weiter über die Runde schweifen. In stillem Einverständnis hatten die Mitglieder der SOL-Führung, Kommandantin Fee Kellind eingeschlossen, einen losen Halbkreis gebildet.

In dessen Mittelpunkt stand Atlan.

Und ihm gegenüber ... die beiden Algorrian.

 

*

 

Antipathie war ein Hilfsausdruck für das, was zwischen ihnen und dem Arkoniden spürbar war.

Wenn Blicke töten könnten, dachte Tek, wären alle drei nicht mehr am Leben.

Dao, neben ihm, nickte kaum merklich. Als Empathin und schwache Telepathin musste sie die mühsam unterdrückten Aggressionen noch viel deutlicher wahrnehmen.

Die Algorrian waren von Monkey in einer uralten Ruinenstadt auf dem Planeten Arth Chichath entdeckt und mitgenommen worden. Sie hatten sich im Tiefschlaf befunden. In gläsernen Särgen ...

Doch es hat nicht des Kusses eines Prinzen bedurft, um sie aufzuwecken, spielte Tek in Gedanken die Analogie weiter. Er schmunzelte. Monkey wäre dafür wohl auch nicht unbedingt die Idealbesetzung gewesen. Nein, die Särge lösten sich nach einigen Tagen ganz von selbst auf.

Und was herausgekommen ist, entspricht wohl eher der bösen Königin und ihrem noch viel ekelhafteren Gemahl ...

Äußerlich ähnelten die Algorrian im weitesten Sinn den Zentauren der terranischen Mythologie. Allerdings besaß der Unterkörper keinen Schweif, und die vier stämmigen Beine endeten nicht in Hufen, sondern in vierzehigen Füßen.

Beide Algorrian trugen identische, fast primitiv erscheinende Monturen, die sowohl die Beine als auch die vier knochigen Arme frei ließen.

Und sie stanken erbärmlich; besonders der Größere.

Vom lang gezogenen Schädel bis zum Hinterteil maßen die Zentauroiden deutlich mehr als zwei Meter. Ihre Gesichter, die sich auf gleicher Höhe mit dem Tekeners befanden, hatten etwas entfernt Tigerhaftes.

Zugleich strahlten sie messerscharfe Intelligenz aus, immense Erfahrung – und ungeheure, mit Arroganz gepaarte Autorität.

Sie nannten sich Le Anyante und Curcaryen Varantir.

Und sie beanspruchten die SOL für sich.

 

*

 

»Nochmals: Es kommt auf gar keinen Fall in Frage«, sagte Atlan leise und langsam, doch mit eisigem Unterton, »dass ihr das Kommando über dieses Schiff übernehmt.«

»Ach nein? Zu deiner Information, Kosmokratenknecht«, stieß Varantir, der Größere der beiden, hervor: »Wir haben es bereits übernommen.«

»Ach ja? Davon merke ich aber nichts.« Atlan, dessen Augen tränten wie selten, vollführte eine heftige Handbewegung, die alle in der Zentrale Versammelten umschloss. »Gib doch einen Befehl, dann werden wir schon sehen, ob ihn jemand befolgt!«

Derartig wütend hatte Tek seinen Gefährten lange nicht mehr gesehen. Etwas mussten die Algorrian an sich haben, was den ehemaligen Ritter der Tiefe auf die Palme brachte.

Tek wunderte sich insgeheim darüber. Auch ihm waren die beiden Mutanten, die sich selbst als »Liebende der Zeit« bezeichnet hatten, alles andere denn sympathisch. Aber Atlan stand sichtlich kurz davor, die Beherrschung zu verlieren.

Und das war für den Arkoniden doch eher untypisch.

Curcaryen Varantir gab einen bellenden Laut von sich. »Du glaubst wohl nicht im Ernst, dass ich mich auf die Ebene solcher Spielchen herablasse, Blasshaar? Über kurz oder lang wird die Mehrheit deiner Untergebenen kapieren, dass diese Expedition lediglich dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn ich sie leite. Was du daherfaselst, ist längst irrelevant.«

Atlan öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Er presste die Lippen zusammen, horchte in sich hinein, kommunizierte wohl mit seinem Extrasinn.

Le Anyante, die auf Tek einen etwas umgänglicheren Eindruck als ihr Partner machte, sagte währenddessen: »Lass dich nicht davon täuschen, Atlan, dass wir uns gegenüber deiner mehrtausendköpfigen Besatzung in der Minderheit befinden. Derzeit stimmt das noch. Aber auch jemand mit eurer beschränkten Auffassungsgabe wird einsehen, dass unser nächster Schritt nur darin bestehen kann, ins Sperrgebiet vorzudringen. Wir werden den Stasisprojektor über unserer Heimatwelt Tulacame 2 ausschalten und auf diese Weise das Volk der Algorrian aus seiner Zeitlosigkeit erwecken. Alles andere wäre unklug, unlogisch, unverantwortlich. Und dann verkehrt sich die Situation sofort ins Gegenteil.«

Da hat sie leider einen Punkt, musste Tekener bei sich zugeben. Diese Vorgehensweise verspricht am ehesten Erfolg. Wir würden uns ins eigene Fleisch schneiden, wenn wir ihnen aus purem Trotz den Flug nach Tulacame 2 verweigerten.

Atlan und sein Extrasinn waren zum gleichen Schluss gekommen.

»Wir bringen euch hin«, sagte er. »Als Passagiere.«

»Nenn es, wie du willst!«, fauchte Varantir höhnisch. »Ich jedenfalls gebe hiermit den Befehl, Kurs auf die Sonne Ansorja zu setzen. Man weise uns ein nahe gelegenes Quartier an! Wir sind umgehend zu verständigen, sobald wir das Sperrgebiet erreicht haben, verstanden? Ihr dürft nun an die Arbeit gehen.«

 

*

 

Nachdem die Algorrian abgerauscht waren und die SOL Fahrt aufgenommen hatte, wandte sich Atlan an die Führungsmannschaft.

»Ich ärgere mich über mich selbst«, sagte er entschuldigend, »weil ich so unprofessionell emotional reagiert habe. Aber diese zwei Stinkstiefel machen mich noch wahnsinnig.«

»Dabei sind sie mir anfangs zwar unheimlich, doch sonst ganz erträglich vorgekommen«, meinte Fee Kellind. »Aber da waren sie wohl noch benommen. Wie sie dann zu voller Form aufgelaufen sind ...«

»Ihr habt euch gegenseitig hochgeschaukelt«, sagte Dao-Lin-H'ay. »Das soll keine Kritik an deiner Verhandlungsführung sein, Atlan. Im Gegenteil: Wie du ihnen in wenigen Sätzen dein Verhältnis zu den Kosmokraten, die Mission der SOL und die Informationen, die wir von den Pangalaktischen Statistikern erhalten haben, zusammengefasst hast – das war große Klasse. Ihnen ist sehr schnell klar geworden, dass unsere Interessen nicht weit auseinander liegen und wir angesichts der prekären Situation kooperieren sollten. Wer allerdings dabei den Ton angibt ...«

»Genau das ist das Problem«, sagte Atlan. »Ich will und werde mich ihnen keinesfalls unterordnen. Ihre Mentalität behagt mir ganz und gar nicht. Findet ihr nicht auch, dass ihre Augen irgendwie ... tückisch funkeln? Ach, vergesst es gleich wieder«, fügte er hastig hinzu. »Keine Ahnung, was mit mir los ist. Ich erkenne mich momentan selbst nicht wieder. Sogar der Extrasinn lästert permanent gegen diese Typen.«

»Ich gebe zu bedenken, meine Kleinen«, grollte Icho Tolot verhalten, »dass es sich um niemand Geringeren handelt als um den Erbauer und die Gestalterin der Brücke in die Unendlichkeit.«

»Wenn denn ihre Geschichte stimmt«, warf Atlan skeptisch ein. »Ich habe mir nie ein Bild von den Schöpfern der Brücke gemacht, aber so habe ich sie mir jedenfalls nicht vorgestellt.«

»Ich sehe gleichwohl keinen Grund, am Wahrheitsgehalt ihrer Erzählung zu zweifeln. Mein Planhirn hat eine Wahrscheinlichkeit von praktisch hundert Prozent für die Aufrichtigkeit ihrer Aussagen errechnet. Aber vielleicht konnte ja SENECA Ungereimtheiten im präsentierten Datenmaterial entdecken, die mir entgangen sind.«

»Keineswegs«, meldete sich prompt die Stimme der Hyperinpotronik. »Auch ich stelle in den Berichten keine Widersprüche fest, habe aber nicht genügend Vergleichsmöglichkeiten. Man wird sich, fürchte ich, mit ihnen arrangieren müssen.«

Tekener räusperte sich. Der Smiler wartete, bis Atlan zu ihm hersah, dann sagte er: »Ich hätte einen Vorschlag. Sei mir nicht böse, mein Freund und Expeditionsleiter, aber uns allen hier ist, denke ich, klar geworden, dass die Chemie zwischen dir und den beiden Algorrian ganz besonders explosiv ist, aus welchem Grund auch immer. Richtig?«

»Richtig.« Atlan fuhr sich mit der Hand durch die weiße Mähne. »Ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst. Ich soll mich aus der Schusslinie begeben.«

»Sagen wir es so: Eine ständige Konfrontation wäre kontraproduktiv. Ich würde dir nahe legen, eine Art ...«, Tek konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, »... ›Psychoteam‹ damit zu beauftragen, den Kontakt zu den Algorrian zu wahren und zu vertiefen. Zwei Leute, die bei aller Unterschiedlichkeit auch etliche Dinge mit ihnen gemeinsam haben.«

»Kann es sein, dass du an ein ganz bestimmtes Pärchen denkst?« Jetzt grinste Tek übers ganze Gesicht. Dao schnurrte zustimmend.

»Die Idee klingt gut. Macht das«, sagte Atlan. »Aber seht euch vor. Und haltet mich bitte auf dem Laufenden.«

 

*

 

Am Rand der Gruppe hatte die ganze Zeit über eine hagere Gestalt gestanden, unbeweglich, ohne ein einziges Mal das Wort zu ergreifen.

Jetzt drehte sich der dunkelhaarige Mann um und ging grußlos davon.

Er hielt den Kopf gesenkt. Wenn ihm jemand entgegenkam, drehte er das Gesicht leicht zur Seite, als hätte er an der Wand etwas entdeckt.

Ihm war bewusst, dass diese Verhaltensweise unsinnig war. Die Maske saß so fest, dass er den Druck der Ränder auf seiner Gesichtshaut spürte.

Es war eine richtige Maske, angefertigt in den Werkstätten der SOL, nach uralten Plänen, die man von SENECA bekommen hatte. Nicht mehr das provisorische Ding, das Monkey gebaut hatte. Aber es war eine Maske, die das Fragment in seinem Gesicht verdeckte und die Besatzung der SOL schützte.

Aber vielleicht wollte er ja auch gar nicht die anderen schützen, sondern sich ...

Zum Glück begegnete er niemandem, den er kannte. Ihn kannten natürlich alle; jetzt, da er wieder die Maske trug, erst recht. Seine Geschichte hatte sich gewiss rasch auf der SOL herumgesprochen.

Fürchte die Hohen Mächte, wenn sie Geschenke machen ...

Er erreichte die Medostation, betrat eine Diagnosekammer und begann sich zu entkleiden.

»Ich möchte dich darauf hinweisen«, erklang die freundliche Stimme des Syntrons, »dass du, wenn du es wünschst, auch von einem menschlichen Arzt untersucht werden kannst. Derzeit steht die volle Kapazität der Medosektion zur Verfügung. Ich kann eine Liste der Dienst habenden Spezialisten für dich projizieren.«

»Das ist nicht nötig. Eine robotische Untersuchung genügt.«

»Ganz wie du willst. Bitte lege dich in die Scannermulde. Wie ist dein Name, und warum bist du hier?«

»Ich heiße Alaska Saedelaere«, sagte der Mann steif, während er die Maske ablegte, »und habe, seit ich an Bord der SOL bin, Probleme mit meinem Cappinfragment.«

2.

Inkompatibilitäten

 

Zu Dao-Lin-H'ays Erstaunen öffnete sich die Kabinentür schon nach dem ersten Summen. Sie traten ein.

Was für ein Saustall!, war das Erste, das ihr durch den Kopf ging.

Die Suite war mit Hilfe von Formenergie-Elementen den Bedürfnissen der Algorrian angepasst worden. Zum Teil wohl vom Servo; doch fielen Dao auf Anhieb einige Elemente auf, die weit über die Möglichkeiten der Standard-Einrichtungsprogramme hinausgingen. Beispielsweise die sehr stabil wirkenden, etwa eineinhalb Meter hohen Möbelstücke, die den Algorrian wohl zum entspannten Anlehnen dienten.

Dazu das eigentümliche Licht und der Geruch ...

Für sie entspricht das wahrscheinlich terranischem Nadelwaldduft, vermutete Dao. Ihr aber hob sich dabei fast der Magen.

Überall lagen kleinere Gegenstände verstreut, Bestandteile der ursprünglichen Einrichtung, die offenbar demoliert und dann einfach liegen gelassen worden waren. Auf manchen klebten Essensreste.

Wie ein Hotelzimmer, das von kartanischen Popstars verwüstet wurde ...

Nur eines der zentaurenhaften Wesen befand sich in diesem Raum. »Sieh an«, knurrte es an Stelle einer Begrüßung. Aufgrund der goldenen Schmuckreifen an den Handgelenken des oberen Armpaars identifizierte Dao es als Le Anyante. »Na bitte! Das ging ja flotter, als ich dachte.«

»Auch dir einen schönen guten Tag«, sagte Tek und verbeugte sich galant.

Dao war ziemlich sicher, dass seine Ironie nicht als solche verstanden wurde.

Sie beherrschten zwar inzwischen dank der Hypnoschulungen das Kaqagire, die Verkehrssprache des Ersten Thoregons. Theoretisch, zumindest; ob es allerdings in der Praxis für derartige Feinheiten ausreichte, stand in einer anderen Datei.

Moment mal ...

Erst jetzt realisierte Dao, was Anyante zuvor zum Ausdruck gebracht hatte.

»Soll das heißen, ihr habt uns bereits erwartet?«, fragte sie.

Beunruhigende Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Hatten die Algorrian womöglich einen Weg gefunden, ihre Besprechung mit Atlan abzuhören?

Oder hatten sie sich gar in der kurzen Zeit teilweise Kontrolle über SENECA verschaffen können?

Zuzutrauen war es ihnen. Sie hatten in ihren unzähligen Inkarnationen an einigen der bedeutendsten technischen Großtaten des bekannten Universums mitgewirkt, nicht selten in leitender Position.

Speziell Curcaryen Varantir war schlichtweg ein Genie, ein Potenzial-Architekt. In früheren Leben hatte er geradezu als »Zauberer« gegolten, der aus Energie alles erschaffen und formen konnte.

Dao fuhr ihre Krallen aus. Das macht es ja so schwierig, den Algorrian gegenüberzutreten!

Sie empfand einerseits tiefe Ehrfurcht vor den Leistungen und Fähigkeiten des Paars; andererseits verspürte sie auch eine mindestens ebenso starke Aversion.

Wenn sie sich wenigstens nicht so grässlich hochmütig benähmen! Allein, wie unverhohlen angewidert die Algorrian uns mustert, ohne in ihrer Fußpflege innezuhalten. Als betrachte sie ein armes, behindertes Kind: irgendwie lieb, kann ja nichts dafür ...

»Selbstverständlich haben wir euch erwartet, Zweibeinchen«, sagte Le Anyante. Dann rief sie in Richtung der Verbindungstür zum nächsten Raum: »Curcaryen! Kommst du bitte? Die Ersten sind schon da.«

Der Algorrian trabte herein. Er war nackt. Gab sich auch nicht die geringste Mühe, seine Blöße zu bedecken – ein weiteres Zeichen der Missachtung gegenüber dem Terraner und der Kartanin.

Wir sind praktisch Luft für ihn; und vor Luft braucht man keine Hemmungen zu haben ...

»Sehr brav«, grummelte er, während er seinen dampfenden Leib mit einem weichen Vlies abtrocknete. »Es spricht durchaus für euren Intellekt, dass ihr so rasch gekommen seid, um euch meinem Befehl zu unterstellen. Ich kann euch beruhigen: Ihr dürft eure Posten behalten. Wenigstens so lange, bis wir eure Befähigung evaluiert haben.«

Dao-Lin blieb die Luft weg. Varantir hielt sie für Überläufer!

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie sich Teks narbiges Gesicht sehr langsam zu einem dünnen Lächeln verzog.

 

*

 

Der Terraner ließ die Untersuchung reglos über sich ergehen.