Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
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Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2313
Das Goldene System
Ein Explorer im Zentrum der Charon-Wolke – Atlan auf der Suche nach Salkrit
Hubert Haensel
Im Jahr 1344 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – entspricht dem Jahr 4931 alter Zeit – bedroht die Terminale Kolonne TRAITOR die Menschheitsgalaxis. Dieser gigantische Heerwurm der Chaosmächte soll die Milchstraße in eine »Ressourcen-Galaxis« umwandeln. Diese Ressourcen sollen einer sogenannten Negasphäre zugute kommen, die in unmittelbarer galaktischer Nachbarschaft entsteht: in der Galaxis Hangay.
Im Schutz von Dunkelfeldern hat TRAITOR längst die Galaxis infiltriert. Nur durch einen glücklichen Zufall und aufgrund ihres Wagemuts konnten die Terraner den Chaos-Stützpunkt in der Nähe des Solsystems aufspüren und vernichten. Andere galaktische Völker konnten dies nicht bewerkstelligen. Die Bewohner der Milchstraße können sich praktisch nicht gegen TRAITOR zur Wehr setzen.
Angesichts der akuten Bedrohung werden alle Anstrengungen unternommen, diesen Nachteil zu verringern. Gerüchten zufolge gibt es ein Mittel dazu in der unzugänglichen Charon-Wolke: das Salkrit. Einer Expedition unter dem Arkoniden Atlan gelingt der Vorstoß ins Innere der Wolke.
Von ihren Bewohnern erhält er die Erlaubnis, weiter vorzudringen: Ziel ist nun DAS GOLDENE SYSTEM …
Atlan – Der Arkonide macht einen faszinierenden Fund.
Dr. Gregorian – Der Gelehrte beweist den praktischen Nutzen theoretischer Wissenschaft.
Mario Saats – Seit 13 Jahren ist für den Metagrav-Techniker sein erlernter praktischer Beruf eher ein theoretischer.
Gucky – Dem Ilt schmerzen irgendwann die Füße.
Kempo Doll’Arym – Der Charonii dringt ins Herz der Sternenwolke vor.
3. Juli 1344 NGZ
»Es ist nicht nötig, mich erneut in Tiefschlaf zu versetzen!«, sagte Marc London eindringlich. »Wenn ich mich intensiv konzentriere, schaffe ich es, den zerstörerischen Einfluss abzuwenden. Ich bin sogar überzeugt, dass ich die Strukturpiloten unterstützen kann. Und genau das brauchen wir doch, oder?«
Er hatte die Hände im Nacken verschränkt. Seit Minuten stand er regungslos nur einen Schritt hinter Atlans Platz und ließ das Panoramaholo nicht aus den Augen.
Der Mond Houtog war zur schmalen Sichel geworden, die langsam hinter dem graugrünen Rund von Ijordan verschwand. Auf der anderen Seite des Planeten stach die orangefarbene Sonne hervor und verwandelte das dünne Band der Atmosphäre scheinbar in ein Meer brodelnder Glut.
»Ich weiß in etwa, wie es sich anfühlt, durch das Strukturgestöber zu fliegen! Diesmal werde ich die Fähigkeiten der Charonii-Piloten nicht beeinträchtigen.«
Niemand antwortete dem jungen Terraner.
Marc London kniff die Augen zusammen und biss sich auf die Unterlippe. Ein Hauch von Unmut, ja geradezu von Trotz zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Nicht einmal Atlan wandte sich zu ihm um.
Sie ignorieren mich, weil sie meinen Fähigkeiten misstrauen!, erkannte der Psi-Korresponder. Wenn sie schweigen, müssen sie sich nicht mit dem Problem auseinander setzen. Für sie ist momentan noch so viel anderes wichtig.
Diese Gedanken ärgerten ihn zugleich. Weil Marc wusste, dass er sich nur etwas einredete. Dennoch kam er nicht dagegen an. Er wollte nicht untätig bleiben und glaubte vor allem, beweisen zu müssen, dass Atlan ihn zu Recht »angefordert« hatte. Ohne sein Zutun war er in diese neue Rolle hineingestolpert.
Die VERACRUZ beschleunigte mit Höchstwerten.
»Wir erreichen die Systemgrenze in knapp neunzig Minuten!«, meldete eine ruhige Stimme.
»Das erneute Andocken der Strukturdolbe DORYNA ist vorbereitet!«, bestätigte die Kommandantin. »Ich denke, Atlan, es gibt keine Besonderheiten?«
»Bislang nicht«, erwiderte der Arkonide. »Knapp neuneinhalb Lichtjahre Distanz bis zum Ziel. War das jemals etwas Besonderes?« Ein leises Lachen klang auf, halb amüsiert und halb bedrückt zugleich, verstummte aber sehr schnell wieder. Unter den Gegebenheiten der Charon-Wolke konnten schon wenige Lichtminuten zur tödlichen Bedrohung werden. Nach einem Moment der Unaufmerksamkeit würde das Strukturgestöber sogar ein Schiff wie die VERACRUZ zerfetzen.
Genau deshalb muss ich wach bleiben!, dachte Marc London bedrückt. Ich muss es schaffen, die Kräfte der Strukturpiloten zu übernehmen, ohne sie in ihrer Konzentration zu beeinträchtigen.
Erst nach einer Weile registrierte er, dass Atlan sich umgewandt hatte und ihn eindringlich musterte. Marc begegnete dem forschenden Blick der roten Augen und versuchte ihm standzuhalten, wich aber sehr schnell aus. Der Ausstrahlung und der Erfahrung des Unsterblichen hatte er herzlich wenig entgegenzusetzen.
Ihn fröstelte. Wann hätte er jemals geglaubt, Atlan eines Tages so nahe gegenüberzustehen? Oder Mausbiber Gucky? Die Ereignisse seit jener denkwürdigen Nacht in Terrania City, als der Duale Kapitän zu ihm gekommen war, hatten sich überschlagen.
Marc schwitzte. Seine Finger lösten sich voneinander, die Hände glitten langsam vom Nacken nach vorne.
Ich kapsle mich ab, konstatierte er verwirrt. Ich fühle mich unsicher …
Genau das schien Atlan ebenfalls festzustellen. Er schüttelte den Kopf. »Lass es gut sein, Marc«, sagte er leise. »Ich kann nachvollziehen, was in dir vorgeht – aber wir dürfen kein vermeidbares Risiko eingehen.«
Ich werde also weiterhin als Risiko eingestuft, registrierte der junge Psiont.
»Das stimmt so nicht«, fuhr Atlan fort, als könne er Gedanken lesen. »Du bist nur mit deinen Fähigkeiten für uns unersetzlich.«
Ich bin unersetzlich?, fragte sich Marc zum wiederholten Mal. Ich? Oder meinen alle nur meine Fähigkeiten?
Selbst nach viereinhalb Monaten erschien ihm vieles wie ein Traum. Wie sehr hatte er sich immer gewünscht, eines Tages die Großen der LFT wenigstens aus der Nähe sehen zu können und nicht nur als Hologramme in den Trivid-Nachrichten. Andererseits hätte er nie den Mut aufgebracht, selbst zur Erfüllung dieser Wünsche beizutragen. Obwohl es Begegnungsaktionen der Universität von Terrania gab, die Gesprächsrunden mit den Residenz-Ministern ermöglichten, allen voran mit Reginald Bull oder Homer G. Adams. Aber, wenn er ehrlich zu sich selbst war, Marc hätte nicht gewusst, was er jemanden wie Bull hätte fragen sollen.
Und jetzt …? Das Schicksal hatte ihn mitten hineingeworfen in das Haifischbecken aus galaktischer Politik und kosmischem Geschehen, und er musste zusehen, dass er sich freischwamm.
Eigentlich genau das Richtige für einen angehenden Kosmopsychologen, auch wenn ich noch am Anfang meiner Ausbildung stehe.
»Wir legen dich schlafen, Marc, das ist für alle Beteiligten das Beste, auch für dich.« Atlan lächelte. »Perry würde mir wer weiß was antun, falls dir etwas zustößt.«
»Eigentlich …« Marc London biss sich sofort auf die Zunge.
»Ja?«, fragte Atlan interessiert.
Tief atmete Marc durch. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Perry Rhodan zur Gewalttätigkeit neigt. Er ist ein friedfertiger Mensch, der wohl erst dann zuschlägt, wenn es keine andere Lösung mehr gibt.«
»Du bist Terraner, Marc«, sagte der Arkonide. »Genau wie Perry. Ihr seid und bleibt Barbaren und damit unberechenbar.« Er widmete sich wieder den Kontrollen, wandte Sekunden später aber noch einmal den Blick. »Aber verdammt, Marc, ich habe euch Terraner ins Herz geschlossen. Seit mehr als zehntausend Jahren.«
*
Das Strukturgestöber schien zum Greifen nahe, obwohl dieses wirbelnde und auf den ersten Blick undurchdringlich anmutende Chaos erst zwei Millionen Kilometer entfernt begann.
In der Charon-Wolke ballten sich nicht einfach kosmischer Staub und aufgeheizte Gase in den Geburtswehen junger Sterne und neuer Planeten, vielmehr tobten Kräfte, für die terranische Wissenschaftler bislang keinen Namen hatten.
Ein schwach illuminiertes, zugleich überaus heftiges Schneetreiben, das war noch die beste Analogie, die der Besatzung der VERACRUZ in den Sinn gekommen war. Diese Wolke war wie ein tobender Blizzard, in dessen Fängen jeder in die Irre lief, manche sogar in den Tod.
Die Dimensionen vermischen sich, kommentierte Atlans Extrasinn. Eigentlich ein denkbar einfacher Vorgang.
Dann erkläre ihn mir!, gab der Arkonide unwillig zurück.
Ein spöttisches Lachen erklang unter seiner Schädeldecke. Lehre eine Amöbe, Flügel zu formen und sich in die Lüfte zu schwingen!
Im Gegensatz zu einer Amöbe weiß ich, was mich in der Höhe erwartet.
Du glaubst, es zu wissen, widersprach Atlans zweiter Gehirnsektor. Dennoch bist du dir dessen keineswegs sicher, weil du bestenfalls den Hauch einer Ahnung hast.
Hoffentlich erwartest du nicht, dass ich mich ungeschützt in dieses Chaos begebe, um die Wahrheit herauszufinden. Das wäre unser beider Ende.
Unser Tod … oder eine Neugeburt … Weil alles zusammenfließt und die Dimensionen verwischen. Wahrscheinlich wird sogar die Zeit als solche unbedeutend. Und es gibt keine Grenze mehr – weder zwischen dieser und der anderen Seite des Universums, zwischen Parresum und Arresum, noch zwischen sämtlichen Universen des Multiversums.
Atlan verbiss sich die gedankliche Frage nach dem, was die Charon-Wolke in ihren Ausmaßen stabilisierte. Die Messwerte hatten eine einzige Konstante ergeben: dass sie in ihrer Widersprüchlichkeit kaum zu interpretieren waren. Aufgezeichnete Strangeness-Werte veränderten sich ebenso sprunghaft wie extrem. Die Charon-Wolke gehörte den Messwerten zufolge sowohl einem sterbenden, kollabierenden Universum an als auch einem Raum, der ins Endlose expandierte und eines sehr fernen Tages in einer ausgebrannten Sternenwüste enden würde. Doch alle diese Auswertungen zeigten nur Sekundenbruchteile im Ozean der Zeit.
Die Frage, ob sich innerhalb des nahezu exakt kugelförmigen, 24 Lichtjahre durchmessenden Bereichs wirklich die Universen berührten, quälte Atlan.
Du glaubst, dass von hier aus ein Übergang in unzählige andere Raum-Zeit-Gefüge möglich sein könnte? Die Frage des Extrasinns klang spöttisch.
Ich ziehe das zumindest in Erwägung.
Ein solcher Ort – ausgerechnet in einer unbedeutenden Galaxis …?
Hangay und die entstehende Negasphäre sind sehr nahe. Die Chaosmächte interessieren sich für die Milchstraße. Soll ich da wirklich von unbedeutend sprechen? Das Eingeständnis, dass er nicht weiterwusste, fiel Atlan schwer. Vielleicht war die Charon-Wolke eine unsagbare Bedrohung, vielleicht aber auch der Schlüssel zu fantastischen Geheimnissen.
Wahrscheinlich, gestand er sich ein, lag die Wahrheit irgendwo zwischen diesen Extremen.
Vorübergehend vergaß der Arkonide seine Überlegungen, denn die DORYNA hatte das Andockmanöver eingeleitet. Atlan registrierte, dass Marc London den Vorgang gebannt verfolgte. Zentimetergenau wurde die Strukturdolbe über den Ringwulst bugsiert. Die ersten Verankerungen schlossen sich um den Rumpf des ovalen Raumschiffs der Charonii.
Mitten in der Zentrale entstand die dreidimensionale Abbildung von Kempo Doll’Arym. Mit einer knappen Bewegung strich der Charonii sein langes Haar über die Schulter zurück.
»Wir sind bereit!« Ruckartig hob er den Kopf. Lediglich die Spezialbrille, die alle Strukturpiloten trugen, unterschied ihn von einem Menschen.
»Die Genehmigung, das Goldene System anzufliegen, ist ein einmaliger Vorgang«, fuhr Kempo Doll’Arym fort. »Jedem an Bord der DORYNA ist bewusst, dass wir nicht nur ein Tabu brechen, das zwölftausend Jahre Bestand hatte …«
Zwölftausend im Hyperkokon empfundene Jahre!, kommentierte Atlans Extrasinn. Im Rest der Galaxis sind Jahrmillionen verstrichen.
»Für die Charonii hat ein neues Zeitalter begonnen, und mit dem Anflug auf das Goldene System wird dieser Vorgang unumkehrbar. Wir Strukturpiloten hoffen, dass sich die Besatzung der VERACRUZ dessen ebenso bewusst ist.«
»Wir wissen, dass wir auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden sind«, antwortete Alysha Saronn. »Weder wir noch die Charonii haben Informationen darüber, was uns am Ziel erwartet. Dieser Flug ins Ungewisse ist ein Risiko, das wir alle eingehen müssen. Wir wollen aber nicht, dass aus dem Risiko ein leichtsinniges Vorgehen wird. Ich hoffe, Kempo Doll’Arym, darüber sind wir uns einig.«
Der Charonii ließ ein Lächeln erkennen. »Das Goldene System ist eine unbeschreibliche Herausforderung. Tote Strukturpiloten lösen jedoch keine Geheimnisse.« Sein Blick blieb an Marc London hängen. »Die geringste Störung könnte leider tödliche Folgen haben!«
»Ich …« Der Psiont stockte.
»Wir machen keine Kompromisse, Marc«, sagte der Arkonide. »Du wirst den Flug im Tiefschlaf verbringen.«
»Gibt es wirklich keine andere Möglichkeit?«, fragte der angehende Kosmopsychologe.
»Keine, von deren Sicherheit ich überzeugt wäre.«
Mit einer knappen Schaltung an seinem Kombiarmband hatte Atlan zwei Medoroboter angefordert. Keineswegs entging ihm Marcs Zusammenzucken, als der die Roboter bemerkte.
»Ich weiß, du hast dir das so nicht vorgestellt, Marc«, fuhr der Arkonide fort. »Ich habe mir auch etwas anderes erhofft, zumal du den Kontakt mit den Charonii ermöglicht hast. Dennoch …«
Demonstrativ überkreuzte der Psi-Korresponder seine Handgelenke und streckte den Medorobotern die Arme entgegen. »Wenn ihr mich schon schlafen legt, bitte ich um angenehme Träume«, sagte er. »Am liebsten von Fawn Suzuke.«
Stirnrunzelnd blickte Atlan dem Mutanten und den Robotern hinterher. Sie hatten die Zentrale gerade erst verlassen, da materialisierte Gucky.
»Marc fühlt sich auf die Seite gedrängt«, piepste der Ilt.
»Kannst du neuerdings Gedanken lesen?«
»Unsinn.« Gucky schüttelte den Kopf. »Mit etwas gutem Willen spürt das jeder. Ich an seiner Stelle wäre ebenfalls enttäuscht. Er will uns helfen, Atlan.«
»Dazu wird er noch genügend Gelegenheit haben. Vorerst hilft er uns am besten, wenn er friedlich in Morpheus’ Armen liegt.«
*
»Der Junge schläft jetzt!«, meldete die Medostation. »Seine biometrischen Werte haben sich sehr schnell normalisiert.«
Atlan blickte die Medikerin fragend an.
»Was soll ich sagen?« fuhr Dr. Nicole Saats fort. »Marc gab sich alle Mühe, äußerlich ruhig und gefasst zu erscheinen, trotzdem hätte ihn die innere Anspannung bald kollabieren lassen.«
»Das war von jeher ein Problem jugendlicher Ungeduld«, bemerkte Atlan. »Eines ist hoffentlich klar: Wir brechen diese Mission eher ab, als dass ich zulasse, dass Marc Schäden davonträgt.«
»Die Überwachung seiner Körperfunktionen ist lückenlos«, erwiderte Dr. Saats. »Aber weil du von jugendlicher Ungeduld gesprochen hast …«
»Ja?«, fragte Atlan nach, als die Ärztin verstummte.
»Für mich ist diese Feststellung wieder ein Ausdruck der polarisierten Sichtweise aller potenziell Unsterblichen. Zeit spielt für euch nur eine sehr untergeordnete Rolle. Aber Marc ist jung und will seine Vorstellungen möglichst sofort und gleichzeitig umsetzen – weil er fürchtet, dass ihm andernfalls die Zeit davonläuft.«
»Danke, Nicole.« Atlan nickte knapp. »Leider stellt Marc für unsere Expedition derzeit eine größere Bedrohung dar, als er selbst wahrhaben will. Ich kann ihm vorerst den Tiefschlaf nicht ersparen.«
Ein rascher Blick zur Panoramagalerie zeigte dem Arkoniden, dass die VERACRUZ im Begriff stand, den sicheren Bereich des Ijor-Systems zu verlassen.
Die Maschinen des 1500 Meter durchmessenden Kugelraumers mit der Serienkennung EX-6 waren den Dolben der Charonii deutlich überlegen. Dennoch bedurfte das Schiff der schützenden Fähigkeiten der Strukturpiloten, um den Flug durch die Wolke zu überstehen.
Die Biopositronik der VERACRUZ und der leistungsschwächere Rechner der DORYNA bildeten mittlerweile eine Einheit.
Das Strukturgestöber der Charon-Wolke verdichtete sich rasch. Auf gewisse Weise erinnerte der freie Weltraum des Ijor-Systems an eine einsame Insel, gegen deren Küste der Ozean brandete.
Die mentalen Kräfte der Charonii-Piloten bauten rings um die beiden ungleichen Raumschiffe eine geschützte Zone auf, während von außen die tödlichen Energien heranpeitschten. Lichteruptionen tobten. Vielleicht bildete das von den Charonii geschaffene Strukturauge sogar eine eigene Dimension, so genau war das nicht anzumessen.
Atlan sah, dass im Bereich des Pilotenplatzes ein Teil der Hologramme erlosch. Major Anthos lehnte sich zurück und schüttelte benommen den Kopf. Kempo Doll’Arym hatte von der DORYNA aus wieder die Steuerung beider Schiffe übernommen.
Die Beschleunigung stieg vorerst nicht über fünf Kilometer pro Sekundenquadrat – das war der Höchstwert, den die Strukturdolben auch aus eigener Kraft erreicht hätten.
Das nahe Ijor-System verschwand aus der optischen Erfassung. Eine Zeit lang zeigte die Ortung stattdessen zumindest verwaschene Schemen, dann war da nichts mehr außer diesem wilden, an den Nerven zehrenden »Schneetreiben«. Nur die Charonii erkannten in dieser Umgebung noch Strukturen: Wirbel, Regionen unterschiedlichster Dichte oder gar Einschlüsse von freiem Weltraum, das alles in steter Bewegung begriffen und sich gedankenschnell verändernd … Die Strukturen gingen ineinander über, vereinten sich, flossen gischtend dahin und rissen beide Raumschiffe mit sich. Mit aller Kraft kämpfte die VERACRUZ gegen die Gewalten an.
Wie eine Fähre inmitten eines reißenden Stromes … Atlan stockte bei diesem Gedanken. Welchen Preis werden wir bezahlen müssen, damit wir unser Ziel erreichen?, fragte er sich, und das keineswegs zum ersten Mal.
Narr!, tadelte sein Logiksektor. Dass diese Sternenwolke den Eigennamen Charon trägt, hat nichts mit barbarischen Kulten von Larsaf III zu tun, wie du selbst sehr wohl weißt!
Doch längst erinnerte den Arkoniden der Name Charon an den Fährmann der griechischen Mythologie, der die Toten über den Fluss Styx zum Hades geleitet hatte. Es war üblich gewesen, den Verstorbenen vor der Bestattung ein Geldstück in den Mund zu legen, als Bezahlung für den Fährdienst.
Die Jahrhunderte bei den Terranern, fuhr der Extrasinn fort, haben dich selbst schon zu einem halben Barbaren gemacht –