Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2338
Im Bann des RUFERS
Das USO-Team im Einsatz – auf der Baustelle der Terminalen Kolonne
Arndt Ellmer
Über die Welten der Milchstraße bricht im Jahr 1344 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – dies entspricht dem Jahr 4931 alter Zeitrechnung – eine Veränderung herein, wie sie sich niemand hat vorstellen können: Die Terminale Kolonne TRAITOR, eine gigantische Raumflotte der Chaosmächte, greift nach der Galaxis.
Im unmittelbaren galaktischen Umfeld der Milchstraße wird in der Zukunft in der Sterneninsel Hangay eine sogenannte Negasphäre entstehen, ein absolut lebensfeindlicher Raum. Die Menschheitsgalaxis soll dieser kosmischen Region als »Ressource« zugeführt werden.
Der Nukleus, ein Geistwesen, beschwört Perry Rhodan, dass Terra und das Solsystem nicht an die Mächte des Chaos fallen dürfen. Tatsächlich gelingt es, das Solsystem mit Hilfe des TERRANOVA-Schirms zu sichern – eine riesige Raumflotte der Terminalen Kolonne TRAITOR belagert jedoch die solaren Planeten.
An anderer Stelle wachsen ebenfalls Zellen des Widerstands. Eine davon wird durch die USO – die United Stars Organisation – repräsentiert. Deren stellvertretender Leiter Roi Danton begibt sich mit einem Einsatzteam auf feindliches Territorium, wo ein geheimnisvolles Gebilde entsteht. Dabei befinden sie sich IM BANN DES RUFERS …
Roi Danton – Der Aktivatorträger entdeckt das Geheimnis des RUFERS.
Malikadi – Der Duale Vizekapitän träumt einen Traum von der Zukunft.
Tobi Sullivan – Der junge USO-Spezialist wartet auf seine große Chance im Einsatz.
Jenice Araberg und Novescu Mondu – Zwei USO-Spezialisten gehen bewusst in einen lebensgefährlichen Einsatz.
Feindesland
Grelles Licht.
Halbdunkel.
Wieder grelles Licht.
Erneut Halbdunkel.
Es war verstörend, in welch raschem, unregelmäßigem Wechsel es geschah. Es war … wie das Flackern der Wirklichkeit oder wie das monströse Pumpen eines gewaltigen, abscheulichen und finsteren Herzens.
So jedenfalls empfand Tobi Sullivan seinen ersten – und hoffentlich einzigen! – Aufenthalt an Bord einer Fabrik der Terminalen Kolonne.
TRAIGOT 0313 lautete die Eigenbezeichnung dieses Monstrums, und er und seine Begleiter waren weder auf eine Einladung hierher gekommen, noch würde man sie willkommen heißen, sollten sie erwischt werden. Doch sie waren USO-Agenten, und diese ließen sich nicht erwischen. Gedanklich wiederholte er wie ein Mantra die drei Grundsätze, die ihnen allen während der Ausbildung eingebläut worden waren:
USO-Spezialisten sind ihren Gegnern überlegen!
USO-Spezialisten sterben nicht im Einsatz, sondern erzielen stets Erfolg!
USO-Spezialisten werden niemals das Leben der ihnen anvertrauten Personen opfern, sondern immer bis zuletzt dafür einstehen!
Nun … der letzte Punkt ließ sich in der derzeitigen Situation mehrfach auslegen: Zunächst und vor allem waren sie einander anvertraut, während in einer weitaus umfassenderen und wohl angemesseneren Sichtweise dem kleinen Grüpplein von vier hochgewachsenen Menschen die Leben von Billionen Lebewesen anvertraut waren – wenn TRAITOR siegte, war die gesamte Milchstraße verloren.
Oder den Mächten des Chaos ausgeliefert, was in Tobi Sullivans Weltbild in etwa auf das Gleiche hinauslief. Wann immer die Menschheit bisher mit den Beauftragten der Chaotarchen konfrontiert gewesen war, hatten diese wenig mehr als Zerstörung angerichtet. Chaos zerstört, Ordnung baut auf, hatten seine Eltern ihm einst beigebracht. Ganz so einfach war das Universum freilich nicht, so viel war Tobi mittlerweile bewusst geworden, je mehr er sich mit der Materie befasste. Auch das Chaos schuf Strukturen, und die Ordnung riss welche ein, so widersinnig es von der Begrifflichkeit her klang.
Allerdings waren diese Begrifflichkeiten nur Krücken, die der menschliche Verstand gebrauchte, um sich der beiden antagonistischen Parteien bewusst zu werden, die seit Jahrmillionen um Herrschaft im Universum rangen. Wenn er das Konzept richtig verstanden hatte, hieß das …
Er hatte während seiner Ausbildung von den Horden von Garbesch gelesen und gehört, vom Dekalog der Elemente und von den Chaotendern, und jeweils hatte es sich zwar um in gewisser Weise strukturierte Instrumente des Chaos gehandelt. Allerdings hatte es in ihnen »gebrodelt«, so dass es genügte, bestimmte Instanzen auszuschalten, damit sie zusammenbrachen oder auseinander fielen.
TRAITOR schien ihm von gänzlich anderem Schlage. Der Heerwurm des Chaos vermittelte den Eindruck eines gewaltigen, durchorganisierten Molochs, bei dem alles perfekt funktionierte und jeder Ausfall sofort durch ein Redundanzsystem aufgefangen wurde. Vielleicht lag das daran, dass sie bisher noch keine Ahnung von den wirklichen Machthabern der Kolonne hatten. Wenn sie die irgendwann einmal hatten …
*
TRAIGOT 0313, rein äußerlich ein gewaltiger Ring aus Metall mit einem ebenso gewaltigen Loch in der Mitte, kreiste im Orbit von Gamma-Makon. Von den herkömmlichen TRAICAH-Fabriken unterschied ihn hauptsächlich das Fehlen der Kolonnen-Fähre in seinem Zentrum. Dafür herrschte dort ein nahezu unüberschaubares Gewimmel an kleinen und mittelgroßen Schiffen, an vergleichsweise winzigen Fähren und Kofftern.
Allein die Menge der Fahrzeuge wies auf die außergewöhnliche Funktion von TRAIGOT 0313 hin. Das war keine Verhüttungsfabrik wie jener Gigant, der aus der blühenden Welt Caiwan innerhalb weniger Tage eine ins All expandierende Trümmerwolke gemacht hatte.
Nein, in TRAIGOT 0313 stellte die Terminale Kolonne Produkte her, Aggregate, Maschinen, Bauteile, vielleicht sogar ganze Raumschiffe. Und noch mehr, wie das Projekt im Sonnenorbit zeigte.
Deshalb waren die vier von der USO hier. Sie sollten herausfinden, was es mit diesem geheimnisvollen Projekt auf sich hatte, das im Kolonnen-Funk als »Bau eines RUFERS« bezeichnet wurde.
Tobi Sullivan lauschte in sich hinein. Am liebsten wäre er losgestürmt, zwischen den Fahrzeugen und den Mor'Daer-Kompanien hindurch in den sich fast endlos vor ihnen erstreckenden Hangar. Irgendwo würde er einen Aussichtspunkt finden, eine Balustrade, eine Galerie, von der aus er sich einen Überblick verschaffen konnte.
Informationen – sie auf diese Weise an vorderster Front unter den Augen des Feindes zu beschaffen, das war es, was USO-Spezialisten liebten.
Diese Informationen bedeuteten für Tobi Sullivan zusätzliche Erfahrung. Im Vergleich zu den anderen Mitgliedern des Einsatzteams besaß er nach eigener Meinung zu wenig davon.
Daten abzapfen – nichts fiel ihm leichter in diesem Leben, für das er im Säuglingsalter mit der Manipulation einer Fernbedienung schon prädestiniert gewesen schien.
Bitte empfiehl mich weiter. Am liebsten bei der USO! So hatte er es sich später als Jugendlicher vorgestellt.
Aber nicht nur deswegen. Er war gerade vierzehn Jahre alt gewesen, als ihm eine alte Monografie in die Hände gefallen war, ein Mix aus Holokristall und Foliensatz: Der lächelnde Spieler. Die Biografie des Ronald Tekener, der einst als USO-Agent waghalsige Abenteuer zu bestehen gehabt hatte und dann in den Kreis der Unsterblichen aufgestiegen war.
Tobi Sullivan wollte kein Unsterblicher werden, jedenfalls nicht bewusst. Ihm war etwas anderes aufgefallen: Glaubte man der Monografie, hatte man als USO-Agent einen besonderen Schlag bei Frauen. Und Frauen hatten Tobi mit vierzehn mehr als alles andere zu interessieren begonnen …
Als er endlich bei der USO angenommen worden war, stellte sich heraus, dass es wirklich der Ort seiner Träume war: Daten abzapfen, sammeln und auswerten – und Kontakte zu Frauen knüpfen. Bis er an Leutnant Carmen Wuertz geraten war, die erste Frau, die er wirklich zu lieben glaubte.
Wie lange war es her, dass er den Lächelnden Spieler zum ersten Mal in der Hand gehalten hatte? Neunzehn Jahre, bald zwanzig. Egal. Eine Ewigkeit und doch erst vor wenigen Augenblicken.
Jetzt, im Februar 1345 NGZ, würde er beweisen, was in ihm steckte. Was ihn einzigartig machte und seinen Namen in die Annalen der USO schrieb.
Die Erkundung eines wichtigen TRAITOR-Projekts und womöglich sogar dessen Sabotage. Schließlich hatten sie Roi Danton dabei, den Unsterblichen, den Sohn von Perry Rhodan und stellvertretenden Leiter der USO.
Sie konnten gar nicht verlieren.
*
Das Blut floss wie heißes Blei durch Tobis Adern und schien jede seiner Fasern verbrennen zu wollen. Seine Bewegungen kamen ihm lahm vor. Soweit er sich erinnerte, hatte er das in dieser Intensität noch nie empfunden. Es war nicht die Aufregung angesichts eines Einsatzes in fremder Umgebung, auch nicht das Lampenfieber aus seiner Kadettenzeit. Etwas anderes kroch bis in seine Fußspitzen und breitete sich unter der Kopfhaut bis in die Haarspitzen aus.
Die huschenden Schatten an den Wänden lenkten seine Aufmerksamkeit wieder auf die wichtigen Dinge. Sie gehörten zu Mor'Daer, die dieselben Kampfanzüge trugen wie er und seine Gefährten.
Unruhig begann Tobi sich in der Montur zu bewegen, die ihn schützte.
Sofort spürte er den festen Händedruck des Mannes an seiner linken Seite. Er sah Roi Danton ebenso wenig wie Jenice Araberg und Novescu Mondu, die beiden anderen Mitglieder des Einsatzkommandos.
Mit den technischen Mitteln der Anzüge war es ihnen nicht möglich, einander optisch wahrzunehmen oder zu orten, wie das handelsübliche Deflektoren der Milchstraßentechnik bewerkstelligten. Kolonnen-Angehörige, die gemeinsam operierten, sendeten einander Peilsignale per Kolonnen-Funk zu, die von den Mikrorechnern der Anzüge in Koordinaten und Positionsmarken umgesetzt wurden.
Solche Peilsignale zwischen den Containern hätten die Ganschkaren in ihren Koffter-Zugmaschinen sofort aufmerksam gemacht. Also hielten die USO-Agenten einander an den Händen. Der körperliche Kontakt diente gleichzeitig als Resonanzleiter für den Schall, wenn sie sich in der luftleeren Umgebung ab und zu eine Bemerkung zuwarfen.
»Keine Sorge«, sagte Tobi Sullivan. »Ich bin okay.«
»Es ist die fremdartige Umgebung«, drang die Stimme des Obersts dumpf und wie von weit her in seine Helmprojektion. »Sie wirkt auf unsere Psyche.«
Sullivan richtete seinen Blick unwillkürlich nach oben, wo in einer nicht genau zu bestimmenden Entfernung ein pulsierender Metallwulst in dunklem Grau vorbeizog. Er gehörte zum Schleusenbereich, vor dem das Seesternschiff der Prophozeuten hing.
Dem Wulst folgte eine grell wabernde Zone, die Protuberanzen schleuderte. Sie sogen sich auf geheimnisvolle Weise selbst auf, begleitet von grellen Lichtblitzen. Wieder tauchte ein Metallwulst auf, eingehüllt von dunkelrotem Glühen.
Sullivan hielt die Phänomene für Begleiterscheinungen von Energieschirmen oder zumindest hyperenergetische Phänomene. Dies war allerdings nicht sein Spezialgebiet. Das Wabern säumte die Ränder der Strukturlücken, durch die sie zusammen mit den beiden Containern schwebten. Probleme mit der Energieversorgung hatte die Terminale Kolonne TRAITOR offensichtlich keine.
Die Überlegenheit der Terminalen Kolonne basiert unter anderem auf ihren Energievorräten. Wenn wir diese stören und zerstören, bringt uns das ein Stück weiter. Tobi rief sich einige der Grafiken ins Gedächtnis zurück, die er in den letzten Wochen erstellt, bearbeitet und gesichtet hatte.
Sullivan wusste, dass USO-Einsatzkommandos überall in der Milchstraße unterwegs waren, um Informationen zu sammeln und Gelegenheiten zu Nadelstichen gegen die Kolonne beim Schopf zu packen. Er wusste aus Sicherheitsgründen weder, wie viele es waren, noch kannte er die betroffenen Spezialisten namentlich.
Er warf den Mor'Daer einen schiefen Blick aus der Geborgenheit seines Dunkelfelds zu, die in Hundertschaften den Zugang zum Hangar sicherten. Anschließend blickte er über die Schulter zurück. Die Öffnung des Hangars schätzte er auf mindestens vierhundert mal zweihundert Meter.
Die Hangarschotten schlossen sich nicht, aber neben den roten und gelben Schlieren legte sich ein grünlicher Schimmer zwischen das Weltall und den Transporter. Er besaß eine verdunkelnde Komponente, ähnlich den Tarnschirmen der Kolonne. Das Seesternschiff draußen verlor innerhalb von wenigen Augenblicken seine Konturen und wurde unsichtbar.
Eine Staffel aus drei Schirmen – mit Sicherheit ein undurchdringlicher Vorhang, überlegte Sullivan. Hier konnten sie jetzt nicht mehr hinaus. Vielleicht in ein paar Tagen oder in einer Woche, wenn sie auf das nächstbeste Prophozeutenschiff warteten, mit dem sie ungesehen abfliegen wollten. Weit draußen im All, 14 Lichtjahre entfernt, wartete die TRAJAN unter Oberst Abertin, um sie wieder aufzunehmen oder herauszuhauen.
Heraushauen, ging das überhaupt angesichts von 1936 Traitanks, die den Sektor mit der Fabrik und der Baustelle kugelförmig abschirmten? Noch hatten die »vier von der USO« das Ziel ihrer Mission nicht erreicht. Es lag jenseits der Fabrik in einer nahen Umlaufbahn um den Roten Riesen.
Die besagte Baustelle … Bisher besaßen sie nicht besonders viele Informationen über das, was die Terminale Kolonne dort errichtete. Sie kannten nur den Namen des Bauwerks.
Der RUFER!
Allein schon der Aufwand, den die Terminale Kolonne am Stern Gamma-Makon betrieb, reichte aus, um in den Bewohnern der Milchstraße das Gefühl der Bedrohung sprunghaft ansteigen zu lassen. Die Kolonnen-Forts hatte TRAITOR noch heimlich im Schutz von Dunkelschirmen errichtet, bei den Dunklen Obelisken war die Handhabung schon offener gewesen, und jetzt …
Mit diesem Gebilde, das die Kolonne jetzt sozusagen vor aller Augen errichtete, manifestierte sie endgültig ihren Herrschaftsanspruch in der Milchstraße.
Damit lag für Tobi Sullivan der Fall klar. Was immer der RUFER war, sie mussten ihn zerstören.
»Achtung«, hörte er den Oberst raunen. »Wir setzen uns ab. Weitersagen!«
Sullivan drückte zweimal seine Hand zum Zeichen, dass er ihn verstanden hatte.
»Achtung!«, flüsterte er in Jenice Arabergs Richtung. »Wir setzen uns ab. Weitersagen!«
Da zog Roi Danton sie schon mit sich.
*
Der Schleusenbereich blieb hinter ihnen zurück. Gedämpftes gelbes Licht erfüllte diesen Teil des riesigen Hangars. Wo immer Tobi Sullivan hinsah, zeigten die Oberflächen des verbauten Materials die bekannten Fraktalmuster, die sich unablässig bewegten, sich auffalteten und wieder zusammenklappten. Ihm kam es vor, als schwebe er an Rois und Jenices Hand durch eine Zeitrafferwelt aus knospenden Zinnblumen.
Nur die Mor'Daer mit ihrer zischelnden, verstörenden Kommunikation störten, die leise – und außerhalb des Helms unhörbar – aus dem Funkempfänger drang.
Ein Stück weiter im Hangar änderte sich das Bild. Hier standen die Mor'Daer nur noch im Abstand von fünfzig Metern Wache, mit Strahlern in den Klauen, fast so groß wie sie selbst. Die Schlangengesichtigen säumten den Weg der Container, als gelte es, einer hochgestellten Persönlichkeit Spalier zu stehen. Ihre Anwesenheit wies auf die Bedeutung der Hyperkristalle für die Terminale Kolonne hin. Und sie bewachten die Container mit allen Anzeichen der Aufmerksamkeit.
Rechneten die Kommandeure im Innern der Fabrik mit einem Angriff von Galaktikern oder am Ende gar mit Rebellen aus den eigenen Reihen? Konnte es so etwas überhaupt in der Kolonne geben?