Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog 1

Prolog 2

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

Epilog 1

Epilog 2

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

 

Nr. 2339

 

Ein halber Mensch

 

Verschleppt auf eine Skapalm-Bark – Terraner erleben die Hölle

 

Hubert Haensel

 

 

Über die Welten der Milchstraße bricht im Jahr 1344 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – dies entspricht dem Jahr 4931 alter Zeitrechnung – eine Veränderung herein, wie sie sich niemand hat vorstellen können: Die Terminale Kolonne TRAITOR, eine gigantische Raumflotte der Chaosmächte, greift nach der Galaxis.

Im unmittelbaren galaktischen Umfeld der Milchstraße wird in der Zukunft in der Sterneninsel Hangay eine sogenannte Negasphäre entstehen, ein absolut lebensfeindlicher Raum. Die Menschheitsgalaxis soll dieser kosmischen Region als »Ressource« zugeführt werden.

Als die Kolonne einen sogenannten RUFER baut, wagt Roi Danton alias Michael Rhodan mit einem USO-Team ein Erkundungskommando. Die Agenten bringen in Erfahrung, dass der »Progress-Wahrer« Antakur von Bitvelt in die Milchstraße gerufen werden soll.

Auf der Flucht aus dem RUFER werden sie von der Terminalen Kolonne aufgegriffen. Sie ahnen noch nicht, was ihnen bevorsteht – obwohl sich so mancher bereits fühlt wie EIN HALBER MENSCH …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Roi Danton – Der Unsterbliche wird auf eine Skapalm-Bark gebracht.

Zerberoff – Der Duale Kapitän freut sich über eine unverhoffte Beute.

Jenice Araberg, Novescu Mondu und Tobi Sullivan – Die drei USO-Spezialisten erfahren mehr über ihren Nutzen für die Terminale Kolonne.

Imarit Enkaraqon – Der Kolonnen-Anatom erhält einen Spezialauftrag des Dualen Kapitäns.

Untar Gabu – Ein seltsamer Freund hilft in größter Not.

Prolog 1

 

Sekundenlang hob sich der Diskus gegen den Glutball der Sonne ab, als schmale und scharfkantige Silhouette, deren Projektorfurchen kurz aufzuflammen schienen. Mit hoher Beschleunigung wuchs er in der Überblendung von Ortungsbild und optischer Wiedergabe an, als wolle er die TRAJAN rammen, dann war nur mehr ein Ausschnitt seiner fraktal-schwarzen Oberfläche zu erkennen, ein hochgerechnetes Standbild in grobkörniger Rasterung, in dem Details verwischten.

Die Wiedergabe stockte, wirkte vorübergehend verzerrt und sprang an den Anfang zurück. In langsamer Einzelbildprojektion erschien das Schiff von neuem in der Holoprojektion.

»Selbst wenn Sie sich den Traitank stundenlang ansehen, Major Misur, Sie werden nicht herausfinden, weshalb dieses Schiff den Sperrriegel der Flotte verlassen hat«, behauptete eine markante Stimme. »Ihre Vermutung, unsere Spezialisten könnten sich an Bord befunden haben, wird durch nichts gestützt.«

»Mit Verlaub, Kommandant …«

Oberst Abertins joviales Lächeln gefror, sein Blick glitt in die Runde. »Die Mission der vier ist ein extremer Risikoeinsatz, deshalb vergessen Sie vor allem, dass Rhodans Sohn teilnimmt – Oberst Danton ist USO-Spezialist, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein unbewiesener Verdacht allein wird mich nicht dazu bewegen, die TRAJAN neuer Gefahr auszusetzen. Oder haben Sie Erkenntnisse, die eine grundlegende Änderung des Einsatzplans erfordern?«

»Nein, Sir!«, antwortete der Stellvertretende Leiter der Abteilung Bordwaffen. »Keine neuen Erkenntnisse – nur ein Gefühl …«

»Sie sind Major der USO, also ignorieren Sie Ihre Gefühle, solange reine Sachentscheidungen gefragt sind!« Der Kommandant der TRAJAN bedachte das Abbild des Traitanks mit einer Mischung aus Interesse und Ablehnung, dominiert von dem Verlangen, eine wirksame Waffe gegen diese Schiffe zu finden.

»Was für ein Gefühl, Major Misur?«, fasste er schließlich nach. »Reden Sie frei von der Leber weg!«

Mit einer knappen Geste löschte Korom Misur das Hologramm, dann fuhr er sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Das Risiko dieses Einsatzes ist entschieden zu groß für Oberst Danton. Die USO braucht ihn als Leitfigur …«

Der Blick des Kommandanten ließ den Major verstummen.

»Sparen Sie sich die Trauerrede oder Ihren Nachruf«, versetzte Oberst Abertin. »Seit Tagen befindet sich die Gruppe vor Ort. Natürlich, das ist unter den gegebenen Umständen ein langer Zeitraum, trotzdem haben wir keinen Hinweis darauf, dass die Spezialisten enttarnt worden wären. Der Abflug des Traitanks muss in keinem Zusammenhang gestanden haben.«

»Sein Kursvektor zeigte auf Hayok!«, wandte der Erste Pilot ein. »Nach wie vor gibt es keinen Zweifel daran, dass der Diskus das dortige Kolonnen-Fort angeflogen hat.«

Vierzehn Lichtjahre trennten das Flaggschiff der USO von Gamma-Makon und dem aktiv gewordenen RUFER, der starke Signale aussandte und der Sonne dafür enorme Energiemengen abzapfte. Die nahe am Geschehen positionierten Ortersonden siganesischer Bauart übermittelten in unregelmäßigen Zeitabständen komprimierte Datensammlungen.

Der vorgesehene Rückweg war Roi Danton und seinen Spezialisten verwehrt, da kein Abair-Seesternschiff mehr die Baustelle anflog. Manches Besatzungsmitglied der TRAJAN fragte sich entsetzt, was nun geschehen sollte. Erst vor wenigen Minuten hatte Oberst Tom Abertin eine entsprechende Anfrage von Leutnant Carmen Wuertz aus der Abteilung Funk und Ortung erreicht.

Prolog 2

24. Februar 1345 NGZ

 

Der Alarm heulte durch die TRAJAN.

Obwohl das Flaggschiff der USO antriebslos, mit minimalen Emissionen und aktivem Anti-Ortungsschutz durch den Raum fiel, hatte genau das irgendwann geschehen müssen. Trotzdem kam weder Hektik auf, noch war ein verräterisches Ansteigen der Energiewerte zu verzeichnen.

»Nach wie vor besteht keine akute Bedrohung.« Der Kommandant wandte sich über Interkom an die Besatzung. »Was bei Gamma-Makon geschieht, zwingt trotzdem zu höchster Besorgnis. Die angemessene Strangeness hat sich sehr schnell verdoppelt. Ursächlich dafür scheint jene Erscheinung zu sein, die den RUFER seit kurzem umgibt …«

»Neue Daten liegen vor!«, meldete Major Agorar. »Die Hauptpositronik ermittelt die Position des RUFERS nicht im Mittelpunkt der gut zweihundert Kilometer durchmessenden Aureole, sondern an ihrer Peripherie. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die leuchtende Aura nicht von der Konstruktion selbst erzeugt.«

»Das heißt …?«

»Wir sehen den Sekundäreffekt einer eintreffenden großen Masse!«

»Ein unbekanntes Objekt materialisiert?«

»In einem Vorgang, der keineswegs spontan erfolgt, sondern sich über einen längeren Zeitraum erstreckt.«

»Messdaten?«

»Die Aureole wird von den Sonden nur hinsichtlich ihrer Leuchtkraft erfasst, ein Einblick bleibt verwehrt. Die weiter anschwellenden Strangeness-Effekte verhindern Detailaussagen.«

Nicht ein Muskel zuckte in Oberst Abertins kantigem Gesicht. Der Blick seiner dunklen Augen fraß sich an dem Panoramaholo fest, das die eintreffenden Rafferimpulse entpackte und umsetzte. Die Sonden funkten in Sekundenintervallen, da die rapide anschwellenden Strahlungsverhältnisse eine Eskalation befürchten ließen.

»Die Emissionen des RUFERS verdoppeln sich erneut! Auch die Passivortung erfasst dieses Phänomen, es …«

Das Peilsignal der Kolonne erlosch.

Zugleich wurden die nächsten Rafferimpulse entzerrt. In dem Holofeld zuckte der Lichtblitz einer heftigen Explosion auf.

»Das fremde Objekt ist verglüht …?«

»Es sieht nicht danach aus, Sir! Das Zentrum der Explosion dürfte vielmehr mit dem Standort des RUFERS identisch sein.«

»Was ist mit Oberst Danton und den anderen?«, platzte jemand heraus.

Die jähe Stille in der Hauptzentrale der TRAJAN sagte mehr als jeder noch so gut gemeinte Erklärungsversuch. Alle starrten auf das Holo, in dem sich die Explosionswolke ausweitete, dabei aber an Intensität verlor. Nicht länger als zwanzig Sekunden währte der Spuk, bis die letzten irrlichternden Schleier verwehten.

Die Übermittlung der Sonden war den Umständen entsprechend miserabel. Trotzdem zeigte sich in der Wiedergabe die Silhouette des RUFERS. Die ursprünglich kugelförmige Konstruktion wirkte nun in sich verschoben, monströse Risse zerfurchten ihre Hülle und ließen die im Innern tobenden Gewalten erahnen. Von der Explosion beschleunigt, hatte sie die Aureole durchbrochen und driftete dem roten Riesenstern Gamma-Makon entgegen.

»Weder die Kolonnen-Fabrik noch die Chaos-Geschwader versuchen, den RUFER vor dem Sturz in die Sonne zu bewahren«, stellte der Erste Pilot fest. Die SERT-Haube hatte er schon abgesenkt, um die TRAJAN sofort in Gedankensteuerung nehmen zu können, falls Traitanks das Schiff anflogen.

»Der RUFER ist wertlos geworden, ein ausglühendes Wrack«, sagte jemand.

»Aber – wir wissen, dass dort große Mengen Hyperkristall verbaut wurden. Sind diese Werte für die Terminale Kolonne TRAITOR unbedeutend?«

»Vermutlich wurden die Kristalle verbrannt«, stellte der Kommandant fest. »Der RUFER hat seine Aufgabe erfüllt; etwas scheint aus einer anderen Dimension hier eingetroffen zu sein.«

»Ich halte das momentan für zweitrangig«, wandte Major Misur ein. »In erster Linie gilt es, Oberst Danton und seinem Team beizustehen.«

Der Kommandant bedachte den Stellvertretenden Leiter der Abteilung Bordwaffen mit einem durchdringenden Blick. »Ihre emotionale Erregung, Major, hat das Potenzial zur Selbstgefährdung – falls Sie sich aktuell nicht wohl fühlen, beenden Sie bitte diese Schicht!«

Korom Misur schnappte nach Luft, versteifte sich und nahm Haltung an. »Ich sehe keine Beeinträchtigung, Sir. Ich …« Eine befehlende Handbewegung schnitt ihm das Wort ab.

»Ich kann Sie durchaus verstehen, Major, Sie und alle, deren Blicke deutlich genug zeigen, was sie denken. Allerdings war das Risiko von der ersten Sekunde an klar. Für jeden.«

»Nicht einmal Zellaktivatorträger sind unsterblich«, erklang eine Frauenstimme aus dem Hintergrund.

Ein flüchtiges Zucken umspielte Oberst Abertins Mundwinkel. »Sollten sich unsere Spezialisten zum Zeitpunkt der Explosion an Bord des RUFERS befunden haben, sind sie vermutlich nicht mehr am Leben. Wir können nur hoffen, dass sie auf die Kolonnen-Fabrik gebracht oder tatsächlich mit dem Traitank Richtung Hayok ausgeflogen wurden. In dem Fall bleibt ihnen wenigstens eine kleine Überlebenschance.«

Stunden vergingen, ohne dass der Kommandant den Alarmzustand aufgehoben hätte. Die Sonden übermittelten ihre Messdaten wieder in längeren Zeitabständen.

Die Strangeness blieb erschreckend hoch. Mit immer neuen statistischen Näherungsrechnungen ermittelte die Biopositronik der TRAJAN, dass sich im Inneren der Aureole tatsächlich ein materiell sehr stabiles Objekt befinden musste.

Eine darüber hinausgehende Aussage war unmöglich.

Nur eines schien deutlich zu werden: Dieses Objekt musste riesig groß sein.

1.

 

Der Schmerz war beinahe unerträglich. Sengende Glut tobte durch meine Adern, als ich mir der eigenen Existenz wieder bewusst wurde.

Ich spürte dieses unheimliche Prickeln, als würde das Innerste meines Körpers nach außen gekehrt. Es war der Eindruck, zu einem Eisblock erstarrt zu sein, obwohl zugleich jede Zelle in prickelnder Hitze glühte.

Geräusche wurden laut, die ich nicht einordnen konnte, und die Düsternis, die mich eben umfangen hatte, wich flackernder Helligkeit.

Die Erinnerung schlug über mir zusammen.

Der erbeutete Koffter als Fluchtfahrzeug … Unser verzweifelter Versuch, den Strangeness-Effekten des RUFERS zu entkommen … Schließlich, im Augenblick verhaltener neuer Hoffnung, der näher kommende Diskusraumer … keine Space-Jet, sondern ein Traitank.

Meine Gedanken wirbelten durcheinander. Weitere Erinnerungsfetzen verwoben sich zu einem wirren Konglomerat, bis ich endlich verstand, dass mir nicht allein die Nachwirkung der Paralyse so zu schaffen machte. Ich litt unter der Fremdheit des unbekannten Universums, zu dem der RUFER ein Tor aufgestoßen hatte.

Eine zischende Stimme erklang sehr nahe neben mir. Ich befürchtete, dass sie einem Mor'Daer gehörte, schaffte es gleichwohl nicht, den Kopf nur ein Stück weit zur Seite zu drehen, um mich davon zu überzeugen. Vermutlich hätte die Energie des Schiffsgeschützes sogar ausgereicht, ein Marschiere-Viel außer Gefecht zu setzen. Mir half der Aktivatorchip, der alle Körperfunktionen stabilisierte, aber meine Gefährten hatten womöglich nicht überlebt. Befand ich mich überhaupt in ihrer Nähe?

Langsam wich die Lähmung. Zurück blieb eine unheilvolle Leere. Jeder von uns hatte gewusst, welches Risiko wir eingingen, trotzdem hatten wir alles auf eine Karte gesetzt. Ein lausiges Blatt, hätte Ronald Tekener dazu gesagt, aber auch, dass man keineswegs die höchsten Trümpfe in der Hand halten musste, um ein Spiel zu gewinnen. Es kam immer darauf an, zu bluffen und den Gegner zu unüberlegten Zügen zu verleiten.

Endlich schaffte ich es wenigstens, die Lider zu öffnen. Ich starrte zu den Leuchtplatten hinauf, deren steter Wechsel keineswegs beruhigend wirkte. Sekunden später konnte ich schon wieder blinzeln und bildete mir ein, dass ich wenigstens eine Hand zur Faust verkrampfte.

Gleich darauf sah ich das Schlangengesicht, einen leicht pendelnden behaarten Schädel, dessen Scheuklappen eine verzerrte Perspektive spiegelten, mich aber im Hintergrund zwei weitere Kolonnen-Soldaten als verschobene Silhouetten erkennen ließen.

Der Mor'Daer musste bemerken, dass ich die Besinnung wiedererlangt hatte, doch er reagierte nicht darauf.

Der Korridor gabelte sich. Mir war klar, dass ich mich entweder in der Kolonnen-Fabrik TRAIGOT 0313 oder an Bord eines Traitanks befand, denn sehr lange konnte meine Bewusstlosigkeit nicht angehalten haben. Endlich schaffte ich es, den Kopf ein wenig zu heben. In den Scheuklappen des Mor'Daer sah ich für Sekundenbruchteile eine menschliche Gestalt, die wie ich in liegender Haltung transportiert wurde.

Vergeblich versuchte ich, mich aufzurichten. Ich schaffte es nicht einmal, die Arme zu heben. Zugleich stellte ich fest, dass ich den Mor'Daer-Kampfanzug nicht mehr trug. Damit war ich zwar keineswegs nackt, aber aller Hilfsmittel beraubt.

»Was geschieht mit uns?«

Meine Frage klang schwerfällig, und ich erhielt keine Antwort. Trotzdem versuchte ich es erneut: »Wohin bringt man uns?«

»Auf Befehl der Kolonnen-Leitung werdet ihr nach TRAICOON 0099 überstellt«, antwortete der Mor'Daer auf TraiCom.

»Wir sollen verhört werden? Wurden wir deshalb am Leben gelassen?«

Der Mor'Daer reagierte nicht.

»Ich freue mich, deine Stimme zu hören, Roi.« Das war Jenice Araberg. Auch sie brachte jedes Wort nur mühsam hervor.

»Offenbar sind wir in letzter Sekunde der Strangeness entkommen.« Sie räusperte sich gequält. »Was wollen wir mehr?«

Das klang zufrieden und kalt zugleich. Aber sie hatte Recht. Was wollten wir mehr? Wir lebten und konnten zudem hoffen, wegen unserer Mentalstabilisierung keine Geheimnisse preiszugeben.

»Die Kolonne hat keinen guten Fang mit uns gemacht …« Das war Leutnant Tobi Sullivan, unser Jüngster. Auch er hatte also die Folgen der Paralyse überwunden. Fehlte nur noch Major Mondu.

Die Leuchtplatten an der Decke veränderten sich. Zugleich hallten die Schritte der Mor'Daer lauter von den Wänden zurück. Ich vermutete, dass wir unser erstes unfreiwilliges Ziel erreicht hatten: eine Zelle an Bord eines Traitanks, der uns zum Kolonnen-Fort TRAICOON 0099 bringen würde.

»Was wollen wir mehr?«, hatte Jenice gesagt. Ich fragte mich, was uns erwartete, sobald die Gegenseite herausfand, dass wir keine Geheimnisse ausplaudern würden. Vielleicht ein schneller Tod.

Die Mor'Daer brachten uns in einen kahlen Raum. Ich hörte Tobi Sullivan fluchen, gleichzeitig blickte ich in die Abstrahlmündung einer Waffe. Der Schmerz der neuen Paralyse ließ alles in mir verkrampfen, dann verlor ich wieder das Bewusstsein.

 

*

 

Halb benommen registrierte ich hart zupackende Hände und hörte eine Vielzahl von Stimmen, ohne zu verstehen, was sie sagten. Wenigstens schien meine Lähmung endlich abzuklingen.

Wie viel Zeit vergangen war, vermochte ich nicht einmal annähernd abzuschätzen. Ob Minuten, Stunden oder gar Tage, diese Begriffe vermischten sich zu einem zähen Sumpf, in den ich mich besser nicht vorwagte. Für mich war die zweite Paralyse zuletzt wie ein dumpfes Dahinvegetieren gewesen, ein instinktiver Balanceakt zwischen Tod und Leben.

Mor'Daer, deren Nähe mir wie ein Gestalt gewordener Albtraum erschien, zerrten mich hoch. Schwankend stand ich da, fürchterlich benommen erst und von zwei dieser großwüchsigen Wesen gestützt, doch fühlte ich schnell neue Kräfte in mir aufsteigen.

Zehn oder zwölf der Schlangengesichtigen drängten sich in der Zelle und befassten sich mit meinen Gefährten, die es zweifellos schlimmer erwischt hatte als mich. Ihnen fehlten die belebenden Impulse, die mein Zellaktivator abgab.

Ein harter Schlag zwischen die Schulterblätter trieb mich vorwärts. Freilich konnten meine Beine nicht mithalten. Ich taumelte gegen einen Mor'Daer, seine Hände umklammerten meinen Oberkörper, und in der Sekunde griff ich, ohne nachzudenken, nach seiner Waffe.

Das kühle Metall zwischen den Fingern brachte mich vollends zur Besinnung, aber da war es schon zu spät, den Fehler zu bereuen. Ein warnendes Zischen ausstoßend, zuckte mir der Schlangenschädel entgegen, zugleich riss ich die Hände hoch und schlug die Arme des Mor'Daer auseinander, drehte mich halb zur Seite und hebelte den Gegner über mich hinweg.

Nicht einmal Sekundenbruchteile blieben mir zur Besinnung. Ich sah die anderen Kolonnen-Soldaten auf mich zustürmen, meine Finger tasteten über die fremde Waffe, fanden irgendwie den Auslöser, und zwei der Gegner brachen zuckend zusammen.

Schon waren die anderen über mir, schlugen mir den Strahler aus der Hand und stießen mich zu Boden. Hart bohrten sich ihre Knie in meinen Rücken, und ich fürchtete schon, sie würden mir das Rückgrat brechen.

Energiefesseln legten sich um meine Handgelenke. Sekunden später wurde ich wieder auf die Beine gestellt und vorwärts gestoßen. Ich erhaschte einen flüchtigen Blick von Jenice Araberg und erkannte ihren unbezähmbaren Willen, hier herauszukommen. Irgendwie, sagten mir ihr blauen Augen ebenso wie das versteinerte Lächeln um ihre Mundwinkel, irgendwie schaffen wir es!

Im Laufschritt trieben uns die Mor'Daer vorwärts.

Ich glaubte, das Rumoren anlaufender Triebwerksaggregate zu vernehmen, gleichzeitig schien der Boden unter mir wegzusacken. Nur kurz hielt dieses Gefühl an, dann stießen kräftige Fäuste mich weiter.

Die Weite eines gewaltigen Hangars öffnete sich vor uns. Er mochte groß genug gewesen sein, ein halbes Dutzend terranischer Schlachtschiffe der APOLLO-Klasse aufzunehmen.

Kein Mor'Daer verhinderte, dass ich mich umwandte und zurückschaute. Ich erkannte, dass ein Traitank uns an diesen Ort gebracht hatte. Unglaublich scharfkantig wirkte der Diskus, obgleich ich nur seine untere Rumpfhälfte vor mir sah. Lautlos schwebte er wenige Meter über dem Boden und entfernte sich mit wachsender Geschwindigkeit.

Ein Prallfeld hinderte die Hangaratmosphäre am Entweichen. Optisch war der semipermeable Schirm nicht wahrzunehmen, er ließ die Lichtfülle der Sterne ungedämpft einfallen.

Angespannt suchte ich nach Anhaltspunkten für unseren Aufenthaltsort. War das der Hayok-Sternenarchipel? Es schien so zu sein.

»TRAICOON 0099?«, fragte Tobi Sullivan. »Leute, dann sind wir beinahe schon zu Hause! Wir müssen nur das Kolonnen-Fort verlassen, und das haben andere bereits vor uns geschafft.«

»Jegliche Euphorie ist fehl am Platz, Leutnant Sullivan«, bemerkte Major Mondu gewohnt humorlos. »Wir sind keine Siganesen.«

 

*