Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
Epilog
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2346
Chyndors Weg
Ein Friedensfahrer auf heikler Mission – ein humanoides Volk steht vor dem Untergang
Christian Montillon
Wir schreiben das Jahr 1345 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – dies entspricht dem Jahr 4932 alter Zeitrechnung. Die Milchstraße ist von der Terminalen Kolonne TRAITOR besetzt, einem Machtinstrument der Chaotarchen. Die aus der Galaxis gewonnenen »Ressourcen« sollen für Zwecke eingesetzt werden, die dem Entstehen einer Negasphäre in der Nachbargalaxis Hangay dienen werden. Eine Negasphäre wiederum ist ein Raum, den normale Lebewesen als absolut lebensfeindlich empfinden, und eine Brutstätte des Chaos.
Perry Rhodan und seine Weggefährten erhalten mit den sogenannten Friedensfahrern eine Organisation als Verbündete, die erst vergleichsweise kurz besteht, aber dennoch von vielen Geheimnissen umrankt ist. Ihr gehören unter anderem Alaska Saedelaere an, der schon oft in kosmische Ereignisse verstrickt war, und Kantiran, Rhodans Sohn, der noch keine Heimat gefunden und für sich das Leben eines Sternenvagabunden gewählt hat.
Beide allerdings kämpfen mit ganzer Kraft für die Freiheit und gegen TRAITOR, obwohl viele andere Friedensfahrer noch zweifeln und zaudern. Als ausgeprägte Individualisten, die nur ein gemeinsames Ziel eint, muss jeder von ihnen seine eigene Vorgehensweise wählen. Eine davon ist CHYNDORS WEG …
Chyndor – Der Friedensfahrer wagt die Konfrontation mit der Finsternis.
Alaska Saedelaere – Der Maskenträger dringt vor bis zum Kern des Problems.
Kantiran – Der Sternenvagabund bringt schlechte Nachrichten nach Terra.
Cosmuel Kain – Eine Liga-Agentin wendet sich mit einer erstaunlichen Bitte an die Friedensfahrer.
Zuerst das Chaos.
Der Verlust. Das Feuer, die Explosion.
Sein Schutz trägt einen Schaden davon, und Schmerz folgt.
Leid. Grauenhafte, zerstörerische Angst.
Sie strömen von überall auf ihn ein, potenzieren sich, füllen ihn aus.
Dann der Aufprall.
Entsetzlicher, kreischender Lärm.
Reißen. Der Schutz zerbricht.
Der Schrecken eskaliert, als die Wirklichkeit gerinnt und zerfließt.
Unendliche Fremdheit überschwemmt ihn, frisst an ihm, dringt in ihn ein.
Sobba
Eine Millisekunde eher als Millionen anderer Intelligenzen traf es den Dinath Sobba. Er tastete nach seinem Strahler, und es beruhigte, das kühle Metall zu fühlen. Die Berührung bot Sicherheit angesichts der Angst, die ihn von einem auf den anderen Moment überkam.
Sobba blickte sich um. Außer ihm befanden sich seine vier Mitarbeiter in der Beobachtungsstation am Rand der Großstadt Lordovien. Er kannte sie seit Jahren, wusste von ihren Sorgen und Nöten, traf sich mit ihren Familien.
Lasir, die hagere, grauhaarige Orterin, wohnte seit einigen Monaten allein. Ihr Lebensgefährte hatte sich für eine Jüngere entschieden. Sie gab sich den Anschein, als sei sie damit einverstanden, aber in Wirklichkeit brach es ihr das Herz. Immer wieder. Jeden Tag aufs Neue.
Sobba atmete schwer und zog den Strahler. Lasir war eine Gefahr, obwohl sie scheinbar völlig ruhig dasaß, den Rücken an die Lehne des Arbeitsstuhls gepresst, die Linke auf dem Schoß abgelegt, mit der Rechten auf einem Sensorfeld tippend.
Der Dinath zielte und schoss. Ohne einen Laut sackte die Orterin tödlich getroffen zusammen.
Die Sensoren nahmen die Energieentladung wahr. Ein Alarm heulte, durchdringend und schrill.
Wehka, der kleine, schmächtige Funker, wirbelte herum. Die eisgrauen Augen weiteten sich verblüfft. »Was ist hier los?«
Ein zweiter Schuss. Er ging fehl. Sobbas Hand zitterte zu stark. Die Angst, die mörderische Angst, und die Aggression, gegen die er sich nicht wehren konnte, verhinderten, dass er ruhig zielen konnte.
Sobba sah genau, wie Wehka zurückwich, den Mund vor Erstaunen halb geöffnet. Der Funker warf sich zu Boden, suchte hinter seinem Arbeitstisch Deckung. Sobba veränderte die Einstellung seines Strahlers und schoss erneut. Der aus Holz gefertigte Tisch ging in Flammen auf. Ein Schrei.
»Keiner bewegt sich!«, forderte Sobba. Zu spät.
Einer der anderen war ebenfalls bereits bewaffnet und nutzte die Gunst des Augenblicks: Plötzlich stand Sobbas Schulter in Flammen. Eine Welle der Übelkeit jagte durch seinen Körper. Er war getroffen, brüllte seine Pein hinaus, zielte und schoss erneut. Wieder. Und wieder.
Schreie.
Eine Explosion.
Und der heulende Alarm.
Schwarz
18. Januar 1345 NGZ
Die OREON-Kapsel ELLSUNTUR stoppte, ehe sie in das Chaos eindrang.
Viergliedrige Hände huschten über die Sensorfelder. Dunkelgrüne Fingernägel klickten auf den Bedienelementen. Die braunen Punktmuster auf den Handrücken verfärbten sich rötlich, ein Zeichen der Anspannung und der Erregung, die den Lenker der Kapsel im Griff hielt.
Chyndors Nickhäute schnappten zu. Wenigstens einen kurzen, allzu kurzen, Moment der Sammlung wollte er sich angesichts des Schreckens, der auf ihn wartete, gönnen. Nur widerwillig öffnete er nach wenigen Sekunden das Auge.
Die Sensoren der ELLSUNTUR sammelten alle Informationen. Selbst einem erfahrenen Friedensfahrer wie Chyndor fiel es nicht leicht, rasch eine Auswertung vorzunehmen. Zu vielfältig waren die Eindrücke, die auf ihn einstürmten.
Die erste intuitive Einschätzung bestätigte sich. Im Fantamagula-System herrschte blankes Chaos. Dutzende Raumschiffe der Dinath trudelten steuerlos durchs All. Von der Oberfläche des Planeten Dina Baca gingen pausenlos Hilferufe ab.
Doch das war nicht einmal das Schlimmste: Die Dinath beschossen sich gegenseitig. Soeben brach nahe Fantamagula II der Schutzschirm eines Leichten Kreuzers zusammen. Eine Salve schmetterte in den Ringwulst, und das über 100 Meter durchmessende Schiff verging. Formlose Schlackehaufen trieben durchs All.
Chyndor traute seinem Auge nicht. Die Dinath galten seit langem als Helfer und Unterstützervolk der Friedensfahrer. An der ethischen Reife der Lemur-Nachkommen gab es nicht den geringsten Zweifel. Was war die Ursache dafür, dass sie blindwütig aufeinander losgingen? Es hatte keinerlei Anzeichen für einen schwelenden innenpolitischen Konflikt gegeben.
Er nahm Funkkontakt mit den anderen Friedensfahrern in den OREON-Kapseln ILBUR und GOLD DER WÜSTE auf.
»Ich kann nicht länger tatenlos zusehen!« Sein Thonisch, das Idiom, dessen sich alle Friedensfahrer bedienten, klang seltsam verdreht und nasal. Wer ihm zuhörte, musste dies genau tun, um alle Nuancen zu verstehen. Eine Eigenschaft, die Chyndor bisweilen ausnutzte. Schließlich verschaffte ihm andererseits seine Fähigkeit als Para-Charismat wirkungsvoll Aufmerksamkeit, wenn er dies wollte.
Es vergingen einige Sekunden, ehe jemand reagierte. Chyndor war von dem Geschehen so gebannt, dass er nicht einmal wahrnahm, aus welcher Kapsel die Antwort stammte. Die Stimme klang hoch, und ein seltsam vibrierender Unterton begleitete jedes Wort. Siby'an – es musste sein alter Freund Siby'an sein, dem die GOLD DER WÜSTE gehörte. »Es ist Wahnsinn, in das System einzufliegen! Kein Schiff kann dort manövrieren. Wenn du es tust, wirst du …«
»Wenn ich es nicht tue, vergehe ich mich an den Dinath!«
»So wie wir?« In der Frage lag ebenso Anklage wie Schuldbewusstsein.
»Darüber habe ich nicht zu richten. Ihr seid schon einige Zeit vor mir eingetroffen, und ihr habt beobachtet. Auch das war nötig. Wir sind moralisch verpflichtet, den Dinath zu helfen – und nicht nur, weil sie uns seit 450 Jahren beistehen.«
»In das Fantamagula-System einzufliegen kommt einem Selbstmord gleich. Kein Dinath-Raumer bleibt von Ausfällen verschont. Nicht ein einziges Schiff ging auf Überlichtgeschwindigkeit und floh. Stattdessen beschießen sie sich gegenseitig. Wir konnten nichts weiter tun als alle ankommenden Raumer warnen und sie am Einflug hindern.«
»Ich sehe es mit eigenem Auge«, erwiderte Chyndor kühl. Das Muster auf den Handrücken nahm wieder die gewohnte bräunliche Einfärbung an. »Dadurch habt ihr vielen das Leben gerettet. Aber ihr begeht einen Denkfehler. Die Schiffe der Dinath lassen sich nicht mit den Möglichkeiten unserer OREON-Kapseln vergleichen.«
»Vielleicht hast du Recht.«
»Wir werden es sehen. Beobachtet mich, wenn ich die Systemgrenze überquert habe.«
Siby'an widersprach. »Diesen Wunsch werde ich dir nicht erfüllen können, Chyndor, denn ich werde dich mit der GOLD DER WÜSTE begleiten.«
Chyndors schmale, gespaltene Zunge huschte über die Knorpelränder des Mundes. Siby'ans Angebot rührte und erleichterte ihn. Der alte Freund zeigte ebenfalls die Bereitschaft, das Risiko einzugehen. Das war in diesen Zeiten bei weitem nicht selbstverständlich. Unter vielen Friedensfahrern, die nicht gänzlich bereit waren, sich in der von düsteren Anzeichen geprägten Gegenwart entsprechend dem »neuen Kurs« zu betätigen, weil sie darin einen Verrat an den Idealen und der Vergangenheit sahen, machte sich eine gewisse innere Müdigkeit breit. Das Thema Negasphäre lähmte große Teile des Geheimbundes.
Sie brauchten eine Entscheidung für den Kampf gegen die Negasphäre, und das bald.
»Es ist besser, wenn du mit Mas Bathe hier bleibst und beobachtest. Falls meine ELLSUNTUR den im System tobenden Gewalten nicht gewachsen ist, müsst ihr über weitere Schritte nachdenken.«
»Du redest von deinem Tod«, stellte Siby'an tonlos fest. Der summende Unterton verstärkte sich.
»Noch nicht«, versicherte der grünhäutige Humanoide aus dem Volk der Heesorter.
»Du wirst gebraucht. Denk daran, dass du eine Legende unter den Friedensfahrern bist.«
Die Worte weckten unbestimmbare Gefühle in ihm. Einerseits schmeichelten sie ihm, andererseits fragte er sich, ob er tatsächlich unentbehrlicher war als andere. »Wie dem auch sei – ich muss das Geheimnis des Fantamagula-Systems lösen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Dinath gegenseitig ausrotten. Ihr hört die Hilferufe von Dina Baca schon länger als ich. Dort herrschen schreckliche Zustände. Wenn wir nicht eingreifen, werden Tausende sterben.«
Oder Millionen.
Erstmals mischte sich Mas Bathe in das Gespräch ein. Der Olod war einer der jüngsten Friedensfahrer; Chyndor hatte noch nie mit ihm zusammengearbeitet. Ohnehin führten Friedensfahrer ihre Missionen bevorzugt im Alleingang aus. »Offensichtlich beeinflusst etwas nicht nur die Technik der Dinath, sondern auch sie selbst. Sie sind nicht mehr Herren ihres Verstandes.«
Chyndor stimmte zu. »Es muss mit dem havarierten Schiff zusammenhängen.«
Vor wenigen Tagen hatte ein 1793 Lichtjahre entfernter Bahnhof der Friedensfahrer für den Sektor Vollalarm ausgerufen. Die Friedensfahrer im Bahnhof Qoor, benannt nach der Kleingalaxis, in der er sich befand, hatten von der erbitterten Schlacht zweier Raumfahrzeuge unbekannter Natur im Fantamagula-System erfahren. Eine der in Form und Größe unbekannten Einheiten war rückstandslos vernichtet worden – die andere wohl auf Dina Baca notgelandet. Genauere Informationen gab es nicht. Von Dina Baca gingen keine verwertbaren Berichte mehr aus, nur noch automatisierte Hilferufe.
»Ich werde nun aufbrechen«, verkündete Chyndor entschlossen.
»Warte!« Mas Bathe stieß das Wort mit ungewohnter Schärfe aus.
»Was willst du?« Die vier senkrechten Nasenöffnungen weiteten sich. »Es bleibt keine Zeit, um weiter zu diskutieren. Nun müssen Taten sprechen!«
»Mas Bathe hat Recht!«, rief Siby'an. »Du weißt noch nicht alles. Ein unerklärliches Phänomen hält das Fantamagula-System in seinen Klauen. Immer wieder entstehen ohne jedes Vorzeichen Zonen absoluter Schwärze mitten im All.«
»Schwarz-Zonen?«, fragte Chyndor skeptisch.
»Sie sind undurchdringlich für Licht und Ortung. Was sich darin verbirgt, ob sie überhaupt irgendetwas beherbergen, ist noch unklar. Fest steht jedoch, dass …«
Ein deftiger Fluch Mas Bathes unterbrach die Erklärung. »Ein weiteres dieser verdammten Dinger ist eben nahe der Bahn des Planeten Dina Baca entstanden! Durchmesser fast eine Lichtsekunde.«
Chyndors ELLSUNTUR wertete alle eintreffenden Daten aus, während die Reihe der Flüche aus der ILBUR nicht abebbte. Mas Bathe neigte zur Impulsivität, eine der Eigenschaften, die in seinem Volk weit verbreitet waren. Es hieß, die Olod besäßen über tausend Bezeichnungen für ihre Fäkalien, die sie in mindestens ebenso vielen Alltagssituationen zum Besten gaben.
Die OREON-Kapsel konnte nur feststellen, dass sich irgendetwas von annähernd der Größe einer Lichtsekunde dort draußen befand. Ein höchst unbefriedigendes Ergebnis – Schwarz-Zone war insofern ein absolut zutreffender Begriff. Es wirkte, als sei eine völlig lichtundurchlässige Decke ausgebreitet; die dahinter liegenden Sterne waren nicht mehr zu erkennen, weder auf normaloptischem noch auf ortungstechnischem Weg.
»Das Feld bewegt sich auf einen Raumschiffsverband zu.«
Chyndor hatte längst bemerkt, was Siby'an mit tonloser Stimme mitteilte. Acht Leichte und wenigstens ein Dutzend Schwere Kreuzer der Dinath trieben wenige Lichtminuten von der Schwarz-Zone entfernt. Sie feuerten aufeinander, doch bislang hielten die Schutzschirme. Alle Raumer wirkten unversehrt, doch keiner machte Anstalten zu fliehen.
Der Heesorter blieb ruhig. »Ich fürchte, entweder sind die Kommandanten nicht in der Lage, die Gefahr wahrzunehmen, oder sie vermögen nicht zu fliehen, weil ihre Technik defekt ist.«
»Warum auch immer«, rief Mas Bathe, »wir können nicht eingreifen! Wir dürfen es nicht, sonst sind wir selbst verloren.« Seine Stimme brummte nun in tiefen Bass-Tönen, ein Zeichen höchster Erregung. »Wir haben es bereits mit dem LICHT-Generator versucht, doch er entfaltet innerhalb der Systemgrenzen nicht die geringste Wirkung.«
»Ich werde keine überstürzte Aktion starten«, versicherte Chyndor. »Wir sollten beobachten, was geschieht, falls es zu einem Zusammenstoß dieses seltsamen Phänomens mit den Raumern kommt.«
»Nicht falls«, verbesserte Mas Bathe, »sondern wenn. Die Schwarz-Zone bewegt sich auf die Schiffe zu. Nur noch wenige tausend Kilometer Entfernung.«
Die Schwärze umfing die Schiffe. Sie verschwanden aus der Ortung.
»Sie sind drin«, stellte Siby'an nüchtern fest. »Was erleben die Dinath wohl in diesen Augenblicken?«
»Ich bezweifle, dass wir auf diese Frage jemals eine Antwort erhalten werden. Aber wir kennen das Ergebnis.«
Die Schwarz-Zone erlosch ebenso unspektakulär, wie sie entstanden war. Zurück blieb nur die Leere des Alls. Von den Dinath-Kreuzern fehlte jede Spur.
Die Salve der Flüche aus der ILBUR war um einiges schärfer als noch vor wenigen Minuten. »Das Ding hat sie gefressen!«
»Sehr impulsiv ausgedrückt«, meinte Chyndor, »aber es trifft den Kern der Sache. Es ist eine Tragödie!«
»Eine von vielen«, erwiderte Siby'an. Tausende Dinath waren verschwunden – ob sie nun gestorben oder aus dem Standarduniversum entfernt worden waren, war im Augenblick eine rein akademische Frage.
Chyndor glaubte nicht, dass es sich um ein natürliches Phänomen handelte. Doch ehe er darüber nachdenken oder sich mit den anderen Friedensfahrern austauschen konnte, erfuhren die allgegenwärtigen Schrecken des systemweiten Chaos eine weitere Steigerung.
Zwei außerhalb wartende Handelsschiffe der Dinath beschleunigten. Es waren tausend Meter durchmessende Kugelraumer, die damit zu den größten Einheiten der Dinath gehörten.
»Wir brechen die Blockade, die die Friedensfahrer ausgerufen haben«, teilte der Kapitän eines der Handelsraumer mit. »Wir werden dem Sterben unseres Volkes nicht mehr tatenlos zusehen!«
»In das System einzufliegen ist Wahnsinn! Die Blockade dient eurem Schutz! Die Friedensfahrer …«
»Dort drin stirbt unser Volk! Wir müssen helfen! Wir haben eine Hyperetappe tief ins Systeminnere programmiert. Wir werden zwischen Dina Baca und Fantamagula II aus dem Hyperraum stürzen und danach …«
»Danach wird eure Technik versagen, und ihr werdet die Kontrolle über euch verlieren!«
Es kam keine Antwort mehr.
Dieses Mal fluchte Mas Bathe nicht, sondern verschaffte seiner Frustration mit einer sachlichen Bewertung Luft. »Wir können sie nicht aufhalten. Die Blockade, von der er spricht, existiert in Wirklichkeit nicht. Wir haben lediglich darum gebeten, dass kein Schiff einfliegt. Die Autorität eines Friedensfahrers ist offensichtlich angesichts der Katastrophe gebrochen.«
»Die Vernunft steht auf unserer Seite! Wenn die Kapitäne ihren Plan ausführen, bedeutet das den Untergang für die komplette Mannschaft!«
»Wir können sie nicht daran hindern.«
Die gewaltigen Kugelraumer tauchten in den Linearraum ein, Schiffstypen, die samt der verwendeten Technologie schon bei der Flucht ihrer Ahnen aus dem im Krieg brennenden Reich der Lemurer in Gebrauch gewesen waren.
Chyndor schloss erneut Lider und Nickhaut über seinem Auge. Die Hilflosigkeit setzte ihm schwer zu. Es musste einen Weg geben, aktiv in das Geschehen einzugreifen! Bislang hatte er noch immer eine Möglichkeit gefunden, den Frieden wiederherzustellen, und nicht umsonst stand er bereits länger im Dienst der Organisation als fast alle anderen.
Er öffnete das Auge wieder, denn er wusste, dass der Rücksturz der Handelsraumer bevorstand. Die Linearetappe führte nur über wenige Lichtjahre.
Nahezu zeitgleich materialisierten die beiden Kugelschiffe, genau wie angekündigt nahe dem bewohnten Planeten Dina Baca, dem ersten des Systems.
»Gleich werden sie die Kontrolle verlieren«, prophezeite Siby'an.
Er behielt Recht. Die Schiffe flogen nur wenige Sekunden auf parallelem Kurs in Richtung der Hauptwelt des Fantamagula-Systems. Dann bremsten sie mit irrsinnigen Werten ab, gerieten ins Trudeln und eröffneten das Feuer aufeinander.
Chyndor beobachtete schweigend. Nein, so konnte es nicht weitergehen! Er musste seinen Entschluss endlich in die Tat umsetzen und selbst in den betroffenen Bereich einfliegen. Im Gegensatz zu den Dinath-Raumern verfügte er über eine realistische Überlebenschance. Die überlegene Technik der OREON-Kapsel widerstand möglicherweise den Bedingungen im System.
Und wenn nicht … dann würde er es akzeptieren müssen. Er hatte lange genug gekämpft, und die Zeichen der Zeit gefielen ihm gar nicht. Das Wort Negasphäre hing als düstere Bedrohung über seinem Leben und fraß sich wie eine bösartige Geschwulst in seine Gedanken. Eine Negasphäre entsteht in Hangay … Die Vergangenheit holt die Friedensfahrer ein.
»Egal«, flüsterte Chyndor. Er war Friedensfahrer mit Leib und Seele und konnte das Leiden dort draußen nicht einfach so hinnehmen.
»Was meinst du?«, fragte Mas Bathe, der nach wie vor über Funk mit ihm verbunden war.