Cover

Endlich18_Titelei.jpg

Die in diesem Buch geschilderten Handlungen sind fiktiv.

Im verantwortungsbewussten sexuellen Umgang miteinander gelten nach wie vor die Safer-Sex-Regeln.

Inhalt

Je später der Abend

Gesellschaftsbalz

Schattenmann

Bekenntnisse unter Freunden

Eingespieltes Team

Video-Kaiser

Lucas Loch

Nixenjunge Roman

Feierabend im Morgengrauen

Schatten im Licht

Endlich 18!

Über dieses Buch

Impressum

Je später der Abend …

Der Mann stand vor Luca wie ein Fels. Er überragte den Jungen um zwanzig bis dreißig Zentimeter. Luca musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Ein markantes Gesicht war das: volle geschwungene Lippen, dunkler Dreitagebart, leuchtend grüne Augen. Die schwarzen Haare waren bis auf Höhe der dicken Brauen ausrasiert, weiter oben wurden sie länger und verdichteten sich zu einem akkurat gegelten Seitenscheitel. Ihre Gesichter waren so nah beieinander, dass Luca den Atem des Gegenübers schnuppern konnte. Ein mildes Duftgemisch aus Pfefferminz und Rauch entströmte den vollen Lippen, während der Typ mit einem kaum merklichen Lächeln den Kopf zur Seite legte und brummte: »Je später der Abend, desto jünger die Gäste, wie?«

Luca mochte den Unterton in der Stimme des Riesen. In seinen Worten schwang etwas Anzügliches und gleichzeitig Fürsorgliches mit. Verlegen senkte der Junge die Augen. Jetzt war es nicht mehr das markante Gesicht, an dem sein Blick hängenblieb, sondern die Brust des Hünen. Unter gemächlichen Atemzügen hob und senkte sie sich. Der weiße Stoff des Feinrippunterhemds wurde von zwei großen, kräftigen Muskeln gedehnt. An der Stelle der Brustwarzen zeichneten sich harte Spitzen ab. Im Ausschnitt kräuselten sich dunkle Haare. Die breiten, nackten Schultern waren rund und mächtig. Sie gingen in dicke, durchtrainierte Bizepse über. Im Gegenlicht des Kneipenschriftzugs schimmerte die braune Haut in mattem Glanz. Die Unterarme waren kegelförmig, die Gelenke mit breiten, schwarzen Lederarmbändern umwickelt. Dann kamen die Hände, die groß und einsatzbereit zu beiden Seiten der Lenden baumelten. Hinter der Knopfleiste der Jeans wölbte sich eine dicke Beule.

Luca erfasste all das innerhalb weniger Sekunden. Sein eigener Körper reagierte wie ein überempfindlicher Seismograph auf die Nähe des Mannes. Sein Herz raste, sein Atem ging hastig, seine Hände ballten sich unweigerlich zu Fäusten, und in seiner Hose schwoll eine spontane Erektion. Was war los mit ihm? Noch wenige Augenblicke zuvor war er total cool gewesen. Er hatte den Klingelknopf der Bar gedrückt, über deren Eingang in hellblauen Neonbuchstaben der Schriftzug »Maskulin« prangte und an deren schwarzer Tür die Notiz »Men only – Jugendlichen unter 18 Jahren ist der Zutritt verboten« klebte. Natürlich war Luca noch nicht 18. Aber das war ja gerade der Reiz. So wie es vor zwei Jahren der Reiz gewesen war, in Diskotheken reinzukommen, in die man erst ab 16 durfte. Oder sechs Jahre zuvor in Filme, die erst ab zwölf freigegeben waren. Das hatte in der Regel auch geklappt. Der Unterschied bei der heutigen Aktion war allerdings, dass Luca den Vorstoß in verbotene Gefilde nicht im Verbund seiner Kumpels wagte, sondern alleine. Das hatte seine Gründe. Das »Maskulin« war eine stadtbekannte Schwulenbar. Unter Lucas Mitschülern sorgte der Laden zwar für viel Gesprächsstoff, doch auf der anderen Seite waren die meisten sehr darauf bedacht, sich von einer näheren Kenntnis der hiesigen Umtriebe zu distanzieren. Jede Unterhaltung, die sich um »die Schwulenbar« drehte, endete in verklemmtem Gekicher. Und jeder Versuch, ernsthaft zu thematisieren, ob der Laden nun eine Langweilerhöhle oder ein Lasterloch war, scheiterte an dummen Sprüchen. Luca wusste nicht genau, ob die anderen Jungs mit den Albernheiten ihr Interesse oder ihre Unsicherheit überspielen wollten; dafür wusste er genau, dass er selbst sehr wohl neugierig auf das war, was hinter der schwarzen Tür vor sich ging. Deswegen hatte er sich an diesem Samstagabend nach einer Kneipentour mit den Klassenkameraden vorzeitig verabschiedet und war auf eigene Faust zum »Maskulin« gefahren.

Während er sein Fahrrad angeschlossen hatte, hatte Luca aus dem Augenwinkel einen Kerl in dem Laden verschwinden sehen, bei dessen Anblick sein Puls prompt in die Höhe geschnellt war. War das nicht Ben Haller gewesen, der ehemalige Teamchef der Rudermannschaft seiner Schule? Ben hatte im vergangenen Jahr Abi gemacht. Der Sportler war Luca immer wegen seines guten Aussehens und seiner tollen Figur aufgefallen. Besonders wenn er bei Wettkämpfen im engen Rudertrikot aufmarschiert war, hatte Luca – wie viele seiner Mitschüler – Stielaugen bekommen. Konnte es wirklich sein, dass der einstige Schulschwarm gerade im »Maskulin« eingekehrt war? Das musste erforscht werden. Luca war hinterhergespurtet und hatte, ohne weiter darüber nachzudenken, die Klingel gedrückt. Die Tür hatte sich geöffnet, heißer Dunst und das Dröhnen elektronischer Musik waren auf die Straße geweht, dann hatte die unerbittliche Präsenz des Riesen in Feinripp Lucas volle Aufmerksamkeit gefordert. Die dicken Muskeln. Die sinnlichen Lippen. Die Beule im Schritt. Und schließlich der alles entscheidende Satz: »Kann ich mal deinen Ausweis sehen, bitte?«

Lucas Blick schnellte ruckartig vom Schritt des Riesen zurück zu seinem Gesicht. Jetzt musste er locker bleiben und durfte sich keinen Patzer leisten.

»Hab ich nicht dabei«, erwiderte er so selbstsicher, wie es ihm angesichts der riskanten Situation möglich war. Ob der Typ das Zittern in seiner Stimme bemerkt hatte? Egal. Einfach weiterreden: »Nach dem Ausweis bin ich echt lange nicht mehr gefragt worden. Wir sind doch nicht im Kindergarten.«

»Eben«, lautete die Antwort, während der Hüne in aller Ruhe seine muskulösen Arme vor der Brust verschränkte. Noch immer war sein Tonfall nicht unfreundlich, und noch immer umspielte ein Lächeln seinen schönen Mund. Dennoch keimte in Luca unweigerlich die Ahnung auf, dass er mit der dreisten Masche hier nicht weiterkommen würde. Also versuchte er es auf die kumpelhafte Tour.

»Komm, Alter, wo muss man heute denn noch den Ausweis vorzeigen? Oder seid ihr da drin noch nicht Mitglied im Schengen-Raum?«

Jetzt grinste der Muskelmann wirklich. Seine weißen Zähne wurden ebenso sichtbar wie eine kleine Zahnlücke in der Mitte.

»Na, wenigstens scheinst du nicht doof zu sein«, kam es zögerlich. »Aber gesehen hab ich dich hier noch nie. Führerschein?«

»Nee, hab gar kein Portmonee dabei. Du weißt schon, Taschendiebe und so …«

»Taschendiebe, ja, ja …« Die Worte des Hünen klangen gedehnt und nachdenklich. Luca konnte sehen, wie es im Kopf des Gegenübers arbeitete. Die Situation stand auf Messers Schneide. Es war an der Zeit, alles auf eine Karte zu setzen: »Los, lass mich rein. Ich bin da drin verabredet. Mit Ben. Kennst du ihn? Er müsste vor Kurzem hier angekommen sein.«

Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Riese horchte auf, sein Gesicht wurde schlagartig ernst und seine Stirn legte sich in Falten: »Du kennst Ben?«

Luca nickte.

»Woher?«

»Durchs Rudern.«

»Du ruderst?«

Wieder nicken. Der Kraftprotz musterte Luca von oben bis unten. Ob der Typ ihm ansah, dass er in Wirklichkeit nicht mehr ruderte? Konnte eigentlich nicht sein. Lucas Körper war zwar schlank, aber trotzdem durchtrainiert. Seine Schultern waren breit und seine langen Arme kräftig, auch ohne dass er sich dreimal die Woche zwei Stunden im Achter abrackerte. In der achten Klasse hatte er das getan. Damals war er Mitglied des Ruderteams gewesen. Allerdings nur ein halbes Jahr lang. Der Trainer, Herr Gerling, hatte große Stücke auf ihn gehalten. Noch heute sah Luca den nackten Oberkörper des braungebrannten Ruderprofis vor sich und hörte sein aufmunterndes »Du hast es echt drauf, Junge«. Und noch heute spürte er den unerbittlichen Druck, den Gerlings Anblick in seinem Schritt ausgelöst hatte. Luca war damals mittendrin gewesen in der Pubertät. Seine Hormone hatten verrückt gespielt. Und er hatte sogar bei Typen, die mehr Klamotten angehabt hatten und weniger ansehnlich gewesen waren als der Coach, einen Ständer bekommen. Fünfmal am Tag hatte er sich auf dem Klo eingeschlossen und gewichst, hatte Bekanntschaft gemacht mit den Fähigkeiten des dauerdicken Rohrs zwischen seinen Beinen. Er hatte seinem Penis in dieser Zeit regelrecht beim Wachsen zusehen können. Manchmal war Luca fast erschrocken, wenn er sich nackt im Spiegel gesehen und die unproportional dicke Düse samt prall gefülltem Hodensack in seiner Körpermitte betrachtet hatte. Aber der Schreck war stets einer unbezwingbaren Geilheit gewichen. Dann hatte Luca dem zartbraunen Rohr tatsächlich und wortwörtlich zusehen können, wie es wuchs. Wie es anschwoll und hart wurde. Wie sich die glänzende Eichel unter dem Vorhautmantel hervorschob. Wie die weiche Schafthaut sich spannte und blassblaue Erektionsäderchen sichtbar werden ließ. Gleichzeitig hatte der Junge gespürt, wie sich seine harten Eier unerbittlich an den Körper herangezogen hatten. Danach waren meist nur wenige Wichsschübe nötig gewesen, um das Sperma zum Spritzen zu bringen. Jedes Mal war die Erleichterung überfällig gewesen. Und jedes Mal war Lucas übersensibler, schlanker Körper von neuen, ungeahnten Empfindungswellen emporgehoben worden.

Der Junge hatte das genossen, aber ihm war auch klar gewesen, dass derartige Ausbrüche in der Öffentlichkeit unangemessen waren. Viermal hatte er das Intensivtraining mit Herrn Gerling abgebrochen. Die offizielle Begründung hatte jedes Mal gelautet: »Sorry, ich muss mal aufs Klo.« Der wahre Grund für die Unterbrechungen waren jedoch die unbarmherzigen Erektionen gewesen, die Lucas enge Trikothosen zu sprengen drohten, sobald der attraktive Coach sich über ihn gebeugt oder ihm von hinten die richtige Rudertechnik demonstriert hatte. Irgendwann war er einfach nicht mehr zum Training gegangen. Schluss, aus! Es gab wichtigere Dinge zu reißen als die Holme der Ruderstangen. Fünfmal täglich. Und der Gedanke an Herrn Gerlings Body hatte vollkommen ausgereicht, um die Gischt auch ohne Intensivtraining sprühen zu lassen.

Vier Jahre war das jetzt her. Eine Ewigkeit. Herr Gerling hatte das Lehrerkollegium des Gymnasiums inzwischen verlassen und war an eine andere Schule gewechselt. Aber Luca wurde noch immer geil bei dem Gedanken an die Muskeln des Trainers. Hätte er damals vielleicht doch nicht hinschmeißen sollen? Dann hätte er die dicken, leicht behaarten Wölbungen von Gerlings Brustmuskeln vielleicht irgendwann mal berühren und kneten dürfen. Oder er hätte dem Coach einfach mal seine Latte gezeigt und abgewartet, was passierte. Vielleicht hätte er ja sogar irgendwann wirklich Freundschaft mit Rudergott und Schulschwarm Ben Haller geschlossen. Auf jeden Fall hätte er den Hünen im Unterhemd jetzt nicht anlügen müssen. Diesen eigentlich ziemlich sympathischen Typen, der jetzt seine Arme wieder aus der Verschränkung löste, die breite Brust vorstreckte und fragte: »Welcher Verein?«

»Äh …« Luca lag völlig neben der Spur. »Was?«

»Na, in welchem Verein du ruderst?«, wollte der Riese wissen. »Bist du in Bens Team?«

»Äh, nee, im selben Team sind wir nicht. Ich …« Los, Konzentration jetzt. In der Schule fiel Luca doch auch immer irgendeine Pseudoweisheit ein, mit der er im Unterricht über seine Unwissenheit hinwegtäuschen konnte. Was gab es denn für Rudervereine in der Stadt? Und in welchem war Ben Mitglied? Keine Ahnung. Also improvisieren: »Nee, ich würde eher sagen, Ben und ich sind eigentlich Gegner.«

»Welcher Verein, du Spaßvogel?«

»SC Regatta«, entfuhr es Luca plötzlich wie auf Knopfdruck. Er schwitzte. Die Nacht war schwül und sein T-Shirt klebte am Körper. Sein Schwanz zuckte im Rhythmus der geilen Erinnerungen und des spannungsgeladenen Frage-Antwort-Spiels mit dem Türsteher immer ungestümer in seiner Hose vor und zurück. Zum Glück konnte Luca mit solchen Situationen inzwischen besser umgehen als noch vor vier Jahren. SC Regatta! Genial. Solche Gedankenblitze liebte Luca. Das Team gab es nämlich wirklich. Luca kam jeden Tag auf dem Weg zur Schule am Vereinsheim der Truppe vorbei. Die Situation war gerettet. Oder auch nicht …

Die Miene des Hünen verfinsterte sich. Für einen Augenblick schien er zu überlegen, dann meinte er lauernd: »SC Regatta?«

»Was dagegen?«, erwiderte Luca frech.

»Nö, gar nicht.«

»Gut, dann darf ich jetzt endlich rein, okay?«

Luca ging in die Offensive und versuchte sich wie selbstverständlich an dem Schrank vorbeizuquetschen. Die Nähe zu dem durchtrainierten, warmen Körper, den kräftigen Armen und der Wölbung hinter der Knopfleiste ließ seine eigene Beule im Schritt ruckartig weiter anschwellen. Seine Eier kochten. Er war auf Angriff gepolt. Doch der Wächter der Festung namens »Maskulin« ließ sich nicht so einfach überrumpeln. Sanft aber bestimmt schob er den Jungen zurück.

»Was willst du denn noch von mir?«, blaffte Luca und besann sich auf eine der wenigen Lehren, die ihm aus seiner Ruderkarriere im Gedächtnis geblieben waren. »Soll ich dir vielleicht noch den Unterschied zwischen Scullen und Riemenrudern erklären?«

»Nicht nötig, ich bin im Bilde«, lautete die verschmitzte Antwort.

»Dann sitzen wir ja im Prinzip im gleichen Boot, oder?« Luca fand sich ziemlich schlagfertig. »Los, lass mich durch.«

Er wagte einen neuen Vorstoß, der diesmal direkt von dem starken Arm des Riesen abgeblockt wurde.

»Noch einmal«, brummte der Typ. »Hast du einen Ausweis oder nicht?«

»Noch einmal«, grinste Luca. »Nein.«

Wieder öffnete sich der Mund des Hünen zu einem amüsierten Grinsen, das die geile Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen entblößte. Lucas Knie wurden ganz weich bei diesem Anblick. Er musste jetzt dringend da rein. Um sich eine Abkühlung zu genehmigen. Oder um auf der Toilette zu wichsen. Oder beides. Hauptsache, Druck ablassen. Allerdings dämmerte ihm allmählich, dass sein Vorhaben zumindest heute Nacht nicht von Erfolg gekrönt sein würde. Intuitiv spürte er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Nur welchen, das war ihm bislang nicht klar.

»Du ruderst wirklich beim SC Regatta?«

»Für die Nationalmannschaft hat’s bisher leider nicht gereicht.«

Wieder ein Lachen. Ein kerniges Lachen, bei dem der Adamsapfel des Riesen auf- und abtanzte. Inzwischen erinnerte die ganze Situation Luca an das Intensivtraining bei Herrn Gerling. Sie war einerseits total heiß, andererseits waren ihm die Hände gebunden.

»Du lügst so lustig, dass ich dich allein dafür gerne reinlassen würde«, gluckste der Türsteher.

»Dann mach doch!« Jetzt klang Lucas Stimme nicht mehr fordernd, sondern nur noch flehend.

»Mein Problem ist nur, dass ich mich nicht gern verarschen lasse«, brummte der Muskelmann. »Und da ich selber beim SC Regatta rudere, kenne ich die Mitglieder dort ziemlich gut. Ben zählt übrigens auch dazu. Aber dich habe ich dort noch kein einziges Mal trainieren sehen. Ich kann mir also zusammenreimen, dass du weder ein Freund von Ben, noch wirklich 18 bist.«

Dazu fiel Luca nichts mehr ein. Er senkte nur noch den Blick und glotzte auf die weiße Kante des Unterhemdes, die sich über den Brustmuskeln spannte. Mit den Augen tastete er die glatte, braune Haut zwischen Hals und Stoffkante ab und zählte die gestutzten schwarzen Haare, die sich über dem Saum kräuselten. Dieser Kerl machte dem Laden, den er bewachte, wirklich Ehre. Maskulin – ja, das passte zu ihm. Und Luca fand das wunderbar. Auch wenn er den Typen gern gehasst hätte. Weil er keine Lust hatte, sich von ihm geschlagen zu geben. Und weil er keine Lust hatte, wie ein geprügelter Hund vom Hof zu kriechen. Und weil es unwürdig war, jetzt einfach nur aufs Fahrrad zu steigen und die kochenden Eier in den Sattel zu schwingen, ohne in irgendeiner Form Dampf abgelassen zu haben. Noch einmal hob er den Kopf und sah dem schönen Riesen in die Augen.

»Du bist ein hartnäckiger Fall, wie?«, brummte der Türsteher.

Luca nickte.

»Dann verrat mir doch mal, was du überhaupt mit Ben am Hut hast.«

Nun war es Luca, der grinsen musste. Er spürte, dass er mit seiner Notlüge über die Bekanntschaft zu Ben Haller einen wunden Punkt bei seinem Gegenüber getroffen hatte. Welchen? Das würde er noch herausfinden müssen. Aber nicht heute Nacht. Luca straffte sich, zwang sich ein letztes Mal, seine Erektion im Zaum zu halten, drehte sich auf dem Absatz um und nuschelte: »Das erzähle ich dir, wenn ich meinen Ausweis geholt habe.«

Mit dieser beiläufigen Bemerkung war das Duell unentschieden ausgegangen. Zwar mochte Luca sein Ziel verfehlt haben, ins »Maskulin« reinzukommen, aber auf der anderen Seite hatte er dem Widersacher ganz offensichtlich einen Dämpfer versetzt. Irgendwann würde er diese Schwäche für sich zu nutzen wissen. Und sei es nur für eine späte Rache, nachdem er wirklich 18 geworden war. Bis dahin war es schließlich nur noch zwei Monate hin. Mit lässigen Schritten schlenderte der Junge zu seinem Fahrrad, beugte sich hinunter und schob den Schlüssel ins Schloss. Luca wusste genau, dass der Riese ihn von hinten beobachtete. Er spürte förmlich die fragenden Blicke auf seinem Hinterkopf. An seinem Rücken. An seinem Arsch. Wieder durchzuckte ein Erektionsschub seinen schlanken Körper. Doch Luca würde sich den Abgang nicht von seinen ungezügelten Hormonen kaputtmachen lassen. In aller Seelenruhe befestigte er das Schloss an der Sattelstange. Dann drehte er sich noch einmal um. Sein Blick traf direkt hinein in die wachen, beinahe verletzlich leuchtenden Augen des Türstehers.

»Wir sehen uns«, murmelte Luca eigentlich viel zu leise, als dass der andere ihn hätte hören können. Doch der verstand auch so und nickte sanft. Oder war das gar kein Nicken, sondern nur ein zustimmendes Funkeln in seinem Blick? Egal. Luca schwang sich in den Sattel und radelte davon. Seine Eier brodelten. Es war höchste Zeit, sich endlich Erleichterung zu verschaffen.

Gesellschaftsbalz

Luca flog die Straße hinunter. Die Reifen seines Mountainbikes surrten leise, während sie über den aufgeheizten Asphalt rollten. Die warme Luft der Sommernacht rauschte in den Ohren. Im Gegenwind flatterte das verschwitzte T-Shirt am Oberkörper. Der feuchte Stoff peitschte Lucas zarte Haut. Die damit verbundene Abkühlung ließ seine Brustwarzen hart werden. Gleichzeitig fuhren in seinem Kopf die Gedanken Karussell. Wie konnte er herausfinden, welches Geheimnis den heißen Türsteher und Ben Haller verband? Und wie würde er die Schmach an der »Maskulin«-Tür wettmachen können? Und warum machte ihn die ganze Geschichte überhaupt so verrückt? Wenn er früher an einer Kinokasse oder Diskothekentür abgewiesen worden war, hatte er sich einfach geschlagen gegeben, nicht weiter darüber nachgedacht und die Kontrolleure zu Idioten erklärt. Das gelang ihm in diesem Fall nicht. Er wollte sich nicht geschlagen geben. Weil der Besuch der Schwulenbar kein reines Nervenkitzel-Experiment, sondern eine Angelegenheit wirklichen Interesses gewesen war. Auch seine Gedanken konnte er nicht einfach ausschalten. Weil ihn jetzt noch mehr als zuvor wurmte, was hinter der schwarzen Tür los war und was genau er sich eigentlich selbst von einem Besuch der Bar versprochen hatte. Ebensowenig gelang es ihm, den Türsteher zum Idioten zu erklären. Weil der ja eigentlich nur seinen Job gemacht hatte. Und weil er irgendwie ganz nett gewesen war. Und weil er so geil ausgesehen hatte. Der Gedanke an die behaarte Brust, die großen Muskeln und die geile Zahnlücke trieb Luca aus dem Sattel. Er hörte auf zu treten und ließ sich im Stand die Straße hinunterrollen. Ein Luftstoß brauste zwischen seinen Beinen hindurch. Es kam ihm vor, als würde er den warmen Hauch sogar durch den dicken Stoff seiner Jeans an den Eiern spüren. Lange würde er der Hitze in seinem Schritt nicht mehr Einhalt gebieten können.

Zum Glück war es nicht mehr weit bis zum Stadtpark. Dort war es um diese Zeit dunkel und menschenleer, und Luca würde ungestört Druck ablassen können. Als Kind hatte er sich in dem verwinkelten Stadtgarten einmal hoffnungslos verlaufen. Inzwischen war ihm nicht mehr klar, wie er das damals hinbekommen hatte. Von der Fläche her war die Anlage eigentlich nicht besonders groß. Sie täuschte lediglich durch ein geschickt angelegtes Labyrinth aus Büschen und Pfaden Opulenz vor. Heute kannte Luca sich dort gut aus. Mit seinem besten Freund Roman traf er sich manchmal nach der Schule im Stadtpark, um in dem kleinen Pavillon am Ententeich Bier zu trinken. Dann genossen sie die Ungestörtheit des Ortes, an den sich nur selten Spaziergänger oder Rentner beim Gassigehen mit ihren Hunden verirrten. Dort konnte man rumbrüllen, die Enten ärgern oder Musik hören, ohne dass sich jemand beschwerte. Und wenn die Jungen Druck hatten, verzogen sie sich einfach zwischen die steinernen Säulen des Pavillons, holten ihre Schwänze raus und wichsten. Luca konnte sich noch genau an den Nachmittag erinnern, an dem das zum ersten Mal passiert war. Vor einem Dreivierteljahr war das gewesen. An einem sonnigen Septembertag kurz vor den Herbstferien. Luca hatte gerade eine Sechs in Biologie bekommen und Schiss gehabt, sie seinen Eltern zu beichten. Also hatte er unter einem Vorwand zu Hause angerufen und behauptet, er müsse länger in der Schule bleiben. In Wirklichkeit hatte er sich mit Roman getroffen.

Die beiden besuchten unterschiedliche Schulen. Roman eine Gesamtschule in der Stadt, Luca ein Gymnasium am Stadtrand. Bis zur neunten Klasse waren sie in dieselbe Klasse gegangen, doch dann hatten sich Romans Eltern scheiden lassen, und er war mit seiner Mutter in eine Wohnung ins Zentrum gezogen. Anschließend hatten sich die Jungen für eine Weile aus den Augen verloren, dann aber im letzten Sommer zufällig wieder getroffen und spontan verabredet. Bei dieser Verabredung hatte sich herausgestellt, dass sie mehr denn je auf einer Wellenlänge lagen. Sie standen beide auf elektronische Musik. Sie tranken beide gerne Bier. Und sie konnten beide nicht viel mit dem oberflächlichen Getue ihrer Altersgenossen anfangen. Roman war weniger hochnäsig als die meisten von Lucas Klassenkameraden. Er war auf eine handfeste Art und Weise reif. Das mochte Luca an ihm. Und er spürte, dass diese Wertschätzung auf Gegenseitigkeit beruhte. So gaben sie ein perfektes Team ab, obwohl sie auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Typen waren.

Luca hatte glatte, halblange, blonde Haare, war mittelgroß, schlank und trug meist Baseballcap und Turnschuhe. Dadurch dass er viel schwamm und Fahrrad fuhr, waren sowohl seine Oberarme als auch seine Ober- und Unterschenkel mit kompakten Muskelwölbungen ausgestattet. Seine Haut hatte einen natürlichen Bronze-Teint. Das hatte den Effekt, dass sich die goldenen Härchen auf Armen und Beinen hell gegen den Untergrund abzeichneten, was besonders im Sonnenlicht sexy aussah. Roman dagegen hatte dunkles, gelocktes Haar, das er im Nacken kurz schor und auf der Schädeldecke wild wuchern ließ. Manchmal knotete er die lockige Tolle mit einem Gummiband zum Zopf, meist blieb sie aber unter den Kappen seiner schwarzen Kapuzenpullover verborgen. Roman war groß und dünn, sein Gesicht fein geschnitten. Trotzdem wirkte er nicht schlaksig. Das lag an seiner aufrechten Haltung und seinem kräftigen, drahtigen Körper, den er mit Basketballspielen fit hielt. Seine helle Haut kontrastierte mit seinen schwarzen Haaren und den großen, tiefbraunen Augen. Ansonsten waren seine Markenzeichen schwarze Stiefel und eine Schlüsselkette, die stets zwischen Hosentasche und Gürtelleiste baumelte und bei jeder Gelegenheit klapperte. Optisch waren die beiden Freunde also ein eher ungleiches Paar. Trotzdem hingen sie so oft wie irgend möglich miteinander ab. Auch wenn die Zeit zwischen Schule, Training und Romans Aushilfsjob in einer Videothek stets knapp war.

Als sie nun an jenem Septembernachmittag vor einem Dreivierteljahr im Stadtpark Bier trinkend auf der Rückenlehne der Bank am Ententeich gehockt hatten, waren sie bei der Diskussion über die Biologie-Sechs vom Schnattern einer Gruppe Erpel abgelenkt worden. Aufgeregt hatten die Tiere auf dem Teich die Federn gespreizt und die Hälse auf- und niedergesenkt, bis Luca irgendwann gefragt hatte: »Meine Fresse, was ist denn mit denen los?«

»Na, was wohl?«, hatte Roman geantwortet, ohne den Blick von den aufgebrachten Tieren zu lösen. »Die sind rallig.«

»Zu dieser Jahreszeit? Ist die Paarungszeit nicht längst vorbei?«

»Wie man’s nimmt«, hatte Roman gegrinst. »Die fangen schon wieder an. Gesellschaftsbalz nennt sich das.«

»Oje, was kommt denn jetzt? Willst du mir ein schlechtes Gewissen machen?«

»Hä? Wieso?«

»Nach dem Motto: Bio-Sechs trifft Bio-Ass?«

Roman hatte laut aufgelacht und Luca halb spaßig, halb mitleidig über den Kopf gestreichelt.

»Ach Quatsch, so war’s nicht gemeint. Ich beobachte die Viecher hier einfach schon seit ein paar Jahren. Die machen jeden Herbst auf Gruppenporno.«