John Paul Lederach

Vom Konflikt
zur Versöhnung

Kühn träumen – pragmatisch handeln

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Eva Weyandt

Zu diesem Buch

Täglich werden wir mit Konflikten und ihren Folgen konfrontiert. Auf persönlicher wie auf politischer Ebene. Familie, Nachbarschaft, Arbeitsplatz, Kirche und Gemeinde – es gibt keine Umgebung, die gegen Konflikte immun wäre. Und Kriege und Auseinandersetzungen, die eigentlich weit weg scheinen, kommen uns durch Flüchtlinge ganz nahe. Was bedeutet es, Jesus praktisch nachzufolgen, der Menschen mit Gott und untereinander versöhnt, der uns als Botschafter seines Friedens in die Welt sendet? Wie können Christen in dieser turbulenten Welt ihrem Auftrag gerecht werden?

John Paul Lederach hilft uns, Konflikte besser zu verstehen. Und er ermutigt mit spannenden Erlebnisberichten und einem umfangreichen Praxisteil zu konkreten Schritten auf dem Weg zur Versöhnung – dem Weg zur Freiheit.

Stimmen zu diesem Buch

„Dieses Buch könnte die Welt verändern. Zerrüttete Ehe? Lesen Sie Vom Konflikt zur Versöhnung. Familienstreitigkeiten? Lesen Sie Vom Konflikt zur Versöhnung. Gemeindespaltung? Lesen Sie Vom Konflikt zur Versöhnung. Kriegführende Länder? Ganz ehrlich: Wenn es möglich wäre, die Führer der Welt so lange einzusperren, bis sie Vom Konflikt zur Versöhnung gelesen haben, wäre die Welt von Grund auf verändert.“

Bill und Lynne Hybels im Vorwort

„Ein hochgradig bewegendes und inspirierendes Buch! John Paul Lederachs Ruf an alle, die sich mit Versöhnung beschäftigen, ‚kühn zu träumen und mit enthusiastischem Pragmatismus‘ zu handeln, in dem er uns mit biblischen Werkzeugen und praktischen Empfehlungen ausrüstet, sollte von Pastoren, Studierenden und vor allem von Praktikern beherzigt werden.“

Piet Meiring, emer. Theologie-Professor der University of Pretoria, Mitarbeiter der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission

„So ein gutes Buch, leicht lesbar! Während ich mir zwar Sorgen mache über die Kriege und Konflikte, von denen ich in den Nachrichten lese, bin ich doch, wie die meisten Menschen, noch stärker mit meinen eigenen Beziehungen und den daraus sich ergebenden Konflikten beschäftigt. Dieses Buch ist für beides gut.

Leserrezension

„Selten hat mich ein Buch so hoffnungsvoll gestimmt, dass Versöhnung wirklich möglich ist - egal ob im Großen oder Kleinen. Egal ob zwischen Ländern, Nachbarn oder Familienmitgliedern. Lederach verbindet anschaulich Erfahrungen aus seiner langjährigen Arbeit mit theologischer Reflexion. Ein Buch, das jeder lesen sollte, der sich nach mehr Frieden sehnt.“

Karsten Hüttmann, 1. Vorsitzender Christival
(Leiter des Referats für missionarisch-programmatische Arbeit im CVJM-Gesamtver-band in Deutschland e. V.)

Über den Autor

John Paul Lederach, Jahrgang 1955, engagiert sich seit mehr als 30 Jahren in der internationalen Versöhnungsarbeit. Der promovierte Soziologe entwickelte ein Trainingsprogramm zur Konflikttransformation und bietet auf fünf Kontinenten direkte Mediation und Unterstützung bei Versöhnungsbemühungen in Konfliktregionen mit besonders gewalttätigen Auseinandersetzungen an. Lederach war als Berater höchster Regierungsvertreter und nationaler Oppositionsbewegungen in vom Krieg erschütterten Ländern wie Nicaragua, Somalia, Nordirland, Kolumbien, Nepal und auf den Philippinen tätig.

Als Professor für International Peacebuilding und Direktor des Kroc Institute for International Peace Studies an der Universität von Notre Dame ist der Friedensforscher Mitbegründer des Center for Justice and Peacebuilding an der Eastern Mennonite University in Harrisonburg in Virginia. Er ist Autor von 22 Büchern und Handbüchern und zahlreicher akademischer Artikel und Monografien zu Friedenserziehung, Konflikttransformation und Mediationstraining. Lederachs Bücher wurden in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt, und er ist als Redner, Berater und Mediationstrainer international gefragt: an den Universitäten Oxford und Harvard ebenso wie in Barcelona, Uppsala, Lillehammer oder Kopenhagen. John Paul Lederach wurde bereits vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit zwei Ehrendoktortiteln.

Lederach teilt seine Zeit zwischen Indiana und Colorado auf. Er ist verheiratet mit Wendy S. Liechty. Das Ehepaar hat zwei Kinder, Angie und Josh.

Der Verlag dankt dem ComPax Institut für Konfliktttransformation für die Unterstützung bei der Herausgabe dieses Buches

www.compax.org

Inhalt

Zu diesem Buch

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Über den Autor

Impressum

Vorwort von Bill und Lynne Hybels

Einleitung

Geschichten am Wegrand der Straße zur Versöhnung

Versöhnung in den Vordergrund rücken

Kapitel 1: Gefahr für mein einziges Kind

Opfer für einen Feind

Frieden: Eine utopische Fantasie oder ein biblischer Traum?

Träumen

Auf ein biblisches Verständnis hin

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 2: Sich dem Angesicht Gottes zuwenden: Jakob und Esau

In den Konflikt hineingeboren

Den Segen weitergeben

Die Abwendung

Die Zuwendung

Die Begegnung

Die Umarmung

Versöhnung als Reise

Versöhnung als Begegnung

Versöhnung als Ort

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 3: Die Kunst der Versöhnung: Jesus

Jesus und die Kunst des Präsentseins

Liebe deinen Nächsten: Menschlichkeit wahrnehmen

Liebe dich selbst: Selbstreflexion und Selbstfürsorge

Liebe Gott: Begleitung

Jesus missbrauchen

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 4: Im Anfang war der Konflikt: Schöpfung

Schöpfungsversprechen

Die Menschen: Eine dynamische Mischung

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 5: Wenn der Konflikt tobt und wir um Hilfe schreien: Die Psalmen

Da ist der Gringo – schnappt ihn euch!

Der Colonel

Passen Sie auf, gegen wen oder was sich Ihr Hass richtet

Der Schrei des Psalmisten

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 6: Wahrheit, Gnade, Gerechtigkeit und Friede: Psalm 85

Schwester Wahrheit, Bruder Gnade

Die Versammlung

Raum für alle, Gehör zu finden

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 7: Wo zwei oder drei zusammenkommen: Matthäus 18

Praktische Richtlinien

Schritt 1: Direkter Ansatz

Fragen an uns selbst

Schritt 2: Beteiligung von einem oder zwei Zeugen

Schritt 3: Der Gemeinde mitteilen

Schritt 4: Beziehung pflegen wie mit einem Zöllner

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 8: Schweigen und Zuhören: Apostelgeschichte 15

Prinzipien und Schritte für den Umgang mit einem Konflikt

Zuhören: Die geistliche Dimension des Konflikts

Auswirkungen für Gemeinden

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 9: Versöhnung ist das Evangelium: Die Briefe des Paulus

Der Zweck des Auftrags Gottes

Alle Dinge kommen zusammen

Eine neue Menschheit

Versöhnung statt Reinheit

Echte Sühne

Pedritos Traum

Sam Does Traum

Der Traum von Versöhnung

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Praxisteil

I. Hilfen zum Verständnis eines Konflikts

Zwischenmenschliche Konflikte

Gemeindekonflikte

Globale Konflikte

II. Materialien für Gottesdienste

Gebete

Theaterstück zu Psalm 85

Literatur

Christliche Organisationen und Gemeinschaften

Mehr aus dem Neufeld Verlag:
Dem anderen als Mensch begegnen

Mehr aus dem Neufeld Verlag:
Mit fremden Freunden leben

Mehr aus dem Neufeld Verlag:
Eine Kultur des Friedens

Mehr aus dem Neufeld Verlag:
Von Liebe und Widerstand

Über den Verlag

Wendy und ich widmen dieses Buch unseren Eltern

John M. und Naomi K. Lederach
und Omer und Mary Liechty,

denen wir Unterstützung, Orientierung und Liebe

für die lebenslange Glaubensreise verdanken.

Vorwort von Bill und Lynne Hybels

In meiner Predigt am 8. Dezember 2013 habe ich (Bill) behauptet, eines Tages würden B1-Bomber ausschließlich dazu eingesetzt werden, um nach einem Tsunami oder Erdbeben Nahrungsmittel und Notfallversorgungsgüter in die Katastrophengebiete zu bringen. Flugzeugträger würden in schwimmende Lazarette umgewandelt, in denen Flüchtlinge und andere bedürftige Menschen Hilfe fänden, und die gebündelten Militärausgaben aller Länder der Welt würden dazu verwandt, das Leben zu verbessern, und nicht den Tod zu vermehren.

Meine auf die heutige Zeit übertragene Auslegung von Jesajas großer Vision, in der Schwerter zu Pflugscharen geschmiedet werden, fand die Zustimmung meiner Gemeinde. In unseren Herzen feierten wir gemeinsam einen Tag in der Zukunft, wenn Realität wird, was in der Bibel zu lesen ist: »Keine Nation wird mehr gegen eine andere ziehen und sie werden nicht mehr lernen Krieg zu führen« (Jesaja 2,4). Der Tag, an dem Kriegskameraden zu Friedenskameraden werden. Der Tag, an dem die größten und kreativsten Denker mit Menschen, die reinen Herzens sind, zusammenarbeiten werden – strategisch, mutig und auf Dauer, um Frieden zu schaffen. In der bedeutendsten Predigt aller Zeiten sagt Jesus: »Selig sind die Friedfertigen« (Matthäus 5,9). Und wir sind der Meinung, das hat er ernst gemeint!

Doch die Welt scheint noch nicht gleichgezogen zu haben. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind, wie Lederach ausführt, 236 aktive Kriege in 150 Ländern zu verzeichnen. Millionen Menschen haben dadurch ihr Leben verloren. Ich (Lynne) bin vor Kurzem aus Jordanien zurückgekehrt. Dort erzählten mir syrische Flüchtlinge von Tod und unvorstellbarer Gewalt. »In Syrien gibt es keine Kinder mehr«, sagte eine Frau. »Sogar ein Vierjähriger kann Krieg und Brutalität beschreiben. Das ist keine Kindheit.« Dieser Krieg und viele andere sind immer noch im Gange.

Leider sind die meisten amerikanischen Evangelikalen schneller geneigt, für den Krieg zu stimmen, als sich für den Frieden einzusetzen. Das soll nicht als Anklage verstanden werden, sondern als ein Eingeständnis. Seit vier Jahrzehnten hat Gott uns nun schon Leitungsverantwortung in christlichen Gemeinden anvertraut. Aber erst in den vergangenen Jahren haben wir unsere Augen, unseren Geist und unsere Herzen geöffnet für die Aufforderung in der Bibel, Frieden zu stiften und sich für Versöhnung einzusetzen. Gott, vergib uns.

Abgesehen von dem klaren biblischen Auftrag, »den Weg des Friedens zu finden« (Lukas 19,42), gibt es noch andere, sehr pragmatische Gründe, die uns veranlassen, uns für den Frieden einzusetzen. Die zerstörerischen Auswirkungen von Krieg sind uns nicht unbekannt. Zusammen mit vielen amerikanischen Gemeinden engagieren wir uns zunehmend für betroffene Menschen auf der ganzen Welt. Wir sind zur Barmherzigkeit und gerechtem Handeln aufgerufen, und darum unterstützen wir einheimische Christen vor Ort, die sich in ihrer Gemeinschaft als Hände und Füße Christi gebrauchen lassen – und wir freuen uns über das, was sie erreicht haben! Leider mussten wir viel zu häufig auch miterleben, wie das, was sie erreicht hatten, durch gewaltsame Auseinandersetzungen wieder zunichte gemacht wurde. Der Krieg macht vor nichts halt. Er zerstört die Infrastruktur eines ganzen Landes, und selbst kleine Kinder fallen ihm zum Opfer. Wenn uns die betroffenen Menschen in der Welt am Herzen liegen, dann müssen wir uns für den Frieden einsetzen.

Als wir beschlossen, uns näher mit der Kunst des Friedenstiftens zu beschäftigen, stießen wir immer und immer wieder auf einen Namen: John Paul Lederach. Wir begannen also, Lederach zu lesen. Und lasen weiter Lederach. Und lesen ihn noch immer. Und wir raten Ihnen: Lesen Sie Lederach!

Aber Vorsicht! Obwohl sich dieses Buch an der Bibel orientiert und viele praktische Hinweise gibt, ist es gefährlich. Es wird Ihr Leben durcheinander bringen. Nicht weil darin von Ihnen gefordert wird, durch die Welt zu reisen und sich mit Feinden zusammenzusetzen, wie John Paul Lederach es tut. Vielleicht ist das Ihr Auftrag, aber das ist nicht, was Ihnen zu schaffen machen wird. Durcheinanderbringen wird Sie, dass Sie sich den Kriegen in Ihrem eigenen Herzen werden stellen müssen, Ihren eigenen zwiespältigen Einstellungen und Verhaltensweisen, Ihren eigenen unversöhnten Beziehungen. Wenn Sie Lederachs Eingeständnis lesen, dass er fähig ist, »sich schnell und mühelos Feinde zu schaffen«, werden Sie sich eingestehen müssen: »Ich auch, ich auch, ich auch«. Und glauben Sie uns: Es tut weh, sich einer solchen Erkenntnis stellen zu müssen.

Aber es ist ein Schmerz, der zu Heilung und Veränderung führt. Lederach lädt uns ein, »uns Gott und einander« zuzuwenden, und er zeigt uns, wie das möglich wird.

Dieses Buch könnte die Welt verändern. Zerrüttete Ehe? Lesen Sie Vom Konflikt zur Versöhnung. Familienstreitigkeiten? Lesen Sie Vom Konflikt zur Versöhnung. Gemeindespaltung? Lesen Sie Vom Konflikt zur Versöhnung. Kriegführende Länder? Ganz ehrlich, wenn es möglich wäre, die Führer der Welt so lange einzusperren, bis sie Vom Konflikt zur Versöhnung gelesen haben, wäre die Welt von Grund auf verändert. Sie hätte ein bisschen mehr Ähnlichkeit mit dem Reich Gottes.

Lederach hat das Auge und die Stimme eines Propheten. Er erkennt sogar unsichtbare Realitäten und macht uns Mut, einen heiligen Traum zu leben. Wir laden Sie ein, sich uns anzuschließen und sich – wie wir – sein Bemühen zu eigen zu machen, sich für Gottes Werk der Versöhnung zu engagieren.

Bill und Lynne Hybels,

Mitgründer der Willow Creek Community Church

Einleitung

In den vergangenen 30 Jahren hatte ich Gelegenheit, an unterschiedlichen Orten auf der ganzen Welt tätig zu sein, oft in Ländern, die von Kriegen und Konflikten zerrissen waren. Meine Bemühungen um Frieden haben mich nach Kolumbien und Zentralamerika, Somalia, Kenia, Äthiopien und in Teile Westafrikas geführt, ins Baskenland, nach Nordirland, auf die Philippinen, nach Burma und Nepal. Ich werde häufig an den Klassiker von Chinua Achebe erinnert. Unter dem Titel Alles zerfällt beschrieb Achebe die gewaltigen Veränderungen, die sein Heimatland Nigeria in den frühen Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts zu verkraften hatte. Es scheint, als lebten wir in einer Zeit, in der vieles zerbricht. Nicht nur Völkerstaaten brechen auseinander, wir erleben auch verstärkt das Aufflackern von ethnischen und religiösen Konflikten.

Morgens habe ich beinahe Angst, die Zeitung aufzuschlagen und zu lesen, was sich am Vortag zugetragen hat. Angesichts dieser Realitäten in unserer Welt muss man schon blind sein oder Nerven wie Drahtseile haben, um über Versöhnung zu schreiben. Vielleicht braucht man aber auch nur Glauben und Hoffnung.

Wenn ich von meiner Arbeit erzähle, bei der es um Versöhnung und Frieden geht, weiß ich nicht so genau, wie ich die Herausforderungen beschreiben soll, die diese Arbeit an uns stellt, oder die tiefe Zufriedenheit, die ich dabei empfinde. Ich möchte auch die theologischen Grundlagen aufzeigen, die einem Engagement in diesem Bereich zu Grunde liegen. Bevor ich bei einer Zusammenkunft ans Rednerpult trat, gab mir meine Tochter Angie den besten Rat, den ich seit Langem erhalten hatte: »Daddy, erzähle einfach nur Geschichten und vergiss alles andere!«

In diesem Buch soll es um die Herausforderungen des realen Lebens gehen und um das Verständnis von Versöhnung in unserer heutigen Welt. Das werde ich anhand von Erlebnissen und Geschichten herausarbeiten. Geschichten sind etwas anderes als Definitionen, Exegesen und theoretische Erklärungen. Sie können an die Stelle einer Person treten, eines Menschen, mit dem wir interagieren und von dem wir lernen, einer Person, mit der wir uns auseinandersetzen und der wir widersprechen oder die uns bestätigt und herausfordert. Geschichten erreichen unsere Herzen und unseren Verstand. In der Mediation und der Konflikttransformation nehmen wir häufig Geschichten zur Hilfe. Geschichten zu erzählen und anzuhören, ist notwendig. Davon sind wir überzeugt. Wir bemühen uns, einen Raum zu schaffen, in dem die Erlebnisse, die durch die Geschichten der Menschen zum Ausdruck kommen, wertgeschätzt werden.

Geschichten am Wegrand der Straße zur Versöhnung

Als Mediator, der sich mit extrem schwierigen, schmerzlichen und häufig von Gewalt geprägten Situationen konfrontiert sieht, habe ich festgestellt, dass Geschichten wie Seelengefährten sind, mit denen wir umherziehen. Gelegentlich geraten wir aneinander, doch meistens sind wir Seite an Seite unterwegs. Manchmal eröffnen sich mir in einer Geschichte, auch wenn ich sie in- und auswendig kenne, neue Erkenntnisse, Gefühle, Herausforderungen und Trost. In Geschichten finde ich mich selbst. Und eine Verbundenheit mit anderen.

Ein Konflikt lässt sich ebenfalls mit einer Reise vergleichen. Wir reden davon, dass wir uns in einen Schlamassel, ein Problem oder eine »dumme Situation« hinein- und auch wieder herausmanövrieren. Wir versuchen herauszufinden, »wo wir stehen« in Bezug auf ein Thema, oder wo jemand mit einer verrückten Idee »hin will«. In unserem Sprachgebrauch reden wir von einer Reise. In einem Konflikt erkennen wir uns selbst und andere mehr als bei jeder anderen Erfahrung unseres Lebens auf eine ganz neue und tief gehende Weise, und wir trachten danach, Wahrheit und Liebe in uns wieder herzustellen. Wenn wir uns die Mühe machen, über die Worte und Konfliktthemen hinauszuschauen, sehen wir Gott.

Tief greifende Konflikte sind sehr schmerzlich und aufreibend. Schlimmstenfalls sind sie mit Gewalt behaftet und zerstörerisch. Doch gleichzeitig ermöglichen sie überaus intensive geistliche Begegnungen, wie wir sie selten erleben können. Ein Konflikt eröffnet einen Weg, einen heiligen Weg, zu Offenbarung und Versöhnung.

In diesem Buch geht es um Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich auf diesem heiligen Weg sammeln konnte. Es sind Erlebnisse von meiner Reise zur Versöhnung. Ich werde Geschichten erzählen, die ich gehört oder selbst erlebt habe und aus denen ich immer noch neue Erkenntnisse gewinne, wann immer ich sie weitergebe. Diese Erzählungen sind wie ein Fenster auf Konflikt und Versöhnung.

Meine persönliche Geschichte ist die eines Gläubigen, eines Friedenstifters und Mediators, eines Soziologen, Lehrers und eines stets Lernenden. In diesem Buch tue ich nicht so, als würde ich eine ausgefeilte soziologische Theorie der Versöhnung entwickeln oder ein Handbuch für den Umgang mit Konflikten schreiben. Mir geht es um etwas ganz anderes. Ich möchte die geistlichen Grundlagen für meine Arbeit als einer, der sich beruflich und wissenschaftlich mit dem Friedenstiften beschäftigt, erforschen. Mit Ihnen zusammen möchte ich meine Einstellung zu den Herausforderungen meiner Arbeit und den geistlichen Dimensionen überprüfen, die mich motivieren und mir Kraft zum Durchhalten geben.

Versöhnung in den Vordergrund rücken

Die erste Ausgabe dieses Buches verfasste ich vor mehr als fünfzehn Jahren, und meine Leser kamen in erster Linie aus den täuferischen Gemeinden, zu denen auch ich gehöre. Die Täuferbewegung, zu der sich die Mennoniten, die Amischen, die Brethren in Christ und Gemeinschaften zählen, die zu den Glaubenstraditionen der Brethren in Christ gehören, entstand während der Reformation und existiert in einer Vielzahl von Formen bis auf den heutigen Tag. Die Mitglieder der täuferischen Glaubenstraditionen praktizieren die Erwachsenentaufe, befürworten einen einfachen Lebensstil, den Dienst am Mitmenschen und eine pazifistische Orientierung in Bezug auf die Heiligkeit des Lebens als zentralen Inhalt des Evangeliums. Natürlich werden diese Werte nicht nur bei den Täufern hoch gehalten, und ich entdecke bei mir auch den Einfluss von Lehrern und Mentoren aus der Quäker-Tradition. In täuferischen Glaubensgemeinschaften nehmen sie jedoch einen hohen Stellenwert ein. Diese Menschen des Glaubens haben in mir den Wunsch geweckt, mich um den Frieden zu bemühen, und mir einen Kompass für meine Reise mitgegeben. Ich bin ihnen verpflichtet.

Seit jener ersten Fassung dieses Buches hat sich jedoch das Interesse an Frieden und Versöhnung als Kernelemente des Evangeliums Christi über die täuferische Bewegung hinaus verbreitet. Auch wenn für viele evangelikale, protestantische und katholische Großkirchen das Bemühen um Frieden lange Zeit ein zentrales Element ihres Glaubens war, so hat sich in den vergangenen Jahren dieses Bemühen in den protestantischen und katholischen Kirchen noch verstärkt. Und wir können feststellen, dass die Friedensbemühungen auch in anderen religiösen Traditionen, die nicht zum christlichen Glauben gehören, intensiver erforscht werden. Doch ich hoffe, dass die Gedanken, Geschichten und Überlegungen in dieser überarbeiteten Fassung eine Vielzahl von Menschen ansprechen werden, die eine tiefe Sehnsucht empfinden und eine Berufung, die aus der vom Glauben inspirierten Reise entspringt.

Einige Worte des Dankes sind angebracht. Ich bin dankbar für die Beiträge anderer, die diese Ausgabe des Buches abrunden. Mein Dank gilt den Mitarbeitenden des Lektorats und der Marketingabteilung von Herald Press, die sich für eine Neuauflage dieses Buches eingesetzt und es während des Entstehungsprozesses bis zur Veröffentlichung begleitet haben.

Ich wünsche mir, dass die Leser durch die hier erzählten Geschichten Heilung finden und Eingang in die Beloved Community, wie Martin Luther King sie nannte, indem sie sich der unschönen Herausforderung der Konflikttransformation stellen und sich um den Frieden bemühen. Durch dieses Buch hoffe ich, meine Überzeugungen transparent zu machen und in einen Dialog einzutreten, in erster Linie mit den Angehörigen des christlichen Glaubens.

Wenn wir den Auftrag, uns um Versöhnung zu bemühen, annehmen wollen, müssen wir kühne Träume haben und uns gleichzeitig mit einem begeisterten Pragmatismus an die Arbeit machen, um diese Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Wir stehen vor der Herausforderung, uns selbst mit der zentralen Vision der versöhnenden Gegenwart Gottes und seines Wirkens in der Geschichte der Menschen in Einklang zu bringen.

John Paul Lederach