Frankfurter Liebespaare
Welch eine schwere Kunst ist die Liebe!
Wer kann sie verstehen?
Und wer muß ihr nicht folgen?
Silke Wustmann, »Frankfurter Liebespaare«, 3. Auflage 2012
© 2009 B3 Verlag, Norbert Rojan, Markgrafenstraße 12, 60487 Frankfurt
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Umschlag-Motiv: Maria Wilhelmine von Gillé geborene Nestlé und
Wilhelm Isaak von Gillé: Ölgemälde von Caroline Bardua (zugeschrieben), 1830, Historisches Museum Frankfurt
Layout, Satz und Umschlag: Fagott, Ffm
Gesetzt aus der Unit und der Elzevir
Druck und Weiterverarbeitung: KLARdruck, Marktheidenfeld
ISBN 978-3-938783-13-9
Romantisches und Tragisches aus
1200 Jahren Stadtgeschichte
Liebesgeschichten sind immer in ihrer Zeit verankert und sollten daher möglichst mit den Augen der Zeitgenossen betrachtet werden; zugleich haben sie aber etwas Ewig-Gültiges. All die kleinen Strohfeuer und großen Gefühle, die eingebildeten und tatsächlichen Affären, die glücklichen und traurigen Momente, von denen hier die Rede sein wird, sind für den Leser nichts wirklich Neues. Und doch hat jede Liebe ihre ganz eigene Dramaturgie, die sie einzigartig sein lässt.
Die Auswahl der Episoden erfolgte völlig subjektiv und erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es ging mir darum, bekannte und weniger bekannte Paare zu versammeln, deren Liebe einen eindeutigen Frankfurt-Bezug haben musste. Zugegeben, der ist nicht bei allen gleich stark ausgeprägt, aber unsere Stadt ist in jedem Fall für eine gewisse Dauer Ort der Handlung gewesen.
Die Quellenlage zu den einzelnen Geschichten ist sehr unterschiedlich. Je kürzer sie zurückliegen, desto besser sind sie naturgemäß dokumentiert. Als besonders ergiebig erwies sich das ausgehende 18. und das gesamte 19. Jahrhundert, weil sich das Briefeschreiben damals großer Beliebtheit erfreute. Um niemandem zu nahe zu treten, wurden die Beziehungen noch lebender oder kürzlich verstorbener Personen nicht berücksichtigt.
Auf eine chronologische Reihenfolge der Liebschaften habe ich verzichtet und sie stattdessen in verschiedenen thematischen Kapiteln zusammengefasst. Dabei ergeben sich immer wieder interessante und reizvolle Überschneidungen.
Der Begriff »Liebespaare« im Titel dieses Buches ist übrigens nicht ganz unproblematisch. Manche »Paare« sind im eigentlichen Sinne gar keine gewesen, weil sie aus unterschiedlichen Gründen nicht zueinanderfanden, und die Intensität ihrer »Liebe« war graduell durchaus unterschiedlich, zumal man nicht vergessen darf, dass wir von Liebe und Ehe heute ganz andere Vorstellungen haben als die Menschen vergangener Epochen.
Das um 1830 gemalte Frankfurter Ehepaar von Gillé auf unserem Titelbild verkörpert das seit der Romantik existierende Ideal besonders schön. Hier wird die Liebe gleichrangiger Partner perfekt in Szene gesetzt: Die Gesichter sind heiter, die Körperhaltung zeugt von Harmonie und liebevoller Verbundenheit, die durch die Rose noch zusätzlich betont wird. Für alle Frankfurt-Fans sei kurz darauf hingewiesen, dass im Hintergrund die Silhouette der Stadt zu erkennen ist.
Bevor Frankfurt zur Freien Reichsstadt wurde, war die Abhängigkeit seiner Einwohner vom König in vielen Belangen noch groß, wobei es natürlich – je nach gesellschaftlichem Stand – graduelle Unterschiede gab. Die wohlhabenden Kaufleute, die sich im Lauf der Jahrhunderte am Main angesiedelt hatten und aus denen sich das Patriziat, also die politische und wirtschaftliche Elite, herausbilden sollte, waren bis ins hohe Mittelalter rechtlich gesehen unfreie Dienstleute des Königs. Tatsächlich arbeiteten sie aber langsam und stetig daran, diese Unfreiheit abzuschütteln. Das glückte ihnen auch recht gut und sie konnten in vielen Belangen schon vergleichsweise frei agieren, weil der Herrscher meist weit entfernt war und auf die Frankfurter keinen großen Einfluss mehr ausüben konnte.
Allerdings gab es einen Bereich, da war die königliche Macht auch in unserer Stadt noch ungebrochen: Wollte einer seiner Ministerialen, das heißt der waffenführenden Dienstleute, die ihn begleiteten und aus denen sich später das Rittertum und der niedere Adel entwickelten, heiraten und erwählte sich eine hiesige Jungfrau, brauchte er weder ihr Einverständnis noch die Erlaubnis ihrer Eltern. Stattdessen bat er einfach seinen Herrn um die Hand dieser Frankfurterin und der informierte dann ohne Umschweife die Eltern über die bevorstehende Heirat ihrer Tochter. Leider erfüllten die Könige diesbezügliche Wünsche mit schöner Regelmäßigkeit! Auf diese Art und Weise verlor Frankfurt eine stattliche Zahl an Bürgertöchtern, die ihren Männern unfreiwilligerweise folgten mussten. Selbst vermögende Familien hatten sich zu fügen und konnten sich nicht dagegen wehren, dabei waren natürlich gerade sie besonders stark betroffen. Die Ministerialen begehrten nämlich üblicherweise deren Töchter und nicht die der einfachen und armen Leute! Da die Mitgift der Mädchen, zu der die Eltern ja verpflichtet waren, ein für alle Mal verloren war, sobald das frisch gebackene Ehepaar die Stadt verließ, bedeutete das für sie erhebliche finanzielle Einbußen – ein Argument, das für manchen Vater sicher schwerer wog als die desolate emotionale Verfassung seines Kindes …
Es bestand also in Frankfurt größtes Interesse daran, diesen alten Brauch endlich abzuschaffen, aber es bedurfte dafür eines konkreten Anlasses und einer besonderen Persönlichkeit. Beides kam im Jahr 1232 zusammen. Der Frankfurter Johann von Goldstein hatte eine schöne Tochter, Gertrud mit Namen, die ihm lieb und teuer war. Deswegen traf es ihn besonders hart, als sich eines Tages der königliche Marschall vor dem Goldsteiner Hof am Großen Kornmarkt einfand und ohne jede Vorwarnung laut verkündete: »Höret zu, ihr Herren überall, / was gebeut [gebietet] der König und Marschall. / Was er gebeut, und das muß sein: / Hier ruf ich aus: XYZ [bedauerlicherweise ist der dreiste Höfling uns nicht namentlich bekannt] mit Johann von Goldsteins Töchterlein, / Heut zum Lehen, morgen zur Ehen, / Über ein Jahr zu einem Paar.« In derart rücksichtsvoller Manier wurden die zukünftige Braut und ihre Eltern von der bevorstehenden Vermählung unterrichtet. Man könnte fast sagen: Brautentführung einmal anders!
Doch Johann war nicht gewillt, sich so einfach in sein Schicksal zu ergeben. Schließlich stammte er aus einer der führenden Frankfurter Familien, verfügte als Edelsteinhändler über immensen Reichtum und genoss in seiner Heimatstadt als langjähriger Schöffe höchstes Ansehen. Nicht zuletzt besaß er beste Kontakte zum staufischen Hof, sogar zu Kaiser Friedrich II. selbst, an dessen Kreuzzug er 1228 – vermutlich als Financier – teilgenommen hatte. Und dann kam ihm auch noch der Zufall zu Hilfe. 1232 befand sich Friedrichs Sohn, König Heinrich (VII.), gerade in Frankfurt, der sich der Stadt immer sehr wohlgesonnen gezeigt hatte. Goldstein wurde bei dem Herrscher vorstellig und schaffte es tatsächlich, ihn von dem Anachronismus der Regelung zu überzeugen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass eine nicht unbeträchtliche »Handsalbe«, wie man Bestechungsgelder damals blumig umschrieb, dieser Einsicht nachgeholfen hat.
Heinrich erließ jedenfalls wenig später von Nürnberg aus ein entsprechendes Privileg, durch das nicht nur Gertrud aus ihrem Zwangsverlöbnis befreit wurde, sondern ganz allgemein das Recht des Königs, die Frauen der ihm untertanen Wetterauer Städte Frankfurt, Wetzlar, Friedberg und Gelnhausen ungefragt mit höfischen Bediensteten verehelichen zu können, abgeschafft wurde. Von nun an wollte der Herrscher sich in dieser Angelegenheit auf eine einfache Fürbitte beschränken. 1240 bestätigte Heinrichs Bruder Konrad IV. diese Urkunde noch einmal ausdrücklich nur für Frankfurt. In letzter Konsequenz war sie ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Stadt zur Emanzipation vom König und zu politischer Selbständigkeit, denn ihre Bürger hatten so ein weiteres Stück persönlicher Freiheit erlangt.
Auch wenn Johann von Goldstein ursprünglich nur für den eigenen Herd gekämpft und gar nicht unbedingt das »Gemeinwohl« im Auge hatte, können alle Frankfurter Liebespaare ihm heute noch zutiefst dankbar sein. Eigentlich hätte er mit Fug und Recht ein eigenes Denkmal verdient.
Liebesbriefe sind sicherlich eine der schönsten »literarischen« Gattungen überhaupt. Da die Kunst des Lesens und Schreibens die längste Zeit der Menschheitsgeschichte nur von einem vergleichsweise kleinen Kreis von zumeist männlichen Eingeweihten beherrscht wurde, gibt es aus früheren Epochen auch nur wenige überlieferte Beispiele. Im 19. Jahrhundert dagegen war diese Fähigkeit schon sehr viel stärker verbreitet und das Verfassen von Briefen eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Entsprechend ergiebig ist hier die Quellenlage.
Viele unserer Paare haben sich geschrieben; sind ihre Ergüsse noch erhalten, haben sie – in Auszügen, versteht sich – auch Eingang in dieses Buch gefunden. Im folgenden Kapitel werden nun aber drei Paare vorgestellt, deren Schriftverkehr in einer ganz bestimmten Hinsicht außergewöhnlich ist.
Den Anfang machen die ältesten uns bekannten Liebesbriefe Frankfurts. Sie werden heute im Institut für Stadtgeschichte aufbewahrt und stammen aus dem Jahr 1598.
Ein Jahr zuvor war die erst vierunddreißigjährige Margarete Rohrbach, Tochter eines reichen Frankfurter Weinhändlers, nach achtzehnjähriger Ehe mit dem Patrizier Johann Adolf von Glauburg gestorben. Der Witwer, einundvierzig Jahre alt, stand nun mit sieben teilweise noch recht kleinen Kindern ganz allein da. Es war daher unerlässlich, dass er nach Ablauf des Trauerjahrs sofort wieder auf Brautschau ging.
Die Sache hatte nur einen Haken: Er war überzeugter Calvinist, während der überwiegende Teil der Frankfurter Bevölkerung ja dem lutherischen Glauben anhing; also kamen in der Heimat nur wenige Frauen in Betracht. Die Suche musste auf auswärtige Gefilde ausgedehnt werden. Geschäftspartner aus nah und fern wurden angeschrieben, ob sie nicht eine geeignete Kandidatin wüssten. Auf diese Weise wurde der Heiratswillige neben anderen auch auf Ursula Freher aus Nürnberg aufmerksam gemacht. Die jüngste Tochter des dortigen Stadtsyndikus und Kurpfälzischen Rates, des Advokaten Dr. Marquard Freher, war ein reizendes und hübsches Mädchen von siebzehn Jahren. Dem Glauburger gefielen diese ersten Informationen und so ließ er den Frehers ausrichten, es bestünde seinerseits Interesse; dabei verriet der Vermittler aber noch nicht seine Identität, sondern beschrieb ihn bloß als einen »stattlichen, reichen, ansehnlichen Mann, Witwer, von vornehmem Geschlecht, aus einer freien Stadt, nicht auf Geldheirat angewiesen bei 80.000 Gulden Vermögen, der reformierten Religion zugetan und willens, nur eine Frau dieses Bekenntnisses zu heiraten«. Das klingt doch fast wie eine heutige Heiratsanzeige, finden Sie nicht auch!? Aus Nürnberg wurde am 10. Juli 1598 grünes Licht für eine Werbung gegeben, doch der umsichtige Frankfurter Junker ließ erst noch weitere Erkundigungen einziehen. Es stellte sich heraus, dass an der Jungfer »kein Mangel an Ehr, Tugend oder Geschlecht« zu finden wäre.
Endlich zufriedengestellt, schwang sich der Patrizier am 28. August selbst aufs Pferd und ritt nach Nürnberg, wo er bei seinem Bekannten Georg Gruberer wohnen konnte. Der hatte alles schon perfekt eingefädelt: Unter dem Vorwand, eine Nachricht ihrer Eltern auszurichten, kam Ursula wenig später mit einer Magd in seinem Haus vorbei. Bei diesem »zufälligen« Aufeinandertreffen konnten sich beide auf unverfängliche Art kurz in Augenschein nehmen. Hätte man sich nicht gefallen, wäre es einfach bei diesem Nachbarschaftsbesuch geblieben. Da man sich aber sympathisch war, konnte die nächste Verhandlungsrunde eingeläutet werden. Noch am selben Abend hielt Johann Adolf um Ursulas Hand an. Die Eltern stimmten zu und der gut präparierte Frankfurter steckte seiner frisch gebackenen Verlobten einen Diamantring an den Finger. An den nächsten beiden Tagen wurden die geschäftlichen Seiten der Verbindung geregelt, der Hochzeitstermin festgelegt und ein feierliches Abendessen ausgerichtet, bei dem Glauburg seine zukünftige Verwandtschaft kennenlernte. Erst danach fand die Feier des »offenen Handschlags«, also die offizielle Verlobungsfeier, statt. Nürnbergs High Society war bei der Zeremonie im Freher’schen Haus »Zum Goldenen Schild« anwesend. Zuerst las der Brautvater vor, dass der »edle und ehrenfeste Junker Johann Adolf von Glauburg aus Frankfurt am Main die ehren- und tugendreiche Jungfrau Ursula Freherin als sein eheliches Gespons« heimzuführen wünsche; dann reichte er dem zukünftigen Schwiegersohn die rechte Hand, der schlug ein, und alle Anwesenden beglückwünschten die beiden. Nachdem alles unter Dach und Fach war, durften auch Ursula und die anderen Frauen den Saal betreten. Der guten Ordnung halber wurde Ursula nun öffentlich gefragt, ob »sie auch ihren Willen darin« gäbe. Das tat sie. Was wäre ihr auch anderes übrig geblieben?
Am 9. September traf Glauburg wieder in Frankfurt ein und begann sofort mit den Hochzeitsvorbereitungen. Aus seinen akribischen Haushaltsaufzeichnungen, die er mit seiner ersten Eheschließung begonnen hatte und bis an sein Lebensende weiterführte, kennen wir jedes noch so kleine Geschenk, mit dem alle nur irgendwie an der Feier Beteiligten bedacht wurden. Seiner Braut schickte er bestes Tuch – Atlas, Damast und Seide – für das Hochzeitskleid. Ursula nutzte die Verlobungszeit traditionsgemäß zur Anfertigung der Aussteuer, aber auch noch zu etwas anderem: Sie schrieb ihrem Bräutigam. Schließlich wohnten die beiden ja weit voneinander entfernt und konnten nur so in Kontakt bleiben.
Vier ihrer Briefe aus den Monaten September und Oktober 1598 überdauerten die Zeit, drei davon besitzen wir noch im Original. Sie sind in einem ganz unbefangenen und herzerfrischenden Plauderton geschrieben. Da heißt es beispielsweise, als ihr einmal die Nachrichten ausgehen: »Hertzlieber Juncker, ich weis Euch auff dismall nichts mer zu schreiben; ich bit Euch gar freindlich, Ir wollt mit dem elenten Schreiben verlieb nehmen. Es ist in der Eill zu gangen. Ein ander mall will ichs besser machen.«
Schon die Anrede »Herzlieber Junker«, die sie in allen vier Schreiben verwendet, ist so unglaublich charmant!
Den weitaus größten Teil ihrer Erörterungen betreffen organisatorische Details im Zusammenhang mit der Heirat. Zum Beispiel antwortet sie auf die Bitte Glauburgs um ihre präzisen Maße für ein Kleid, das er ihr der Sitte gemäß zu offerieren hat: »Schick Euch hiemit Eurem Begeren nach ein Mas meiner schenen Leng; wir haben nichts zugeben, sunder wie das Mensch ist, so ist auch das Mas. Hoff, man soll mich, wils Gott, balt sehen, wie lang und schen ich bin.« Wie goldig sie darauf besteht, bei ihren Angaben nicht gemogelt zu haben, weil sie das gar nicht nötig habe! Sie liefert noch viele ähnlich amüsante Statements. Schade dass seine Briefe nicht erhalten sind. Man wüsste doch gar zu gern, wie er auf solche Koketterien reagiert hat.
Daneben gibt es aber auch kurze und sehr rührende Passagen, in denen sie von ihren Gefühlen spricht: »Herzlieber Juncker, aus Eurem Schreiben verstehe ich so vill, als nemlich das Ir gern vor der Hochzeit noch ein mall wolt herauff kumen; so es geschehen mocht, wer es gewißlich meiner gresten Freidt eine und wurden sich alle die Meinigen (niemande auß genumen) herzlich erfreien. Ich will dis mall nicht darumb bitten, sunder der Hoffnung und Zuversicht sein, so es werde geschehen können, wert es der Juncker an ihm nicht ermangeln lassen, sunder mich armen verlassene ein mall besuchen, darauff ich dan mit Verlangen wartt.« Diese Zeilen vom 10. Oktober enden mit den Worten »Eur getreye im – so lang ich leb«. Ursula malt hier tatsächlich ein Herz, anstatt das Wort auszuschreiben!
Leider wurde ihre Hoffnung auf ein Wiedersehen vor der Hochzeit enttäuscht, denn in einem späteren Brief heißt es: »Ferner auß Eurem Schreiben vernim ich, das es nit sein kann, das Ir noch vor der Hochzeit hie auff kumpt; das haben wir nit gern geheret, bin gar nit zufrieden, hab gentzlich vermeint, Ir wert kumen, hab mich auch hertzlich gefreidt, bin auch offt an das Fenster geloffen, wan ich etwas hab heren reiden oder faren, nun ist es alles vergebens gewesen.« Über das Bild von Pferdegetrappel und Peitschenknall zeigt sie hier ganz deutlich ihre Verliebtheit und Sehnsucht. Und je näher die Vermählung heranrückte, desto größer wurde beides, oder wie sonst ist es zu erklären, dass sie unter den letzten Brief gleich zwei Herzchen eng nebeneinander kringelt?
Jetzt aber genug der Romantik, zurück zu den Fakten. Durch das minutiös geführte Ausgabenbuch des Bräutigams sind wir über alle Einzelheiten der Hochzeit genauestens informiert. Die zwölfköpfige Nürnberger Hochzeitsgesellschaft wurde am 12. November 1598 von Johann Adolf und seinem Gefolge in Oberrad mit festlichem Gepränge empfangen. Von dort an gab man ihnen das Geleit, das aus siebzig Pferden und vielen Trommlern und Trompetern bestand, bis in die Stadt. Es folgten viertägige Hochzeitsfeierlichkeiten, die an Pomp kaum zu überbieten waren. Am eigentlichen Tag der Vemählung, dem 13. November, zog ein spektakulärer Hochzeitszug, bestehend aus je hunderteinundvierzig Herren und Damen, zur Barfüßerkirche. Dabei wurde die traditionelle Rangordnung exakt eingehalten: An der Spitze der Herren liefen der Bräutigam, sein Stiefvater und der Schwiegervater, dahinter die männlichen Gäste in absteigender Reihe ihres Standes und zuletzt die Junggesellen; dann kamen die Frauen dran, zunächst die Jungfrauen, dann die weiblichen Gäste in aufsteigender Reihe ihres Standes, zum Schluss die Brautmutter und Ursula selbst. Insgesamt trennten das Paar also zweihundertachtzig Personen! Nach der Trauung begab sich die Gesellschaft in die Geschlechterstube des Hauses »Alt-Limpurg« auf den Römerberg zu einem überaus üppigen Festessen. Um die damals gültige Polizeiordnung zu umgehen, die pro Mahl nicht mehr als drei Gänge gestattete, reichte man einfach zu jedem Gang so viele verschiedene Speisen, dass letzten Endes trotzdem zehn komplette Gerichte serviert worden waren. Dazu wurde selbstverständlich ein guter Trunk kredenzt. Das Ganze wurde von zahlreichen Musik-, Schauspiel- und Poesieeinlagen begleitet.
»Buchhalter« Glauburg listete nicht nur die eingegangenen Hochzeitsgeschenke Punkt für Punkt auf, sondern auch die Unkosten für die Verköstigung von circa sechshundert Gästen. Die Summe war enorm. An Hunger und Durst musste während dieser prunkvollen Festivitäten wirklich niemand leiden. Liebe geht eben doch durch den Magen!
Über die Ehe selbst gibt es deutlich weniger zu berichten. Sie scheint glücklich verlaufen zu sein. Das Ehepaar lebte im Junghof, der an der heutigen Junghofstraße lag. Der Junker widmete sich als Privatier der Verwaltung seines riesigen Vermögens, während seine Frau das große Haus führte, die Stiefkinder erzog, ihrem Mann fünf eigene Kinder schenkte und am 11. Dezember 1610 im Alter von dreißig Jahren an den Folgen der letzten Entbindung starb. Sie wurde auf dem Peterskirchhof, neben der ersten Frau von Glauburg, bestattet. Nur ein Jahr später gesellte sich dann Johann Adolf zu seinen Gattinnen.
Im zweiten Teil dieses Kapitels geht es um eine Beziehung, die man getrost als Hassliebe bezeichnen kann. Unter dem Titel »Requiem für eine romantische Frau« hat der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger nicht nur die Briefe von Clemens Brentano und Auguste Bußmann, sondern auch die aus ihrem gesamten Umfeld zusammengetragen. Es gab eigentlich niemanden aus ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis, der sich nicht zu einer Stellungnahme in dieser Angelegenheit bemüßigt gefühlt hätte. Insgesamt über zweihundert Schreiben vermitteln einen einzigartigen Einblick in das Auf und Ab einer kurzen und ungestümen Verbindung. Leider sind Clemens’ Mitteilungen an Auguste verloren gegangen, aber an ihren Reaktionen lässt sich der Inhalt meist sehr gut erschließen.
Als unsere Protagonisten einander im Jahr 1807 näherkamen, waren sie beide in der Liebe kein unbeschriebenes Blatt mehr.
Clemens Wenzel Maria Brentano, neunundzwanzig Jahre alt, aus der berühmten und wohlhabenden Frankfurter Kaufmannsfamilie Brentano stammend, hatte sich nach mehreren angefangenen und nicht zu Ende gebrachten Studiengängen auf die Schriftstellerei verlegt. Zusammen mit seinem ehemaligen Kommilitonen und besten Freund Achim von Arnim veröffentlichte er die Volksliedersammlung »Des Knaben Wunderhorn«, wodurch beide zu den Hauptvertretern der sogenannten Heidelberger Romantik wurden. 1803 hatte er Sophie Mereau geborene Schubart geheiratet. Die Familie war entsetzt. Nicht nur dass Sophie acht Jahre älter war als Clemens, sie war auch noch geschieden, alleinerziehende Mutter und als Autorin und Übersetzerin tätig. Man hatte in die Hochzeit erst eingewilligt, als sich ihre Schwangerschaft herausgestellt hatte. Das Zusammenleben zwischen der selbstbewussten Frau und dem besitzergreifenden Dichter beschrieb Sophie selbst einmal einer Freundin als »Himmel und Hölle«, wobei die Hölle vorherrschend wäre. Diese Worte sollten auch in geradezu erschütternder Weise auf Clemens’ zweite Ehe zutreffen, wie Sie gleich erfahren werden. Sophie jedenfalls war ihrem Mann zuliebe dreimal schwanger; die ersten beiden Babys starben kurz nach der Geburt, das dritte kam 1806 tot zur Welt und kurz darauf, noch im Wochenbett, verschied auch Sophie. Sie wurde sechsunddreißig Jahre alt. Die Trauer des Witwers soll herzzerreißend gewesen sein.
Magdalena Margarete Auguste Bußmann, geboren am 1. Januar 1791, war die Tochter von Johann Jakob Bußmann und seiner Frau Marie Elisabeth geborene Bethmann. Ihr Vater starb schon früh und ihre Mutter gab sie nach ihrer zweiten Eheschließung in die Obhut des Bankiers Simon Moritz von Bethmann. Der Onkel, einer der reichsten Männer Europas, wurde Augustes Vormund und ließ ihr in seinem Haus eine ausgezeichnete Bildung angedeihen. 1806 verliebte sie sich in einen königlich-holländischen Adjutanten, der sich für kurze Zeit in Frankfurt aufhielt. Um die heiß ersehnte Verlobung gegen alle familiären Einwände doch noch zu erreichen, warf sie sich in einer theatralischen Szene der Königin von Holland zu Füßen – mit Erfolg. Kurz darauf war sie versprochen.
Es war der 22. Juli 1807. In Frankfurt wurde ein feierlicher Triumphmarsch zu Ehren Napoleons abgehalten. Clemens Brentano stand mit einigen Begleitern am Palais Thurn und Taxis und schaute dem Treiben zu. Was dann geschah, stellt sich aus seiner Erinnerung folgendermaßen dar: »Äußerlich ganz still, sanft und sinnig ja tiefsinnig erscheinend, entsetzlich verständig sprechend, entschloßen wie ein Mann, jungfräulich schüchtern wie eine Nonne, wirft sich mir Auguste (…) mit erschrecklicher Gewalt, nach einigen poetischen Galanterien, die ich ihr, von all ihren Umständen ununterrichtet, gemacht, an den Hals.« Der arme Mann! Das unschuldige Opfer einer ganz und gar »erschrecklichen« Attacke! Im gleichen Brief an Achim von Arnim heißt es weiter: »Ihr Betragen ist so toll zärtlich und Aufsehen erregend daß alles auf uns sieht, ich stehe wie am Pranger, mit unaussprechlicher Angst und trauriger Empfindung, war mir es nur eine dunkle Empfindung, daß die Arme die mich öffentlich umschlangen mir wirklich ein Halseisen werden könnten.« Er hatte also damals eigentlich schon geahnt, wie alles enden würde. Na ja, hinterher ist man eben immer schlauer.
Als das junge Mädchen diesen öffentlichen Skandal provozierte, um ihrem Wunsch einer Beziehung mit Clemens Nachdruck zu verleihen, war sie eigentlich ja noch verlobt und hatte den angebeteten Mann erst ein paar Mal gesehen. Sie war fasziniert von seinem südländischen Äußeren, den schwarzen Locken und den dunklen Augen, und natürlich von seinem Nimbus als Dichter. Bettine Brentano, Clemens’ Schwester, konnte dagegen Augustes Äußerem nicht viel abgewinnen: »So viel kann ich Ihnen sagen, daß sie nur sechzehn Jahre alt ist, mir kein angenehmes Antlitz hat, denn es hat keine straffen Züge, sondern vielmehr etwas angeschwollen.«
Clemens mag in diese Affäre, bei der Auguste die Zügel in der Hand hielt, hineingestolpert sein, so unangenehm, wie er es aus der Rückschau aussehen lassen wollte, war sie ihm aber keineswegs. Er fühlte sich anfangs sehr stark von dem temperamentvollen Fräulein angezogen. Am 24. Juli berichtete die Schwester Meline Brentano an Friedrich Karl von Savigny: »Clemens ist wütend in die Auguste verliebt und sie auch in ihn, vergißt ihren Offizier. Dies gibt auch eine Geschichte.« Das kann man wohl sagen, denn die Reaktion beider Familien darauf lässt sich leicht erraten! Es hagelte Vorwürfe. Also war noch einmal die Initiative Augustes gefragt, die als »Regisseurin« dieser Liebesburleske noch so einiges in petto hatte: Sie erzählte Clemens, dass man sie wegen ihres Betragens ins Kloster stecken wollte, und überredete ihn, auf der Stelle mit ihr aus der Stadt zu flüchten. Beide fanden zunächst Unterschlupf bei Brentanos Schwager Karl Jordis in Kassel. In Frankfurt war man nun verständlicherweise in hellem Aufruhr. »Clemens hat die Bußmann entführt. Diesen Morgen haben wir es entdeckt«, meldete Meline am 28. Juli aufgeregt Savigny. Anfangs stand Clemens noch zu dem gemeinsamen Entschluss, wie seine Rechtfertigung bei Jordis zeigt: »Diese Flucht selbst war von so unendlicher Raschheit, und so unvermuthet, als die heftige Liebe, die uns zwang, sie vor Umständen zu ergreifen, von welchen wir uns sehr wenig, ja kaum Hoffnung machen konnten, je glücklich vereinigt zu werden.« Später sprach er dann selbst von einer »Entführung«, allerdings hätte nicht er Auguste entführt, sondern umgekehrt.
Die Familien fühlten sich kompromittiert und drängten auf eine schnelle Heirat, um noch mehr unnötiges Aufsehen zu vermeiden. Bethmann, von seinem Pflegekind unendlich enttäuscht, adressiert sein Schreiben vom 3. August »An mein durch Ausartung abgestorbenes Mündel, genannt Auguste Bußmann«. Er wendet sich darin nicht einmal direkt an sie, sondern benutzt durchgängig die dritte Person: »Auguste dünkt sich der Mittelpunkt, um den die ganze Welt sich drehen müste.« Oder: »Sie bedurfte eines albernen, sehr gemeinen Romans in ihrer Lebensgeschichte, die so stolze Auguste würdigte sich zur Buhldirne herab, die mit dem ersten besten Mann das Land durchstreicht, denn fliehen kann ich es nicht nennen. Niemand verfolgte sie.« Und zuletzt: »Auguste ist tod für mich, und ich traure um das was sie sein könnte, und hätte sein sollen.« Starker Tobak. Also wurde das Paar am 21. August im Dom zu Fritzlar getraut. Clemens berichtet Achim von Arnim später: »Die ganze Handlung war so läppisch, so elend, die Kirche schien über mir einzustürzen, und eine innere Trauer vernichtete mich.«
Bislang war das Ganze nur ein aufregendes Abenteuer gewesen. Nun begann der Alltag und der bestand schon nach kürzester Zeit nur noch aus Auseinandersetzungen. Auguste hatte für diese Liebe ihr bisheriges Leben hinter sich gelassen, hatte die Abkehr ihr nahestehender Personen in Kauf genommen, um bald feststellen zu müssen, dass Clemens unfähig war, mit ihr zusammenzuleben. Er war von ihrer kapriziösen Art und ihren Gefühlsausbrüchen völlig überfordert und genervt. Auguste bemerkt das schon drei Wochen nach der Hochzeit: »Er glaubte mich lieben zu können – er liebte mich – und fühlt sich nun in allen seinen Erwartungen getäuscht, an ein Geschöpf gekettet das ihn nicht versteht. (…) So begreife ich daß er schnell mich verlassen muß um sich vor Unmuth, Ekel zu bewaren. (…) Hier ist mein ganzes Wesen: Ich will nur Clemens Glück, aber meine unglückliche Liebe zu ihm quält ihn oft und so muß ich ihn mit eben der Gewalt von mir entfernen mit der ich ihn an mich zog.«
Ach, wäre das Paar damals bloß schon so konsequent gewesen, sich zu trennen, dann hätte es sich viel ersparen können! Aus immer massiveren Beschimpfungen wurden gegenseitige Prügeleien: »Auguste hat mich mit ihrem Wesen bereits mehrmal zur Verzweiflung gebracht, zweimahl hat sie mich geschlagen, und mich endlich dahin gebracht, daß ich sie auch einmahl gewalkt.« Nach solchen Vorfällen redete man tagelang nicht miteinander. Im März 1808 unternahm Auguste den ersten von mehreren Selbstmordversuchen, durch Aufschneiden der Pulsadern. Clemens blieb von der Tat gänzlich ungerührt und schildert sie Arnim völlig ironisch: »In meinem großen Elend ist das neuste, daß die zu Zeiten ganz verrückte Auguste vor drei Tagen mit einem Federmesser und einer Schere aus Langerweile sich zwei Stiche gegeben hat, die ein kolossaler Floh auch hätte vollziehen können.« Auguste wurde nun gegen ihren Willen im Hause eines Pfarrers in Allendorf untergebracht. Dort gefiel es ihr überraschend gut, sie freundete sich mit den erwachsenen Kindern der Familie an, wurde ruhig und ausgeglichen und schrieb ihrem Mann sehnsüchtige und zärtliche Briefe – und er ihr offensichtlich auch, sonst hätte sie nicht gejubelt: »O du einziger – mir schwindelt vor meinem Loos, ich kenne den herrlichsten Menschen und er liebt mich!« Diese Wiederannäherung wird von Achim von Arnim in einem Billett an Bettine im Juni 1808 folgendermaßen kommentiert: »Es steht übrigens alles blümerant zwischen Clemens und seiner Frau, Liebesbriefe, eigentliche, begegnen sich auf der Post. (…) Ich fürchte, sie werden einander soviel Staub oder Puder zuwerfen, daß sie sich beim Wiedersehen gar nicht wiedererkennen oder anfassen mögen. (…) Ich kann die Geschichte nicht mehr ernsthaft nehmen, nehmen sie beide nur wie Schnupftabak davon, um zu niesen und daß ein andrer sage: Wohl bekomms, oder: Prost!«
Kaum hatte man sich wieder zusammengerauft, folgten sofort schlimmste Streitereien. Zwar gab es auch kurze Phasen der Versöhnung und des Friedens, aber an ein Zusammenleben als Ehepaar war nicht zu denken. In den nächsten beiden Jahren bezeichnete Clemens seine Frau gegenüber Dritten unter anderem als »Epilepsie, die ich habe und die mich plötzlich mitten in jedem gültigen und gleichgültigen Zustande des täglichen Lebens niederwirft«, und als »verfluchtes Weib, das mir einen Jammerkübel über den andern übergießt«. War man getrennt und hatte sich beruhigt, entwickelte man wieder Gefühle füreinander, aber sie waren nicht frei von Schmerz, wie Augustes Anrede an ihren Mann in einem Brief vom Herbst 1808 überdeutlich zeigt: »O du abscheulicher garstiger böser hassenswerther gehaßter geliebter Clemens. Clemens warum thust du mir solche Qual an? Ich küsse dich heute nicht, ich schlage dich, ich beiße dich, ich kraze dich, ich drücke dich tod aus Liebe wenn du kommst.«
Aus Liebe war ein Rosenkrieg geworden. Die meisten Bekannten des Paares machten Auguste dafür verantwortlich. Sie verspielte sich letzte Sympathien, als sie zwei weitere groß inszenierte Suizidversuche unternahm, diesmal durch Vergiften, einen davon öffentlichkeitswirksam in einem Gasthaus. Bettine war Zeugin des zweiten Vorfalles geworden und schrieb entnervt im März 1809 an Savigny über Auguste: »Ich werde von heute mich ganz von ihr abziehen. (…) Mir vernichtet es die Gesundheit. Sie hat durch unerträgliches lügenhaftes Geschwätz alle Menschen, die sie nicht kannten, gerührt. (…) Es ist die verdrießlichste Geschichte meines Lebens.« Sicherlich sind Augustes Eskapaden unsäglich gewesen, aber man muss der Fairness halber zugeben, dass sie vor allem ihrer Hilflosigkeit geschuldet waren. Sie wollte im täglichen Leben verwirklichen, was die Romantiker in ihren Werken so vollmundig verkündeten, und erkannte nicht den Unterschied zwischen Theorie und Praxis.