AFSCME (American Federation of State, County and Municipal Employees) Amerikanischer Verband der Angestellten im öffentlichen Dienst. Größte US-Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst mit rund anderthalb Millionen Mitgliedern. Wie alle amerikanischen Gewerkschaften auf der untersten Ebene in Ortsgruppen (locals) organisiert.
Board of Education Schulbehörde, Schulamt, Schulausschuss
Boston School Committee Schulausschuss der Stadt Boston
Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms (seit 2003 Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosvies), kurz ATF, dem Justizministerium der USA unterstellte Bundespolizeibehörde.
Cabrini–Green (auch: C-G Homes; vollständig Frances Cabrini Row-houses und William Green Homes) Berühmt-berüchtigter sozialer Brennpunkt im Norden Chicagos, erbaut ab Anfang der 1940er bis in die frühen 1960er Jahre und bis 2011 weitgehend abgerissen.
(National) Center for Neighborhood Enterprises Das Center for Neighborhood Enterprise wurde 1981 von Robert L. Woodson, Sr. gegründet, um Bewohner von einkommensschwachen Stadtteilen zu unterstützen, die Probleme ihrer Gemeinwesen anzupacken. Zentrale Leitlinie des Centers ist die (radikale) Umgestaltung von Lebensverhältnissen, Schulen und in Schieflage geratener Stadtteile.
Charter Revisions Committee Ausschuss der kommunalen Verwaltung, der für Ergänzungen, Erweiterungen und Modifikationen der Stadtsatzung zuständig ist.
City Court Stadtgericht, Gemeindegericht
City Manager Stadtdirektor, Oberstadtdirektor
Community Center Stadtteilzentrum, Bürgerhaus
Community Development Agency Wirtschaftsförderungsgesellschaft, Gemeindeenwicklungsträger
Concerned Citizens Bürgervereinigung
Desegregation Aufhebung vor allem der Rassentrennung. Das Gegenteil ist die Segregation, der Vorgang der Entmischung von unterschiedlichen sozialen Gruppen in einem Gebiet.
Federal Judge Bundesrichter; Richter an einem Bundesgericht (z.B. United States District Judge). Werden vom Präsidenten ernannt und vom Senat bestätigt.
Federal Marshal’s Office Die Aufgaben des U.S. Marshals Service umfassen heute den Vollzug von Bundesrecht auf dem Justizsektor, z. B. Festnahmen, Schutz von Zeugen, Personenschutz von Ministern und bedrohten Organisationen (früher z. B. Bürgerrechtler, heute z. B. Abtreibungskliniken) und die Verwaltung von sichergestellten Vermögenswerten von Unternehmen. Die durch den Präsidenten ernannten U.S. Marshals leiten die Aktivitäten von 94 Marshals Service district offices – jeweils ein Marshal für jeden der 94 Justizzuständigkeitsbereiche (jurisdictions) der Vereinigten Staaten. 3067 Deputy Marshals bilden das Rückgrat der Institution. Sie sind die ausführenden Stellvertreter. Die 94 Chief Deputy Marshals sind die leitenden Beamten und unterstehen direkt dem politisch berufenen Marshal.
Freebase Freebase oder Kokainbase ist die Basenform von Kokain im Gegensatz zu Kokainhydrochlorid. Während letzteres sehr gut wasserlöslich ist, ist Kokainbase unlöslich in Wasser und somit nicht zum Schnupfen, Essen oder zur Injektion geeignet.
Governor Gouverneur; Staats- bzw. Regierungschef eines U.S. Bundesstaates
Housing and Urban Development (United States Department of …; HUD) Das US-amerikanische Bauministerium (in Deutschland fallen auf Bundesebene die entsprechenden Aufgaben in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit) ist vor allem für Wohnungsbau sowie Stadtplanung und Stadtentwicklung zuständig.
(Fair) Housing Assistance Plan (HAP bzw. FHAP) Das Recht auf Chancengleichheit bezüglich einem freien und gleichen Zugang zu Wohnungen und Häusern wird nicht nur durch den Fair Housing Act (die 1968 verabschiedete Erweiterung zum Civil Rights Act von 1964) gewährleistet, sondern auch durch entsprechende einzel- und bundesstaatliche Gesetzgebung. Das Bauministerium der Vereinigten Staaten (kurz HUD für United States Department of Housing and Urban Development) stellt auf einer nicht wettbewerblich orientierten Grundlage den Behörden von Bundesstaaten und Kommunen jährlich Mittel für einen FHAP zur Verfügung.
Industrial Development Agency (IDA) Deutsch etwa Amt für Wirtschaftsentwicklung oder Wirtschaftsförderung. Diese Behörden sollen die Rahmenbedingungen für Unternehmen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten verbessern. In der Regel geschieht dies durch Bereitstellung finanzieller Anreize an Privatunternehmen. IDAs sind befugt, zu diesem Zweck Liegenschaften und Immobilien zu erwerben, zu verkaufen oder zu verpachten sowie über den Weg von Steuererleichterungen oder Steuerbefreiungen zuvor bewilligte Projekte zu fördern.
Lexington Terrace war ein sozialer Brennpunkt in Baltimore, bestehend aus fünf 1959 erbauten 11-stöckigen Hochhäusern, die 1996 abgerissen und durch eine Reihenhaussiedlung im Rahmen neuer sozialer Wohnungsbauprojekte ersetzt wurden. Es galt als Symbol einer verfehlten Politik des öffentlichen Wohnungsbaus aus der Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg. In der amerikanischen Serie The Wire taucht Lexington Terrace als Franklin Terrace auf.
(Municipal) Housing Authority (Städtisches) Wohnbauamt / Wohnungsamt
National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) (dt. etwa Bundesverband für die Förderung farbiger Menschen) ist eine der ältesten (gegr. 1909) und einflussreichsten Bürgerrechtsvereinigungen der Vereinigten Staaten, die vor allem für die Interessen und Belange der afroamerikanischen Bevölkerung eintritt.
Neighborhood Watch Nachbarschaftswache, Bürgerwehr
Parking Authority Amt für Parkraumbewirtschaftung
School Superintendent Schulinspektor, Leiter einer (kommunalen) Schulbehörde , Schulaufsicht
Second Circuit Zweiter Bundesgerichtsbezirk (auch: Zweiter Bundesgerichtskreis), zuständig für Connecticut, New York und Vermont.
Second Circuit Courts Ein Bundesgericht im Zweiten Bundesgerichtsbezirk. U.S. District Courts sind Gerichte des Bundes mit allgemeiner Gerichtsbarkeit in erster Instanz; diese Gerichte hören sowohl Zivil- als auch Strafsachen. Die nächstinstanzliche Ebene der U.S. Courts of Appeals fällt ebenfalls unter diese Bezeichnung.
Senate Assembly Health Committee Ständiger Gesundheitsausschuss des Senats
Senate Mental Hygiene Committee Ständiger Ausschuss des Senats für psychische Gesundheit und Entwicklungsstörungen
Supreme Court Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten als höchstes Bundesgericht (dann U.S. Supreme Court); es gibt ebenfalls State Supreme Courts in den einzelnen Bundesstaaten.
U.S. Departement of Housing and Urban Development Das Bauministerium der Vereinigten Staaten ist ein Ministerium der amerikanischen Bundesregierung. Es wurde gegründet, um staatliche Initiativen zum Wohnungsbau und zur städtebaulichen Entwicklung zu entwerfen und auszuführen. Der Minister heißt United States Secretary of Housing and Urban Development.
U.S. District Judge Richter an einem Bundesbezirksgericht oder an State Courts, wenn der Bundesstaat in Gerichtsbezirke aufgeteilt ist.
United States Court of Appeals Ein Berufungsgericht ist ein übergeordnetes Gericht, das über Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nachgeordneter Gerichte entscheidet (die zusammenfassend als Appellation bezeichnet werden).
United States District Courts Erstinstanzliche Bundesgerichte; strukturiert ähnlich den Berufungsgerichten nach insgesamt 94 Regionen, wobei jeder Bundesstaat mindestens ein Bundesbezirksgericht (district court) besitzt. Die Richter heißen United States District Judge. Um eine Klage in einem Bundesbezirksgericht einzuleiten, muss es einen gewichtigen Grund geben, warum die Bundesgerichte statt der Gerichte der Bundesstaaten (state courts) den Fall verhandeln sollten.
Westchester County County im Südosten des Bundesstaates New York, Verwaltungssitz White Plains. Liegt zwischen dem Hudson River im Westen und Connecticut im Süden des US-Bundesstaates New York. Im Süden des Countys, im Bereich der Großstadt Yonkers, wird durch den Long Island Sound im Südosten und den Hudson River im Westen eine Halbinsel gebildet, die sich nach Süden hin fortsetzt. Im Süden wird das County durch New York begrenzt.
Die Rohrbombe war so klein, wie Rohrbomben nur sein können, doch man hörte die Explosion noch einige Blocks weiter – ein scharfer Knall, als reihenweise fabrikneue Fliesen zu einem Haufen rasierklingenscharfer Scherben zusammenfielen. Nachbarn, die gerade eingeschlummert waren, fuhren aus ihrem Schlaf hoch. Familienmitglieder, die dabei waren, sich bettfertig zu machen, schauten sich zuerst fragend an, dann mit der Gewissheit, dass sie die Antwort kannten. »Ich vermute, jemand hat versucht, die neue Siedlung in die Luft zu jagen«, sagte ein Mann witzelnd zu seiner Frau. Doch es war kein Witz. Genau das hatte jemand versucht.
Jeder hörte den Knall, doch nur einer rief die Polizei. Die Zentrale entschied, dass es ein Problem mit einem Trafo war, also schwiegen die Sirenen und es gab keine nächtliche Suche. Am nächsten Morgen kamen die Bauarbeiter bei der ausgedehnten Baustelle an, die einmal der überwucherte Sportplatz einer stillgelegten Schule gewesen war und auf der nun die fast fertigen achtundvierzig creme- und zitronenfarbigen Reihenhäuser standen. Angesichts des Schadens riefen auch sie die Polizei, die das Gelände zügig mit schwarz-gelbem Band absperrte und die beschädigten Häuser nach Hinweisen absuchten.
Schon bald erschien das FBI und das Federal Marshal’s Office. Das Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms. Das Bombenentschärfungs-Kommando von Westchester County. Der Leiter der Municipal Housing Authority, des städtischen Amts für Wohnungswesen von Yonkers. Diverse Politiker, die kamen, verkündeten: »Wir haben es ja gleich gesagt.« Die Baustellenstraßen waren noch nicht asphaltiert, weswegen jeder eintreffende Beamte durch tiefen, roten Matsch waten musste, der den Plänen des Architekten zufolge einmal ein winziger Vorgarten werden sollte. Sie standen im Dreck vor Hausnummer 120, erleichtert darüber, dass das Reihenhaus immer noch stand.
Die Rohrbombe war auf dem äußeren Fenstersims eines Badezimmers im Erdgeschoss platziert worden, das erst vor wenigen Tagen verfugt worden war. Das Fenster war herausgeschleudert worden, die Fensterbank verbrannt und kaputt, die Fliesen auf dem Boden und den Wänden zerschmettert, und eine Spiegeltür des Medizinschrankes war aus den Angeln gehoben. Noch dreißig Meter entfernt fand man Teile der Bombe. Doch am beängstigendsten waren nicht die verursachten Schäden, sondern die potentiellen. Keine anderthalb Meter neben der Bombe befand sich eine offene Gasleitung. Sie war nicht in Betrieb. Doch das hatte der Bombenleger nicht wissen können.
Die Menge wuchs, wie immer in Yonkers. Einige der Schaulustigen waren Hausbesitzer aus der Nachbarschaft, die die Explosion gehört hatten. Andere waren nur neugierig, angezogen von den blitzenden Blaulichtern. Sie waren von Anfang an gegen diese Gebäude gewesen – hatten nicht Teil dieses richterlich aufgezwungenen sozialgeschichtlichen Experiments werden wollen. Ein paar waren froh über die Bombe und machten auch keinen Hehl daraus. Vielleicht würde es das erreichen, was ihre jahrelangen Proteste nicht erreicht hatten, und das Wohnungsprojekt würde im wahrsten Sinne des Wortes zu Staub zerfallen. Doch die Hoffnung wurde schnell von Angst ausgelöscht. Jeder Impuls der Häme wurde von der schonungslosen Realität der Bombe eingedämmt, die nur ein paar Blocks von ihrem Heim in die Luft gegangen war.
Irgendwann machten die Arbeiter Mittagspause. Doch alle anderen blieben den Großteil des Tages. Die Behörden suchten. Die Politiker redeten. Und die Nachbarn standen hinter dem extra hohen Sicherheitszaun und starrten.
Die Phrase »unnützes Geschwätz« passt nicht zu Yonkers. Hier ist kein Geschwätz unnütz, es ist gezielt und ernst, aggressiv und aktiv. Über Jahre reichte die explosive Kraft des Geschwätzes, um Hunderte von Leuten ins Rathaus zu bringen. Jemand hörte, dass etwas passieren sollte, und rief Leute an, die noch mehr Leute anriefen, bis sich wie aus dem Nichts eine Menge versammelt hatte.
Nun, im Frühjahr 1991, trieb das Geschwätz viele eben dieser Leute in ihre Autos, um durch Yonkers zu fahren. Man munkelte, dass irgendwo der erste Spatenstich für die neuen Siedlungen unmittelbar bevorstand, obwohl der Bauunternehmer, der bereits Ärger roch, nicht sagte wo genau. Es würde keine Ankündigung geben und mit Sicherheit auch keine feierliche Grundsteinlegung. Die einzige Möglichkeit, um es zu erfahren – um der Erste zu sein, der es wusste –, war, herumzufahren und nachzuschauen.
Marys Überwachungsmethode war, regelmäßig Umwege zu fahren. Sie fuhr nie mit der Absicht los, die Siedlungen zu kontrollieren, doch wann immer sie aus irgendeinem Grund im Auto saß, fuhr sie für einen kurzen Blick an ein oder zwei Baugrundstücken vorbei. Tag für Tag sahen die großen Flächen an der Central Park Avenue und der Clark Street genau gleich aus, ein verbarrikadierter Asphaltparkplatz, der einmal Teil des Yonkers Raceway gewesen war, mit kleinen, süßen Häusern drum herum, Marys Haus sehr ähnlich, das ein paar Blocks entfernt stand. Abend für Abend änderte sich auch am Gebäude der School 4 nichts. Es war immer noch ein solides, unerschütterliches Gebäude zwischen der Trenchard Street und Gaffney Park, wo es seit 107 Jahren stand.
Nicks Fahrten zu den Grundstücken waren zielbewusster. Die Baugrundstücke waren für ihn kein Umweg, sie wiesen ihm die Richtung. Durch die Stadt zu streifen, war lange Zeit sein Hobby gewesen. Damals, als er Bürgermeister war, hatte er einen Polizeifunkempfänger zu Hause, und immer wenn er etwas Interessantes hörte, schnallte er seinen Knöchelholster an und war aus der Tür, normalerweise begleitet von Nay. Sie fuhren um zwei Uhr morgens zu Feuern und unterbrachen ihr Abendessen für Autounfälle. Sie sahen geplatzte Wasserleitungen, überflutete Straßen und umgekippte Strommasten. Nachdem sie einen Schauplatz besichtigt hatten, fuhren sie selten nach Hause, sondern kutschierten noch eine Weile durch die Straßen.
Nachdem Nick aus dem Amt geschieden war, verschwand auch der Polizeifunkempfänger, doch die Fahrten wurden häufiger. Er setzte sich fast jeden Tag nach dem Abendessen hinters Steuer, und weil er zugestimmt hatte, seine Stumpen nicht im Haus zu rauchen, nannte er seine Fahrten »Zigarren-Ausflüge«. Er kurvte dann paffend durch die Straßen, in denen er sich inzwischen blind zurechtfand. Manchmal fuhr er mit Nay oder einem Freund, aber meistens allein. Als die Gerüchte um eine baldige Grundsteinlegung zunahmen, waren seine Zigarren-Ausflüge nicht länger ziellos. Er fuhr jede Nacht los und fragte sich, ob es die Nacht würde, ob all die Jahre des Redens nun endlich greifbare Formen annehmen würden. Wochenlang passierte nichts. Der leere Parkplatz an der Helena Avenue war immer noch ein leerer Parkplatz, umgeben von bescheidenen Häusern. Die riesigen Findlinge an der Midland Avenue, gegenüber von einem Komplex mit Eigentumswohnungen an der Ecke vom Lawrence College, blieben unberührt. Die Enten schwammen immer noch im Teich gegenüber des Shoreview Drive.
Dann, am frühen Morgen des 12. April 1991, begannen die Bauarbeiten. Als es erst einmal angefangen hatte, erschien es absurd, dass jemand danach gesucht haben sollte. Mit einem malmenden Röhren, als Bauarbeiter den Asphalt des Parkplatzes in Schutt verwandelten, kündigte die Sozialbausiedlung ihre Anwesenheit in der Clark Street an. Auf die Front eines der Bulldozer war eine Reihe fieser Haifischzähne gemalt. Die Nachricht verbreitete sich mit dem gewohnten Tempo, und schon bald versammelte sich eine Menschenmenge, um zuzuschauen.
»Das ist ein schwarzer Tag für Yonkers«, sagte Bürgermeister Spallone. »Meiner Meinung nach eine echte Tragödie.«
Und natürlich gab es Proteste. Zweihundert Demonstranten versammelten sich am Samstag an der Baustelle, so wie sie es jeden Samstag in den nachfolgenden paar Monaten tun würden. Sie verbrachten neunzig Minuten vor den sich auftürmenden Schuttbergen, die den abgerissenen Parkplatz füllten. Vorbeifahrende Autos hupten ermunternd. Die Demonstranten trugen Puppen von Judge Sand, dem NAACP-Rechtsanwalt Michael Sussman und vom U.S.-Wohnungsbauminister Jack Kemp. Sie behandelten die ausgestopften Symbole so, wie die Bulldozer den Asphalt behandelten. Eine Frau trat der Sussman-Puppe vors Schienbein. Eine andere stach mit der amerikanischen Flagge hinein.
Die Demonstranten taten nichts, um die Bauarbeiten aufzuhalten. Deluxe Homes, Inc. wurde von Don Meske geleitet, ein Mann, dessen Hobby die Großwildjagd war und zu dessen Wandtrophäen ein Kanadischer Berglöwe und ein weißes Afrikanisches Nashorn zählte. Die Proteste, sagte er, wären nervig, aber keine Bedrohung. »Wenn du vor einem Elefanten stehst, der fünfeinhalb Tonnen wiegt«, sagte er, »dann hast du was, vor dem du Angst haben kannst.«
Mary schloss sich den wöchentlichen Protesten nicht an. Sie wurden von Save Yonkers organisiert, der Gruppe, in der sie Mitglied gewesen war, bis sie sich von Hank Spallone abgewandt hatten, und sie fühlte sich unter ihren früheren Freunden unwohl und unerwünscht. Sie verfolgte die Demonstrationen jedoch vom Rande aus, las die Zeitung und warf einen Blick auf das Geschehen, wenn sie rein zufällig daran vorbeifuhr. Mit Blick durch ihre neue Linse sah sie die Demonstranten anders, als sie von innen wirkten. Sie sah keine Krieger, die engagiert für eine Sache kämpften. Sie sah Fußsoldaten, die auf die Luft eindroschen, auf das Nichts, und nicht merkten, dass sie diesen Kampf nicht gewinnen konnten. Hatte sich etwas geändert, oder hatte es schon immer so ausgesehen?, fragte sie sich.
Auf einer der Demonstrationen sagte ein Mitglied von Save Yonkers: »Wir müssen zeigen, dass wir immer noch organisiert sind. Im Moment sieht es nicht allzu gut aus, aber man muss bis zur letzten Minute kämpfen. Es ist nie zu spät.«
Aber ihr seid nicht organisiert, dachte Mary. Und es ist zu spät.
Kenneth Jenkins, der Vorsitzende des Regionalbüros des NAACP, reagierte auf die Proteste und sagte: »Ich verstehe den Kampf, aber der Patient ist tot. Ganz ehrlich, ich glaube, die Menschen in Yonkers haben das Ganze langsam satt.«
Mary wurde klar, dass sie es satthatte. Gründlich satt.
Die Wochen vergingen, und auf den vier Baustellen entstanden Betonfundamente: vierundzwanzig Stück in der Clark Street, achtundzwanzig in der Midland Avenue, vierzehn in der Helena Avenue und achtundvierzig am Shoreview Drive. Während sie gegossen wurden, beseitigten die Arbeiter still den Asbest im Gebäude der School 4. Als diese Drecksarbeit erledigt war, begann noch eine dreckigere – ein Bulldozer mit einem Rammbock pflügte in das zweistöckige Backsteingebäude und begann es abzureißen. Der Abriss begann am Auditorium, und schon bald stapelten sich Hunderte von Stühlen auf dem Parkplatz. Die Stahlkiefer des Bulldozers verschlangen weiter das massive Gebäude, rissen die Wände heraus, das Dach, das Innenleben, und deponierten das Gewirr aus Ziegelsteinen, Metall und Holz auf dem unkrautüberwucherten, ehemaligen Schulhof. Das Grollen der Maschine wurde vom Zischen der Wasserschläuche begleitet, die ununterbrochen sprühten, um die Staubwolken einzudämmen.
Wieder versammelte sich eine Menge, und wieder war die Rede davon, den Kampf fortzusetzen. Als Mary jedoch zu der noch stehenden Fassade der Schule fuhr, sah sie nichts mehr, für das man kämpfen konnte. Alles, was sie sah, war das Todesopfer eines verlorenen Falles, ein Anblick, der so schmerzvoll war, dass sie spontan die Augen schloss. Sie öffnete sie schnell wieder, starrte dann lange auf den Bauschutt und dachte an all die Gründe, warum sie gegen das war, was passierte, und an all das, was sie in dem erfolglosen Versuch getan hatte, es aufzuhalten.
Als sie schließlich zu ihrem Wagen zurückkehrte, war sie erfüllt von einer Mischung aus Bedauern und Resignation. Der Kampf war vorüber – dessen war sie sich einerseits sicher, andererseits tat es ihr leid. Es hatte ihre Welt durchflutet, und nun war es fort. Mary Dorman kämpfte nicht länger gegen die Sozialbauten.
Doreen James hörte das Rascheln des Umschlags, als er unter ihrer Tür hindurch geschoben wurde. Auf diese Weise wurden die Nachrichten des Wohnungsamtes in Schlobohm verschickt, von Tür zu Tür, nicht durch den Postboten. Die einzigen Briefe, die mit der Post zu kommen schienen, waren Mahnungen, wenn man mit der Miete in Verzug war, oder Warnungen, dass der Gerichtsvollzieher mit einem Räumungsbefehl käme. Diese Form des Briefversands, nahm Doreen an, war dazu da, um jedes Mal Hunderte von Briefmarken zu sparen, wenn das Wohnungsamt etwas zu verkünden hatte. Doch irgendwie hatte das System auch etwas Unheimliches. In ihren zwei Jahren in Schlobohm hatte sie noch nie gesehen, wer diese Post eigentlich verteilte.
Dieser spezielle Brief informierte alle interessierten Mieter darüber, dass für das Mieter-Gremium Kandidaten gesucht würden. Weil sie so viele Vormittage bei Sadie Young Jefferson verbracht hatte, wusste Doreen von dem Mieter-Gremium. Genauer gesagt, wusste sie, dass es Sadie frustrierte.
Die Gruppe war 1971 gegründet worden, an einem Punkt in der politischen Geschichte des sozialen Wohnungsbaus, an dem Eigenverantwortung sehr en vogue war. Seitdem schwankte der Einfluss dieses Denkansatzes. Verfechter wie Sadie sahen darin die reinste Form von Demokratie. In den Augen der Kritiker war es dumm, Leuten, die ihr Leben vermurkst haben, zu erlauben, Einfluss auf das Leben anderer zu nehmen.
In Yonkers bestand das Mieter-Gremium 1991 aus drei Vertretern einer jeden Sozialbausiedlung, die sich einmal im Monat im Büro des Wohnungsamtes an der Central Avenue traf. Sadie hatte Doreen erzählt, dass das Gremium auf dem Papier viel Einfluss und die Macht hatte, bestimmte Geldmittel zuzuweisen sowie Veränderungen am Regelwerk vorzuschlagen und zu genehmigen. Aber in der Praxis, erklärte Sadie, arbeitete das Gremium gegen die Bedürfnisse der jungen, alleinstehenden afroamerikanischen und lateinamerikanischen Frauen, die die überwältigende Mehrheit der Mieter in den Sozialwohnungen bildeten.
Das Problem war, erfuhr Doreen, dass es mehr Sozialbausiedlungen für ältere Menschen gab (sieben) als für Familien (fünf). Die Größe der Siedlungen hatte keinen Einfluss auf die Anzahl der Vertreter im Gremium, also hatten die Senioren, von denen die meisten weiß waren, de facto eine Mehrheit von 21 zu 15. Dazu kam, dass die Senioren lautstärker und involvierter waren, vielleicht weil sie mehr Zeit hatten oder ein stärkeres Interesse als die Vertreter der Familien-Siedlungen, die dazu tendierten, sich weniger zu engagieren, und nicht so beharrlich waren.
READY konnte die Anzahl der Vertreter nicht ändern, doch der Verein konnte den Einfluss bestimmter Vertreter stärken, indem er Kandidaten für die Wahl auswählte und vorbereitete. Dies war der Grund, warum Doreen den Brief sorgfältig erst einmal und dann noch ein weiteres Mal las. Seit Monaten sagte Sadie ihr, dass Doreen »startbereit« sei, um eine Wortführerin ihres selbstgewählten Zuhauses zu werden. Doreen hatte diesen Satz inhaliert wie eine neue Art Droge, aber ohne Sadie an ihrer Seite hatte sie so ihre Zweifel.
An diesem Abend kam Sheila zu Besuch, bereit, ihre Schwester zu überreden.
»Du hast mir all diese Vorträge darüber gehalten, unabhängig zu sein und Verantwortung zu übernehmen«, sagte sie und hielt Doreen das Bewerbungsformular hin. »Hier. Übernimm Verantwortung.«
Doreen wartete einige Tage, bevor sie unterschrieb. Selbst nachdem sie die Papiere in der dafür vorgesehenen Box beim Wohnungsamt eingeworfen hatte, war sie nicht sicher, ob es eine Wahl war, die sie gewinnen wollte.
Jede wichtige Wendung in Nick Wasicskos Erwachsenenleben war mit politischen Ereignissen verknüpft gewesen. Sein Vater starb an Leukämie, kurz bevor er das erste Mal in den Stadtrat gewählt worden war. Während seiner ersten Kandidatur zum Bürgermeister wurde er zum Rechtsanwalt vereidigt. Durch seine Kandidatur lernte er Nay Noe kennen und verliebte sich in den Monaten der politischen Belagerung in sie. Er kaufte sein erstes Haus, als er darum kämpfte, Bürgermeister zu bleiben, und er machte Nay, kurz nachdem er Hank Spallone unterlag, in diesem Haus einen Heiratsantrag. Und selbst dieser hatte einen politischen Unterton. »Du bist die Einzige, die wirklich an meiner Seite gestanden hat«, hatte er gesagt.
Gemäß diesem Muster ging es im Frühling 1991 ständig auch um Politik, während die Vorbereitungen für ihre Hochzeit mit denen einer möglichen Kandidatur verschmolzen. Er war sich sicher, dass er Nay heiraten wollte. Weniger sicher war er sich, ob er ins Rennen um den Posten des Bürgermeisters einsteigen sollte. Das zu tun, bedeutete harte Vorwahlen gegen Terrence M. Zaleski, einem Abgeordneten der Demokraten mit so ziemlich der gleichen Anhängerschaft wie Nick, aber ohne seine historischen Altlasten. Wenn er in den Vorwahlen gegen Zaleski verlor, oder gegen den anderen Kandidaten der Demokraten, den Gastronom James J. Mannion, würde dies sein politisches Schicksal besiegeln? Würden zwei Niederlagen die qualvolle Verwandlung eines achtundzwanzigjährigen Wunderkinds zu einem Zweiunddreißigjährigen auf dem Abstellgleis komplettieren?
Die Zweifel und Vermutungen waren Nick nicht neu und hielten ihn gefangen wie ein schlecht sitzender Anzug, der scheuerte und zwickte. In jedem seiner anderen drei Rennen, selbst in der katastrophalen Kandidatur gegen Hank Spallone, war er sicher gewesen, dass er kandidieren sollte und wollte. Umfragen, Getratsche und gängige Meinungen hatten ihn bisher nicht aufhalten können. Jetzt lähmten sie ihn.
An manchen Tagen sagte er, das Amt des Strong Mayors gebühre rechtmäßig ihm, als Platz in der Geschichte der Stadt, für den er bereits mit Qualen und Schweiß bezahlt hatte. An anderen Tagen war er wütend, dass das Timing denkbar schlecht, die Wunden zu frisch und die Wähler noch nicht versöhnlich genug gestimmt seien. Mit diesem Pro und Kontra rang er, während er gleichzeitig mit dem Text der formellen Hochzeitseinladung, den Veranstaltungsorten der Zeremonie und des Empfangs und dem Stil der Eheringe kämpfte.
Schließlich verwandelte sich das ganze Gerede unversehens in einen Plan. Er hatte erfahren, dass er einer der diesjährigen vier Finalisten des John F. Kennedy Profile in Courage Awards war. Eine prestigeträchtige Ehre, die von einem Scheck über 25.000 Dollar begleitet wurde und jedes Jahr an einen Regierungsbeamten verliehen wurde, der »in einer Streitfrage angesichts politischer und öffentlicher Opposition einen prinzipientreuen Standpunkt vertreten hatte«. Obwohl viele in Yonkers anderer Ansicht waren, war Nick davon überzeugt, dass er genau das getan hatte, und sah die Nominierung als eine Art Zeichen. Wenn er gewänne, entschied er, würde er sich zur Wahl stellen und seine Kandidatur im Anschluss an den Erhalt des Preises bekanntgeben. Ein Jahr zuvor hatte Jackie Kennedy Onassis persönlich dem Gewinner die begehrte Statuette überreicht. Konnten die Menschen in Yonkers mehr wollen?
Nay wollte, dass er kandidierte, und unterstützte den Plan, die Nominierung für den Award zu nutzen. Nick begann, die Nachricht über seinen Eintritt in den Wahlkampf zu verbreiten und sich ein Wahlkampfteam zusammenzustellen. Als Allererstes rief er Jim Surdoval an, der seine Karriere als politischer Berater mit Nick gestartet hatte und der nun einer von Yonkers’ etablierten »Playern« war. Nick nahm an, Jim würde seine Ankündigung begrüßen.
»Tut mir leid«, sagte Jim. »Aber ich unterstütze Terry Zaleski.«
Er unterstützte Zaleski nicht nur, sagte er Nick, sondern er und eine Gruppe von Demokraten hätten Terry Zaleski aktiv rekrutiert und ihn ermuntert zu kandidieren.
»Er ist der ranghöchste Demokrat in Yonkers«, erklärte Jim. »Er hat einen Wahlkreis auf der Ostseite, also hat er die Stimmen dort sicher. Er ist pro Sozialbau, doch man identifiziert ihn nicht so damit wie dich; ihm haftet nichts Negatives an.«
»Man identifiziert ihn nicht damit«, schnauzte Nick, »weil er sich 1988 in Albany versteckt hat. Er war so weit von den Sozialbauten entfernt, wie es nur ging.«
»Stimmt«, sagte Jim. »Also belastet ihn da nichts Negatives. Er ist ein unbeschriebenes Blatt. Er wird der erste starke Bürgermeister. Wir brauchen den Demokraten mit den besten Chancen.«
Nick, benommen vor Überraschung, versuchte sich zu konzentrieren und einen Weg zu finden, seinen früheren Berater wieder auf seine Seite zu ziehen.
»Man muss darin doch nichts Negatives sehen«, sagte er. »Ich habe einen couragierten Standpunkt vertreten, und ich war ein Held. Ich war der Einzige in der verdammten Stadt, der das Richtige getan hat.«
Jim seufzte, bevor er antwortete. »Courage ist kein Wort, mit dem man sich selbst beschreibt, Nick, auch nicht wenn wir beide wissen, dass es zutrifft. So etwas funktioniert nur, wenn andere es sagen.«
»Versuch kein Comeback als Bürgermeister, Nick«, fuhr Jim fort und gab ihm den Rat, von dem er wusste, dass er Zaleski am meisten helfen würde. »Sie sind noch nicht so weit für dich als Bürgermeister. Lass dich stattdessen in den Rat wählen. Wir unterstützen dich darin.«
Kurz nach seinem Gespräch mit Jim Surdoval erfuhr Nick, dass der Profile in Courage Award, die Stütze seines Plans, an jemand anderen gehen würde. Sein Verstand, seine Gefühle und sein Leben standen kopf. Die beiden Themen, die Hochzeit und die Bürgermeisterwahl, vermischten sich in der 175 Yonkers Avenue immer mehr – Vorspeisen und Nominierungsanträge, Tischkarten und Wahlkampfslogans, der Beginn ihres gemeinsamen Lebens und die Wegscheide in Nicks politischem Leben. Nick und Nay stritten sich und redeten aneinander vorbei, zwei Menschen, die verliebt waren, aber auch in Aufruhr. Nay gestand Nick ein, wie erleichtert sie war, dass er den Preis nicht gewonnen hatte, da die Verleihung während ihrer Hochzeitsreise gewesen wäre. Doch Nick hörte nur, dass sie seinen Sieg nicht gewollt hatte.
Am Ende entschied Nick, trotzdem zu kandidieren, allerdings eher aus Verwirrung als aus Entschlossenheit. Er legte seine Ankündigung auf den 8. Mai, dem National Law Day. Letztendlich hatte er sich an die Gesetze gehalten.
Als sich der Tag näherte, riefen immer mehr Leute an, von deren Unterstützung er eigentlich ausgegangen war. »Ich dachte, du solltest wissen«, sagten sie, »dass ich hinter Terry Zaleski stehe.« Sie erklärten, genau wie Jim Surdoval, dass Zaleski die besseren Chancen hätte, da er ein »unbeschriebenes Blatt« sei. Sie benutzten sogar viele der Phrasen, die Surdoval verwendet hatte. Das Einzige, was sie nicht sagten, war etwas, was Nick schnell herausfand – dass Surdoval alle gebeten hatte, ihn anzurufen.
Im letzten Moment verlegte Nick spontan seine Ankündigung auf den 13. Mai, seinen dreiundreißigsten Geburtstag, was ihm eine weitere Woche zum Nachdenken gab. Er bat Jim, ein persönliches Gespräch mit Terry Zaleski zu arrangieren, woraufhin er einen Großteil des Wochenendes bei Terry zu Hause verbrachte und zuhörte, während Terry versuchte, ihm die Kandidatur auszureden. Nay kam auch mit, und während Nick im Wohnzimmer Terrys Worten lauschte, hörte Nay draußen in der Küche fast dieselben Dinge von Terrys Frau Lynn.
»Du willst das jetzt nicht«, sagte Zaleski. »Du heiratest, du kannst das jetzt nicht gebrauchen.« Man redete viel über gespaltene Vorwahlen, bei denen Mannion nominiert und Spallone gewählt werden sollte. Auch wurde erwähnt, dass Nick zum stellvertretenden Bürgermeister ernannt würde, wenn Zaleski erst einmal gewählt worden sei.
Nick hatte seine Verlobte gebeten mitzukommen, weil er begonnen hatte, sich auf ihre Einschätzung von Leuten zu verlassen. Über die Jahre war ihm klargeworden, dass das, was er zuerst als Schüchternheit angesehen hatte, in Wirklichkeit tiefe Einblicke waren. Nay stand oft still am Rande einer politischen Veranstaltung, scheinbar überwältigt, doch später, wenn sie nach der Party über die Leute lästerten, waren Nay Dinge aufgefallen, die Nick komplett entgangen waren. Außerdem bat er sie, mit zu Zaleskis zu kommen, weil er befürchtete, dass Terry einige seiner politischen Berater dabeihaben würde, genau genommen Jim Surdoval, und Nick wollte auch ein Team mitbringen. Doch die herbe Wahrheit war, dass er gar kein Team hatte. Nay war die Einzige, die komplett an seiner Seite stand.
Als er den Besprechungs-Marathon verließ, war Nay voller Ratschläge. »Er ist ein falscher Hund«, sagte sie über Zaleski. Sie kaufte Terry seine Argumente nicht ab und glaubte auch seinen Versprechungen nicht. »Wo war er, als du wegen der Sozialbauten ans Kreuz genagelt wurdest? Er war oben in Albany, und er hat noch nicht einmal zum Hörer gegriffen und dich bestärkt durchzuhalten.«
Nick hatte Nay am Abend ihrer Hochzeit um Rat gefragt, jedoch befolgte er ihn nicht. Er hielt seine Pressekonferenz wie geplant am 13. Mai, doch es war eine ganz andere Veranstaltung, als er ursprünglich geplant hatte. Er und Terry Zaleski standen Seite an Seite in der Einfahrt von Nicks Haus, und Nick kündigte an, er würde nicht für das Amt des Bürgermeisters kandidieren, sondern stattdessen Zaleski unterstützen.
Es wäre ein politisches und persönliches Opfer, sagte Nick, zum Wohle der Partei.
»Es war keine einfache Entscheidung für mich«, sagte er. »Ich war zerrissen zwischen dem, was ich als mein Recht betrachtet habe, und dem, was sinnvoll ist. Ich habe mir seit Wochen den Kopf darüber zerbrochen, dass diese Teilung unsere gesamten Anstrengungen schwächen könnte. Das, was wirklich zählt, ist, Spallone und die Republikaner aus dem Amt zu jagen.«
Der Pulk an Reportern in der Einfahrt glaubte nicht, dass das wirklich seine Gründe waren, genauso wenig wie Nay. Sie verbrachte die nächsten Tage damit, ihren Polterabend vorzubereiten und mit Nick über Politik zu diskutieren. »Er macht dich nie zum Stellvertreter«, sagte sie. »Wenn er wirklich glaubt, du würdest keine Bedrohung für ihn darstellen, warum arbeitet er dann so hart daran, dich abzudrängen? Wenn du Angst vor einem weiteren Wahlkampf in dieser Stadt hast, dann gib es doch zu. Tu nicht so, als würdest du es nur der Partei zuliebe tun.«
Am 16. Mai kündigte er noch etwas an. Er würde für einen Sitz im Rat kandidieren, als Vertreter des Second Districts, Peter Chemas Sitz, der ihn nun aufgab, um in den Vorwahlen der Republikaner gegen Hank Spallone und Angelo Martinelli anzutreten.
»Ich will, dass Terry die Wahl gewinnt«, sagte er, »aber ich will auch, dass er effektiv arbeiten kann, und niemand weiß besser als ich, wie ein Rat aus Quertreibern die Effektivität eines Bürgermeisters beeinträchtigen kann.«
Zwei Tage später, um die Mittagszeit, heiratete Nick Wasicsko Nay Noe in der Kirche, in der auch seine Eltern getraut worden waren. Nick hatte seiner Braut versprochen, dass es kein politisches Ereignis werden würde, doch sein Leben verlief anders, und es war kein Versprechen, das er halten konnte. Ein Artikel im Herald Statesman erwähnte, die »kirchliche Trauung an der 239 Nepperhan Ave sei der Öffentlichkeit zugänglich«. Eine Crew von Cablevision kam, um über das Ereignis zu berichten, was Nay nervöser machte als die Trauung an sich. Weder Terry Zaleski noch Hank Spallone waren eingeladen, doch Nay entdeckte sie zwischen den Bankreihen, als sie den Gang hinunterging. Der Empfang in einem Country Club im nahegelegenen Städtchen New Rochelle schloss auch ein gesetztes Abendessen für 150 Personen ein.
Drei Tage nach der Feier begaben die Wasicskos sich auf eine zweiwöchige Hochzeitsreise nach Spanien und Marokko, wo sie die meiste Zeit über Politik diskutierten. Während sie unterwegs waren, kündigte die John F. Kennedy Library Foundation in Boston an, dass Nicholas Wasicsko mit zwei weiteren aus tausend Kandidaten in die engere Wahl für den Profile Courage Award gekommen sei. Der Gewinner war Charles Longstreet Weltner, ein früherer Kongressabgeordneter aus Georgia, der sich 1966 geweigert hatte, auf derselben Liste zur Wiederwahl anzutreten wie ein Rechtsanwalt für Rassentrennung.
In einer Erklärung sagte die Stiftung über Nick:
»Obwohl er das Amt des Bürgermeisters mit nur zwei Jahren Erfahrung als Abgeordneter angetreten hatte, zeichnete sich Wasicsko unter Beschuss als ein Mann mit Gewissen aus. Er hatte die Courage, die Regeln des Gesetzes aufrechtzuerhalten, und demonstrierte überragende Führungspersönlichkeit für die Menschen seiner geteilten Stadt.«
Jemand anderes hatte es endlich über ihn gesagt.
Im Juli traf das erste Reihenhaus in Yonkers ein. Es wurde auf einem Schwerlasttransporter in die Clark Street gefahren und hatte das gespenstisch-körperlose Aussehen aller vorgefertigten Gebäude, solange sie noch auf dem Transportweg sind.
Oscar Newman hatte nie in Erwägung gezogen, für das, was in so vielerlei Hinsicht seine Sozialsiedlungen waren, etwas anderes als Fertighäuser zu verwenden. Sie waren nicht nur billiger, sondern ihr Bau verlief auch weniger öffentlich, was angesichts ihrer Vorgeschichte in Yonkers gleichermaßen wichtig war. Auf der Baustelle würde lediglich die Ziegelverblendung angebracht, was bedeutete, es gab weniger Anlass für Demonstrationen und weniger Angriffsziele für Vandalismus. Nahezu die kompletten Arbeiten würden knapp drei Autostunden entfernt stattfinden, in der Arbeiterstadt Berwick, Pennsylvania. Das einstige Kohlerevier hatte sich seinem eigenen unvermeidlichen Schicksal mit einem Strukturwandel angepasst und war zum Zentrum der Fertighaus-Industrie im Nordosten geworden.
Die beiden riesigen, staubigen Werkhallen der Deluxe Homes, Inc. waren früher Teil einer Fabrik für Eisenbahnwaggons gewesen, die vor dreißig Jahren ihre Pforten geschlossen hatte. Hier begann die Fertigung der Reihenhäuser von Yonkers, indem aus Walzstahl inmitten eines kreischenden Funkenregens zunächst Ständerwände und Querträger entstanden, auf denen später die Last der Gebäude ruhen würde. Diese Träger und Elemente wurden dann in der anliegenden Halle auf eine dreihundertfünfzig Meter lange Montagestraße platziert, so lang wie vier Fußballfelder.
Dort formten Schweißer aus Ständerwerk und Trägern Wände, Böden, Decken und Dachstühle zu einzelnen Rahmenkonstruktionen. Diese wurden auf Wagen geladen, welche auf den Resten der alten Gleisanlage von einem Montagearbeitsplatz zum nächsten rollten. Wasserleitungen, Gas, Elektrizität und Abwasserleitungen wurden installiert, Fensterrahmen eingesetzt. Sperrholzböden, Rigipswände und Decken wurden verlegt und eingebaut. Ein vollständiges Badezimmer, hergestellt in einem anderen Teil des Gebäudes, wurde eingepasst.
Schließlich wurden die Rahmenkonstruktionen, jede einzelne ein anderer Raum, miteinander verbunden, wodurch eine größere, einstöckige Schachtel entstand. Ein Dachgeschoss wurde aufgesetzt. Die Dämmung wurde angebracht, zusammen mit Fenstern, Türen, Beleuchtung, Badezimmerarmaturen, Küchenschränken und Arbeitsplatten, Türknäufen und Bodenfliesen. Gegen Ende der Fertigungsstraße verklebten und verspachtelten Arbeiter auf Stelzen Fugen in Decken und Wänden. Am Schluss wurde jede Doppelhaushälfte in Folie verpackt und für die Fahrt nach Yonkers auf einen Sattelanhänger geladen. Jedes Haus kam fix und fertig in Yonkers an, quasi als vollendete Tatsache. Die Wohneinheiten wurden nicht nur außerorts gebaut, sondern auch schnell aufgestellt. Das Haus, welches am 9. Juli in der Clark Street ankam, wurde noch am selben Tag in seinem Fundament verankert. Von da an wurden täglich zwei bis drei Häuser fertiggestellt. Innerhalb einer Woche war der Umriss einer entstehenden Siedlung an der Clark Street deutlich zu erkennen. Obwohl Oscar Newmans mühsam erkämpfte Ziegelverblendung, der cremefarbene Putz und die hochwertige Gartengestaltung erst später hinzugefügt würden, waren bereits die Spitzdächer und Erkerfenster sichtbar, und die Nachbarn mussten zähneknirschend einräumen, dass die Sozialbauten »ziemlich gut« aussahen.
Es gab ein paar Versuche, den alten Kampf wieder aufflammen zu lassen. Jemand – dumme Kids, entschied das FBI – schmierte »Nigger raus« und »KKK« auf eines der neu errichteten Gebäude und schlug die Scheiben von zwei weiteren ein. Etwa gleichzeitig probierte es der Stadtrat kurzzeitig mit seiner eigenen Form von Vandalismus und drohte damit, die Siedlung an der Clark Street nicht an die Kanalisation anzuschließen. HUD kam auf den letzten Metern mit eigenen Hürden und begann, mit Oscar Newman um alles Mögliche zu feilschen, vom Durchmesser der Abflussrohre über die Gartenzäune bis hin zum Standort der Mülltonnen vor dem Haus.
Den Streit um die Zäune verlor er. Er hatte sich schmiedeeiserne Zäune vorgestellt, um die einzelnen Gärten voneinander abzutrennen, doch HUD wollte noch nicht einmal die unechte Version bezahlen, also war er gezwungen, sich mit galvanisiertem Maschendrahtzaun zufriedenzugeben. Bei den Mülltonnen hatte er mehr Erfolg. Die Behörde wollte gemeinschaftliche Sammelbehälter – einen großen Container, den sich mehrere Familien teilten. Es war die preiswerteste Lösung, die immer in Sozialsiedlungen genommen wurde. Newman wollte, dass jedes Reihenhaus seine eigene Mülltonne bekam, die in einen neben dem zur Haustür führenden Weg in den Boden eingelassenen Metallkasten passte. Auf diese Weise, argumentierte er, wären die Mieter für ihren eigenen Müll verantwortlich, da sie ihn nicht irgendwo auf einen anonymen Haufen werfen konnten. Am Ende bekam Newman Unterstützung von Peter Smith, der den Weg für separate Mülltonnen freimachte, allerdings nicht ohne einen schrägen Seitenblick, der so viel sagte wie: »Du hältst dafür den Kopf hin, falls das in die Hose geht.«
Je näher der Fertigstellungstermin rückte, desto häufiger bekam Newman die Botschaft zu hören: diese Reihenhäuser waren seine Idee, und wenn es schieflief, wäre das sein Problem. Es gibt nichts Nervenaufreibenderes, als sich wenige Zentimeter vor dem Erreichen seines Lebensziels zu befinden. Alles, was Newman in den vergangenen dreißig Jahren gelernt hatte, war in dieses Wohnungsbauprojekt eingeflossen. Also war es eine Mischung aus Stolz und Lampenfieber, mit der Newman eines trüben, kühlen Nachmittags Judge Sand zur Besichtigung der Baustelle begleitete.
Sand machte einige höfliche Bemerkungen, aber die meiste Zeit schwieg er. Newman konnte nicht erkennen, ob es dem Richter nicht gefiel oder ob er einfach nur überwältigt war von der Inkarnation über eines Jahrzehnts an Arbeit. Als sie dann aber in die Gärten gingen und Sand missbilligend auf die Maschendrahtzäune starrte, brauchte sich Newman nicht mehr groß zu fragen, was der Richter dachte.
»Die Gärten sehen aus wie Schweineställe«, sagte Sand. »Müssen die Zäune wirklich sein?«
Newman holte tief Luft und erklärte, warum diese Zäune – und waren sie noch so hässlich – besser waren als gar keine. »Die Gärten werden völlig anders aussehen, wenn die Häuser erst einmal bewohnt sind«, sagte er. Und ohne die Zäune, fuhr er fort, gäbe es »kein Gefühl von Eigentum oder Verantwortlichkeit«. Dann würde der ganze Bereich zu einem einzigen großen Garten werden, den alle vernachlässigen und schließlich niemand mehr benutzen würde.
Sand schüttelte den Kopf.
»Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun«, sagte er nur.
Henry Spallone schaffte es nicht bis in die Wahlen zum Strong Mayor. Seine Vorwahlkampagne war ein Beispiel an Verwirrung, mit Schulden von 38.000 Dollar, die er vorübergehend mit einem privaten Darlehen zurückzahlte. Peter Chema gewann die Vorwahlen der Republikaner, mit einhundert Stimmen vor Angelo Martinelli. Spallone war der abgeschlagene Dritte. In einer bizarren Wendung erhielt Judge Leonard Sand, ein lebenslanger Demokrat, eine Briefwahl-Stimme.
Von den Republikanern verschmäht, versuchte Spallone sich als unabhängiger Kandidat, doch Chema forderte seine Ernennungs-Petition heraus. Fünfzehnhundert Unterschriften waren notwendig, um sich als unabhängiger Kandidat zur Wahl aufstellen zu lassen. Insgesamt hatten 2.150 Wähler Spallones Petition unterzeichnet, doch Chema bewies, dass 675 Stimmen nach dem komplexen und undurchsichtigen Bundeswahlgesetz für ungültig erklärt werden müssten, wodurch Spallone fünfundzwanzig Stimmen für eine zweite Chance fehlten. Spallone legte gegen die Entscheidung des Wahlrates Berufung ein und bewies vor dem Supreme Court, dass einige der Stimmen tatsächlich gültig waren, doch für eine Qualifikation reichte es trotzdem nicht.
Mary Dorman war im Gerichtssaal, als Spallone die Entscheidung kampflos hinnahm. Es wäre vorbei, sagte er, er würde keine Revision einlegen. Sie war wütend, dass er vor einem Kampf davonlief – er, der ihr überhaupt erst beigebracht hatte, wie man kämpfte. Und sie schämte sich für ihn. Er war ein Mann, dessen Karriere sich auf die Missachtung einer richterlichen Anordnung stützte. Nun endete dieselbe Karriere mit der Befolgung einer richterlichen Anordnung.
Vor dem Gerichtsgebäude schwor Spallone, dass dies zwar das Ende seines Wahlkampfes sei, nicht jedoch das Ende seiner Karriere. Er käme wieder, sagte er. Doch hatte er nicht auch versprochen, den sozialen Wohnungsbau in Marys Gegend nie zuzulassen? Als der Grundstein der Reihenhäuser gelegt wurde, hatte sie den Glauben an den Kampf verloren, nicht an den Mann. Mit seinem Rückzug aus dem Rennen konnte sie auch an ihn nicht länger glauben. Die Politik war ihr inzwischen zu einer Gewohnheit geworden, und da sie, als Spallone fort war, mit ihrer Zeit nicht so recht etwas anzufangen wusste, begann sie halbherzig für Angelo Martinelli zu arbeiten, dessen Wahl zum unabhängigen Kandidaten nicht disqualifiziert worden war. Sie glaubte nicht wirklich an Martinelli, doch das spielte im Moment keine Rolle. Für ihn zu arbeiten, lenkte sie von der Suche nach etwas Neuem ab, an das sie glauben konnte.
Terry Zaleski erreichte am Wahltag nur 36 Prozent der Stimmen, doch das reichte aus, um der erste starke Bürgermeister von Yonkers zu werden. Wie üblich zeigten die Wahlergebnisse eine geteilte Stadt, mit fünf von sechs Wahlbezirken im Westen, die für Zaleski gestimmt hatten, dem Kandidaten mit der moderatesten Position bezüglich Desegregation, sowie mit fünf von sechs Wahlbezirken im Osten, die für Chema gestimmt hatten, dem stärksten Gegner der Desegregation. Wie üblich gingen mehr Wähler auf der Ostseite zur Wahl als auf der Westseite. Zaleski gewann nur, weil Martinelli Peter Chema einen kritischen Ostbezirk abgenommen hatte.
Trotz des geringen Abstands und trotz der anhaltenden Spaltung erklärte Zaleski seinen Sieg mit demselben Selbstvertrauen, das jeder Politiker am Wahlabend verspürt. »Dies war ein echter Wahlkampf für die Zukunft der Stadt Yonkers«, erklärte er kurz nach 23.00 Uhr.
Während Zaleski feierte, war Nick Wasicsko zu Hause, sprachlos darüber, welche Richtung seine eigene Second-District-Wahl einschlug. Weil er die Vorwahlen der Demokraten mit einem 3-zu-1-Vorsprung gewonnen hatte und weil es ein starker Wahlbezirk der Demokraten war, hatte Nick angenommen, er hätte bei den Hauptwahlen einfaches Spiel. Stattdessen zeigten die Ergebnisse, dass er gegen seinen Gegner Edward Magilton verlor, ein politischer Neuling, der als Betriebsspezialist im Department of Public Works arbeitete. Um 22.00 Uhr führte Magilton vor Wasicsko mit 150 Stimmen. Über die nächsten Stunden, als 97 Prozent der Stimmen gezählt waren, wurde es zu einem Kopf an Kopf Rennen und Magilton führte mit 40 Stimmen. Gegen Mitternacht holte sich Nick einen Gerichtsbeschluss, um die Wahlmaschinen für eine erneute Zählung zu beschlagnahmen. Er ging um 2.30 Uhr morgens zu Bett und fragte sich, ob er seine Niederlage hätte eingestehen sollen, als niemand mehr wach war, um ihn zu hören.
Der nächste Morgen brachte die Neuigkeit, dass mehr Stimmen ausgezählt worden seien, und in einem Wahlbezirk führte er 137 zu 60 Stimmen, genug, um ihn von 40 Stimmen zurück nun mit 30 Stimmen in Führung zu bringen. Als er das Haus verließ, waren alle restlichen Bezirke ausgezählt und er lag wieder hinten – mit zwei Stimmen.
Es dauerte mehrere Tage bis zur Neuauszählung, und er war sich immer sicherer, am Ende seiner politischen Karriere zu stehen. »Ich habe es vermasselt«, sagte er. »Was soll ich denn jetzt machen?«
Nick war niedergeschlagen und verbrachte Stunden damit, neben dem Telefon zu sitzen. Es gab ein paar Leute, die anriefen und ihm sagten, er solle »durchhalten«, oder »es wird schon alles gut gehen«, doch es waren nicht so viele, wie es eigentlich sein sollten, und, noch wichtiger, Terry Zaleski war nicht darunter. »Ich habe alles für diesen Typen geopfert«, sagte er. »Kann er nicht wenigstens mal zum Hörer greifen?« Irgendwann rief Zaleski an. Was Nick nicht wusste, war, dass Nay aus Angst vor der wachsenden Depression ihres Mannes Jim Surdoval kontaktiert und verlangt hatte, dass Zaleski mit Nick sprach.