Jakob Stein
Tödliche Tropfen
Jakob Stein Tödliche Tropfen
2016 B3 Verlags und Vertriebs GmbH,
Markgrafenstraße 12, 60487 Frankfurt
2. Auflage 2016
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Umschlag: Claudia Manns, KUNSTSTÜCK
ISBN 978-3-943758-54-2
Dieses E-Book ist auch als gedrucktes Buch unter der
ISBN 978-3-943758-53-5 erhältlich.
Krimi
Die Hitze war unerträglich. Die Luft stand als ein diffuses Gemisch aus Staub, üblen Gerüchen und Abgasen unbewegt in den Straßen. Kein Windhauch war zu spüren. Trockenes Laub schnalzte und zerbrach unter den sacht dahinrollenden Reifen. Die wenigen Fahrradfahrer drängten sich an der Ampel in einem schmalen Schattenstreifen zusammen wie Schiffbrüchige auf einem Floß.
Die Sonne brannte unerbittlich vom Himmel herab und stach in jeden dunklen Fleck, den man am Körper trug. Es war bereits der dritte Tag in Folge mit Temperaturen über achtunddreißig Grad und kaum Abkühlung in der Nacht. Wieder einmal war der Hitzerekord in Frankfurt gebrochen worden, das dritte Mal innerhalb der letzten vier Wochen.
Die Menschen bewegten sich wie betäubt. Hunde hechelten müde neben ihren Herrchen her, gereizte Autofahrer hupten grundlos und rasten wild gestikulierend davon. Die Anwohner entlang des Alleenringes hatten alle Fenster mit ihren Rollläden gegen das immer noch herabsengende Licht verbarrikadiert.
In der kleinen Gruppe der wartenden Radfahrer ragte eine Person nicht nur ob ihrer Größe heraus – er übertraf alle anderen um Haupteslänge. Er war auch der Einzige, der bei diesem Wetter ein Sakko trug. Es war zwar aus Leinen und hing luftig herab, doch als es sich bei der Weiterfahrt um die muskulösen Schultern spannte, waren darauf breite Schweißflecken zu sehen.
„Wo soll ich mit meinem Handy, meinem Schlüssel, meiner Brieftasche hin?“, hatte Martin am Morgen Sandra geantwortet, als diese ihn fragte, ob er sich das wirklich antun möchte. „Und die Dienstwaffe möchte ich auch nicht offen tragen“, hinterhergeschickt.
„Bei mir im Labor ist es schön kühl, im Gegensatz zu deinem Büro. Vielleicht schenke ich dir mal eine Umhängetasche?“ Martin hatte daraufhin nur unbestimmt die Schultern gehoben, was weder Zustimmung noch Ablehnung bedeutete, wie immer, wenn Sandra ihm Vorschläge bezüglich seiner Kleidung unterbreitete.
Es war kurz nach achtzehn Uhr und die Stadt glühte wie ein Backofen. Nicht ohne Wehmut dachte Martin Schwaner an das vergangene Wochenende, an dem sie Sandras Eltern in Hamburg getroffen hatten. Dort war es viel angenehmer gewesen. Das kleine, familiäre Hotel in Blankenese, die Spaziergänge an der Elbe entlang, die Restaurants und Cafés – sie hatten sich immer etwas abseits des Zentrums und der Touristenströme gehalten, was Martin sehr entgegenkam, denn eigentlich verabscheute er Städtereisen. Im Nachhinein musste er zugeben, dass er gerne etwas mehr von Hamburg gesehen hätte, da ihm die Hansestadt nur vom Hörensagen bekannt war. Etwas mehr Trubel wäre auch dem Miteinander zuträglich gewesen. Es war das erste Treffen zwischen Martin und Sandras Eltern. Zeitweise fühlte er sich wie ein einsames Exponat inmitten eines menschenleeren Museums. Die distanzierte Freundlichkeit verunsicherte ihn zudem. Umso überraschter war er über die herzliche Umarmung von Sandras Vater zum Abschied. Rolf, sie waren seit dem ersten Abend per Du, war fast gleich groß. Er zog Martin an seine schmächtige Brust heran, klopfte zwei, drei Mal dessen breites Kreuz und murmelte etwas wie: „Meine Tochter meint es sehr ernst mit dir und ich kann sie gut verstehen.“
Als Sandra später wissen wollte, was ihr Vater ihm auf dem Bahnsteig ins Ohr geflüstert habe, wiegelte er ab, was sie umso neugieriger werden ließ. Sie wurde fast wütend, da Martin es immer länger verheimlichte und anfing, absurde Geschichten zu erfinden. „Er sagte, Du würdest nachts schnarchen, ob ich das schon herausgefunden hätte?“ oder „du seist eine Prinzessin und würdest nur von goldenen Löffeln essen.“
Sandra verstummte, wandte sich ab und starrte aus dem Fenster. Martin war von ihrer Reaktion überrascht. Jedes Wort von ihm überhörte sie, jede Geste der Versöhnung wehrte Sandra ab. Als er schließlich Rolfs Satz Wort für Wort wiederholte, drehte sie sich wieder ihm zu.
„Mehr nicht?“, fragte Sandra nach.
„Nein, mehr nicht“, antwortete Martin. „Was soll er mir denn erzählt haben? Gibt es dunkle Geheimnisse in deiner Vergangenheit?“
„Unzählige!“, scherzte nun Sandra. „Du würdest mich augenblicklich verlassen.“
„Erzähl!“ Martin schlang seinen Arm um sie.
„Ich war schon einmal verlobt…“
„Wirklich?“
„Ja, mit dem Eisernen Steg …“ Sandra nahm einen Artikel eines Klatschmagazins aus dem Hotel auf, in dem über die Hochzeit einer Frau mit dem Eifelturm berichtet wurde.
„Was hat euch auseinandergebracht?“
„Er wollte mich an sich ketten.“ Darüber amüsierten sie sich letztens, als sie die unzähligen Schlösser entlang der Stahlträger des Eisernen Steges untersuchten. Sie fragten sich, was wohl länger hielte, die Ehe oder die Gravur ins Metall. Und ob nach der Trennung die Bügelschlösser wieder herausgeschnitten würden? „Ja, natürlich. Unter dem Eisernen Steg werden alle paar Monate die zerbrochenen Träume herausgebaggert.“
„Dann warst du sicherlich sehr traurig?“
„Ja, sehr. Ich machte mich dann an den Messeturm ran …“
So weiter scherzend fuhren sie im klimatisierten Abteil nach Frankfurt zurück.
„Grüner wird’s nicht!“, schreckte ihn einer der hinter ihm Wartenden aus seinen Gedanken auf. Müde stemmte sich Martin in die Pedalen, radelte mit tief gesenktem Haupt in Richtung Grüneburgpark und von dort weiter zu Sandras Wohnung. Seine eigenen vier Wände waren momentan kaum bewohnbar. Auch ans Rudern war bei diesen Temperaturen nicht zu denken und so gab es für ihn keinen Grund, nach Sachsenhausen zu fahren. Er sehnte sich schon nach dem kühlen Drink im Wintergarten. Sandra wohnte im noblen Diplomatenviertel in Bockenheim. Ihre Altbauwohnung führte hinten in einen kleinen, von Bäumen gesäumten Garten. Vor dem Haus sorgte eine gewaltige Kastanie für Schatten, sodass es im Inneren einigermaßen erträglich blieb. Die letzten Abende hatten Sandra und Martin nach Dienstschluss bei weit geöffneten Fenstern und eiskalten Getränken auf dem umbauten Balkon verbracht. Der Garten schien die Treppe herauf, in die bunte Vielfalt der Topfpflanzen zu kriechen.
Trotz einer gewissen Abkühlung zum Abend hin war an Schlaf nicht zu denken. Schweißgebadet wälzte man sich hin und her. Jede Berührung des anderen verursachte innerhalb von Sekunden glühende Stellen, die noch mehr schwitzten.
Halbträume vermischten sich mit den wenigen Geräuschen. Hartnäckig drängten sich Bilder und Ereignisse des Tages hinein, immer wieder die gleichen, als sei irgendwo im Kopf die Nadel hängen geblieben.
Hauptbrandmeister Bernhard Reis drehte sich in seinem schmalen Bett von einer auf die andere Seite. Der Kragen seines dünnen, kurzen Schlafanzuges war durchnässt. Das Kissen zeigte einen großen feuchten Fleck und winzige Perlen wuchsen unentwegt auf seinem glatt rasierten Kopf, dass er im fahlen Licht, das durch das kleine Fenster drang, glänzte wie eine polierte Kugel.
Die Klimaanlage funktionierte in den Gemeinschaftsräumen der Flughafen-Feuerwehr recht ordentlich. Ihre Kraft reichte allerdings nicht aus, zumindest nicht bei diesen abartigen Temperaturen, um auch die einzelnen Zimmer zu kühlen. Der zweistöckige Flachbau mit seinem schräg laufenden Dach, stand den ganzen Tag über in der Sonne und speicherte die Hitze, um sie nachts in die Schlafräume der Mannschaft sickern zu lassen.
Erneut von absurden Hirngespinsten gemartert richtete sich Reis auf, langte zum Griff des Fensters und riss es auf ‚Besser der Lärm da draußen als dieser Dunst hier drin‘, war sein wütender Gedanke. Noch herrschte Nachtflugverbot und mehr oder minder Ruhe. Von Ferne war der Baulärm auf der Centerbahn als monotones Brummen zu hören. Reis sank wieder auf die Matratze nieder.
Mit dem ersten, zarten Windstoß drang auch ein bestialischer Gestank in sein Zimmer. Der Brandmeister wollte ihn zunächst ignorieren, vielleicht war ihm selbst etwas unbemerkt entschlüpft. Doch mit jedem neuen Luftzug wurde es schlimmer und schlimmer, dass er beinahe würgen musste und seinem blinden Zorn freien Lauf ließ. ‚Hat mir da jemand eine tote Katze unters Fenster gehängt?‘ fluchte er vor sich hin und sprang genervt auf. „Oder hat dieser Fischer mal wieder die Biotonne offen gelassen?“. Reis suchte jemanden, den er beschimpfen und zum Ziel seiner Aggressionen machen konnte. Da kam ihm der neue, unsympathische Kollege gerade recht. Unterbewusst läutete allerdings schon etwas Alarm. Dieser Geruch kam ihm irgendwie bekannt vor – zwar nicht in dieser Stärke, die glatt zehn Mann umhauen würde – doch aus seinen unzähligen Einsätzen vertraut.
Schlagartig hellwach schaute er aus dem Fenster. Sein Zimmer lag in der hintersten Ecke der Feuerwache 3. Links schaute er über den alten Betonzaun hinweg in den jetzt tiefschwarzen Wald. Unter ihm standen auf dem Hof verschiedene Anhänger und Fahrzeuge. Rechts sah er die Reste der Simulationsanlage, die den Rumpf eines Flugzeuges imitierte und in der sie, und auch Feuerwehren anderer Flughäfen, regelmäßig den Einsatz innerhalb des schmalen Bauches einer Passagiermaschine übten. Momentan war diese Anlage nicht einsatzbereit und in Einzelteile unterschiedlicher Größe zerlegt. Sie sollte von hier zur neuen Feuerwache 4 transportiert und dort im neuen und wesentlich größeren Übungsgelände wieder aufgebaut werden. Durch die anhaltende Sonneneinstrahlung hatte sich das Modell aus rot lackierten Metallcontainern, übersät von schwarzen Rauchflecken, so aufgeheizt, dass im Inneren mehr als achtzig Grad herrschten. Die Außenhaut konnte auch mit Handschuhen kaum angefasst werden. Der Umzug wurde nochmals ausgesetzt und Übungen darin bis auf Weiteres abgesagt. Reis und seine Kollegen hat es gefreut. Es war alles andere als ein Spaß, durch die Blechkonstruktion zu kriechen, in der an Decke und Boden verlegte Leitungen die für einen Flugzeugbrand typischen Flammen nachstellten. Nach wenigen Sekunden fühlte man sich wie in einer Bratröhre. Der Schweiß floss in Strömen, die Sichtfenster der Masken beschlugen und in Kombination mit dem Rauch war die Sicht gleich null.
Darüber hinaus sorgte die anhaltende Trockenheit für zahlreiche andere Brandgefahren und die Feuerwehr sollte in Bereitschaft sein.
Die weit entfernt stehende Laterne vergoss nur wenig Licht über die kantigen Quader. Von seinem Fenster aus konnte Reis nichts erkennen, doch der Gestank kam eindeutig aus dieser Richtung. Eine vage Ahnung über die Ursache verdrängte er sofort wieder aus seinem Kopf. Reis zog eine kurze Turnhose über und schlüpfte in die unter dem Bett stehenden Badelatschen. Die Zentrale war vorschriftsmäßig mit vier Mann besetzt.
„Rainer! Komm mal mit!“, rief er einem der um einen Tisch Sitzenden zu. Alle Köpfe wandten sich dem Oberbrandmeister zu.
„Was ist? Kannste nicht schlafen?“, fragte der Angesprochene zurück.
„Da unten muss irgendwo ein totes Tier liegen. Es stinkt da hinten, dass die Farbe von der Wand blättert.“ Reis schlappte voran, der gerufene Rainer Faber griff geistesgegenwärtig nach einer Taschenlampe und folgte seinem Kollegen nach draußen. Als die beiden aus dem Gebäude traten, umschloss sie die immer noch warme Luft wie eine Decke. Tagsüber war heute niemand vor die Tür gegangen, alle hatten sich drinnen vor der brutalen Hitze verborgen.
Die Sohlen der Badelatschen klebten an den Füßen und erzeugten ein rhythmisches Schmatzen. Reis ging vorweg, Faber folgte ihm gebeugt mit tief in den Taschen der Uniformhose vergrabenen Händen. Zwischen dem Gebäude und den Bestandteilen der Anlage blieben sie stehen. Riechen mussten sie nicht, der Geruch war allgegenwärtig und schlug auch Faber auf den Magen.
„Uhhh, was für ein Gestank. Was ist das?“ Er zog die Stablampe aus der Seitentasche und leuchtete den Boden im Umkreis ab. Es war nichts zu sehen. Reis zog seinen Kollegen etwas nach links in Richtung der dort wachsenden Bäume und Büsche, doch schon nach wenigen Schritten ließ die Intensität des Geruchs deutlich nach. Es musste von der Anlage kommen, ohne Zweifel.
Dicht hintereinander und synchron näherten sie sich wieder der Attrappe. Von dieser Seite aus war die leicht offen stehende Tür an einem der Container – sie soll den Zugang zum Frachtraum darstellen – deutlich zu sehen. Je näher sie dem tiefschwarzen Spalt kamen, umso dicker wurde die Luft. Der Strahl der Taschenlampe legte sich als langes, dann schrumpfendes Oval über die gerippte Außenwand. Ein wellenförmig ansteigendes und wieder verebbendes Summen war zu hören. Beide Feuerwehrmänner hielten sich Mund und Nase zu, Reis mit der rechten Armbeuge, Faber mit der linken Hand. Der Lichtkegel war zu einem grell leuchtenden Kreis geworden, in dem der Schatten der geöffneten Luke wie ein Keil steckte. Reis griff nach der oberen Ecke und zog die Blechtür beherzt auf. Mit dem bestialisch stinkenden Schwall abgestandener Luft, die sich wie ein öliger Film auf die nackten Arme legte, flog eine dichte Wolke fetter Fliegen auf und in die Gesichter der in Schockstarre verharrenden Feuerwehrmänner. Die pechschwarzen Punkte lösten sich im Schein der Lampe auf und gaben ein unter ihnen verdecktes Bild frei. Irgendetwas blitzte und funkelte. Reis stöhnte laut auf und glaubte sich in einem Albtraum zu befinden. Im nächsten Moment war alles schwarz. Faber war zur Seite gesprungen und übergab sich laut würgend. Reis torkelte zu dem gebeugt dastehenden Faber und zog ihm die Taschenlampe aus der verkrampften Hand. Entschlossen leuchtete er wieder ins Innere der Anlage. Nein, dies war kein Traum und es war auch kein Ritt in einer Geisterbahn. Dies hier war Realität, furchtbare Realität.
„Rainer? Rainer! Geh rein und mach Meldung. Ich warte hier.“
Das grelle Licht am Tor blendete Hauptkommissar Martin Schwaner. Er hielt sich schützend die Hand über die Augen. Sven Beck, sein Assistent, hatte die Scheibe heruntergelassen und zeigte seinen Ausweis dem Sicherheitsdienst, der anscheinend schon auf sie gewartet hatte. Ein Wagen der Bundespolizei würde gleich kommen und sie begleiten. Sie sollten einen Moment dort drüben warten. Beck tippte sich an die Stirn und steuerte nach rechts.
Unterwegs hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Gegen zwei Uhr war Schwaner von der Einsatzzentrale aus seinem ohnehin brüchigen Schlaf gerissen worden. Benommen saß er auf der Bettkante.
„Waasss isst?“, drehte sich Sandra verschlafen und unbedeckt zu ihm um. Ihr dünnes, nur von zwei schmalen Trägern gehaltenes Nachthemd war ihr bis zum Bauch emporgeklettert. Der weiße Hautstreifen, der sich zum Po hin verbreiterte, leuchtete Martin verführerisch entgegen. Er ließ sich zurück ins Bett fallen und drückte einen langen Kuss auf die weiche Backe, während seine Hände an Rücken und Oberschenkel entlang strichen.
„Mmmhhh…“, seufzte Sandra genüsslich.
„Ich muss los“, nuschelte Martin, noch immer die Lippen auf Sandras Hintern gepresst.
„Woohiin?“
„Zum Flughafen. Ein Leichenfund.“
Nach einem Klaps auf ihren Allerwertesten stemmte er sich hoch, schnappte seine Sachen vom Stuhl und ging ins Badezimmer. Ihm wurde plötzlich schwindlig und er musste sich am Türrahmen festhalten. ‚Hoppla, was ist jetzt los?‘, dachte er, schob es aber auf das plötzliche Aufstehen.
Er warf sich einige Handvoll Wasser ins Gesicht, sprühte reichlich Deo unter die Achseln, zog sich an und tappte nochmals zum Bett zurück, um sich zu verabschieden.
„Soll ich nicht mitkommen?“, fragte Sandra, anscheinend bereits hellwach.
„Nein. Ich denke, es wird nichts Außergewöhnliches sein.“
„Aber ich habe Bereitschaft und muss ja dann auch bald los“, flüsterte Sandra ihm zu. Als Ärztin am Rechtsmedizinischen Institut der Goethe-Universität würde Martins Leiche in wenigen Stunden höchstwahrscheinlich bei ihr ankommen.
„Ich werde mir Zeit lassen“, versprach Martin beim Abschiedskuss.
Als Beck vorfuhr, fühlte er sich matt und ausgezehrt. Wenig Schlaf machte ihm eigentlich nichts aus, die anhaltende Hitze war viel schlimmer.
„Was ist das für ein Licht da drüben?“ Schwaner deutete auf eine helle Kuppel, die über die flachen Gebäuden hinweg zu erkennen war. „Liegt dort unsere Leiche?“
„Keine Ahnung.“ Beck hob nur die Schultern und schaute kurz zu Schwaner hin. Im Licht der Laterne warf die Narbe auf seiner Oberlippe, obwohl er sie mit einem dümmlichen Schnauzer zu kaschieren suchte, einen deutlichen Schatten.
Der Wagen der Bundespolizei kam heran, blinkte einmal kurz auf, wendete und fuhr voraus. An nüchternen Zweckbauten vorbei gelangten sie zum Flugfeld. Sie hielten direkt auf den weithin leuchtenden Bereich zu, drehten plötzlich nach Westen ab, vorbei an still wartenden Flugzeugen und riesigen Hallen mit halboffenen Toren, hinter denen gearbeitet wurde. Hier wurden kleine Container in Maschinen verladen, dort spannte ein riesiger Airbus unter der frei schwebenden Decke seine Flügel aus. Winzig wirkende Mechaniker liefen um die gewaltigen Triebwerke herum.
Danach wurde es dunkel und unbelebt. Ein, zwei Gebäude lagen ausgestorben und scheinbar nutzlos da. Eine weite Fläche folgte, über die nur der matt leuchtende Zaun vor der tiefen Schwärze des angrenzenden Waldes zu sehen war. Etwas abseits davon tauchte die Feuerwache 3 auf.
Rechts strahlte die Lichtkugel über das gesamte Vorfeld. Lange Schatten liefen vor ihrem grellen Schein davon. Die kleinen Lampen, die am hinteren Ende einer Reihe von Containern aufgestellt waren, wirkten wie Glühwürmchen im Gegensatz zu den Flutern einige Hundert Meter von ihnen entfernt.
„Was geschieht dort?“, fragte Hauptkommissar Schwaner den Erstbesten, der ihm beim Aussteigen über den Weg lief.
„Der Belag der Centerbahn wird erneuert“, antwortete der Angesprochene überrascht. Er eilte zu dem beleuchteten Fleck am hinteren Ende. Fasziniert starrte Schwaner zum Flugfeld hinüber. Jetzt erkannte er einen dichten Tross unterschiedlicher Fahrzeuge, die sich im Schneckentempo vorwärtsbewegten. Auch der Lärm drang nun herüber. Ständig fuhren vorne und hinten lange Kipplaster heran und wieder weg. Die vorderen wurden von riesigen Asphaltfräsen gefüttert, die hinteren luden den neuen Belag in die breiten Mäuler noch breiterer Maschinen ab, die ihn über die Bahn verteilten. Zwischen vorne und hinten reinigten gewaltige Bürsten den Untergrund, andere Fahrzeuge sprühten, als düngten sie ein Feld, etwas auf. Mehrere Leuchtmasten, montiert auf garagengroße Generatoren, wurden auf beiden Seiten mitgezogen. Zahlreiche Menschen bewegten sich wie Scherenschnitte dazwischen.
„Unglaublich!“, staunte der Hauptkommissar, der seinen Blick gar nicht lösen konnte.
„Ja, ja! Eine technische Meisterleistung. In drei Tagen ist die gesamte Bahn wie neu“, klang es wenig begeistert an Schwaners Ohr. „Wenn Sie sich vielleicht einmal unserem Problem widmen möchten …?“ Der Hauptkommissar wurde fast am Arm herumgerissen und stand einem kleinen, doch sehr breiten Kollegen in Uniform gegenüber.
„Richter. Hauptkommissar Richter von der Kriminalabteilung hier im Flughafenrevier“, stellte sich die gedrungene Gestalt vor, wobei er seinen Rang langsam und betont aussprach. Schwaners Hand glitt in einen Schraubstock und wurde mehrere Sekunden gepresst. Ein neugieriges Grinsen von Ohr zu Ohr, darüber zwei geblähte Backen wie die eines Trompetenspielers und kleine Schweinsaugen ließen das Gesicht wie eine Maske erscheinen. Die quadratisch geschnittene Kurzhaarfrisur tat ihr Übriges dazu. Bei dieser unwirklichen Beleuchtung, der künstlichen Umgebung und dem abstrusen Lärm kam es Schwaner vor, als sei sein Gegenüber einem Comic entsprungen oder aus der Matrix vor ihm gelandet.
„Schwaner. Martin Schwaner von der Mordkommission“, antwortete er und erwiderte den kräftigen Händedruck. „Das ist mein Kollege Sven Beck.“ Geschickt schüttelte er dabei seine frei gewordene Hand aus.
Richter führte Schwaner und Beck an der Simulationsanlage entlang und erläuterte schon im Gehen die Geschehnisse der letzten Stunden.
„Gegen halb zwei ging der Anruf der Kollegen von der Feuerwehr bei uns ein. Wir haben sofort die Zentrale verständigt und sind hier raus gefahren.“ Die drei erreichten das Absperrband, das völlig überflüssig wirkte, da außer den ermittelnden Personen keine Menschenseele zu sehen war.
„Wir haben den Fundort gesichert …“
„Wer hat die Leiche gefunden?“, unterbrach Schwaner den gehetzt redenden Richter.
„Zwei Feuerwehrmänner. Reis und Faber. Sie sitzen drinnen. Die sind völlig fertig, obwohl sie einiges kennen …“ Richter hielt das weiß-rote Band in die Höhe. Er und Beck schlüpften darunter hindurch. Martin Schwaner deutete ihm an loszulassen und stieg darüber. „… es ist kein schöner Anblick … Ihre Kollegen sind schon bei der Arbeit, ich …“ Schwaner ließ ihn stehen und ging neben Beck zu der weit offen stehenden Klappe hinüber. Dahinter kniete ein Mensch im Schutzanzug. Nur seine Füße und sein Rücken waren zu sehen. Eine andere, mit Maske und Brille vermummte Gestalt tauchte immer wieder über der Metalltür auf, scheinbar um die Beine durchzudrücken, vielleicht auch aus einem anderen Grund.
Der Geruch war so plötzlich da, dass er Martin und Sven in den Magen schlug. Der wie ein Harlekin immer wieder aufspringende Oberkörper gehörte zu Günther Messner, dem Leiter der Kriminaltechnik. Schwaner erkannte ihn am dicken Haarwulst unter der Kapuze. Im Licht der Scheinwerfer leuchtete er wie ein Schneemann – ein Bild, das auch von seiner fülligen Statur unterstützt wurde.
Erst jetzt, wenige Schritte von Messner entfernt, sah er die unzähligen Fliegen, die im Schein der Lampen umherschwirrten. Der Hauptkommissar verlangsamte seinen Gang, blieb fast stehen. Wie in Zeitlupe schob er sich um die Klappe herum. Der unglaubliche Gestank nahm ihm den Atem. Der vor ihm hockende Mitarbeiter der KTU stand auf und auch Messner ging schweigend zur Seite, reichte ihm noch aus einem Koffer einen Mundschutz.
Im geöffneten Rachen lag, an die Seitenwand angelehnt, ein menschlicher Körper. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Lediglich das lange, glatte, schwarze Haar deutete auf eine Frau hin. Das Gesicht, sofern es unter den sich immer wieder absetzenden Fliegen zum Vorschein kam, war aufgedunsen, ja förmlich aufgeblasen. Die Augen kaum sichtbare Striche, die Nasenlöcher grotesk vergrößert. Aus den Ohren und der Nase sickerte eine dunkle Flüssigkeit und zeichnete schwarze Bahnen auf die Haut. Aus dem Mund quoll die Zunge, dick wie ein Schiffstau, auf die die obere, entblößte Zahnreihe biss. Die Oberlippe war komplett verschwunden, entweder eingerollt oder gerissen. Zwischen den beiden Schneidezähnen blitzte und funkelte ein Piercing.
Die Tote trug eine ärmellose Bluse. Die Haut spannte sich papierartig über die Schultern und zeigte großflächige Abschiebungen. Dazu schimmerte sie in einer Farbe, die Schwaner noch bei keiner Leiche gesehen hatte, eine Mischung aus braun, grün und rot. Der Bauch stand wie bei einer Hochschwangeren weit unter dem Brustkorb heraus. Die Beine waren an der Oberseite unnatürlich aufgeschwollen und mit Fäulnisblasen übersät. An den Seiten der Oberschenkel schimmerten die Venennetze hindurch. Über den Schienbeinen und Füßen war die Haut gerissen und gab die darunter liegenden Knochen frei. Der Körper hockte in einer dunklen Lache, die das besondere Ziel der zahllosen Fliegen war.
Mehr konnte, mehr wollte der Hauptkommissar nicht sehen. Er wandte sich ab, ging zur Seite, Messner kam hinter ihm her.
„Martin! Martin! Wir müssen sie so schnell wie möglich hier weg schaffen. Sie muss in die Gerichtsmedizin, sofort, sonst wird sie …“ Messner brach ab, als er in das kreidebleiche Gesicht Schwaners sah.
„Alles in Ordnung mit dir?“
„Was ist da passiert?“, fragte der Hauptkommissar völlig benommen. Er fühlte sich wie in Trance, die grelle Baustelle, der surreale Richter, der völlig entstellte Leichnam, die grässliche Fratze, die Fliegen, die Fliegen, sie summten in seinem Kopf, immer lauter, immer lauter …
Seine Knie gaben nach, alles drehte sich vor seinen Augen, wurde schwarz. Messner fing ihn gedankenschnell auf.
Als Martin Schwaner wieder zu sich kam, schaute er in das kalte Licht zweier Neonröhren über ihm. Er wollte seine Augen mit dem linken Arm bedecken, doch jemand hielt ihn fest.
„Den anderen“, sagte eine männliche Stimme. Er zwängte seinen rechten zwischen sich und der Wand heraus und beschirmte seine Augen mit der Hand.
„Was ist passiert?“, fragte er mit trockenem Mund.
„Dehydriert, würde ich sagen. Sie haben die letzten Tage zu wenig oder das Falsche getrunken. Dann klappt der Körper irgendwann zusammen.“
Schwaners Augen hatten sich an die Helligkeit gewöhnt und er erkannte das muntere, glattrasierte Gesicht eines Mannes Ende zwanzig.
„Zum Glück ist es hier vorm Haus passiert. Die Kollegen haben Sie hereingetragen und ich konnte Ihnen gleich eine Infusion geben. Nichts Aufregendes, reine Kochsalzlösung. Ein paar Minuten noch, dann ist sie durchgelaufen.“
„Wie lange war ich …“
„Nicht sehr lange, ein paar Minuten, eine knappe Viertelstunde vielleicht. Naja, unser Zombie da draußen kann einen schon umhauen.“
Schwaner wollte sich aufsetzen, der Sanitäter der Feuerwehr half ihm dabei. Der Hauptkommissar folgte mit den Augen dem durchsichtigen Schlauch, der von seinem Arm nach oben, an einen ebenfalls durchsichtigen Beutel führte. Im Sekundentakt fielen die Tropfen in eine Kanüle. Er saß auf einer dunkelgrünen Liege, über die ein breiter Streifen groben Papiers lief.
Sein Blick wanderte durch den Raum. Links Hänge- und Unterschränke, ähnlich einer Küchenzeile. Auf alle Türen waren Listen geklebt. „Kompressen groß, Mullbinden, Leukoplast“ las Schwaner mechanisch und sinnlos. Rechts standen mehrere Vitrinen. Hinter den Glastüren konnte er Ampullen und Medikamente erkennen.
Ihm direkt gegenüber ging es nach draußen. Auf die milchige Scheibe war ein rotes Kreuz geklebt. Links und rechts der Tür hingen Lehrtafeln. In Bilderfolgen gaben sie Anweisungen für
„Erste Hilfe bei Brandverletzungen“ und „Wundversorgung bei Brandverletzungen“.
„Sie sind ja auf alles eingerichtet“, wollte Schwaner ein Gespräch beginnen, da ihm die Stille in dem kleinen Raum peinlich wurde. „Ach, das dient hier eigentlich nur der Erstversorgung bei Unfällen hier in der Brandwache. Wenn sich ein Kamerad beim Apfelschälen in den Daumen schneidet.“ Der Sanitäter nahm den Beutel aus der Aufhängung und drückte den letzten Rest Flüssigkeit heraus. „Drüben, im Terminal, da gibt es eine richtige Klinik, mit OP und allem Drum und Dran. Dagegen sind wir hier nur ein Wartezimmer.“ Er lächelte dem Hauptkommissar aufmunternd zu und zog den Schlauch von der Nadel in Schwaners Arm.
„Sind Sie schon lange bei der Feuerwehr?“
„Schon mehr als zehn Jahre. Ich habe hier meine Ausbildung absolviert und wurde übernommen.“
„Stressig?“
„Naja, kommt drauf an …“
„Ich habe nie etwas über ein größeres Feuer oder dergleichen am Flughafen gelesen.“
„Zum Glück nicht! Aber wir sind ja auch für den Brandschutz hier zuständig. Zigtausend Rauchmelder sind auf dem Gelände verteilt. Was glauben Sie, wie oft es da Alarm gibt?“
Schwaner nickte und lächelte verständnisvoll.
„Kilometerlange Treibstoffleitungen liegen unter der Erde, Hunderte Tankvorgänge am Tag, der Verkehr …“ Der Sanitäter ging zu einer der Vitrinen und nahm eine recht große Ampulle heraus. Vor dem Hauptkommissar blieb er stehen.
„Und dann die ständigen Übungen …“
„Übungen?“
„Ja! Im Falle eines Falles müssen innerhalb von einhundertachtzig Sekunden die Löscharbeiten beginnen, das ist Vorschrift …“
„Hundertachtzig … also drei Minuten?“
„Drei Minuten für Anziehen, Aufsitzen, Ausrücken und so weiter, bis der erste Schaum fällt. Das ist verdammt wenig Zeit.“
„Aber wie …“ Schwaner erinnerte sich an die Fahrt entlang des Rollfeldes bis in diese abgelegene Ecke des Flughafens.
„Wie wir das schaffen? Na, es gibt ja nicht nur diese Feuerwache, sondern noch drei weitere. Die Aufgaben und Bereiche sind zwischen uns verteilt. Ganz neu ist die Feuerwache 4, drüben an der Nordwestbahn. Alles schick, alles neu. Tipptopp, sag ich Ihnen.“ Der Feuerwehrmann war vor die Schrankzeile getreten und kramte dort in den Schubladen.
„Vier Feuerwachen, das wusste ich gar nicht. Wie viele Leute sind sie denn?“
„Dreihundertsechzig.“
„Dreihundertsechzig! Wow!“ Schwaner war wirklich überrascht. „Ja, das ist hier ja kein Dorf mit einer freiwilligen …“
In diesem Moment klopfte es und Oberstaatsanwalt Körner kam, ohne eine Antwort abzuwarten, herein.
„Wie geht es ihm?“, fragte er, indem er noch die Tür hinter sich schloss.
„Fast wie neu …“, antwortete der Sanitäter mit einem raschen Blick nach hinten. „Jetzt noch ein Vitamincocktail und er kann wieder Bäume ausreißen!“ Dabei steckte er eine gewaltige Spritze auf die Kanüle in Schwaners Arm und drückte langsam nach unten.
„Wie fühlen Sie sich?“, Körner schaute Martin nur kurz in die Augen, dann gebannt auf den Kolben, der sich wie in Zeitlupe nach unten bewegte.
„Naja, ein bisschen flau, aber es wird schon gehen.“
„Wenn Sie möchten, kann Kommissar Beck alles Weitere hier erledigen und Sie fahren nach Hause, um sich …“
„Nein! Ich fühle mich schon viel besser.“ Tatsächlich breitete sich in seinem Körper ein warmer Schauer aus.
„Es war ja wirklich ein furchtbarer Anblick.“
„Das war es nicht, nicht wahr?“ Schwaner tippte den Sanitäter an dessen Schulter an.
„Äh, nein …“, der Feuerwehrmann zog die Spritze ab. „Meiner Meinung nach hatte er zu wenig getrunken, beziehungsweise zu wenige Mineralien aufgenommen. Zu viel Wasser spült den Körper aus …“ Er zog die Nadel aus Schwaners Arm und presste ein Stück Verbandsstoff darauf „Bitte mal festhalten.“ Aus einer Schale nahm er zwei Pflaster und klebte den Mullstoff oben und unten fest. „Trotz der Hitze sollte man das Essen nicht vergessen oder zumindest Brühen oder Suppen zu sich nehmen …“ Er richtete sich auf. „In ein paar Minuten fühlen Sie sich wieder wie neu geboren …“ Der Sanitäter reichte Schwaner die Hand und half ihm auf die Beine, „… aber nicht gleich übertreiben.“
Der Hauptkommissar und der Staatsanwalt steckten die Köpfe zusammen.
„Was habe ich verpasst?“
„Nichts Besonderes. Wenn man von dem Leichnam einmal absieht. Er ist mittlerweile auf dem Weg in die Gerichtsmedizin. Der Kollege Beck kann Sie über alles Weitere informieren.“ Körner schaute über Schwaners Schulter zu dem Sanitäter hinüber und begann zu flüstern.
„Da ist dieser Hauptkommissar Richter, er schwingt da draußen gerade das Zepter.“ Nochmals ein Seitenblick auf den Sanitäter. „Natürlich liegen die Ermittlungen bei der Mordkommission und damit bei Ihnen … ich würde ihn allerdings an Ihrer Stelle mit ins Team nehmen … er kennt sich hier am Flughafen aus … er kann Ihnen sicherlich helfen.“
„Verstehe!“, antwortete Schwaner knapp und wollte an die Arbeit.
„Und keine besonderen Maßnahmen ohne meine Zustimmung.“
„Was meinen Sie damit?“
„Ich denke, wir können den Betrieb wie gewohnt laufen lassen. Die Einsatzbereitschaft der Feuerwehr ist gewährleistet, der Fundort außerhalb der Start- und Landebahnen. Kein Grund also, den Flugverkehr in irgendeiner Form einzuschränken.“
„Nein, natürlich nicht.“
„Gut.“
„Ist denn die Identität der Toten schon geklärt?“
„Nein, es wurde kein Hinweis gefunden.“
Schwaner nickte noch einmal, nahm sein Jackett, das irgendjemand ans Fußende der Pritsche gelegt hatte, und verließ den Raum.
Auf die Frage Becks, wie es ihm gehe, antwortete Schwaner nur mit einer abwinkenden Handbewegung.
„Wie ist die Lage?“ Im Gehen zog er sich sein Sakko über.
„Die Leiche is’ geborg’n und wird in die Gerichtsmedizin gebracht. Sie war …“ Beck brach ab. Er war unsicher, ob er Schwaner mit Details belasten sollte.
„Was war sie?“, fragte dieser sofort zurück.
„Ach nichts. Sie war, wie sie war …“
„Sven! Ich war dehydriert. Ich bin nicht wegen des Anblicks zusammengeklappt.“ Die beiden standen sich am Ende der ehemaligen Simulationsanlage gegenüber.
„Na und wenn schon! Mir is’ auch ganz anders geword’n. Du musst nicht gleich wieder Vollgas geb’n. Ich bin auch noch da.“ Schwaner lächelte ihn in einer Mischung aus Dankbarkeit und Verständnis an. Gleichzeitig ahnte er, dass ihm dieser Vorfall auf lange Zeit anhängen würde. Sein Handy klingelte.
Es war Sandra.
„Wie geht es dir?“, kam es ohne Begrüßung aus dem Gerät.
„Mir geht es gut, warum?“
„Ich habe gehört, du bist zusammengebrochen?“
„Von wem hast du das gehört?“ Schwaner funkelte seinen Assistenten böse an.
„Günther hatte mich angerufen.“
„Günther?!“
„Ja, Günther.“
„Wie kommt er …?“ Schwaners Stimme zitterte.
„Aber Martin, warum ärgerst du dich so? Er hat es doch nur gut gemeint.“
„Gut gemeint …?“, blaffte Martin zurück.