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www.piper.de
ISBN 978-3-492-97162-1
Januar 2017
© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
Covergestaltung: semper smile Werbeagentur GmbH, München
Covermotiv: shutterstock / Legolena
Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe
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Es fängt schon damit an, dass es keine verlässlichen wissenschaftlichen Zahlen darüber gibt, wie oft der Mensch täglich lügt. Eine häufig genannte Größe ist 200 Mal, das soll bei Studien herausgekommen sein. Wir haben aber auch Untersuchungen gefunden, die auf gerade mal zwei Lügen pro Tag kommen. Irgendjemand lügt doch da. Gewundert haben wir uns darüber allerdings nicht. Denn wir sind beide Nachrichtenredakteure und haben es regelmäßig mit teils abenteuerlichen Versuchen zu tun, die Wahrheit mit Nebelkerzen zu verschleiern. Und das funktioniert nicht nur mit Studien ganz wunderbar.
Weil das Radio unsere Heimat ist, treiben wir Herden von Kamelen durch die sprichwörtlichen Nadelöhre. Radio ist nämlich erstens ein so genanntes Nebenbeimedium – man darf also nicht davon ausgehen, dass die Hörer die ganze Zeit konzentriert lauschen. Und zweitens kann man Radio nicht zurückspulen. Wer eine Textpassage in der Zeitung nicht sofort verstanden hat, der liest sie einfach noch mal. Das geht beim Radio nicht. Deshalb ist gerade die Sprache in Hörfunknachrichten ein Spezialgebiet. Da begegnen einem mit verblüffender Verlässlichkeit so einige Knüller, die wirklich gleich zusammengeknüllt in den Redaktionspapierkorb fliegen sollten. Während Udo Stiehl dieser Kunst in öffentlich-rechtlichen Sendern frönt, stand Sebastian Pertsch vor allem an den Nachrichtentischen von Privatsendern. Und egal, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet: Beim anderen weht sprachlich meist ein ganz anderer Wind – um gleich mal ein schiefes Bild zu benutzen.
Wir sind beide weder Germanisten noch Linguisten, und dennoch verbindet uns mehr als uns trennt. Denn wir sehen uns als Sprachliebhaber. Gemäßigt, selbstverständlich. Deshalb halten Sie statt einer wissenschaftlichen Arbeit eine Art Reiseführer in den Händen, der Ihnen die Orientierung im alltäglichen Sprachnebel erleichtern soll. Auch wenn wir davon abgesehen haben, in großen Buchstaben »Keine Panik« auf das Cover zu schreiben, haben wir als Reiseleiter für das Buch den Redaktionstisch verlassen und sind mit offenen Augen und Ohren losgezogen. Mitleid möchten wir bitte nicht – wir sind dank unzähliger Politikerreden, Interviews und Pressemitteilungen einiges Elend gewöhnt. Nein, wir möchten mit Ihnen unser Erstaunen teilen. Wir hatten nicht erwartet, ausgerechnet in Badezimmern, Fortbildungszentren und schnöden S-Bahnen auf Berge sprachgepanschter Fundstücke zu stoßen, während es in Politik, Wirtschaft und im Sport – das versteht sich fast von selbst – ein gefundenes Fressen für uns war, Lug und Trug zu entlarven.
Bei unserem immer mit einem Augenzwinkern versehenen Reiseführer sind wir an mancher Stelle durchaus pedantisch, aber nicht puristisch. In einer lebendigen Sprache entstehen immer wieder neue Begriffe, manchmal auch aus anderen Sprachen importiert. Deshalb sind aber nicht automatisch alle Anglizismen giftig, nicht jeder Fachbegriff ist gelebtes Besserwissertum, und Sprachbilder sind nicht grundsätzlich schief aufgehängt. Wörter sind per se neutral, erst ihr Gebrauch wertet sie auf oder ab. Zur puristischen Sichtweise ist bereits reichlich Papier bedruckt worden. Und noch eine Knöllchensammlung der Sprachpolizei, noch ein weiteres strenges Nachschlagewerk der in Stein gemeißelten Schlaumeierei-Regeln braucht kein Mensch. Wir finden Veränderungen der Sprache grundsätzlich gut. Wir sind präzise, aber keine Korinthenkacker. Ein schmaler Grat, das wissen wir auch.
Mit diesem Buch versuchen wir einen anderen Weg zu gehen und möchten Sie neugierig machen auf die täglichen Versuche, Sie mit Floskeln, Phrasen und anderen fragwürdigen Formulierungen einzulullen und Ihnen dabei im schlimmsten Fall eine glatte Lüge unterzujubeln. Unser kleines Buch soll Sie sensibilisieren für allgegenwärtige Schönfärbereien und Worthülsen, und vielleicht gelingt es uns sogar, Sie für die oft ganz unfreiwillige Komik so mancher Formulierung zu begeistern und gegen die sprachpanschenden Verschleierungstaktiker aus der Politik zu rüsten.
Wie uns das gelingt? Thomas de Maizière würde sagen: »Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.«
Simsen Sie eigentlich noch? Bzw. SMSen oder Essemessen Sie? Es ist nicht immer einfach mit den Abkürzungen, sei es, sie richtig auszusprechen oder auch, ihre Bedeutung zu entschlüsseln. Bei den Kurzmitteilungen dürfte noch jeder verstehen, worum es geht. SMS ist als Bezeichnung so geläufig wie »C107-süß-sauer« im China-Restaurant oder »FB« für Friedberg – oder war das jetzt Facebook?
Und wenn Sie mit sozialen Medien nicht vertraut sind, was ist DMen? Es wird Deemmen ausgesprochen und hat weder mit einer Drogerie-Kette zu tun, noch führt es die D-Mark wieder ein. Die DM ist eine Direct Message, eine direkte Nachricht an einen anderen Nutzer, die niemand sonst lesen kann.
Verwechslungen können da schon mal ins Auge gehen, vor allem, wenn Sie sich gerade auf britischem Boden bewegen und sich irritiert fragen, was die Rote Armee Fraktion im Vereinigten Königreich immer noch treiben mag. Die macht da gar nichts, aber die RAF ist dennoch allgegenwärtig, denn in Großbritannien tut die Royal Air Force ihren Dienst und firmiert dort unter der Abkürzung RAF.
Und gab es von einer der größten Rundfunkanstalten der Welt wirklich Heizlüfter? Ein historisches Modell der BBC tut noch immer seinen Dienst bei Mutter zu Hause, nachdem es Zehntausende Kilometer im Wohnwagen die Welt bereiste, um das Vorzelt zu heizen. Nur ist es eben nicht die British Broadcasting Corporation, die da heiße Luft produziert, sondern die Brown Boveri Compagnie – ein ehemaliger Schweizer Elektrotechnikkonzern.
Und jetzt kommen auch noch die Hashtags ins Spiel. Für alle Leser, die mit dem Internetdienst Twitter nicht so vertraut sind: Das sind kurze Schlagworte, mit denen ein Thema gekennzeichnet wird, um es einem Diskussionsfluss zuzuordnen. Weil Twitter maximal 140 Zeichen pro Meldung zulässt, muss alles möglichst kurzgefasst sein. Deshalb entstehen Hashtags wie z. B. #grexit.
Das Doppelkreuz (oft fälschlich als Raute bezeichnet) ist technisch bedingt bei Twitter und unerlässlich. Das Konstrukt dahinter aber ist die radikale Verkürzung von »Griechenland« und »Exit« im Zusammenhang mit einem möglichen Austritt aus der Euro-Zone.
Und weil das so schön kurz ist, schwappen solche Kunstbegriffe auch gerne mal in Überschriften hinein. Nur erscheinen die oft in Medien, deren Leser schon mit dem Fachbegriff »Hashtag« nichts anfangen können. Was hilft denen nun ein Artikel, der mit »FAQ zu Grexit-Risiken« überschrieben ist? Schon wieder was mit »Fuck«? Wird das neuerdings mit Q geschrieben? Ist dieses Grexit apothekenpflichtig?
Für Leser, die nicht permanent auf ihr Smartphone starren und arglose Passanten über den Haufen rennen, schnell eine Auflösung: FAQ ist kein Schweinskram, sondern die Abkürzung für »Frequently Asked Questions«, also oft gestellte Fragen.
Und wenn Sie mal wieder ein »Gate« in Ihrem Leib- und Magenblatt entdecken, bleiben Sie bitte entspannt. Der Redakteur hat vermutlich gerade an einem der unzähligen Konferenzen zur »Zukunft des Journalismus« teilgenommen und einem der ebenfalls unzähligen »Internet-Gurus« Glauben geschenkt. Denen zufolge liegt die Zukunft ohnehin nur im Internet, also warum nicht gleich die dort gängigen Abkürzungen benutzen?
Blöd nur, dass die meisten Internetnutzer nicht gleichzeitig Internetspezialisten sind. Und die können mit einem #bendgate (verbogene Mobiltelefone, nachdem man sich draufgesetzt hat) genauso wenig anfangen, wie mit vielen anderen #gates. Mag es inzwischen im Internet ein fester Begriff für »Affäre« oder »Skandal« geworden sein – der größte Teil der Hörer, Zuschauer und Leser bringt mit Gate erst einmal nur eines in Verbindung: Da muss ich mich anstellen, um in mein Flugzeug einzusteigen.
Was fällt Ihnen auf den zweiten Blick zu »ICE« ein? Nein, nicht die Züge, deren Klimaanlagen im Sommer regelmäßig streiken und deren Waggons sich in rollende Saunen verwandeln. Die Rede ist von der englischen Abkürzung für »In Case of Emergency«, die sich seit rund zehn Jahren auch im Deutschen einschleicht. Vor allem im Handy. Die Idee ist grandios: Bei einem Unfall oder Unglücksfall sollen Rettungskräfte die nächsten Angehörigen verständigen. Dafür legen Sie im Handy einen zusätzlichen Telefonbucheintrag an, betiteln ihn aber mit ICE, in deutschsprachigen Ländern alternativ auch mit IN für »im Notfall«. Statt alle Nummern durchzugehen, springt der Feuerwehrmann schnell zu ICE oder IN und wählt die Nummer.
Doch obwohl Feuerwehr, Polizei und die Hilfsorganisationen davor warnen und eher empfehlen, in der Geldbörse zwei, drei Kontakte schriftlich zu hinterlegen, bleibt ein technischer Aspekt beim ICE-Verfahren unerwähnt: Nur die wenigsten Rettungskräfte können überhaupt auf die Nummer zugreifen. Denn spätestens mit der Smartphone-Generation sind die meisten Mobilfunkgeräte mit einem Passwort oder Erkennungsmuster vor Zugriff geschützt. So bleibt die Idee, die es mittlerweile sogar zu einer Norm der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) geschafft hat, eine hübsche, aber wirkungslose Idee.
»Im Bereich der Haltestelle Hauptbahnhof kommt es zu Fahrzeitverlängerungen und geänderten Abfahrtzeiten.« Mit anderen Worten: Der Bus zum Bahnhof fährt nicht pünktlich. Oder im Bahnhof, am Bahnhof und um den Bahnhof herum kommt jetzt alles vom ICE bis zum Fahrrad zu spät. Man weiß es nicht. Vielleicht lässt sich das Problem im Bahnhofsbereich ja in diesem Buchbereich lösen. Der Bereich ist kein Wort, er ist der Herpes der deutschen Sprache. Man fängt ihn sich ein und wird ihn nicht mehr los. Geht leicht über die Lippen und ist dabei hochansteckend. Die Infektionsrate konnte bisher nicht eingedämmt werden.
Sehr weit ausgebreitet hat sich der Bereichs-Herpes zum Beispiel bei Maklern. Das sind die, die im Immobilienbereich arbeiten, weil ihnen das Wort Branche entfallen ist. Und die Sie bei einer Wohnungsbesichtigung durch den Eingangsbereich über den Essbereich in den Wohnbereich führen, anschließend den Kochbereich zeigen und zum Schluss den Sanitärbereich – also Sie auf 30 Quadratmetern durch den Flur in die Essecke des Wohnzimmers und dann an der Kochnische vorbei ins Bad schleusen.
Möglicherweise haben an diesen Wohnungsbesichtigungen auch viele Mitarbeiter der Ordnungsbehörden teilgenommen. Die Polizei meldet einen Unfall »im Bereich der Lindenstraße« und befindet sich dort doch nur im Einsatz. Die Feuerwehr löscht einen Papiercontainer an einer Straßenkreuzung, berichtet aber von einem »Brand im Kreuzungsbereich«. Und das Ordnungsamt lässt einen Wagen aus dem Einfahrtsbereich abschleppen, weil er vor der Einfahrt stand.
Der Fahrer war übrigens gerade im Supermarkt, nur mal schnell eine Pizza aus dem TK-Bereich holen, ist dann aber im Kassenbereich aufgehalten worden. Sein Auto ist inzwischen auf dem Weg in den Abholbereich des Abschleppdienstes. Er selbst steht jetzt im Automatenbereich und hebt Geld ab, um sein Auto auszulösen.
Der Bus zum Bahnhof ist übrigens immer noch nicht da. Fahrgäste stehen weiterhin im Herbststurm, und es regnet ihnen vertikal in den Nacken, das Haltestellenhäuschen hat nämlich ein geschwungenes Designerdach. Soll ja schließlich nach was aussehen, dieser Wartebereich.
Man muss kein Fußball-Freund sein, um zu bemerken, dass besonders im Sport viele Begriffe verwendet werden, die ihren Ursprung auf dem Schlachtfeld haben. Angriff und Verteidigung gehören ebenso zum Standardvokabular wie Sieg und Niederlage. Manchmal schwappt ein Kriegsbegriff aber in den allgemeinen Sprachgebrauch über, und dann gibt es kein Halten mehr. Die Rede ist von der Offensive.
Es ist schon verblüffend, wer da mit was in die Offensive geht, nur weil dieses Wort so wunderbar aktiv und wichtig klingt – und diese Kombinationsmöglichkeiten! Sehr gerne genommen wird die Qualitätsoffensive. Ihre Firma plant, die Zahl der Kundenbetreuer zu verdoppeln? Von einem auf zwei Mitarbeiter? Die Bahn kündigt an, pünktlicher zu fahren – und zwar sogar im Nahverkehr? Und der Supermarkt will künftig noch frischeres Gemüse anbieten, weil er von Ihnen unbemerkt noch mehr Ware nach kurzer Zeit in den Müll wirft? Das alles lässt sich perfekt als Qualitätsoffensive verkaufen.
Aber haben Sie es bemerkt? Die Offensive klingt lediglich nach einem gewaltigen Fortschritt. Allerdings sind das alles nur Ankündigungen und Absichtserklärungen. Das Ergebnis lässt sich meist auch nicht überprüfen, denn Sie werden weder die Kundenbetreuer nachzählen können noch die Statistiken aller Züge auswerten, und zum Müllcontainer der Gemüseabteilung dürften Sie auch keinen Zugang erhalten.
Es ist also eigentlich egal, was nach außen gerade besonders hervorgehoben werden soll: Service-Offensive, Freundlichkeits-Offensive, Wohlfühl-Offensive, die Liste könnte noch lange fortgeschrieben werden. Manchmal aber geht es daneben. Denn wenn der Unternehmensvorstand beschließt, in die Preisoffensive zu gehen, dann ist das Ziel klar: Mehr Umsatz und mehr Gewinn sollen erzielt werden, das Produkt wird teurer verkauft. Die Kunden aber verstehen unter einer Preisoffensive genau das Gegenteil und erwarten sinkende Preise. Dumm gelaufen. Lässt sich aber noch steigern.
Dazu kombinieren findige Spezial-Experten die Offensive zu einer Art Experten-Special, und heraus kommt: die Modernisierungs-Offensive. Die ist in etwa so aussagekräftig wie eine Zukunfts-Offensive – wirkt aber dafür besonders imposant, denn solche Begriffszeppeline verfügen gleich über zwei Heißluftkammern. Einmal die Offensive an sich, die für Einsatz, Vorstoß und auch Angriff steht. Dazu die Modernisierung, die ebenfalls sinngemäß Gleiches signalisiert. Kombiniert also einfach nur doppelt gemoppelt, was ein kleiner Test ergibt: Tauschen Sie einfach mal die beiden gekoppelten Wörter um, und machen Sie aus Modernisierungs-Offensive eine Offensiv-Modernisierung. Das Ergebnis ist gleich, genau wie es die Spezial-Experten wollten. Sind ja schließlich auch Experten-Spezialisten.
Offenbar hat es den Anschein, dass Sie dieses Buch lesen. Das ist bewusst sehr vorsichtig ausgedrückt, denn möglicherweise halten Sie auch einen eBook-Reader in der Hand – vermutlich, jedenfalls wäre das denkbar. Beruhigend aber ist, dass Sie so freundlich sind, diese Zeilen immerhin anscheinend und nicht nur scheinbar zu lesen. Ihre Augen bewegen sich von links nach rechts. So erwecken Sie zumindest den Anschein, an diesen Zeilen interessiert zu sein. Sie lesen anscheinend.
Sorgen würden eher aufkommen, wenn Sie dieses Buch nur scheinbar lesen und tatsächlich nur hinterlistig das Cover ausgetauscht haben. Ganz alte Masche: Außen glänzt die Titelseite eines seriösen Nachrichtenmagazins, und innen liegt das Hochglanzblatt mit dem Centerfold, das Sie selbstverständlich nur wegen der Interviews lesen. Diese Vorsicht in den Formulierungen hat Gründe. Man will sich möglichst nicht festlegen, die Information ist noch nicht zu 100 Prozent bestätigt, oder – auch das ist alltäglich – es soll ein Gerücht in die Öffentlichkeit getragen werden. Und wenn das erst mal im Umlauf ist, dann lässt es sich nur mit großer Mühe dementieren. Funktioniert übrigens wie der Flurfunk in jedem Unternehmen: »Der soll ja …«, »hab ich auch schon gehört« oder »sieht ganz so aus«.
Nun ist man in manchen Situationen tatsächlich nicht absolut sicher. Zum Beispiel bei Fotos, die im Internet kursieren. Da ist es durchaus angebracht, einen gewissen Zweifel in der Formulierung mitschwingen zu lassen. Oft heißt es dann: »Im Internet sind angebliche Bilder des Täters aufgetaucht.« Wobei das mit den angeblichen Bildern natürlich Quatsch ist. Es handelt sich zweifellos um Bilder. Nur was sie zeigen, steht in Frage. Das liegt doch mehr als auf der Hand, also offenbar eher auf dem Arm, angeblich sogar auf der Schulter. Und jetzt hängt auch noch das Bild schief.
Jetzt ist aber Feierabend. Den ganzen Tag geackert und dabei mit Vorfreude die Konzertkarten in der Tasche spazieren getragen. Also rein ins Auto und ab nach Hause. Das geht fix, denn über die Autobahn dauert es gerade mal 20 Minuten. Das Timing passt also. Genauer gesagt: hätte gepasst. In bester deutscher Gründlichkeit kommt nämlich das Elend dem Auto näher: 100 km/h, 80 km/h, 60 km/h, Baustelle. Geschwindigkeits- und Blutdruckkurve verlaufen diametral entgegengesetzt. Was zum Teufel soll das jetzt? Ausgerechnet heute muss hier eine Tagesbaustelle wandern?
Das mit den 60 Stundenkilometern war ein schlechter Scherz. Nicht nur, dass es Kilometer pro Stunde sind und nicht Stundenkilometer, wie es seit Jahrzehnten falsch heißt, sondern auch, dass auf der großzügig auf zwei Meter bemessenen Fahrspur die Kolonne gerade mal mit knapp 40 km/h vorankriecht. Und das zieht sich. Nach 20 Minuten naht die Erlösung, endlich. Der Blutdruck könnte jetzt wieder sinken, das Gegenteil passiert. Denn dieses Schild, dieses letzte Schild vor der freien Fahrt, treibt die Zornesröte ins Gesicht: »Vielen Dank für Ihr Verständnis«, heuchelt es von der Blechtafel. Wie bitte? Was für eine Frechheit! Genötigt von so einer zeitraubenden Baustelle – welches Verständnis?
Rasenmähen im Mittelstreifen während des Berufsverkehrs? Weil es keinen Aufschub duldet, das Grün zu pflegen, wenn weniger los ist? Nein, es ist vielmehr eine Unverschämtheit, Verständnis einfach so vorauszusetzen, um sich dann auch noch dafür zu bedanken. Diese sprachliche Mogelpackung, kunstvoll verziert mit gespielter Höflichkeit, ist eine Provokation. Aber sie funktioniert. Überall. Ihr ICE wird mit +50 Minuten angezeigt? »Leider können nicht alle Anschlusszüge erreicht werden. Wir danken für Ihr Verständnis«, flötet die Zugchefin durch die Lautsprecher. Für dieses Verständnis von Verständnis hat niemand Verständnis.
Wenn die Formulierung doch ernsthaft und höflich gewählt werden würde: »Die Kuh ist endlich vom Gleis, aber jetzt haben wir 50 Minuten Verspätung. Wir bitten um Ihr Verständnis.« Man könnte es sich gefallen lassen, wenn um das Verständnis gebeten wird. Dann läge die Entscheidung bei jedem Einzelnen, ob für den verpassten Anschluss dank des Rindviechs Verständnis aufgebracht wird. Möglicherweise könnte man sich sogar entschuldigen. Aber das ist eine andere Baustelle.
Wer schon einmal das zweifelhafte Vergnügen hatte, mit einem Flugzeug in starke Turbulenzen zu geraten, der misst dem Begriff Flexibilität eine neue Bedeutung zu. Denn der Blick aus dem Fenster, so denn überhaupt noch gewollt, zeigt: So eine Tragfläche kann sich ganz schön biegen – und doch bricht sie nicht ab. Es macht die Rüttelreise nicht angenehmer, aber tatsächlich macht es einem Flugzeug nichts aus, dass seine Flügel so sehr belastet werden. Die Hersteller der Maschinen verbiegen die Tragflächen in Tests sogar um das Anderthalbfache dessen, was überhaupt im Flugbetrieb denkbar ist – und die Konstruktion hält. Sie ist eben flexibel.
Bedenklich ist, dass aus flexiblem Material gerne auf ähnliches Verhalten von Menschen geschlossen wird. Kaum ein Stellenangebot, in dem nicht Flexibilität vorausgesetzt wird – zeitlich, inhaltlich und natürlich auch finanziell. Die wissenschaftlich getesteten Tragflächen sind in der Geschichte der modernen Luftfahrt bisher nie durch Verbiegen zu Bruch gegangen. Bei beruflicher Flexibilität jedoch spielen physikalische Gesetze keine Rolle.
Denn was verbirgt sich hinter »zeitlich flexibel«? Im besten Fall gibt es Arbeitszeiten, die selbst gewählt werden können, im schlimmsten Fall aber bedeutet dieselbe Formulierung, dass Sie rund um die Uhr einsatzbereit sein müssen. Ähnlich funktioniert die inhaltliche Flexibilität, die nichts anderes meint, als dass Sie Ihre persönlichen Ansichten möglichst zu Hause lassen sollten. Und finanziell flexibel ist eine ebenso durchsichtige Masche, wie sie auch Hütchenspieler an der Straßenecke betreiben: Am Ende steht ein Gewinner, nur sind Sie es ganz gewiss nicht. Die finanzielle Flexibilität ist immerhin im Geldbeutel nachzählbar.
Weil sich solche Begriffe rasch abnutzen, kommen manchmal Synonyme ins Spiel. Und dann wird es doch eine Umdrehung zu absurd; der Versuch der Schönfärberei schlägt ins Ironische um – spätestens bei Konstruktionen wie moralisch elastisch (mir doch egal). In Österreich wurde jüngst die Bezeichnung »situationselastisch« zum Wort des Jahres. Und da muss man auch erst mal daraufkommen, wenn man sich von denen abheben möchte, die sich für flexibel halten.
Trotz der neuen Elastizität hat flexibel längst nicht ausgedient. In verkürzter Form hat es eine neue Karriere angetreten, und zwar als Flexi. Das lässt sich einfach zu gut als Anstrich für Modernität einsetzen. Wie flexi sind Sie? Wer als Rentner länger arbeiten möchte, auch wenn bereits die Altersbezüge auf dem Konto eintreffen, der ist nicht etwa weiterhin berufstätig. Nein, er ist ein Flexi-Rentner. Und wenn es nicht gelingt, den Anteil von Frauen in Führungspositionen auf eine genaue Zahl festzulegen, dann ist die Flexi-Quote die vermeintliche Lösung. Selbst im öffentlichen Nahverkehr versprüht der Flexi-Blender seine Gedankennebel. Ein Bus, der aus wirtschaftlichen Gründen nur noch auf Anforderung der Fahrgäste seine vorgesehenen Haltestellen anfährt, ist längst nicht mehr ein Sammeltaxi, nein, Sie ahnen es: ein Flexi-Bus. Klingt toll, oder?
Und jetzt bauen wir das mal zu einer kleinen Gegenprobe zusammen. Was würden Sie sagen, wenn sich Ihnen jemand als Elastik-Rentner vorstellt, die Dame gegenüber die Vorzüge der Elastik-Quote preist und Sie gerade aus dem Elastik-Bus gestiegen sind? Jetzt seien Sie doch mal flexibel!
Willkommen im Club der Sünder. In diesem Club sind wir alle Mitglied, manche als seltene Besucher, andere als Stammgäste. Natürlich befindet sich das Etablissement standesgemäß in einer Bausünde, was allerdings nicht immer die Stimmung hebt. Vor allem, wenn wieder einmal Sprachsünder zu Gast sind. Das sind diese zweifelhaft Kreativen, die alle Möglichkeiten der deutschen Sprache ausreizen und leidenschaftlich neue Komposita erfinden. Besonders solche, die mit »Sünder« enden.
»Sünder« passt nämlich fast immer. Zum Beispiel der Clubbesucher, der extra mit dem Auto kommt, um auf dem Weg noch als Verkehrssünder auf sich aufmerksam zu machen. Vorausschauend hat er seinen Wagen zunächst als Parksünder direkt vor der Einfahrt abgestellt. Und er ist ein echter Profi-Sünder, denn er schnallt sich grundsätzlich nicht an. Nur so schafft er es auch als Gurtsünder in den Polizeibericht, und das dann gleich in mehreren Rubriken. Der Verkehrssünder kennt alle Tricks, brettert mit Vollgas über die große Kreuzung und punktet gleich dreifach: als Handysünder, als Temposünder und auch noch als Rotlichtsünder! Winkt dann vor ihm noch eine Kelle aus dem Seitenfenster, Bingo! Einmal pusten, bitte, und der Status Alkoholsünder ist auch noch erreicht.
Falls Sie jetzt Lust bekommen haben, selbst ein paar kleine Sünden auf der Straße zu begehen, warten Sie bis zum nächsten »Blitzmarathon« der Polizei. Der ist zwar eigentlich ein »Lasermarathon«, weil die tragbaren Messgeräte gar nicht blitzen. Aber Ihren »Lappen« sind Sie trotzdem los. Um eine weitere Anzeige zu vermeiden, bleiben Sie bitte nach dem Aussteigen auf jeden Fall vollständig bekleidet. Es ist ein »Blitzmarathon« – kein »Blitzermarathon«.
Im Club treffen sich übrigens auch regelmäßig die Umweltsünder. Mit dem Bleifuß auf dem Gaspedal haben sie sich längst als CO2-Sünder qualifiziert. Sie freuen sich diebisch, wenn sie von Umweltschützern deshalb als Abgassünder bezeichnet werden, und der sprachliche Olymp ist erreicht, wenn sie auf die globale Ebene gehoben werden: Klimasünder. Dazu haben die Umweltsünder auch zu Hause alles richtig gemacht. Keine Energiesparlampen im Haus: Stromsünder! Die alte Waschmaschine in den Wald gebracht: Abfall- und Müllsünder!
Das klingt harmloser, als es ist? Stimmt, denn das ist die Intention dahinter. Wenn zum Beispiel der Medienberater in der hauseigenen Schönfärberei wieder besonders weiße Westen hergestellt hat. Würden Sie als Veranstalter der Tour de France öffentlich davon sprechen, es seien in diesem Jahr wieder einige Betrüger mitgefahren? Natürlich nicht, rät der PR-Fachmann. Und wenn Sie schon gezwungen sind, zu den jüngsten Berichten über Doping Stellung zu nehmen, dann kommt die Strategie der Verharmlosung zum Einsatz: Bitte weisen Sie darauf hin, dass es sich bei dem »Dopingsünder« um einen Einzelfall handelt.
Diese Strategie geht erstaunlich oft auf, weil die Wortwahl aus Pressemitteilungen und Statements unreflektiert in die Berichterstattung übernommen wird. Nicht nur im Sportteil. Auch wenn es um mehrstellige Millionenbeträge geht, die dem Finanzamt vorenthalten wurden, funktioniert der einfache Trick der verharmlosenden Wortwahl. Der Verteidiger würde seinen Mandanten niemals als Steuerhinterzieher bezeichnen. Das klingt ja geradezu kriminell! Deshalb greift der findige Jurist allenfalls zur sanften Formulierung »Steuersünder«.
Ein blendender Einfall, in der Tat. Möchten Sie sich davon blenden lassen? Selbst im Club der Sünder gibt es da Grenzen. Vor Kurzem war ein Vergewaltiger da und bezeichnete sich als Sexualsünder. Wir haben ihn rausgeschmissen.
Die Düsseldorfer Tabelle zum Beispiel führt unter anderem auf, wie Unterhaltszahlungen berechnet und festgelegt werden. Je nach Einkommen des zahlungspflichtigen Elternteils kann in der Liste abgelesen werden, wie viel Geld monatlich pro Kind fällig ist. Es ist zwar kein Gesetz, sondern lediglich eine Richtlinie – dennoch wird sie in ganz Deutschland in vielen Fällen verwendet. Dass es eine Düsseldorfer Tabelle ist, liegt schlicht daran, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf federführend ist und die Liste auf dem aktuellen Stand hält. Man könnte natürlich einfach von einer Unterhaltsleitlinie sprechen, aber die Wortkreation mit dem Ortsnamen hat sich inzwischen wie ein Markenzeichen etabliert.
Auch das Hamburger Modell