

Das vorliegende Werk ist ein Roman. Die Ereignisse und Personen basieren auf der Vorstellung des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen und tatsächlichen Ereignissen ist rein zufällig.
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© für die Originalausgabe und das eBook: 2016 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
Umschlagmotiv: Trevillion Images, Tim Robinson
e-Book-Produktion: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten
ISBN 978-3-7844-8251-4
Prolog
Der Tag begann friedlich in Bern. Auf dem großen Bundesplatz ging der Marktbetrieb langsam dem Ende entgegen. Die Bauern und Händler packten schon mal die übrig gebliebenen Waren zusammen: Frischgemüse, Käse und kamingeräucherte Würste. Aus dem Parlamentsgebäude strömten Abgeordnete, Bundesangestellte, Journalisten, um in den begehrten Gaststätten der Innenstadt den vermeintlich verdienten Lunch einzunehmen.
Das Hotel Bellevue erhebt sich unmittelbar an der Straße, die den Stadtteil mit dem lang gezogenen Bundeshaus in zwei Teile schneidet. Das Gebäude selbst beeindruckt mit seiner Sandsteinfassade, dem Giebeldach und einer weitläufigen Terrasse auf der Sonnenseite, hoch über der Aare. Es grenzt nahtlos an den denkmalgeschützten Ostflügel des Bundeshauses, der, mit dem Parlamentsgebäude zusammengewachsen, das Verteidigungsdepartement beherbergt.
Im eleganten Vortragssaal des Hotels ging das Referat der israelischen Ministerin langsam dem Ende entgegen. Zahlreiche Parlamentarier hatten es sich nicht nehmen lassen, der interessanten Einladung des israelischen Botschafters mit anschließendem Mittagessen zu folgen. Solche Veranstaltungen waren im Berner Politbetrieb beliebt. Sie boten Abwechslung und Gelegenheit, gesehen zu werden und Kontakte zu knüpfen.
Die zwei mit schwarzen Sturmhauben vermummten Männer kamen durch die Servicetür aus der Hotelküche. Sie preschten in den Saal hinein und eröffneten sofort das Feuer aus ihren Kalaschnikows. Die ersten Garben durchsiebten die Ministerin am Rednerpult. Dann feuerten die Angreifer in die vordersten Reihen, wo sich der Botschafter, der Parlamentspräsident und weitere Honoratioren Israels panisch zu Boden geworfen hatten. »Allahu Akbar«-Rufe und »Nieder mit den Zionisten« gingen im Kugelhagel, im Tumult des schreienden, sich über Stühle stürzenden Publikums unter.
Der Überfall dauerte knapp eine Minute. Die Terroristen zauderten nicht. Sie stürmten, die Gewehre im Anschlag, zum Ausgang, erschossen zwei zivile Sicherheitskräfte, die sich ihnen mit gezogenen Pistolen in den Weg stellen wollten, rannten zum Haupteingang, um hinaus auf die Straße zu gelangen.
Dort sollte der Wagen für eine schnelle Flucht bereitstehen.
Der Einsatzleiter der Berner Kantonspolizei hatte ein Scharfschützenteam in der Dachgaube eines alten Patrizierhauses postiert. Einen besonderen Anlass hatte er nicht. Die israelische Botschaft hatte das Angebot für Schutzmaßnahmen der Berner Polizei höflich abgelehnt und auf ihren eigenen Sicherheitsdienst gepocht, der für den Anlass im Bellevue aufgeboten würde. Scharfschützen der Spezialkräfte Enzian waren generell eher unterbeschäftigt, weshalb der Einsatzleiter trotz allem entschied, einen Beobachter und einen Schützen in Stellung zu bringen.
Im Militär werden Scharfschützen meistens in Zweierteams eingesetzt. Der Beobachter sorgt für Präzision und Feuerkraft. Er berechnet die Flugbahn, misst die Distanz, den Winkel zum Ziel, beurteilt Wind und Wetter und informiert sonst über alle Elemente für einen todsicheren Treffer. Wenn der Schütze ermüdet, weil Zeit totschlagen an den Kräften zehrt, tauscht das Team die Rollen: Der Beobachter wird Schütze, der Schütze übernimmt die Erkundung.
»Entfernung zum Hoteleingang 653 Meter«, bestätigte der Beobachter. »Mittlerer Neigungswinkel.«
»Wind?«
»Knapp zwei Beaufort. Ostsüdost.«
Der Schütze nickte, sah, wie sich die Blätter im Baum am Straßenrand leicht bewegten, konzentrierte sich auf Kimme und Korn seiner Diopter Visierung, den Finger leicht auf den Abzug gedrückt. Die Sicht war frei von Hindernissen. Die kurze Schussdistanz ideal. Kinderspiel. Doch, er wusste, kein Schuss war einfach. Jeder Auftrag erforderte höchste Konzentration. Auf dem Trainingsgelände übten sie auf Ziele bis auf 1800 Metern. Den Weltrekord des längsten Scharfschützenschusses hielt ein britischer Sniper: Er traf im Südirak auf knapp 2500 Meter.
Das Team rechnete nicht mit scharfem Einsatz, lag aber höchst angespannt hinter dem offenen Fenster in perfekter Feuerstellung.
»Action«, rief plötzlich der Beobachter, der ununterbrochen sein Binokular auf den Hoteleingang gerichtet hielt. Ein Auto fuhr heran und hielt vor dem Haupteingang auf dem reservierten Parkplatz, der mit Halteverbot signalisiert war. Prompt fuhr wenig später eine Polizeistreife heran. Dann überstürzten sich die Ereignisse.
Ein Beamter in Einsatzmontur stieg aus der Streife, um das widerrechtlich angehaltene Fahrzeug zu kontrollieren. Der Scharfschütze sah alles deutlich. »Feuerbereit«, meldete er.
In diesem Augenblick sah er zwei Männer aus dem Hoteleingang stürmen. Während ein Hagerer zum Fluchtfahrzeug rannte, blieb ein Stämmiger breitbeinig stehen, hielt die Polizeistreife mit angeschlagener Waffe in Schach.
Im Ohrmikrofon vernahm der Schütze die Stimme des Einsatzleiters: »Feuer frei!«
Vielleicht zauderte der Breitbeinige ein paar Sekunden zu lang, was dem aus der Streife gestiegenen Polizisten erlaubte, geistesgegenwärtig die Dienstwaffe zu ziehen. Trotzdem kam er zu spät. Eine kurze Garbe aus der Kalaschnikow streckte ihn nieder. Distanz zwanzig Meter, auf Mitte Körper gezielt. Leichtes Ziel. Der andere Polizist, auf der Fahrerseite ausgestiegen, konnte sich mit einem Hechtsprung in Deckung retten.
Der Breitbeinige wollte die Konfusion nutzen, um sich ins Fluchtfahrzeug zu retten. Da traf ihn der Schuss in den Kopf. Kaliber 8,6 Millimeter. Eine Handbreit über dem Nacken. Ein Durchschuss mit 915 Metern pro Sekunde. Sechs Meter hinter seinem Kopf zerbrach das Glas der Eingangstür augenblicklich. Die Lapua Magnum schlug ein Loch von der Größe eines Fußballs, und ein Bruchteil einer Sekunde später spritzte des Terroristen Gehirn durchs Loch, an die Sandsteinmauer, auf die silbernen Lettern Hotel Bellevue. Alles war grässlich dunkelrot und grau verschmiert. Inzwischen schlug es den Getroffenen selber wuchtig der Länge nach auf den Granitboden, als hätte ihm jemand die Füße weggeschlagen.
»Ziel voll getroffen«, kommentierte der Beobachter. »Zwei Täter im Fluchtfahrzeug.«
Der Schütze hatte eine schnelle Ladebewegung gemacht. »Verdammt«, fluchte er leise, als ein Lastwagen aus der Seitenstraße auftauchte und mit seiner hohen Silhouette die Feuerlinie zum Fluchtfahrzeug durchschnitt. Der Schütze richtete sich ausatmend hinter dem Gewehr auf. »Keine Chance. Kein freies Schussfeld.«
»Schon klar. Schau, die konnten abhauen.« Das Fluchtfahrzeug raste mit quietschenden Reifen auf die Kirchenfeldbrücke zu, entschwand in Sekunden aus dem Sichtfeld des Scharfschützenteams.
»Abbruch, Rückzug«, hörte der Schütze die Stimme des Einsatzleiters.