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ISBN 978-3-406-69154-6
© 2016 Verlag C. H. Beck oHG
Wilhelmstraße 9, 80801 München
Satz: Fotosatz Buck, Kumhausen
Umschlaggestaltung: Ralph Zimmermann – Bureau Parapluie
Bildnachweis: © Boguslaw Mazur – istockphoto.com
eBook‐Produktion: Datagroup int. SRL, www.datagroup.ro
Dieser Titel ist auch als Printausgabe beim
Verlag und im Buchhandel erhältlich.
Vorwort
Wer hat Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II?
Altersgrenzen
Erwerbsfähigkeit
Hilfebedürftigkeit
Gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland
Antrag gestellt
Worauf muss ich beim Ausfüllen des Antrags achten?
Der Hauptantrag
Der Weiterbewilligungsantrag
Mitwirkungspflichten
Wie viel Geld steht mir monatlich zu?
Regelbedarf
Unterkunftskosten
Heiz- und Warmwasserkosten
Umzug
Wann kann ich zusätzliche Leistungen erhalten?
Mehrbedarfe
Einmalige Leistungen
Bildungs- und Teilhabeleistungen
Wie werden Einkünfte angerechnet?
Anrechenbares Einkommen
Erwerbstätigenfreibetrag
Das Grundprinzip des SGB II: Fördern und Fordern
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit
Beschäftigungszuschuss
Einstiegsgeld
Pflichten
Eingliederungsvereinbarung
Arbeitsgelegenheiten (Ein-Euro-Jobs)
Aufnahme einer zumutbaren Arbeit
Welche Sanktionen drohen bei Pflichtverstößen?
Sonderregelungen für unter 25-Jährige
Regelbedarf für junge Erwachsene
Umzug
Verschärfte Sanktionen
Wie setze ich meine Rechte durch?
Rechtsschutz im behördlichen Verfahren
Anhang
Musterschreiben
Adressenverzeichnis
Internet-Links
Stichwortverzeichnis
Die folgenden Elemente erleichtern Ihnen die Orientierung im Buch:
Beispiele und Übungen
In diesem Buch …
Definitionen
In diesem Buch …
Merke
Die Merkekästen …
Auf den Punkt gebracht
Am Ende jedes Kapitels …
Etwa sieben Millionen Menschen hierzulande leben von „Hartz IV“. Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff eigentlich?
„Hartz IV“ ist die Kurzform für das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, das eine Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen VW-Vorstandsmitglieds Peter Hartz entwarf. Es trat am 1.1.2005 in Kraft und gestaltete die Leistungen für Arbeitssuchende grundlegend neu, indem es die „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ einführte.
Von Beginn an war Hartz IV heftig umstritten: Kritiker werfen dem Gesetzeswerk vor, soziale Kälte zu erzeugen und Arbeitsuchende unter den Generalverdacht des Schmarotzertums zu stellen. Ungeachtet aller Massendemonstrationen, Proteste von Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden sowie einer beispiellosen Klageflut hält die Bundesregierung jedoch beharrlich daran fest.
Daran konnte auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9.2.2010 nichts ändern, das Teile des Gesetzes als verfassungswidrig einstufte. Der Gesetzgeber reagierte darauf mit seiner Reform vom März 2011: Die Leistungen werden nur unwesentlich erweitert – und die Reform wird bereits wieder scharf kritisiert.
Geregelt ist die durch Hartz IV eingeführte Grundsicherung für Arbeitsuchende im „Sozialgesetzbuch Zweites Buch“ (SGB II). Das SGB II soll, da es sich immerhin um ein vergleichsweise verständlich verfasstes Gesetz handelt, in diesem Buch an mehreren Stellen zu Wort kommen. Denn nur 6wer das Gesetz kennt, kann darauf pochen. Und eben dazu will der Band Unterstützung bieten: einen Weg durch das Hartz-IV-Vorschriftendickicht weisen, Ansprüche aufzeigen und Rechte durchsetzen helfen.
Das durch Hartz IV eingeführte SGB II soll der Existenzsicherung Arbeitsuchender dienen und umfasst verschiedene Leistungen. Die wichtigsten sind die unter dem Stichwort „Arbeitslosengeld II“ bekannten: ALG II wird monatlich für Ernährung, Bekleidung, Unterkunft, Heizung etc. gezahlt, um den Lebensunterhalt sicherzustellen.
Darüber hinaus kennt das SGB II jedoch noch weitere Leistungen wie beispielsweise Zuschüsse zu Bewerbungskosten, Beihilfen für Klassenfahrten oder die Übernahme von Mietschulden.
Zunächst aber wollen wir uns der Frage widmen, wem Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch überhaupt zustehen. Dies regelt § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB II; er lautet:
§ 7 Absatz 1 Satz 1 SGB II
„Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die
(erwerbsfähige Leistungsberechtigte).“
Wie sich dem in Klammern beigefügten Zusatz entnehmen lässt, nennt das Gesetz Personen, die die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen, „erwerbsfähige Leistungsberechtigte“: 8Sollten Sie sich das SGB II in einer stillen Stunde einmal zu Gemüte führen wollen, werden Sie sehr häufig auf diesen Begriff stoßen. Die interessanten Regelungen finden sich übrigens in den §§ 1 bis 44, sind also nicht allzu zahlreich; die darauffolgenden betreffen in erster Linie staatliche Stellen.
Eine zentrale Voraussetzung für einen Anspruch allerdings unterschlägt § 7 SGB II: den Antrag. Ohne einen Antrag auf Gewährung von Leistungen werden sie nicht erbracht. Wie und wo Sie einen Antrag stellen können, ist Thema des nächsten Kapitels.
Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II lassen sich also präzise an einer Hand abzählen:
Keine Regel ohne Ausnahme – dieses eherne Prinzip der Juristerei gilt selbstverständlich auch hier: Selbst wenn die genannten Voraussetzungen vorliegen, haben einige Personengruppen keinen Anspruch auf SGB-II-Leistungen: Dazu gehören insbesondere
Sehen wir uns einmal an, was sich hinter den Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen verbirgt:
Erste Bedingung für einen Bezug von SGB-II-Leistungen ist ein bestimmtes Lebensalter: Es muss zwischen 15 Jahren und einer bestimmten Höchstaltersgrenze liegen.
Die Voraussetzung „15 Jahre alt“ erfüllt jeder mit seinem fünfzehnten Geburtstag. Die Höchstaltersgrenze variiert je nach Geburtsjahrgang: Für alle, die bis 1946 geboren sind, liegt die Höchstgrenze bei 65 Jahren. Danach steigt sie in Ein- bis Zwei-Monatsschritten an und staffelt sich folgendermaßen:
Geburtsjahrgang |
Höchstaltersgrenze |
1947 |
65 Jahre und 1 Monat |
1948 |
65 Jahre und 2 Monate |
1949 |
65 Jahre und 3 Monate |
1950 |
65 Jahre und 4 Monate |
1951 |
65 Jahre und 5 Monate |
1952 |
65 Jahre und 6 Monate |
1953 |
65 Jahre und 7 Monate |
101954 |
65 Jahre und 8 Monate |
1955 |
65 Jahre und 9 Monate |
1956 |
65 Jahre und 10 Monate |
1957 |
65 Jahre und 11 Monate |
1958 |
66 Jahre |
1959 |
66 Jahre und 2 Monate |
1960 |
66 Jahre und 4 Monate |
1961 |
66 Jahre und 6 Monate |
1962 |
66 Jahre und 8 Monate |
1963 |
66 Jahre und 10 Monate |
1964 |
67 Jahre |
Beispiele für die Altersgrenzen
Herr Petersen ist im Jahre 1957 geboren. Er wird die Altersgrenze also erreichen, wenn er genau 65 Jahre und 11 Monate alt ist. Frau Meyer, die 1964 geboren ist, erreicht die Grenze mit 67.
Übrigens: Wer jünger als 15 Jahre alt ist oder über der Höchstaltersgrenze liegt, ist keineswegs automatisch von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Als Mitglied einer „Bedarfsgemeinschaft“ mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten kann er sie sehr wohl beziehen (nämlich als sogenanntes „Sozialgeld“, siehe S. 45.
Die zweite Voraussetzung, um Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch zu beziehen, ist die sogenannte „Erwerbsfähigkeit“. Wie der Gesetzgeber diese definiert, lässt sich § 8 SGB II entnehmen:
§ 8 SGB II
„Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.“
Nicht erwerbsfähig ist also nur, wer auf absehbare Zeit – das bedeutet mindestens sechs Monate lang – außerstande ist, drei Stunden am Tag zu arbeiten. Außerdem muss die fehlende Fähigkeit auf medizinischen Gründen („Krankheit oder Behinderung“) beruhen. Andere Umstände (zB die Lebenssituation als alleinerziehende Mutter dreier Kleinkinder, Wohnungslosigkeit, langjährige Arbeitsentwöhnung) ändern nichts an der grundsätzlichen Erwerbsfähigkeit.
Ausländer allerdings gelten nur als erwerbsfähig, wenn ihnen eine Erwerbstätigkeit in der BRD gestattet ist.
Ansonsten kann die Erwerbsfähigkeit wie gesagt nur aus medizinischen Gründen entfallen. Sind Sie der Überzeugung, dass Sie nicht in der Lage sind, täglich drei Stunden zu arbeiten – und das zumindest für die nächsten sechs Monate –, sollten Sie dies der Behörde mitteilen und entsprechende ärztliche Berichte beifügen. In der Regel wird der Medizinische Dienst der Arbeitsagentur noch eine eigene Untersuchung durchführen.
12Stellt der Medizinische Dienst entgegen Ihrer Auffassung fest, dass Sie erwerbsfähig sind, können Sie Widerspruch einlegen. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens können Sie Akteneinsicht nehmen und kommen so an das Gutachten heran, das der Medizinische Dienst über Sie erstellt hat. Muster-Widerspruchsschreiben finden Sie im Anhang.
Sind Sie nicht erwerbsfähig, haben Sie Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente und/oder Sozialhilfe nach dem Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII). Die Leistungen orientieren sich an denjenigen, die aufgrund des SGB II erbracht werden. Anders als im Bereich des Arbeitslosengelds II kann die Behörde Sie jedoch nicht zur Aufnahme eines Ein-Euro-Jobs oder einer Arbeitsstelle zwingen, indem Sie Ihnen Leistungskürzungen androht.
Wenn Sie nicht erwerbsfähig sind, wenden Sie sich ans örtliche Rathaus: Dort ist man verpflichtet, Ihnen die zuständigen Stellen zu nennen.
Dritte Voraussetzung eines Leistungsbezugs ist die Hilfebedürftigkeit. Diese wird in § 9 SGB II definiert:
§ 9 SGB II
„Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann. […]
Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf […] gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft […] als hilfebedürftig.“
13Vereinfacht ausgedrückt: Hilfebedürftig ist ein Antragsteller, wenn er und die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Menschen zu wenig Geld haben, um den Alltag zu bestreiten. Anders als der Begriff „Arbeitslosengeld II“ vermuten ließe, ist Arbeitslosigkeit nicht Voraussetzung dafür, Grundsicherungsleistungen zu erhalten. Auch Beschäftigte und Selbstständige können sie beziehen, wenn ihr Einkommen und Vermögen nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt zu sichern.
Beispiel für Hilfebedürftigkeit
Herr Hansen, der über kein Vermögen verfügt, verdient in einem Minijob als Zeitungsausträger 400 EUR monatlich. Den täglichen Bedarf seiner vierköpfigen Familie (Ernährung, Kleidung, Miete usw.) kann er davon nicht bestreiten. Er ist hilfebedürftig.
Zentraler Begriff bei der Frage, ob jemand hilfebedürftig ist, ist die „Bedarfsgemeinschaft“: Bei der Klärung, ob ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II besteht, wird das Einkommen und Vermögen aller Mitglieder der „Bedarfsgemeinschaft“ berücksichtigt. Nur wenn es ausreicht, den monatlichen Bedarf aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu decken, ist der Antragsteller nicht hilfebedürftig.
Hier noch einmal die bereits zitierte Passage des § 9 SGB II in voller Länge:
14§ 9 SGB II
„ […] Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig.“
Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen:
Beispiel für Anspruch auf ALG II
Werner und Tina Lornsen leben als Bedarfsgemeinschaft zusammen in einer Mietwohnung; die monatliche Miete beträgt 600 EUR. Tina Lornsen verdient in einem Nebenjob monatlich 500 EUR netto; Werner Lornsen hat keine Einkünfte. Der monatliche Bedarf des Ehepaars Lornsen an Ernährung, Kleidung, Unterkunft etc. ist durch das Erwerbseinkommen von Tina Lornsen nicht gedeckt: Es genügt nicht einmal, die monatliche Miete zu zahlen. Werner und Tina Lornsen gelten demnach beide als hilfebedürftig.
Beispiel für keinen Anspruch auf ALG II
Angenommen, Tina Lornsen (aus dem vorangegangenen Beispiel) verdiente 3000 EUR netto im Monat. In diesem Fall müsste sich Werner Lornsen – auch wenn er selbst arbeitslos ist – das Einkommen seiner Ehefrau anrechnen lassen. Er wäre demnach nicht hilfebedürftig und hätte trotz seiner Arbeitslosigkeit keinen Anspruch auf ALG II. Der monatliche Bedarf der Bedarfsgemeinschaft wäre nämlich durch das Gehalt von Frau Lornsen gedeckt.
Ob und in welcher Höhe Sie Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben, kann sich also auch nach dem Einkommen und 15Vermögen der Menschen richten, mit denen Sie zusammenleben – aber nur bei einer Bedarfsgemeinschaft.
Alleinstehender