Porträt einer Landschaft
HINSTORFF
Cover: Yachthafen an der Havel in Werder
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1. Auflage 2015
Herstellung: Hinstorff Verlag GmbH
Lektorat: Thomas Gallien
Karte: Stefan Jarmer
ISBN 978-3-356-01971-1
Es gibt ihn wirklich, den verkieselten Eichenstumpf, eingemauert in die Stufen zum Altar. Er soll angeblich der Rest jenes Traumbaums sein, unter den sich 1180 Markgraf Otto I. von Brandenburg (um 1128–1184) legte, um nach der Jagd ein geruhsames Schläfchen zu halten. Im Traum begegnete ihm eine Hirschkuh, Sinnbild des Heidentums, die ihn ohne Unterlass bedrängte. Verärgert über diese Unverschämtheit ergriff der Fürst Pfeil und Bogen, legte an und streckte das Tier nieder. Als er erwachte, erzählte Otto den Traum seinen Begleitern. Einer meinte, das wäre ein Gotteszeichen. Hier, umgeben von Havelseen und märkischem Wald, müsse ein Kloster entstehen, um Gott zu dienen und die heidnischen Slawen zu bekehren. Und da Otto, Sohn Albrechts des Bären (1100– 1170), diese Meinung teilte, wuchs in den nächsten Jahren eine schöne „Möncherei“ aus der märkischen Erde. Als es darum ging, dem Kloster einen Namen zu geben, nannte Otto I. die Abtei Lehnin. Nach der Hirschkuh, die im Slawischen „lanye“ heißt.
Lehnin im südlichen Havelland war die erste Gründung eines Zisterzienserklosters in der Mark Brandenburg. Hier begannen die Mönche ihr segensreiches Werk. Sie arbeiteten erfolgreich als Imker, waren gute Käsemacher und verstanden sich vortrefflich auf die Kunst des Bierbrauens. Die Peitzer Karpfenzucht und der fränkische Lebkuchen gehen auf ihr Konto. Auch die Züchtung der Apfelsorten Borsdorfer und Renette. Bis heute ist ihr Handeln in der Mark Brandenburg und in Europa erkennbar.
Angenehm kühl ist es im weiten Rund der Klosterkirche, mit deren Bau man um 1190 begann. Die kreuzförmige Basilika aus romanischer und frühgotischer Zeit gehört zu den bedeutendsten Zeugnissen norddeutscher Backsteinarchitektur. Obwohl sich St. Marien im Inneren sehr sparsam zeigt, gibt es doch wunderbare Kunst zu bestaunen. So den kostbaren Schnitzaltar von 1476 mit Marientod und der Marienkrönung, das Kreuzigungsbild oder das frühgotische Triumphkreuz (um 1230). 64 Dörfer gehörten einst dem Kloster, dazu Wälder, Seen, Tongruben, Weinberge und Mühlen. Nach der Reformation zerbrachen Macht und Reichtum, der Dreißigjährige Krieg besiegelte den Zerfall. Schließlich wurden im 19. Jahrhundert die namhaften Architekten Ludwig Persius (1803–1845) und Friedrich August Stüler (1800–1865) von König Wilhelm IV. (1795–1861, König von 1840–1861) damit beauftragt, Pläne zur Restaurierung der Kirche auszuarbeiten. Als Theodor Fontane in seinen Wanderungen den Ort besuchte, hatten die Arbeiten zur Rekonstruktion gerade erst begonnen. Die „Poesie des Verfalls“ wurde zum Grundton seines Kapitels über Lehnin.
Heute lockt die Abtei jährlich Tausende von Touristen an. Die ehemalige Klosteranlage ist schön wie ein Park. Wer will, kann in ihm unter 400 Jahre alten Bäumen wandeln, den Kräutergarten besuchen, sich im Café leiblich und im Kloster seelisch erholen. Im barocken Amtshaus (1696), das nach dem 825-jährigen Gründungsjubiläum zum Museum wurde, wird unter dem Motto „Wo Himmel und Erde sich begegnen“ aus der Geschichte der Brandenburger Zisterzienser erzählt. Natürlich kann man im Kloster Lehnin, das am historischen Jakobsweg liegt, auch übernachten. Und dazu muss man nicht einmal Pilger sein. Sieben Einzel- und sieben Doppelbettzimmer warten auf müde Gäste …
Schlicht, schmal, ein Wässerchen nur“ (Fontane), so verlässt die Havel den Bornsee, die mecklenburgische Quelle, um sich ein wenig in der Welt umzusehen. Kilometer um Kilometer gewinnt der Fluss an Statur. Ganz leicht kräuselt der Wind das Wasser, weißblau spiegeln sich Wolken darin. Wer aufs Wasser schaut, sieht den Himmel zweimal, das ist schön.