PITTLER • TOD IM HAMAM
ANDREAS P. PITTLER
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Klagenfurt/Celovec
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Lektorat: Maria Sikora
ISBN 978-3-99047-038-1
»Dođi i uzmi me – Komm und nimm mich« Laut und falsch schmetterte Zofka Atanassova die Worte eines Seka Aleksić-Schlagers vor sich hin, als sie das Portal des Čifte-Hamams in Skopjes Čaršija öffnete, um dort wie jeden Montag ihrer Reinigungsarbeit nachzugehen. Sie wandte sich nach rechts und begab sich ohne Umschweife in den Sanitärbereich, wo sie in gewohnter Weise ihren Mopp und ihren Kübel vorfand. Letzteren füllte sie mit Wasser, gab ein wenig Putzmittel bei und schlenderte gelassen in den Raum zu ihrer äußersten Linken, dem ehemaligen Eingangsbereich.
Zehn Minuten später – Zofka war mittlerweile singenderweise auch mit »Aspirin« und »Crno i zlato« durch – hatte sie wischend den Hauptraum, das eigentliche Bad, erreicht. Die ausgestellten Fotos beachtete sie nicht. Der Hamam fand als Galerie Verwendung, doch den üblicherweise hier gezeigten Kunstwerken konnte Zofka Atanassova generell wenig abgewinnen. Sie konzentrierte sich lieber auf ihre Arbeit, denn dann war sie umso früher fertig und konnte mit dem Tag noch etwas Sinnvolles anfangen.
Aber die Installation im Zentralraum konnte sie nicht ignorieren. Das sah aus wie eine Kreuzigung, was Zofka höchst geschmacklos fand. Ein nackter Christus! Wie schamlos! Was fiel diesen sogenannten Künstlern als nächstes ein? Noch dazu so ein hässlicher! Der Mann hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem Heiland. Ein Fettsack um die 60, dessen voluminöser Bauch sich üppig über die peinlich kleine Männlichkeit wölbte. Blasphemie! Zudem hatte der Sohn Gottes bekanntlich langes schwarzes Haar und einen Bart gehabt. Der da hatte nichts von all dem. Eine Glatze und ein Doppelkinn. Und dann noch dieser selten dämliche Blick! Es war eine Schande, was in diesem Land alles unter Kunst laufen durfte.
Doch eines musste Zofka dem Künstler lassen. Seine Skulptur war von bemerkenswerter Lebendigkeit. Der feiste Christus sah aus wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Und die Lache, die sich unter dem Erlöser gebildet hatte, sah auch verdammt echt aus. Zofka steckte den Mopp in den Kübel und trat, nun doch neugierig geworden, näher. Das Blut sah so wirklich aus, dass man meinen konnte, es war eben erst vergossen worden. Wie die das hinbekamen? Zofka konnte nicht widerstehen. Sie sah erst nach links, dann nach rechts, dann bückte sie sich und berührte mit dem Finger die Blutlacke.
Gleich darauf fuhr sie entsetzt zurück, als hätte sie einen Stromschlag abbekommen. Das Blut sah so echt aus, WEIL es echt war. Und der Mann war auch echt. Echt, aber tot! Zofka hielt sich die Hand vor den Mund. Gleich darauf riss sie sie wieder weg, als ihr einfiel, dass sie auf dem Zeigefinger den Lebenssaft des Mannes kleben hatte. Und da ihr Sprechorgan nun freie Bahn hatte, konnte sie auch gleich losschreien. Laut und spitz und vor allem lang anhaltend.
Doch der einzige Mensch, der sie hätte hören können, lag mit einer klaffenden Wunde in der linken Brust und weit ausgebreiteten Armen, in deren Händen Neunzoll-Nägel steckten, auf einem Holzkreuz und war aller irdischen Sorgen für immer enthoben.
Tito Tucović war ein Mann mit entschieden zu vielen Problemen für seinen Geschmack. Die fingen schon bei seinem Namen an. Tito Tucović! Wer hieß schon so! Zwar konnte sich glücklicherweise kaum noch jemand daran erinnern, dass Dimitrije Tucović der Begründer des jugoslawischen Marxismus gewesen war, doch der Vorname Tito war im Makedonien des Jahres 2015 Menetekel genug! Sicher, als er 1970 bei seiner Geburt diesen Namen bekam, da beglückwünschte seinen Vater alle Welt zu diesem weisen Entschluss, denn Marschall Tito war das Nonplusultra im damaligen Jugoslawien. Und selbst mit Ende 30 schien Tito noch durchaus anzugehen, gab es doch immer noch kaum eine Stadt in Makedonien, die ohne eine »Maršala Tita« auskam. Doch seit die rechtslastige Nationalistenpartei das Ruder übernommen hatte, war der jugoslawische Staatsmann zur absoluten Unperson geworden – und alle weiteren Namensträger mit ihm. Ebenso gut hätte man im Vatikan auf den Vornamen Satan hören können. Tucović vermied es daher tunlichst, sich mit vollem Namen vorzustellen und beschränkte sich ganz allgemein auf ein simples »Hauptkommissar Tucović«, wenn er sich irgendwo zu erkennen geben musste. Denn für einen Polizisten war es im neuen Makedonien doppelt peinlich, an das alte Jugoslawien zu erinnern.
Doch half ihm diese List nur bedingt. Sein Vater, der alte Prvoslav, Polizeioberst in Ruhe, tat überhaupt nichts anderes, als permanent an das alte Jugoslawien zu erinnern. Und so war Tucović stets der Sohn des »alten Titoisten« – womit sein Vorname dann doch wieder zum Thema wurde.
Und war Tucović ehrlich zu sich selbst, dann war Vater Prvoslav nicht das einzige Problem in seiner Familie. Seine Mutter wurde nicht müde, sich bei ihm über den Gatten auszuweinen, und die Ehefrau tat es der Schwiegermutter gleich, mit dem Unterschied freilich, dass hier Tochter Liljana Gegenstand des Klagens war. Und Liljana, die sorgte ohnehin dafür, dass Tucović früh ergraute.
Ergrauen war ein weiteres Stichwort in Tucovićs Pandämonium des Schreckens. Er ergraute jeden Tag, wenn er im Präsidium einen Termin bei seinem Vorgesetzten Oberst Stankovski hatte. Jeder in der Polizei von Skopje wusste, dass Stankovski waschechter Serbe war, geboren als Dušan Stanković. Doch wer im Makedonien des Premiers Gruevski Karriere machen wollte, der besorgte sich besser beizeiten eine makedonische Identität. Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich, Stanković habe die Umschreibung seiner Personalpapiere nur zwei Flaschen Sliwowitz gekostet – und ein paar plötzlich verschwundene Anzeigen. Fakt jedenfalls war, dass Goce Stankovski so makedonisch war wie Alexander der Große und Zar Samuil – und man einen Dušan Stanković in keinem Archiv Makedoniens finden konnte. Wenigstens einmal hatte der Mann ganze Arbeit geleistet.
Tucović wären an diesem Morgen sicher noch mühelos zehn weitere Probleme eingefallen, wenn er nur ein klein wenig mehr Zeit zum Nachdenken gehabt hätte. Doch mit der Zeit war es so wie mit dem Geld. Von beidem hatte er entschieden zu wenig. Eilig richtete er sich seine Krawatte, nahm noch einen Schluck aus der Kaffeetasse – ein weiteres Problem: Wie nannte man den jetzt eigentlich? Türkischer ging schon lange nicht mehr! Serbischer war auch ein No-Go! Heimischer? So nannten sie ihn, so viel er wusste, in Bosnien! Sollte man jetzt Makedonischer sagen? Damit lag man doch eigentlich immer richtig, oder? Egal, die Zeit drängte – und küsste im Vorbeigehen seine Frau auf die Wange, ehe er auch schon durch die Wohnungstür entschwand. Am Weg die Stufen abwärts kramte er in seiner Jackentasche nach den Autoschlüsseln, wobei er innig hoffte, sein Dacia würde ihn an diesem Morgen nicht im Stich lassen. Just da läutete sein Handy.
»Ti … Hauptkommissar Tucović«, meldete er sich. Na klar, das musste ja so kommen. Stankovski war am Apparat. Es sei zwei vor
8. Wo er denn bleibe! Der Ton wies eine Lautstärke auf, die sich quälend auf Tucovićs Trommelfell auswirkte. Er sei unterwegs, der Dacia habe wieder seine Mucken, bemühte Tucović sein Auto als Sündenbock. Stankovski freilich wollte davon nichts wissen. Er brauche gar nicht erst im Präsidium anzutanzen, sondern solle sich sofort in die Carsia begeben. Kommissar Miloševski sei schon vor Ort. Im Čifte-Hamam habe man eine Leiche gefunden. Die Sache sehe sehr nach Mord aus. Er, Stankovski, erwarte umgehend Bericht. Tucović brachte gerade noch ein »Jawohl« zustande, dann war die Verbindung auch schon wieder getrennt.
Zu Tucovićs Glück nahm ihm der Dacia seine Notlüge nicht übel. Nach einigem Husten und Keuchen sprang der Motor an, und Tucović lenkte den Wagen aus der Parklücke, wobei er das »Pass doch auf, du Trottel« des gerade noch ausweichenden Ford-Fahrers geflissentlich ignorierte. Er schaltete schnell hoch und bog, begleitet von einem orchestralen Hupkonzert, links ab, dabei sämtliche Spuren querend und das Einbahnschild ignorierend. Er trat das Gaspedal durch, legte krachend den höchsten Gang ein, umkurvte ein paar entsetzte Passanten und kam mit quietschenden Rädern endlich auf die Zufahrtsstraße zum Zentrum.
Zwanzig Minuten nach 8 Uhr hatte Tucović das Vardar-Ufer erreicht. Er stellte den Wagen nahe dem neu erbauten Archäologischen Museum ab und marschierte an der Figurengalerie der makedonischen Zivilisation vorbei zur steinernen Brücke. Dort bog er rechts ab, umrundete den Springbrunnen und die Kolossalstatue Philipps II. und befand sich endlich am Eingang zum alten Marktviertel. Suchend sah er sich um. Nirgendwo Polizei. Schon gar kein Miloševski. Wo waren die alle? Er wollte schon in seinem Handy nach Miloševskis Nummer suchen, als er sich abrupt die rechte Hand auf die Stirn klatschte. Čifte-Hamam. Das war nicht das Bad am Anfang der Carsia, das war die Gemäldegalerie gegenüber der Murat Pascha-Moschee! Tucović unterdrückte einen Fluch! Das bedeutete einen weiteren Fußmarsch von gut 10 Minuten. Er konnte nur hoffen, dass nicht nur sein Dacia, sondern auch Miloševski einen guten Tag hatte.
Keuchend erreichte er knapp nach halb neun Uhr den Tatort. Miloševski schickte ihm einen tadelnden Blick, den Tucović geflissentlich überging. »Was haben wir?«, fragte er stattdessen.
»Eine männliche Leiche. Nackt. Ans Kreuz geschlagen, als wäre er Jesus Christus. Mehr können wir vorerst noch nicht sagen«, fasste Miloševski die bisherigen Erkenntnisse zusammen. »Scheiße«, entgegnete Tucović.
»Na, so schlimm ist das jetzt auch wieder nicht. Wir …«
»Nein«, wiegelte Tucović ab, »nicht dein Bericht, die Leiche! Das ist Woronski.«
»Wer?«
»Der Bau-Tycoon! Der halb Skopje umgekrempelt hat. Der, der gerade diesen Protzbau für die Regierungspartei an der Gjuro Strugar errichtet. Der Woronski.«
»Scheiße«, entfuhr es jetzt auch Miloševski. »Eben«, kommentierte Tucović den Ausruf des Kollegen.
»Sicher?«
»So sicher wie die makedonische Zivilisation!«
»Wir sind im Arsch!«
»Na ja, vielleicht noch nicht ganz. Aber wir müssen auf jeden Fall Stankovski sofort hinzuziehen. Sonst ist das für uns entschieden eine Nummer zu gefährlich.« Tucović hatte kaum die letzten Worte ausgesprochen, da klebte Miloševski schon an seinem Handy.
Tucovićs Personengedächtnis zählte sichtlich nicht zu seinen Problemen. Der Tote war definitiv Boris Woronski, was auch Stankovski, der extra aus dem Präsidium an den Tatort geeilt war, zweifelsfrei feststellte. Die Spurensicherung hatte mittlerweile ihre Arbeit getan, sodass auch für die Ermittler vor Ort nichts mehr zu tun blieb. Stankovski übernahm die Initiative und setzte eine Besprechung in seinem Büro an. Tucović ertappte sich bei der Frage, warum man dazu eigens ins Präsidium fahren musste, doch andererseits sprach einiges dafür, das dort vorhandene technische Equipment entsprechend zu nutzen.
Es war kurz vor 10, als Stankovski das Wort an die Anwesenden richtete. »Wir haben es hier«, begann er, »mit einer Cause célèbre zu tun, denn Boris Woronski ist … war so ziemlich die wichtigste Person in der heimischen Baubranche. Und damit das auch allen klar ist, habe ich Kollegin Stuparkovski gebeten, Ihnen einen kurzen Überblick über dessen Lebenslauf zu geben.«
Tucović stöhnte innerlich. Wie klischiert war das denn! Stankovski hatte entschieden zu viel Meterware an TV-Krimis gesehen, denn was brachte es, wenn man wusste, wo das Opfer in die Schule gegangen war. Doch da musste er jetzt wohl durch. Er beschloss, die Ohren auf Durchzug zu stellen und bemühte sich gleichzeitig um einen interessierten Gesichtsausdruck.
»Boris Woronski«, fing Stankovskis Sekretärin an, »wurde 1946 in Štip geboren. Er studierte Maschinenbau in Belgrad und Ljubljana, ehe er seine Zeit bei der JNA absolvierte. 1970 trat er in das Baukombinat BETON ein, wo er zunächst Sekretär der SZDL war, ehe er 1976 zum stellvertretenden und 1979 zum Direktor berufen wurde.«
Miloševski pfiff laut durch die Zähne. »Mit 33 schon der Chef? Was für Beziehungen hatte denn der?« Stankovski überlegte kurz, ob er seinen Mitarbeiter tadeln sollte, doch so unrecht, fand er, hatte dieser gar nicht. Kaum jemand war im sozialistischen Jugoslawien so schnell nach oben geklettert – von Slobodan Milošević vielleicht einmal abgesehen. Stankovski beschloss, den Einwurf vorerst unkommentiert zu lassen.
»Woronski«, ergriff nun wieder die Stuparkovski das Wort, »hatte im Apparat tatsächlich gewichtige Förderer. Was vor allem an seiner Herkunft gelegen haben dürfte.« Abrupt verfiel sie in Schweigen und sah erwartungsvoll in die Runde, was auch Tucović aus seiner Kontemplation riss. Offenbar pausierte die Sekretärin, weil sie erwartete, dass jemand den Hinweis mit der Herkunft kommentierte. Er dachte angestrengt nach. Wo hatte sie noch gleich gesagt, war er geboren worden? Ach ja, in Štip. Wer kam denn wohl noch aus diesem Kaff? Richtig! »Kiro«, krähte er zu seiner eigenen Überraschung. Die Stuparkovski lächelte. »Bingo! Unser gewesener Präsident. Der war in den 80ern eine wichtige Nummer im ökonomischen Apparat. Und er kam auch aus Štip, weshalb er sich mit Leuten aus seiner engeren Heimat umgab. Das wusste Woronski für sich zu nützen.«
»So weit, so gut«, mischte sich Stankovski ein, der nun offenbar selbst ungeduldig wurde, »Woronski war also ökonomischer Kader in Titoland. Und weiter?«
»Nun, das kann man sich doch denken, oder?«, lächelte die Sekretärin schmal, »nach der Umgestaltung des Landes wurde auch die Wirtschaft umgeformt. Die ehemaligen volkseigenen Betriebe wurden privatisiert. Und wer zur rechten Zeit am rechten Ort war, der konnte im Handumdrehen zum Millionär aufsteigen.«
»In Woronskis Fall wohl eher zum Milliardär!« Tucović beugte sich vor. »Lasst mich raten. Er bekam die BETON für einen Apfel und ein Ei, und die Firma bildete den Grundstock seines Imperiums.«
»100 Punkte«, lautete Stuparkovskis Kommentar.
»Aber wenn er Gligorows Mann war, dann musste er doch bei unserer Patriotenpartei ziemlich unten durch sein, oder etwa nicht?«, meldete sich nun auch Miloševski wieder aus der Versenkung. Er erntete ein mildes Lächeln von Tucović. Selbst Stankovski musste gegen seinen Willen schmunzeln, fasste sich aber schnell wieder. »Es ist nicht verboten, seinen politischen Standpunkt zu überdenken«, statuierte er knapp. »Vor allem, wenn das Überdenken so profitabel ist«, dachte Tucović, schwieg aber wohlweislich. Immerhin war Stankovski ebenfalls ein Wendehals gewesen, also schien es keinesfalls angebracht, auf diesem Thema länger herumzureiten. Schließlich war die herrschende Clique der Regierungspartei nur deswegen nicht in die Verlegenheit gekommen, eilig die Seiten zu wechseln, weil ihre Mitglieder schlicht zu jung waren, um vor 1991 eine Rolle gespielt zu haben.
Stuparkovski fuhr in der Zwischenzeit fort. »Štip ist aber nicht nur der Geburtsort unseres ersten Präsidenten. Auch der Begründer der Regierungspartei wurde in Štip geboren.« Düster erinnerte sich Tucović an Georgievski, der um die Jahrtausendwende die Herrschaft von Gligorows Partei beendet hatte. Der Mann hatte sich später mit seinem Nachfolger, dem jetzigen Premier überworfen. Woronski allerdings war erst unter dem aktuellen Regierungschef wirklich in die erste Liga aufgestiegen. Und der stammte nicht aus Štip. Nicht alles ließ sich also auf die Herkunft zurückführen. Da musste auch noch etwas anderes mit im Spiel sein, überlegte Tucović.
»Gut«, riss er die Initiative an sich, »Woronski hat sich also unter der VRMO eine goldene Nase verdient, er …«
»Goldene Nase ist gut«, prustete Stuparkovski, »der hat wahrscheinlich die Hälfte der Bauwerke errichtet, mit denen uns die Regierung seit fünf Jahren so reichlich beschenkt. Alexander und Philipp, das Archäologische Museum, das neue Ministeriumsgebäude, die meisten Statuen für die makedonische Zivilisation und jetzt die Parteizentrale. Da geht es um ein Gesamtvolumen von mehreren Milliarden – und zwar Euro, nicht Dinar.«
Miloševski hielt es für angebracht, wieder einmal zu pfeifen. »Das ist ja eine ganze Menge Holz. Damit wird er sich bei der Konkurrenz nicht gerade beliebt gemacht haben.«
»Ich sehe das auch so«, rang Stankovski wieder um die Gesprächsführung, »zu kurz gekommene Bauunternehmer zählen sicherlich zum Kreis der Verdächtigen. Aber wie wir wissen, geschehen die meisten Gewalttaten im Kreis der Familie. Und darüber, liebe Kollegin, haben wir noch gar nichts gehört. Also, was gibt es über den Privatmann Woronski zu sagen?«
Die Stuparkovski kam ein wenig aus dem Konzept. »Das müsste ich … äh … erst recherchieren.« Stankovski lächelte maliziös. »Dann tun Sie das, meine Liebe. Ich würde vorschlagen, wir machen eine kurze Pause. Meine Herren!« Mit einer ausladenden Geste forderte er Miloševski und Tucović auf, sich zu erheben und ihm zu folgen. Zu dritt verließen sie erst das Büro, dann das Präsidium, um sich gegenüber dem Hauptquartier der Polizei in dem kleinen Café an der Ecke niederzulassen. Stankovski orderte drei Espresso und drei Schnaps, ehe er seine Marlboro aus der Brusttasche kramte. Miloševski tat es dem Chef gleich, während Tucović nervös auf seiner Lippe kaute. Er war dem allgemeinen Trend gefolgt und hatte das Rauchen aufgegeben, worunter freilich nicht nur er litt, sondern die ganze Familie, die unisono zu dem Schluss gekommen war, dass er merklich unausgeglichen war, seit er die Finger von den Glimmstängeln ließ.
Stankovski beugte sich zwischenzeitlich vor und winkte die Kollegen mit einer flüchtigen Bewegung näher zu sich. Blitzschnell sah er sich um, ob sich irgendjemand in Hörweite befinden mochte. »Jetzt, wo wir unter uns sind: Wir sind uns doch einig, dass die Sache überaus heikel ist. Ich meine, der Mann hatte Protektion von ganz oben, da müssen wir vorsichtig an die Dinge herangehen, wenn wir nicht übermorgen den Verkehr an der hintervorletzten Kreuzung in Tetovo regeln wollen.« Automatisch nickten seine beiden Mitarbeiter. Allein schon die Nennung des Hauptortes der albanischen Minderheit im Lande ließ sie erschaudern. Stankovski nahm einen kleinen Schluck vom eben servierten Kaffee. »Ich werde natürlich gleich als nächstes um einen Termin beim Polizeipräsidenten ansuchen, und der wird sich sicher beim Minister rückversichern wollen. Am besten
scheint mir, wir warten erst einmal ab, welche Direktiven wir von oben bekommen. Auf diese Weise können wir nichts falsch machen und ersparen uns von vornherein jedweden Ärger.«
Das war typisch für den alten Opportunisten, dachte Tucović, der gleichwohl Widerspruch unterließ. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, so räumte er vor sich selbst ein, konnte man ja ohnehin nichts tun. Es gab nicht den geringsten Anhaltspunkt. Der oder die Täter hatten keinerlei auffällige Spuren hinterlassen, also gab es auch noch keine einzige konkrete Richtung, in die man hätte ermitteln können. Das Team war ohnehin zum vorläufigen Nichtstun verdammt, also konnte man genauso gut den Plan des Chefs gutheißen.
Stankovski wartete noch einen Augenblick, doch da seine beiden Mitarbeiter in Schweigen verharrten, nahm er dieses Verhalten als Zustimmung. »Gut. Dann sind wir uns ja einig.« Er blickte auf die Uhr. »Zehn Minuten können wir noch warten, damit unsere Zuckerpuppe Zeit hat, die Informationen zusammenzusammeln, die ein Teenager auf seinem Smartphone in 30 Sekunden beisammen hätte«, statuierte er grinsend.
Auch das entsprach, befand Tucović, ganz dem Psychogramm des Chefs. Stankovski selbst hätte wohl kaum den Einschaltknopf am Computer gefunden. Umso mehr bezog er sein Selbstbewusstsein im konsequenten Heruntermachen seiner Umgebung und in der Pflege des eigenen Größenwahns, wodurch er sich wahrhaft als echter Makedonier erwies. »Meine Herren«, riss ihn just jener aus seinen Gedanken, »Prost!« Stankovski hatte den Sliwowitz gehoben und kippte ihn anschließend in seine Kehle. Tucović und Miloševski taten es ihm gleich.
Als die drei Männer wieder ins Büro zurückkehrten, wartete die Sekretärin bereits auf sie. Ihrem Gesicht war deutlich anzusehen, dass sie fündig geworden war und darauf brannte, ihr Wissen kundzutun. Stankovski tat ihr den Gefallen: »Klären Sie uns auf, werte Kollegin.«
»Woronski war zum dritten Mal verheiratet. Die Aktuelle ist so ein halber C-Promi, die bei Makedonien sucht den Superstar mitgemacht hat. Angeblich jobbt sie gelegentlich als Model, aber im Netz findet sich dazu kaum etwas. Jedenfalls ist sie über 40 Jahre jünger als Woronski.«
»Und die Ex?«, fragte Miloševski. »Exen«, verbesserte ihn Tucović. »Ja«, die Stuparkovski konsultierte ihre Unterlagen, »die zweite Ehefrau hat er offenbar Anfang der 90er Jahre geheiratet. Getrennt haben sie sich dann wegen der Schlager-Tussi vor zwei Jahren. Es gab einen ziemlichen Rosenkrieg, der auch in den Gazetten breitgetreten wurde.«
»Ja, ich erinnere mich. Meine Frau hat mir da immer ganze Artikel vorgelesen«, warf Stankovski ein, »und Nummer eins?«
»Tja, dazu habe ich bislang nichts finden können. Das muss noch in jugoslawischer Zeit gewesen sein. Ich weiß davon auch nur, weil in den Artikeln zur Hochzeit mit Miss Superstar von Woronskis dritter Heirat die Rede ist.«
»In Ordnung. Dann machen wir es so: Sie, werte Kollegin, begeben sich ins Archiv und sehen zu, was Sie zum Thema erste Ehefrau finden können. Ihr beide«, und damit wandte sich der Chef an Tucović und Miloševski, »lasst euch die Adresse unseres Starlets ausheben und stattet der frisch gebackenen Witwe einen Besuch ab. Danach geht’s zu Ehefrau Nummer 2. Und, ach ja, hatte der Mann auch Nachkommen?« Diese Frage war wieder an die Stuparkovski gerichtet. Diese errötete leicht und sah zu Boden. »Das bitte auch zu recherchieren. Und zwar pronto«, knurrte Stankovski.
Zehn Minuten später waren die beiden Ermittler bei ihrem Einsatzfahrzeug angekommen. Miloševski klemmte sich hinter das Lenkrad, Tucović verstaute sich am Beifahrersitz. Das Domizil des Bauherrn befand sich nahe der Grünzone in der Todor Alexandrow, unweit der diversen Botschafterresidenzen. Kein Wunder, dachte Tucović, nur dort gab es für einen Milliardär eine standesgemäße Bleibe, wenngleich er selbst wenig Gefallen an den geschmacklosen Protzbauten fand, die meist irgendeinem merkwürdigen Eklektizismus frönten, der wiederum so typisch für das gegenwärtige Skopje war. Wenn man, so konstatierte Tucović mit einem innerlichen Seufzer, keinen eigenen Stil hatte, dann war man eben buchstäblich stillos.
Miloševski fuhr den Boulevard Kočo Racin stadtauswärts, nahm dann die »Kiril-und-Method«, um schließlich in die »Mutter Theresa« einzubiegen. Von dort ging es, vorbei am medizinischen Zentrum, direkt in den Nobelbezirk der Stadt. Woronskis Palast war schon von weitem zu sehen. Er sah aus wie die Miniaturausgabe der Parteizentrale im Stadtzentrum. Vielleicht hatte er sogar dieselben Baupläne benutzt, mutmaßte Tucović, der instinktiv die Augen zusammenkniff, da das makellose Weiß der Fassade im grellen Sonnenlicht einen besonders gleißenden Effekt ausübte. Miloševski brachte den Wagen zum Stehen, und die beiden kletterten aus dem Gefährt. Tucović übernahm es als der Ranghöhere, den Klingelknopf zu betätigen. Eine Stimme meldete sich über das Intercom. »Sie wünschen?«
»Wir wünschen die Hausherrin zu sprechen«, entgegnete Tucović.
»Worum geht es?«
»Wir sind von der städtischen Polizei. Öffnen Sie uns bitte«, wurde er nun ein wenig unwirsch. Endlich ertönte ein Summen, und die Pforte ging auf. Die beiden Polizisten legten eine kurze Strecke über einen Kiesweg zurück und standen schließlich vor dem prunkvollen Portal der Villa. Dort erwartete sie eine Bedienstete, die einem Genrefilm über die britische Aristokratie des 19. Jahrhunderts entsprungen zu sein schien. »Die Frau Woronski ist am Pool. Wenn die Herren warten wollen?«, erklärte sie kühl.
»Nein, die Herren wollen nicht warten. Wo ist er, der Pool?«, replizierte Tucović, während er seinen Ausweis in die Höhe hielt. »Aber ich muss doch sehr bitten, das ist … höchst ungewöhnlich«, zeigte sich die Bedienstete pikiert, während sie Tucović indigniert hinterher sah, der bereits quer durch die Halle in Richtung des Gartens strebte. Miloševski zuckte nur mit den Schultern und ließ die Frau ratlos zurück. Das erste, was Tucović wahrnahm, als er auf das Grün trat, war das typische Geräusch eines Rasensprengers. Gleich danach erwischte ihn eine Wasserfontäne mit voller Wucht im Gesicht, sodass ihm ein derber Fluch entfleuchte. Wenigstens, so signalisierte ihm sein Gehör, wusste er nun, wo sich Frau Woronski befand, denn das schadenfrohe Gekicher konnte nur von ihr stammen. Er wischte sich mit der Handfläche das Gesicht ab und wandte sich dann in die Richtung, aus der er das Lachen wahrgenommen hatte. »Frau Woronski«, sagte er mit Leichenbittermiene, als er sie endlich erreicht hatte, »ich fürchte, ich habe eine sehr schreckliche Nachricht für sie.«
Die Witwe erhob sich aus ihrem Liegestuhl, was Tucović Gelegenheit bot, festzustellen, dass sie außer einem String-Tanga nichts am Leibe trug. Die nackten Brüste schienen riesig zu sein und wiesen nicht minder große Höfe auf, in deren Mitte zwei kirschkerngroße Brustwarzen auszumachen waren. Der Bauchnabel war durch einen Schmuckstein verdeckt, wobei Tucović nicht zu sagen vermochte, ob es sich dabei um ein Piercing handelte, wenngleich er etwas in diese Richtung vermutete. Den lasziven Blick der jungen Frau empfand er als ebenso unnötig wie ihre gesamte Aufmachung, wenngleich er ihr zugestehen musste, dass sie wohl kaum mit einem Besuch hatte rechnen können. Und während er noch überlegte, wie er dieser Sirene am taktvollsten vom Hinscheiden ihres Gatten berichtete, wurde er der Präsenz Miloševskis gewahr, der selten blöde auf den nackten Körper starrte. Tucović trat vor seinen Kollegen und verpasste ihm mit dem Schuhabsatz einen Tritt gegen das Schienbein, hoffend, Miloševski würde sich dadurch wieder einkriegen. Dessen lautes »Aua« war freilich noch unpassender als Madame Woronskis Verhalten.
»Frau Woronski, ich muss ihnen leider mitteilen, dass ihr Mann tot ist«, sagte er schließlich ebenso nüchtern wie sachlich. Die Woronski blickte von ihm zu Miloševski und wieder zurück, ehe sie entschieden den Kopf schüttelte. »Unsinn! Boris ist gerade einmal in seinen 60ern. Da ist man als Mann in den besten Jahren und nicht tot.«
»Ich fürchte doch, gnädige Frau. Er ist ermordet worden.«
Jetzt fand es die Woronski doch angebracht, sich zu setzen. Umständlich fand ihr Hinterteil zurück auf den Liegestuhl. Und als wäre ihr erst durch die Mitteilung des Polizisten bewusst geworden, dass sie halbnackt war, bedeckte sie ihre Blößen mit einem großen Handtuch. »Ermordet?«, stammelte sie endlich, »wer tut denn so etwas?«
»Das, liebe Frau, versuchen wir eben herauszufinden. Und dazu brauchen wir Ihre Hilfe.«
Die Woronski griff unsicher nach ihrem Cocktailglas und saugte gierig am Strohhalm. »Sind Sie ganz sicher?«, fragte sie schließlich.
»Es tut mir leid, ein Zweifel ist völlig ausgeschlossen. Das Mordopfer ist Boris Woronski, Ihr Mann.«
Der Blick der Woronski verfinsterte sich. »Das war sicher sie, dieses miese Luder. Damit sie an ihren Teil des Erbes kommt. Die Alimente waren ihr immer zu wenig«, fauchte sie.
»Sie?«, fragte Tucović nach. »Na, Mirjana, seine Ex-Frau. Haben Sie nichts von dem Scheidungskrieg zwischen den beiden in den Zeitungen gelesen?«
»Ich lese nur den Sportteil«, gab Tucović leichthin zurück.
»Als Boris und ich uns bei Makedonien sucht den Superstar kennengelernt haben, war es Liebe auf den ersten Blick. Er ist zwar um
40 Jahre älter als ich, aber ich habe immer schon ein Faible für reifere Männer gehabt. Und bei mir fand Boris, was er bei Mirjana schon seit sehr langer Zeit vergeblich gesucht hatte.«
»Sex?« Tucović verspürte das brennende Bedürfnis, Miloševski für seine vorlaute Bemerkung gleich noch einmal zu treten, doch die Woronski sah seinen Kollegen nur kühl an. »Das auch. Aber vor allem Geborgenheit, Wärme, Zuneigung. Boris ist … war … ein Romantiker.«
Sicher, dachte Tucović belustigt. Bekanntlich waren es immer die Romantiker, die Milliardäre wurden, indem sie in einem beinharten Geschäft alle anderen ausbremsten. Doch es war für den Fall irrelevant, wie die Witwe ihren dahingeschiedenen Gatten einschätzte. Wichtiger war, dass sie den Verdacht äußerte, die Ex-Frau könnte ihn auf dem Gewissen haben. »Sie meinen also, Mirjana hat Ihren Boris ermordet, um an dessen Vermögen zu kommen?«