Gerda Althoff
Sehnsucht nach El Dorado
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Sehnsucht nach El Dorado
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Impressum neobooks
Der Dschungel macht süchtig, wer einmal da war, den zieht es immer wieder dorthin zurück. Das wurde mir zutiefst bewusst, als ich nach meiner ersten Dschungeltour mit Carlos wieder zuhause auf dem Sofa saß und völlig unzufrieden in die Glotze starrte. Ich hatte eine innere Unruhe in mir, die sich durch nichts beruhigen ließ. Immer wieder zog es meine Gedanken nach El Dorado und zu den Ereignissen hin, die diese erste Begegnung mit dem Dschungel Südamerikas unvergessen machten. Diese nun hier einzeln aufzuführen, würde zu weit führen, sie sind bereits in meinem ersten Buch "Oma geht in den Dschungel" ausführlich beschrieben und dies soll schließlich eine ganz neue Geschichte werden. Also zurück zu meinem Sofa.
Mit angezogenen Knien hockte ich auf der blauen Ledercouch, den Kopf an die Rückenlehne gedrückt und schaute gelangweilt zu, wie Little Joe auf seinem Schecken hinter irgendeinem Verbrecher herjagte. Eigentlich sah ich diese alten Serien wie "Bonanza" oder "Die Waltons" ganz gerne, aber seit ich aus Venezuela zurückgekehrt war, konnte mich so etwas nicht mehr wirklich vom Hocker reißen. Wenn es so etwas wie ein Abenteuer-Virus gab, dann hatte es mich gepackt. Außerdem war ich im Sternzeichen des Widders geboren und von daher schon für derartige Aktivitäten prädestiniert.
Zu allem Überfluss regnete es seit Tagen, was meine Stimmung nicht gerade positiv beeinflusste, aber selbst wenn es mal ein paar Stunden nicht in Strömen goss, war doch der Himmel stets in trostloses Grau gehüllt.
So verging Tag für Tag, ohne dass ich mich besser fühlte und ich überlegte krampfhaft, wie ich mich aus dieser Misere befreien könnte. Wieder zurück nach Südamerika, dafür fehlte mir das Geld, denn leider hatten mir meine Eltern, die viel zu früh starben, außer ein mit Schulden belastetes Haus, nichts Nennenswertes hinterlassen.
Eine gute Idee war also von Nöten und urplötzlich, wie aus dem Nichts, war sie da, die Idee.
Warum nicht selbst mal eine Reise für andere Leute organisieren! In Venezuela kannte ich mich inzwischen gut aus und die nötigen Kontakte um eine Rundreise nebst Dschungeltour zu organisieren, hatte ich auch. Die Frage, die sich jetzt stellte, war jedoch, wie fange ich das am besten an. Ich konnte mich schlecht auf die Straße stellen, wahllos Leute ansprechen und fragen, ob sie nicht Lust hätten, mit mir in den südamerikanischen Dschungel zu kommen. Auch meine Verwandten und Bekannten wollten sich so etwas nicht antun, wie sie mir unverholt mitteilten und sich lieber auf Gran Canaria oder Mallorca im Vier-Sterne-Hotel verwöhnen lassen, statt irgendwo im Dreck herum zu kriechen und gegen Mücken und Kakerlaken zu kämpfen. Ich konnte ihnen nur entgegnen, sie wussten nicht, was ihnen entging, ihre Meinung dazu änderte das aber nicht. Nachdenken hilft, sagte ich mir und so kam ich schließlich darauf, mich an eine lokale Zeitung zu wenden und um Hilfe zu bitten. Mal von den kostenlosen Blättchen abgesehen, gab es drei davon in meiner Stadt; die Westfälische Rundschau, die Ruhrnachrichten und die WAZ. Ohne besonderen Grund entschied ich mich für die erstere und betrat schon am nächsten Tag, noch etwas zögernd, die Geschäftsstelle. Nachdem ich mein Anliegen vorgetragen hatte, zeigte die freundliche junge Dame hinter der Theke auf eine Tür am Ende des Raums. In großen, silbernen Buchstaben stand dort "Redaktion". Auf mein Klopfen hin ertönte ein lautes, aber freundliches "herein". Ich folgte dieser Aufforderung und sah mich einem gut aussehenden Herrn in den mittleren Jahren gegenüber. Er bat mich Platz zu nehmen und fragte, was er für mich tun könnte. Ich erzählte ihm von Venezuela, El Dorado, meinen Dschungeltouren und dass ich jetzt so eine Abenteuerreise selbst organisieren wollte, denn abenteuerlich würde diese Reise auf jeden Fall werden, das war ganz klar. Vielleicht ließen sich ja Leute finden die daran interessiert waren, unter meiner Leitung, abseits vom Pauschaltourismus, Land und Leute zu erkunden. Der Redakteur war sichtlich angetan von dem, was ich vorhatte und er fand, dass es sich lohnen würde, wenn seine Zeitung darüber berichtete. Und hinterher könnte man bestimmt eine neue Geschichte schreiben, zum Beispiel über das, was wir alles erlebt hatten, so hätten wir beide etwas davon. Der erste Schritt war also getan, jetzt konnte ich vorerst nur noch darauf warten, dass mein Artikel erschien.
Es ging schneller als ich dachte. Schon am nächsten Tag stand unter der Rubrik "Lokales" ein nicht übersehbarer Artikel, der über mich und mein Vorhaben berichtete. Von zuhause aus hatte ich noch per Email ein Bild von mir an die Redaktion geschickt, damit sich die Leute einen ersten Eindruck davon verschaffen konnten, mit wem sie es zu tun hatten.
Und noch einmal hieß es warten. Ich spürte eine starke, innere Anspannung, die sich von Stunde zu Stunde, in der das Telefon nicht klingelte, steigerte. Ich war mir zutiefst unsicher, welche Reaktionen dieser Artikel bewirken würde? Gab es tatsächlich Menschen, die sich mir, einer ihnen gänzlich unbekannten Person, anvertrauen würden? Dazu auch noch einer Frau!
Ich war voller Hoffnung, gleichzeitig aber auch voller Zweifel. Ein Wechselbad der Gefühle, das ich nicht lange ertragen würde ohne durchzudrehen, da war ich mir sicher.
Als dann das Telefon endlich klingelte, zuckte ich regelrecht zusammen und das Herz schlug mir bis zum Hals. Sekunden später hielt ich den Hörer in der Hand und war zutiefst enttäuscht, als ich die Stimme am anderen Ende der Leitung hörte. Es war eine Bekannte, die einfach nur wissen wollte, wie es mir geht. Normalerweise freute ich mich über so einen Anruf, aber diesmal kam er äußerst ungelegen. Monika, so hieß die Anruferin, schien das zu spüren und meinte, sie könnte sich auch später noch mal melden, wenn es jetzt ungünstig wäre, aber ich wollte sie nicht einfach so abwimmeln, beteuerte mehrmals, dass ich auf jeden Fall jetzt Zeit für sie hätte und wir unterhielten uns eine geraume Weile über ganz belanglose Dinge. Kurz darauf klingelte das Telefon erneut und diesmal war es tatsächlich jemand, der sich für meine Abenteuerreise nach Südamerika interessierte. Spätestens nach seiner Frage, ob es im Dschungel denn auch Duschen und Nachttischlampen gäbe, musste ich ihm sagen, dass er dafür eher nicht in Frage käme.
Von nun an, klingelte das Telefon fast ohne Unterbrechung und eigentlich sollte ich mich darüber freuen, aber die meisten hatten eine ganz andere Vorstellung von der Reise und dachten, es wäre so etwas voll organisiertes á la Neckermann Pauschalangebot. Sie erwarteten im Dschungel elektrisches Licht, Toiletten und natürlich frisch bezogene Betten, sowie ein ordentliches Frühstücksbuffet. Nachdem ich sie darüber aufgeklärt hatte, was sie wirklich dort erwartete und dass wir eher in Hängematten unter freiem Himmel, statt in Betten schlafen würden, fielen die meisten aus. Die restlichen Interessenten lud ich zu mir ein, um ihnen die bevorstehende Reise detaillierter vorzustellen und außerdem ein Video meiner letzten Tour mit Carlos zu zeigen. Von den zwölf Leuten, die an dieser Veranstaltung teilnahmen, blieben zum Schluss noch fünf übrig, die aber fest entschlossen waren, das Abenteuer Venezuela mit mir zu wagen. Zwei Ehepaare und eine alleinstehende Dame, alle ungefähr in meinem Alter.
Horst und Maria, Willi, Gudrun und Ruth gaben mir eventuell die Möglichkeit, noch einmal unvergessliche Tage im Dschungel zu erleben und ich wollte mein Bestes tun, um es auch für sie zu einem einmaligen Erlebnis zu machen, das sie nie mehr vergessen sollten, natürlich im positiven Sinne gemeint. Selbstverständlich würden wir die geplanten viereinhalb Wochen nicht nur im Dschungel verbringen. Eine Reise durch ganz Venezuela, von Caracas im Norden bis zu dem an der brasilianischen Grenze gelegenen Ort Santa Elena, war geplant. Doch soweit war es noch lange nicht, denn zunächst mussten wir einen geeigneten Termin finden. Er sollte auf keinen Fall in der Hurrikan Zeit liegen und da Gudrun noch arbeitete, musste es ihr gelingen, den Chef zu einem derart langen Urlaub zu überreden. Da sie aber ein außerordentlich gutes Verhältnis zu ihm hatte, stellte es sich als kein allzu großes Problem heraus. Sogar ihren kleinen Dackel Waldi wollte er in der Zeit versorgen, wo sie und Willi nicht zu Hause waren.
Als möglicher Termin wurde schließlich irgendein Tag in der zweiten Oktoberhälfte festgehalten. Ein genaues Datum zu bestimmen, war im Moment noch nicht möglich, da ich erst einmal wissen musste, wann es einen einigermaßen günstigen, verfügbaren Flug nach Caracas gab, denn das Ganze sollte sich auch in einem bezahlbaren Rahmen bewegen. Das Internet befand sich noch in der Anfangsphase und es gab keine Flugdatenbanken, wie es heute der Fall ist, deshalb führte mich mein Weg ins örtliche Reisebüro, wo ich die zuständige Angestellte an den Rand des Verzweifelns brachte. Mein Wunsch war ein Gabelflug, weil wir unsere Reise in Caracas starten und auf der Isla Margerita beenden wollten, und ich nicht zusätzlich noch einen Inlandflug von Porlamar nach Caracas buchen wollte. Nach langem hin und her und endloser Sucherei, war es aber dann doch geschafft, ein Direktflug von Frankfurt nach Caracas mit Avianca und der Rückflug, ebenfalls direkt, von Porlamar nach Frankfurt mit Condor, beide zusammen für sechshundertfünfzig Euro. Das war ein durchaus akzeptabler Preis, um nicht zu sagen, ein Schnäppchen. Das Problem bestand darin, dass nach Caracas nur Linienmaschinen flogen, während es beim Rückflug dann genau umgekehrt war, ab Porlamar starteten nur Chartermaschinen.
Nachdem das erledigt war, ging es an die Planung des genauen Ablaufs. Um möglichst alle Wünsche zu berücksichtigen, trafen wir uns mehrere Male bei mir zuhause, wo wir uns in endlose Diskussionen verzettelten.
„Wenn wir schon an der Grenze zu Brasilien sind, können wir doch bestimmt auch mal rüber, oder?", fragte Gudrun. „Ich hätte nämlich gern den Stempel im Pass.“
„Oh ja, ich auch!“
Horst war sofort begeistert von der Idee.
„Das wird sich bestimmt machen lassen“, antwortete ich voller Zuversicht, dass es kein Problem sein würde und sah in fünf zufriedene Gesichter.
Gegen die entsprechende Menge „Kleingeld“ war in Venezuela fast alles möglich. Bei meiner letzten Tour hatte ich es geschafft, einen Fernbus über El Dorado umzuleiten. El Dorado liegt circa vier Kilometer abseits der Hauptstraße und der Bus fuhr normalerweise daran vorbei. Da es aber schon spät am Abend war, hatte ich keine Lust mit dem ganzen Gepäck so weit zu laufen. Außerdem war es bestimmt ziemlich gefährlich. Einen Versuch ist es wert, dachte ich mir und fragte den Fahrer, ob er ausnahmsweise in den Ort fahren könnte. Die Busfahrer in Venezuela verdienen nicht gerade viel und wenn man clever war und nicht zu geizig, konnte man das zu seinem Vorteil nutzen. Bis zum Abzweig nach dieser kleinen Goldgräberstadt waren es nur noch wenige Kilometer, das bedeutete, dass mir nicht mehr viel Zeit für lange Verhandlungen blieb. Ich bot ihm tausend Bolivar, was damals ungefähr drei Euro entsprach. Er überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. Tausendfünfhundert, sagte er und sah mich dabei erwartungsvoll an. Mir war es in dem Moment egal und ich wollte nicht um ein paar Bolivar feilschen. Ich hatte einfach nur das Bedürfnis ins Hotel zu kommen, um zu schlafen und deshalb nickte ich zustimmend. Es war ein langer Tag gewesen, stundenlange Busfahrt durch die Einöde der Gran Sabana, die hin und wieder von einem Wasserfall unterbrochen wurde und den ganzen Tag noch nichts gegessen. Klar hatten wir mal Pause gemacht, aber was da an Essbarem angeboten wurde, war definitiv nichts für meinen verwöhnten, europäischen Magen.
Wie abgemacht, verließ der Busfahrer die Hauptstraße und fuhr den Abzweig entlang, direkt nach El Dorado. Im Dunkeln erschien mir die schmale Straße, die in diesen kleinen Ort mit dem legendären Namen führte, richtig unheimlich und ich war heilfroh, dass ich nicht laufen musste. Der Bus hielt mitten auf dem kleinen, staubigen Platz im Ortszentrum. Ich stieg aus und bedankte mich beim Fahrer, worauf er mit einem knappen: „ De nada.“ antwortete.
Außer mir stiegen noch fünf weitere Leute aus und diejenigen, die meinen Deal mit dem Busfahrer nicht mitbekommen hatten, sahen jetzt sehr verwundert aus. Sie verstanden nicht, wieso der Bus, der normalerweise immer an El Dorado vorbei fuhr, jetzt hier hielt. Gleichzeitig waren sie aber froh, den Weg von der Hauptstraße bis in den Ort nicht laufen zu müssen.
„Gern geschehen“, sagte ich in Gedanken zu mir.
In unmittelbarer Nähe der Haltestelle befanden sich zwei Hotels, die dem Ort entsprechend sehr einfach ausgestattet waren. Ich entschied mich für das Hotel San Antonio, das billigere von den beiden, wie sich später herausstellte, ein Fehler war. Kein fließendes Wasser, an der Decke baumelte eine verdreckte Glühbirne und an der Wand hing ein ebenso verdreckter, kleiner Ventilator. Die Laken waren auch alles andere als frisch. Ich fand das halb so tragisch, es war eh nur für eine Nacht. Da ich Morgen früh sowieso weiter nach Norden wollte, spielte es keine große Rolle und außerdem war es schließlich eine Abenteuerreise und kein Luxus-Pauschalurlaub. Über das Kopfkissen legte ich eines meiner Handtücher, zog mich nicht aus, sondern legte mich so wie ich war aufs Bett. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen und so schlief ich schnell ein.
Aber jetzt erst einmal wieder zurück nach Deutschland, wo ich mitten in den Vorbereitungen für meine erste selbst organisierte Tour steckte, ich meine natürlich für andere Leute. Allein war ich schließlich schon öfter losgezogen. Ticket kaufen, Rucksack auf und los, hieß meine Devise.
Dieses Mal war es anders. Alles musste besonders sorgfältig vorbereitet werden, denn jetzt hieß es nicht nur auf mich selbst aufzupassen, sondern außerdem die Verantwortung für fünf Menschen zu übernehmen, die noch nie in ihrem Leben in Südamerika waren, sich mir bedingungslos anvertrauten und außerdem kein Wort Spanisch sprachen.
Bis zum Abflug waren es jetzt noch genau zehn Tage und für Mitte Oktober war das Wetter hervorragend. Zwanzig Grad und seit mehren Tagen schien die Sonne, als wollte sie den verregneten Sommer nachholen.
Um sie wenigstens grundsätzlich auf die Reise vorzubereiten, hatte ich sie mehrmals zu mir eingeladen, so auch heute.
„Nun will ich euch noch mal den genauen Ablauf erklären“, begann ich, nachdem auch Ruth mit einiger Verspätung eingetroffen war. Statt einer Erklärung, warum sie sich verspätet hatte, begrüßte sie uns mit den Worten: “Habt ihr für mich auch noch einen Kaffee übrig gelassen?“
„Aber klar doch, Ruth“, antwortete ich und griff nach der Kaffeekanne, die auf dem Tisch stand.
„Konntest du dich wieder nicht von deinem Freund loseisen?“
Für diese Bemerkung kassierte Horst einen bösen Blick von Ruth und auch Maria sah ihn vorwurfsvoll an. Er konnte es einfach nicht lassen, ständig seine nicht immer sehr charmanten Kommentare abzugeben. Das beste Mittel dagegen war, ihn einfach zu ignorieren, aber das konnte Ruth nicht und wurde somit zu einem willkommenen Opfer für ihn. Ich hoffte inständig, dass es währendunserer mehr als vierwöchigen Reise diesbezüglich keine Probleme geben würde. Um möglichst schnell von dieser prekären Situation abzulenken, begann ich daher unverzüglich mit den Informationen über den genauen Ablauf.
„Also, wir werden ungefähr um sechzehn Uhr in Caracas landen und von dort direkt nach Macuto fahren, ein kleiner Ort, der nur wenige Kilometer vom Flughafen entfernt ist und direkt am Meer liegt. Am nächsten Tag geht es weiter nach Caracas, Besichtigung der Altstadt und am Nachmittag einen Bummel durch die Neustadt. Am folgenden Tag fliegen wir dann nach Ciudad Bolivar, wo wir Carlos treffen werden. Bestimmt wird er uns auch seiner Familie vorstellen und höchstwahrscheinlich wird uns seine Mutter zum Essen einladen, denn die Venezolaner sind sehr aufgeschlossen und gastfreundlich. Ich würde deshalb vorschlagen, dass jeder von uns ein kleines Geschenk für die Familie mitbringt. Nichts Großes, nur eine Kleinigkeit“, fügte ich noch hinzu.
„Und was zum Beispiel, könnten wir mitbringen?“, fragte Gudrun mit etwas ratlosem Gesicht.
Sie sprach aus, was alle dachten. Es war bestimmt nicht einfach, Geschenke für jemanden zu kaufen, den man nicht kannte.
Sehr viele Gedanken hatte ich mir bisher auch nicht darüber gemacht, was sich jetzt als Fehler herausstellte, wenn auch kein schwerwiegender.
„Ich finde, es sollte etwas Nützliches sein“, schlug ich vor.
„Vielleicht Buntstifte für die Kinder, eine Tasse mit dem Stadtwappen oder auch etwas Essbares wie Aachener Printen oder Lübecker Marzipan, es ist ja bald Weihnachten.“
Na ja, es waren noch fast zwei Monate bis Weihnachten, wenn wir bei Carlos Familie eintrafen, aber das ganze Weihnachtszeug gab es ja jetzt schon überall zu kaufen.
„Dortmunder Bier“, warf Horst ein.
Das war wieder typisch für ihn!
„Wenn du meinst, dass die Flasche noch heil ist, wenn wir da angekommen sind, dann tu das“, nahm ich ihm den Wind aus den Segeln, denn er hatte natürlich mit einem Widerspruch gerechnet.
„Und wie viele Personen leben in dem Haus?“, wollte Maria wissen.
Es war natürlich wichtig zu wissen, für wen man überhaupt Geschenke mitbringen sollte.
„Nun ja, da sind zunächst Carlos, seine zehnjährige Tochter und seine Mutter. Außerdem leben da aber noch sein Bruder mit Frau und den zwei kleinen Töchtern und seine Schwester mit ihren beiden Söhnen, und manchmal kommen noch Verwandte zu Besuch."
„Dann wird es ja ganz schön eng, wenn wir da auch noch auftauchen“, meldete sich erstmals Willi zu Wort.
„Das wird schon gehen“, versicherte ich ihm, aber ich bemerkte einen leichten Zweifel in seinem Gesicht.
„Es ist nicht nötig, für jeden einzelnen etwas mitzubringen“, fügte ich noch hinzu, "
sie sind daran gewöhnt, zu teilen. Aber noch haben wir genug Zeit zum Überlegen. Ach und was mir gerade noch einfällt; wir werden bestimmt auch einen kurzen Halt bei Miguels Haus machen und ich kann euch versichern, dass seine Familie sich riesig freuen würde, wenn wir ihnen auch etwas mitbringen. Jeder von uns hat einige Sachen im Schrank hängen, die wir nicht mehr anziehen und die könnten wir doch besser Miguels Familie geben, anstatt sie in irgendeinem Altkleider Container entsorgen. Sie leben mitten im Dschungel, haben so gut wie kein Einkommen und könnten sie sicher gut brauchen."Es folgte ein zustimmendes Kopfnicken.
Damit war dieses Thema erst einmal erledigt und ich konzentrierte mich nun wieder auf den eigentlichen Ablauf der Reise.
„Also nach unserem Besuch bei der Familie, geht es zusammen mit Carlos weiter nach El Dorado. Dafür und auch für die spätere Fahrt durch die Gran Sabana, werden wir einen Kleinbus mit Fahrer anmieten. Carlos hat da so seine Kontakte. Wir werden außerdem den Guri-Staudamm besichtigen, der das ganze Gebiet mit Trinkwasser versorgt und der zweitgrößte der Welt ist. In El Dorado wird es dann ernst. Wir werden uns mit Proviant für eine Woche versorgen und dann mit Carlos und Miguel einhundertfünfzig Kilometer tief in den Dschungel fahren. Miguel hat eine Lancha mit Außenbootmotor und kennt sich im Dschungel bestens aus, denn er wohnt ja da, wie ihr schon wisst.“
"Wird seine Familie denn auch damit einverstanden sein, wenn wir da so unangemeldet auftauchen?“, wollte Ruth wissen, die sich bisher nicht an der Diskussion beteiligt hatte. Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass Horst sie von neuem provozieren wollte und sah ihn misstrauisch von der Seite an. Der setzte gerade wieder zu einer wahrscheinlich blöden und provokativen Bemerkung an, als er von Maria einen leichten Stoß in die Rippen bekam.
„Ich denke, dass die sich über jeden Besuch freuen, denn viel davon werden sie im Dschungel sicher nicht bekommen.
Ruth war mit dieser Antwort zufrieden und hüllte sich fortan wieder in Schweigen, so dass ich mit meinen Reiseinfos fortfahren konnte.
„Nach einer Woche Dschungel werden wir uns alle wieder in die Zivilisation zurück sehnen, das könnt ihr mir ganz beruhigt glauben. So schön und faszinierend es in der unberührten Natur auch ist, nach spätestens sechs Tagen wünscht man sich nichts mehr als ein kühles Bier, ein Eis und eine erfrischende Dusche.“
„Ich könnte es da auch länger aushalten“, tönte Horst.
Maria sah ihn von der Seite mit zweifelndem Blick an und meinte dann: „Aber nur, wenn du genügend Zigaretten, Bier und einen Kühlschrank dabei hast.“
Horst schwieg, er wusste, dass sie Recht hatte.
Ich unterbrach das etwas beklemmende Schweigen, das sich gerade auftat, indem ich mit dem Ablauf unserer Reise fortfuhr und der war folgendermaßen.
Nach unserem Dschungelabenteuer ging es zunächst zurück nach El Dorado und dann weiter mit dem Minibus durch die Gran Sabana, wo es einige imposante Wasserfälle zu sehen gab. Außerdem wollten wir noch ein Kloster besuchen, wo man auch übernachten durfte. Ein besonderes Highlight würde die Quebrada de Jaspe sein, eine Wasserkaskade, deren Flussbett ganz aus dem Halbedelstein Jaspe bestand. Es war strengstens verboten, davon etwas abzubrechen und wer es dennoch tat, landete ganz schnell mal im Gefängnis und die waren in Venezuela alles andere als empfehlenswert. Bis zur Grenze nach Brasilien war es von dort nicht mehr weit. Ein kleiner Abstecher ins Nachbarland würde mit Sicherheit möglich sein. Anschließend ging es zurück Richtung Norden, wo wir in Ciudad Guayana mit der Fähre über den Orinoco nach San Felix übersetzen würden und weiter nach Caripe, wo sich die berühmte Guacharo-Höhle befand, die seinerzeit Alexander von Humboldt entdeckt hatte. Das Besondere daran war, dass bei Einbruch der Dämmerung hunderte von Fettvögeln, die Guacharos, aus der Höhle flogen, um nach Futter zu suchen. Danach ging die Reise auch schon langsam ihrem Ende zu. Santa Fé, ein kleiner idyllischer Küstenort und einige Tage auf der Isla Margarita standen noch auf dem Programm, bevor wir wieder zurück nach Hause fliegen mussten.
Ich sah in fünf erwartungsvolle, zufriedene Gesichter.
„Ich hab da noch eine Frage.“
Ruth sah wieder mit etwas unsicherem Blick zu Horst hinüber, während sie das sagte, doch Horst verkniff sich weitere dumme Bemerkungen, denn das würde mit Sicherheit Stress mit Maria bedeuten wenn sie wieder zu Hause waren.
„Was sollen wir an Kleidung und Ausrüstung einpacken?“
„Gut, dass du das ansprichst“, antwortete ich.
Ich habe hier für euch eine Liste gemacht mit Sachen, die ihr auf jeden Fall mitnehmen solltet.“
Ich gab jedem ein DinA4 Blatt mit einer Liste von Gegenständen, die ich für die bevorstehende Reise für notwendig erachtete.
„Ui, das sind aber eine Menge Sachen! Passt das denn alles in den Rucksack?“,
wollte Gudrun wissen.
„Alles Erfahrungswerte“, entgegnete ich.
„Das passt schon.“
In den nächsten Minuten waren meine Gäste damit beschäftigt, die Liste zu studieren.
„Kondome auch?“, rief Ruth leicht entrüstet.
„Steht in jedem Reiseführer, dass die zur Notausrüstung gehören“, entgegnete ich möglichst cool und überzeugend.
Ehrlich gesagt hatte ich bei Ruth mit so einer Reaktion schon gerechnet.
„Ja, wenn du meinst, aber ich brauche die bestimmt nicht.“
„Das kann man vorher nie so genau wissen“, mischte sich Willi jetzt ein, der sich bisher weitgehend im Hintergrund gehalten hatte.
Maria und Gudrun grinsten nur und Horst sah zu Maria hinüber und entschied sich dann, einen Kommentar, den er nur zu gerne dazu abgegeben hätte, für sich zu behalten. Nachdem nun auch das geklärt war, verabschiedete ich meine kleine Gruppe.
„Falls noch irgendwelche Fragen auftauchen sollten, ihr habt ja meine Nummer.“ Ein allgemeines Kopfnicken und dann waren sie auch schon aus der Tür. Es war alles gesagt worden und in zehn Tagen würden wir uns am Dortmunder Hauptbahnhof wieder treffen.
Jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Tickets waren bezahlt, und die Abreise rückte mit jedem Tag näher. Inzwischen war das Wetter auch nicht mehr so berauschend wie in den letzten zwei Wochen. Es war empfindlich kälter und ungemütlicher geworden. Der nahende Winter kündigte sich an.
Dann war er da, der Tag unserer Abreise.
Wie vereinbart standen wir auf dem Bahnsteig Nummer elf am Dortmunder Hauptbahnhof, von wo der Intercity nach Frankfurt gleich abfuhr, alle,...... außer Ruth. Es war empfindlich kalt geworden und wir froren erbärmlich, denn die dicken Jacken hatten wir zu Hause gelassen. In Venezuela würden wir sie auf keinen Fall brauchen und wir wollten sie nicht die ganze Zeit nutzlos mit uns herumschleppen.
Bis zur Abfahrt des Zuges waren es noch genau füüä