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N. Bernhardt

Buch XVII: Die Schlacht um Hymal

Der Hexer von Hymal

N. Bernhardt

Buch XVII: Die Schlacht um Hymal

Der Hexer von Hymal

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-954187-45-4

null-papier.de/364

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Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel: Durch Eis und Schnee

Zwei­tes Ka­pi­tel: Schwie­ri­ger als ge­dacht

Drit­tes Ka­pi­tel: Der Ritt auf dem Dra­chen

Vier­tes Ka­pi­tel: Schon wie­der ein Jahr?

Fünf­tes Ka­pi­tel: Al­lein un­ter Freun­den

Sechs­tes Ka­pi­tel: Die Ruhe vor dem Sturm

Sieb­tes Ka­pi­tel: Vom Ge­se­hen zum Ge­sche­hen

Aus­blick

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Nach ei­ner an­stren­gen­den Rei­se durch Eis und Schnee ge­langt Nik­ko mit sei­nen Ge­fähr­ten end­lich ans Ziel. Den Dra­chen wie­der­zu­er­we­cken ge­stal­tet sich je­doch viel schwie­ri­ger als er­hofft. Auch geht da­bei et­was Selt­sa­mes vor sich.

We­nig spä­ter ist es dann schon Zeit für die große Schlacht in Hy­mal. Mit sei­nen neu­en Ver­bün­de­ten stellt sich der Zau­be­rer dem Her­zog ent­ge­gen. Was soll­te da schon schief­ge­hen?

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Website

Wei­te­re In­for­ma­tio­nen zur Rei­he und zum Au­tor fin­den Sie un­ter:

hy­mal.info

Erstes Kapitel: Durch Eis und Schnee

Habt Ihr denn nun et­was Ge­nau­e­res her­aus­fin­den kön­nen, Meis­ter?«, frag­te Da­nu­wil am nächs­ten Mor­gen mit großer Un­ge­duld in sei­nem Blick – doch vol­ler Vor­sicht, ja so­gar mit et­was Ehr­furcht in der Stim­me. Wer konn­te es ihm ver­den­ken?

Her­aus­ge­fun­den hat­te Nik­ko so ei­ni­ges. Zu­min­dest wuss­te er nun ziem­lich ge­nau, wo der Ka­da­ver des Eis­dra­chen zu fin­den war. Der Weg dort­hin soll­te sich auch nach so vie­len Jahr­hun­der­ten noch er­ken­nen las­sen, falls er noch exis­tier­te. Wenn nicht, dann müss­te der Turm in den Ber­gen je­doch von ir­gend­wo­her zu se­hen sein.

An­sons­ten warf die Vi­si­on, die dem Zau­be­rer in der letz­ten Nacht ver­gönnt ge­we­sen war, al­ler­dings mehr Fra­gen auf, als sie be­ant­wor­te­te. Wie­der ein­mal.

Meis­ter Tho­ro­dos? Aus­ge­rech­net mit den Au­gen des ge­heim­nis­vol­len Al­ten aus sei­nem Hei­mat­dorf hat­te Nik­ko die Ver­nich­tung des Dra­chen ge­se­hen! Das konn­te doch al­les kein Zu­fall sein, oder?

»Ja«, ant­wor­te­te er dem Gra­fen erst ein­mal, noch im­mer halb in Ge­dan­ken ver­sun­ken. »Der Eis­dra­che liegt oben in den Ber­gen bei ei­nem Turm.«

»Ein Turm?«, wun­der­te sich Da­nu­wil. »Was soll denn das für ein Turm in den Ber­gen sein?«

»Das weiß ich auch nicht«, zuck­te der Zau­be­rer mit den Schul­tern. »Der Weg dort­hin soll­te sich je­doch ohne große Pro­ble­me fin­den las­sen. Wir ver­las­sen die Stadt in Rich­tung Sü­den und … ähm, na ja, ir­gend­wo wird der Pfad nach Süd­wes­ten ins Ge­bir­ge schon zu er­ken­nen sein.«

»Ihr wollt also tat­säch­lich hoch in die Ber­ge?«, schüt­tel­te Ygrind ihr Haupt. »Mit­ten im Win­ter?«

»Der Meis­ter wird schon wis­sen, was er tut«, zisch­te Da­nu­wil. »Ver­ge­sst nicht, dass er uns nun be­reits seit Ta­gen mit sei­ner Zau­be­rei zu wär­men und zu spei­sen weiß.«

»Na, dann hof­fe ich, er … weiß uns auch vor La­wi­nen zu be­schüt­zen«, grins­te die Jä­ge­rin. »Der Win­ter ist am Aus­klin­gen, da kann es schon mal schnell zu Schnee­ab­gän­gen kom­men, von Ge­röll­la­wi­nen oder Erd­rut­schen ganz zu schwei­gen.«

»Macht Euch kei­ne Sor­gen«, ver­such­te Nik­ko, die Frau zu be­ru­hi­gen. Al­ler­dings war er selbst gar nicht so si­cher, wie er sich und sei­ne bei­den Beglei­ter vor den vie­len Ge­fah­ren in den win­ter­li­chen Ber­gen be­schüt­zen soll­te.

Ygrind hat­te schließ­lich recht mit dem, was sie sag­te. Der spä­te Win­ter war ne­ben dem Früh­jahr die ge­fähr­lichs­te Zeit im Ge­bir­ge. Am schlimms­ten war es in der Hei­mat stets, wenn der Win­ter­schnee zu tau­en an­fing. Da kam es häu­fig zu La­wi­nen und Hoch­was­sern. Aber war es da­für nicht noch et­was zu früh in die­sem Jahr?

Der Zau­be­rer soll­te wohl den­noch einen Schutz­schild um die gan­ze Grup­pe le­gen. Es gab ja einen Schild, der vor schnell ein­drin­gen­den Ob­jek­ten schütz­te. Was ge­gen Pfei­le und Keu­len­hie­be half, dürf­te doch auch Stein­schlä­ge und La­wi­nen ab­hal­ten.

»Wenn Ihr meint«, zuck­te Ygrind mit den Schul­tern, schi­en aber nicht über­zeugt zu sein. Soll­te Nik­ko ihr viel­leicht noch einen Sil­ber­ling zu­ste­cken? Es könn­te ja durch­aus sein, dass sich die Frau auf dem letz­ten Stück der Rei­se auch wei­ter­hin als nütz­lich er­wei­sen wür­de. Da konn­te es nicht scha­den, sie wei­ter­hin bei Lau­ne zu hal­ten.

»Es ist mir be­wusst, dass der Weg in die Ber­ge un­se­re ur­sprüng­li­che … Ver­ein­ba­rung …«, kam Nik­ko dann plötz­lich ins Sto­cken. »Also, lasst mich Euch ein wei­te­res Sil­ber­stück zah­len. Für den … Mehr­auf­wand.«

Da­nu­wil at­me­te tief ein, wohl um sei­nen Wor­ten des Miss­fal­lens auch ge­nü­gend Kraft zu ver­lei­hen, beließ es dann je­doch bei ab­fäl­li­gen Ges­ten, die schließ­lich in ei­nem re­si­gnier­ten Kopf­schüt­teln en­de­ten.

»Für ge­nug Sil­ber fol­ge ich Euch auf den höchs­ten Berg, ans Ende der Welt und … hof­fent­lich auch wie­der zu­rück«, fletsch­te Ygrind hin­ge­gen ihre un­an­sehn­li­chen Zäh­ne. »Wir soll­ten als­bald auf­bre­chen«, mein­te sie dann. »Al­lein bis zum Fuß des Ge­bir­ges wer­den wir ver­mut­lich schon den gan­zen Tag brau­chen.«

Die Jä­ge­rin such­te dar­auf­hin ihre Sa­chen zu­sam­men und war­te­te drau­ßen auf die bei­den Beglei­ter.

»Wa­rum wollt Ihr das Weib ei­gent­lich noch im­mer da­bei ha­ben?«, zisch­te Da­nu­wil dem Zau­be­rer lei­se ins Ohr, als die bei­den sich eben­falls für den Ab­marsch be­reit mach­ten. »Wie könn­te das un­ver­schäm­te Tram­pel uns jetzt noch von Nut­zen sein?«

»Sie kennt sich hier nun ein­mal von al­len am bes­ten aus«, raun­te Nik­ko zu­rück. »Ich ver­ste­he Euch ein­fach nicht. Die paar Sil­ber­lin­ge kön­nen wir doch wirk­lich ent­beh­ren, oder etwa nicht?«

»Als ob es mir um das Geld gin­ge«, knurr­te der Graf. »Ich kann die­ses im­per­ti­nen­te Weibs­stück und ihre dreis­te Art ein­fach nicht aus­ste­hen.« Mit ei­nem Kopf­schüt­teln ging er dann nach drau­ßen und Nik­ko folg­te ihm. Hof­fent­lich wür­de das mit den bei­den auch wei­ter­hin ohne grö­ße­re Pro­ble­me ab­lau­fen.

We­ni­ge Au­gen­bli­cke spä­ter hat­ten sie die ver­fal­le­ne Stadt in Rich­tung Sü­den ver­las­sen und muss­ten sich dann aber erst ein­mal rich­tig ori­en­tie­ren.

»Die Ber­ge sind ziem­lich ge­nau im Süd­wes­ten«, gab Da­nu­wil wich­tig­tue­risch be­kannt, nach­dem er ei­nes sei­ner wert­vol­len Na­vi­ga­ti­ons­ge­rä­te be­müht hat­te. »Bei die­ser die­si­gen Luft heu­te kann ich je­doch nur sehr grob schät­zen, dass sie etwa einen Ta­ges­marsch ent­fernt sein dürf­ten.«

»Das hät­te ich Euch auch ohne Euer Spiel­zeug sa­gen kön­nen«, lach­te die Jä­ge­rin ab­fäl­lig und mein­te: »Ich schla­ge vor, wir bah­nen uns den Weg zu­nächst quer­feld­ein. Wenn wir nä­her am Ge­bir­ge sind, wird sich der Weg hin­ein be­stimmt leich­ter er­ken­nen las­sen als von hier.«

»Ihr seid ja eine präch­ti­ge Füh­re­rin«, höhn­te der Graf.

»Na­tür­lich könnt Ihr hier auch erst ein­mal über­all den Schnee weg­schau­feln, um zu se­hen, wo un­ter der wei­ßen Pracht sich die Stra­ße ver­steckt«, kon­ter­te Ygrind. »Ich hof­fe, Ihr habt Schau­feln da­bei.«

»Schluss jetzt«, ver­lor Nik­ko lang­sam die Ge­duld. »Ich den­ke doch, wir wer­den den Turm in den Ber­gen se­hen kön­nen, wenn wir erst nä­her am Ge­bir­ge sind. Den Weg dort­hin wer­den wir dann auch noch ir­gend­wie fin­den.«

Wäh­rend der Wan­de­rung hat­te Nik­ko nur we­nig Muße ge­habt, wei­ter über die gest­ri­ge Schau­ung nach­zu­den­ken. Den­noch war sie ihm den gan­zen Tag lang nicht mehr aus dem Kopf ge­gan­gen. Das galt auch jetzt, da er ins lo­dern­de Feu­er ih­res Nacht­la­gers stier­te – ohne Hoff­nung, dar­in Ant­wor­ten auf all die neu­en Fra­gen zu fin­den, die sich aus der Vi­si­on er­ge­ben hat­ten.

Wie weit sie an die­sem Tag ge­kom­men wa­ren, wür­de erst das Licht des nächs­ten Mor­gens zei­gen – wenn das Wet­ter denn mit­spiel­te. Wäh­rend ih­rer Wan­de­rung war es je­den­falls so schlecht ge­we­sen, dass nur Da­nu­wils Kom­pass ga­ran­tiert hat­te, dass sie durch den teils knie­ho­hen Schnee we­nigs­tens in die rich­ti­ge Rich­tung stapf­ten.

Auf ei­ner klei­nen An­hö­he, von der der Wind den meis­ten Schnee weg­ge­bla­sen hat­te, sa­hen sie nun ei­ner wohl eher un­ge­müt­lich wer­den­den Nacht ent­ge­gen. Vor­sichts­hal­ber hielt Nik­ko sei­nen Wär­me­zau­ber trotz des Feu­ers wei­ter­hin auf­recht. Mitt­ler­wei­le merk­te er oh­ne­hin kaum noch, wie viel Ener­gie ihn die­ser Zau­ber die gan­ze Zeit über kos­te­te. Er fühl­te sich zwar ir­gend­wie ge­schwächt, führ­te das aber vor al­lem auf die Stra­pa­zen der lan­gen Wan­de­rung zu­rück.

»Was für ein Mist­wet­ter«, schnauz­te Da­nu­wil und klopf­te sich den Schnee von den Klei­dern. Ein ei­gent­lich sinn­lo­ses Un­ter­fan­gen, da es noch im­mer hef­tig schnei­te. »Wie wollt Ihr denn den Weg in die Ber­ge er­ken­nen, falls mor­gen kei­ne kla­re Sicht herrscht?«

»Lasst uns doch erst ein­mal ab­war­ten, wie weit das Ge­bir­ge über­haupt noch ent­fernt ist«, be­ant­wor­te­te Ygrind die Fra­ge, die ei­gent­lich an Nik­ko ge­rich­tet war.

»Genau«, pflich­te­te der Zau­be­rer ihr bei. »So­bald wir aber nah ge­nug an den Ber­gen sind, müs­sen wir wohl oder übel auf bes­se­res Wet­ter war­ten. Ich sehe da lei­der kei­ne an­de­re Mög­lich­keit.«

»Das sind ja präch­ti­ge Aus­sich­ten«, maul­te der Graf, des­sen Lau­ne be­reits den gan­zen Tag über nicht die bes­te war. »Ich hof­fe, Ihr habt we­nigs­tens schon einen Plan für den Fall, dass wir den Weg tat­säch­lich fin­den und un­ser Ziel ir­gend­wann er­rei­chen soll­ten.«

»Selbst­ver­ständ­lich«, gif­te­te Nik­ko und war ob Da­nu­wils Pam­pig­keit schon et­was er­bost. So re­spekt­los hat­te sich der Graf ihm ge­gen­über schon lan­ge nicht mehr ge­zeigt. Al­ler­dings hat­te Nik­ko sei­nem Ge­fähr­ten in den ver­gan­ge­nen Wo­chen schon so ei­ni­ges zu­ge­mu­tet, ohne dass die­ser über­haupt wuss­te, worum es tat­säch­lich ging. Das muss­te man na­tür­lich zu sei­nen Guns­ten be­rück­sich­ti­gen.

Vi­el­leicht war jetzt so­gar der bes­te Zeit­punkt, den bei­den sein Vor­ha­ben vor­ab schon ein­mal schmack­haft zu ma­chen. Wäre es für sie nicht ein viel zu großer Schock, wenn Nik­ko erst im An­ge­sicht des Eis­dra­chen be­kannt gäbe, dass er das Biest wie­der­au­fer­ste­hen las­sen woll­te? Das war schwer zu sa­gen. Sehr schwer so­gar.

»Ich wer­de den Dra­chen wie­der­be­le­ben«, mein­te der Zau­be­rer dann ganz bei­läu­fig – als ob solch ein Un­ter­fan­gen et­was All­täg­li­ches wäre. Er war die ewi­ge Ge­heim­nis­krä­me­rei näm­lich satt. Hier in der er­bar­mungs­lo­sen Wild­nis des Nor­dens und bei solch mie­sem Wet­ter noch viel mehr als sonst!

»Ihr wollt was?«, frag­te Da­nu­wil er­staunt, aber of­fen­bar nicht em­pört. Ver­mut­lich ver­stand er wirk­lich nicht, wo­von der Zau­be­rer da sprach.

»Ich wer­de die Bes­tie wie­der­au­fer­ste­hen las­sen«, wie­der­hol­te Nik­ko ganz ru­hig. »Es ist nicht das ers­te Mal, dass ich einen to­ten Kör­per wie­der­be­le­be.«

»Wan­deln­de Tote?«, war nun auch die Jä­ge­rin er­staunt. »So et­was ken­nen wir nur aus ur­al­ten Schau­er­mär­chen, aber von Dra­chen war in die­sem Zu­sam­men­hang nie die Rede.«

»Vi­el­leicht bin ich ja der ers­te Zau­be­rer, der einen Dra­chen wie­der auf­er­ste­hen lässt«, zuck­te Nik­ko mit den Schul­tern und grins­te dann breit. »Aber es gibt eben für al­les ein ers­tes Mal.«

»Ihr ver­steht es im­mer wie­der, mich aufs Neue zu über­ra­schen, Meis­ter«, lach­te Da­nu­wil. »Ich je­den­falls habe noch nie et­was da­von ge­hört, dass die Ma­gier die To­ten wie­der­be­le­ben kön­nen.«

»Die­se Schu­le der Zau­be­rei gilt so­gar un­ter den Meis­tern als …«, ja, als was ei­gent­lich? Nik­ko muss­te kurz über­le­gen. »Hohe Kunst.« Er ließ es sich nicht neh­men, wei­ter zu prah­len: »Ich hat­te die große Ehre, sie bei ei­nem wah­ren Meis­ter zu stu­die­ren.«

»Ja, aber was wollt Ihr denn über­haupt mit die­sem Dra­chen an­fan­gen?«, war der Graf nun wie­der ver­wirrt. »Ist es nicht für alle bes­ser, wenn ein solch ge­wal­ti­ges Mons­ter für im­mer und ewig ruht?«

»Bes­ser für wen?«, grins­te Nik­ko und mein­te: »Für mich ist es bes­ser, wenn der Dra­che lebt und mir ge­horcht.« Mit erns­ter Stim­me stell­te er noch klar: »Was für mich gut ist, ist auch gut für Euch, wer­ter Graf. Ver­ge­sst das lie­ber nicht.«

»Na­tür­lich nicht«, ver­beug­te sich die­ser und dach­te dann laut: »Ihr wollt das Mons­ter also als Waf­fe im Krieg ein­set­zen?«

»Vi­el­leicht«, zuck­te Nik­ko die Schul­tern. Für heu­te hat­te er Da­nu­wil schließ­lich ge­nug er­zählt.

Am nächs­ten Mor­gen hat­te sich das Wet­ter tat­säch­lich ge­bes­sert. Zum Glück. Von ei­nem wirk­lich schö­nen Tag konn­te man zwar nicht un­be­dingt spre­chen, aber im­mer­hin hat­te es auf­ge­hört zu schnei­en und auch die ges­tern noch so dich­te Wol­ken­de­cke hat­te sich ein klein we­nig ge­lich­tet. So­gar ei­ni­ge Son­nen­strah­len ver­moch­ten es, den Ne­bel­pan­zer zu durch­bre­chen – wie gol­de­ne Spee­re, die je­mand vom Him­mel ge­wor­fen hat­te.

Die Luft war zwar auch heu­te noch ziem­lich die­sig, aber lan­ge nicht mehr so schlimm wie am Vor­tag. So konn­ten die drei Wan­de­rer we­nigs­ten er­ken­nen, dass sie tat­säch­lich un­weit des Ge­birgs­fu­ßes an­ge­langt wa­ren. In we­ni­gen Stun­den wür­den sie von hier aus die stei­len Fels­wän­de er­rei­chen kön­nen. Es war also höchs­te Zeit, nach dem rich­ti­gen Weg Aus­schau zu hal­ten.

Eine ver­nünf­ti­ge Stra­ße ließ sich je­doch noch im­mer nicht er­ken­nen, denn auch hier lag ja über­all ho­her Schnee. Noch viel mehr als auf dem klei­nen Hü­gel, auf dem sie ge­näch­tigt hat­ten. In wel­che Rich­tung soll­ten sie jetzt ge­hen?

»Dort scheint ein grö­ße­res Tal zu sein«, mein­te Da­nu­wil, der die Fels­wän­de mit sei­nem Fern­rohr ab­such­te, und zeig­te auf eine Öff­nung in den Fel­sen, die süd­öst­lich von ih­nen lag. »Von Stra­ßen, Tür­men oder sons­ti­gen Ge­bäu­den ist zwar nichts zu er­ken­nen, aber die­se könn­ten sich ja auch wei­ter hin­ten im Tal be­fin­den.«

»Der Turm lag ziem­lich weit oben in den Ber­gen«, er­in­ner­te sich Nik­ko. »Vi­el­leicht ja erst am Ende ei­nes Tals. Al­ler­dings habe ich das nicht all­zu ge­nau er­ken­nen kön­nen.« Mit ei­nem Seuf­zen füg­te er hin­zu: »Lei­der.«

»Es wird uns wohl nichts an­de­res üb­rig blei­ben, als uns die­ses Tal ein­mal ge­nau­er an­zu­schau­en«, zuck­te Ygrind mit den Schul­tern. »Ich sehe je­den­falls kein loh­nen­de­res Ziel.«

»Also gut«, be­schloss der Zau­be­rer. »Schau­en wir uns die­ses Tal als Ers­tes an. Ir­gend­wo müs­sen wir ja oh­ne­hin an­fan­gen.«

Es hat­te doch et­was län­ger ge­dau­ert als er­war­tet, bis sich die drei Rei­sen­den ih­ren Weg in das Tal hin­ein ge­bahnt hat­ten. Hier im Ge­bir­ge lag der­art viel Schnee, dass man manch­mal bis über bei­de Ohren dar­in ver­sank, wenn man nicht ge­nau auf­pass­te, wo­hin man trat. Der gars­ti­ge Win­ter­wind hat­te of­fen­bar vie­le Lö­cher und Kuh­len mit Schnee zu­ge­weht, so­dass sie für je­den, der hier quer­feld­ein wan­der­te, ein Är­ger­nis und so­gar eine ech­te Ge­fahr dar­stell­ten.

An ei­ni­gen Stel­len hat­te Nik­ko das Weiß mit­hil­fe sei­ner Ma­gie weg­we­hen müs­sen, ge­nau­so wie da­mals, als er im tiefs­ten Win­ter vor den Un­to­ten aus Skingár ge­flo­hen war. Den­noch, zu ei­nem Dau­er­zu­stand durf­te die zu­sätz­li­che Zau­be­rei nicht wer­den. Im­mer­hin hielt der jun­ge Meis­ter seit vie­len Ta­gen einen Wär­me­zau­ber auf­recht, dazu di­ver­se Schutz­schil­de, und muss­te zu­dem auch noch die gan­ze Ver­pfle­gung für die Grup­pe her­bei­zau­bern.

So war es nicht ver­wun­der­lich, dass Nik­ko um eine Pau­se bit­ten muss­te, ob­wohl es noch nicht ein­mal Mit­tag war. An­de­rer­seits war es oh­ne­hin ein ge­eig­ne­ter Zeit­punkt, um sich er­neut zu ori­en­tie­ren. Es er­gä­be schließ­lich kei­nen Sinn, wei­ter in das Tal hin­ein­zu­ge­hen, wenn dies nicht der rich­ti­ge Weg zu die­sem Turm war.

Wäh­rend Da­nu­wil er­neut sein Fern­rohr be­müh­te, um sich einen bes­se­ren Über­blick zu ver­schaf­fen, ent­deck­te Nik­ko ei­ni­ge Stein­wür­fe von ih­nen ent­fernt einen tief­ge­fro­re­nen Was­ser­fall. Of­fen­bar folg­te ihr Weg ei­nem Bach­lauf, den sie we­gen des vie­len Schnees bis­her aber nicht be­merkt hat­ten.

»Ei­nen Turm kann ich noch im­mer nir­gends er­ken­nen«, seufz­te Da­nu­wil. »Al­ler­dings könn­te ein sol­cher auch hin­ter je­der Fels­wand ver­bor­gen sein. Au­ßer­dem dürf­te er mitt­ler­wei­le so weit zer­fal­len sein, dass nur noch sei­ne Grund­mau­ern ste­hen.«

»Da könn­tet Ihr recht ha­ben«, nick­te der Zau­be­rer. »Was ich ge­se­hen habe, ist im­mer­hin um die sechs Jahr­hun­der­te her. Auch da­mals schon war der Turm eine Rui­ne.«

»Sechs­hun­dert Jah­re?«, wun­der­te sich der Graf und hat­te noch im­mer sein Te­le­skop am Auge. »Dann dürf­te von ihm ei­gent­lich noch we­ni­ger üb­rig sein als von der Stadt. Das Wet­ter in den Ber­gen ist schließ­lich … Mo­ment mal, das ist doch ein Weg, den ich da er­spä­he!«

»Zeigt mal her!«, war Nik­ko nun ganz auf­ge­regt und ließ sich das Fern­rohr rei­chen. Der Graf rich­te­te es in etwa auf den Punkt, wo er den Weg er­späht hat­te. »Tat­säch­lich«, freu­te sich der Zau­be­rer über die ein­deu­tig künst­lich ge­schaf­fe­ne Ein­ker­bung in den Fel­sen. »Das sieht auch mir nach ei­nem Pfad aus.«

»Das wird aber eine ge­hö­ri­ge Klet­te­rei«, lach­te die Jä­ge­rin, die den Weg nun auch mit blo­ßen Au­gen zu er­ken­nen schi­en. »Vor al­lem müsst Ihr erst ein­mal her­aus­fin­den, wo es von hier aus dort hin­auf geht.«

»Da­rauf wäre ich selbst nie ge­kom­men«, ätz­te Da­nu­wil und ver­dreh­te die Au­gen. Er ließ sich von Nik­ko sein Fern­rohr zu­rück­ge­ben und ver­such­te dann, den Ver­lauf des Pfads von den ho­hen Fel­sen bis ins Tal hin­un­ter zu ver­fol­gen.

»Ir­gend­wo dort hin­ten«, mein­te er schließ­lich und zeig­te auf ein Ge­biet jen­seits des ge­fro­re­nen Was­ser­falls. »Wo ge­nau der Weg durch die Bäu­me führt, lässt sich von hier aus zwar nicht er­ken­nen, aber ir­gend­wo da­hin­ter muss er in die Fel­sen hoch stei­gen.«

Nik­ko ließ es sich nicht neh­men, den Ver­lauf des Pfa­des mit dem Te­le­skop selbst noch ein­mal nach­zu­voll­zie­hen, kam je­doch zu dem­sel­ben Schluss. Hof­fent­lich war dies auch der rich­ti­ge Weg, sonst wäre all die Klet­te­rei am Ende noch ver­ge­bens. Aber ir­gend­wie hat­te der Ma­gier ein gu­tes Ge­fühl bei der Sa­che. Den­noch, soll­ten sie den Auf­stieg heu­te über­haupt noch wa­gen?

»Gut, su­chen wir erst ein­mal den An­fang des We­ges zwi­schen den Bäu­men«, be­schloss Nik­ko. »Mal se­hen, ob dann noch ge­nü­gend Ta­ges­licht üb­rig bleibt oder ob wir mit dem Auf­stieg lie­ber bis mor­gen war­ten.«

Der win­ter­li­che Wald ent­pupp­te sich eher als eine An­samm­lung etwa manns­ho­her Na­del­ge­wäch­se. So müh­se­lig sich der Weg hin­durch auch ge­stal­te­te, so schnell war der Pfad hoch in die Fel­sen dann doch ge­fun­den. Wenn man erst ein­mal wuss­te, wo ge­nau zu su­chen war, fan­den sich so man­che Din­ge eben fast wie von selbst. So war es dann erst frü­her Nach­mit­tag, als sie an die Stel­le ka­men, von der aus der Steig in die Ber­ge hin­auf führ­te.

»Es ist viel­leicht kei­ne gute Idee, den Auf­stieg noch heu­te zu wa­gen«, mein­te Nik­ko beim An­blick des teils tief ver­schnei­ten Pfa­des, der zu­dem eine ziem­li­che Stei­gung auf­wies. Je­den­falls, so weit man es von hier aus er­ken­nen konn­te.

»Wir ha­ben noch meh­re­re Stun­den Ta­ges­licht«, kon­ter­te Ygrind und zuck­te mit den Schul­tern: »Au­ßer­dem wis­sen wir nicht, ob mor­gen nicht wie­der schlech­tes Wet­ter kommt. Aber es ist na­tür­lich Eure Ent­schei­dung.«

»Wir wis­sen oh­ne­hin nicht, wie weit die­ser Weg in die Ber­ge führt«, keuch­te Da­nu­wil. »Auch ha­ben wir kei­ne Ah­nung, was uns dort er­war­tet. Ob wir es nun noch heu­te an­ge­hen oder erst mor­gen … nun ja, es gibt ei­gent­lich kei­nen Grund, auf mor­gen zu war­ten.«

»Vi­el­leicht habt Ihr ja recht«, war Nik­ko jetzt auch über­zeugt, dass es kaum Sinn hät­te, ihre Rei­se zu ver­zö­gern. Wenn sich Da­nu­wil und Ygrind schon aus­nahms­wei­se ein­mal ei­nig wa­ren, dann la­gen sie be­stimmt nicht falsch. Zur Not müss­te er eben wie­der mit Ma­gie da­für sor­gen, dass sie nicht er­frie­ren, aber das war auf die­ser skur­ri­len Rei­se ja kaum et­was Neu­es.

Be­reits ei­ni­ge Stun­den spä­ter be­reu­te Nik­ko die­se Ent­schei­dung bit­ter. Der Auf­stieg hat­te sich bis hier­hin schon deut­lich schwie­ri­ger ge­stal­tet, als er zu­nächst ver­mu­tet hat­te. Auch hat­te sich das Wet­ter wie­der ge­wen­det.

Dunkle Wol­ken lie­ßen nun Un­men­gen Schnee auf die drei Wan­de­rer her­nie­der­ge­hen und nah­men ih­nen so fast die Sicht. Ohne Nik­kos Lichtzau­ber wäre es aber oh­ne­hin schon viel zu dun­kel ge­we­sen, um über­haupt noch et­was er­ken­nen zu kön­nen. Ge­gen die Ei­ses­käl­te muss­te der Ma­gier zu­dem sei­nen Wär­me­zau­ber mehr­fach ver­stär­ken, wie auch den Schutz­schild ge­gen den bei­ßen­den Wind, der ih­nen sonst gna­den­los den Schnee in die Ge­sich­ter ge­peitscht hät­te. Oft ge­nug muss­te er oben­drein den Pfad vom kal­ten Weiß be­frei­en, da­mit sie über­haupt wei­ter­ge­hen konn­ten.

Die vie­le Zau­be­rei und die Stra­pa­zen der Klet­te­rei for­der­ten von Nik­ko nun er­kenn­bar Tri­but. Bei je­dem sei­ner im Schnee im­mer schwe­rer wer­den­den Schrit­te spür­te er, wie ihm die Ener­gie aus al­len Po­ren wich. Lan­ge wür­de er die­se Tor­tur nicht mehr durch­hal­ten kön­nen!

Schon we­ni­ge Au­gen­bli­cke spä­ter war es dann so­weit. Nik­ko blieb ste­hen und über­leg­te pa­nisch, was er nun ma­chen soll­te. Wenn er sei­ne Zau­ber ab­bre­chen wür­de, müss­ten er und sei­ne Beglei­ter wohl jäm­mer­lich er­frie­ren. So weit oben in den ei­si­gen Fel­sen war schließ­lich kein Holz mehr zu fin­den. Wür­de er sei­ne Zau­ber hin­ge­gen wei­ter auf­recht­er­hal­ten … Es dürf­te wohl auf das Glei­che hin­aus­lau­fen.

»Wir soll­ten hier kei­ne lan­ge Pau­se ma­chen«, mahn­te Da­nu­wil. »Ich hof­fe doch, es fin­det sich ir­gend­wo ein ge­schütz­tes Plätz­chen für un­ser Nacht­la­ger, falls wir den ver­fluch­ten Turm nicht vor­her noch fin­den.«

»Ich kann ein­fach nicht mehr«, keuch­te Nik­ko und sah für einen kur­z­en Au­gen­blick nur schwarz vor Au­gen …

»…ber wie­der her!«, hör­te er den Gra­fen auf ein­mal ge­gen den Sturm an­schrei­en, des­sen Pfei­fen vor­her noch von Nik­kos Schild ab­ge­schirmt ge­we­sen war. Oh je, war der Schutz­zau­ber etwa zu­sam­men­ge­bro­chen? Ja, denn nun konn­te der Ma­gier auch die ei­si­ge Käl­te spü­ren.

»Bit­te, Meis­ter«, dräng­te Da­nu­wil nun wie­der. »Sonst sind wir hier oben des To­des!«

Nik­ko fühl­te, dass ihm ein­fach die Ener­gie fehl­te, all die Zau­ber zu er­neu­ern und dann auch auf­recht­zu­er­hal­ten. Nach ei­ner Me­di­ta­ti­on in der Kraft sähe das be­stimmt wie­der an­ders aus, aber bis da­hin wä­ren sie wohl schon längst er­fro­ren. Ver­flucht, was soll­te er jetzt nur ma­chen?

Für einen Tele­port wür­den sei­ne Kräf­te si­cher­lich noch rei­chen, aber so kurz vor dem Ziel auf­zu­ge­ben, war doch kei­ne Op­ti­on. All die Wo­chen der Rei­se wä­ren dann um­sonst ge­we­sen. Au­ßer­dem hat­te Nik­ko ja sein Schick­sal zu er­fül­len!

»Nik­ko!«, brüll­te der Graf. »Tut doch end­lich was! Ich spü­re mei­ne Füße kaum noch.«

Auch wenn Da­nu­wil da­mit si­cher­lich über­trieb, es blieb kei­ne Zeit mehr, län­ger zu über­le­gen. Mo­ment mal, wie wäre es mit ei­nem Di­men­si­onss­prung? Aber wo­hin?

Die schwar­ze Di­men­si­on mit ih­ren über­all her­um­wu­seln­den Vie­chern schi­en Nik­ko in sei­nem ge­schwäch­ten Zu­stand zu ge­fähr­lich. Wo­hin ihn von hier aus ein Sprung in die Di­men­si­on des Ne­kro­man­ten füh­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­