BLACK COMPANY
TODESSCHATTEN
Deutsche Erstauflage
Titel der englischen Originalausgabe:
SHADOWS LINGER
1. Auflage
Veröffentlicht durch den
MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK
Frankfurt am Main 2016
www.mantikore-verlag.de
published in agreement with the
author, c/o BAROR INTERNATIONAL, INC., Armonk, New York,
U.S.A.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe
MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK
Text © Glen Cook 1984
Deutschsprachige Übersetzung: Andrea Blendl
Lektorat: Nora Marie Borrusch
Satz & Bildbearbeitung: Karl-Heinz Zapf
Covergestaltung: Kiss László
VP: 126-103-01-06-1016
ISBN: 978-3-945493-61-8
Für David G. Hartwell, ohne den es weder Sword noch Dread Empire oder Starfishers gäbe.
Alle Männer werden als Verdammte geboren, so sagen es die Weisen. Alle saugen an der Brust des Todes.
Alle verneigen sich vor diesem stillen Monarchen. Dieser Fürst in den Schatten hebt einen Finger. Eine Feder schwebt auf die Erde. Es gibt keinen tieferen Sinn hinter seinem Lied. Die Guten gehen jung. Die Verschlagenen gedeihen. Er ist der König der Chaosfürsten. Sein Atem stillt alle Seelen.
Wir fanden eine Stadt, die seiner Verehrung geweiht war, vor langer Zeit, aber nun ist sie so alt, dass sie diese Widmung verloren hat. Die dunkle Herrschaft ihrer Gottheit hat sich abgenutzt und wurde vergessen, von allen außer denen, die in seinem Schatten stehen. Aber Juniper stand einer unmittelbareren Bedrohung gegenüber, einem Phantom aus alten Zeiten, das auf einer Anhöhe, die die Stadt überblickt, in die Gegenwart hineintrieft. Und deshalb ging die Schwarze Kompanie dorthin, in diese seltsame Stadt, weit jenseits der Grenzen des Reiches der Lady … Aber das ist nicht der Anfang. Am Anfang waren wir weit weg. Nur zwei alte Freunde und eine Handvoll Männer, die wir später treffen würden, standen Auge in Auge mit dem Schatten.
Die Köpfe der Kinder tauchten plötzlich aus dem Unkraut auf wie Maulwurfköpfe. Sie beobachteten die näherkommenden Soldaten. Der Junge flüsterte: „Müssen ja tausend von denen sein.“ Die Kolonne erstreckte sich weiter und weiter zurück. Der Staub, den sie aufwirbelte, trieb den Hang eines entfernten Hügels hinauf. Das Klappern und Klirren von Harnischen wurde immer lauter.
Der Tag war heiß. Die Kinder schwitzten. Ihre Gedanken wanderten zu einem nahen Bach und einem Bad in einem Teich, den sie dort gefunden hatten. Aber sie waren angewiesen worden, die Straße zu beobachten. Gerüchte besagten, dass die Lady vorhatte, die aufkeimende Rebellenbewegung in der Provinz Tally zu zerschmettern.
Und hier kamen ihre Soldaten. Immer näher jetzt. Grimmige, hart aussehende Männer. Veteranen. Locker alt genug, dass sie dabei geholfen haben konnten, das Desaster zu schaffen, das vor sechs Jahren über die Rebellen gekommen war und, neben einer Viertelmillion Männer, ihren Vater weggenommen hatte.
„Sie sind es!“, japste der Junge. Angst und Ehrfurcht erfüllten seine Stimme. Widerwillige Bewunderung schwang mit. „Das ist die Schwarze Kompanie.“
Das Mädchen war keine Gelehrte, was den Feind betraf. „Woher willst du das wissen?“
Der Junge deutete auf einen bärengroßen Mann auf einem großen Schimmel. Er hatte silbriges Haar. Seine Haltung zeigte, dass er es gewöhnt war, Befehle zu geben. „Das ist der, den sie den Hauptmann nennen. Der kleine Dunkle neben ihm müsste der Hexer sein, der One-Eye heißt. Siehst du seinen Hut? Daran kannst du es erkennen. Die beiden hinter ihnen müssen Elmo und der Leutnant sein.“
„Sind irgendwelche von den Entführten bei ihnen?“ Das Mädchen streckte sich weiter hinauf, um einen besseren Blick zu bekommen. „Wo sind die anderen Berühmten von ihnen?“ Sie war die Jüngere. Der Junge, zehn Jahre alt, betrachtete sich selbst bereits als Soldat der Weißen Rose.
Er zerrte seine Schwester nach unten. „Dumme Kuh! Willst du, dass sie dich sehen?“
„Und wenn schon?“
Der Junge lachte höhnisch. Sie hatte ihrem Onkel Neat geglaubt, als er erklärt hatte, dass der Feind Kindern nichts tun würde. Der Junge hasste seinen Onkel. Dieser Mann hatte keinen Schneid.
Niemand, der sich der Weißen Rose verschworen hatte, hatte irgendeinen Schneid. Sie spielten nur, dass sie die Lady bekämpften. Das Waghalsigste, was sie taten, war, gelegentlich einen Kurier aus dem Hinterhalt anzugreifen. Wenigstens der Feind hatte Mut.
Sie hatten gesehen, weswegen sie ausgeschickt worden waren. Er berührte das Handgelenk des Mädchens. „Lass uns gehen.“ Sie schlichen durch das hohe Gras, auf das bewaldete Bachufer zu.
Ein Schatten legte sich über ihren Pfad. Sie blickten auf und erbleichten. Drei Reiter starrten auf sie herunter. Der Junge japste. Niemand hätte sich ungehört herschleichen können. „Goblin!“
Der kleine Mann in der Mitte mit dem Froschgesicht grinste. „Zu deinen Diensten, mein Junge.“
Der Junge hatte Panik, aber sein Verstand funktionierte immer noch. Er rief: „Lauf!“ Wenn wenigstens einer von ihnen entkommen konnte …
Goblin machte eine kreisförmige Geste. Blasses, violettes Feuer umgab seine Finger. Er machte eine werfende Bewegung. Der Junge stürzte und kämpfte gegen unsichtbare Bänder, wie eine Fliege, die sich in einem Spinnennetz verfangen hatte. Seine Schwester wimmerte ein paar Meter entfernt.
„Hebt sie auf“, sagte Goblin zu seinen Kameraden. „Sie sollten uns eine interessante Geschichte erzählen können.“
Die Lilie steht an der Blumengasse, im Herzen des Buskin, des schlimmsten Slums von Juniper, wo der Geschmack von Tod auf jeder Zunge liegt und Männer das Leben weniger wertschätzen als eine Stunde im Warmen oder eine vernünftige Mahlzeit. Ihre Vorderwand ist gegen ihren rechten Nachbarn zusammengesackt und stützt sich daran ab wie einer ihrer eigenen betrunkenen Gäste. Ihre Rückwand neigt sich in die entgegengesetzte Richtung. Ihre bloßen Holzplanken zeigen lepröse Flecken aus grauem Schimmel. Ihre Fenster sind mit Holzplanken vernagelt und mit Lumpen verhängt. Ihr Dach weist Lücken auf, durch die der Wind heult und beißt, wenn er aus den Bergen von Wolander bläst. Dort glitzern sogar an einem Sommertag die Gletscher wie entfernte Adern aus Silber.
Winde von der See sind wenig besser. Sie bringen eine kühle Feuchte, die an den Knochen nagt und Eisflocken über den Hafen huschen lässt.
Die zerfledderten Arme der Berge von Wolander reichen bis zur See, flankieren den Flusshafen und bilden schützende Hände, die die Stadt und den Hafen festhalten. Die Stadt überspannt den Fluss und kriecht auf beiden Seiten die Anhöhen hinauf.
Der Reichtum steigt in Juniper an, klettert vom Fluss hoch und weg. Die Leute aus dem Buskin sehen, wenn sie ihre Augen aus ihrer Misere hieven, die Häuser der Reichen weiter oben, die die Nasen rümpfen und sich gegenseitig über das Tal hinweg beobachten.
Noch weiter oben, die Felsklippen krönend, sind zwei Burgen. Auf der südlichen Anhöhe steht Duretile, die vererbte Bastion der Herzöge von Juniper. Duretile ist in einem skandalös baufälligen Zustand. Beinahe jedes Gebäude in Juniper ist das.
Unterhalb von Duretile liegt das fromme Herz von Juniper, der Friedhof, unter dem die Katakomben liegen. Dort ruht eine halbe Hundertschaft an Generationen, erwartet den Tag des Übergangs, bewacht von den Wächtern der Toten.
Auf der nördlichen Klippe steht eine unvollendete Festung, die ganz simpel die Schwarze Burg genannt wird. Ihre Architektur ist fremdartig. Groteske Monster starren von ihren Befestigungen. Schlangen winden sich in gefrorenen Qualen an ihren Wänden. Es gibt keine Fugen in dem obsidianähnlichen Werkstoff. Und dieser Ort wächst immer noch.
Die Menschen von Juniper ignorieren die Existenz der Burg und ihr Wachstum. Sie wollen nicht wissen, was dort oben gerade geschieht. Selten haben sie die Zeit, in ihrem Kampf ums Überleben innezuhalten und ihre Blicke so hoch zu heben.
Ich zog eine Sieben, steckte sie ein, legte eine Drei ab und starrte ein einsames Ass an. Zu meiner Linken murmelte Pawnbroker: „Das war’s dann. Er ist völlig blank.“
Ich beäugte ihn neugierig. „Was bringt dich dazu, so etwas zu sagen?“
Er zog, fluchte, warf etwas weg. „Du ziehst ein Gesicht wie eine Leiche, wenn es eng für dich wird, Croaker. Sogar deine Augen.“
Candy zog, fluchte und warf eine Fünf weg. „Er hat Recht, Croaker. Du wirst so undurchschaubar, dass du wieder durchschaubar bist. Komm schon, Otto.“
Otto starrte seine Karten an, dann den Stapel, als ob er einen Sieg aus den Klauen einer Niederlage heraufbeschwören könne. Er zog. „Scheiße.“ Er warf die gezogene Karte weg, eine königliche Karte. Ich zeigte ihnen mein Ass und raffte meine Gewinne zusammen.
Candy starrte über meine Schulter, während Otto die Karten aufsammelte. Sein Blick war hart und kalt. „Was?“, fragte ich.
„Unser Gastgeber nimmt gerade seinen Mut zusammen. Sucht nach einem Weg, rauszukommen und sie zu warnen.“
Ich wandte mich um. Die anderen taten es mir nach. Einer nach dem anderen senkten der Tavernenwirt und seine Kunden ihre Blicke und schrumpften in sich zusammen.
Alle außer dem großen, dunklen Mann, der alleine im Schatten neben dem offenen Kamin saß. Er zwinkerte und hob einen Krug, wie zum Gruß. Ich runzelte die Stirn. Seine Reaktion war ein Lächeln.
Otto teilte aus.
„Einhundertdreiundneunzig“, sagte ich.
Candy starrte finster drein. „Sei verdammt, Croaker“, sagte er emotionslos. Ich hatte die Blätter gezählt. Sie waren perfekte Messlatten für unsere Lebenszeit als Brüder in der Schwarzen Kompanie. Ich hatte seit der Schlacht von Charm mehr als zehntausend Blätter gespielt. Nur die Götter selbst wussten, wie viele ich gespielt hatte, bevor ich damit anfing, sie zu zählen.
„Meint ihr, die haben Wind von uns bekommen?“, fragte Pawnbroker. Er war nervös. Das Warten verursacht so etwas.
„Ich wüsste nicht, wie.“ Candy ordnete sein Blatt mit übertriebener Sorgfalt neu. Ein todsicherer Hinweis. Er hatte etwas Heißes. Ich untersuchte meins erneut. Einundzwanzig. Würde wahrscheinlich verbrannt, aber der beste Weg, um ihn aufzuhalten … ich legte sie hin. „Einundzwanzig.“
Otto stammelte. „Du Hurensohn.“ Er legte ein Blatt ab, das sich nur dadurch auszeichnete, dass es wertlos war. Aber es brachte wegen einer hohen Karte Punkte zu meiner Einundzwanzig. Candy hatte drei Neunen, ein Ass und eine Drei. Grinsend raffte ich wieder alles zusammen.
„Wenn du diesmal auch gewinnst, werden wir deine Ärmel überprüfen“, brummte Pawnbroker. Ich sammelte die Karten auf und begann zu mischen.
Die Angeln der Hintertür quietschten. Jeder erstarrte und glotzte auf die Küchentür. Männer bewegten sich dahinter.
„Madle! Wo zur Hölle bist du?“
Der Tavernenwirt schaute Candy gequält an. Candy gab ihm seinen Einsatz. Der Wirt rief: „Hier draußen, Neat.“
Candy flüsterte: „Spielt weiter.“ Ich begann auszuteilen.
Ein Mann um die Vierzig kam aus der Küche. Mehrere andere folgten ihm. Alle trugen geflecktes Grün. Sie hatten Bögen über ihren Rücken hängen. Neat sagte: „Sie müssen die Kinder erwischt haben. Ich weiß nicht, wie, aber …“ Er sah etwas in Madles Blicken. „Was ist los?“
Wir hatten Madle genügend Angst eingejagt. Er verriet uns nicht.
Während ich auf meine Karten starrte, zog ich an meiner Springfeder. Meine Kameraden taten dasselbe. Pawnbroker legte die Karte ab, die er gezogen hatte, eine Zwei. Er versuchte normalerweise, niedrig zu gehen. Sein Spiel verriet seine Nervosität.
Candy schnappte sich die abgelegte Karte und legte eine Reihe aus Ass-Zwei-Drei ab. Er warf eine Acht weg.
Einer von Neats Kameraden jammerte: „Ich habe dir gesagt, wir sollten keine Kinder schicken.“ Es klang, als würde er einem alten Streit neues Leben einhauchen.
„Ich brauche dieses Ich-hab’s-dir-doch-gesagt nicht“, knurrte Neat. „Madle, ich werde zu einem Treffen laden. Wir werden die Truppe zerstreuen müssen.“
„Wir wissen nichts Sicheres, Neat“, sagte ein anderer grüner Mann. „Du kennst die Kinder.“
„Du machst dir etwas vor. Die Bluthunde der Lady sind uns auf der Spur.“
Der Jammerer sagte: „Ich habe dir gesagt, wir sollten nicht diese …“ Er wurde still, als er einen Moment zu spät feststellte, dass Fremde anwesend waren, dass die Stammgäste alle erschrocken aussahen.
Neat griff nach seinem Schwert.
Es waren neun von ihnen, wenn man Madle und einige Gäste mitzählte, die sich einmischten. Candy warf den Kartentisch um. Wir betätigten die Auslöser an unseren Springfedern. Vier vergiftete Pfeile zischten durch den Schankraum. Wir zogen Schwerter.
Es dauerte nur Sekunden.
„Alle in Ordnung?“, fragte Candy.
„Hab’ einen Kratzer abgekriegt“, sagte Otto. Ich untersuchte ihn. Nichts, worüber man sich sorgen musste.
„Zurück hinter den Tresen, mein Freund“, sagte Candy zu Madle, den er verschont hatte. „Der Rest von euch räumt diesen Ort auf. Pawnbroker, du beobachtest sie. Wenn sie auch nur daran denken, aus der Reihe zu tanzen, töte sie.“
„Was soll ich mit den Leichen machen?“
„Wirf sie in den Brunnen hinunter.“
Ich stellte den Tisch wieder auf, setzte mich hin und entfaltete ein Blatt Papier. Darauf war die Befehlskette der Aufständischen in Tally skizziert. Ich strich NEAT durch. Er stand auf der mittleren Stufe.
„Madle“, sagte ich. „Komm her.“
Der Wirt näherte sich mit der gleichen Begeisterung wie ein Hund sich einer Peitsche.
„Bleib locker. Du wirst das Ganze gut durchstehen. Wenn du kooperierst. Sag mir, wer diese Männer waren.“
Er stotterte und druckste herum. Vorhersehbar.
„Nur Namen“, sagte ich. Er schaute auf das Papier und runzelte die Stirn. Er konnte nicht lesen. „Madle? Das wäre ein ziemlich enger Ort zum Schwimmen, unten im Brunnen mit einem Haufen Leichen.“
Er schluckte und schaute sich im Raum um. Ich warf einen Blick auf den Mann neben dem offenen Kamin. Er hatte sich während der Auseinandersetzung nicht bewegt. Sogar jetzt noch schaute er mit scheinbarer Gleichgültigkeit zu.
Madle nannte Namen.
Einige waren auf meiner Liste und einige waren es nicht. Bei denen, die es nicht waren, nahm ich an, dass sie Wasserträger waren. Tally war gut und verlässlich ausgekundschaftet worden.
Die letzte Leiche wurde hinausgebracht. Ich gab Madle ein kleines Goldstück. Er glotzte es an. Seine Kunden betrachteten ihn mit unfreundlichen Blicken. Ich grinste. „Für geleistete Dienste.“
Madle wurde bleich und starrte die Münze an. Es war ein Todeskuss. Seine Gäste würden denken, dass er dabei geholfen hatte, den Hinterhalt einzurichten. „Hab’ ich dich“, flüsterte ich. „Willst du das hier lebend überstehen?“
Er schaute mich voller Furcht und Hass an. „Wer zur Hölle seid ihr Kerle?“, wollte er in einem rauen Flüstern wissen.
„Die Schwarze Kompanie, Madle. Die Schwarze Kompanie.“
Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, aber er wurde noch blasser.
Der Tag war kalt und grau und klamm, ruhig, neblig und düster. Die Gespräche in der Eisernen Lilie bestanden aus mürrischen Einsilbigkeiten, die vor einem kümmerlichen Feuer geäußert wurden.
Dann kam der Nieselregen und zog die Vorhänge der Welt eng zu. Braune und graue Gestalten krümmten sich mutlos entlang der dreckigen, matschigen Straße. Es war ein Tag, der vollkommen aus dem Leib der Verzweiflung gerissen war. In der Lilie blickte Marron Shed von seinem Gläsertrocknen auf. Den Staub weghalten, nannte er es. Niemand benutzte sein schäbiges Steinzeug, weil niemand seinen billigen, sauren Wein kaufen wollte. Niemand konnte ihn sich leisten.
Die Lilie stand an der Südseite der Blumengasse. Sheds Theke war Richtung Tür gewandt, sechs Meter hinein in die Schatten des Schankraums. Eine Herde aus winzigen Tischen, jeder mit einer Brut aus wurmzerfressenen Stühlen, stellte ein trügerisches Labyrinth für Kunden dar, die aus dem Sonnenlicht kamen. Ein halbes Dutzend grob geschnitzter Stützsäulen bildete zusätzliche Hindernisse. Die Deckenbalken waren zu niedrig für einen großen Mann. Die Bretter auf dem Boden waren rissig und krumm und knarzend, und alles, was verschüttet wurde, rann nach unten.
Die Wände waren dekoriert mit Souvenirs aus alten Zeiten und Kuriositäten, die von Kunden zurückgelassen worden waren, die für jeden, der heute eintrat, keinerlei Bedeutung hatten. Marron Shed war zu faul, um sie abzustauben oder herunterzunehmen.
Der Schankraum bildete um das Ende seiner Theke ein L, am offenen Feuer vorbei, bis da, wo die besten Tische standen. Hinter dem offenen Feuer, im tiefsten Schatten, einen Meter von der Küchentüre, lag der Absatz der Treppe zu den Etagen mit den Zimmern.
In dieses dunkle Labyrinth kam ein kleiner, wieselartiger Mann. Er trug ein Bündel an Holzresten. „Shed? Kann ich?“
„Zur Hölle. Warum nicht, Asa? Wir werden alle profitieren.“ Das Feuer war zu einem Haufen grauer Asche geschwunden.
Asa schlurfte zum offenen Feuer. Die Gruppe dort teilte sich missmutig. Asa setzte sich neben Sheds Mutter. Die alte June war blind. Sie konnte nicht sagen, wer er war. Er platzierte sein Bündel vor sich und begann, in den Kohlen zu rühren.
„Nichts los unten am Hafen heute?“, fragte Shed.
Asa schüttelte seinen Kopf. „Nichts kommt rein. Nichts geht raus. Sie hatten nur fünf Aufträge. Wägen abladen. Die Leute haben sich darum geprügelt.“
Shed nickte. Asa war kein Kämpfer. Asa war außerdem nicht scharf auf ehrliche Arbeit. „Darling, ein Fassbier für Asa.“ Shed gestikulierte, während er sprach. Sein Serviermädchen hob den schäbigen Krug auf und brachte ihn zum Feuer.
Shed mochte den kleinen Mann nicht. Er war ein Heimlichtuer, ein Dieb, ein Lügner, ein Faulenzer, die Art, die seine Schwester für ein paar Kupfermünzen verkaufen würde. Er war ein Quengler und Jammerer und Feigling. Aber er war zu einem Projekt für Shed geworden, der selber etwas Barmherzigkeit hätte brauchen können. Asa war einer der Obdachlosen, die Shed auf dem Boden des Schankraums schlafen ließ, wann immer sie Holz für das Feuer mitbrachten. Dass er die Obdachlosen den Boden haben ließ, brachte kein Geld in seine Münzkassette, aber es sicherte etwas Wärme für Junes arthritische Knochen.
Im Winter in Juniper kostenloses Holz zu finden, war schwieriger, als Arbeit zu finden. Shed amüsierte sich über Asas Entschlossenheit, ehrliche Arbeit zu vermeiden.
Das Knacken des Feuers durchbrach die Stille. Shed legte seinen dreckigen Lumpen zur Seite. Er stellte sich hinter seine Mutter, die Hände in die Hitze. Seine Fingernägel begannen zu schmerzen. Er hatte nicht realisiert, wie kalt ihm war.
Es würde ein langer, kalter Winter werden. „Asa, hast du eine regelmäßige Holzquelle?“ Shed konnte sich kein Brennmaterial leisten. Heutzutage wurde Feuerholz von weit stromaufwärts in den Hafen hinunter verschifft. Es war teuer. In seiner Jugend …
„Nein.“ Asa starrte in die Flammen. Harzgeruch verteilte sich in der Lilie. Shed machte sich Sorgen um seinen Kamin. Noch ein Winter mit harzigen Holzresten, und er hatte den Kamin nicht kehren lassen. Ein Kaminbrand könnte ihn zerstören.
Die Dinge mussten sich bald wenden. Er war am Ende, bis zu seinen Ohren verschuldet. Er war verzweifelt.
„Shed.“
Er schaute über seine Tische, zu seinem einzigen wirklich zahlenden Kunden. „Raven?“
„Auffüllen, wenn es dir passt.“
Shed sah sich nach Darling um. Sie war verschwunden. Er fluchte leise. Brüllen hatte keinen Sinn. Das Mädchen war taub, brauchte Zeichen, um zu kommunizieren. Ein Vorteil, hatte er gedacht, als Raven vorgeschlagen hatte, dass er sie anstellen sollte. Zahllose Geheimnisse wurden in der Lilie geflüstert. Er hatte gedacht, es würden vielleicht mehr Flüsterer kommen, wenn sie sprechen konnten ohne die Furcht, dass jemand mithörte.
Shed wiegte seinen Kopf hin und her und schnappte sich Ravens Krug. Er mochte Raven nicht, zum Teil, weil Raven in Asas Spiel erfolgreich war. Raven hatte keine bekannte Einkommensquelle, trotzdem hatte er immer Geld. Ein anderer Grund war, weil Raven jünger, robuster und gesünder war als der Rest der Kunden in der Lilie. Er war eine Anomalie. Die Lilie war am unteren Ende des Buskin, nahe am Hafen. Sie zog all die Säufer, die ausgelaugten Huren, die Drogensüchtigen, die Wracks und das menschlichen Strandgut an, die in dieses letzte Brachwasser strömten, bevor sie die Dunkelheit verschlang. Shed zermarterte sich manchmal den Kopf, weil er fürchtete, dass seine geliebte Lilie nur eine Endstation war.
Raven gehörte nicht hierher. Er konnte sich Besseres leisten. Shed wünschte, er würde sich trauen, den Mann hinauszuwerfen. Raven ließ ihn eine Gänsehaut bekommen, wenn er an seinem Ecktisch saß, seine toten Augen eiserne Stacheln voll Misstrauen in jeden hämmerten, der die Taverne betrat, er endlos seine Nägel mit einem rasiermesserscharf geschliffenen Messer säuberte und nur wenige kalte, tonlose Worte sagte, wann immer jemand die Idee hatte, Darling nach oben zu zerren … Das verblüffte Shed. Obwohl es keine offensichtliche Verbindung gab, beschützte Raven das Mädchen, als wäre sie seine jungfräuliche Tochter. Wofür zur Hölle war eine Tavernen-Schlampe sonst schon da?
Shed schauderte und schob die Gedanken aus seinem Kopf. Er brauchte Raven. Brauchte jeden zahlenden Gast, den er kriegen konnte. Er überlebte schon nur noch mit Gebeten.
Er brachte ihm den Wein. Raven ließ drei Münzen in seine Handfläche fallen. Eine war eine silberne Leva. „Herr?“
„Hol etwas vernünftiges Feuerholz hier rein, Shed. Wenn ich erfrieren wollte, würde ich draußen bleiben.“
„Ja, Herr!“ Shed ging zur Tür und lugte auf die Straße. Lathams Holzhof war nur einen Block weg.
Das Nieseln war zu einem eisigen Regen geworden. Auf der matschigen Straße bildeten sich Eiskrusten. „Wird noch vorm Dunkelwerden schneien“, informierte er niemand bestimmten.
„Rein oder raus“, knurrte Raven. „Verschwende nicht das bisschen Wärme, das wir hier haben.“
Shed glitt hinaus. Er hoffte, er konnte Lathams Hof erreichen, ehe die Kälte zu schmerzen begann.
Gestalten ragten aus dem eisigen Niederschlag hervor. Eine war ein Riese. Beide waren vornüber gebeugt, mit Stofffetzen um ihre Hälse, um Eis davon abzuhalten, ihren Rücken hinunterzugleiten.
Shed stürmte zurück in die Lilie. „Ich werde zur Hintertür hinausgehen.“ Er deutete: „Darling, ich gehe hinaus. Du hast mich seit heute früh nicht gesehen.“
„Krage?“, deutete das Mädchen.
„Krage“, gab Shed zu. Er hastete in die Küche, schnappte sich seinen Regenmantel von seinem Haken und wand sich hinein. Er fummelte zweimal am Türriegel herum, ehe er ihn losbekam.
Ein teuflisches Grinsen mit drei fehlenden Zähnen begrüßte ihn, als er sich in die Kälte lehnte. Fauler Atem griff seine Nasenlöcher an. Ein schmutziger Finger bohrte sich in seine Brust. „Gehst du irgendwohin, Shed?“
„Hallo, Red. Will gerade zu Latham, wegen Feuerholz.“
„Nein, willst du nicht.“ Der Finger drückte. Shed wich zurück, bis er im Schankraum war.
Schwitzend fragte er: „Glas Wein?“
„Das ist nachbarschaftlich von dir, Shed. Mach drei daraus.“
„Drei?“, kreischte Sheds Stimme.
„Erzähl mir nicht, dass du nicht wusstest, dass Krage hierher unterwegs ist.“
„Wusste ich nicht“, log Shed.
Reds schiefzähniges Grinsen besagte, dass er wusste, dass Shed gerade log.
Man versucht sein verdammtes Bestes, aber irgendetwas geht immer schief. So ist das Leben. Wenn man klug ist, plant man das ein.
Irgendwie konnte irgendjemand aus Madles Kneipe entkommen, so ungefähr, als uns der fünfundzwanzigste Rebell ins Netz gestolpert war und es wirklich danach aussah, dass uns Neat einen großen Gefallen getan hatte, indem er die örtliche Hierarchie zu einer Konferenz zusammengerufen hatte. Im Nachhinein ist es schwierig, jemandem die Schuld zuzuschieben. Wir alle erledigten unsere Aufgaben. Aber es gibt eine Grenze, wie aufmerksam man unter dauerndem Stress bleiben kann. Der Mann, der verschwand, verbrachte wahrscheinlich Stunden damit, seinen Ausbruch zu planen. Wir bemerkten seine Abwesenheit lange Zeit nicht einmal.
Candy brachte es heraus. Er warf seine Karten mit einem Wisch seiner Hand hin und sagte: „Wir sind eine Person im Minus, Leute. Einer von diesen Schweinebauern. Der kleine Kerl, der aussah wie ein Schwein.“
Ich konnte aus dem Augenwinkel den Tisch sehen. Ich schnaubte. „Du hast Recht. Verdammt. Hätten nach jedem Marsch zum Brunnen abzählen sollen.“
Der Tisch war hinter Pawnbroker. Er drehte sich nicht um. Er wartete noch eine Spielrunde lang, dann spazierte er zu Madles Tresen und kaufte einen Krug Bier. Während sein Gelaber die Einheimischen ablenkte, machte ich mit meinen Fingern schnelle Zeichen in Gebärdensprache. „Macht euch besser bereit für einen Angriff. Die wissen, wer wir sind. Ich habe meine Klappe aufgerissen.“
Die Rebellen wollten uns unbedingt. Die Schwarze Kompanie hat sich einen weitreichenden Ruf als erfolgreicher Vernichter der Rebellenpestilenz erarbeitet, wo auch immer diese auftaucht. Obwohl wir nicht so siegreich sind, wie behauptet wird, verursacht die Nachricht über unser Kommen Schrecken, wo auch immer wir hingehen. Die Rebellen gehen oft in Deckung und brechen ihre Operationen ab, wo wir erscheinen.
Trotzdem waren nun vier von uns hier, getrennt von unseren Kameraden, scheinbar nicht wissend, dass wir in Gefahr waren. Sie würden es versuchen. Die Frage, die im Raum stand, war nur, wie sehr.
Wir hatten aber noch Asse im Ärmel. Wir spielen nie fair, wenn wir es vermeiden können. Die Philosophie der Kompanie ist es, unsere Effektivität zu maximieren, während wir unser Risiko minimieren.
Der große, dunkle Mann stand auf, verließ seinen Schatten und ging auf die Treppe zu den Schlafräumen zu. Candy rief: „Pass auf den auf, Otto.“ Otto hastete ihm hinterher und sah hinter diesem Mann schwächlich aus. Die Einheimischen schauten zu und waren verwirrt.
Pawnbroker nutzte Gebärden, um zu fragen: „Was jetzt?“
„Wir warten“, sagte Candy laut und fügte mit Gebärden an: „Tun, wofür wir hergeschickt wurden.“
„Das macht wenig Spaß, ein lebender Köder zu sein“, signalisierte Pawnbroker zurück. Er beobachtete nervös die Treppe. „Gebt Otto doch mal Karten“, schlug er vor.
Ich blickte zu Candy. Er nickte. „Warum nicht? Gebt ihm ungefähr siebzehn.“ Otto ging jedes Mal unter, wenn er weniger als zwanzig hatte. Es war eine Wette mit guten Aussichten.
Ich rechnete schnell im Kopf meine Karten durch und grinste. Ich konnte ihm siebzehn geben und hätte selbst noch genug niedrige Karten übrig, um jedem von uns eine Handvoll Karten zu geben, die ihn abbrennen lassen würde. „Gib mir diese Karten.“
Ich durchsuchte hastig den Stapel und baute um. „Da.“ Niemand hatte etwas Höheres als fünf. Aber Ottos Hand hatte höhere Karten als die anderen.
Candy grinste. „Jawohl.“
Otto kam nicht zurück. Pawnbroker sagte: „Ich gehe mal rauf und sehe nach.“
„Einverstanden“, antwortete Candy. Er ging und holte sich selbst ein Bier. Ich beäugte die Einheimischen. Sie kamen langsam auf dumme Gedanken. Ich starrte einen an und schüttelte meinen Kopf.
Pawnbroker und Otto kamen eine Minute danach zurück, ihnen voraus ging der dunkle Mann, der in seinen Schatten zurückkehrte. Pawnbroker und Otto sahen erleichtert aus. Sie setzten sich zum Spielen hin.
Otto fragte: „Wer hat ausgeteilt?“
„Candy“, sagte ich. „Du bist dran.“
Er ging unter. „Siebzehn.“
„Hehehe“, antwortete ich. „Bist verbrannt. Fünfzehn.“
Und Pawnbroker sagte: „Hab’ euch beide. Vierzehn.“
Und Candy: „Vierzehn. Du bist angeschlagen, Otto.“
Er saß für mehrere Sekunden nur wie betäubt da. Dann kapierte er es. „Ihr Bastarde! Ihr habt es gezinkt! Ihr glaubt doch nicht, dass ich jetzt bezahle ...“
„Ganz ruhig. Ein Scherz, mein Sohn“, sagte Candy. „Ein Scherz. Du bist sowieso mit Geben dran.“ Die Karten gingen herum und die Dunkelheit kam. Keine weiteren Aufständischen erschienen. Die Einheimischen wurden immer unruhiger. Einige sorgten sich um ihre Familien und dass sie zu spät kämen. Wie überall sonst kümmern sich auch die Leute in Tally nur um ihr eigenes Leben. Es ist ihnen egal, ob die Weiße Rose oder die Lady die Oberhand behalten.
Die Minderheit an Rebellensympathisanten machte sich Sorgen darüber, wann der Schlag kommen würde. Sie hatten Angst davor, im Kreuzfeuer gefangen zu werden.
Wir taten so, als ob uns die Situation nicht bewusst sei.
Candy gestikulierte: „Welche davon sind gefährlich?“
Wir berieten uns und wählten drei Männer aus, die uns vielleicht Schwierigkeiten bereiten könnten. Candy ließ sie von Otto an ihre Stühle fesseln. Es dämmerte den Einheimischen, dass wir wussten, was wir erwarten mussten, und dass wir vorbereitet waren. Nicht voller Vorfreude, aber bereit.
Die Angreifer warteten bis Mitternacht. Sie waren vorsichtiger als die Rebellen, die wir für gewöhnlich trafen. Vielleicht war unser Ruf zu mächtig …
Sie platzten überhastet herein. Wir entluden unsere Schießrohre und begannen, unsere Schwerter zu schwingen, wobei wir uns in eine Ecke vom offenen Feuer weg zurückzogen. Der große Mann sah unbeteiligt zu.
Es war eine Menge an Rebellen da. Weit mehr, als wir erwartet hatten. Sie stürmten weiter nach drinnen, drängten sich, waren sich gegenseitig im Weg, kletterten über die Leichen ihrer Kameraden. „Tolle Falle“, japste ich. „Das müssen Hundert von denen sein.“
„Jupp“, sagte Candy. „Sieht nicht gut aus.“ Er trat einem Mann in den Schritt und stach auf ihn ein, als er sich krümmte.
Der Raum war von Wand zu Wand mit Aufständischen gefüllt, und dem Lärm nach zu urteilen war noch ein ganzer Haufen mehr draußen. Irgendjemand wollte nicht, dass wir davonkamen.
Na ja, das war zumindest der Plan.
Meine Nasenlöcher weiteten sich. Es lag ein Geruch in der Luft, nur der leichteste Anklang, der nicht stimmte, subtil unter dem Gestank von Furcht und Schweiß. „In Deckung!“, brüllte ich und riss einen Lappen aus muffiger Wolle aus meiner Gürteltasche. Er stank schlimmer als ein zerquetschtes Stinktier. Meine Kameraden taten es mir schnell nach.
Irgendwo schrie ein Mann. Dann noch einer. Stimmen erhoben sich in einem höllischen Chor. Unsere Feinde sprangen um uns auf, verblüfft, panisch. Gesichter verzerrten sich vor Qual. Männer fielen in zuckenden Haufen hin, griffen nach ihren Nasen und Kehlen. Ich war sorgsam darauf bedacht, mein Gesicht in der Wolle zu lassen.
Der große, dünne Mann kam aus seinem Schatten. Ruhig fing er damit an, mit einer dreißig Zentimeter langen Silberklinge Partisanen zu erledigen. Er verschonte die Gäste, die wir nicht an ihre Stühle gefesselt hatten.
Er gestikulierte: „Es ist jetzt wieder sicher, einzuatmen.“
„Bewach die Tür“, befahl mir Candy. Er wusste, dass ich eine Abneigung gegen diese Art von Gemetzel hatte. „Otto, du nimmst die Küche. Pawnbroker und ich werden Silent helfen.“
Die Rebellen draußen versuchten, uns zu erwischen, indem sie Pfeile durch die Tür schossen. Sie hatten kein Glück. Dann versuchten sie, das Gebäude anzuzünden. Madle litt vor Zorn an Krämpfen. Silent, einer der drei Hexer der Kompanie, der schon Wochen zuvor nach Tally geschickt worden war, nutzte seine Kräfte, um das Feuer zu ersticken. Wütend bereiteten sich die Rebellen auf eine Belagerung vor.
„Müssen ja jeden Mann aus der Provinz hergebracht haben“, sagte ich.
Candy zuckte mit den Achseln. Pawnbroker und er stapelten Leichen zu Barrikaden für die Verteidigung. „Sie müssen hier in der Nähe ein Basislager aufgebaut haben.“ Unser Wissen über die Partisanen von Tally war erschöpfend. Die Lady bereitet sich gut vor, bevor sie uns irgendwo hineinschickt. Aber man hatte uns nicht mitgeteilt, dass wir solche Mengen erwarten sollten, die mit so kurzer Vorbereitung verfügbar wären.
Trotz unserer Erfolge hatte ich Angst. Es war noch ein großer Mob draußen und es klang so, als würden ständig mehr ankommen. Silent hatte in diesem Loch als Ass im Ärmel wenig Wert.
„Du hast deinen Vogel geschickt?“, wollte ich wissen, weil ich annahm, dass das der Grund für seinen Abstecher nach oben gewesen war. Er nickte. Das schenkte mir etwas Erleichterung. Aber nicht viel.
Die Stimmung änderte sich. Sie waren draußen ruhiger. Weitere Pfeile zischten durch die Eingangstür. Sie war beim ersten Ansturm aus ihren Angeln gerissen worden. Die Körper, die wir dort gestapelt hatten, würden die Rebellen nicht lange aufhalten. „Sie werden reinkommen“, sagte ich zu Candy.
„Na gut.“ Er ging zu Otto in die Küche. Pawnbroker kam zu mir. Silent stationierte sich in der Mitte des Schankraums und sah dabei fies und tödlich aus.
Draußen wurde ein Gebrüll laut.
„Hier kommen sie!“
Wir hielten mit Silents Hilfe den Hauptansturm auf, aber andere begannen, an die Fensterläden zu hämmern. Dann mussten Candy und Otto die Küche aufgeben. Candy tötete einen übereifrigen Angreifer und wirbelte lang genug herum, um zu brüllen: „Wo zur Hölle bleiben die, Silent?“
Silent zuckte mit den Achseln. Es schien, als sei ihm das Bevorstehen seines Todes fast egal. Er schleuderte einen Zauber gegen einen Mann, der durch ein Fenster geschoben wurde.
Trompeten erschallten in der Nacht. „Ha!“, rief ich. „Sie kommen!“ Die letzte Öffnung der Falle hatte sich geschlossen.
Eine Frage verblieb. Würde die Kompanie herkommen, ehe unsere Angreifer uns erledigten?
Weitere Fenster gaben nach. Silent konnte nicht überall sein. „Zur Treppe!“, schrie Candy. „Zieht euch zur Treppe zurück!“
Wir rannten dorthin. Silent rief einen giftigen Nebel herbei. Es war nicht der tödliche, den er zuvor genutzt hatte. Er konnte das jetzt nicht erneut tun. Er hatte keine Zeit, um etwas vorzubereiten.
Wir konnten die Treppe leicht halten. Zwei Männer, mit Silent hinter ihnen, hätten sie für immer halten können.
Die Rebellen erkannten das. Sie fingen an, Feuer zu legen. Diesmal konnte Silent nicht alle Flammen löschen.
Die Vordertür ging auf. Zwei Männer schoben sich in die Lilie, stampften mit ihren Füßen auf und klopften sich das Eis ab. Shed schlurfte hinüber, um ihnen zu helfen. Der größere Mann schubste ihn weg. Der Kleinere durchquerte den Raum, trat Asa vom Feuer weg und hockte sich mit ausgebreiteten Händen hin. Sheds Gäste starrten in die Flammen und sahen und hörten nichts.
Außer Raven, wie Shed bemerkte. Raven sah interessiert und nicht besonders verstört aus.
Shed schwitzte. Krage drehte sich schließlich um. „Du bist gestern nicht vorbeigekommen, Shed. Ich habe dich vermisst.“
„Ich konnte nicht, Krage. Ich hatte nichts, was ich dir hätte bringen können. Schau in mein Geldkästchen. Du weißt, dass ich dich bezahlen werde. Ich tue das immer. Ich brauche nur etwas mehr Zeit.“
„Du warst letzte Woche schon zu spät, Shed. Ich war geduldig. Ich weiß, dass du gerade Probleme hast. Aber du warst auch in der Woche davor zu spät. Und in der Woche davor. Du lässt mich schlecht aussehen. Ich weiß, dass du es so meinst, wenn du sagst, dass du mich bezahlen wirst. Aber was sollen die Leute denken? Hm? Vielleicht fangen sie an, zu denken, dass es für sie auch in Ordnung ist, zu spät dran zu sein. Vielleicht fangen sie an, zu denken, dass sie überhaupt nicht zahlen müssen.“
„Krage, ich kann nicht. Schau in mein Kästchen. Sobald das Geschäft wieder besser läuft …“
Krage machte eine Geste. Red fasste hinter den Tresen. „Das Geschäft läuft überall schlecht, Shed. Ich habe auch Probleme. Ich habe Ausgaben. Ich kann meine nicht begleichen, wenn du deine nicht begleichst.“ Er spazierte im Schankraum herum und untersuchte die Ausstattung. Shed konnte seine Gedanken lesen. Er wollte die Lilie. Wollte, dass Shed so tief in der Patsche saß, dass er das Geschäft aufgeben musste.
Red übergab Sheds Kästchen an Krage. Krage verzog das Gesicht. „Die Geschäfte laufen wirklich schlecht.“ Er gab ein Handzeichen. Der große Mann, Count, schnappte sich von hinten Sheds Ellenbogen. Shed wurde fast ohnmächtig. Krage grinste verschlagen. „Durchsuch ihn, Red. Schau mal, ob er etwas zurückhält.“ Er leerte das Geldkästchen. „Anzahlung, Shed.“
Red fand die silberne Leva, die Raven Shed gegeben hatte.
Krage schüttelte seinen Kopf. „Shed, Shed, du hast mich angelogen.“ Count drückte ihm schmerzhaft die Ellenbogen zusammen.
„Das ist nicht meins“, protestierte Shed. „Das gehört Raven. Er wollte, dass ich Brennholz kaufe. Deshalb war ich zu Latham unterwegs.“
Krage beäugte ihn. Shed wusste, dass Krage wusste, dass er die Wahrheit sagte. Er hatte nicht genug Schneid, um zu lügen.
Shed hatte Angst. Krage könnte ihn wohl einfach fertigmachen, damit er die Lilie aufgeben würde, um sein Leben zu erkaufen.
Was dann? Er stünde ohne einen Heller auf der Straße, mit einer alten Frau, um die er sich kümmern sollte.
Sheds Mutter verfluchte Krage. Alle ignorierten sie, einschließlich Shed. Sie war harmlos. Darling stand in der Küchentür, erstarrt, eine Hand vor ihrem Mund zur Faust geballt, die Augen voller Flehen. Sie sah mehr Raven an als Krage und Shed.
„Was soll ich ihm brechen, Krage?“, fragte Red. Shed erschauderte. Red hatte Spaß an seiner Aufgabe. „Du solltest uns nicht hinhalten, Shed. Du solltest Krage nicht anlügen.“ Er entfesselte einen gewaltigen Faustschlag. Shed würgte und versuchte, sich nach vorne fallen zu lassen. Count hielt ihn aufrecht. Red schlug ihn erneut.
Eine sanfte, kühle Stimme sagte: „Er hat die Wahrheit gesagt. Ich habe ihn zum Brennholzholen geschickt.“
Krage und Red tauschten ihre Plätze. Count ließ seinen Griff nicht locker.
„Wer bist du?“, wollte Krage wissen.
„Raven. Lasst ihn los.“
Krage tauschte einen Blick mit Red. Red sagte: „Ich glaube, du solltest besser nicht so mit Meister Krage sprechen.“
Raven hob seinen Blick. Reds Schultern spannten sich zur Abwehr. Dann ging er, sich seines Publikums bewusst, hinüber und schlug mit der Handfläche zu.
Raven pflückte seine Hand aus der Luft und verdrehte sie. Red ging in die Knie und knirschte wimmernd mit den Zähnen. Raven sagte: „Das war dumm.“
Verblüfft antwortete Krage: „Klug ist, wer klug handelt, Herr. Lass ihn gehen, solang du noch gesund bist.“
Raven grinste zum ersten Mal, seit ihn Shed kannte. „Das war nicht klug.“ Es gab ein hörbares Plopp. Red schrie.
„Count!“, brüllte Krage.
Count schleuderte Shed zur Seite. Er war doppelt so groß wie Red, schnell, stark wie ein Berg und fast so klug. Niemand überlebte Count.
Ein gemeiner Dolch mit zwanzig Zentimeter langer Klinge erschien in Ravens Hand. Count hielt so plötzlich an, dass sich seine Beine verknoteten. Er fiel nach vorne und rollte vom Rand von Ravens Tisch.
„Oh, Scheiße“, jammerte Shed. Irgendwer würde gleich getötet werden. Krage würde sich das nicht gefallen lassen. Es wäre schlecht fürs Geschäft.
Aber als sich Count erhob, sagte Krage: „Count, hilf Red.“ Sein Ton war beiläufig.
Count wandte sich gehorsam Red zu, der sich weggeschleppt hatte, um sein Handgelenk zu versorgen.
„Vielleicht hatten wir gerade ein kleines Missverständnis“, sagte Krage. „Ich sage es jetzt ganz einfach, Shed. Du hast eine Woche, um mich zu bezahlen. Jeden letzten Heller.“
„Aber …“
„Kein aber, Shed. Das entspricht der Vereinbarung. Töte jemanden. Raube jemanden aus. Verkauf diese Absteige. Aber besorg das Geld.“ Die Alternativen mussten nicht erklärt werden.
Ich werde es schaffen, versprach sich Shed selbst. Er wird mir nicht wehtun. Ich bin ein zu guter Kunde.
Wo zur Hölle sollte er das Geld herbekommen? Er konnte jetzt nicht verkaufen. Nicht jetzt, wo der Winter kam. Die alte Frau könnte auf der Straße nicht überleben.
Kalte Luft wehte in die Lilie, als Krage in der Tür innehielt. Er starrte Raven an. Raven machte sich nicht die Mühe, zurückzustarren.
„Bring etwas Wein her, Shed“, sagte Raven. „Ich habe meinen irgendwie verschüttet.“
Shed beeilte sich trotz seiner Schmerzen. Er konnte nicht anders, als ihn zu hofieren. „Ich danke dir, Raven, aber du hättest dich nicht einmischen sollen. Er wird dich dafür umbringen.“
Raven zuckte mit den Achseln. „Geh zum Holzhändler, bevor noch jemand versucht, dir mein Geld abzunehmen.“
Shed blickte zur Tür. Er wollte nicht nach draußen gehen. Sie würden ihn dort vielleicht erwarten. Aber dann sah er wieder Raven an. Der Mann säuberte gerade seine Fingernägel mit diesem fiesen Messer. „Ja, sofort.“
Es schneite jetzt. Die Straße war trügerisch. Nur eine dünne, weiße Maske verdeckte den Matsch.
Shed konnte nicht anders, als sich zu fragen, warum sich Raven eingemischt hatte. Um sein Geld zu schützen? Möglich …Nur, ein vernünftiger Mann blieb in Krages Nähe ruhig. Er würde einem die Kehle durchschneiden, wenn man ihn nur falsch ansah. Raven war neu in der Gegend. Vielleicht wusste er noch nichts von Krage. Er würde es auf die harte Tour lernen. Sein Leben war keine zwei Heller mehr wert.
Raven war anscheinend gut betucht. Er würde nicht sein ganzes Vermögen mit sich herumtragen, oder? Vielleicht hielt er einen Teil davon in seinem Zimmer versteckt. Vielleicht genug, um Krage zu bezahlen. Vielleicht konnte er Raven betrügen. Krage würde das schätzen.
„Lass mich dein Geld sehen“, sagte Latham, als er nach Brennholz fragte. Shed holte Ravens silberne Leva heraus. „Ha! Wer ist diesmal gestorben?“
Shed wurde rot. Eine alte Prostituierte war letzten Winter in der Lilie gestorben. Shed hatte ihre Besitztümer durchwühlt, bevor er die Stadtwache rief. Seine Mutter hatte es für den Rest des Winters warm gehabt. Das ganze Buskin wusste es, weil er den Fehler gemacht hatte, es Asa zu erzählen. Entsprechend des Brauches nahm die Stadtwache die persönlichen Besitztümer eines frisch Verstorbenen an sich. Das und Spenden unterhielten sie und die Katakomben.
„Niemand ist gestorben. Ein Gast hat mich geschickt.“
„Ha! An dem Tag, wo du einen Gast hast, der sich Großzügigkeit leisten kann …“ Latham zuckte mit den Achseln. „Aber was kümmert es mich? Die Münze ist gut. Ich brauche ihre Herkunft nicht zu wissen. Nimm dir etwas Holz. Dann geh deines Weges.“
Shed stolperte zur Lilie zurück. Sein Gesicht brannte, seine Rippen schmerzten. Latham hatte sich nicht die Mühe gemacht, seine Verachtung zu verbergen.
Zurück daheim, als das Feuer das gute Eichenholz erfasste, zapfte Shed zwei Krüge voll Wein und setzte sich Raven gegenüber. „Geht aufs Haus.“
Raven starrte ihn einen Moment lang an, nahm einen Schluck und manövrierte den Krug auf eine exakte Stelle auf der Tischplatte. „Was willst du?“
„Dir noch einmal danken.“
„Es gibt nichts, wofür du mir danken musst.“
„Dann dich warnen. Du hast Krage nicht ernst genug genommen.“
Latham marschierte mit seinen Armen voll Brennholz herein und brummelte, weil er seinen Wagen nicht herausholen konnte. Er würde noch lange Zeit hin und her laufen müssen.
„Geh weg, Shed.“ Und, als Shed mit brennendem Gesicht aufstand, rief Raven: „Warte. Du meinst, du schuldest mir etwas? Dann werde ich dich eines Tages um einen Gefallen bitten. Du wirst es tun. Einverstanden?“
„Natürlich, Raven. Alles. Sag es einfach.“
„Geh und setz dich ans Feuer, Shed.“
Shed quetschte sich zwischen Asa und seine Mutter und schloss sich deren mürrischer Stille an. Dieser Raven war wirklich unheimlich.
Der betreffende Mann war in einen lebhaften Austausch von Gebärden mit dem tauben Dienstmädchen verwickelt.
Ich ließ die Spitze meiner Klinge auf den Boden des Gasthauses fallen. Ich sank vor Erschöpfung zusammen und hustete schwach in den Rauch hinein. Ich schwankte, griff kraftlos nach einem umgeworfenen Tisch, um mich festzuhalten. Langsam dämmerte es mir. Ich war mir diesmal sicher gewesen, dass das mein Ende war. Wenn sie nicht gezwungen gewesen wären, selbst das Feuer zu löschen …
Elmo durchquerte den Raum und legte einen Arm um mich. „Bist du verletzt, Croaker? Soll ich One-Eye holen?“
„Nicht verletzt. Nur ausgebrannt. Ist lange her, dass ich solche Angst hatte, Elmo. Dachte, das war’s für mich.“
Er stellte mit einem Fuß einen Stuhl auf und setzte mich darauf. Er war mein bester Freund, ein drahtiger, alter Haudegen, der sich selten Launen hingab. Feuchtes Blut rötete seinen linken Ärmel. Ich versuchte, aufzustehen. „Setzen“, befahl er. „Pockets kann sich darum kümmern.“
Pockets war meine Zweitbesetzung, ein Kind von dreiundzwanzig Jahren. Die Kompanie wird immer älter – zumindest im Kern, meinen Altersgenossen. Elmo ist jenseits der fünfzig. Der Hauptmann und der Leutnant kratzen an dieser Fünf-Null. Ich würde die vierzig auch nicht wiedersehen. „Habt ihr alle gekriegt?“
„Genug.“ Elmo setzte sich auf einen zweiten Stuhl. „One-Eye, Goblin und Silent sind denen hinterher, die sich abgesetzt haben.“ Seine Stimme war leer. „Die Hälfte der Rebellen in der Provinz, auf Anhieb.“
„Wir werden zu alt dafür.“ Die Männer fingen an, Gefangene hereinzubringen und sie nach Charakteren zu durchsuchen, die vielleicht etwas Nützliches wüssten. „Sollten den Kindern diesen Kram überlassen.“
„Sie kämen damit nicht klar.“ Er starrte ins Nichts, ins Lang Her und Weit Weg.
„Stimmt etwas nicht?“
Er schüttelte den Kopf, dann widersprach er sich. „Was tun wir eigentlich, Croaker? Nimmt das denn gar kein Ende?“
Ich wartete. Er sprach nicht weiter. Er redet nicht viel. Besonders nicht über seine Gefühle. Ich hakte nach. „Was meinst du?“
„Es geht einfach immer weiter. Rebellen jagen. Der Nachschub hört nicht auf. Sogar damals, als wir für den Syndikus von Beryl gearbeitet haben. Wir haben Dissidenten gejagt. Und vor Beryl … Sechsunddreißig Jahre lang immer das Gleiche. Und ich war mir nie sicher, ob ich das Richtige tue. Besonders jetzt.“
Es sah Elmo ähnlich, seine Zweifel acht Jahre unter Verschluss zu halten, bevor er sie aussprach. „Wir sind nicht in der Lage, irgendetwas zu verändern. Die Lady würde sich nicht für uns erwärmen, wenn wir plötzlich sagen, wir tun nur das und das und nichts von dem und dem.“
Der Dienst für die Lady war nicht schlecht. Obwohl wir die härtesten Missionen bekommen, müssen wir nie die schmutzigen Sachen erledigen. Die regulären Truppen bekommen diese Aufgaben. Klar, manchmal Präventivschläge. Gelegentlich ein Massaker. Aber alles nur im Rahmen des Tagesgeschäfts. Militärische Notwendigkeiten. Wir waren nie in Gräueltaten verwickelt worden. Der Hauptmann würde das nicht zulassen.
„Es liegt nicht an der Moral, Croaker. Was ist im Krieg schon moralisch? Überlegene Stärke. Nein. Ich bin einfach müde.“
„Kein Abenteuer mehr, hm?“
„Hat vor langer Zeit aufgehört, eines zu sein. Wurde zu einem Beruf. Etwas, das ich tue, weil ich nichts anderes kann.“
„Etwas, was du sehr gut tust.“ Das half nicht, aber mir fiel nichts Besseres ein, das ich hätte sagen können.
Der Hauptmann kam herein, ein schlendernder Bär, der kaltblütig einen Schiffbruch überlebt hätte. Er kam herüber. „Wie viele haben wir gekriegt, Croaker?“
„Es sind noch keine Zahlen da. Die meisten aus ihrer Führungsebene, schätze ich.“
Er nickte. „Bist du verletzt?“
„Erschöpft. Körperlich und geistig. Ist eine Weile her, seit ich solche Angst hatte.“