Bettina Ferbus
Schattenseite – Austrian Vampire World
Das Buch:
Seit seiner Verwandlung zum Vampir hasste Alexander Menschen. Sie hatten seinen Bruder Gregor getötet und auch ihn beinahe erwischt. Doch nun sollte er Gregors menschliche Freundin bei sich aufnehmen. Etwas, das er niemals tun würde, hätte er das Geld seines Bruders nicht so verdammt nötig.
Die Autorin:
Bettina Ferbus ist eine bekennende Süchtige. Sie ist süchtig nach Pferden – das hat sich schon in ihrem Hauptberuf niedergeschlagen: Sie ist Reitlehrerin – und sie ist süchtig nach Gedrucktem. Zwanghaftes Lesen, mit einer besonderen Vorliebe für Phantastisches, führte dazu, dass sie Geschichten zu schreiben begann. Zuerst Kurzgeschichten, die in verschiedenen, zum Teil preisgekrönten Anthologien erschienen sind, später auch längere Texte.
www.ferbus.at/bettina
Außerdem erschienen:
Im Schatten des Wolfsmonds (11/2013)
Bettina Ferbus
Roman
Schattenseite – Austrian Vampire World
Bettina Ferbus
Copyright © 2016 at Bookshouse Ltd.,
Villa Niki, 8722 Pano Akourdaleia, Cyprus
Umschlaggestaltung: © at Bookshouse Ltd.
Coverfotos: www.shutterstock.com
Satz: at Bookshouse Ltd.
ISBNs: 9789963533121 (E-Book .pdf)
9789963533527 (E-Book .epub)
9789963533534 (E-Book Kindle)
www.bookshouse.de
Urheberrechtlich geschütztes Material
1. Alexander
2. Alina
3. Alexander
4. Alina
5. Alexander
6. Alina
7. Alexander
8. Alina
9. Alexander
10. Alina
11. Alexander
12. Alina
13. Alexander
1. Kapitel
Alexander
Er ging mit langen Schritten die Straße entlang. Es galt, keine Zeit zu verschwenden. Die Nacht war noch jung, aber er hatte einiges vor. Ein paar Teenager drängten sich an ihm vorbei, ihre Körper noch aufgeheizt von der Frühsommersonne. Alexander knurrte leise. Er hasste es, daran erinnert zu werden, was er verloren hatte. Nur zu gern hätte er sich einen oder auch mehrere dieser unbedarften Jugendlichen geschnappt und sich mit ihrem Blut entschädigt.
Leider ging das nicht. Sie befanden sich in Wien. Menschen hatten hier eine ganze Reihe von Rechten. Alexander ballte die Faust in seiner Jackentasche. Papier knisterte. Noch beim Überschreiten der Grenze hatte er eine Liste mit Geboten erhalten.
Das Töten von Menschen ist verboten.
Damit konnte er leben.
Von Gewaltanwendung gegenüber Menschen ist abzusehen. Zuwiderhandeln wird mit Geldstrafen oder in schweren Fällen auch mit Haftstrafen geahndet.
Es schien, als müsste man selbst das größte Arschloch noch mit Glacéhandschuhen anfassen. Aber es kam noch schlimmer: Jegliche Blutentnahme hat mit dem Einverständnis des jeweiligen Menschen und – wenn dieser es verlangt – gegen Bezahlung zu erfolgen.
Alexander hasste, was er war und ganz besonders hasste er die Einschränkungen, die ihm dadurch auferlegt wurden. Er hatte nie darum gebeten, genetisch verändert zu werden. Welches kranke Gehirn kam überhaupt auf die Idee, den menschlichen Körper so lange zu modifizieren, bis er den Vampiren aus Sagen und Legenden glich? Die verlängerten Eckzähne, die Gier nach menschlichem Blut, die Empfindlichkeit auf Sonnenlicht – all das hatte Professor Hildebrand gut hinbekommen. Nur die Sache mit der Unsterblichkeit funktionierte nicht. Denn die von ihm geschaffenen Vampire erhielten sich ihr gutes Aussehen zwar länger als der Durchschnittsmensch, im Endeffekt alterten und starben sie aber doch, wie jeder andere auch.
Sich an einem Ort aufzuhalten, an dem seine Handlungsfreiheit noch weiter beschnitten wurde, behagte ihm absolut nicht. Er tat das nur für Gregor. Nein, wenn das Geld nicht wäre, hätte er es nicht einmal für Gregor getan. Er liebte seinen Bruder, liebte ihn immer noch, obwohl er bereits seit mehr als einem Jahr tot war. Trotzdem hätte er seinen letzten Wunsch wohl nicht erfüllt, wenn er das Geld aus der Erbschaft nicht so dringend benötigt hätte.
Das Gebäude, in dem sich die Öffentliche Blutzentrale befand, war eines der besser erhaltenen. Vielen anderen Häusern sah man die Schäden aus dem Vampirkrieg deutlich an. Die meisten Straßenreihen erinnerten an ein kariöses Gebiss.
In der Lobby der Blutzentrale war es angenehm kühl. Am Empfangstresen stand ein Mann Anfang vierzig mit Halbglatze und weichen Gesichtszügen. Sein Lächeln offenbarte die verlängerten Schneidezähne. Ein Kaninchen! Alexander konnte diese unausgegorenen, halb fertigen Möchtegernvampire nicht ausstehen. Sie waren aus Professor Hildebrands ersten Experimenten hervorgegangen. Blut brauchten sie ausschließlich in kleinen Mengen und das auch nur, um das Tageslicht ertragen zu können. Sie konnten noch feste Nahrung verdauen und waren nicht auf Flüssigkeiten angewiesen. Garantiert kannten sie auch diesen alles vereinnahmenden Hunger nicht, der sich nicht auf den Magen beschränkte, sondern jede einzelne Zelle erfasste und sich nur mit Blut befriedigen ließ.
Alexander biss die Zähne zusammen, holte das Kuvert aus der Innentasche seiner Jacke, nahm das Genehmigungsschreiben heraus und legte es so hastig auf den Tresen, als würde es brennen. Der Kaninchentyp warf einen Blick darauf, nahm den Hörer des Telefons, das auf dem Tresen stand, und tippte eine Nummer.
»Herbert hier. Schick mir Alina.«
Herbert wandte sich nach einem abschätzigen Blick auf Alexander wieder seiner Schreibtischarbeit zu. Offensichtlich gefiel ihm der große, grobschlächtige Typ mit dem vernarbten Gesicht nicht, der vor ihm stand. Trotzdem war diese derart augenscheinliche Ignoranz und Ablehnung mehr als unhöflich. Alexander war versucht, dem schmächtigen Kerlchen zu zeigen, was er von einer derartigen Behandlung hielt. Aber einerseits wollte er keinen Ärger und andererseits steckte in diesen Kaninchen oft mehr Kraft, als man ihnen von außen ansah. Besonders, wenn sie mit frischem Blut abgefüllt waren.
Um sich abzulenken, sah sich Alexander um. Man sah dem Gebäude sein Alter an – die hohen Gewölbedecken, die eierschalenfarben gestrichenen Fensterrahmen, deren Farbe längst Risse bekommen hatte und abblätterte, das abgewetzte Parkett. Mit Stuckarbeiten verzierte Torbögen führten in ein Treppenhaus und in zwei unbeleuchtete Gänge. An den Wänden standen unterschiedliche Holzstühle, die alle schon bessere Tage gesehen hatten. Während er den Blick umherschweifen ließ, lehnte sich Alexander bewusst gegen den Tresen. Es bereitete ihm ein gewisses Vergnügen, zu sehen, wie Herbert ihm auf dem begrenzten Raum auszuweichen versuchte, jedoch auch nicht klein beigeben und ihm einen Sitzplatz zuweisen wollte. Ein Machtspielchen, das ihm gefiel. Seine Lippen kräuselten sich. Er wusste, dass seine Zähne nun gut zu sehen waren. Keine Kaninchenzähne, sondern die Reißzähne eines Raubtiers. Herberts Blick blieb einen Augenblick auf ihnen liegen. Ein Ausdruck von Furcht und Neid huschte über sein Gesicht, bevor er seine Züge unter Kontrolle hatte und wieder ein unverbindliches Lächeln aufsetzen konnte. Viel zu schnell machten näherkommende Schritte dem Geplänkel ein Ende.
Alexander sah hoch. Die Schritte klangen nicht nach einer kranken Frau, auch nicht nach jemandem, der Schmerzen hatte. Sie klangen nach einem energischen, kräftigen Menschen.
Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber ganz sicher nicht, dass sie mit der Haltung einer Königin vor ihn hintreten würde. Das blonde Haar war zu einem strengen Knoten zusammengefasst. Sie hatte abgenommen. War sie ihm vorher stets wie der Inbegriff des Lebens vorgekommen, so erinnerte sie nun an ein magersüchtiges Model. Sie wirkte größer und die Wangenknochen traten stärker hervor. Hatte sie mit fünfundzwanzig noch oft genug ihr Alter mit Pass oder Führerschein beweisen müssen, so war nun, kaum vier Jahre später, alles Kindliche aus ihrem Gesicht verschwunden.
»Hallo, Alexander.«
Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen hatte sie ohne weitere Erklärung begriffen und auch akzeptiert, dass er es nicht mochte, wenn sein Name abgekürzt wurde. Er wollte nicht Alex, Xander oder gar Sascha genannt werden. »Hallo, Alina.«
Sie standen sich seltsam befangen gegenüber, musterten sich gegenseitig, jeder abschätzend, wie der Krieg und die Verletzungen den anderen verändert hatten. Ihr Gesicht war unversehrt, der Körper ab dem Hals von einem eng anliegenden Rollkragenpullover und einer Jeans bedeckt. Nur aus den Ärmeln wanden sich wie feine silbrige Tentakel die Narben des Vampirfeuers und krochen bis über ihre Handflächen.
»Alina, dieser Mann will dich aus deinem Vertrag loskaufen.«
Sie antwortete nicht auf Herberts Worte, starrte Alexander nur an. Fragte sie sich, warum er sich so viel Zeit gelassen hatte? Warum er sie nicht direkt aus dem Krankenhaus geholt hatte, statt sie beinahe ein Jahr lang für ihre Behandlung arbeiten zu lassen?
»Du weißt, dass du nicht einwilligen musst. Durch deine Spezialaufträge brauchst du bestenfalls noch ein halbes Jahr, bis du schuldenfrei bist.«
Es ärgerte Alexander, dass dieses Kaninchen sich einzumischen wagte. Was glaubte dieser Kerl eigentlich? Er hatte einen Schritt in den Raum hinein gemacht, als Alina auf ihn zugetreten war, doch nun wandte er sich wieder dem Tresen zu.
»Ist schon gut.« Alina schob sich zwischen ihn und Herbert.
Als ob es dieser Sesselfurzer verdient hätte, beschützt zu werden!
Sie streckte den Arm aus, zog die Genehmigung zu sich, las sie durch, sah sich die angefügten Formulare an, unterschrieb an den entsprechenden Stellen.
»Du hast das nicht nötig«, versuchte Herbert es noch einmal, während sie mit ihrer schwungvollen Handschrift eine Signatur nach der anderen auf die verschiedenfarbigen Blätter setzte. »Wie kannst du dich diesem Kerl nur ausliefern? Hast du dir seine Adresse angesehen? Schattseite! Allein der Name sagt schon alles.«
»Allerdings. Das Dorf liegt auf der Schattenseite eines Gebirgstals, die man in Österreich Schattseite nennt. Und wie viele andere Orte auch, ist er nach seiner Lage benannt worden.« Es kostete Alexander alle Mühe, ruhig zu antworten.
»Es wird schon seine Gründe haben, warum sich diese Leute in den Schatten verkriechen. Man hört einiges.« Herbert sah Alexander nicht an und sein Tonfall hätte wunderbar zu einem englischen Butler gepasst.
»Natürlich versuchen Vampire, die Sonne möglichst zu vermeiden.«
»Natürlich. Ich verstehe.« Herbert beugte sich vor und brachte seinen Kopf näher an Alina heran. »Es gibt Gerüchte. Darüber, wie sie in diesem Tal mit Menschen umgehen. Wer weiß, was dieser Kerl mit dir macht? Womöglich sperrt er dich in irgendeinen finsteren Keller!«
Doch Alina war bereits beim letzten Blatt angelangt und schob Herbert das für die Blutzentrale gedachte Formular hin. Sie wirkte vollkommen gelassen. Ganz im Gegensatz zu Alexander. In ihm kochte es. Er hasste diesen kleinen Möchtegernvampir, der sich vor seiner Nase von Minute zu Minute mehr aufspielte. Es wurmte ihn, dass er ihm nichts tun durfte. »Meinen Keller brauche ich selbst!«, konnte er sich jedoch nicht verkneifen, während er ihm die Kreditkarte hinschob.
»Ich nehme an, du möchtest gleich los?« Alina. Sachlich. Vernünftig.
»Ja.« Auch dieses Wort glich mehr einem Knurren.
Alina ignorierte den Tonfall. Kein Muskel in ihrem Gesicht zuckte. »Ich packe nur schnell meine Sachen zusammen. Dauert nicht lange, ich habe nicht viel.«
Sie verschwand unter dem Torbogen, durch den sie den Empfangsraum betreten hatte. Herbert murmelte vor sich hin. Alexander glaubte etwas von verrohten Sitten, barbarischen Gebräuchen und vom freien menschlichen Willen zu verstehen. Sollte Herbert nur denken, was er wollte. Alexander berührte es nicht. Er wollte nur so schnell wie möglich weg.
Zum Glück brauchte Alina nicht lange. Bereits wenige Minuten später tauchte sie mit einer Tasche auf, als ob sie auf ihre Abreise bereits vorbereitet gewesen wäre. Sie verabschiedete sich von Herbert, der ihr noch einmal versicherte, es gäbe sicherlich Wege, den Vertrag rückgängig zu machen. Ob sie nicht doch mit der Direktorin sprechen wolle? Alina schüttelte den Kopf. Ob sie nicht wenigstens warten wolle, bis der Zahlungseingang bestätigt sei? Die Welt sei voller Betrüger. Doch auch auf diese Frage schüttelte Alina nur den Kopf.
»Keine Sorge, Herbert. Ich kenne ihn.«
»Ist das alles«, fragte Alexander, als Alina ihre Tasche auf den Rücksitz des Wagens schob.
Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Die linke schob sich ein wenig weiter in die Stirn, als die rechte, sodass sich über ihr eine kleine, nach oben gewölbte Falte bildete. Gregor war immer mit dem Daumen über diese Stelle gestrichen, hatte sie geglättet, war dann dem Bogen der Augen bis zu den Wangen gefolgt und hatte sie geküsst. Ob Alina sich auch gerade an diese Momente erinnerte? Denn ein Schatten huschte über ihr Gesicht und ihre Züge wurden ausdruckslos.
»Hier braucht man nicht viel«, sagte sie sachlich und ging zur Beifahrertür.
Auf den Straßen war nicht viel los. Das lag nicht an der Uhrzeit, sondern an der Tatsache, dass durch den Krieg das Benzin knapp geworden war. Noch ein Grund mehr, warum Alexander Gregors Geld brauchte. Er liebte es, mit dem Auto durch die Gegend zu kutschieren. Einfach so. Nur zum Spaß. Ein Spaß, der ihn von Jahr zu Jahr mehr Geld kostete.
Und Nerven! Man konnte nicht mehr so einfach Hunderte Kilometer fahren. Das Land war in unzählige Gebiete aufgeteilt. Jedes hatte seine eigenen Bestimmungen, was das Verhältnis zwischen Menschen und Vampiren betraf. Ständig gab es Grenzkontrollen, in manchen Orten waren Vampire überhaupt nicht zugelassen, in anderen die Menschen nicht mehr als unmündige Blutspender, die meisten lagen irgendwo dazwischen. Auch beim Verlassen von Wien musste er sich einer Kontrolle stellen. Uniformierte Beamte sahen die Papiere genauestens durch und stellten Alina eine Reihe von Fragen, um sicherzustellen, dass sie die Stadt nicht gegen ihren Willen verließ.
Klar, ich habe sie entführt! Deshalb sitzt sie auch ungefesselt auf dem Beifahrersitz, hätte Alexander gern geschrien. Doch er sagte nichts, ließ zu, dass in Alinas Augen geleuchtet und ihr Atem auf Drogen kontrolliert wurde.
Sie war ruhig, gefasst und freundlich zu den nervtötenden Beamten, die Alexander am liebsten auf den Mond geschossen hätte. Sie ist etwas Besonderes, hatte Gregor immer gesagt. Verdammt! Wenn es nicht so wäre, hätte Alexander auf die ganze Kohle verzichtet, die er nur bekam, wenn er Alina bei sich wohnen ließ. Sie war der einzige Mensch, bei dem er sich vorstellen konnte, seine Nähe länger als fünf Minuten zu ertragen. Und sie hatte Gregor ebenso geliebt wie er.
Jetzt saß sie still neben ihm und starrte in die Nacht hinaus. Ob sie wohl an Gregor dachte? Sie hatte zu ihm gehalten, auch als er sich verwandelte und sie nicht. Nur Menschen mit der Blutgruppe AB positiv sprachen auf die genetische Modifikation von Professor Hildebrand an. Ein verschwindend geringer Prozentsatz, könnte man meinen. Dennoch waren es genug, um die ganze Weltordnung umzukrempeln. Nachbarn hatten sich ebenso gegeneinander gewandt wie Verwandte oder Ehepartner. Liebespaare wurden zu Todfeinden und Geschäftsbeziehungen zerbrachen ebenso wie private.
Und das alles nur wegen eines modifizierten Impfstoffs! Kein Wunder, dass Professor Hildebrand von den Wesen, die er geschaffen hatte, im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft zerrissen worden war. Ein Fehler, wie manche inzwischen behaupteten. Denn so konnte man ihn nicht mehr dazu zwingen, ein Gegenmittel zu erfinden.
Alexander sah auf die Uhr. Noch sechs Stunden bis Sonnenaufgang. Wenn nichts dazwischenkam, sollte er es problemlos bis Schattseite schaffen.
Alexander gab Gas, reduzierte das Tempo jedoch sofort wieder, als Schlaglöcher den Wagen hüpfen ließen. Es gab nicht nur weniger Autos, es gab auch weniger Geld für die Straßen.
Alina atmete gleichmäßig. Ihr Kopf lehnte am Fenster. Schlief sie? Eine Strähne hatte sich aus ihrem Knoten gelöst und lag auf ihrer Wange. Einen Augenblick lang verspürte er den Impuls, hinüberzugreifen und sie ihr aus dem Gesicht zu streichen. Aber nein, er war nicht Gregor und er fasste Menschen nur an, wenn es sich nicht vermeiden ließ.
Nach einer Weile bewegte sie sich wieder, wischte die Strähne mit einer ungeduldigen Handbewegung fort. Dann seufzte sie leise, rutschte ein wenig auf dem Sitz herum und schloss Minuten später wieder die Lider. Sie hatte immer schon unbedarft in der Nähe von Vampiren geschlafen. Auch jetzt wirkte sie entspannt, doch unter ihren Augen lagen tiefe Schatten. Bereiteten ihr die Verbrennungen immer noch Schmerzen? Oder war sie im Blutzentrum gefordert gewesen? Alexander fragte sich, von welchen Spezialaufträgen Herbert gesprochen hatte. Normalerweise ging es in Blutzentren tatsächlich nur um Blut. Entweder um Konserven oder um das Trinken direkt vom Menschen. Manche Vampire hatten dabei recht abartige Gelüste. Ob es nun um die Stelle ging, von der sie trinken wollten, oder um die Aktivitäten, mit denen sie das Trinken verbanden. Für viele war es ein echter Kick, Blut und Sex zu verbinden. Menschen, die sich dazu zur Verfügung stellten, wurden sicher extra bezahlt. Aber Alina? Nein, das war unvorstellbar.
Im Kegel der Scheinwerfer wurde etwas Dunkles auf der Straße sichtbar. Er trat auf die Bremse. Zuerst dachte er, es wäre ein Schlagloch. Doch dann sah er, dass jemand auf der Fahrbahn lag. Alexander lenkte den Wagen auf den Seitenstreifen, blieb jedoch nicht stehen. Gerade in den ländlichen Gegenden trieben häufig Banden ihr Unwesen. Zu oft schon hatte jemand seinen Wagen oder gar sein Leben verloren, weil er helfen wollte.
Langsam fuhr er weiter, sah dabei immer wieder in den Rückspiegel. All seine Sinne waren angespannt. Man hörte immer wieder von radikalen Vampiren, die Straßensperren errichteten, um Reisende auszuplündern. Benzin galt als ebenso begehrte Beute wie Menschen. Es gab aber auch Menschen, die sich mit dem Ziel zusammenrotteten, jeden Vampir zu vernichten, dessen sie habhaft werden konnten.
Gerade, als Alexander doch anhalten wollte, sprang der vermeintliche Verletzte auf und reckte seine Faust in einer unmissverständlichen Geste in Richtung des entschwindenden Fahrzeugs. Alexander musste den ausgestreckten Mittelfinger nicht sehen, um den Sinn der Gebärde zu erkennen.
Waren sie eben noch durch hügeliges Land gefahren, so wurde es nun flach, während in der Ferne Berge in die Höhe ragten. Eine halbe Stunde später verengte sich die Ebene zu einem Tal. Ein von dichten Windungen aus Stacheldraht gekrönter Maschendrahtzaun wurde sichtbar. Neben der Straße stand ein Gebäude, das an einen mittelalterlichen Wehrturm erinnerte. Nicht umsonst. Es hatte denselben Zweck. Nur, dass der Kerl hinter den Schießscharten nicht mit Pfeil und Bogen, sondern mit einem Maschinengewehr bewaffnet war.