ROTE ERDE –
WEISSES GRAS
LUISA NATIWI
Biografischer Roman
nach dem authentischen Lebensweg
eines Hirtenmädchens aus Uganda
Co-Autor: Günther Döscher
KADERA-VERLAG
Luisa Natiwi
Rote Erde – weißes Gras
Mein Nomadenleben · Biografischer Roman
Co-Autor: Günther Döscher
Die Handlung orientiert sich am authentischen
Lebensweg der Autorin; aus persönlichkeitsrechtlichen
Gründen wurden Namen und Szenen zum Teil verändert
bzw. modifiziert.
Kontakt zur Autorin:
luisanatiwi@yahoo.de
© 2013
Kadera-Verlag, Norderstedt
www.kadera-verlag.de · verlag@kadera.de
Alle Rechte vorbehalten.
Cover-Portrait: Christiane Koch
Umschlaggestaltung und Vorsatz unter Verwendung
von Bildmaterial aus dem Fotolia-Stock (Krane /
Uwe Graf / Pixeltheater / DApics) und Privatfotos
der Autorin.
ISBN 978-3-944459-03-5 (Hardcover)
ISBN 978-3-944459-04-2 (e-Book mobi/Kindle – 3-teilig 07-3, 08-0, 09-7)
ISBN 978-3-944459-05-9 (e-Book ePUB)
Für meinen Vater, dem Häuptling
Isaak Lorika-Lotiang-Lotukoi von Toposa und Karamoja
und meine Mutter Foibe Keem Lopul
Für meine Kinder
Moses, Beatrace und Alexander
und meinen Bruder Jimmi
Mit Dank an den Klan, dem ich verbunden bin,
insbesondere Häuptling Hon. Minister a.D.
Edward Athiyo Lorika
In dankbarer Erinnerung an
Missionärin Silvia Burton, Canterbury,
meine Freunde in Deutschland
Luisa Natiwi
Leitsätze afrikanischer Weisheit:
Armut ist wie ein Löwe –
kämpfst du nicht, wirst du gefressen.
Wer auf einen Baum klettern will,
fängt unten an, nicht oben.
Nur im Vorwärtsgehen
gelangt man ans Ende der Reise.
Luisa Natiwi kam nur einmal in die Autorengruppe in Hamburg-Eppendorf. Es war nicht ihre Sache, was dort diskutiert wurde. Doch dass diese große schwarze Frau aus Uganda ihre eigene ungewöhnliche Geschichte in sich trug, das sah man ihr an. Eines Tages hatte ich ein paar Seiten ihres Lebens in meiner Mailbox. Als ich später bei ihr anrief, entschuldigte ich mich für die Bemerkungen und Fragezeichen, die ich in alter Gewohnheit in ihr Manuskript geschrieben hatte. Mein Hirn tickte noch journalistisch, auch wenn ich mich gerade aus dem Zeitungsalltag verabschiedet hatte, um der Phantasie mehr Raum zu geben. Und plötzlich war die Lust wieder da, etwas Wahres herauszufinden, was noch unter der Oberfläche verborgen war.
»Solch einen suche ich seit 2004«,, sagte Luisa Natiwi. »Richard von Weizsäcker sagte mir damals, dass mein Leben ein Stück Geschichte sei, dass ich es unbedingt aufschreiben müsse. Ich habe es ihm versprochen. Aber es muss mir jemand dabei helfen.«
Der Bundespräsident a.D. hatte die in einem Nomadenkral im kargen Nordosten Ugandas geborene Karamojong anlässlich der Africom-Auftaktveranstaltung in Berlin zum Tee eingeladen. Er erhielt von ihr einen kurzen und lebhaften Einblick in ihr Leben. Ein Weg aus der Steinzeit ins deutsche Wirtschaftswunder, auf dem Missionare, Kolonialherren, Lehrer-Studium, Diktator Idi Amin, Therapie in Deutschland, Rückkehr nach Uganda und Flucht zurück nach Deutschland die Meilensteine sind.
Es ist die Zeit des Umbruchs. Afrika will sich von der Fremdherrschaft befreien und gerät dabei in Konflikt mit den eigenen Völkern. Deutschland ist dynamisiert vom Aufbau nach dem Krieg und gleichzeitig in demütiger Wiedergutmachung. Es sind die Auswirkungen historischer Wandlungen, die im Alltags- und Familienleben von Luisa Natiwi zum Schicksal werden, im Glück wie im Unglück. Schmerzhaft dramatisch und exotisch romantisch. Manchmal kindlich naiv, dann unerbittlich brutal. Doch wie ein roter Faden zieht sich der unbändige Wille hindurch, jede Herausforderung zu bestehen.
Ein gutes Jahr lang arbeiteten wir im Team daran, die Ereignisse, Ängste und Freuden, die Bedrohungen und Erfolge in die Erinnerung zu holen. Auch längst Verdrängtes trat hervor und löste mitunter Tränen aus. Doch hin und wieder leuchteten Luisas Augen auch freudig auf. Ihr Leben ist ein Spiegel der Verhältnisse zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarben, Völker und Kulturen – mögen die positiven Seiten ein Vorbild sein.
Ich danke Luisa Natiwi dafür, dass ich an der Darstellung ihres Lebensabschnitts von 1952 bis in die 80er-Jahre mitwirken durfte. Mein Wunsch ist es, dass meine Nachfragen aus »weißer Perspektive« sowie eine erweiternde Recherche zum Verständnis für Afrika beitragen. Und das insbesondere für den Norden Ugandas – dem Gebiet, in dem unsere Gene ihre Urheimat haben.
Günther Döscher
Autor im Duo mit Luisa Natiwi
»Es ist ein Mädchen«, sagt Alima.
Im Schein des Hüttenfeuers zieht sie den letzten Knoten der Lederstreifen fest und greift zum Messer, um die Nabelschnur zwischen Mutter und Kind zu durchtrennen.
»Meine Tochter ... Sie lebt ... Lebt sie?«, fragt Foibe.
Alima schweigt.
Foibe atmet schwer, ihre Stimme zittert, sie wimmert leise: »Sag’ es! Ist auch sie verloren?«
Alima hört es kaum, sie ist mit dem Kind beschäftigt und kann sich nicht um Foibes Tränen kümmern, deren Töchter Ayopa und Illukol bereits zu schwach waren, auch nur eine Woche zu überstehen. Sechs weitere Kinder verlor Foibe in den ersten Monaten der Schwangerschaft. Wie konnte sie nur Lorikas liebste Frau sein. Wie lange noch? Vierzehn Jahre war sie alt, als sie seine sechste Frau wurde.
Foibe versucht, im Schein der Kuhdungfackel eine Antwort im angespannten Gesicht der Vogelmutter zu lesen. »Ich bringe Lorika kein Glück«, seufzt sie. Alimas kurzes Streicheln spürt sie nicht, in ihr ist nur Schmerz und Verzweiflung.
Dann ein zaghaftes Klagen – jetzt ein Hilfe suchender Schrei! Er zuckt wie ein Blitz durch die Körper der beiden Frauen. Ein Kind, das zum ersten Mal die Luft der Savanne atmet und die liebende Fürsorge seiner Mutter fordert.
»Sie lebt!« Alimas Anspannung fliegt davon, sie lacht.
In Foibes Tränen glitzert die Freude. Ihr Schmerz ist fort.
»Sie lebt! Sie lebt! Meine Tochter lebt! Schrei, meine Kleine! Schrei!«
Mit glücklichen Augen schaut Foibe zu, wie Alima das weinende Baby in den Holzbottich legt, der mit Ziegenmilch und reinigenden Kräutern gefüllt ist. Diesmal soll es nicht vergeblich sein. Seit Sonnenuntergang hatte Alima der jungen Mutter während ihrer Wehen beigestanden. Eine lange Nacht mit banger Sorge, es würde so wie immer sein. Diesmal nicht!
»Es ist ein zartes Mädchen«, sagt Alima, »aber ich fühle die Stärke, die es in sich trägt. Es wird nie Mangel haben.«
Foibe lächelt. Jetzt kann sie ihre Ekal gründen, ihre eigene mütterliche Einheit in der Ere Lorikas, seiner Gesamtfamilie mit seinen sechs Frauen. »Wir werden ein Fest feiern!« Dann beißt sie die Zähne aufeinander, krümmt sich, und presst die Nachgeburt heraus.
***
Immer, wenn Alima mir erzählte, wie ich auf die Welt kam, spürte ich die Ziegenmilch auf meiner Haut, roch ich die Kräuter und den Rauch der Fackeln. Dieses Mädchen bin ich! Ich, die Tochter von Lorika und Foibe, seiner sechsten Frau. Eine Handvoll Mensch, kaum sichtbar im Dunkel der Ziegenhütte irgendwo in Karamoja. Alima musste es mir immer wieder erzählen. Sie war die Totoalokuolong, die Vogelmutter unseres Klans. Sie war Hebamme und Medizinfrau und kannte von allen Kindern die Geschichte ihrer Geburt. Sie war die älteste Wächterin des weiblichen Lebenstores. Sie hatte die Kinder von mehr als einer Generation aus den Leibern ihrer Mütter gezogen und die Mädchen zur Frau geschnitten. Die Mädchen liebten sie vor und nach dieser schmerzhaften Prozedur, denn nur so hatten sie das Recht auf einen Mann, vielleicht einen von jenen Jungen, denen Alima ebenfalls mit einem peinigenden Schnitt ihre Mannbarkeit gab.
Es war wichtig, dass Alima all das immer wieder erzählte. So wusste jede andere Frau, was zu tun sei, wenn sie diese Aufgabe einmal nicht mehr ausführen konnte. Und weil ich es immer wieder von ihr hören wollte, erfuhr ich jedes Mal etwas mehr darüber.
Nachdem ich mit Ziegenmilch und Kräutern gereinigt an der Brust meiner Mutter lag, bedeckte Alima die Reste der Geburt mit Sand; später am Tag würde sie die älteren Mädchen anweisen, alles hinaus zu bringen. Prüfend ging sie noch einmal um das Feuer. Die Glut reichte über den Sonnenaufgang hinaus. Es war alles in Ordnung in der Hütte, die in den kalten Nächten der Regenzeit ein Unterschlupf für die Ziegen und Schafe war. Die lagen jetzt in der Mitte des umfriedeten Dorfes und erwarteten gemeinsam mit den Rindern den anbrechenden Tag.
Alima schob die Tür aus Flechtwerk beiseite, trat vor die Hütte und sog die kühle Morgenluft ein. Über den Hütten der Ere kräuselte sich der Rauch der verglimmenden Feuer, die nachts zum Schutz vor Raubtieren und Viehdieben brannten und die stechenden Insekten fern hielten.
Langsam ging Alima zur Hütte von Achiar, Lorikas vierter Frau, bei der er diese Nacht verbracht hatte. Sie spürte, dass es ihm einerlei war, ob Foibes Baby ein Junge oder ein Mädchen sein würde. Mädchen standen hoch im Wert, sie sicherten die Versorgung und mehrten den Reichtum des Klans, sie halfen der Mutter, sorgten sich um die Geschwister, sammelten Holz und gingen beim Bau der Hütten zur Hand. Die Jungen hingegen brachten keinen Brautpreis ein, sie wurden Krieger und Jäger, und sie sicherten den Fortbestand des Stammes. Allein deshalb sollte das Erstgeborene ein Junge sein. Alima ahnte, dass die anderen Frauen ihre Eifersucht gegenüber Foibe an diesem Mangel befriedigen würden, selbst wenn es jede von ihnen wünschte, dass unter ihren zehn Kindern nicht mehr als drei Jungen waren. Doch auf die Reihenfolge kam es an.
Lorika stand bereits vor der Hütte. Seine schwarze Haut glühte in der roten Morgensonne; dorthin ging sein Blick in die Weite der Savanne. Seine hohe muskulöse Gestalt hatte eine Strahlkraft, die Respekt forderte und Vertrauen verhieß. Er trug eine Kakiuniform, die ihn als Chief der Karamojong auswies. Die Briten hatten ihm diesen Titel und die Macht über den größten Teil der Provinz Karamoja verliehen. Er war fünf Jahrzehnte alt, das war mehr als ein Karamojong-Leben allgemein dauerte. Und immer noch ist er ein begehrenswerter Mann, stellte Alima für sich fest; sie konnte Foibes Liebe zu ihm nur zu gut verstehen.
»Du hast eine neue Tochter, Lorika!«, rief Alima. »Sie ist gesund und sehr zart.« Sie wartete auf seine Reaktion.
»Ich danke dir für deine Nachricht.« Mehr sagte Lorika nicht, doch Alima las in seinen Augen nur Erleichterung. »Sie wird den Namen meiner Mutter tragen, die über sie gewacht hat. Meine Tochter heißt Natiwi.«
Lorikas Eltern waren vom Stamme der Toposa und im Kampf um den südlichen Sudan, der sich ab 1898 über Jahre hinaus bis in den Norden Ugandas und Kenias sowie Äthiopien ausweitete, ums Leben gekommen. Zehn Jahre war Lorika alt, als er mit seiner achtjährigen Schwester Nakenoi flüchtete, – ohne Ziel, sie folgten dem Wind. Er war darin geübt, im Buschland zu überleben und auf Bäumen zu schlafen. Er kannte keine Angst vor den Tieren, doch gegenüber den Kriegern und Söldnern fürchtete er um ihr nacktes Leben. Die Geschwister versteckten sich im hohen Gras, doch als Askari-Jäger darin Hasen jagten, richtete sich Lorika auf, um seine kleine Schwester vor deren Pfeilen zu schützen. Die Askari dienten als schwarze Wachsoldaten in der britischen Armee. Sie waren bewegt von der Tapferkeit Lorikas und hoben die erschöpften Kinder auf einen Esel, der sie zum englischen Offizier Baba Musung – »der weiße Papa« – brachte. Der hatte ein Herz für in Not geratene Kinder und hatte ein Lager für sie eingerichtet. Und dennoch raubten Sklavenhändler die kleine Schwester Nakenoi, um sie zu verkaufen.
Lorika, den die Briten Issak tauften, arbeitete bald als Hausangestellter bei Baba Musung und erlernte in dieser Zeit die Sprachen Suaheli und Englisch, er wurde Bote und Übersetzer und erkundete schließlich als Spion für die Briten die Verhältnisse zwischen Arabien und Süd-Sudan. Die Briten befanden, dass er sich für das von ihnen als eigen betrachtete Land verdient gemacht habe und dass er zu mehr als alle anderen Schwarzen fähig sei. In Moroto begann seine Arbeit als Stammesführer für ein von den Briten umrissenes Gebiet im Nordosten des Inneren Afrikas.
In Nabilatuk wurde Lorika als Häuptling von Zentral- und Süd-Karamoja sesshaft und gründete seine Familie. Seine von der Königin von England anerkannte Stellung machte es ihm möglich, nach seiner Schwester zu suchen: Ein Askari hatte sie heimlich erworben und zu seiner Frau gemacht. Lorika fand sie nach vielen Jahren in Nairobi in glücklicher Ehe und mit fünf Söhnen und drei Töchtern.
Später einmal wollte er alles seiner Tochter Natiwi erzählen. Sie sollte von ihm erfahren, welche Geschicke mit ihrem Namen verbunden waren und was er selbst getan hatte, damit sein Land und sein Volk nicht untergingen.
Achair kam aus ihrer Hütte und spürte aus Lorikas Haltung die gute Nachricht. »Mir scheint, Foibes Kind ist geboren.«
»Ich habe eine neue Tochter, sie ist gesund«, sagte Lorika. Jetzt erst lächelte er. »Wir werden ein Fest feiern.«
»Ich freue mich für Foibe. Sie hat genug geweint. Sie musste neunmal hoffen, jetzt hat es sich erfüllt«, sagte Achair.
Lorika nickte. Seit acht Jahren war Foibe ohne ein eigenes Kind, während seine älteren Frauen die Ere wachsen ließen. Dennoch hatte Foibe Mutterpflichten, denn sie versorgte sechs seiner Söhne, die nach dem Tod von Nayorr ohne Mutter waren. Nayorr war Lorikas zweite Frau und die Schwester von Foibes Vater Askari Namujakware. Als Lorika mit Foibe eine weitere Tochter dieses angesehenen Mannes zur sechsten Frau nahm, eroberte sie sein Herz mit der quirligen Lebensfreude ihrer Jugend. Sie war zur Hochzeit vierzehn Jahre alt und blieb seine Lieblingsfrau, auch wenn er es vor den anderen Frauen zu verbergen suchte, denn sie hatten ein Recht darauf, dass er alle in gleichem Maße liebte.
»Ich werde Foibe in den nächsten Tagen ein Geschenk bringen«, sagte Achiar. Sie fühlte mit ihr, denn auch ihr gingen zwei Kinder bei der Geburt verloren.
Zufrieden nickte Lorika. »Die nächste Nacht werde ich bei Nakut schlafen. Sage es ihr.«
»Ja«, sagte Achiar, »wir werden uns noch an diesem Morgen treffen; wir wollen Gras schneiden und es trocknen, um die Dächer ihrer Ekal-Hütten auszubessern.«
***
Alima steckte ihren Kopf durch die offene Tür von Foibes Geburtshütte und wischte sich mit der Hand über die Stirn. »Die Hitze hier drinnen ist unerträglich. Ich gehe gleich zum Fluss und werde dir Wasser holen.«
Foibe kaute mit herabgezogenen Mundwinkeln auf ihrem Essen. »Es ist nicht allein die Hitze«, sagte sie.
»Schmeckt dir heute der Hirsebrei nicht?«
»Alima, du machst den besten Hirsebrei«, sagte Foibe, »aber nach zwanzig Tagen...«
»Der Mond ist bald wieder voll, dann hat auch dein Kind genug Lebenskraft entwickelt«, tröstete Alima. »Sieh nur, wie gut der Brei deinem Kind bekommt. Es sieht glücklich aus, weil nichts in deiner Milch ist, was es krank macht. Und für dich habe ich den Brei mit dem Wasser zubereitet, in dem die Ebobore-Früchte eingelegt waren. Bald wirst du wieder so schlank sein wie vor der Geburt.« Dann rief sie den Hund, der draußen herumschnüffelte. »Lociolocio! Komm in die Hütte und lecke die kleine Natiwi rein.«
Und während der Hund mit seiner weichen Zunge den Babypo ableckte, lachte Alima: »Da siehst du’s! Der Brei ist eine gute Speise.«
Foibe lächelte zurück. »Ja – und bald komme ich hier heraus. Wenn ich daran denke, bekomme ich Appetit auf Emmuna, ich habe Heißhunger auf diesen Geschmack aus Fleisch, Frucht und Butter, ich freue mich auf das Fest, das Lorika versprochen hat. Vor allem aber möchte ich ihm endlich seine Tochter zeigen. Er hat ihr den Namen gegeben, er soll sie nun auch berühren. Ich möchte diese Hütte den Ziegen zurückgeben. Natiwi stört es ja nicht, aber ich träume jede Nacht davon, bald meine eigene Hütte zu bauen.«
In den vergangenen Tagen waren alle älteren Frauen auf einen Besuch zu Foibe gekommen, um ihr Geschenke zu bringen. Meistens waren es Früchte und zubereitete Speisen, doch der Tradition entsprechend verschenkte Foibe alles weiter an die Kinder des Dorfes. Ohnehin durfte sie ja nicht davon essen.
Und ich, die kleine Natiwi, meldete nun mit schon viel kräftigerer Stimme meinen Hunger an.
So hat es mir Alima viele Male erzählt.
Meine Mutter legte mich an die Brust und redete sanft mit mir: »Trink nur, mein kleiner Schatz! Nur noch ein paar Tage, dann wirst du der Mittelpunkt des großen Festes sein und gewaschen und mit bunten Tüchern geschmückt erhältst du deinen Namen.«
Satt und zufrieden schlief ich an der Brust der Mutter ein. Ich erwachte auch nicht, als Mutter mich an die Schulter legte und mir den Rücken klopfte, um den Rülpser hervorzulocken, der mich vor Bauchkneifen bewahren sollte.
Foibe verspürte nun selbst großen Durst. Das unentwegt in der Hütte brennende Feuer schützte zwar vor Krankheit aus der Luft und vor Insekten, aber es unterstützte die Sonne auf schweißtreibende Weise.
Alima hob eine große Kalebasse auf ihren Kopf und winkte Foibe zu. Sie wollte zum Nabilatuk-Fluss gehen, um Wasser zu holen. Lomujai und Didi, zwei der Stiefsöhne, für die Foibe die Mutterpflichten übernommen hatte, sollten sie begleiten.
Es machte ihr Spaß mit den beiden, die mit lautem Kichern am Wasserloch halfen, die Kalebasse zu füllen. Sie streiften durch das Unterholz und naschten schmatzend von den Ebobore-Bäumen. »Esst sie nicht alle auf!«, rief Alima. »Wir brauchen sie für das Geburtsfest für Foibe und ihr Baby.«
»Meinst du, dass wir das Fest wirklich feiern?«, fragte Didi. »Die Leute im Dorf sagen, das Kind wird sterben. Außerdem ist es kein Junge!«
Das versetzte Alima einen Stich. Foibe hatte die Hütte noch nicht verlassen und doch spotteten die Leute. Sie unterdrückte aber ihre Wut und besann sich darauf, dass Frauen stets vermittelnd und Frieden stiftend sein sollten. »Du hast dich verhört, kleiner Lauscher«, neckte sie Didi. »Jetzt musst du zur Strafe besonders fleißig Beeren sammeln. Und ich brauche noch sehr viel Ngakalio und Ngaboborio, wenn ich euch hungrige kleine Löwen satt bekommen will.« Sie lachten, ihr war die Wende gelungen. Die Jungen suchten in den Büschen nach den gewünschten Kirschen und Feigen.
Als sie zurück bei Foibe in der Hütte waren, berichtete ihr der achtjährige Didi, was sonst noch passiert war: »Lomujai hat ein Kaninchen gefangen! Ich habe ihm gezeigt, wie man die Schlingen knüpft. Er kann es bald so gut wie ich!« Stolz blickte er auf seinen jüngeren Bruder; seit dem Tod ihrer Mutter waren sie unzertrennlich. »Bald dürfen wir mit den Hirten zum Awui, statt im Dorf zu bleiben!« Das Savannencamp lockte sie wie ein großes Abenteuer.
»Gefällt es euch denn nicht, an allen Töpfen im Dorf zu naschen und fast ohne Pflichten mit den anderen Jungen zu spielen und Wettkämpfe zu bestehen?« fragte Alima.
Lomujai schmollte: »Richtige Wettkämpfe machen doch nur die Großen.« Und Didi erklärte: »Den kleinen Jungs im Dorf laufen wir doch schon lange davon. Und das Spiel mit Steinschleudern oder Pfeil und Bogen gewinnen wir auch immer.« Es dürstete sie nach neuen Herausforderungen.
»Bald werde ich einen Löwen töten oder Rinder stehlen. Dann bin ich ein richtiger Mann«, freute sich Lomujai.
»Das hat noch etwas Zeit«, lachte Alima und wies auf die bevorstehende Beschneidung hin: »Die Asapan hat auch ihren Schmerz. Es tut auch ziemlich weh, das hast du doch schon gesehen.«
»Ich habe keine Angst vor deinem Messer!« rief Lomujai.
***
»Hat sie das gesagt?«
»Mach dir nichts draus«, sagte Alima. »Am Ende zählt nur, was Lorika sagt und denkt, und der steht zu dir.« Sie wandte sich zum Gehen: »Mich rufen die Vorbereitungen zu deinem Fest. Lass dich noch ein wenig verwöhnen, in ein paar Tagen hat die Faulheit auch für dich ein Ende. Deine kleinen Raubtiere wollen sich dann wieder bei dir den Bauch vollschlagen.«
»Ngiros ältester Sohn schläft bei ihnen. Er ist ja schon ein junger Krieger und sehr umsichtig. Das Abendessen bekommen sie von Ngiro. Unsere erste Mutter ist sehr gastfreundlich, und Lorika liebt sie auch so sehr.«
Alima war davon überzeugt, dass ich für unseren Klan viel Glück bedeutete, denn die Regenzeit brachte in diesem Jahr viel Wasser in den Fluss und machte die Savanne grün. Es verging ein sorgloses Jahr für Mensch und Tier. Selbst als die Heuschrecken über das grüne Land herfielen, war dies nur eine kurze Not, denn neuer Regen ließ frische Blätter und Halme sprießen, bevor Mensch und Tier Hunger litten. So waren die Heuschrecken eine willkommene Abwechslung in der Ernährung, denn sie machen satt und schmecken wie Erdnüsse, ohne dass es der Mühe des Anpflanzens bedurfte. Ich kann nicht erinnern, dass es jemals wieder so war, wie man es von diesem Sommer erzählte.
In Karamoja waren üppige Regenzeiten selten. Sie waren die Markierungen in unserem Erinnerungskalender. In manchen Jahren blieb der Regen ganz aus und alles, was lebte und wuchs, litt schwer unter der Dürre. Dann verloren sich die ungeschriebenen Gesetze des Zusammenlebens und jede Familie und auch jeder Einzelne war sich selbst verpflichtet. Niemand achtete mehr darauf, was der Anderen Gut und Leben war.
Mein Vater Lorika wusste, dass dies für ihn eine schwierige Zeit werden würde. Er war ein mächtiger Mann geworden, vor dem die Leute ihren Blick senkten. Niemand wagte es, ihm zu widersprechen. Wenn er mit der Zunge schnalzte, verstummten sogar die Ziegen. Wenn er im Palaver schweigend zuhörte und jedem Einzelnen lange und ernst in die Augen blickte, dann gab es keinen mehr, der nicht wusste, was er forderte und was zu tun sei. Auch wenn ihr Zorn nach Vergeltung schrie und ihre Wut kaum zu bändigen war – sie konnten sich darauf verlassen, dass sein Spruch der gerechte Weg war. So hatte er es von Baba Musung gelernt und für richtig befunden, auch wenn es nicht das Gesetz aller Weißen war und auch nicht das der Schwarzen. Vielleicht gerade deshalb.