ROTE ERDE –
WEISSES GRAS
LUISA NATIWI
Co-Autor: Günther Döscher
Biografischer Roman
nach dem authentischen Lebensweg
eines Hirtenmädchens aus Uganda
Teil III
Zweimal zurück
KADERA-VERLAG
Luisa Natiwi
Rote Erde – weißes Gras
Mein Nomadenleben in zwei Welten · Biografischer Roman
Co-Autor: Günther Döscher
Die Handlung orientiert sich am authentischen Lebensweg der Autorin;
aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen wurden Namen und Szenen
zum Teil verändert bzw. modifiziert.
Kontakt zur Autorin:
luisanatiwi@yahoo.de
© 2013
Kadera-Verlag, Norderstedt
www.kadera-verlag.de · verlag@kadera.de
Alle Rechte vorbehalten.
Cover-Portrait: Christiane Koch
Umschlaggestaltung und Vorsatz unter Verwendung von Bildmaterial aus dem
Fotolia-Stock (Krane / Uwe Graf / Pixeltheater / DApics) und Privatfotos der Autorin.
ISBN 978-3-944459-03-5 (Hardcover)
ISBN 978-3-944459-04-2 (e-Book mobi/Kindle – 3-teilig -07-3, -08-0, -09-7)
ISBN 978-3-944459-05-9 (e-Book ePUB)
Für meinen Vater, dem Häuptling
Isaak Lorika-Lotiang-Lotukoi von Toposa und Karamoja
und meine Mutter Foibe Keem Lopul
Für meine Kinder
Moses, Beatrace und Alexander
und meinen Bruder Jimmi
Mit Dank an den Klan, dem ich verbunden bin,
insbesondere Häuptling Hon. Minister a.D.
Edward Athiyo Lorika
In dankbarer Erinnerung an
Missionärin Silvia Burton, Canterbury,
meine Freunde in Deutschland
Luisa Natiwi
Leitsätze afrikanischer Weisheit:
Armut ist wie ein Löwe –
kämpfst du nicht, wirst du gefressen.
Wer auf einen Baum klettern will,
fängt unten an, nicht oben.
Nur im Vorwärtsgehen
gelangt man ans Ende der Reise.
»Eine Karamojong!« So titelten wir den ersten Teil des dreiteiligen Lebensberichts »Rote Erde – weißes Gras«. Luisa Natiwi wächst in Karamoja auf, der kargen Hochebene im Nordosten Ugandas. Sie trägt den Stolz und den Lebenswillen ihres Vaters Lorika in sich, der von den englischen Kolonialherren zum Gebiets-Häuptling eingesetzt wurde. Ein Pfeil aus dem Hinterhalt beendet sein Leben. Sechs Frauen verlieren ihren Mann, Schwestern und Brüder werden neu zugeordnet. Als achtjähriges Hirtenmädchen erlebt Natiwi ihren zweiten Schicksalsschlag, als sie des nachts von einer Hyäne angefallen wird. Missionare entdecken das todgeweihte Kind und pflegen es gesund. Natiwi lernt die Sprache der Weißen, lernt lesen und schreiben, tritt ihrer Religion bei und besucht ein Lehrer-College. Sie wird die erste Lehrerin ihres Stammes. Idi Amin, gerade an die Macht geputscht, findet Gefallen an ihr – doch sie nicht an ihm. Als sie Husten bekommt, wird sie aus Furcht vor der Rinder-Tuberkulose gemieden. Sie vertraut einem deutschen Journalisten, der ihr Hoffnung auf Heilung in Deutschland vermittelt. Sie opfert ihr Erbe und fliegt nach Frankfurt...
Im zweiten Teil – »Lernen Leben Lieben« – öffnet sich für Luisa Natiwi eine neue Welt. »Weißes Gras«, ist ihr erster Eindruck, als sie am 24. Dezember 1975 aus dem Zugfenster in die weiß verschneite Landschaft zwischen Frankfurt und Mainz blickt. Mit manchmal kindlichem Erstaunen erlebt sie die Welt der Weißen. Gesund will sie zurück in die Heimat – doch Freunde raten ihr davon ab – in Uganda herrscht ein grausamer Diktator: Idi Amin. Doch auch in Deutschland ist das Leben trotz vielfältiger Hilfe nicht einfach. Luisa Natiwi gerät in Abschiebehaft, doch bald darauf in der Hotelfachschule. Sie lernt das Leben und die Liebe kennen, die für sie nicht schwarz-weiß sein darf. Mit einem ugandischen Arzt beginnt schließlich ein afrikanisches Familienleben in Deutschland. Eines Tages reist Ehemann Sam zu seiner kranken Mutter in Uganda – und kehrt nicht zurück. Eine Mutter mit drei Kindern sucht nach einem Ausweg...
»Zweimal zurück« ist jetzt der dritte Teil aus dem Leben von Luisa Natiwi überschrieben. Sie sucht einen Ausweg aus ihrer Situation, packt die Sachen und reist ihrem Mann mit den drei Kindern nach. Alles wird anders als sie es sich erträumt hatte...
***
Luisa Natiwi kam nur einmal in die Autorengruppe in Hamburg-Eppendorf. Es war nicht ihre Sache, was dort diskutiert wurde. Doch dass diese große schwarze Frau aus Uganda ihre eigene ungewöhnliche Geschichte in sich trug, das sah man ihr an. Eines Tages hatte ich ein paar Seiten ihres Lebens in meiner Mailbox. Das Manuskript weckte meine journalistische Neugier. Ich hatte Fragen zu ihrem Nomadenleben und wollte wissen, wie sie Deutschland sah.
»Solch einen suche ich seit 2004«, sagte Luisa Natiwi. »Richard von Weizsäcker sagte mir damals, dass mein Leben ein Stück Geschichte sei, dass ich es unbedingt aufschreiben müsse. Ich habe es ihm versprochen. Aber es muss mir jemand dabei helfen.«
Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker hatte Luisa Natiwi anlässlich der Africom-Auftaktveranstaltung in Berlin zum Tee eingeladen und erhielt dabei einen lebhaften Einblick in ihr Leben. Ein Weg aus der Steinzeit ins deutsche Wirtschaftswunder, auf dem Missionare, Kolonialherren, Lehrer-Studium, Diktator Idi Amin, Therapie in Deutschland, Rückkehr nach Uganda und Flucht zurück nach Deutschland die Meilensteine sind.
Es ist die Zeit des Umbruchs. Afrika will sich von der Fremdherrschaft befreien und gerät dabei in Konflikt mit den eigenen Völkern. Deutschland ist dynamisiert vom Aufbau nach dem Krieg und gleichzeitig in demütiger Wiedergutmachung. Es sind die Auswirkungen historischer Wandlungen, die im Alltags- und Familienleben von Luisa Natiwi zum Schicksal werden, im Glück wie im Unglück. Schmerzhaft dramatisch und exotisch romantisch. Manchmal kindlich naiv, dann unerbittlich brutal. Doch wie ein roter Faden zieht sich der unbändige Wille hindurch, jede Herausforderung zu bestehen.
Ein gutes Jahr lang arbeiteten wir im Team daran, die Ereignisse, Ängste und Freuden, die Bedrohungen und Erfolge ihre Erinnerung zu holen. Auch längst Verdrängtes trat hervor und löste mitunter Tränen aus – oft auch vor Freude leuchtende Augen. Luisa Natiwis Leben ist ein Spiegel der Verhältnisse zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarben, Völker und Kulturen.
Mit diesem dritten Band beschließen wir einen Lebensabschnitt von rund dreißig Jahren mit seinen grausamen und beklemmenden Tiefen, aber auch mit den glücklichen Tagen. Es war nicht unsere Absicht, einen Thriller zu schreiben. Es galt weder einen Schatz zu heben, noch eine einzige übermächtige Bedrohung zu bezwingen. Wir erfassten das Leben, in dem immer die Hoffnung auf einen Schatz vorhanden war – und in dem es immer wieder brutal und ausweglos um das nackte Leben ging. So oft, dass es das Leben selbst war. »Ich meine, wir sollten es bei den Sachbüchern einordnen«, meinte einmal eine Lektorin. Sie hat ja recht – denn das möchten wir erreichen: Ein bisschen mehr gegenseitiges Verständnis zwischen Weiß und Schwarz und Schwarz und Weiß.
Ich danke Luisa Natiwi dafür, dass ich an der Darstellung ihres Lebensabschnitts von 1952 bis in die 80er-Jahre hinein mitwirken durfte. Mein Wunsch ist es, dass meine Nachfragen aus »weißer Perspektive« sowie eine erweiterte Recherche zur Vergegenwärtigung der Bedeutung Afrikas und seiner Völker in unserer Weltgemeinschaft beitragen. Und das insbesondere für den Nordosten Ugandas – dem Gebiet, in dem die Gene aller Menschen ihre Urheimat haben.
Günther Döscher
Autor im Duo mit Luisa Natiwi
»Es tut mir wirklich leid«, sagte der Mann am Bankschalter. »Ich kann Ihnen nichts auszahlen. Das Konto ist weit über seine Möglichkeiten hinaus belastet. Ihr Mann hatte zuletzt fünfzehntausend Mark abgehoben. Und dann waren da noch die üblichen Fälligkeiten.«
Ich sagte nichts, nickte dem Bankangestellten nur zu und versuchte ein Lächeln. Ich erwartete Post von Sam; er würde mir doch schreiben, sicher auch das Konto im Auge haben, er wird es in der Eile der Abreise vergessen haben. Wie lange aber wird er fort sein? Zwei Wochen oder zwei Monate? Vielleicht sogar ein halbes Jahr? Wenn er fünfzehntausend Mark mitnahm, hatte er für eine längere Zeit vorgesorgt. Sicher wollte er mir etwas davon geben. Er hatte es vergessen. Wovon sonst sollte ich denn mit den drei Kindern in dieser Zeit leben?
In meiner Not ging ich zu Marianne. Sie packte mir Brot, Butter, Milch und Eier in eine Tasche.
»Ein bisschen kann ich dir helfen, – so von heute auf morgen. Das ist aber keine Lösung für länger! Wir müssen zum Sozialamt.«
Dort schilderten wir Frauen die Situation.
»Afrikanische Männer!«, stöhnte die Angestellte. Sie blätterte in einem dicken Ordner mit Verordnungen. »Dafür gibt es keine Paragraphen«, stellte sie fest, ging zum Aktenschrank, las die Ordnerrücken. »Nichts!«, sagte sie.
Wir gaben ein jammervolles Bild, wussten nicht ein noch aus. Wenn es hier keine Hilfe gab, wo dann?
Ich zog ein Foto aus der Tasche, das ich Sam schicken wollte. Stella in der Mitte, rechts und links Beatrice und Alexander. »Das sind meine Kinder, sie sind zu Hause und möchten etwas zu essen haben. Ich habe doch nur ein bisschen Nachbarschaftshilfe.«
Die Sozialarbeiterin betrachtete das Bild. Stella und Beatrice lachen, das Baby Alexander ist zufrieden. Aber wie lange noch?
»Vielleicht weinen sie jetzt gerade vor Hunger?«, sagte ich.
»Ein Überbrückungsgeld – könnte es ein Überbrückungsgeld sein?«, fiel es Marianne ein.
»Für eine Woche«, sagte die Frau, »danach wird es schwierig. Fragen Sie doch mal beim Arbeitgeber Ihres Mannes nach.«
Daran hatte ich noch nicht gedacht. Ich schöpfte Hoffnung.
Zu Hause klingelte das Telefon. Es war der Leiter der Röntgenabteilung, er wolle nur daran erinnern: »Es sind noch einige private Sachen ihres Mannes im Krankenhaus. Wir möchten bitten, dass er sie abholt.«
»Kann es nicht dort bleiben, bis er wieder zurück ist? Er macht ja nicht Urlaub auf ewig.«
»Er ist ja nicht mehr in unseren Diensten«, sagte der Chef, stockte dann: »Wissen Sie das vielleicht gar nicht?«
Was hatte ich gehört? Hatte er seine Arbeit verloren? Und mir nichts davon gesagt?
»Sind Sie noch dran?«, fragte der Röntgenleiter.
»Ich komme heute noch selbst vorbei«, sagte ich, ohne auf die Frage einzugehen.
Getrieben von unheilvollen Ahnungen machte ich mich sofort auf den Weg. Was war geschehen? Warum hatte er mir nichts davon erzählt? Wo wird er arbeiten, wenn er zurückkommt? Wird die Not noch größer, wenn auch er hungrig ist?
»Bitte nehmen Sie Platz.« Der Chef der Röntgenabteilung begrüßte mich in seinem Dienstzimmer. Auf dem Schreibtisch stand ein offener Karton, den er mir entgegen schob. »Das ist alles. Persönliche Kleinigkeiten. Vielleicht nicht wichtig, aber wir können sie ja nicht einfach wegwerfen.«
»Warum hat er das denn nicht mitgenommen?«, fragte ich.
»Er war gar nicht mehr hier«, sagte der Röntgenleiter und drehte ein Schriftstück auf der Tischplatte. »Wenn Sie mir den Erhalt bitte quittieren wollen, Frau Samuel. Reine Formsache.«
»Er war nicht mehr hier?«, fragte ich verwundert.
»Nein«, sagte der Mediziner, »es ging dann wohl doch schneller als er es selbst gedacht hatte.«
Mir gingen wirre Gedanken durch den Kopf. »Was ging schneller? Was ist denn geschehen?«
»Sie wissen das nicht?«, staunte der Chef. »Er wollte doch zurück nach Uganda. War ein attraktives Angebot: Direktor des Militärkrankenhauses in Kampala! – Oh, durfte ich das vielleicht gar nicht wissen? Ein Staatsgeheimnis vielleicht ...« Er machte eine Pause und kratzte nachdenklich seinen weißen Kinnbart. »Nun ja, Sie sind ja seine Frau. Also – es ist ja möglicherweise eine geheime Kommandosache. Behalten Sie es für sich.«
»So geheim, dass er mir nichts davon sagte?«, stieß ich in meinem Erstaunen hervor.
»Ich kenne mich da nicht aus, Frau Samuel. Er hat gekündigt. Außerordentlich, er war ja noch unter Vertrag. Es müsste etwas schneller gehen, sagte er. Nun ja, wir wollen doch seiner Karriere nicht im Wege stehen.«
»Geheime Kommandosache ...«, wiederholte ich fassungslos.
»Vielleicht durfte er Ihnen gar nichts sagen – oder er wollte Sie nicht beunruhigen. Er wird Sie sicher bald nachholen«, beruhigte der Chef mich.
Ich saß wie versteinert vor dem Mann im weißen Kittel. War das alles wahr, was er sagte? Konnte es wirklich sein, dass Sam sich so davon gemacht hatte?
»Ich habe keine Nachricht von ihm. Er hat keine Adresse hinterlassen. Ich weiß gar nicht, wo er ist. Er hat auf der Bank alles Geld abgehoben. Ich habe drei hungrige Kinder zu Hause. Und die Miete ist fällig.« Ich fühlte die Welt über mir zusammenstürzen und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Gott im Himmel, steh’ mir bei«, schluchzte ich.
Der Röntgenleiter kam hinter seinem Schreibtisch hervor, legte tröstend seinen Arm um meine Schultern und wusste nicht recht, was er noch sagen sollte, er tröstete mich nach dem ärztlichen Muster, dass das Leben trotz allem weiter gehe, dass die Zeit alle Wunden heile. »Es gibt für alles eine Lösung.« Und als habe ihm dieser Satz selbst Erleuchtung gebracht, fügte er hinzu: »Mit etwas Glück jedenfalls – für die nächste Zeit.« Er griff zum Telefon und wählte eine kurze hausinterne Nummer.
Wie durch Watte hört ich ihn sagen: »Keine Überweisung. Seine Frau holt es gleich in bar bei ihnen ab.« Er rüttelte mich ein bisschen, lächelt mich väterlich an: »Die Endabrechnung ist noch nicht raus, man wird sie Ihnen in der Verwaltung in bar auszahlen. Haben Sie Ihren Ausweis dabei? Pardon, es ist Vorschrift.«
Ich dachte an Beatrice, Alexander und Stella. Trotz allem, was mich eben wie ein Schlag getroffen hatte – jetzt spürte ich, wie ein übermächtiger Druck von mir wich. Ich atmete auf, lächelte sogar, als ich dem Röntgenchef die Hand drückte.
»Ich weiß schon Bescheid«, sagte die Frau hinter dem Besucher-Tresen der Krankenhaus-Geschäftsleitung. »Kommen Sie doch eben herum und setzen Sie sich. Es dauert nur einen Augenblick, bis das Geld hier ist.«
Ich nickte dankbar.
»Ich kann Ihnen ja schon mal die Abrechnung erklären«, sagte die Angestellte und legte ein tabellarisches Zahlenwerk auf den Tisch. »Also, weil es über die Sechs-Wochen-Frist hinaus ist, haben wir den nächsten Quartalsabschluss zu Grunde gelegt, und das hier sind eine anteilige Urlausabgeltung und das übliche Weihnachtsgeld.«
Ich hatte im Hotel auch in der Buchhaltung gearbeitet, kannte auch Gehaltsabrechnungen, nicht aber solche, die über ein ganzes Quartal gingen und Zusatzleistungen hatten. Ich schaute nur dorthin, wo »auszuzahlender Betrag« stand und hielt die Luft an. Als mir die Scheine vorgezählt wurden, verschleierte sich mein Blick.
»Wenn Sie eine Stunde später gekommen wären, hätten wir es bereits überwiesen«, sagte die Frau.
Mit jähem Schreck erinnerte ich mich an die Bank und an das überzogene Konto. »Muss ich das jetzt zur Bank bringen?«
»Ihr Mann ist zurück nach Uganda, hat man mir erzählt.« Die Frau machte eine kleine Pause. »Wir hatten Dr. Samuel übrigens sehr gern. Aber ihre Probleme hat er nicht mitgenommen, die haben Sie jetzt ganz allein.« Sie stopfte die Geldscheine in einen Umschlag und reichte ihn mir. »Viel Glück damit! Und schonen Sie besser unser Sozialamt, die haben es ja nicht so reichlich wie die Bank.«
Wie im Traum verließ ich die Krankenhaus-Verwaltung.
»Halt!«, rief mir die Angestellte nach. »Vergessen Sie Ihren Karton nicht.«
***
Mai 1982: Aus Uganda war immer noch kein Lebenszeichen von Sam gekommen. War er dort überhaupt angekommen? Er war nun fast ein halbes Jahr fort. Und wäre nicht die Aufgabe mit den drei Kindern und den rhythmisch wiederkehrenden Arbeiten, ich hätte die Zeit als Ewigkeit empfunden. So schien es mir, als seien nur wenige Tage seit Sams Abreise vergangen. War er aber mir gegenüber nicht eine Erklärung schuldig? Wollte er seiner Familie vielleicht erst ein Heim schaffen und sie dann überraschen? Kommt vielleicht morgen ein Brief oder ein Anruf: Packt eure Sachen und kommt nach Uganda!
Ich hatte inzwischen aufgehört, darüber mit Marianne zu sprechen. Der Alltag einer Mutter hat seine eigenen Themen und Probleme – und auch Marianne war nicht ohne Sorgen.
Erst abends im Bett quälten mich die Gedanken. Dann stellte ich mir vor, dass Sam lachend durch die Tür kommt und alles nur ein Missverständnis war. Oder dass er sich am Telefon meldete und bat, wir mögen alle zusammen schnell nach Uganda kommen, jetzt, wo ihm seine neue Aufgabe etwas mehr Zeit lasse. Wäre es nicht ohnehin besser, Sam nachzufolgen? Auch ohne dass er uns ruft? Zurück nach Uganda, dort wo auch Moses auf mich wartete.
So lag ich da mit dem leeren Bett neben mir und grübelte in die Dunkelheit hinein. Ist das die Farbe der Zukunft für mich und die drei Kinder? Und was sollte mit Moses werden? Hatte Sam seine Familie vergessen oder vielleicht schon eine neue gegründet – eine Acholi-Familie?
Irgendwann holte mich der Schlaf ein. Dann träumte ich von einer glücklichen Familie in Uganda. Es waren Träume, in denen ich mit Sam sprach, in denen die Familie stolz beieinander war. Träume, die mir Kraft gaben und mich den realen Alltag vergessen machten, der einfach dahinschwand, bis die Zeit sich wieder wendet und es so sein würde, wie es früher war.