Die Mörderin vom Bodensee

26 Krimis - 26 Rezepte

Bettina Hellwig (Hrsg.)


ISBN: 978-3-95428-623-2
1. Auflage 2016
© 2016 Wellhöfer Verlag, Mannheim

info@wellhoefer-verlag.de
www.wellhoefer-verlag.de
Titelgestaltung: Uwe Schnieders, Fa. Pixelhall, Mühlhausen
Das vorliegende Buch einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages unzulässig.
Die Erzählungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit wirklichen Personen oder tatsächlichen Ereignissen sind nicht beabsichtigt und somit rein zufällig.

Inhalt

Honigsüß

Ingrid Werner

 

Lena, es war FANTASTISCH!!! Miami Beach ist ein Traum. In zwei Wochen fahre ich wieder. Willst du mit? Melde Dich!

Thomas Lehner starrte auf sein Smartphone. Er zog die Augenbrauen in die Höhe. Lena? Miami Beach? Die Nummer kannte er nicht. Hm, verwählt.

Diskret steckte er das Handy in die Innentasche seiner Anzugjacke zurück und versuchte, sich wieder auf die Abteilungsleitersitzung zu konzentrieren. Hatte der Alte etwas mitbekommen? Nein, sah nicht so aus. Er schwadronierte immer noch über die Produktionszahlen der Passauer Tochterfirma. Die Statistik kannte Thomas in- und auswendig. Schließlich hatte er sie dem Chef in mundgerechte Stücke aufbereitet.

Vor ihm auf dem Besprechungstisch lag ein Block. Thomas gab vor, sich Notizen zu machen. Dabei kritzelte er nur. Aus der Entfernung konnte der Alte sicher keinen Unterschied erkennen, und ihn selbst beruhigte es. Striche, Zacken und Haken, die sich zu Buchstaben formten. Die Buchstaben zu Worten. Miami Beach. Um Thomas’ Lippen spielte ein Lächeln. Erinnerungen tauchten vor seinem inneren Auge auf. Türkisblauer Atlantik, farbenfrohe Art-déco-Häuser, fröhliche Menschen. Und Joanna. Wie von selbst glitt seine Hand in das Jackett und fischte das Telefon wieder heraus. Unter dem Tisch rief er noch einmal diese rätselhafte SMS auf. Bestimmt hatte sie eine Frau geschrieben. Eine Frau mit einer Freundin, die Lena hieß. Also jung. Beide. Viel jünger als er. Vermutlich Mitte zwanzig, Anfang dreißig. Attraktiv. Erfolgreich. Durchaus seine Kragenweite. Er strich sich über den kurz getrimmten, dunklen Bart, der so vorteilhaft mit seinen grauen Schläfen kontrastierte.

»Herr Lehner.« Der Chef und alle anderen sahen ihn an.

Einen Augenblick musste sich Thomas orientieren. Ach, die Weiterentwicklung des Plug-in-Hybrids. Er stand auf, ließ mit einer geschmeidigen Bewegung das Handy verschwinden, ging nach vorn und spulte seine PowerPoint-Präsentation ab.

 

Nach der Arbeit aß er im Yacht-Club. Das hörte sich spektakulärer an, als es war. Schließlich ging es um Friedrichshafen und nicht um Hamburg. Allerdings war das Restaurant des Württembergischen Yacht-Club e.V. bekannt für seine gute Hausmannskost. Immer wenn Thomas im Friedrichshafener Hauptsitz der Firma arbeitete und nicht in Passau von seiner Ehefrau bekocht wurde, fehlte ihm spätestens am zweiten Tag das Bodenständige. Seine Frau fehlte ihm weniger. Sie war mit den Jahren schon sehr zum Hausmütterchen mutiert. Samt der passenden Figur. Kümmerte sich nur um die drei Kinder und hatte keine anderen Interessen. Vor allem keine sexuellen. Gähnend langweilig.

Da war es im Yacht-Club schon interessanter. Hier hatte er einen wunderbaren Ausblick auf den See, die weißen Boote und auf Lisa. Die Zuckerschnecke bediente abends und ihr knackiger Po war eine der Spezialitäten, die nicht auf der Speisekarte standen.

Im Gegensatz zum Schwabenteller, seinem Lieblingsgericht, das Lisa gerade vor ihn hinstellte. Schweinefilet-Medaillons mit Champignon-Rahmsauce, Maultasche, Käsespätzle und geschmälzten Zwiebeln. Wunderbar. Er schüttelte die Serviette auf, legte sie auf den Schoß und griff nach dem Besteck. Heute war viel los im Clubrestaurant, da hatte Lisa keine Zeit, mit ihm zu flirten. So konnte er sich seinen Charme sparen und sich ganz dem Genuss der schwäbischen Köstlichkeiten hingeben. Für die Röstzwiebeln schwärmte er besonders!

Zufrieden spülte Thomas den letzten Bissen mit einem Schluck Schimmele hinunter, als ein Vibrieren in seinem Sakko den Eingang einer SMS meldete. Die tägliche Nachfrage seiner Frau Sabine. Er wollte sie schnell beantworten, um sich dann Angenehmerem zuzuwenden. Das Restaurant leerte sich und Lisa hatte ihm schon zugezwinkert. Da ging heute noch was.

Lena? Miami Beach? Ich sag dir, du verpasst was!!!

Das war eindeutig nicht Sabine.

Wie ein pawlowscher Reflex legte sich bei dem Namen Miami Beach ein Lächeln auf seine Lippen. Seine Daumen schwebten über dem Display, bereit, eine Antwort zu tippen. Aber – vielleicht wäre es reizvoller, mit dieser unternehmungslustigen jungen Dame zu sprechen? Kaum flog der Gedanke durch seinen Kopf, schon drückte Thomas auf das Anruf-Symbol.

»Lena?« Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang temperamentvoll und hatte das rauchige Timbre einer Soulsängerin.

Thomas’ Lächeln verstärkte sich. »Da muss ich Sie enttäuschen. Ich bin nicht Lena. Leider. Aber erzählen Sie mir doch trotzdem ein wenig von Miami Beach.«

Die Frau lachte auf. »Ich kenne Sie doch gar nicht.«

»Ist der Sonnenuntergang immer noch so spektakulär wie vor zwanzig Jahren?«

»Keine Ahnung. Vor zwanzig Jahren war ich sieben und brav in Deutschland.« Sie machte eine Pause. Thomas wusste, jetzt fiel die Entscheidung. Für oder gegen ihn. Da sprach sie weiter. »Aber beschreiben Sie mir doch den Sonnenuntergang von damals, dann kann ich vergleichen.«

Er hatte gewonnen.

 

An diesem Abend hatten sie sich noch lange unterhalten. Lisa hatte ihm ein weiteres Bier serviert und war beleidigt abgerauscht, als er ihr nur zugenickt hatte. Aber er wollte sein Gespräch mit Michelle nicht unterbrechen. Ihren wunderschönen Namen hatte sie ihm nach einer Weile verraten, und in seinen Gedanken begann sofort das alte Beatles-Lied zu spielen. »Michelle, ma belle.« Er war bekennender Beatles-Fan und die besten Momente seines Lebens hatte er mit ihrer Musik im Hintergrund genossen. Außerdem bestand für ihn kein Zweifel, auch die reale Michelle war schön.

In den nächsten Tagen flogen SMS hin und her. Thomas verrichtete seine Arbeit, ging seinen Geschäften nach, dachte aber immer öfter an Michelle. Abends rief er sie an und ihre Gespräche versüßten ihm die nächtlichen Stunden. Zufälligerweise wohnte Michelle auch am Bodensee. Wo, wollte sie ihm nicht verraten. Aber wenigstens schickte sie ihm nach langem Bitten seinerseits ein Foto von sich am Strand von Miami Beach. Dann war es endgültig um ihn geschehen. Eine junge Göttin mit langen braunen Haaren, blitzenden Augen und einer frappanten Ähnlichkeit zu Joanna, seiner Jugendliebe.

Thomas verstärkte sein Werben. Er sprühte vor Charme und überschlug sich fast mit Vorschlägen für die gemeinsame Freizeitgestaltung: ein Kabarettabend im Atrium, ein Dokumentarfilm im Studio 17, eine Theaterproduktion im Kiesel oder gar eine Fahrt in der fliegenden Zigarre, dem Zeppelin NT.

Aber Michelle wehrte nur lachend ab. Sie sei ja keine Touristin, habe außerdem wenig Zeit und sei oft auf Geschäftsreise.

Welch atemberaubende Frau!

Dann musste Thomas für einige Wochen in die Tochterfirma nach Passau zurück, Michelle war in Miami Beach. Die Fotos, die sie ihm von ihrer Reise schickte, machten ihn ganz zappelig. Er musste sein Geschäft hier zu Ende bringen, seine finanziellen Angelegenheiten regeln und endlich den Absprung schaffen. In Miami Beach sah er seine Zukunft. Zusammen mit Michelle.

Er küsste seine Frau zum Abschied auf die Stirn, nahm seinen mit den frisch gebügelten Hemden gepackten Koffer und fuhr wieder nach Friedrichshafen.

 

Die Auszeit hatte ihrer beider Sehnsucht beflügelt. Nach der Rückkehr sträubte Michelle sich nicht länger gegen ein Treffen. Thomas konnte sein Glück kaum fassen. Obwohl er in Sachen Seitensprung bereits auf einige Erfahrung zurückblicken konnte, war er aufgeregt. Würde Michelle so schön sein wie auf den Fotos? Wie lange würde sie ihn hinhalten, bevor sie mit ihm in einem Hotelzimmer verschwand? Er konnte seine Ungeduld nur schwer zügeln.

Als es endlich so weit war und er am vereinbarten Treffpunkt auf der Seepromenade mit einer roten Rose in der Hand wartete, hatte er schwitzende Hände wie ein Jungspund.

Dann kam sie.

Er erkannte sie schon von Weitem. Die langen dunklen Haare umflossen ihre schlanke Figur wie ein Schleier, der sacht im Wind wehte. Das pastellfarbene Sommerkleid schmeichelte ihrem milchkaffeebraunen Teint und brachte ihre blauen Augen zum Strahlen. Lächelnd schwebte sie auf ihn zu und ließ sich von ihm zur Begrüßung auf die Wangen küssen. Die Haut ihrer Oberarme, die er unter seinen Händen spürte, fühlte sich pfirsichglatt an.

Der Sommerabend war lau und so spazierten sie gemeinsam die Promenade entlang, spielten eine Runde Minigolf und speisten im ’s Wirtshaus am See. Er begann an Seelenverwandtschaft zu glauben, als Michelle einen Schwabenteller bestellte.

Später nahmen sie einen Champagner-Cocktail im Goldenen Rad. Thomas hätte in diesem Hotel gern ein Zimmer mit Blick auf das im Vollmond glitzernde Wasser gebucht und wäre am liebsten mit ihr im Bett gelandet.

Aber er musste sich noch gedulden. Michelle hatte ihm freundlich, jedoch unmissverständlich klar gemacht, dass sie ihn vorher ein wenig besser kennen lernen wolle.

So saß sie ihm gegenüber und lauschte seinen Ausführungen. Hin und wieder stellte sie Fragen. Kluge Fragen.

»Wo möchtest du in zwei Jahren sein?«, war zum Beispiel eine davon.

Da nahm er ihre Hand in seine. »Mit dir am Strand von Miami Beach.«

»Das wäre schön«, sagte sie mit einem sanften Seufzen und erwiderte seinen Blick. »Aber leider nur ein Wunschtraum. Außerdem würde dir der Schwabenteller fehlen«, fügte sie mit einem Augenzwinkern hinzu.

Thomas lachte. »Das könnte ich verschmerzen.« Dann wurde er ernst. Er sah auf ihre Hand hinab und fuhr über die zierlichen Finger. »Aber wer weiß. Vielleicht geht dieser Traum schneller in Erfüllung, als du denkst.«

»Wie das?«

Er senkte seine Stimme. »Ich habe Vorkehrungen getroffen. Wenn alles so klappt wie geplant, dann werde ich ab nächster Woche privatisieren.«

»Ab nächster Woche schon?«, rief sie aus, hielt sich aber sogleich die Hand vor den Mund. Leiser fragte sie: »Hast du als Abteilungsleiter so viel verdient, dass du dich schon zur Ruhe setzen kannst?«

Thomas lehnte sich zurück und wiegte bedächtig den Kopf. Schweigend. Er beobachtete lächelnd, wie es hinter ihrer bezaubernden Stirn arbeitete. Anscheinend konnte sie sich keinen Reim auf seine Worte machen, denn sie beugte sich weit über den Tisch und sagte: »Erzähl.«

 

Er hatte es geschafft. Der Koffer war gepackt. Das Flugticket hatte er in der Tasche. Seinen letzten Arbeitstag genoss er, vor allem da nur er allein wusste, dass es sein letzter war. Er nahm sich Zeit, mit den Sekretärinnen einen Kaffee zu trinken und sich ihre übliche Tirade über die Marotten des Chefs anzuhören. Gerade wollte er seine Kaffeetasse abstellen und in sein Büro zurückkehren, um die letzten Dinge zu erledigen, da kam der Anruf. Der Chef wolle ihn sehen.

Thomas spielte mit dem Gedanken, ihn einfach zu versetzen, in ein Taxi zu steigen und zum Flughafen zu fahren.

Aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Vielleicht war es Neugierde. Oder auch der Wunsch nach dem stillen Triumph.

Jedenfalls schlenderte er in die Vorstandsetage, nickte der Vorzimmerdame zu und betrat das Zimmer des Chefs.

Einen Moment stutzte er, als er die drei fremden Männer sah. Hatte er ein Meeting vergessen?

Der Chef bat ihn herein und schloss die Tür. »Setzen Sie sich doch, Herr Lehner«, sagte er und zeigte auf den freien Stuhl am Besprechungstisch.

»Darf ich vorstellen? Das ist Herr Lehner, unser fähigster Mann in der Entwicklungsabteilung. Herr Lehner, dies sind die Herren Fischer und Quast. Und Herr Brandtner von der Detektei Observatio. Herr Brandtner hat interessante Neuigkeiten für uns und wir wollen sie Ihnen nicht vorenthalten.«

Stumm blickte Thomas von einem zum anderen. Sein Verstand wehrte sich dagegen, zu verstehen, was hier vor sich ging.

Herr Brandtner schlug eine Mappe auf, die vor ihm auf dem Tisch lag. Obenauf ein Porträt-Foto.

»Michelle«, murmelte Thomas.

»Nun, das ist der Name, mit dem sie sich bei Ihnen vorgestellt hat«, begann Brandtner und sah sehr zufrieden aus. »Ich fand es passend für einen so großen Beatles-Liebhaber, wie Sie einer sind.«

Thomas runzelte die Stirn.

»Wir haben Michelle«, fuhr Brandtner fort, und man konnte hören, dass er den Namen gedanklich in Anführungszeichen setzte, »ausgesucht, weil sie auf den ersten Blick durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit Joanna Huntigton aus Pennsylvenia hatte, die Sie 1994 in Miami Beach kennen lernten.«

»Woher wissen Sie das?«, rief Thomas.

Brandtner beantwortete diese Frage nicht. Stattdessen nahm er das nächste Blatt aus seiner Mappe und legte es vor Thomas. »Sie erzählten Michelle, dass Sie ab nächster Woche privatisieren würden. Da mussten wir uns beeilen. Aber, nun ja, wir haben es geschafft. Interessant war diese E-Mail an den größten Konkurrenten Ihrer Firma.« Er tippte mit den Fingerspitzen auf den Ausdruck.

Lehner stieß sich mit beiden Händen von der Tischkante ab und sprang auf. »Sie haben mir hinterherspioniert!«, schrie er. »Das verstößt gegen jeden arbeitsrechtlichen Grundsatz. Ich werde Sie verklagen!« Sein Gesicht brannte.

Die vier Männer sahen ruhig zu ihm auf.

»Herr Lehner, setzen Sie sich«, sagte der Chef und deutete auf seinen Platz. »Lassen Sie uns zuerst zu Ende berichten, dann können Sie immer noch entscheiden, ob Sie mich verklagen möchten.« Er nickte Brandtner zu.

Der Detektiv legte in schneller Abfolge mehrere Blätter auf den Tisch. »Die eidesstattliche Aussage von Michelle über den Modus Operandi Ihrer Aktion, eine gute Aufnahme von Ihnen mit Herrn Schmidt von der Konkurrenz, ein Foto von der Geldübergabe in der Schweiz, die Daten Ihres Flugtickets nach Rio, Ihres Weiterflugs nach Miami. Sie haben sich ja keine große Mühe gemacht zu verschleiern, wohin Sie wollten.« Herr Brandtner sah ihn grinsend an.

»Das ist ... Das ist eine Lüge.«

Herr Fischer ergriff das Wort. »Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass alles, was Sie sagen, gegen Sie verwendet werden darf. Sollten Sie einen Anwalt ...«

»Wer sind denn Sie?«, blaffte Thomas den Mann an.

»Fischer, Kriminalpolizei. Das ist mein Kollege Quast. Zu Ihrer Information: Ihr Geschäftspartner Schmidt hat schon ausgesagt. Wir setzen unser Gespräch am besten im Polizeipräsidium fort. Kommen Sie.« Mit diesen Worten standen die beiden Polizisten auf, traten neben Lehner und nahmen ihn am Arm.

Der Chef erhob sich ebenfalls. Mit steinerner Miene sagte er: »Bis auf Weiteres werden Sie auf Schwabenteller verzichten müssen, Herr Lehner.«

Käsespätzle mit geschmälzten Zwiebeln

 

Zutaten:

 

400 g Mehl

 

180 ml Wasser

 

3 Eier

 

1 Prise Salz

 

250 g Käse (Emmentaler oder Gouda)

 

3 Zwiebeln

 

20 g Butter

 

Zubereitung:

 

Zuerst den Käse reiben und die geschälten Zwiebeln in dünne Ringe schneiden. Die Zwiebelringe in einer Pfanne mit Butter goldbraun anbraten und warm halten.

 

Das Mehl in eine Schüssel geben. Eier, Salz und Wasser dazugeben und alles gut mit einem Holzkochlöffel so lange verrühren, bis der Teig Blasen wirft.
Einen großen Topf Salzwasser zum Kochen bringen. Den Teig portionsweise ins heiße Wasser geben – entweder mit einem Spätzlehobel oder indem man den Teig mit einem Messer von einem Holzbrett schabt und ins Wasser streift.
Die Spätzle sind fertig, wenn sie an der Wasseroberfläche schwimmen. Mit einem Schaumlöffel herausheben und abtropfen lassen.
In einer vorgewärmten Schüssel möglichst heiß mit dem Käse vermengen. Die Zwiebeln über die Käsespätzle geben und servieren.

Weißglut

Monika Küble und Henry Gerlach

Der Hieb kam unerwartet. Beim letzten Mal war alles ganz einfach gewesen. Er hatte sein Opfer von hinten gepackt und ihm mit einem Streich die Kehle durchgeschnitten. Doch diesmal war sein Gegner auf der Hut. Blitzschnell drehte der sich um und versetzte ihm einen Schlag auf die Hand, sodass er das Messer fallen ließ. Er schrie auf und taumelte rückwärts, rutschte über die glitschigen Steine im flachen Wasser und fiel der Länge nach hin. Da stürzte sein Gegner sich auf ihn. Er versuchte, sich zu wehren, wurde aber immer wieder unter Wasser gedrückt und von scharfen Hieben ins Gesicht und auf die Arme getroffen. Das letzte, was er sah, waren zwei zornige schwarze Augen.

 

***

 

Auf den Bergen lag an manchen Stellen noch Schnee. Martha achtete nicht darauf, ihr Blick war zu Boden gerichtet, denn sie war glücklich, dass die ersten Kräuter sprossen. Der Winter war lang gewesen, doch nun war das Eis am See geschmolzen, ein Schwan brütete auf seinem Nest, die Amseln flöteten vom Frühling. Endlich konnte man die Fensterläden wieder öffnen und den Rübeneintopf mit frischen Kräutern würzen. Bärlauch hatte sie schon gefunden, und junger Löwenzahn lag in ihrem Korb.

Für die reichen Leute, die während des Konzils in Konstanz zu Gast waren, gab es auch in der kalten Jahreszeit alle Gewürze, die man sich denken konnte, Pfeffer, Anis, Kümmel, Muskat, Safran und viele andere. Die einfachen Stadtbewohner wie Martha, Waschfrau im Kloster Petershausen, aßen den Winter über jedoch fast nur Schwarzbrot, Rübeneintopf und verkochtes Rindfleisch aus den Garküchen. Ihre Winterspeisen waren so farblos und öde wie die Natur ringsum, daher erwarteten sie voller Ungeduld das erste Grün.

Martha ging durch den Wald am Eichhorn. Dort hatte der Frühling zu malen begonnen: Buschwindröschen färbten den Boden weiß, Leberblümchen und Veilchen blau, und an sonnigen Stellen wuchsen gelbe Schlüsselblumen. Dann kam sie an den Bach, der an der Konstanzer Bucht in den See mündete. Im Bachbett wuchs an einigen Stellen Brunnenkresse. Martha ging den Bach entlang zum See hinab und füllte ihren Korb mit den scharfen Blättern. Als sie ans Ufer kam, sah sie rechter Hand Konstanz liegen mit der hohen Stadtmauer und den Türmen, davor die Insel mit dem Dominikanerkloster und ganz rechts die Rheinbrücke, die das Klosterdorf Petershausen mit der Stadt verband.

Martha ging ein Stück am Ufer entlang, das jetzt vor Ostern noch breit war. Doch schon nach wenigen Schritten blieb sie stehen. Sie blinzelte, weil sie nicht glauben wollte, was sie dort sah. Drei Ellen von ihr entfernt ragten fünf schmutzige Zehen aus dem flachen Wasser. Martha verharrte und starrte auf den Fuß, dann wanderte ihr Blick weiter, sie sah unter der Wasseroberfläche nackte haarige Beine, eine Hose, ein im Wasser schwebendes weißes Hemd und schließlich einen Kopf, um den sich lange schwarze Haare wie Wasserpflanzen schlangen. Martha versuchte, das Gesicht zu erkennen, doch so sehr sie sich bemühte, da war nichts, was man hätte erkennen können. Erst jetzt begann sie zu schreien, sie lief davon, rutschte auf den Ufersteinen aus, fiel fast hin, fing sich wieder, rannte weiter, schreiend, ihren Korb mit den Kräutern krampfhaft an die Seite gepresst.

 

***

 

Hanns Hagen fuhr sich mit der Hand über die Augen. Ihm gefiel nicht, was er sah. Am liebsten hätte er überhaupt nichts gesehen, sondern noch in seinem Bett gelegen. Am Abend zuvor war er bei Luitfried Muntprat, dem reichsten Patrizier von Konstanz, zu einem Festmahl eingeladen gewesen. Es war zwar Fastenzeit, aber das störte Luitfried nicht sonderlich. Er hatte sich beim Papst einen Dispens erkauft, der es ihm erlaubte, auch in diesen Zeiten zu essen, was und wie viel ihm beliebte. Wer bei ihm eingeladen war, hatte das Glück, an seiner Ausnahmegenehmigung teilzuhaben. Dies galt auch für Hanns Hagen. Er war Stadtvogt und oberster Herr der Stadtwache, mithin zuständig für die Sicherheit in Konstanz. Daher waren die Kaufleute der Stadt immer bestrebt, ihn sich gewogen zu halten.

Das Essen war sehr üppig gewesen und der Wein überreichlich geflossen. Hagen hatte seinem Rang entsprechend zwar nicht ganz oben an der Tafel gesessen, beim Konzilspräsidenten und den Bischöfen, wo der beste Wein, der Malvasier, kredenzt wurde, für Kopfschmerzen und heftige Übelkeit hatte aber auch der Elsässer ausgereicht. Ebenfalls dazu beigetragen hatte das letzte Hauptgericht, das zwar schön anzusehen, vor allem aber fett und tranig gewesen war: ein Schwanenbraten. Der Koch hatte den Vogel am Spieß zubereitet und dann wieder mit seinem Federkleid versehen. Als er auf einer goldenen Platte hereingetragen wurde, zischte er und spuckte Feuer aus seinem gelben Schnabel. Die Gäste klatschten Beifall für das Spektakel, doch nach all den Hühnern, Enten, Reihern und anderem Geflügel, das vorher serviert worden war, rührten die anderen hohen Herren den Schwan kaum noch an, sodass für Hanns Hagen eine gute Portion übrigblieb.

Nun versuchte er allerdings, nicht mehr daran zu denken, denn was er sah, war nicht geeignet, seinen angeschlagenen Magen zu beruhigen. Vor ihm lag eine Leiche. Eine Waschfrau des Klosters Petershausen hatte sie entdeckt, sie hatte laut »zu Hilfe« geschrien, ein Mann auf der Rheinbrücke hatte sie gehört und war zu Hanns Hagen gelaufen, um ihm von dem Fund zu berichten. Der Stadtvogt hatte sich mühsam von seinem Lager erhoben und war mit zwei Wachen dem Mann gefolgt. Nun stand er am Seeufer beim Eichhorn und überlegte, ob er sich übergeben sollte. Der Tote hatte noch nicht lange im Wasser gelegen, er zeigte noch nicht die typischen Merkmale einer Wasserleiche. Was ihn aber dennoch grausiger machte als alle anderen Leichen, die Hagen bislang gesehen hatte, war sein Gesicht. Oder besser gesagt, das Nichtmehrvorhandensein eines Gesichts.

Der Vogt beschloss, seinem Mageninhalt nun doch freien Lauf zu lassen. Die Wächter sahen ihm interessiert dabei zu.

»So viel Wut!« Hanns Hagen schüttelte den Kopf und wischte sich den Mund am Ärmel ab. Dann fragte er die Umstehenden, ob jemand wüsste, wer der Tote war. Ein grauhaariger Mann hob schüchtern die Hand. Seine Kleidung war ärmlich, an den Füßen trug er grobe Holzschuhe.

»Ihm fehlt ein Finger an der linken Hand. Und die schwarzen Haare … das könnte Simon Sirnacher sein.«

»Wer bist du? Was weißt du sonst noch über den Toten?«

»Hans Ölhafen, Herr. Simon war ein Leibeigener des Klosters wie ich.«

»Welches Klosters?«

»Petershausen.«

Das machte die Sache nicht besser. Hanns Hagen seufzte.

 

***

 

»Wer kann eine solche Wut auf diesen Mann gehabt haben, dass er ihm das Gesicht zerschlagen hat?« wollte Hanns Hagen vom Abt des Klosters Petershausen Johann von Frey wissen. »Wer war er überhaupt? Was hat er gemacht?«

Der Abt hob sein eindrucksvolles Kinn.

»Mit Verlaub, Herr Vogt, wer gibt Euch das Recht, mir, Johann von Frey, solche Fragen zu stellen? Ihr mögt Vogt in Konstanz sein, aber der Einflussbereich der Stadt endet an der Rheinbrücke.«

Hanns Hagen seufzte noch einmal. Er hatte Johann von Frey in dessen Wohnung über dem Refektorium des Klosters aufgesucht, um Näheres über den Toten zu erfahren. Doch der Abt war auf die Konstanzer nicht gut zu sprechen. Die Stadt strebte danach, vom König den Blutbann auch für Kloster und Dorf jenseits der Rheinbrücke zu erhalten. Noch war dies nicht geschehen, aber man erwartete allgemein Sigismunds Zustimmung. Die Abtei Petershausen war reichsfrei, unterstand mithin direkt dem König, er konnte entscheiden, was dort geschah. Doch wenn nicht gerade ein Konzil in Konstanz stattfand, war der König weit weg, Johann von Frey allein hatte das Sagen in Petershausen, und er tat sich außerordentlich schwer damit, dass es nun anders werden sollte. Hanns Hagen hatte bisher noch nie mit ihm zu tun gehabt, sondern ihn höchstens bei Prozessionen gesehen, von denen es während des Konzils eine Menge gab. Der Klerus hatte ja sonst nicht viel zu tun in diesem Frühling des Jahres 1416, in dem der König in Spanien weilte, um den letzten der drei Päpste des großen Kirchenschismas zum Rücktritt zu bewegen.

»Ehrwürdiger Abt, verzeiht, es war zwar der Konstanzer Rat, der mich eingesetzt hat, dennoch bin ich der königliche Vogt und als solcher zuständig für die Verfolgung derartiger Verbrechen.«

Die Augen des Abtes wurden schmal. Sein hageres Gesicht erinnerte Hagen an den Apostel Paulus, wie er auf eine Säule in der Kirche zum Heiligen Stephan gemalt war.

Heiser antwortete er: »Der König ist in Spanien, und wer weiß, ob er jemals zurückkehrt!«

Der Vogt merkte, dass er von dieser Seite nicht weiterkam.

»Herr, Ihr könnt gerne selbst versuchen herauszufinden, wer diesen Mann umgebracht hat. Momentan ist er in der Klosterkirche aufgebahrt. Allerdings ist er kein schöner Anblick, von seinem Gesicht ist nicht mehr viel übrig. Und noch weiß keiner, wer ihm das angetan hat.«

Der Abt schluckte. Er wusste, was das bedeutete: Ärger mit den Kaufleuten, Ärger mit den Kardinälen, Ärger mit dem Konzilspräsidenten. Alle würden sie Angst haben, dass ein so grausamer Mörder erneut zuschlagen könnte, und jemand musste dafür geradestehen, wenn der Übeltäter nicht schnell gefunden und gerädert wurde. Er beschloss, dass nicht er derjenige sein würde.

»Nun, vielleicht habt Ihr recht. Es ist wohl besser, wenn Ihr den Mörder rasch findet. Wie kann ich Euch also dabei helfen?«

»Wer war der Tote?«

»Sein Name ist Simon Sirnbacher. Er hat für uns als Holzfäller, Fischer und Jäger gearbeitet. Seit gestern war er verschwunden.«

»Gab es nicht Ärger zwischen dem Kloster und König Sigismund wegen der Holzrechte am Eichhorn? Könnte es deswegen zum Streit gekommen sein?«

Der Abt winkte ab. »Das ist längst vorbei. Sigismunds ungarische Soldaten hatten unerlaubt im Klosterwald Holz geschlagen und verkauft. Aber wir haben die Sache geklärt. Außerdem sind sie mit ihm nach Spanien gereist.«

»War Sirnacher gestern auf dem See beim Fischen?«

»Nein, ich hatte ihn zur Jagd geschickt.«

»Was hat er dann am See gemacht?«

»Manchmal hat er Blesshühner gejagt. Ab und zu hat er mir ein Schwanenei gebracht. Oder sogar einen Reiher erlegt. Die leben ja im Wasser, sind also praktisch Fische, sodass man sie auch jetzt in der Fastenzeit essen kann.«

Hagen nickte. »Ich weiß.« Er musste wieder an das Essen bei Muntprat denken, verjagte den Gedanken aber schnell. Seinem Magen ging es immer noch nicht gut.

»Hatte er mit irgendjemandem Streit?«

»Sirnacher war ein ruhiger, friedlicher Mensch.«

»Aber jemand muss ihn gehasst haben! Eine solche Tat begeht nur einer, der wirklich sehr wütend ist.«

Der Abt zuckte die Schultern. »Was weiß ich. Vielleicht ist er mit einem anderen Jäger in Streit geraten.«

»Oder es hat ihn jemand hier im Kloster ermordet und dann mit einem Boot auf den See gebracht, um die Leiche verschwinden zu lassen.«

»Oh nein!« Der Abt sprang auf. Sein Gesicht lief rot an. »Niemals! Das Kloster ist ein Friedensbezirk. Keiner würde es wagen, hier einen anderen zu misshandeln!«

Angesichts des äbtlichen Furors war Hagen geneigt, ihm zu glauben, dass seine Untertanen nicht wagen würden, gegen seine Gebote zu verstoßen.

Hanns Hagen kam etwas anderes in den Sinn.

»Habt Ihr je vom Reichenauer Fischerkrieg gehört?«

»Natürlich! Damals haben die Reichenauer einen Konstanzer geblendet, der in ihren Fischgründen gefischt hatte. Und die Konstanzer haben anschließend die Festung Schopflen auf der Insel zerstört. Meint Ihr, die Reichenauer haben den Sirnacher ermordet?«

Bevor Hagen antworten konnte, hörte man lautes Geschrei aus dem Wirtschaftshof des Klosters, der hinter dem Refektorium lag. Fast gleichzeitig klopfte es heftig an die Tür der Abtswohnung.

»Herr, kommt schnell!«

Der Abt lief zur Tür, Hagen folgte ihm.

»Was ist los?«

Ein Knecht schrie aufgeregt: »Sie bringen den Aberli um!«

Johann von Frey und Hanns Hagen rannten hinter dem Knecht die Treppe hinab, und der Vogt wunderte sich, wie schnell der Abt trotz seines Alters und seines langen Talars war.

Im Hof stand eine Menschenmenge um einen jungen Mann herum, der von zwei anderen festgehalten wurde und wild um sich schlug. Dabei schrie er wie ein Schwein vor dem Schlachten. Hanns Hagen sah sofort, dass er ein natürlicher Narr war.

»Was geht hier vor?«

Die Stimme des Abtes brachte alle zum Verstummen. Sogar der Narr hörte auf zu schreien und wimmerte nur noch. Einer der Männer, die am Fundort der Leiche gewesen waren, trat vor. Hagen erinnerte sich, dass er sich als Hans Ölhafen vorgestellt hatte.

»Seht doch, ehrwürdiger Abt, was wir bei Aberli gefunden haben!«

Damit hielt er ein blutverschmiertes Beil hoch.

»Er hat den Simon ermordet und in den See geworfen!«

Die Augen vor Entsetzen geweitet, schüttelte der Beschuldigte den Kopf und schrie fortwährend: »Nit wahr! Nit wahr! Nit wahr!«

»Aberli Gensel, ich frage dich, woher kommt das Blut an deinem Beil?« fragte ihn der Abt laut und streng.

Doch der Narr jammerte weiterhin nur: »Nit wahr!«

»Seht ihr?« rief triumphierend Hans Ölhafen. »Er sagt es nicht. Gewiss stammt es von Simon. Er ist der Mörder!«

»Das ist nicht wahr!« Als Echo des Narren kam eine ältere Frau, offenbar die Köchin, herbeigelaufen. In der linken Hand trug sie ein frisch geschlachtetes Huhn. »Schaut her, dafür hat er es gebraucht. Er hat mir ein Huhn geschlachtet!«

»Ein Huhn? Jetzt in der Fastenzeit?« Hagen wunderte sich. Bei Muntprat hatte er nichts anderes erwartet, aber hier im Kloster?

»Der Herr Abt hat es ja selber angeordnet!« erwiderte die Köchin und wandte sich an ihren Herrn. »Ihr habt mir doch gesagt, ich soll es im Wasser untertauchen, damit es ein Geschenk des Sees ist und also ein Fisch!«

Der Abt erwiderte rasch: »Dann ist die Sache mit dem Beil ja geklärt! Anna, du gehst wieder in die Küche! Und ihr anderen lasst den Aberli los! Habt ihr nichts zu tun?«

Murrend ließen die Männer den Narren los und gingen ihrer Wege.

Hanns Hagen beschloss, am nächsten Morgen einen anderen Abt aufzusuchen: den von Reichenau.

 

***

 

Doch am nächsten Morgen hatte Hanns Hagen keine Zeit, dem Abt von Reichenau einen Besuch abzustatten. Er wurde zum Rathaus gerufen. Dort hatte sich der Stadtrat eingefunden, um über die Situation zu debattieren, denn offenbar hatte sich die Nachricht vom grausamen Tod des Petershauser Fischers rasch in Konstanz verbreitet. Gegenüber dem Rathaus, am Bleicherstad, rotteten sich immer mehr Menschen zusammen. Die Erinnerung an den Fischerkrieg war erwacht.

»Lasst uns auf die Reichenau fahren!« tönten Rufe aus der Menge, »setzen wir dem Abt den roten Hahn aufs Dach!«

Hanns Hagen schwitzte schon, bevor er den Ratssaal betrat. Er wusste, was ihn erwartete.

»Herr Vogt, wie ist es möglich, dass Ihr nichts unternehmt, um den grausamen Mörder zu finden?« fragte der Kaufmann Heinrich Tettikover.

»Draußen gibt es Aufruhr, die Menschen haben Angst! Die Fischer trauen sich nicht mehr auf den See!« ergänzte der Bäckermeister Hans Katz.

»Zu Recht!« riefen mehrere Ratsmitglieder gleichzeitig.

Der lauteste von allen war Luitfried Muntprat. »Hanns Hagen, wofür haben wir Euch gewählt, wenn Ihr nichts für die Sicherheit dieser Stadt tut?« rief er, während er zornig anklagend mit den Armen fuchtelte. »Alle müssen Angst haben, solange der Mörder frei herumläuft, der den armen Sirnacher so zugerichtet hat!«

»Beruhigt Euch, Luitfried!« antwortete ihm der Bürgermeister Heinrich von Ulm. »Kanntet Ihr denn den Toten?«

Muntprat zögerte einen Moment, dann sagte er: »Nein, ich kannte ihn nicht, ich habe seinen Namen von einer Fischhändlerin gehört, aber nicht nur die Fischer, auch alle Händler, die über den See hierher kommen, müssen fürchten, dass sie die Stadt nicht heil erreichen! Ich bezahle die meisten Steuern in dieser Stadt, ich kann doch erwarten, dass ich dafür in Ruhe meinen Geschäften nachgehen kann und mir nicht Sorgen machen muss, ob meinen Geschäftsfreunden auf dem Weg hierher etwas zustößt! Oder seid Ihr nur Vogt geworden, damit Ihr Euch bei anderen Leuten den Wanst vollschlagen könnt, Hagen?«

Da schritt der Bürgermeister ein. »Luitfried, es ist genug! Der Vogt tut, was er kann, da bin ich mir sicher!« Dann wandte er sich an Hagen: »Der Konzilspräsident hat sich leider auch schon beschwert, der Kardinalbischof von Ostia! Hanns, was ist passiert? Wer hat das getan?«

Hanns Hagen stand mit hochrotem Kopf vor dem versammelten Rat, der auf hölzernen Bänken rund um die Ratsstube platziert war, während der Bürgermeister und seine Beisitzer an einem Tisch in der Mitte saßen.

»Meine Herren, das Opfer war ein einfacher Mann, ein Fischer und Jäger, kein Händler. Er ist wohl am Ufer spazieren gegangen, nicht auf einer Lädine gefahren. Außerdem bin ich nicht untätig. Gestern war ich in Petershausen, um dort nach Spuren zu suchen, die mich zu dem Mörder führen könnten.«

»Und? Seid Ihr fündig geworden?« fragte Muntprat herausfordernd und gab sich gleich selbst die höhnische Antwort: »Offenbar nicht, sonst hätten sich nicht die wütenden Leute da draußen versammelt!«

»Hanns, was wollt Ihr jetzt tun?« fragte der Bürgermeister. »Ist es möglich, dass tatsächlich die Reichenauer hinter dem Mord stecken? Die Menge da draußen« – er zeigte mit dem Daumen Richtung Fenster – »hält es jedenfalls für wahr.«

»Das kann ich noch nicht sagen, möglich wär’s, und deshalb, meine Herren, bitte ich Euch, mich zu entlassen, denn ich will mich noch heute zur Insel Reichenau begeben, um mit dem dortigen Abt zu sprechen.«

»Dann wäre es gut, wenn Ihr vorher noch mit den Menschen am Bleicherstaad redet, damit sie nicht auf die Idee kommen, selbst zur Reichenau zu fahren. Ihr wisst, wir wollen jetzt während der Konzilszeit Frieden haben. Als Vogt ist es Eure Aufgabe, dafür zu sorgen!«

 

***

 

Die Kirche des Klosters Reichenau mit ihren feinen Rundbogenfriesen und den rot abgesetzten Lisenen erschien Hanns Hagen viel eleganter als die von Petershausen, obwohl sie wohl älter war. Auch auf der Reichenau herrschte der Benediktinerorden, aber während in Petershausen noch viele Mönche lebten, hauste auf der Insel im Bodensee nur noch eine Handvoll von ihnen in den weitläufigen Klostergebäuden. Entsprechend verfallen sahen viele aus, und neben der Kirche machte nur das Abtshaus auf Hagen einen ordentlichen Eindruck.

Dem hiesigen Abt fehlte schon auf den ersten Blick die Energie und Tatkraft von Johann von Frey in Petershausen. Er war sehr dick, und als der Bruder Pförtner den Vogt in die Stube führte und ihn vorstellte, saß Friedrich von Zollern gerade am Tisch und speiste. Mit spitzen Fingern und einem Messer bearbeitete er einen Hecht, der vor ihm auf einer Holzplatte lag. Die toten Augen des Fisches schienen das Gemetzel teilnahmslos zu beobachten. Ohne ein Wort und ohne seine Mahlzeit zu unterbrechen, wies der Abt auf einen Hocker. Hanns Hagen verbeugte sich und nahm Platz.

Umständlich wischte der Abt sich den Mund am Tischtuch ab, dann fragte er: »Was führt den Vogt der großen Weltstadt Konstanz auf unsere einsame Insel?« Hanns Hagen glaubte, ein Lächeln in seinen Mundwinkeln wahrzunehmen.

»Ehrwürdiger Abt, mein Anliegen ist nicht sehr appetitlich, vielleicht wollt Ihr erst Euer Mahl beenden.«

Der Abt, der sich schon den nächsten Bissen in den Mund gesteckt hatte und nun mit einem Schluck Wein nachspülte, schwang auffordernd den Arm, als wolle er sagen: »Nur zu!«

»Nun, es ist so, in Konstanz ist ein Mann ermordet und seine Leiche schrecklich verstümmelt worden, und da er ein Fischer war, dachten wir, dass es vielleicht Ärger mit den Reichenauer Fischern gegeben hat.«

Friedrich von Zollern, der gerade ein großes Stück Hecht in den Mund gesteckt hatte, hielt abrupt inne und starrte Hagen an.

Der fuhr fort: »Ihr wisst sicher, dass die Reichenauer vor vielen Jahren schon einmal einen Konstanzer misshandelt haben, der unachtsam in ihre Fischgründe eingedrungen war.«

Hanns Hagen glaubte schon, der Abt werde jetzt einen Wutanfall bekommen, aber stattdessen prustete er los, wobei er ein Stück Fisch ausspuckte. Er lachte, dass sein Gesicht rot anlief, irgendwann ging sein Lachen jedoch in ein Röcheln über, und schließlich griff er sich verzweifelt an den Hals. Hanns Hagen sprang von seinem Hocker hoch und lief um den Tisch herum. Der Abt riss den Mund auf und zeigte auf seinen Hals, offenbar wollte er dem Vogt klarmachen, dass sich dort irgendwo eine Gräte verfangen hatte. Nun kam auch der Pförtner hereingelaufen, der wohl gehört hatte, dass etwas nicht stimmte. Gemeinsam drehten sie den schweren Mann dem Fenster zu, um mehr Licht zu haben, der Pförtner hielt ihm den keuchenden Mund auf, und Hagen sah nun, dass tatsächlich hinten im Rachen eine Gräte querstand. Mit Zeige- und Mittelfinger versuchte er sie zu greifen, während der Abt heftig würgte, und schließlich gelang es dem Vogt, das mörderische Objekt herauszuziehen.

Friedrich von Zollern griff nach dem Weinbecher, um seinen Hals auszuspülen, er hustete und spuckte noch eine Weile, dann schüttelte er den Kopf.

»Der Reichenauer Fischerkrieg! Der ist inzwischen 60 Jahre her. Glaubt Ihr allen Ernstes, dass meine Reichenauer heute noch einen solchen Streit vom Zaun brechen würden? Schaut Euch doch um! Hier, mein braver Bruder Severin – sieht so ein Mörder aus?«

Er wies auf den Pförtner, der vom Alter gekrümmt war. Dann zeigte er auf den Hecht.

»Dieser Fisch ist tödlicher als alle meine Männer!«

Schulterzuckend verließ Hanns Hagen die Abtsstube. Die Augen des Hechts blickten immer noch teilnahmslos.

 

***

 

Die Rückfahrt nach Konstanz dauerte wesentlich länger als die Fahrt zur Reichenau, weil sie rheinaufwärts führte. Die Lädine, auf der Hanns Hagen Platz genommen hatte, transportierte Fässer mit Getreide nach Konstanz. Vier Männer ruderten gegen die Strömung an, und der Vogt hatte viel Zeit, seine Gedanken treiben zu lassen. Er betrachtete die Landschaft ringsum, den sumpfigen Schilfgürtel am nördlichen Ufer, die Ruine Schopflen, zwei Schwäne in der Bucht, die flügelschlagend aufeinander losgingen.

Er war der Lösung seiner Frage nach dem Mörder keinen Schritt näher gekommen. In der Tat schien es höchst unwahrscheinlich, dass die Reichenauer mit der Bluttat in Zusammenhang standen. Aber wer dann? Wer hatte Simon Sirnacher umgebracht? Einen einfachen Mann, bei allen beliebt, der keiner Fliege etwas zuleide tat? Hagen musste über das Bild lachen, das ihm in den Sinn gekommen war, keiner Fliege etwas zuleide tun. Das stimmte natürlich nicht, Sirnacher war Jäger und Fischer gewesen, den Tieren hatte er schon etwas angetan, und Fliegen hatte er vermutlich auch erschlagen, wenn er sie erwischt hatte. Hagen sah wieder die teilnahmslosen Augen des beinahe tödlichen Hechts auf der Abtstafel vor sich, dann schweifte sein Blick über die Bucht.

Plötzlich überfiel ihn ein Gedanke, der ihm den Schweiß ausbrechen ließ.

 

***

 

Hanns Hagen suchte noch einmal den Abt von Petershausen auf. Dann befragte er die Frau von Simon Sirnbacher und schließlich machte er noch einen Spaziergang zum Eichhorn.

Am nächsten Tag begab er sich wieder ins Rathaus, um dem versammelten Rat die Ergebnisse seiner Nachforschungen mitzuteilen.

»Werte Herren«, begann er seine Ausführungen, »ich habe den Mörder gefunden.«

Freudig beifällige Rufe und Fragen erklangen aus den Reihen der Räte: »So ist es recht!« »Wo ist der Kerl?« »Habt Ihr ihn gefangen?«

»Der Mörder ist kein Mensch, sondern ein Tier.«

Verblüfft sahen ihn die versammelten Handwerker und Patrizier an. Als er sich von der Überraschung erholt hatte, höhnte als erster Luitfried Muntprat: »Ein Tier! Herr Vogt, ein besserer Witz ist Euch nicht eingefallen? Soll ein Tier den Toten so zugerichtet haben, wie man es sich erzählt?«

»Was, wenn die Tiere sich an uns rächen würden, Herr Muntprat?«

Nun regte sich auch bei den anderen Ratsmitgliedern Widerspruch, und selbst der Bürgermeister sagte: »Hanns, die Idee der Rache setzt ein vernunftbegabtes Wesen voraus, die Tiere zählen nicht zu diesen, nur wir Menschen und die Engel.«

»Euer Hund, Herr Bürgermeister, erkennt er Euch wieder, wenn Ihr nach Hause kommt?«

»Natürlich, Rabe ist ein treues Tier.«

»Und wenn ihn jemand geschlagen hat, erkennt er den dann auch wieder?«

»Mein Nachbar hat ihm einmal einen Tritt versetzt. Wenn Rabe ihn sieht, knurrt er böse.«

»Seht Ihr.«

»Wollt Ihr uns allen Ernstes weismachen, dass ein Tier dem Sirnbacher das Gesicht zerschlagen und ihn ins Wasser geworfen hat?« mischte sich Muntprat wieder ein.

»Genau das, meine Herren. Ich habe die Befürchtung, dass der Mörder von Simon Sirnacher kein Mensch war.«

»Wie kommt Ihr zu einer solchen Annahme, Herr Vogt?« wollte nun Heinrich von Ulm wissen.

»Gestern habe ich mit zwei Äbten gesprochen, dem von Petershausen und dem Abt des Klosters Reichenau. Ich bin mir sicher, dass die Reichenauer nichts mit dem Mord zu tun haben. Der Abt von Petershausen hat mir jedoch erzählt, dass Simon Sirnacher viele Wasservögel gejagt hat, die ja jetzt in der Fastenzeit besonders beliebt sind. Außerdem hat er seinem Abt Schwaneneier gebracht, die er offenbar einem Schwanenpaar am Eichhorn gestohlen hatte.«

»Gestohlen!« Muntprat lachte auf.

»So würde es wohl das Schwanenpaar nennen. Aber er hat ihnen nicht nur die Eier genommen. Das Paar gibt es nicht mehr. Herr Muntprat!« wandte sich Hanns Hagen nun direkt an den reichen Patrizier. »Seid Ihr sicher, dass Ihr den Toten nicht gekannt habt? Denkt gut nach, ehe Ihr antwortet!«

Muntprat zog bedrohlich die Mundwinkel nach unten. »Wollt Ihr mir unterstellen, dass ich gelogen habe?«

»Ihr müsst wissen, dass ich auch mit der Frau von Simon Sirnacher, Katharina, gesprochen habe. Sie hat mir nach einigem Drängen erzählt, dass ihr Mann Simon einen Schwan getötet hat, draußen am Eichhorn, und zwar den Schwan, dessen Eier er anschließend aus dem Nest genommen hat. Er hat sich von hinten an das Nest geschlichen und dem brütenden Vogel die Kehle durchgeschnitten. Den Schwan hat er aber nicht dem Abt von Petershausen gebracht, wie es seine Pflicht gewesen wäre als dessen Leibeigener, sondern heimlich verkauft. An einen Patrizier aus Konstanz.«

Schweigend sah der Vogt Muntprat an.

»Na und?« erwiderte dieser ärgerlich. »Vielleicht hat er mir den Schwan verkauft. Ich kenne nicht jeden, der meine Küche beliefert.«

»Sirnachers Frau hat mir gesagt, dass Ihr ihn vorher ausdrücklich gebeten hattet, ihm einen Schwan zu besorgen, weil Ihr unbedingt bei eurem Festmahl den Kardinalbischof von Ostia damit beeindrucken wolltet. Er habe den Vogel direkt zu Euch gebracht, in der Hoffnung, dass Ihr ihn reichlich dafür belohnt.«

Muntprat winkte ab.

Also fuhr Hanns Hagen fort: »Dann habt Ihr ihn noch einmal losgeschickt. Gestern Abend habt Ihr ein Festmahl für die Gesandten des Herzogs von Mailand ausgerichtet, nicht wahr?«

»Und wenn? Was kümmert’s Euch?«

»Ist es richtig, dass Ihr dafür wieder einen Schwan haben wolltet? Sirnacher ist an dem Morgen, als er ermordet wurde, am Tag vor Eurem Festmahl, erneut zum Eichhorn gegangen, weil er gesehen hatte, dass dort wieder ein Schwan brütete.«

»Hagen, Ihr langweilt uns mit Eurem Schwanengesang. Habt Ihr den Mörder des armen Sirnacher nun gefunden oder nicht?«

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Siehe u. a. Terence Scully, Cuoco Napoletano. The Neapolitan Recipe Collection (New York, Pierpont Morgan Library, MS. Buhler, 19).
A Critical Edition and English Translation. Ann Arbor 2000.

 

Übersetzung von Monika Küble