Ein Begleiter für das Jahr
deutscher lyrik verlag (dlv)
Jedes Jahr erfahren wir den Alltag, die Veränderungen, die er bringt, das, was sich gleich bleibt, und das, was wir denken und fühlen, immer wieder aufs Neue. Ein Jahr beginnt und wird abgeschlossen. Dabei bleiben die vier Jahreszeiten eng mit uns verbunden. Sehr oft beeinflussen sie unsere Stimmung und fördern oder beeinträchtigen, was wir tun und planen. Aber sie gewähren uns auch einen Einblick in das Geschehen jener Welt, die uns unmittelbar umgibt und in der wir leben.
Mit diesem Buch habe ich versucht, das, was sich regelmäßig wiederholt und vollzieht, festzuhalten und den Leser dazu einzuladen, diese Geschehnisse, so wie sie sich in uns und um uns herum abspielen, einmal aufmerksamer und mit mehr Innerlichkeit zu erleben.
Wenn es mir mit diesen Gedichten gelungen ist, den Leser seine Umgebung neu erfahren zu lassen, indem ich ihn dazu auffordere, öfter aufzumerken, um die Dinge einmal bewußt und mit froher Beschaulichkeit zu betrachten und sich für das, was immer gegeben ist, Zeit zu lassen, mit anderen Worten: das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen zu sehen, so kann ich sagen, daß das Buch damit seinen Beitrag geleistet hat.
Margrit Dahm
wenn die Sonne noch nicht aufgegangen ist
und die Häuser verschlafen
im Dunkeln liegen,
ist der Himmel bereits von Helligkeit
durchzogen, und die Kontouren von
Bäumen und Gebäuden
zeichnen sich klar gegen die Helle ab,
die uns in diesen sommerlichen Nächten
weithin umgibt;
dann ist die Frühe des Tages
noch eins mit jener Stille,
die sich im Licht des Mondes
widerspiegelt und den Strahlenkranz
des Morgensterns belauscht,
der auf das Erwachen des Tages wartet,
bevor er im blauen Nichts
entschwinden kann.
ein neuer Tag steigt herauf,
Geräusche drängen sich auf:
Autos, ein sich entfernendes
Flugzeug …
Aber hier, in unmittelbarer
Nähe, breitet sich Stille aus:
sie umgibt, umrandet
den Garten und ergießt
sich in jeden ruhig
atmenden Grashalm
und jeden Ast.
Eine erste Vogelstimme
ist erwacht und durch das
Laub der Bäume ist nun der
Himmel sichtbar:
ein blasses, dennoch
leuchtendes Schwefelgelb
des frühen Morgens –
es wird ein sonniger Tag werden.
die Mondsichel stand
am klaren Nachthimmel
und sein blasser
Lichtschimmer erhellte
den still liegenden Garten,
als ob er träume.
Bewegungslos standen
die hohen Bäume,
kein Hauch rührte sich
in ihnen.
Würzig stieg die Luft
von unten herauf
und erfüllte das Zimmer
mit dem Duft
einer in sich ruhenden
warmen Sommernacht.
ein später Sommer war gekommen:
kurz intensiv heiß,
aber er konnte das Sterben
nicht aufhalten,
das kommen mußte.
Jetzt liegen die welken Blätter
auf den Straßen, in den Gärten,
und die Luft ist ganz von
Feuchtigkeit durchdrungen –
die Zeit des Loslassens und
Sich-Lösens,
wenn ein Zyklus sich schließt
und ein anderer sich öffnet,