Zum Buch
Ein abgelegenes Schloss in Böhmen wird 1557 zum Schauplatz einer ungewöhnlichen Hochzeit: Erzherzog Ferdinand II. von Tirol aus dem Kaiserhaus der Habsburger nimmt die Augsburger Patriziertochter Philippine Welser zur Frau. Trotz ihrer bürgerlichen Herkunft gelingt es der Braut, sich nach und nach Achtung und Reputation in ihrem adeligen Umfeld zu erkämpfen. Auf Schloss Ambras in Innsbruck verkehrt sie zwanglos mit dem Tiroler Landadel. Auf Schloss Ambras steigt zur populären Landesmutter von Tirol auf und kann diese Rolle nach Aufhebung der Geheimhaltungspflicht ihrer Ehe durch den Papst 1576 ganz offiziell ausüben.
Die Biografie einer außergewöhnlichen Frau, die es verstand, auf dem glatten Parkett der Ständegesellschaft keine Fehler zu machen, und die mit ihrer Liebesromanze der Nachwelt in lebendiger Erinnerung geblieben ist!
Zur Autorin
Karin Schneider-Ferber, M.A.,
geb. 1965, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie schreibt u. a. für die Zeitschrift G/Geschichte; zahlreiche Publikationen zu historischen Themen.
Biografien machen Vergangenheit lebendig: Keine andere literarische Gattung verbindet so anschaulich den Menschen mit seiner Zeit, das Besondere mit dem Allgemeinen, das Bedingte mit dem Bedingenden. So ist Lesen Lernen und Vergnügen zugleich.
Dafür sind gut 100 Seiten genug – also ein Wochenende, eine längere Bahnfahrt, zwei Nachmittage im Café. Wobei klein nicht leichtgewichtig heißt: Die Autoren sind Fachleute, die wissenschaftlich Fundiertes auch für den verständlich machen, der zwar allgemein interessiert, aber nicht speziell vorgebildet ist.
Bayern ist von nahezu einzigartiger Vielfalt: Seinen großen Geschichtslandschaften Altbayern, Franken und Schwaben eignen unverwechselbares Profil und historische Tiefenschärfe. Sie prägten ihre Menschen – und wurden geprägt durch die Männer und Frauen, um die es hier geht: Herrscher und Gelehrte, Politiker und Künstler, Geistliche und Unternehmer – und andere mehr.
Das wollen die KLEINEN BAYERISCHEN BIOGRAFIEN: Bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken – und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen. Eine Aufgabe mit Zukunft.
DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, geboren 1965, lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg. Veröffentlichungen zu Stadt und Bürgertum in der Neuzeit.
KARIN SCHNEIDER-FERBER
Philippine Welser
Die schöne Augsburgerin im Hause Habsburg
Verlag Friedrich Pustet
Regensburg
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
eISBN 978-3-7917-6075-9 (epub)
© 2016 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg
Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg
Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:
ISBN 978-3-7917-2749-3
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Das Entzücken war groß, als Erzbischof Perrenot de Granvelles die kleine Silbermünze mit dem Abbild eines gefälligen Frauenprofils in Händen hielt. Wie »schön« Philippine Welser, die Tochter eines Augsburger Patriziers, doch sei, schrieb der Kanzler Kaiser Karls V. begeistert in einem Brief an den Bildhauer und Erzgießer Leone Leoni, der das Wachsmodell für den Guss der Münze 1551 in Augsburg hergestellt hatte. »Bella Felipina«, die »schöne Philippine«, tritt hier zum ersten Mal aus dem archivalischen Dunkel in das etwas hellere Licht der geschichtlichen Überlieferung.
Doch trotz ihrer gerühmten Schönheit weiß man über die prominente Tochter aus dem Handelshaus der Welser nur sehr wenig. Ihre Heirat mit Erzherzog Ferdinand II. von Tirol verdammte sie zu einem Leben im Verborgenen, denn der kaiserliche Schwiegervater gebot die strenge Geheimhaltung der unstandesgemäßen Ehe. Kein Briefwechsel, kein Tagebuch, keine zeitgenössische Biografie geben Auskunft über ihre Befindlichkeiten, Träume und Wünsche. Selbst ihr Markenzeichen – ihre Schönheit – lässt sich nicht wirklich bestätigen. Die meisten ihrer Porträts sind spätere Zuschreibungen, die keine gesicherten Schlüsse zulassen.
So gehört es zu den Merkwürdigkeiten der Geschichte, dass ausgerechnet die »schöne Philippine« bis ins reife Alter ›gesichtslos‹ bleibt. Eines der wenigen authentischen Bilder zeigt sie auf ihrem Totenbett mit blassem Antlitz und gefalteten Händen – Sanftmütigkeit und inneren Frieden ausstrahlend.
Ob Philippine Welser »schön« nach heutigen ästhetischen Gesichtspunkten war, muss dahingestellt bleiben. Eine bemerkenswerte Persönlichkeit war sie in jedem Fall. Anders wäre die Heirat einer Bürgerlichen mit dem Sohn des römisch-deutschen Königs und Kaisers – nach den Maßstäben des 16. Jahrhunderts ein handfester Skandal – nicht zu erklären. Dass die Welserin nicht wie viele andere bürgerliche Frauen als Konkubine und ewige Mätresse endete, sondern eine rechtmäßige Ehe mit dem Kaisersohn Ferdinand eingehen konnte, lässt sich letztlich nur mit ihrem anziehenden Wesen erklären, das sich jedoch kaum aus sprödem Aktenmaterial offenbart. Um das Leben dieser Frau nachzuzeichnen, muss man die spärlichen Quellen wie Mosaiksteinchen aneinanderfügen und erhält doch kein vollständiges Bild. Philippine bleibt im Hintergrund – die äußeren Stationen ihrer Biografie verraten aber ein Leben zwischen Hoffen und Bangen.
Nicht einmal das genaue Datum ist bekannt: Irgendwann an einem kalten Januartag des Jahres 1557 schritt ein ungewöhnliches Paar zur Tat. In der Burgkapelle von Bresnitz in Böhmen gaben sich die fast 30-jährige Philippine und der zwei Jahre jüngere Ferdinand unter Beisein der Schlossherrin Katharina von Loxan, Philippines Tante, das Jawort. Der Beichtvater des Erzherzogs, Johann von Cavalerii, segnete die Ehe ein, die damit kirchenrechtliche Gültigkeit besaß. Die Zeremonie fiel denkbar schlicht aus. Weder die Verwandten des Paares noch der Hofstaat oder eine nennenswerte Anzahl von Freunden und Bekannten waren zugegen. Alles, was eine fürstliche Hochzeit ausmachte – Tafelfreuden, Musik, Tanz, reiche Hochzeitsgeschenke –, entfiel. Die Frischverliebten feierten den ›schönsten Tag ihres Lebens‹ in überaus großer Heimlichkeit. Fernab der Metropole Prag, in der Ferdinand offiziell als Statthalter von Böhmen residierte, vollzog sich der Schlussakkord einer leidenschaftlichen Liebe in tiefster Abgeschiedenheit der ländlichen Idylle von Bresnitz. Nur wenige Vertraute – die Tante Katharina von Loxan, ihr Sohn Ferdinand, der in Bresnitz als Burghauptmann amtierte, und ihre Tochter Katharina – wussten um die heimliche Ehe. Dass die Trauung eines Kaisersohnes – noch dazu eines Mannes, der als Gastgeber rauschender Feste weithin bekannt und beliebt war – völlig ohne höfisches Zeremoniell über die Bühne ging, zeigt, welch gesellschaftlicher Fauxpas mit der unstandesgemäßen Beziehung verbunden war. Der Zorn des königlichen Vaters und Schwiegervaters Ferdinand I., dessen Zustimmung man nicht eingeholt hatte und der ganz andere dynastische Verbindungen für seinen Sohn geplant hatte, war abzusehen. Die Liebe des Paares überwog jedoch die Furcht vor der gesellschaftlichen Ächtung.
Dass die Nachwelt überhaupt von der Ehe erfuhr, ist nur ganz wenigen Dokumenten geschuldet, die Jahre nach der Trauung entstanden. Zunächst musste das Paar 1559 vor Kaiser Ferdinand I., der von den Umtrieben in Bresnitz Wind bekommen hatte, Abbitte leisten und die ewige Geheimhaltung der Ehe versprechen, um die väterliche Gunst wiederzuerlangen. Ferdinand ließ zwar Milde walten, versuchte aber, die rechtlichen Folgen der Ehe abzufedern, indem er Bestimmungen zur Erbfolge der Kinder und zur Witwenversorgung Philippines erließ. Ausführlicher berichtet eine Urkunde von 1576 über die Eheschließung, die die legitime Abkunft des ältesten Sohnes des Paares, Andreas, nachweisen sollte, als dieser sich um die Kardinalswürde bemühte. Der Erzherzog und seine Gattin bestätigten darin mit ihrer Unterschrift, im Januar 1557 vor dem Priester Cavalerii eine vollgültige Ehe eingegangen zu sein. Doch mehr als der trockene Sachverhalt einer Eheschließung ist den Dokumenten nicht zu entnehmen. Über Ängste und Sorgen des Paares in dieser Zeit lässt sich nur spekulieren.
Ferdinand und Philippine – ein Traumpaar der Geschichte? Für die spätere Legendenbildung war die große Liebe zwischen dem Habsburger und der Bürgerstochter natürlich der gegebene Ansatzpunkt. In der Zeit der Romantik sprossen die rührseligen Anekdoten über das Paar nur so aus dem Boden. Dabei verschwammen die Grenze vom historisch Gesicherten zum verklärten Mythos zusehends. Doch selbst wenn man sich vor Übertreibungen hütet und die nüchterne Sprache der Quellen anerkennt, kommt man um ein gewisses Erstaunen nicht herum, das die Beziehung der beiden ungleichen Partner unweigerlich begleitet: Ferdinand und Philippine entstammten unterschiedlichen Welten – hier der Habsburger Hof mit seinen hochfliegenden Machtansprüchen, den fürstlichen Privilegien und exquisiten Vergnügungen, dort die Lebenswelt des städtischen Bürgertums, geprägt von Handel und Gewerbe, von bodenständiger Sparsamkeit und kaufmännischem Wagemut.
Es lassen sich allerdings auch Überschneidungen zwischen den sozialen Lebensräumen ausmachen; insbesondere in Metropolen wie Augsburg, wo Politik und Hochfinanz zusammenkamen, ergaben sich viele Schnittmengen. Wirtschaftlich potente Familien wie die Welser verkehrten bereits lange vor Philippines Geburt mit Kaisern und Königen aus dem Hause Habsburg. Die Städte boten sich als Schauplätze für Reichstage, Festbankette und Turniere geradezu an und der Hochadel griff auf ihre Ressourcen bereitwillig zurück. Dass sich hier junge Menschen aus Adel und Großbürgertum begegneten, konnte nicht ausbleiben. Ungewöhnlich blieb dennoch eine offizielle Eheschließung zwischen ihnen, zumal wenn einer der Partner aus einer hochadligen Dynastie stammte. Obwohl es im 16. Jahrhundert auch Beispiele für morganatische Verbindungen, also Ehen standesungleicher Partner gab, dauerte es noch sehr lange, bis der Hochadel seine Heiratspolitik öffnete und auch Bürgerliche als gleichrangige Partner akzeptierte.
Abb. 1: Bildnis einer Erzherzogin (Philippine Welser zugeschrieben). – Süddeutscher Maler, um 1557
Doch vollkommen ausschließen konnte man den ›Betriebsunfall‹ Liebe auch nicht – umso weniger, als in der Renaissance die Lust am Leben neu erwachte. So betrachtet man Philippine und Ferdinand am besten im Kontext ihrer Zeit, um das Ungewöhnliche ihrer Beziehung zu begreifen. Der Braut sei dabei der Vortritt zugestanden: Philippines Welt ist die Welt der mächtigen Reichsstadt Augsburg, in der die städtische Oberschicht genauso gerne tanzt, schlemmt und feiert wie der Adel an den Höfen. Danach folgt der Mann des Herzens, der als Angehöriger einer der führenden Dynastien Europas zunächst die besten Aussichten hat, durch eine günstige Heirat einen Königsthron zu ergattern, bis das Schicksal ihn in andere Bahnen lenkt.
Die Bühne, die Philippines Heimatstadt Augsburg einem wohlhabenden Mädchen aus der Oberschicht bot, hätte glänzender nicht ausfallen können. Die schwäbische Metropole mit römischen Wurzeln blickte auf eine lange und ehrwürdige Geschichte zurück und zählte mit einer stattlichen Einwohnerschaft von etwa 35 000 Menschen zu den größten Städten des Reiches. Das 16. Jahrhundert begann für die Stadt zwischen Lech und Wertach unter äußerst günstigen Vorzeichen. Steigendes Handelsvolumen und Kapitalakkumulation machten sie für die Träger der Macht, die römisch-deutschen Könige und Kaiser, zunehmend attraktiv. Seit 1316 Freie Reichsstadt und damit ohnehin in enger Beziehung zum König als einzigem Stadtherrn stehend, gelang es der wirtschaftlich blühenden Metropole mit Hilfe kapitalkräftiger Bürger, die Kontakte zu den stets klammen Kaisern aus dem Hause Habsburg zu intensivieren. Nur allzu gerne griffen die gekrönten Häupter auf die großzügigen Kredite reicher Augsburger Handelsherren zurück.
Die enge Symbiose von Kapital und Politik drückte sich nicht zuletzt in einer zunehmenden Präsenz der Kaiser innerhalb der Augsburger Stadtmauern aus. Einer, der das Metropolenleben in vollen Zügen genoss, war Kaiser Maximilian I., der gleich 17 Mal in Augsburg weilte, dabei Logis in den Häusern seiner diversen Bankiers nahm und schließlich mit dem Meutingschen Hause in der Nähe der Heilig-Kreuz-Kirche eine eigene Wohnstätte in der Stadt erwarb. Maximilian erntete für seine Neigung zum Großstadtleben den Spottnamen »Bürgermeister von Augsburg«. Sein Enkel und Nachfolger Karl V., dessen Wahl 1519 zum römisch-deutschen König von Augsburger Kapital abhängig gewesen war, setzte die guten Beziehungen zum Zentrum der Hochfinanz weiter fort und holte immer wieder die hohe Politik hinter die Stadtmauern. Wegen seiner verkehrsgünstigen Lage zu den Alpenpässen eignete sich Augsburg nämlich hervorragend als Versammlungsplatz international bedeutender ›Gipfeltreffen‹. Zwischen 1500 und 1550 fanden sieben Reichstage in Augsburg statt, darunter gerade die für die Geschichte der Reformation bedeutsamsten. Die zahlreich dafür anreisenden Gäste rückten Augsburg ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Zum Reichstag von 1518 kamen neben dem Kaiser alle Kurfürsten, 51 Bischöfe und 23 weltliche Fürsten nebst Gefolge in die Stadt.
Die Reichstage, die Versammlungen der Reichsstände unter Vorsitz des Kaisers, berieten über die brisanten Themen der Tagespolitik, so die Steuerbewilligung zur Kriegsfinanzierung oder religiöse Kontroversen. Der »Thesenanschlag« Martin Luthers 1517 in Wittenberg hatte nicht nur die Reichspolitik, sondern auch das religiöse Leben Augsburgs gehörig durcheinander gewirbelt. Als Wirtschaftsmetropole war die Stadt gleichzeitig ein führendes Kommunikationszentrum, das mit zahlreichen Offizinen die reformatorischen Schriften verbreiten half. Nach Wittenberg war Augsburg der bedeutendste Druckort lutherischer Schriften; allein zwischen 1518 und 1530 sind 457 Drucke nachgewiesen. Im Oktober 1518 musste sich Luther im Anschluss an den in Augsburg tagenden Reichstag vor Kardinal Cajetan rechtfertigen und überstürzt aus der Stadt fliehen, um seiner Verhaftung wegen Häresie zuvorzukommen. Rasch schlossen sich weite Kreise der Bevölkerung, vor allem jene, die im Stadtregiment unterrepräsentiert waren, der Reformation an. Verschiedene Bewegungen, darunter auch die im ganzen Reich verfolgten Täufer, fanden Zulauf in der Stadt.
Für Augsburg gingen diese bewegten Jahre mit einer spannungsgeladenen Atmosphäre einher, denn während ein großer Teil der Bevölkerung mit der Reformation sympathisierte, achteten die vornehmen Geschlechter, die die Stadtpolitik bestimmten, peinlich genau darauf, es sich mit den katholischen Habsburgern nicht zu verderben. Geschäft war schließlich Geschäft, ganz unabhängig von der persönlichen religiösen Einstellung. Daher öffnete sich Augsburg erst spät, in den Jahren 1534/37, der Reformation und schloss sich – sehr zum Zorn Kaiser Karls V. – auch dem militärischen Verteidigungsbündnis der Protestanten, dem Schmalkaldischen Bund, an. Erst 1555 gelang mit dem Abschluss des Augsburger Religionsfriedens, der den Lutheranern die reichsrechtliche Anerkennung verschaffte, ein Ausgleich. Denn nach 1555 durften beide Konfessionen gleichberechtigt und nebeneinander in der Stadt ihr religiöses Leben pflegen.
So präsentierte sich Augsburg in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts als eine für das Reichsgeschehen bedeutsame, im Innern aufgewühlte Metropole mit gleichzeitig internationalem Flair. Wer hier aufwuchs, bewegte sich an einem der Brennpunkte der Zeit und konnte sich nur schwerlich den politischen und religiösen Fragen entziehen. Von provinzieller Abgeschiedenheit und biedermeierlicher Idylle weit entfernt, bot Augsburg ein Leben am Puls der Zeit, das keinen Angehörigen der städtischen Oberschicht unberührt ließ.
Die Quellen des Reichtums und damit der machtpolitischen Bedeutung lagen für Augsburg von jeher in Handel und Gewerbe. Schon im Hochmittelalter begannen ortsansässige Kaufleute ihre Fühler auf überregionale Märkte auszustrecken und Beziehungen zu den jenseits der Alpen gelegenen Regionen zu knüpfen. Vor allem ein Import-Produkt verhalf der Augsburger Wirtschaft dabei auf die Sprünge: die über Venedig aus dem Orient eingeführte Baumwolle. Die Augsburger Weber kombinierten an ihren Webstühlen die geschmeidige Baumwollfaser mit dem etwas steiferen, aus heimischer Rohstoffproduktion stammenden Leinfaden und schufen so ein ebenso preiswertes wie angenehm zu tragendes Mischgewebe, den Barchent. Dieser wurde für Augsburg der Stoff, aus dem die kühnsten Träume gewoben wurden. Denn seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert, nachdem die Pestwellen die gewerblichen Strukturen in Italien, Frankreich und England nachhaltig geschädigt hatten, sprang die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Textilien an und beflügelte damit die oberdeutsche Produktion.
Die verkehrsmäßig günstige Lage Augsburgs zwischen Alpenpässen, Flachsanbaugebieten und wichtigen Handelsrouten nach Norden kam dem Aufschwung zusätzlich zugute. Während sich die Weber zur zahlenmäßig stärksten Zunft entwickelten, profitierten auch die textilverarbeitenden Gewerbe wie Schneider oder Färber von dem Wirtschaftsboom. Seit den 1470er-Jahren stieg das Augsburger Steueraufkommen zur Freude der Ratsherren fast jährlich um über 3 % an. Das Gesamtanschlagvermögen aller steuerzahlender Bürger wuchs von ca. 700 000 Gulden im Jahr 1466 auf ca. 3,8 Mio. Gulden im Jahr 1516 an, hatte sich also in 50 Jahren mehr als verfünffacht. In der Weberzunft saßen bereits im Jahr 1428 30 Mitglieder, die ein stattliches Vermögen von mindestens 1000 Gulden besaßen. Im 16. Jahrhundert stieg schließlich die jährliche Produktionsmenge auf 2,5 Mio. Barchenttuche an.