Claudia Donno
Kikki Krümel und die verhexten Hexen
Das Buch:
Seit die Oberhexe verhext ist, tut sie nichts lieber, als die anderen Hexenhäuser mit Eiern zu bewerfen. Zudem will sie das Menschendorf Waldheim übernehmen. Und die normalerweise bösartige Ragna ist plötzlich unheimlich lieb. Sie will, dass Kikki bei ihr einzieht. Schlimmer geht es nimmer, findet Kikki. Sie und Florina machen sich auf die Suche nach der Rätselhexe. Doch ihr Aufenthaltsort ist streng geheim.
Ob Kikki und Florina das Geheimnis trotzdem lösen können?
Die Autorin:
Seit 2002 nimmt das Schreiben einen wichtigen Teil im Leben von Claudia Donno ein. Daraus sind viele Geschichten in den Bereichen Kinder, Fantasy, Horror, Krimi und Satire entstanden, die bei verschiedenen Verlagen veröffentlicht wurden. Zurzeit arbeitet sie am nächsten Teil von Kikki Krümel.
Bisher erschienen:
Band 1: Kikki Krümel und der fliegende Hexenkessel
Band 2: Kikki Krümel und das Geheimnis der verschwundenen Waldhexe
Band 3: Kikki Krümel und das goldene Drachenei
Claudia Donno
Roman
Kikki Krümel und die verhexten Hexen
Claudia Donno
Copyright © 2016 at Bookshouse Ltd.,
Villa Niki, 8722 Pano Akourdaleia, Cyprus
Umschlaggestaltung: © at Bookshouse Ltd.
Coverfotos: www.shutterstock.com
Satz: at Bookshouse Ltd.
Druck und Bindung: CPI books
Printed in Germany
ISBNs: 978-9963-53-415-9 (Paperback)
978-9963-53-416-6 (E-Book .pdf)
978-9963-53-417-3 (E-Book .epub)
978-9963-53-418-0 (E-Book Kindle)
www.bookshouse.de
Urheberrechtlich geschütztes Material
1. Der Zaubertrankwettbewerb
2. Besuch bei Tante Judith
3. Eine böse Überraschung
4. Verkehrte Welt
5. Besuch von Florina
6. Auf Besuch in der Menschenschule
7. Katzenalarm
8. Der Blumenzauber
9. Ungebetene Gäste
10. Auf der Suche nach der Rätselhexe
11. Die Rätselhexe Rita Tunichtgut
12. Das magische Grundrezept
13. Die Vorbereitung
14. Der Zaubertrank
15. Das Fest kann beginnen
16. Geschafft!
Für Kikki Krümel
Danke, dass du mir immer wieder von deinen Abenteuern erzählst.
Übrigens, dein Froschaugentee schmeckt köstlich.
Kapitel 1
Der Zaubertrankwettbewerb
Sechs Waldhexen saßen mit Kikki am runden Holztisch in der Stube der Oberhexe. Das Kauen ihrer Kiefer war beinahe das einzige Geräusch, das zu hören war. Was daran lag, dass der Berg aus Gebäck, der in der Mitte des Tisches in die Höhe ragte, aufgegessen werden musste.
Ansonsten waren die Hexen so still, dass sich das Ticken der Wanduhr wie donnernde Schläge anhörte. Wie immer lag der Geruch von frisch aufgebrühtem Froschaugentee in der Luft, der aus einem großen Kessel in der Feuerstelle zu ihnen herüberwehte. Sie alle trugen ihre ältesten und mit Flicken übersäten Röcke, abgenutzte Stiefel und Zauberhüte.
Von draußen ertönte ein lang gezogenes Pfeifen. Erst einmal, dann fünf Mal. Danach herrschte wieder Ruhe.
»Sie ist hier! Endlich.« Trixi klang erleichtert.
»Darf ich das Schreiben reinholen?« Die Frage kam von der siebzehnjährigen Isolde mit der spitzen Nase. Wie immer steckten Blätter und kleine Äste in ihren braunen Haaren.
Mehrere Augenpaare blickten in Isoldes Richtung. Allen voran, die kohlschwarzen der Oberhexe. Kikki hingegen starrte zur Oberhexe.
»Erst wird gezählt. So wie immer. Diese Ungeduld von euch Junghexen.« Die Oberhexe schüttelte ihren Kopf.
Kikki rutschte auf dem Platz neben ihr herum. »Du, Oberhexe. Du hast da was.« Sie tippte mit dem Zeigefinger gegen die lila Wäscheklammer, die in ihren Haaren festgeklemmt war.
»Oh.« Die Oberhexe zupfte sich die Wäscheklammer aus den Haaren und befestigte sie am Ärmel ihres Kleides. »Die habe ich wohl vorhin vergessen, als ich die Wäsche aufgehängt habe.« Sie blickte auf die Wanduhr, die hinter dem Tisch hing und schmunzelte. »Auf drei zählen wir bis fünfzig. Eins … zwei … dr…«
»Wieso müssen wir eigentlich immer bis fünfzig zählen?«, fragte Isolde.
»Weil wir sonst die Hexe, die uns das geheime Pergament hingelegt hat, verzaubern könnten. Wir könnten sie dazu zwingen, uns zu verraten, wo wir die Zutaten für den Zaubertrank finden. Wir müssen ihr schon die Zeit geben, um wegzufliegen. Bei allen Hexen, weshalb fragst du jedes Jahr dasselbe?« Die Oberhexe schnaubte.
»Nur so«, sagte Isolde kleinlaut.
»Eins … zwei … drei …«, begannen die Waldhexen von Neuem zu zählen.
Als sie bis fünfzig gezählt hatten, sprangen sie alle gleichzeitig von ihren Stühlen hoch und hetzten auf die Tür zu.
»Was wohl dieses Mal drinsteht?« Trixis Stimme überschlug sich. Sie hielt ihre langen schwarzen Haare zusammen und rannte neben ihrer gleichaltrigen Freundin Isolde her.
Die alte Vallera schlurfte so schnell es ging über den Holzboden.
Fauna pfiff fröhlich vor sich hin und schlenderte neben Vallera her. Die tierliebe Waldhexe mit dem schmalen Gesicht wollte das Rennen gar nicht gewinnen. Das wussten alle. Deshalb fühlten sie sich auch nicht von ihr bedroht.
Irmgard, die kleinste von allen, rannte so schnell, wie ihre Beine sie trugen. Dabei hüpfte der Turm aus blonden Haaren auf ihrem Kopf wild auf und ab.
»Ich will ihn holen. Ich will«, rief Trixi und hatte schon fast die Tür erreicht.
Nur Kikki und die Oberhexe bewegten sich keinen Meter. Sie standen neben dem Tisch und blickten dem wilden Treiben zu.
Kikki, weil sie noch nicht beim Zaubertrankwettbewerb mitmachen durfte – und die Oberhexe, weil sie ihren Zauberstab aus ihrem Gürtel gezogen hatte. Sie hob ihn und sagte:
»Wände, Balken und Decken
ihr sollt euch in die Höhe strecken!
Meine Stube soll größer und breiter werden,
und weiterhin meine Geheimnisse verbergen!«
Ein kreisrunder Strahl schoss aus ihrem Zauberstab hervor und breitete sich aus. Kaum berührte er die Wände, wurde die Stube der Oberhexe immer größer und größer. Die Wände entfernten sich voneinander. Die dunklen Balken, die die Decke stützten, wuchsen in die Höhe. Die Tür rückte immer weiter in die Ferne.
»Das ist unfair«, maulte Irmgard und blieb stehen.
Die anderen Waldhexen taten es ihr gleich. Sie drehten sich zur Oberhexe um.
»Immer tust du dasselbe«, kicherte die alte Vallera. »Und jedes Jahr fallen wir darauf rein.«
»Also, ich finde das witzig«, grunzte die Oberhexe. Ihr runder Bauch hob und senkte sich. »Es ist meine Aufgabe, die Nachricht zu finden und zu lesen. Ihr schussligen Hexen. Ich bin eure Anführerin. Schon vergessen?«
»Nein, Oberhexe«, erklang es mit wenig Begeisterung im Chor.
Erneut wedelte die Oberhexe mit ihrem Zauberstab. Die Stube schrumpfte auf ihre normale Größe zurück. Mit wenigen Schritten watschelte sie zur Tür und öffnete sie. Auf der Schwelle lag das ersehnte Schreiben. Mit einem leisen Stöhnen bückte sie sich und hob es auf. Dann drehte sich zu den anderen um und hielt die Pergamentrolle in die Höhe. »Es kann losgehen.«
»Wurde auch Zeit.« Vallera strahlte und zeigte ihre gelben Zähne.
»Na, endlich«, fand auch Irmgard. Sie zappelte vor lauter Vorfreude mit den Füßen.
»Na, dann können wir jetzt los.« Die Oberhexe hielt die Tür auf und blickte auf Trixi, Fauna, Isolde, Irmgard und Kikki, die mit ihren Besen in den Händen an ihr vorbei nach draußen eilten.
Vallera hingegen brauchte eine Ewigkeit, um vorwärtszukommen. Gemächlich setzte sie einen Fuß vor den anderen. So, als hätte sie alle Zeit der Welt.
»Hopp. Hopp. Beeil dich!« Die Oberhexe trat hinter sie und schob sie an.
Kikki verdrehte die Augen. Nur wegen Vallera kamen sie noch zu spät. Erst als Vallera im Vorgarten angekommen war, packte die Anführerin der Waldhexen ihren eigenen Besen und verriegelte mit einem Schlenker ihres Zauberstabes die Tür.
»Auf was wartet ihr noch? Los gehts.«
Sie rauschten auf ihren Besen zwischen den Bäumen dahin. Kikki sah nach oben. Über ihren Köpfen hingen schwere graue Wolken.
Mehrere Krähen begleiteten ihren Flug. Nach wenigen Minuten erreichten sie ihr Ziel. Die große Lichtung mitten im Hexenwald.
Die sieben Moorhexen, die bereits dort auf sie warteten, blickten den Ankommenden entgegen. Sie alle hatten grüne Gesichter und dunkle Haare.
»Da seid ihr endlich. Jedes Jahr müssen wir auf euch warten.« Ragna, ihre Anführerin, verzog das Gesicht. Ihre strähnigen Haare ließen sie noch unfreundlicher erscheinen, als sie ohnehin schon war.
»Du weißt selbst, ohne das Schreiben haben wir keine Aufgabe.« Die Oberhexe stieg von ihrem Besen.
»Ist ja gut.« Ragna verzog den Mund. »Dieses Jahr werden wir Moorhexen gewinnen. Das ist sicher. Ihr werdet es schon sehen. Wir haben geübt, immer und immer wieder. Wir werden jede Zutat finden, die für den Trank nötig ist.« Sie kicherte hexisch.
»Das werden wir ja noch sehen«, murmelte Kikki.
Die Oberhexe entrollte feierlich das Pergament. Ihre Nasenflügel weiteten sich. »Einmal mehr verströmt dieses Schreiben den verlockenden Duft von Abenteuer«, schwärmte sie. »So lese ich nun die Aufgabe vor.«
Seid gegrüßt, ihr Hexen!
Willkommen beim alljährlichen Hexentrank-Wettbewerb. Wie seit vielen Jahrhunderten, ist festzuhalten, dass die beiden Hexenkessel genau dreizehn Meter weit auseinanderstehen müssen. Sie sollen die Höhe einer ausgewachsenen Hexe haben und einen hohen Rand besitzen. Nur so ist sichergestellt, dass weder Hexe noch Tier noch der Hexenwald zu Schaden kommen, falls der Trank zu brodeln beginnt.
Jede Zutat, die der verlangte Zauber benötigt, muss frisch und ohne Zutun von Hexerei, gepflückt, gefangen oder im Hexenkessel beschworen werden.
Es ist ausdrücklich verboten, einen Zauberstab zu benutzen, solange sich nicht alle Zutaten im Hexenkessel befinden. Genau so, wie es verboten ist, einen schon bekannten Zauberspruch anzuwenden.
Die Hexenbesen aller Anwesenden haben die beiden Kessel zu bewachen, während ihre Meisterinnen unterwegs sind, um die Zutaten zu sammeln.
Dieses Jahr treten in verschiedenen Teilen des Landes an:
Die Berghexen gegen die Weiherhexen
Die Dunkelhexen gegen Meerhexen
Die Moorhexen gegen die Waldhexen
Der Wettbewerb beginnt jeweils um 14.00 Uhr. Und zwar für alle! Keine Widerrede!!!
Und nun zur Aufgabe:
Gesucht wird ein Hexentrank, der die Wolken am Himmel in verschiedenen Farben aufleuchten lässt. Die Hexen, die im Norden ihres Hexenwaldes wohnen, sollen die Wolken hellrot aufleuchten lassen.
Die Hexen, die im südlichen Teil ihres Waldes leben, sollen die Wolken in einem matten Lila leuchten lassen.
Dieser Zustand soll bis zum nächsten Morgen andauern. Sobald die Sonne aufgeht, soll die Magie der Farben verpuffen. Die Gewinnerinnen des Wettbewerbs werden wie immer eine Auszeichnung erhalten.
Die Zutatenliste findet ihr im Anhang.
Verzauberte Grüße von der diesjährigen Rätselhexe
Ludmilla Tunichtgut
»Diese Aufgabe hatten wir noch nie.« Die alte Vallera klatschte in die Hände. Nicht in dreihundert Jahren.«
»Das würde auch keinen Sinn ergeben«, schnaubte Ragna. »Du alte Kröte wüsstest sonst ja, wo wir alles finden.«
»Sag nicht alte Kröte zu mir«, schimpfte Vallera. »Sonst verwandle ich dich …«
»Ruhe! Alle beide!« Die Oberhexe blickte von einer Hexe zur anderen. »Anstatt euch zu streiten, sollten wir lieber beginnen.« Sie kräuselte die Stirn, während sie erneut auf das Pergament in ihrer Hand blickte. »Ich werde langsam vergesslich«, murmelte sie und tippte mit den Fingern mehrmals auf die Unterschrift auf dem Brief. »Vallera, der ist von Ludmilla. Ich wusste gar nicht, dass sie dieses Jahr für den Zaubertrankwettbewerb zuständig ist. Zu gern würde ich wieder einmal mit ihr reden. Vielleicht im nächsten Jahr.«
»Das könnte schwierig werden«, sagte Vallera. Sie strich sich mit der Hand über ihr runzliges Kinn. »Niemand weiß, wo sie wohnt. Seit sie eine der Rätselhexen ist, muss sie ihren Aufenthaltsort geheim halten.«
Das fand Kikki äußerst interessant. Vielleicht würde sie auch eines Tages Rätselhexe werden.
Die Oberhexe wandte sich an sie. »Wie viel Uhr ist es?«
»13 Uhr 51 Minuten und 18 Sekunden«, antwortete Kikki nach einem Blick auf ihre Armbanduhr.
»Na los, stellt euch alle vor eure Kessel.« Die Oberhexe wedelte mit den Armen.
Kikki setzte das liebenswürdigste Gesicht auf, dass sie zustande brachte. »Du Oberhexe, darf ich dieses Jahr mithelfen?«
»Nein!«, riefen alle Hexen gleichzeitig. Du bist noch nicht siebzehn.«
»Ach, sonst seid ihr euch auch niemals einig.« Kikki zog eine Schnute. Ihr Rock begann zu wimmern und ihre Stiefel stampften ungeduldig auf den Boden. Das war so gemein.
»Du kennst die Regeln«, sagte die Oberhexe etwas freundlicher. »In vier Jahren, wenn du siebzehn wirst, darfst du auch mitmachen.«
»Menno.« Mit hängenden Schultern entfernte sich Kikki von den anderen und setzte sich ins Gras. Wenn die Waldhexen gewannen, würden die Wolken in dieser Nacht in mattem Lila aufleuchten. Und wenn die Moorhexen den Sieg davontrugen, in einem hellen Rot. Bis dahin dauerte es noch einige Stunden. Schließlich mussten die richtigen Zutaten für den Zaubertrank erst noch gefunden werden. Diese waren niemals nur gewöhnliche Küchenkräuter. Oftmals waren Pflanzen oder Dinge dabei, die nicht leicht zu beschaffen waren. Bei diesem Wettbewerb ging es hauptsächlich um Genauigkeit und Geschwindigkeit.
Neben dem Hexenkessel, der auf der linken Seite der Lichtung stand, hatten sich die Moorhexen versammelt. Beim anderen Kessel die Waldhexen. Sie redeten aufeinander ein. Jedoch so leise, dass ihre Gegnerinnen sie unmöglich verstehen konnten.
Offenbar war es gar nicht so einfach, zu entscheiden, wo sie nach den richtigen Zutaten suchen sollten. Denn es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sich die ersten Hexen zu Fuß davonmachten. Ihre Besen ließen sie zurück. Sofort stiegen diese in die Luft und umkreisten die Kessel. Niemand, der kein Recht dazu hatte, würde sich ihnen nähern können. Als alle im angrenzenden Wald verschwunden waren, legte sich Kikki auf den Rücken. Sie beschloss, ein Nickerchen zu machen. Sie würde ganz bestimmt merken, wenn die ersten Hexen zurückkamen. Denn das Geschrei, das sie jedes Mal dabei veranstalteten, war nicht zu überhören.
Sie träumte, dass sie es war, die die dringend benötigte Zutat fand, die für den Zaubertrank nötig war. Schlangenkraut, geerntet aus einem Bachbett bei Vollmond. In ihrem Traum warf die Oberhexe gerade diese wichtige Zutat in den großen Hexenkessel. Die Waldhexen wartete auf einen Knall oder ein zischendes Geräusch, das verriet, ob der Zaubertrank wirksam war. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln. Kikki hielt den Atem an. Gleich war es so weit.
Kapitel 2
Besuch bei Tante Judith
»Kikki? Bitte wach auf?«
Sie wollte nicht aufwachen. Nicht jetzt. »Hexenhut und Stiefelkraut, da wird uns doch der Zaubertrank versaut!«, schimpfte sie im Traum.
Jemand schüttelte sie an der Schulter.
Widerwillig öffnete Kikki die Augen und gähnte.
Florina war über sie gebeugt. Ihre Menschenfreundin mit den braunen Haaren und ebenso braunen Augen lächelte sie an. Dann wurde ihr Gesicht ernst. »Ich brauche deine Hilfe.«
»Ist etwas passiert?« Schlagartig war Kikki wach. Sie setzte sich auf.
»Passiert nicht.« Florina deutete auf eine Kartonschachtel, die in ihrem Rucksack steckte. »Meine Tante will in die Berge, um zu wandern. Meine Mutter hat ihr letzte Woche versprochen, ihr ihre Wanderschuhe auszuleihen. Aber sie hat vergessen, sie zur Post zu bringen.«
»Und was bedeutet das?« Kikki hatte keine Ahnung, was eine Post war, geschweige denn Wanderschuhe.
»Die Poststelle ist seit einer halben Stunde geschlossen, weil Samstag ist. Zudem braucht meine Tante die Schuhe noch heute, weil sie morgen früh losfahren will.«
»Aha«, machte Kikki, obwohl sie absolut nicht verstand, was Florina ihr sagen wollte.
»Ich weiß, das ist ein wichtiger Tag für euch Hexen.« Florina blickte auf die beiden riesigen Hexenkessel. »Aber du hast ja selbst gesagt, dass es Stunden dauern kann, bis sie alle Zutaten gefunden haben. Bis dahin sind wir bestimmt wieder zurück.«
»Zurück von wo?« Kikki rieb sich die Augen. Träumte sie noch? Irgendwie kam sie nicht ganz mit.
»Na, von meiner Tante. Sie wohnt nur drei Dörfer weit von hier entfernt.«
»Kann deine Mutter nicht mit dem Auto hinfahren?«
»Nö, das hat doch Papa und der ist heute den ganzen Tag am Fischen.«
»Oha.« Kikki rieb sich nun die Hände. »Aber du hast doch jetzt einen eigenen Hexenbesen.«
»Du weißt, dass ich mich noch nicht so sicher fühle. Zudem hat die Oberhexe gesagt, dass ich nicht allein rumfliegen soll.«
»Wie bist du dann hierher in den Wald gekommen?«
»Zu Fuß.« Florina stützte die Hände in die Seiten. »Aber im Wald bin ich auf meinem Besen geflogen.«
»Gut gemacht.« Kikki grinste. »Die Oberhexe hätte bestimmt bemerkt, wenn du dich nicht an die Regel gehalten hättest. »Na, dann los, bringen wir diese Schuhe zu deiner Tante. Lange kann das ja nicht dauern.«
Sie flogen auf ihren Besen durch den Hexenwald. Begleitet vom Rauschen der Blätter, die vom Wind wild hin und her geschaukelt wurden. Sie entdeckten die 17-jährige Trixi, die dabei war, unterhalb eines Nussbaumes etwas abzuschaben. Ein ganzes Stück von ihr entfernt kniete Ragna, die Moorhexe, auf dem Boden und schaufelte etwas in ihren mitgebrachten Korb.
Kikki und Florina flogen schweigend an den beiden vorbei. Kaum waren sie aus dem Wald heraus, flogen sie steil nach oben und folgten der breiten Straße. Schon nach wenigen Minuten erreichten sie ihr Ziel und landeten im Garten von Florinas Tante. Hinter einer dicht bewachsenen Himbeerhecke stiegen sie von ihren Besen.
»Willst du mitkommen?«
»Nö. Ich warte hier.«
»Ich werde nur schnell klingeln und meiner Tante die Schuhe geben. In einer Minute bin ich wieder zurück«, versprach Florina.
Kikki beobachtete, wie sie zur Tür ging und klingelte. Doch anstatt gleich wieder zu ihr zurückzukommen, bat sie ihre Tante ins Haus.
Kikki zählte die Wolken, die Grashalme im Garten und die Steine, die größer waren als ein Daumennagel. »Siebenschläfer und Mäusezahn. Das dauert ja ewig. Florina ist schon über eine Stunde weg. Wenn das so weitergeht, werde ich hier noch verhungern.« Kikkis Magen knurrte. »Lange halte ich das nicht mehr aus.« Sie pflückte eine Himbeere nach der anderen vom Strauch. »Hm. Lecker«, sagte sie zu den beiden Besen. »Die schmecken viel besser als die von der Oberhexe.«
Nach einer weiteren Stunde hatte Kikki den ganzen Strauch leer gegessen. »Ziegenkäse und Gummistiefel. Tante Judith wird merken, dass die Beeren weg sind. Stimmts Besen?«
Die beiden nickten eifrig.
»Ein Zauberspruch, ein Zauberspruch muss her, den richtigen zu finden, ist hoffentlich nicht schwer.« Da fiel ihr ein Hexenspruch ein, den ihr Fauna vor ein paar Jahren beigebracht hatte. Die tierliebe Waldhexe zauberte immer tolle Sachen. Nur ganz selten ging bei ihr etwas daneben.
Kikki zog den Zauberstab aus ihrer Umhängetasche, zielte auf den Himbeerstrauch und flüsterte:
»Beeren, Beeren, kommt herbei,
nicht eine und auch nicht zwei.
Hunderte von euch sollen es sein,
gut gelaunt und rein.
Ihr sollt sein süß und rosa auch,
so wie es ist für Himbeeren der Brauch.
Hexenbeeren sollt ihr sein,
nicht zu groß und nicht zu klein.
Von freundlichem Wesen und Herzen,
immer aufgelegt zum Scherzen!«
Es gab eine hellrote Rauchwolke, die von links nach rechts über den Himbeerstrauch wanderte. Nach nicht einmal einer Minute verzog sie sich wieder.
Eine Himbeere nach der anderen erschien und setzte sich an den Orten fest, von wo Kikki die anderen weggegessen hatte.
»Mistfliege und Kräutersud. Was ist das denn?« Sie ging mit ihrem Gesicht ganz nah an eine der Himbeeren heran. »Schlabbernde Hosen und Stinkstiefel! Mei, o mei, was für eine Schweinerei.«
Sämtliche Himbeeren hatten zwei winzige Augen und einen kleinen Mund. Sie begannen, zu kichern und mit den Augen zu blinzeln. Je mehr Beeren aus dem Strauch herauswuchsen, desto lauter wurde es.
»Pst. Seid still!« Kikki raffte ihren Rock und überlegte, wie sie diesen missglückten Zauber wieder rückgängig machen konnte. Doch ihr fiel kein Gegenzauber ein. Sie musste hier weg. Bevor Florinas Tante die Himbeeren hörte und wohlmöglich noch entdeckte. Wo blieb Florina bloß? »Gehst du bitte mal nachschauen?«
Ihr Besen schüttelte seinen Stiel.
»Ach, komm schon. Bitte.«
Ihr Besen ließ sich ins Gras plumpsen und tat so, als würde er schnarchen.
»Ich weiß genau, dass du nicht schläfst.« Kikki zog eine Grimasse. »Gut, dann werde ich Florina holen.« Auf Hexenstiefelspitzen schlich sie auf das geöffnete Fenster zu und spähte in die Stube hinein.
Florina saß mit ihrer Tante am Tisch. Vor ihnen stand ein angeschnittener Erdbeerkuchen, daneben eine flache Schale mit lecker aussehenden Keksen.
Florinas Tante hielt ein unglaublich dickes Buch in ihren Händen und blätterte die Seiten so langsam um, dass wohl noch Tage vergehen würden, bis sie damit fertig war.
»Das sind deine Mutter und ich beim Schwimmen. Mit etwa acht Jahren«, sagte sie. »Und hier …« Die Tante tippte auf ein anderes Bild. »Da waren wir mit Großvater Herbert beim Picknick auf der Alm.«
So ging es immer weiter und weiter.
Florina rutschte ungeduldig auf ihrem Stuhl hin- und her. Immer wieder blickte sie auf ihre Armbanduhr und dann aus dem Fenster. Da entdeckte sie Kikki und riss die Augen auf. Mit ihrer linken Hand gab sie unauffällig das Zeichen, dass Kikki sich ducken sollte.
»Was siehst du?«, fragte Tante Judith. Sie drehte sich zum Fenster um.
Kikki gelang es gerade noch rechtzeitig, sich ins Gras fallen zu lassen.
»Ich sollte langsam los«, sagte Florina. »Wenn ich jetzt aufbreche, bin ich in einer halben Stunde zu Hause.«