Inhalt
Einleitung
Warum ist es so schwer, sich die Dinge am Arsch vorbeigehen zu lassen?
1. Die eigene Person
Bikinifigur am Arsch vorbei
Aussehen generell am Arsch vorbei
Selbstverbesserung am Arsch vorbei
Dinge am Arsch vorbei
2. Freunde, Bekannte und Unbekannte
Unbekannte
Bekannte
Freunde
3. Familie
Die Interviews von Tante Marta
Die Schwiegermutter
Geschenke und Erbstücke der Familie
Der Onkel darf nicht kommen
Religion & Politik
Essen
Familientraditionen
Die Eltern enttäuschen
4. Im Beruf
Das Brainstorming
Bürogeschenke
Alles auf sich beziehen
Gefallen
After Work
Aufopfern
Schuld
Anderen Arbeit bereiten
5. Eltern & Kinder
Ratschläge am Arsch vorbei
Geschmack am Arsch vorbei
Normen am Arsch vorbei
Pläne am Arsch vorbei
Die anderen Eltern am Arsch vorbei
Das Bemühen um Verständnis von kinderlosen Freunden — am Arsch vorbei
6. Liebe
Interpretieren am Arsch vorbei
Verstehen am Arsch vorbei
Nur wer sich selbst liebt … am Arsch vorbei
All die anderen am Arsch vorbei
Gemeinsame Hobbys … aber sowas von am Arsch vorbei
Fehler des Partners … am Arsch vorbei
Nachwörtchen
Es fing damit an, dass ich zu Kathrin »Fick dich!« gesagt habe. Dazu muss man wissen: Ich sage das normalerweise nicht zu Leuten. Ich werfe generell nicht mit Aufforderungen zum Geschlechtsverkehr um mich, egal wann. Nicht mal beim Autofahren.
Aber Kathrin, das muss man wissen, ist einer dieser Menschen, die einem immer das Gefühl geben, man hätte etwas falsch gemacht und stehe nun in ihrer Schuld. Kennen Sie solche Leute? Solche, die sich immer beschweren, aber nie etwas verändern? Leute, die einem die Energie aussaugen wie kleine Kinder Capri- Sonnen?
Kathrin befindet sich in einem konstanten Jammertal. Wäre es ihr Ernst damit, könnte man vermuten, sie leide an Depressionen. Mir wurde aber mit der Zeit klar, dass Kathrin mitnichten depressiv ist, sondern eine blöde Gans.
Das Leben schien Kathrin permanent übel mitzuspielen: der Job schlimm, ihre Beziehung mit Jean-Claude im Eimer, die Familie wälzt alles auf sie ab, die Zukunft ist düster, sie weiß nicht mehr ein noch aus. Und während ich mir Sorgen um sie machte, unternahm Kathrin Kreuzfahrten, gab Partys und heiratete Jean-Claude.
Als sie mir mal wieder leid tat (»Die Ehe ist so gut wie gescheitert!«) und sie mit Jean-Claude eine Städtereise nach Venedig machte (die Idee kam von mir: damit die beiden etwas Schönes miteinander unternehmen), passte ich auf den Hund auf, goss die Pflanzen und salzte das Meerwasser-Schwimmbecken. Und das Haus von Kathrin liegt nicht um die Ecke. Das Haus von Kathrin ist außerdem sehr groß, modern und sauteuer eingerichtet – trotz der großen finanziellen Belastungen, die auf ihren schmalen Schultern liegen. Kathrin ist nämlich viel zu gut für diese Welt, sagt sie. Zum Beispiel, wenn sie einen Handwerker normal bezahlt, anstatt ihn monatelang hinzuhalten, um ihn dann mit der Hälfte abzuspeisen. So ginge das nämlich auch.
»Aber der hat ja vielleicht auch Familie, denke ich mir dann«, sagt sie und schaut wie eine Madonna.
Als wir uns nach dem Venedig-Trip trafen, war sie etwas in Eile – sie musste Jean-Claude noch schnell bei der Massage abliefern, denn die Betten in dem Hotel, das ich empfohlen hatte, waren ka-tas-tro-phal. Der Trip war natürlich ein Desaster, sie hatte aber tapfer das Beste daraus gemacht.
Beim nächsten Treffen ist dann die Mutter krank, was sie mit einem Timbre sagt, dass man davon ausgeht, die Mama kippt morgen vom Stängchen. Kurz – irgendwas ist immer. Und immer ist es ein Schicksalsschlag, darunter macht sie es nicht. Derweilen hat die Mama nur Kopfweh oder Wasser in der Hüfte oder was weiß denn ich.
Sie verstehen das Prinzip? Es war immer das Gleiche – Kathrins Welt kreiste nur um Kathrin. Irgendwann stellte ich also fest, dass ich gar keine Lust hatte, ebenfalls immer um Kathrin zu kreisen, ich bin nämlich kein Satellit.
Warum ich Kathrin nicht schon viel früher zum Teufel geschickt habe, kann ich gar nicht sagen – auch wenn mein Lebensgefährte L. mich das auch immer wieder fragte. Anfangs war mir irgendwie gar nicht so bewusst, dass sie mich nur benutzte, und dann ging ich der Konfrontation aus dem Weg. Im Zuge einer generellen Lebensverbesserung mithilfe des Glücksprojekts1 kam ich aber zu dem Entschluss: Kathrin muss weg.
Ich hatte vorher noch nie mit einer Freundin Schluss gemacht. Normalerweise läuft es doch so, dass man sich irgendwie nicht mehr so gut versteht, sich immer seltener sieht und dann schläft der Kontakt sanft ein. Fertig. Der Schlag Freunde aber, die einen aussaugen wie die Blutegel, die lassen nicht einfach los. Wie genau ich das mit dem Schlussmachen nun anstellen sollte, war mir also nicht ganz klar – vor allem wie ich es anstellen sollte, ohne mich vor lauter unangenehm! dabei zu winden wie ein Regenwurm.
L.’s Vorschlag war dahingehend recht pragmatisch: Du gehst einfach hin und sagst: »Kathrin, du gehst mir auf die Nerven und ich will dich nicht mehr sehen«, dann überlegte er kurz und hängte noch »du Sau« hinten dran. L. konnte Kathrin noch nie leiden.
Ich weiß, es gibt Leute, die hätten den Nerv, das genau so zu machen. Ich gehöre nicht dazu. Im Gegenteil. Ich spiele in dem Team, bei dem man sich entschuldigt, wenn man angerempelt wird.
Um dem Ganzen aus dem Weg zu gehen, erwägte ich also stattdessen andere Maßnahmen:
•L. als Vertretung hinschicken
•Eine neue Identität annehmen und Kathrin mein bedauerliches Ableben vortäuschen
•Bedauerlicherweise ableben
Als dann der große Moment kam und ich Kathrin in einem Café gegenübersaß, war sie zu meinem großen Glück so unmöglich, dass ich die aufsteigende Welle Zorn direkt verwandeln konnte und auf dieser zu dem legendären Moment surfte:
»Kathrin?«
»Ja?«
»Fick dich!«
Für andere vielleicht kein großes Ding, aber ich fühlte mich wie eine zwei Meter große Jeanne d’Arc. Auf dem Weg aus dem Café kam es mir vor, als ginge ich in Zeitlupe, und wie bei Boxern auf dem Weg zum Ring ertönte bei meinem Abgang eine melodramatische Musik mit Trompeten und allem Drum und Dran. Ich schwang meinen Poncho auch prompt so schwungvoll um meine Schultern, dass es gleich noch einen völlig unbeteiligten Stapel Flugblätter vom nächsten Wandregal fegte. Während diese sanft zu Boden segelten, schritt ich erhobenen Hauptes nach draußen, und es hätte mich nicht verwundert, dort ein treues Ross vorzufinden, um mich in Richtung weiterer, lebensgefährlicher Abenteuer zu bringen.
»Hä? Aber Jeanne d’ Arc war doch kein Boxer …«, unterbricht L. an diesem Abend meinen Bericht und sieht dabei deutlich verwirrt aus. Männer hören oft nicht gut zu, oder? Ich stelle mir das so vor, dass die so ein leichtes Rauschen hören, zwei, drei signifikante Substantive herauspicken und sich den Rest zusammenreimen. Ergeben diese Wörter keinen Sinn, haben sie ein Problem …
Tatsächlich geht es mir natürlich nicht um französische Nationalheldinnen oder gar ums Boxen, es geht noch nicht mal um Kathrin und ihren beknackten Meerwasserpool. Es geht darum, warum ein einzelnes Fick dich! so eine derartige Hochstimmung auslösen kann.
»Ich glaube, es geht um Freiheit«, meinte Anne, meine esoterische Freundin, als ich ihr von dem Moment erzählte, und ich glaube wiederum, sie hat recht. Es war ein befreiender Akt, wobei das ganze Trompetengedöns nicht davon kam, dass ich mich von Kathrin, der blöden Gans, befreit habe, sondern dass ich mich in dem Moment frei von meinen eigenen, popeligen, selbst auferlegten, beklemmenden Einschränkungen gefühlt habe. Einfach zu tun, was einem richtig erscheint – ohne sich Gedanken zu machen, ob einen danach noch alle dufte finden. Herrlich. Sollte es so nicht eigentlich immer sein? Gerade heraus? Und wo genau ist die Grenze zwischen frei sein und Arschloch sein?
In den darauffolgenden Wochen fiel mir nicht nur auf, dass mein Leben ohne Kathrin schöner war, ich bemerkte auch in anderen Situationen, dass das, was ich tat, oft davon gesteuert war, was andere über mich denken könnten und nicht davon, was ich wollte. Wollte ich mich morgens schminken, wenn ich nur das Kind in den Kindergarten brachte? Zur Hölle, nein! Also warum machte ich das dann? Die scheußliche Antwort ist: um vor den anderen Eltern ein gutes Bild abzugeben. – Dabei finde ich neunzig Prozent von denen noch nicht mal sympathisch! Apropos sympathisch: Warum ging ich überhaupt auf die Weihnachtsfeier der Agentur? Weil ich die Chefs und Kollegen so gerne mag? Nope! Und warum bin ich eigentlich immer noch in dieser beknackten WhatsApp-Gruppe, die dafür sorgt, dass mein Handy mitten in der Nacht vibriert wie anderer Leute Sexspielzeug? Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr fiel es mir auf: Ich verbrachte viel zu viel Zeit mit Leuten, die ich nicht mochte, an Orten, die mir nicht gefielen, und tat Dinge, die ich nicht wollte.
Das ist doch Scheiße.
Je mehr Dinge mir einfielen, desto konkreter wurde mein Plan: Wenn es schon so ein bombastischer Erfolg war, Kathrin aus meinem Leben zu schmeißen – was könnte dann erst für ein wunderbares Leben vor mir liegen, wenn ich all die Dinge aus meinem Leben strich, die mir eigentlich widersprachen?
Wenn ich zum Beispiel zu den Kollegen in der Agentur sagen würde: »Danke, aber ich möchte nicht nach der Arbeit noch ein Glas trinken gehen. Nein, nicht nur heute nicht, sondern generell nicht.« Es würde sich so viel besser anfühlen, als mir abstruse Ausreden einfallen zu lassen und dann aufzupassen, dass ich mich nicht verplappere und alles rauskommt á la:
»Und, geht es deiner Schwester heute schon besser?«
»Schwester? Ich habe keine Schwester!«
Alles schon dagewesen.
»Verstehst du, was ich meine?«, fragte ich L. am gleichen Abend, als er gerade Gemüse in kleine Würfel schnitt. »Hmja, schon«, druckst er etwas herum. »Es ist nur – das wird doch kein Plan, in dem du zu einem rücksichtslosen Egoisten wirst, oder?«
»Ach was«, fegte ich seine Bedenken vom Tisch, aber er hatte natürlich recht. Es besteht eine nicht geringe Chance, während dieser Befreiungsaktion zum Arschloch zu mutieren, aber das würde ich schon hinbekommen. Ich war voller Tatendrang – wunderbare Zeiten lagen vor mir. Was würde passieren, wenn ich meine Zeit und meine Energie (und mein Geld) nur in Dinge, Menschen oder Situationen investierte, die mich froh machten? Das wäre doch wunderbar!
»Nicht wahr, mein Schatz?«, fragte ich das Kind, das begeistert seine Ärmchen um meine Beine schwang.
»Schokolade!«, sagte es, wie immer, denn das ist sein Lieblingswort.
Genau. Schokolade.
Wer noch der Meinung ist, das Leben könnte etwas mehr Freiheit, Muße, Eigenbestimmung und Schokolade vertragen und dafür weniger Kathrins, WhatsApp-Gruppen und Weihnachtsfeiern, der ist hier goldrichtig. Ich hoffe, ich kann hierfür Inspiration und Anschubhilfe bieten. Wir kümmern uns auf den weiteren Seiten um Folgendes:
•Wie man sich Leute oder Dinge am Arsch vorbeigehen lässt.
•Wie man deswegen aber trotzdem nicht zum Arschloch mutiert.
•Welches sind die Kriterien, die helfen zu unterscheiden, was einem tatsächlich wichtig ist und was nicht.
•Wie kleine Entscheidungen einen großen Effekt auf die Lebensqualität haben können.
•Wir visualisieren eine ziemlich lustige Übung, wie etwas am Arsch vorbeigeht.
•Es wird auf verschiedene Fettnäpfchen hingewiesen, in die ich im Zuge der Sortierarbeit hineingeraten bin.
Bevor wir beginnen, möchte ich Ihnen die erwähnte lustige Übung präsentieren. Es ist eine Imagination, ein Bild, das wir uns vorstellen und das jederzeit abrufbar ist. Hoffentlich finden Sie es auch so toll wie ich:
Also. Sie kennen doch Toreros? Die – Olé! – Stierkämpfer mit den knackigen Pos und den albernen Klamotten? Stellen Sie sich vor, Sie wären einer davon. Und stellen Sie sich auch vor, Sie hätten eines dieser roten Tücher dabei, mit denen die immer die Stiere herbeiwedeln. Haben Sie das? Gut.
Egal, auf was wir im Buch stoßen: Was Ihnen von nun an am Arsch vorbeigehen soll, lassen Sie es angaloppieren, Fahrt aufnehmen, und dann, kurz bevor es sie erreicht, machen Sie einen eleganten Torero-Hüpfer zur Seite und lassen es haarscharf an Ihrem Arsch vorbeirennen. Olé!
Ein weiterer Helfer, den ich Ihnen an die Seite stellen möchte, ist Ole. Während ich mir nämlich noch überlegte, wie dufte es wäre, nur noch das zu tun, auf das man wirklich Wert legt, fiel mir jemand ein, der genau das schon immer tut (abgesehen vom Kind, das tut das auch): mein Freund Ole.
Mein Ole ist ein Freund aus Jugendtagen und inzwischen ein wahnsinnig erfolgreicher Geschäftsmann. Er ist gefühlte zwei Meter fünfzig groß, ein reizender Kerl, und er tut nie etwas, was er nicht möchte. Unnötig zu sagen, dass Ole in keiner WhatsApp-Gruppe ist, und auch auf der Weihnachtsfeier seiner Firma bleibt er nur, wenn es lustig ist. Trotzdem ist er ein beliebter Chef, er hat einen großen Freundeskreis und eine tolle Familie.
Er wird einem allerdings nicht beim Umzug helfen und er wird einem auch nicht beim Poetry-Slam zujubeln, auch wenn man ihn hundertmal darum bittet. – Aber das ist okay, so ist er halt. Man mag ihn trotzdem.
Wenn mich in der Arbeit jemand fragt, ob ich noch schnell über einen Text gucken kann, neige ich dazu zu sagen: »Ja, klar, gib her.« Dadurch gerate ich in Zeitmangel, komme dann in Stress und zu guter Letzt ärgere ich mich noch über mich selber.
Wenn jemand Ole fragt, ob er noch schnell über einen Text gucken kann, sagt er »Nö«. Und macht es nicht. Er hat mehr Zeit, ist weniger gestresst, ärgert sich nicht über sich selbst, und man hat ihn trotzdem lieb, weil er dennoch ein feiner Kerl ist.
Mir hat Ole sehr geholfen auf meinem Weg am Arsch vorbei – einfach, weil ich mir in haarigen Situationen vorstellen konnte, wie er wohl reagieren würde. Da war es dann, als stünde er neben mir mit seinen zwei Meter fuffzig und sagt: »Das machst du unter gar keinen Umständen, meine Liebe.« Kennen Sie auch so jemanden? Wenn ja, stellen Sie denjenigen an Ihre Seite. Wenn Sie niemanden kennen, der so ist, leihe ich Ihnen meinen Ole.
Dann kann’s ja losgehen.
1 Das Glücksprojekt, mvg Verlag, ISBN-13: 978-3868822052
... sooo breit ist der nun auch wieder nicht ...
Überlegen wir, warum es so schwer ist, gänzlich unbeschwert und nur beispielsweise zu unserem Freund Tom zu sagen: »Mein Lieber, ich wünsche dir viel Erfolg bei deinem Auftritt heute beim Poetry-Slam in Oberbröckelaurach, aber ich komme nicht. Ich muss dringend – auf dem Sofa liegen.« Das kann so unangenehm sein, dass man, statt gemütlich mit Hund und Mann auf dem Sofa zu liegen, in Oberbröckelaurach auf einem wackelnden Holzstuhl sitzt, an einem alkoholfreien Bier nippt und sich Gedichte anhört, die ungefähr so gehen:
Vale vale, die Sandale,
Schmeck schmeck ei!
Sin Sandale, vale
mimi hai.
Honkfort! Horch.
Schale, schale, schale –
gunfug Bestelei!
Hermfrau freu, eidelei
sniffel die Sandale?
Schmeck. Schmeck, Ei.
Und das ist nicht gelogen.
Dann fährt man nach Hause, schnauzt Hund und Mann an, weil sie es gar so gemütlich haben, und schmollt sich ins Bett. Eventuell überlegt man sich auch schon eine Ausrede für nächsten Mittwoch, da tritt Tom nämlich in Unterbröckelaurach auf.
Da ist doch der Wurm drin! Nur weil man Tom mag, muss man sich noch lange keine Gedichte über Sandalen anhören. Es ist ja auch nicht so, dass uns plötzlich Tom am Arsch vorbeigehen sollte – Poetry-Slam hingegen (zum Beispiel) kann einem durchaus am Arsch vorbeigehen.2
Es ist aber auch nicht weiter verwunderlich, dass wir so verdruckst sind: Von klein auf werden wir dazu erzogen, nett zu sein, andere nicht vor den Kopf zu stoßen und Rücksicht zu nehmen. Das ist wundervoll, verstehe mich niemand falsch. Ich finde es großartig, wenn Menschen von Anfang an dazu gebracht werden, möglichst keine Arschlöcher zu werden – auch wenn das weiß Gott nicht immer gelingt. Gleichzeitig fände ich es aber gut, wenn man auch von klein auf zugestanden bekommt, Dinge, Menschen oder Tätigkeiten mitunter blöd zu finden. Ganz brandaktuelles Beispiel vom Kindergarten um die Ecke:
Vielleicht kennen Sie auch noch das alte Kinderlied von der tanzenden Katze, das ging so:
Guck die Katze tanzt allein,
tanzt und tanzt auf einem Bein!3
Dann kommen alle möglichen Tiere vorbei und fordern die Katze zum gemeinsamen Tanz auf, stets erfolglos.
Der Igel ist ihr zu stachelig, der Hase zu hoppelig, der Hofhund bellt so fürchterlich und so weiter. Bis der Kater auf der Bildfläche erscheint. Da tanzen sie dann wunderbar zu zwein.
Spitzenlied, oder? Finde ich auch. Anscheinend ist es aber nicht mehr zeitgemäß. Damit nämlich die ganzen tanzwütigen Viecher nicht vor den Kopf gestoßen werden, beziehungsweise die Kinder lernen, dass alle gleich sind und niemand benachteiligt werden darf, gehen inzwischen alle Strophen so:
Jedes Tier sagt der Katze was ins Ohr und dann macht sie halt doch mit und tanzt mit ihnen. Im Ernst – was soll das? Kann die Katze den beschissenen Igel nicht einfach zu stachelig finden? ER IST STACHELIG!
Und ich finde, man muss mitnichten mit stacheligen, hoppeligen oder fürchterlich bellenden Tanzpartnern tanzen. Nope.
Noch nicht mal, als sich das Paar Kater – Katze findet, hört der Scheiß auf, dann heißt es nämlich:
Er (der Kater) bringt alle andern mit
und schon tanzen sie im Schritt.
Alle müssen mit und alle gehen zusammen heim! Wie bei so einer beknackten Reisegruppe Japaner. Kinder bekommen beigebracht, dass man andere nicht abweisen darf. Und wenn man dann erwachsen ist, muss man den Scheiß ausbaden, und zwar auf einem wackeligen Holzstuhl in Oberbröckelaurach.
Wenn es ganz schlecht läuft, müssen Kinder sogar ihr Spielzeug abtreten, das zieht sich deutschlandweit über alle Spielplätze, das ist der Wahnsinn:
Leon Alexander hat das Auto, dann kommt Ben-Luis und will es auch haben. Könnte Ärger geben. Und schon rauscht die Mutter von Leon Alexander an und redet auf ihren Filius ein:
»Gib doch dem Ben-Luis auch mal dein Auto, du hast doch schon so lange damit gespielt, gib’s schon her, komm, da freut sich der Ben-Luis doch …« Und das macht sie dann so lange, bis ein sehr bedröppelter Leon Alexander unwillig und unter Tränen sein Auto hergibt. Dabei ist es sein verdammtes Auto! Hat der Ben-Luis eben Pech gehabt! Da braucht es dann in der Schule schon ein paar Kevin-Jeremys aus dem nächstgelegenen Problembezirk, um das wieder ins Lot zu rücken.
Kindern ist die Fähigkeit, sich Unwichtiges am Arsch vorbeigehen zu lassen, nämlich in die Wiege gelegt. Genauso wie Hunden, da lautet das Prinzip: »Wenn du nicht damit spielen kannst oder es essen kannst, pinkle drauf und lass es liegen.«
Allerdings handeln Kindern noch nach dem Lustprinzip, sie treffen keine bewussten Entscheidungen. Das Lustprinzip geht so:
Schokolade = gut = so viel wie möglich davon essen.
Erst später, nachdem sie sich ein paar Mal Bauchweh eingefangen haben oder aus dem Leim gehen, wird dieses Prinzip infrage gestellt.
In der Pubertät kommt es dann ganz dicke, zumindest für die meisten von uns: Die Meinung der anderen wird immens wichtig. Das betrifft nicht nur die Frisur, den Musikgeschmack und die Klamotten, es betrifft auch die eigene Person. In dieser Zeit, in der man selbst extrem unsicher und verwirrt ist, sucht man Orientierung und versucht, dem Bild zu entsprechen, das am besten ankommt.
Die Mädels haben es da noch etwas schwerer als die Jungs, denn bei ihnen kommt auch noch das verquaste Rollenbild Frau dazu und was die Medien im Allgemeinen und Heidi Klum im Besonderen zum Thema zu sagen haben. Mein Kind mit seinen nicht mal drei Jahren hat das recht treffend zusammengefasst, nachdem es irgendwo Fernsehwerbung gesehen hatte: »Frau nackig, Mann redet.« Daher dreht sich bei den Mädels überproportional viel um das eigene Erscheinungsbild – einige werden das auch nie mehr los.
Vielleicht fangen wir gleich damit an.
2 Eine ganz kleine Randbemerkung zu Poetry-Slam im Allgemeinen: eine großartige Sache. Wirklich. Die Beiträge sind mitunter wahnsinnig lustig, schlau, herzergreifend und fantastisch. Nur eben die von Tom nicht.
3 © Fredrik Vahle, Der Katzentatzentanz, Aktive Musik Verlagsgesellschaft mbH, Dortmund