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GAY HARDCORE O5

Die Luxus-Schlampe

Dirk Schiller

BRUNO GMÜNDER

Gay Hardcore 05
© 2016 Bruno Gmünder GmbH
Kleiststraße 23 – 26, 10787 Berlin
info@brunogmuender.com
© 2016 Dirk Schiller
Coverabbildung: © LucasEntertainment.com
(Model: Ashton Summers)

ISBN 978-3-95985-150-3
eISBN 978-3-95985-201-2

Mehr über unsere Bücher und Autoren:
www.brunogmuender.com

Die in diesem Buch geschilderten
Handlungen sind fiktiv.

Im verantwortungsbewussten
sexuellen Umgang miteinander gelten
nach wie vor die Safer-Sex-Regeln.

Ein heißer Job

Von meinem Platz aus sah ich dabei zu, wie die Flugzeugtür verriegelt wurde, und in diesem Moment fragte ich mich zum ersten Mal so wirklich, worauf ich mich da eigentlich eingelassen hatte. Plötzlich fühlte ich mich eingesperrt, und kurz stieg Panik in mir auf, aber letzten Endes waren meine Neugier und meine Geilheit doch stärker. Also zwang ich mich, mich wieder zu beruhigen, und atmete langsam ein und aus.

Ich griff zum Handy und tippte eine Nachricht an Ben, meinen besten Freund und Mitbewohner: ›Bin wahrscheinlich über Nacht weg, mach dir keine Sorgen. Gruß, Philipp‹

Am liebsten hätte ich ihm geschrieben, dass er sich vielleicht doch besser Sorgen machen sollte, weil ich auf eine mysteriöse Einladung hin als einziger Passagier in einem pechschwarzen Privatjet saß, der gerade langsam Richtung Startbahn rollte – und ich nicht einmal wusste, was unser Ziel war.

»Bitte schalten Sie Ihr Mobiltelefon jetzt aus, Sir. Wir sind kurz vor dem Take-off«, sagte Ernest, der Steward, der gekommen war, um mir meinen Gin Tonic zu servieren.

Ich steckte das Handy weg und nahm meinen Drink von dem silbernen Tablett, das er mir entgegenhielt. Ich wollte einen Schluck nehmen, doch im letzten Moment zögerte ich.

»Keine Sorge, Sir«, sagte Ernest mit einem milden Lächeln. »Es sind wirklich nur Gin und Tonic. Schließlich sitzen Sie ja schon hier in diesem Flugzeug, wozu sollten wir Sie also jetzt noch betäuben wollen?«

»Auch wieder wahr«, sagte ich, obwohl mich seine Aussage nicht unbedingt beruhigte. Ich nahm einen Schluck und stellte fest, dass ich noch nie so etwas Leckeres getrunken hatte, und blickte ihn erstaunt an.

»Von diesem Gin werden jedes Jahr nur tausend Flaschen produziert«, erklärte er mir und war sichtlich erfreut, dass es mir schmeckte. »Wir kaufen zweihundert davon. Ich werde daran denken, Ihnen nach der Landung eine auszuhändigen.«

»Du willst mir wahrscheinlich immer noch nicht sagen, wo diese Landung stattfinden wird, oder?« Ich duzte ihn, weil auf seinem Namensschild nur sein Vorname stand und er offensichtlich kaum fünf Jahre älter war als ich, also konnte er höchstens dreiundzwanzig sein. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich eher ihn mit ›Sir‹ ansprechen sollte als er mich. Schließlich lümmelte ich in meinen verbeulten Billigklamotten schüchtern in meinem Sitz, während er einen offensichtlich maßgeschneiderten Anzug trug und diese verdammt gewählte Ausdrucksweise an den Tag legte. Zu allem Überfluss war er auch noch einen Kopf größer als ich.

»Nein, Sir, tut mir leid. Ich darf Ihnen unser Ziel nicht nennen«, antwortete er nun mit aufrichtigem Bedauern. »Aber wir werden nicht allzu lange unterwegs sein.«

Für einige Sekunden schauten wir uns schweigend an, und ich betrachtete sein markantes, südamerikanisch wirkendes Gesicht. Sein Hemd aus violetter Seide lag so eng an seinem Oberkörper an, dass sich die Nippel und sein Sixpack abzeichneten. Und die schwarze Hose war so geschnitten, dass man in seinem Schritt zwei schöne, pralle Eier und einen nicht zu kleinen Schwanz erahnen konnte.

Ernest räusperte sich diskret, um meinen Blick von seinem üppigen Gemächt wegzulenken, das mir genau auf Augenhöhe präsentiert wurde. Ich blickte wieder hoch zu seinem schönen Gesicht und lächelte ihn entschuldigend an. Etwas anzüglich grinste er zurück, und für einen kurzen Moment waren wir einfach nur zwei Jungs, die sich offensichtlich gegenseitig geil fanden.

Doch er fügte sich leider schnell wieder in seine Rolle: »Wir erreichen gleich die Startbahn, Sir. Ich muss mich jetzt ebenfalls setzen. Vorne, auf meinen Platz. Sobald wir unsere Flughöhe erreicht haben, werde ich nach Ihnen sehen.« Sein Blick fiel auf das anatomische Lehrbuch, das ich gerade aus meiner Tasche holte. »Sie studieren Medizin?«, fragte er.

»Ja«, antwortete ich. »Also bald. In drei Tagen beginnen die Vorbereitungskurse.«

Ernests Blick wurde etwas unruhig, also fragte ich ihn, was los sei.

»Ich bin nur der Steward«, sagte er dann und zwang sich zu einem Lächeln. »Alles andere können Sie mit Miss Trixie besprechen, wenn wir angekommen sind.«

»Was ist das Problem?«, fragte ich, und sofort stieg wieder etwas Panik in mir auf.

»Es gibt kein Problem, Sir. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich denke nur nicht …«

»Ja?«

»… dass Sie in drei Tagen wieder zu Hause sein werden.«

Bevor ich etwas erwidern konnte, verschwand er hinter dem Vorhang, der die Bordküche vom Passagierbereich trennte, und in derselben Sekunde gab der Pilot Schub. Wenig später sah ich dabei zu, wie meine neue Heimat Berlin unter mir immer kleiner wurde und schließlich unter der dichten Wolkendecke verschwand, die schon seit über einer Woche über der Stadt hing. Gleißendes Licht strömte durch die Fenster ins Innere der Kabine, und zum ersten Mal seit Längerem spürte ich wieder die Sonne auf meiner Haut – doch ich konnte das schöne Gefühl nicht genießen, weil ich mich zu sehr darauf konzentrieren musste, nicht panisch zu werden.

Ben

Wahrscheinlich ist es am besten, wenn ich ganz vorne anfange. Also bei meiner Freundschaft zu Ben. Ich bin in einem winzigen Dorf in der Eifel aufgewachsen, das bis heute aus einer Kirche, einer Kneipe, zwei Läden, einer Bushaltestelle und einer Handvoll Häuser besteht und das nur deshalb manchen Leuten ein Begriff ist, weil zum Ort ein großes, altes Schloss gehört, in dem seit über hundert Jahren ein Eliteinternat untergebracht ist.

Meine Kindheit war nicht unbedingt die allerbunteste, weil Mama gestorben ist, als ich noch ein kleiner Junge war, und mein Vater sich schon immer mehr für Fußball und Bier interessiert hat als für mich. Als eines Frühlingsabends meine Lehrerin bei uns zu Hause vorbeikam, um ihm mitzuteilen, dass ich aufgrund von überdurchschnittlichen Testergebnissen für ein Stipendium ausgewählt wurde und nach der vierten Klasse im Schloss zur Schule gehen durfte, hat er nur eine einzige Frage gestellt: »Und das ist wirklich umsonst?«

»Korrekt, Herr Klemke, auf Sie kommen keinerlei Unkosten zu«, antwortete Frau Bachmayer geduldig. »Das Stipendium umfasst das Schulgeld sowie gewisse Beträge für Schuluniformen, Klassenfahrten und Ähnliches. Philipp kann sich aussuchen, ob er zu Hause wohnen bleiben möchte, oder ob er zu seinen Klassenkameraden aufs Schloss zieht.«

»Na dann«, sagte mein Vater achselzuckend und nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche.

Nachdem er die Einverständniserklärung unterzeichnet hatte, brachte ich Frau Bachmayer zur Wohnungstür und flüsterte leise: »Danke.«

Sie schaute mich ernst an und sagte: »Du bist ein besonderer Junge, Philipp. Du wirst auch im Schloss einer der Schlauesten sein. Die meisten von denen sind nämlich einfach nur reich. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie auch Köpfchen haben.« Dabei wuschelte sie mir durch meine dunkelbraunen Haare. »Merk dir das, okay?«

»Okay, Frau Bachmayer«, sagte ich und schloss die Tür hinter ihr.

»Du weißt schon, dass reich sein mehr wert ist als Köpfchen haben, oder?«, fragte mein Vater, als ich zurück ins Wohnzimmer kam. »Weil wenn du das nicht weißt, dann bist du nicht halb so schlau, wie du denkst.«

»Was soll das heißen?«, fragte ich.

Er trank seine Flasche aus, dann sagte er: »Nach deinem ersten Tag dort wirst du es wissen. Jetzt bring mir noch ein Bier.«

Das Schlimme war, dass Papa recht hatte. Die anderen Jungs wussten schon an meinem ersten Schultag im Schloss, dass ich ›der Arme‹ war, und sie ließen es mich so grausam spüren, wie Kinder eben sein können. In der großen Pause umzingelten mich ein paar Schüler aus meiner Klasse auf dem Hof, zerrten mich schnell hinter die Stallungen, schubsten mich herum und zerrissen mir johlend meine Schuluniform. Am Schluss hatte ich nur noch ein paar schmutzige Fetzen an, saß im Matsch und hörte, wie einer von ihnen im Weggehen sagte: »Den sind wir für immer los. ’ne neue Uniform kann der sich bestimmt nicht leisten.«

»Dem sein Vater arbeitet in der Fabrik von meinem Vater. Und Papa meint, er schmeißt ihn eh bald raus«, antwortete ein anderer, und sie lachten hämisch.

Mir schossen Tränen in die Augen. So elend wie in diesem Moment hatte ich mich nicht einmal nach Mamas Tod gefühlt. Ich beschloss, bis zum Abend hinter der Scheune hocken zu bleiben und dann in der Dunkelheit nach Hause zu laufen, weil ich auf gar keinen Fall wollte, dass mich irgendjemand so sah. Und was ich dann tun würde? Ich wusste es nicht. Aber ich wusste, dass ich nie wieder in dieses beknackte Internat zurückkehren würde.

»Ey, was ist denn mit dir los?«

Ich hob den Kopf und sah, dass sich ein etwas älterer und deutlich größerer Junge vor mich gestellt hatte.

»War gerade auf ’m Weg in den Unterricht, da hab ich hinter dem Stall was heulen gehört. Aber ich dachte eher, das wäre ein Kätzchen oder ’n Mädchen gewesen. Klang nicht unbedingt nach ’nem Jungen«, sagte er und grinste.

Mir war inzwischen alles egal, also ärgerte ich mich auch nicht mehr darüber, dass er mich mit einem Mädchen verglichen hatte. Ich vergrub mein Gesicht wieder zwischen meinen Knien und hoffte, dass er einfach weggehen würde.

»Hey, was ist los?« Seine Stimme klang jetzt plötzlich überhaupt nicht mehr spöttisch, sondern mitfühlend und besorgt.

»Ein paar Jungs aus meiner Klasse haben mir die Klamotten zerrissen und mich hier in den Dreck geschubst.«

»Na, da musst du sie aber ganz schön geärgert haben«, sagte der Junge und grinste jetzt wieder ein bisschen.

»Scheint sie zu ärgern, dass ich ein Stipendium habe statt eines reichen Vaters«, murmelte ich.

»Ach, du bist der Arme? Hab schon viel von dir gehört.«

»Wär mir lieber, wenn du mich Philipp nennst«, antwortete ich mit so fester Stimme wie möglich.

»Okay, dann bist du der arme Philipp. Ich bin Ben. Und ich find’s scheiße, dass die Deppen dich so behandeln.«

»Mein Vater hatte recht«, sagte ich achselzuckend. »Geld zählt mehr als Köpfchen.«

»Kann ja sein, auch wenn’s scheiße ist«, sagte Ben mit ernster Stimme. »Aber weißt du, was am meisten zählt? Anstand! Und den hat keines von den Arschgesichtern.«

Wir lächelten uns an, und ich spürte sofort diese spezielle Verbindung zwischen uns beiden.

»Und was machst du jetzt?«, fragte Ben nach einer Weile.

»Ich bleib hier sitzen, bis es dunkel ist. So laufe ich nicht über den Schulhof.«

»Gut«, sagte er und setzte sich auf einen Baumstumpf in meiner Nähe. »Dann bleib ich so lange bei dir.«

»Musst du nicht in den Unterricht?«, fragte ich.

»Nö«, sagte Ben und grinste breit. »Mein Vater hat dem Rektor gesagt, dass er mich von der Schule nimmt, wenn sie sich noch einmal bei ihm über mich beschweren. Und jetzt trauen sie sich nicht mehr, ihn anzurufen, weil mein Vater hier von allen die meiste Kohle rüberschiebt. Also kann ich im Prinzip machen, was ich will.«

Ich grinste und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Na siehst du, schon lachst du wieder. Du Mädchen«, sagte Ben.

»In welcher Klasse bist du überhaupt?«, fragte ich.

»In der sechsten«.

»Siehst aber älter aus«, sagte ich.

»Eigentlich sollte ich schon in der siebten sein«, grinste er spitzbübisch, und dann lachten wir beide.

Ben ist tatsächlich die ganze Zeit bei mir geblieben, und als es Stunden später langsam dunkel wurde, wussten wir so gut wie alles übereinander. Auch Bens Mutter war gestorben, allerdings erst, als er elf Jahre alt war. Sein Vater war Vorstandsvorsitzender einer großen Bank und lebte in Berlin, wo Ben immer die Ferien verbrachte.

Als gerade die letzten Sonnenstrahlen hinter dem Wald verschwunden waren, sagte er mit einem Blick auf seine ziemlich teuer aussehende Uhr: »Jetzt gibt es Abendessen. Da sollte ich mich kurz sehen lassen, sonst suchen die noch nach mir. Aber in fünfzehn Minuten bin ich wieder da, dann bring ich dich nach Hause, okay?«

Eine halbe Stunde später, als wir dort ankamen, war Papa zum Glück noch in der Spätschicht, sodass er mich nicht in meinen zerrissenen Klamotten sah. Doch Ben sah unsere kleine, unaufgeräumte Dreizimmerwohnung, und obwohl er sich Mühe gab, sich seinen Schreck nicht anmerken zu lassen, schämte ich mich.

»Wenn man es nicht anders kennt, ist es gar nicht so schlimm«, sagte ich, doch dann fügte ich leise hinzu: »Na gut, eigentlich ist es doch schlimm.«

»Wieso ziehst du nicht ins Schloss?«, fragte Ben.

»Da geh ich nie wieder hin!«, erwiderte ich.

»Also willst du die gewinnen lassen?«

»Nein, aber was soll ich denn machen?«

»Du kannst zu mir aufs Zimmer ziehen. Das zweite Bett steht leer, weil alle Eltern denken, dass ich ein schlechter Einfluss bin.«

»Man darf doch nur zu Gleichaltrigen aufs Zimmer ziehen«, sagte ich.

»Du hast vergessen, dass ich machen kann, was ich will«, grinste Ben. Dann streckte er mir seine Hand hin. »Freunde?«, fragte er.

Ich schlug ein: »Freunde.«

»Mitbewohner?«

Ich grinste: »Mitbewohner.«

Eine Woche später waren die Formalitäten geklärt. Ich zog zu Ben, und ab diesem Tag waren wir unzertrennlich, weil wir uns einfach super ergänzten: Einerseits fühlte es sich so an, als hätte ich in Ben den perfekten großen Bruder gefunden, aber andererseits war meistens doch ich derjenige, der auf ihn aufpasste und darauf achtete, dass er es mit seinen Regelverstößen und den Frechheiten gegenüber den Lehrern nicht zu weit trieb. Schließlich wäre ich aufgeschmissen gewesen, wenn er am Ende doch noch von der Schule geflogen wäre. Mir war klar, dass mich die anderen nur in Ruhe ließen, weil ich Bens bester Freund war. Sie mochten ihn zwar nicht besonders, weil er sie immer wieder spüren ließ, wie ätzend er sie fand, doch die Tatsache, dass Bens Vater mit Abstand am meisten Geld verdiente, flößte diesen oberflächlichen Arschlöchern doch einigen Respekt ein.

Am Ende meines ersten Schuljahres im Internat wurde ich zum Rektor gerufen, der mich für meine sehr guten Leistungen lobte und mir anbot, die sechste Klasse zu überspringen und nach den Sommerferien direkt in die siebte zu gehen. Ich war überglücklich. So konnte ich in einer Klasse mit Ben sein und ihm auch endlich besser bei seinen Hausaufgaben helfen.

»Ist mir klar, dass die dir das anbieten«, war alles, was mein Vater dazu sagte, als ich ihm bei meinem nächsten Besuch zu Hause davon erzählte. »Dann liegst du ihnen ein Jahr weniger auf der Tasche.«

»Ich glaube nicht, dass es darum geht«, erwiderte ich gekränkt.

»Du wirst nie einer von denen sein. Das kannste vergessen, Junge«, murmelte mein Vater in seinen Bart, und ich wusste nicht, ob er damit mich oder sich selbst meinte.

»War mal wieder nicht so dolle, oder?«, fragte Ben, als er das Gesicht sah, mit dem ich von meinem Besuch zurückkam.

»Ach, egal«, sagte ich und warf mich aufs Bett. »Hab nur keinen Bock, die ganzen Sommerferien mit ihm zu verbringen.«

»Dann komm doch mit nach Berlin«, sagte Ben und grinste breit.

»Nach Berlin?«

»Ja, du Streber. Da wohne ich nämlich. Also eigentlich.«

»Das weiß ich doch. Aber wie soll das gehen?«, fragte ich.

»Indem wir mit dem Taxi zum Bahnhof fahren und dann in einen ICE steigen. Vielleicht bist du doch nicht so schlau, wie alle denken.«

»Haha«, sagte ich.

Ich hätte nichts lieber getan, als die Ferien mit Ben in Berlin zu verbringen. Doch wie hätte ich mir das leisten sollen? Mein Stipendium kam für alle Kosten auf, die mit der Schule zusammenhingen, aber ich hatte trotzdem kein Geld für eine so weite Zugfahrt. Und mein Vater würde es mir sicher nicht geben.

»Ich weiß, was du denkst«, sagte Ben.

»Dann bist du vielleicht gar nicht so dumm, wie alle denken«, sagte ich und lächelte traurig.

»Es war die Idee von meinem Alten, dass ich dich mitbringe. Er will dich kennenlernen, weil ich ihm so viel von dir erzählt habe. Und er bezahlt natürlich alles.«

»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Das geht doch nicht.«

»Klar geht das«, sagte Ben. Dann streckte er mir seine Hand hin und fragte: »Freunde?« Das tat er inzwischen jedes Mal, wenn er irgendeine Abmachung besiegeln wollte.

Ich zögerte kurz. Dann sagte ich: »Freunde« und schlug ein.

Berlin hat mich umgehauen. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie in einer so großen Stadt gewesen und bekam sofort leuchtende Augen, als ich zum ersten Mal die vielen Leute auf dem Kurfürstendamm oder am Potsdamer Platz sah. Ich war zwar erst elf, aber weil Ben schon dreizehn war und sich überall auskannte, durften wir tagsüber machen, was wir wollten, solange wir pünktlich zum Abendessen zurück im feinen Dahlem waren. Und auch so etwas wie Bens Zuhause hatte ich noch nie in echt gesehen: Ben und sein Vater wohnten in einer Villa mit Dutzenden Zimmern, einem Schwimmbad mit Sauna, einem kleinen Kinosaal, riesigem Garten und Personal. Bis zu meinem ersten Besuch dort hatte ich eigentlich gedacht, dass nur Filmstars und Könige so lebten. Aber schon an meinem ersten Tag in diesem Haus nahm ich mir fest vor, dass ich irgendwann auch so leben würde. Ich würde keinesfalls so enden wie mein Vater, der nichts hatte außer seinem Bier und seiner Couch! Dieses Versprechen gab ich mir selbst, als ich in meinem unglaublich weichen Bett lag und vor Glück und Aufregung nicht einschlafen konnte.

Bens Vater Leonard war nur abends zu Hause und verschwand nach dem Essen meistens direkt in sein Arbeitszimmer. Wahrscheinlich war er froh, dass sein Sohn einen Freund dabeihatte und er sich nicht zu lange um ihn kümmern musste. Eines Abends fragte Leonard mich beim Abendessen, was mein Vater beruflich machte.

»Ach, der ist Arbeiter in einer Fabrik«, sagte ich halblaut.

»Was macht er da?«, fragte Bens Vater.

»Ich weiß nicht so genau, ich glaube, er schraubt Waschmaschinen zusammen.« Es war mir unangenehm, in diesem Palast über meinen Vater zu sprechen, der nur einen Hauptschulabschluss hatte.

»Also arbeitet dein Vater hart?«, fragte Leonard weiter.

»Äh, ja, ich glaube schon«, antwortete ich.

»Dann sei stolz auf ihn«, antwortete er. »Ein einfacher Mann, der hart arbeitet, ist viel mehr wert als ein reicher Bengel, dessen größte Lust es ist, seine Lehrer zur Weißglut zu treiben.« Dabei sah er Ben streng an, der mit gesenktem Kopf in seiner Suppe rührte.

Nach dem Essen hatte ich zum ersten Mal seit Beginn der Ferien das Bedürfnis, meinen Vater anzurufen. Ich erzählte ihm von meinen schönen Tagen, wobei ich mich bemühte, den Reichtum von Bens Vater nicht zu sehr in den Vordergrund zu stellen, und Papa schien mir aufmerksam zuzuhören. Als wir uns verabschiedeten, sagte er zu meinem großen Erstaunen: »Ich freue mich, wenn du wiederkommst, Philipp.«

»Ich … freue mich auch«, antwortete ich überrascht. »Ich hab dich lieb, Papa.«

»Ich dich auch, mein Sohn. Viel Spaß noch.«

Ich war schon die ganze Zeit über glücklich gewesen, aber so glücklich wie an diesem Abend hatte ich mich schon seit Jahren nicht mehr gefühlt.

Nach den Ferien waren Ben und ich also auch noch Klassenkameraden, und bald nannten uns die Mitschüler und sogar unsere Lehrer nur noch ›die Brüder‹. Über die Jahre wurde unsere Freundschaft immer stärker, und ich wusste, dass ich Ben alles erzählen konnte. Alles, bis auf die Tatsache, dass ich mich in ihn verliebt hatte.

Ich merkte es, als ich sechzehn war und Ben achtzehn. Ben hatte schon seine dritte oder vierte Freundin gehabt, und ich fragte mich langsam, warum ich mich überhaupt nicht für Mädels interessierte. Dann fragte ich mich, warum ich jedes Mal so eifersüchtig wurde, wenn Ben vor meinen Augen herumknutschte. Und da wurde es mir endlich klar: Ich war schwul. Ich war verliebt in meinen besten Freund. Und ich würde es ihm niemals sagen können, weil ich wusste, dass es keine Chance für uns gab. Ben war der gutmütigste und loyalste, aber leider auch so ziemlich der heterosexuellste Mensch, den ich kannte. Und zu allem Überfluss auch noch der bestaussehende. Aus dem schlaksigen Jungen mit den zu großen Füßen, den ich kennengelernt hatte, war ein durchtrainierter, blonder Hüne geworden, der ziemlich genau wie die dreißig Jahre jüngere Kopie seines Vaters aussah und nur den wunderschönen Mund von seiner Mutter geerbt hatte, der immer ein freches Lächeln anzudeuten schien. Ich liebte alles an ihm, obwohl ich ihn so gut kannte. Und das machte mich wahnsinnig.

Ich verbot mir, in ihn verliebt zu sein. Eigentlich habe ich einen ziemlich starken Willen, aber es hat natürlich trotzdem nicht funktioniert. Liebend gern hätte ich mich mit anderen Jungs abgelenkt, aber in unserem abgeschiedenen Dorf war ich weit und breit der einzige Schwule, zumindest, soweit ich wusste.

Es war eine beschissene Zeit. Doch dann machten wir unser Abitur. Ich wurde Jahrgangsbester, und selbst Bens Schnitt war dank meiner geduldigen Nachhilfe gar nicht so schlecht ausgefallen. Gut genug zumindest, dass es in Kombination mit den Kontakten seines Vaters für einen Medizinstudienplatz in Berlin reichte.

Das Medizinstudium war meine Idee gewesen. In mir war schon einige Jahre zuvor der Entschluss gereift, Chirurg zu werden. Ben hatte sich einfach mit drangehängt, weil er zuversichtlich war, dass ich ihn schon durch die Prüfungen schleppen würde. Außerdem wollte natürlich keiner von uns beiden, dass sich unsere Wege nach der Schule trennten. Also zogen wir eine Woche nach dem Abiball nach Berlin, wo Bens Vater uns in Charlottenburg eine fantastische Altbauwohnung mit fünf Zimmern gemietet hatte. Ich hatte in den letzten Jahren fast alle Ferien in Berlin verbracht, und Bens Vater war zu einer wichtigen Bezugsperson für mich geworden. Er war zwar streng und konnte manchmal beinahe kalt wirken, doch es gefiel mir, dass er so ein Interesse an mir und meinem Werdegang zeigte – auch wenn es mir gleichzeitig unangenehm war, dass er von mir scheinbar deutlich mehr hielt als von seinem eigenen Sohn. Doch Ben machte das nichts aus.

»Komm schon, kleiner Philipp, alles okay. Bin ja selber schuld, ich sollte einfach ein bisschen fleißiger sein. Nur dass mir das nicht halb so viel Spaß macht wie dir«, sagte er immer und grinste dabei.

Leonard hatte die Wohnung bereits für uns einrichten lassen, als er sie uns zum ersten Mal zeigte, inklusive moderner Küche und riesigem Fernseher. Mein Schlafzimmer lag zum großen Innenhof, in dem drei Kastanienbäume standen.

»Damit unser Dorfkind beim Aufstehen ein bisschen Natur sehen kann«, sagte er und lächelte, als er uns durch die Wohnung führte.

Erst lächelte ich auch, doch dann fühlte ich mich plötzlich unsicher.

»Ich weiß, was du denkst«, sagte Leonard, »aber ich will, dass du dir keine Gedanken machst. Ich bezahle die Miete für euch beide.«

»Das … das geht aber nicht«, stotterte ich.

»Hör zu, Philipp«, sagte er und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ich müsste Ben so oder so eine Wohnung mieten. Auf ein Zimmer mehr oder weniger kommt es da nicht an. Außerdem ist mir klar, dass er ohne dich niemals das Abitur geschafft hätte.« Er bedachte Ben mit einem strengen Seitenblick. »Und ich zähle darauf, dass du das gleiche Wunder an der Uni vollbringst. Die Miete und das Taschengeld für euch beide sind also kein Geschenk, sondern eher eine Investition, okay?«

»Taschengeld?«, fragte ich ungläubig.

»Na ja, bis die Kastanien im Innenhof reif sind, dauert es noch eine Weile. Und in der Zwischenzeit müsst ihr ja irgendwas zu essen haben, oder?«

Ich wusste nicht, ob es angebracht war, Leonard zu umarmen. Aber es war mir egal.

Als Ben und ich alleine waren und unseren Einzug mit Lieferpizza vor der Glotze feierten, sagte ich: »Du?«

»Was ist?«, schmatzte Ben mit vollem Mund.

»Ich bin verdammt glücklich gerade.«

Ben grinste: »Na ja, schau uns an.« Er ließ den Blick durch das Wohnzimmer schweifen und biss dann noch mal herzhaft in seine Pizza, bevor er weitersprach. »Was sollte uns noch fehlen zum Glück?«

Ich beobachtete ihn verstohlen dabei, wie er sich schmatzend etwas Tomatensoße aus dem Mundwinkel wischte, und seufzte leise. Ich wusste genau, was mir noch fehlte zum Glück. Und ich wusste, dass ich mich irgendwie ablenken musste, um nicht vor Sehnsucht verrückt zu werden.

Die gute Nachricht war, dass wir jetzt in einer verdammt großen Stadt lebten. Ich war gerade achtzehn geworden und sah alles andere als schlecht aus mit meinen großen, dunklen Augen und meinem mühsam antrainierten Sixpack. Ich war also recht zuversichtlich, dass es nicht allzu schwierig sein würde, etwas Ablenkung zu finden. Und tatsächlich machte ich schon wenige Tage später eine aufregende Entdeckung.

Leicht verdientes Taschengeld

Beim ersten Mal war es reiner Zufall. Ich bin zu einer wissenschaftlichen Buchhandlung gefahren, wo ich ein paar dicke Wälzer besorgte, mit denen ich mich auf den Start des Studiums sechs Wochen später vorbereiten wollte. Weil ich mir danach noch einen großen Bubble Tea gekauft hatte, musste ich auf dem Rückweg nach Hause plötzlich so dringend pinkeln, dass ich heilfroh war, als ich an einer öffentlichen Toilette vorbeikam. Obwohl es innen ekelhaft nach altem Urin stank, betrat ich schnell eine der drei Kabinen, hängte meinen Einkaufsbeutel an den Haken an der Innenseite der Tür, öffnete meine Hose und begann zu pinkeln.

›Das war höchste Zeit‹, dachte ich, als ich dabei zusah, wie mein dicker Strahl auf das Metall der Kloschüssel traf und dabei unzählige feine Spritzer auf dem Boden und auf meinen Füßen verteilte, die aufgrund des warmen Sommers nur in Flip-Flops steckten.

Nachdem ich fertig gepinkelt hatte, schüttelte ich ab, verstaute meinen Schwanz wieder in meiner kurzen Hose und war gerade dabei, mich zur Tür zu drehen, als mein Blick an etwas Komischem hängen blieb: einem runden Loch in der Kabinenwand. Und ich konnte erkennen, dass sich dahinter etwas bewegte. Ich war sofort wie elektrisiert. In den Gemeinschaftsduschen im Internat hatte ich zwar schon viele nackte Jungs gesehen, doch mir war sofort klar, dass es hier nicht nur ums Gucken ging – dafür war das Loch viel zu groß. Im Schloss hatten wir so gut wie nie Privatsphäre gehabt, und wir durften auch nur mit den Schulcomputern ins Internet gehen, auf denen die allermeisten Seiten sowieso gesperrt waren. Deshalb war ich zu diesem Zeitpunkt wirklich noch sehr unwissend, was solche Orte anging. Aber ich hatte einmal in den Schulferien in Berlin spätabends einen Bericht über Cruising und Glory Holes gesehen, während Ben sich im Bad die Zähne putzte. Es waren zwar nur ein paar Minuten gewesen, und ich hatte aus Angst, entdeckt zu werden, den Ton so leise gedreht, dass ich kaum etwas verstand. Trotzdem musste ich seither immer wieder an diese ›Klappen‹, wie sie im Fernsehen genannt wurden, denken, und ich hatte mir auch vorgenommen, ein paar Recherchen in diese Richtung anzustellen, jetzt, wo ich in Berlin lebte. Doch dass ich so schnell und dann auch noch aus Versehen in einer landen würde, hätte ich nicht gedacht.

Mein Schwanz war sofort hart und presste sich von innen gegen meinen Hosenladen. Ich zwang mich, ruhig zu atmen und nichts Unüberlegtes zu tun. Also blieb ich erst einmal ganz ruhig stehen und versuchte zu erkennen, was in der anderen Kabine vor sich ging, doch ohne Erfolg. So leise wie möglich setzte ich mich auf den Toilettensitz und lauschte. Ich hörte leise Bewegungen, und irgendwann hielt ich es nicht mehr aus: Ich musste einfach sehen, was auf der anderen Seite los war. Also beugte ich mich vor und schaute durch das Loch.