Rich Schwab

Eine Alte Dame Ging Hering

– Der zweite Büb Klütsch-Roman –

FUEGO

– Über dieses Buch –

Büb Klütsch ist Schlagzeuger. Rock’n’Roll-Schlagzeuger, aus Leidenschaft. Mindestens genau so gerne hängt er an Theken rum und trinkt Bier. Damit er sich beides leisten kann, steht er auch des öfteren hinter dem Tresen.

Ein zwar buntes, aber im Grunde doch recht geruhsames Leben – würde er nicht immer wieder in irgendwelche dubiosen Abenteuer verwickelt.

In Rich Schwabs erstem Roman (Nie wieder Apfelkorn, Druckausgabe 1992) ist es die unappetitliche Verquickung von Musikgeschäft und Drogenhandel im Jahr 1976 in Köln und Wiesbaden, gekrönt von Kidnapping, Körperverletzung und Mord.

Im zweiten Band (Eine Alte Dame Ging Hering, 2001) zieht es Büb an die Côte d’Azur, wo er als Straßenmusiker einen tollen Sommer zu erleben hofft. Das tut er dann auch – wären da nicht die Straßenmusikerkonkurrenz, lästige Millionenerben, die Unterwelt von St.Tropez – und die von Köln, deren Machenschaften bis ans schöne Mittelmeer reichen …

»…kommt rauh und heiser in ruppiger Gangart daher wie ein Song von Van Morrison, nicht zimperlich, und doch schwingt Sehnsucht mit, Liebe, Romantik«, urteilte Elke Heidenreich nach der Lektüre von Nie wieder Apfelkorn in der Zeitschrift Tempo und bei Radio Bremen, während Deutschlandfunk-Literaturredakteur Hajo Steinert Eine Alte Dame Ging Hering »schärfer als die Songs von Tom Waits« fand (s. Pressestimmen).

Nicht die schlechteste Gesellschaft, findet der Autor. Und ist gespannt, mit wessen Songs man Perlen vor die Schweine, den dritten Band der Büb-Klütsch-Reihe, vergleichen wird.

 

Ausschnitte aus dem Buch gibt es auch als vom Autor gelesenes und mit Musik geschmücktes Hörbuch in den einschlägigen Download-Shops.

Vorspann

Das Schwierigste ist doch,

geboren zu werden –

ab da geht’s bequem bergab.

Jeff Turrington

 

Kapott jommer all –

woröm esu hastig?*

Opa Klütsch

 

Gewidmet Ulrich Werner –

ein Farbenblitz aus Sonne

im Schatten meines Weges, Alter …

(Gib mir mal ’n K!)

 

Es soll Leser geben, die sich zwar seit Generationen klaglos bis begeistert bayerische Volksschauspieler, norwegische und griechische Schlagersängerinnen, holländische Showmaster und österreichische Moderatoren reinziehen, aber immer noch kein Kölsch oder sonstige Fremdsprachen verstehen oder verstehen wollen. Das fand ich schon vor fünfzig Jahren mehr als fragwürdig – wenn im Fernseher das Komödienstadl in breitestem Bayrisch gesendet wurde, der kölsche Millowitsch aber genötigt wurde, seinen (und meinen!) schönen Heimatdialekt zu einer Mischung aus Hochdeutsch und Rheinisch zu verwässern.

Für die genannten Leser gibt es am Ende des Buchs jedenfalls ein Glossar. Die Chancen, dass sie dort übersetzt oder erklärt bekommen, was sie nicht verstehen, stehen recht gut. Außerdem finden sie dort Angaben zu den Urhebern diverser Liedertitel und -zeilen, die in diesem Buch zitiert werden. Die Sternchen im Text [*] führen dorthin.

Prolog

Ach du Scheiße – jetzt lassen sie schon Gorillas diese Dinger fahren! Kein Wunder, dass so viel passiert! fuhr es mir durch den Kopf, als die Beifahrertür endlich aufschwang. Aber der Gorilla grinste das Grinsen eines kleinen Jungen, der gerade auf dem Schlafzimmerschrank die Schüssel mit den Marzipankartoffeln entdeckt und geräubert hat.

»Na los! Rein mit dir, Pilger!« Dabei ließ er den Tankwagen schon anrollen. Seine Augen machten mir ein bisschen Sorgen – die sahen unter den dichten, fast zusammenwachsenden Brauen eher so aus, als hätte er zwischen dem restlichen Marzipan ein paar Spinnen und Regenwürmer verbuddelt. Aber wer weiß, wann ich hier wieder weggekommen wäre – Pforzheim! –, also schwang ich mich hoch auf den Beifahrersitz und zog mit Mühe die schwere Tür hinter mir zu.

»So’n bisschen Gesellschaft kann nix schaden, wa’?« schrie er und knallte mir seine behaarte Pranke auf die Schulter, dass ich eine Delle in den Sitz drückte. Laut Jingle Bells brummend hängte er den Sechsunddreißigtonner hinter einen Reisebus.

Es war Heiligabend, wir schrieben das Jahr ’79, ich hatte kein Gepäck, vielleicht noch zweihundert Ocken in der Tasche und ein gebrochenes Herz. Ein Jahr München hatte mich ziemlich geschafft, und ich wollte nur noch eins: Heim ’noh Kölle.

 

»Die denken, man wär’ ganz alleine, wa’? Meinen, deswegen könnten sie einen fertigmachen, wa’?« Ich zuckte mit den Schultern. Er beugte sich zu mir rüber und brannte seinen Blick in meinen, als wollte er sich bis in die Tiefe meiner Seele durchfräsen. »Hostien! Hostien und Schläge! Und dann: Tabletten und Schläge! Und dann: Spritzen und Schläge!!« Der Tankwagen schlitterte zwischen Standspur und Mittelstreifen hin und her. Er achtete nicht darauf. »Und kalte Duschen! Ha ha! Die werden heut’ nacht noch um kalte Duschen beten! Um eine Sintflut von kalten Duschen! Ha ha!«

Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass uns nur noch knapp drei Meter von dem Reisebus trennten. Ohne auch nur einen Blick in den Rückspiegel scherte er aus und fing auf der Überholspur an zu singen. Was heißt singen – ein zorniges Summen, immer lauter und zorniger werdend wie ein aufgescheuchter Wespenschwarm. Aber er intonierte gut – ich konnte ohne Mühe die Melodie von Macht hoch die Tür erkennen.

»Wieso trägst du als Tankwagenfahrer eigentlich ’ne Stuttgarter Straßenbahneruniform?« fragte ich ihn beiläufig. Er fuhr mit finsterer Miene zu mir herum, überrascht, dass plötzlich jemand neben ihm saß. Dann ein listiges Zwinkern.

»Ich bin denen abgehauen«, kicherte er triumphierend, »und dann mit der Straßenbahn bis zur Endstation.« Sein Gesicht verdunkelte sich wieder. »Der Fahrer war einer von denen. Und ich brauchte was zum Anziehen.« Er ließ das Lenkrad los und breitete die Arme aus. »Und so einer frieret, denn teilet euer Gewand mit ihm! Auf dass das Himmelreich –« Er brach ab und in ein schallendes Gelächter aus. »Tankwagenfahrer! Ho ho!« Wieder knallte die Pranke auf meine halbtaube Schulter. »Ein Tankwagen –«, wieder das verschmitzte Kleinjungengrinsen, »kam mir gerade recht. Genau richtig für mein Zeichen!« Und wieder breitete er seine Gorillaarme aus und reckte stolz den Kopf. »Ja! Ich werde ein Zeichen setzen! Ein flammendes Zeichen wird die Heilige Nacht erhellen wie der brennende Dornbusch! Und die werden zu Asche vergehen – hinweg mit ihnen! Und Gott wird das Zeichen sehen und sagen: Seht! Dies ist mein Sohn! Und an ihm habe ich mein Wohlgefallen!« Er sah mich mit erwartungsvoll leuchtenden Messdieneraugen an.

»Was hast du vor?« fragte ich und bemühte mich, Ehrfurcht in meine Stimme zu legen.

»In ihren Dom werde ich fahren! Mit diesem Flammenross werde ich in ihren hochmütigen, gotteslästerlichen Kölner Dom einfallen! Und sie werden alle da sein und ihre verlogene Christmette halten! Verlogen und vollgefressen und betrunken und lüstern auf ihres Nachbarn Weib starrend! Und ich werde die reinigenden Fluten loslassen! Und dann werde ich eins ihrer ärmlichen Ewigen Lichter nehmen und sie alle, ALLE! in die Hölle jagen! BAMM! BAMM! werden ihre mit Blut – mit unserem Blut! – gegossenen Glocken noch ein letztes Mal klingen …!« Erschöpft sank er in sich zusammen, aber das verzückte, entrückte Lächeln blieb.

Der Mann hatte eine Vision! Ich drehte uns zwei Kippen. Klar freute ich mich darauf, den Dom zu sehen – aber von innen? Zehntausend Liter Sprit unterm Arsch?

 

»Du kannst den Dom nicht in die Luft jagen«, sagte ich fast hundert Kilometer weiter mit meiner ruhigsten und sanftesten Stimme in sein Summen hinein. Er schnaubte nur verächtlich.

»Ha! Ungläubiger Thomas! Und ob ich das kann! Ich …«

»Mit ’nem Tankwagen voll Milch?« Er fuhr herum, als hätte ich ihm ein Streichholz ans Ohr gehalten, den Mund weit offen, die Augen groß und glänzend wie Fahrradklingeln. Ein heiserer Schrei entfuhr ihm, er latschte auf die Bremse, und wir schleuderten und schlitterten auf die Standspur, wobei ein paar hundert Meter Leitplanke dran glauben mussten. Aber ehe die Karre noch richtig stand, war er schon rausgesprungen und rannte drumherum. Zornig trompeteten ein paar Lkw-Hörner an ihm vorbei.

»Ha ha!«, hörte ich ihn brüllen, »du Verrückter! Hier steht doch Aral –«, aber da hing ich schon auf dem Fahrersitz, trampelte auf die Kupplung, schmiss irgendeinen Gang rein und ließ die Kiste einen Satz vorwärts machen, dass die Tür zuschlug. Aus dem Satz waren dreißig Meter geworden, ehe er begriff. Fluchend rannte er ein Stück neben mir her, aber ich gewann schnell an Fahrt, und er fiel zurück, kreischend und stolpernd. Im Rückspiegel sah ich ihn auf die Knie in den Schneematsch fallen und sich mit beiden Fäusten auf die Schläfen trommeln. Zwei-, dreimal tauchte seine Silhouette noch als riesiger Scherenschnitt im Licht einiger Scheinwerfer auf, dann verschluckte ihn die Schwärze der winterlichen Dämmerung. Good-bye, baby, don’t call me – I’ll call you* …

 

***

 

Das Erste, was mir Mühe bereitete, war, die Karre in der Spur zu halten, aber bei Tempo neunzig ging’s dann nach einer Weile einigermaßen. Das zweite war, die Augen offen zu halten – das Frankfurter Kreuz hätte ich beinahe im Schlaf zu Klump gefahren. Ich kurbelte das Fenster runter und ließ mich von dem scharfen Schneeregen ein Weilchen ohrfeigen. Irgendwann kriegte ich auch das Radio in Gang und hörte mir auf SWF 3 die Weihnachtswunschsendung an. Zum Glück kannte ich damals noch das meiste von dem, was sich die Leutchen so zu Weihnachten wünschen – ich sang fleißig und lautstark mit und trommelte das Lenkrad ein bisschen krumm. Höhepunkt war dann eine Nummer, die ich so noch nie gehört hatte – die Musik war ziemlich eindeutig Hang On Sloopy, wenn auch auf 66er Jugendheim-Niveau, aber dazu rezitierte jemand in einer Art Kölsch einen Text über ein Pärchen, das sich in einer Diskothek kennenlernt und miteinander versackt. Zum Refrain war der Band allerdings nichts eingefallen (Wie heißen die – ’Ming Tant’?) – den sangen sie dann einfach normal englisch. Im Bett stellt sich dann heraus, dass Sie ein Er ist. Das war so witzig, dass es in Studentenkreisen garantiert ein Hit werden würde. Ich machte das Radio aus und gönnte es ihnen. Den Studenten auch.

Und wie soll’s mit deiner Karriere weitergehn, Büb? Ich dachte lange und heftig darüber nach, aber irgendwie blieben meine Überlegungen immer wieder an der nächstbesten Kölschtheke hängen. Und außerdem is’ Heiligabend – da kannste dir auch nächstes Jahr noch den Kopp drüber zerbrechen!Is’ auch wahr, stimmte ich mir zu und kurbelte mir beruhigt noch eine, wobei das Flammenross ein wenig ins Schlingern geriet. Aber auch das kriegte ich wieder in den Griff. You can make it, if you try* …

Auf die Art schaffte ich es bis über die Rodenkirchener Brücke im Süden Kölns, wo der Anblick des Altstadt-Panoramas und des festlich erleuchteten Domes mein sentimentales kölsches Herz erwärmten, und ich kriegte sogar halbwegs elegant, wenn auch in Zeitlupe, die Kurve um den Bonner Verteiler. Aber ein paar hundert Meter die Bonner hoch sah ich schon von weitem einen Pulk Autos die rechte Spur blockieren, eins davon mit einem leuchtend blauen Mützchen, und daneben ging gelegentlich eine rote Kelle rauf und runter. Nette Begrüßung. Ich fuhr rechts ran und stieg aus. Der Diesel lief noch und verpestete die klirrende Nachtluft, aber ich wusste ums Verrecken nicht, wie man so’n Ding auskriegt. Ich latschte zu Fuß weiter und fragte mich, was die Polizeikontrolle auf dieser Straßenseite sollte – normalerweise kontrollierten sie hier nur stadtauswärts. Aber vielleicht suchten sie ja einen verloren gegangenen Tankwagen.

Kurz vorm Gürtel gab’s dann endlich eine beleuchtete Kneipe. Ohne lange zu überlegen ging ich rein. War zwar nicht unbedingt mein Stil – sie hatten sich alle ziemlich fein gemacht, aus dem Radio säuselte dasselbe Leise rieselt der Schnee, mit dem mich München verabschiedet hatte, und im hinteren Teil des Raumes saßen sie an weißgedeckten Tischen und tranken Sekt mit abgespreiztem kleinen Finger – aber ich ließ die Woge von kölschem Thekengelaber über mich rieseln wie eine sanfte warme Dusche.

Also ging ich zum Tresen und bestellte drei Bier. Der Wirt – er musste es sein: mächtiger Bauch, rotgeäderte Knollennase, grau-gelbe Tränensäcke, übellauniger Blick – beäugte mich skeptisch, aber er stellte mir drei amtlich gezapfte Kölsch – Schaum bis einen Zentimeter unter dem Eichstrich – auf die Theke. Regungslos beobachtete er, wie ich die ersten beiden in einem Zug runterkippte.

»Die Rund’ jeiht op misch,« meinte er dann gemütlich, »ävver dann nemmste dir besser ding zwei Fründe un’ jeihs’ met dänne woanders hin. Mir hann jetz’ he jeschlossene Jesellschaff. Kla’?«*

»Es dat nit en herrlije Sprooch?« strahlte ich ihn an. »Künnt Ihr uns dann en Tax’ bestelle?«, nutzte ich die wunderbare Erfindung des Kölners, sowohl das plump-vertrauliche Du als auch das zu respektvoll-höfliche Sie zu vermeiden. Ein missmutig-gelangweilter Blick ließ mich noch »Ich waade drusse« hinzufügen.

»Joode Idee«, brummte er und griff zum Telefon.

»Un’ fruhe Weihnachte’!«*, wünschte ich beim Hinausgehen. Er sah mich an, als hätte ich ein großes Alt bestellt, und nickte ergeben. Am liebsten wäre ich über die Theke gesprungen, um ihn zu küssen und mich dann unter den Zapfhahn zu hängen. You can’t always get what you want* 

Auf dem Zigarettenautomaten neben der Tür lag ein EXPRESS. Ich riss ihn mir unter den Nagel – wer weiß, wie lange man Heiligabend auf ein Taxi warten muss?

 

Ziemlich lange. Als es kam, wusste ich schon alles: Ein Herr Khomeini hielt fünfzig Amis als Geiseln, der deutsche Einzelhandel war mit den fünfzehn Milliarden Weihnachtsumsatz zufrieden, Jupp Derwall fuhr trotz eines Scheißspiels gegen die Türkei optimistisch zur EM nach Italien, in Hannover hatte nach dem letzten verkaufsoffenen Samstag ein Herr Krause einen Zettel an den Nachttresor einer Bank geklebt: Automat defekt – Bitte wenden Sie Sich an unseren Mitarbeiter, Herrn Krause – er ist berechtigt, Ihre Geldbomben entgegenzunehmen – woran sich etliche Geldboten denn auch gehalten hatten. Von Herrn Krause fehlte jede Spur. Einen Herrn Diederich jedoch hatte nach zwei Wochen Flucht durch Südamerika das Heimweh nach Köln zurückgetrieben. Von seiner Zwei-Millionen-Beute hatte er gerade mal Zehntausend ausgegeben; den Rest buddelte er gemeinsam mit den Bullen aus dem Porzer Wäldchen. Weihnachten nicht im Knast verbringen musste Drei-Promille-Jenny, obwohl sie sich mit vier Polizisten geprügelt und beinahe gewonnen hätte – Richter Egeling war in Festtagslaune. Und der Chef der Gerig-Musikverlage verschickte als besonders originelles Weihnachtspräsentchen eine Miniorgel mit dreizehn Melodien, die man an seine Hausglocke anschließen konnte.

Und bei wem soll ich heute Nacht klingeln?

Als wir auf dem Weg zum Schrebergarten in die Zülpicher einbogen und ich die Reklame vom Savoy sah, wusste ich’s – sie gaben Lucky Luke.

»Kathrinchen!« Die Nickelbrille des blondgelockten, dezent nach selbstangebauten Tütchen Frühling duftenden Taxifahrers blitzten mich verständnislos an. »Nö, ich mein’ nich’ dich«, beruhigte ich ihn, »die suchen wir jetzt.«

»Un’ wo?«

»Gute Frage – wer hat denn dies’ Jahr alles auf, heut’ Abend?«

»Bin ich vom Fremdenverkehrsamt?« Ich lehnte mich gemütlich an die Beifahrertür und schlug ein Bein über das andere, wobei mir der Aschenbecher aus der Halterung fiel.

»Hoppla! Keine Ahnung. Aber vielleicht bin ich vom RD?« Die Abkürzung fürs Rauschgiftdezernat kannte er zumindest. Die Nickelbrille zuckte einen winzigen Augenblick lang Richtung Sonnenblende. Lange genug. Ich klappte sie runter und schnappte mir das Tütchen Gras, das dort klemmte. Sah ihn freundlich an. Erwartungsvoll.

»Das Come Up. Hat aber heute Nichtraucherabend.«

»Hat was?!«

»Nichtrauchertag. Jeden Montag. Bombenerfolg.« Mein Jott – ein Jahr weg aus der Stadt, un’ schon stellen sie se auf’n Kopp! Nichtrauchertag in einer Kellerdisco! Hang On Sloopy auf Vorgebirgsplatt! Und was war das – vor ’nem Jahr war hier noch der Schrebergarten – und jetzt ’ne Pizzabude?! Und das Shalömchen – »Christmas-Party – Eintritt für Heteros 150 Mark«?! Das ABC – »wegen Personalfeier geschlossen«?!

»Ruf mal über Funk den Kollegen Zak – das is’ mir alles zu blöd hier«, wies ich die Nickelbrille an.

»Der Zak? Der fährt nich’ mehr – is’ jetz’ Sannyasin un’ arbeitet in der Bhagwan-Disco«, erklärte er mir mitleidig. Bhagwan-Disco? Der Zak Sanny– ja wo simmer dann he? Demnächst vielleicht noch ein Kinopalast so groß wie die Sporthalle? Ein Museum mit goldenen Dächern? Die Südstadt ein Touristenzentrum? Eigentumswohnungen im Stollwerck?* Parkausweise für Anwohner? Ein privater Radiosender, von Werbung für Autohäuser, Sonnenstudios und Mundart-Pop finanziert? Ein Fernsehsender womöglich – mit Anna Mingdroppe als Moderatorin? Marius Müller-Westernheld im Müngersdorfer Stadion und Heinz der Fiedler im EMI-Studio? Nikotinfreie Zigaretten? Alkoholfreies Bier? Und die Stadt-Revue bringt für all die Blindgänger ein Sonderheft raus – Poppe, Suffe, Kaate en Kölle – Rund öm de Uhr … ???*

»Fahr mich zum Exodus, aber schnell!« Ich hatte einen Brand, als hätte ich das Sechs-Tage-Rennen schon hinter mir. Meine nächste Bestellung würde wahrscheinlich lauten: Fuffzehn Jespritzte un’ ene Meter Bier …*

 

***

 

Ich kam gar nicht zum Bestellen.

»Dä Büb!« schrie Veedelnoh und fiel mir von seinem Hocker runter in die Arme. »Leckensamarsch! Wat mähs du dann he? HELLJAA! STOFF! Dä Büb es widder do! Dä Kanaldeckel’s Büb!«* Dafür, dass wir uns letztes Jahr mit einem ziemlichen Krach getrennt hatten, fiel die Begrüßung wirklich freudig aus.

»Wat es, ’noh – wor nix met Hitparade?«

»Halt bloß die Fress’, do Sackjeseech! He – suff!«*

Bevor wir überhaupt weiterreden konnten, hatte ich schon anderthalb Promille im Kopp. Dann erzählte er mir voller Abscheu und Zorn, was sein Ausflug ins Big Business der Popmusik ihm eingebracht hatte. Sie hatten ihm das Blaue vom Himmel herunter gelogen, ihm das Fell über die Ohren und ihn über alle Tische gezogen und dann mangels Erfolg fallen lassen wie eine bepisste Unterhose. Aber er hatte schon wieder neue große Pläne – jetzt würde er alles ganz anders machen:

»Isch nemme ming Schrumm, fahre an die Côte d’Azur un’ spille op dr Strooß. Büb, dat is et! Zwei Stund’ – ach wat: ein Stund Arbeit am Daach, kilowies Schotter, immer jet ze suffe un’ Wiever, Wiever … ! Un du fährs’ mit! Büb, mir zwei! Cannes! Nizza! Sang Tropez! Monte Claro! Un et janze Johr Sommer!«

»Du Jeck, ich kann doch jaanit Jitta’ spille!«

»Bring’ isch dir bei, Büb! Bring’ isch –«*

»Klasse! Und ich komm’ euch dann im Urlaub besuchen …« Von links schob sich Lucky Luke in mein Blickfeld. Er kam gut raus bei dem Ausschnitt in dem hautengen schwarz-silbernen Oberteil. So’ne Tätowierung konnte sich auch nicht jede Frau leisten – drei Zentimeter über der linken Brustwarze. »Im Hotel de Paris vielleicht?«

»Jute Idee«, brachte ich heraus, nachdem ich mich zweimal geräuspert hatte, »Tach, Kathrinchen. Schön, dich zu sehn.« Ich beugte mich runter und gab Lucky Luke einen langen, warmen Kuss, was dem Resonanzkörper hinter ihm ein tiefes Gurren entlockte. Wir konnten alle drei noch nicht wissen, dass dies ihr letzter Sommer sein würde.

1

Anton I

Der dicke, über und über mit lockigem grauem Pelz bewachsene Mann stöhnte noch einmal, dann half er der Frau galant von ihm herunterzuklettern. Automatisch griff er nach der halbgerauchten Zigarre, die in dem schweren Bronzeaschenbecher auf dem antiken Nachtschränkchen lag. Ein dünnes Rauchfädchen stieg von ihr auf. Früher waren die kalt, bis ich fertig war, dachte er einen Augenblick bedauernd, aber dann siegte die postkoitale Wohligkeit: Er hatte doch gehabt, was er brauchte. Er kriegte doch immer, was er brauchte. Genüsslich zog er an dem dicken Stumpen einer Cohiba Robusto und betrachtete eine Minute seine Frau, die sich mit einem schwarz glänzenden Vibrator ihren Teil holte. Liebevoll legte er seine freie Hand auf ihren sonnenbankverbrannten Busen und knetete ihn ein wenig. Nun stöhnte auch sie. Eine Welle von Zuckungen ging durch ihren ganzen Körper. Sie schaltete den Dildo aus, behielt ihn aber in sich, drehte sich zu ihrem Mann um und drückte seine Hand.

»Jetzt erzähl«, sagte sie heiser, schwer atmend.

»Eine Million«, stieß er hervor, zusammen mit einer schweren Rauchwolke. Seine Frau stützte sich auf einen Ellbogen und sah stirnrunzelnd auf ihn herab.

»Is’ ja schön, dass du diesmal auf mich gewartet hast, aber jetzt brauchst du mich nicht mehr auf die Folter zu spannen. Eine Million was? Zuschauer? Eintrittskarten? Totogewinn?«

»Ablöse«, hustete er, »der jottverdammte Kaaskopp soll eine Million kosten!« Sie schnalzte beeindruckt mit der Zunge. »Und dabei hat der selber noch nisch’ mal Interesse! Aber der Barcelona –«, Barzelona, sagte er, »– is’ bereit, den zu verticken – für eine jottverdammte Million!«

»Nich’ aufregen, Anton«, besänftigte sie ihn, »denk an deine Pumpe, gerade jetzt!« Anzüglich zupfte sie an seinem verschrumpelten Glied.

»Nisch’ aufrejen!«, polterte er, »dat is’ mein Traum! Den Mann in meinen Verein holen! Mein Vermäschtnis! Den Weltfußballer des Jahres! Un’ isch hol’ den zum FC! Mach misch unsterblisch!«

»Noch nie hat ein deutscher Fußballverein eine Million für einen Spieler bezahlt, Anton.«

»Na un’?! Umso fetter werden die Schlagzeilen! Mit meinem Namen! Un’ wir werden Meister!! UN’ DER WILL NIT!!«

»Ist es da nicht praktisch, dass wir seinen Schwiegervater ganz gut kennen?« Abrupt richtete er sich auf, wodurch sein Kopf noch violetter wurde.

»Martha! Du – Menschenskind, du Joldstück von einer Frau! Der Eimermacher! Dä Jütt! Datt isch da nisch’ drauf jekommen bin … !« Er drückte sie an sich. Sie stöhnte, weil er dabei den Vibrator wieder ein Stück weiter in sie hineinschob. »Dat is et! Wenn der Alte sagt: Du jehs’ zum FC, dann jeht der! Un’ schon hammer’n! Mensch, Liebschen! Dä Pokal!« Er küsste sie heftig, und als sie seinen Kuss erwiderte, griff er nach unten und drehte ihrem schwarzen Freund die Batterie wieder an. Sie schloss die Augen und wand sich. Das hatte sie sich jetzt verdient. Hoffentlich brauchte sie nicht wieder so lange, er musste dringend telefonieren. Und eine Portion Sand aus dem Getriebe schippen.

2

Irgendwo im Sand

Anscheinend lag ich irgendwo im Sand.

Die Sonne brannte mir wie blöde auf den summenden Schädel, meine Zunge fühlte sich an wie ein in alten Senf getunkter und ausgetrockneter Schwamm, und meine Lider streikten. Ich versuchte blind mich aufzusetzen und griff erst ins Leere, dann auf kochend heißes Autoblech. Das öffnete mir die Augen. Ich kniff sie sofort wieder zu. Diese Welt war zu hell für mich.

Und zu laut – ein paar Meter weiter balgte sich ein Haufen französischer Blagen um einen Wasserball, hinter mir plärrte ein Kofferradio was von J’aime l’été* oder was immer diese hiesigen Piepsmiezen so lieben, auf der Uferstraße über mir knatterte der nie endende Verkehrsstrom, das Mittelmeer rauschte, die Möwen krächzten, und in meinem Schädel brummte es wie in einem ’64er Dynacord-Verstärker. Ich beschloss, ganz schnell hier weg zu müssen.

Nach höchstens einer Viertelstunde hatte ich es geschafft – ich saß ziemlich aufrecht und hatte den Durchblick. Es war das Stück Strand, wo wir unseren alten Taunus-Kombi geparkt hatten, mit viel Glück unter einem Platanenpärchen, das der Karre am späten Nachmittag soviel Schatten spendete wie ein Knirps. Ein Knirps ohne Bespannung allerdings. Morgens dagegen knallte die Sonne unbarmherzig auf das weiße Dach, so dass wir es vorzogen draußen zu pennen, halb im Schatten des Wagens.

Was heißt wir? – Veedelnoh war seit ein paar Tagen Dauergast im VW-Bus einer pummeligen Krankenschwester namens Françoise, ein paar Meter weiter, die einen noch größeren Bedarf an sex à la boche hatte als wir beide zusammen. Außerdem versuchte sie verzweifelt, das Angenehme mit dem Nützlichen – ihre Deutschkenntnisse verbessern – zu verbinden, und kommentierte ohne Punkt und Komma, was sie gerade mit welchen Gefühlen tat oder was man ihrer Meinung nach gerade wie tun sollte. Wie eine gesprungene Langenscheidt-Platte, und immer wieder: »Sag’ isch das rischtisch comme ça?« – egal, was sie gerade im Mund hatte. Weshalb ich mich nach den ersten beiden gemeinsamen Nächten genervt und gerädert ausgeklinkt hatte. Veedelnoh hatte da offensichtlich ein dickeres Fell. Jetzt teilte er sie sich mit einem mageren Siebzehnjährigen aus Frankfurt, der es, wie ’noh neidisch berichtete, auf acht Orgasmen in vier Stunden brachte. Oder umgekehrt – jedenfalls beachtlich.

Das erinnerte mich wieder daran, dass meine Eier schmerzten, als steckten sie in einem Nussknacker. Mühsam kratzte ich die Erinnerung an den gestrigen Abend zusammen – ach ja, der Streit im Chez Boubou! Anscheinend hatte Blondie mir noch mindestens einen Tritt versetzt, als ich weggetreten auf dem Boden lag. Diese Hippies sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

 

***

 

Ich hätte ihm seine Zähne gleich in den korallengeschmückten Hals schlagen sollen. Makellos weiße Beißerchen, wie die auf Hilde Knefs Nachttisch. Sie blitzten sonnig zwischen seinen braungebrannten Grübchen, wenn er sein goldblondes Lächeln anknipste, auf einer mit Muscheln und Perlen beklebten Gitarre klimperte und Blowin’ In The Wind oder Guantanamera sang. Vor allem die reiferen Damen hier mochten das, und er sahnte gut ab mit seiner Blumenkuh von Schwester, die ähnlich blendend aussah und dämlich grinsend ein Tamburin streichelte, mit dem sie dann bei You Are The Sunshine Of My Life vor den Hafencafés das Geld einsammelte. St.Tropez, 1980. Und es war Sommer* 

Aber gutmütig, wie ich nach zwei Flaschen Rotwein nun mal bin, hatte ich ihm sein albernes Stilett bloß aus der Hand getreten, ihm zwei Ohrfeigen gegeben und mich wieder zur Theke rumgedreht. Er war allerdings wieder aufgestanden, und nur Mampernods erschrockenes Gesicht hatte verhindert, dass er mich voll erwischte. Ich drehte mich mit einem halben Schritt zur Seite, und der schwere Aschenbecher aus Kristallglas ratschte meine Schläfe lang und landete auf meiner Schulter. Leider hatte ich dabei auch ein halbes Glas von dem guten Roten verschüttet, und als ich auf Blondie loswollte, um meinen Fehler wieder gutzumachen, rutschte ich in der Pfütze aus und knallte mit dem Hinterkopf auf die Theke. Abgang Büb.

Wie ich dann wieder hierher zu unserem Wagen gekommen war, kam in meinem Film nicht mehr vor. Ich riss mich zusammen, stand stöhnend auf und öffnete die Wagentür. Die heiße Luft im Innern traf mich ins Gesicht wie eine frisch gebügelte Bettdecke, und ich musste mich am Holm festhalten, um nicht gleich wieder auf dem Hintern zu landen, wobei ich mir ein zweites Mal die Finger verbrannte. Ich betrachtete mich im Rückspiegel. Schöner fremder Mann … Die rechte Hälfte meines Gesichts war blutverkrustet bis zum Hals, und mein Hemd war mit Blut getränkt und steif wie ein Zementsack. Ich zog es aus und musste erneut laut aufstöhnen – die Beule an meinem Hinterkopf hatte ich im Spiegel natürlich nicht gesehen. Jetzt hatte ich die Schnauze aber voll – ich suchte in dem Gewühl im Wagen die Flasche, die da irgendwo noch sein musste. Schlafsäcke, Klamotten, Taschenbücher, Leergut, Handtücher, Kassetten, Gitarren – Bingo! Noch mindestens Dreifingerbreit von dem teuren französischen Cognac, den Françoise so gerne trank – und wohltemperiert. Wie ein guter Grog, ungefähr. Egal – ich trank das Zeug in einem Zug. Mein Magen spielte Epileptiker, aber ich hielt ihn gut fest und schluckte den Schaum vor seinem Mund wieder runter. Mit tränenden Augen drehte ich mir eine und steckte sie an. Als ich mit Husten fertig war, war der Rest schon verglüht und ich musste mir eine neue kurbeln.

»Wenn jetz’ einer kütt un’ ‚Morjenstund hätt Jold em Mund säät’, schlar’ isch ’m die Fläsch en die Fress’!«*, sagte ich zu der Möwe auf dem Mäuerchen zur Straße. Achselzuckend drehte sie sich um und flog weg. Anscheinend verstand sie kein Kölsch.

Bei dem Gedanken an ein kühles, schäumendes Kölsch fing ich fast an zu heulen. Ich hatte wirklich die Schnauze voll – von diesem Sommer, diesem penetranten Traumwetter jeden Tag, von all den gut gelaunten, gut aussehenden Menschen um mich herum, von den Preisen hier, die zu zahlen die sich offensichtlich leisten konnten, von all den arroganten Franzmännern genauso wie den nervigen Touristen, von dem ewigen billigen Rotwein, der schon viel zu lange neben labberigem Weißbrot und Knoblauchtomaten meine Nahrung war. Gut – ich hatte in der Zeit mindestens sieben Kilo abgenommen, dafür ein paar Muskeln zugelegt vom täglichen Paarkilometerschwimmen und den stundenlangen Federballschlachten mit Veedelnoh. Ich war kupferbraun gebrannt und fand, dass ich eigentlich ganz gut aussah mit meinen ausgebleichten langen Haaren über den verwaschenen karierten Flanellhemden mit den abgeschnittenen Kragen und Ärmeln, die ich damals gerne trug.

Das hatten, ganz abgesehen von einem halben Dutzend schwuler Yachtbesitzer, auch schon mindestens dreißig Mädels aller Nationalitäten gefunden, aber sobald sie merkten, dass ich mir dreimal überlegen musste, ob ich mir leisten könnte, ihnen eine Cola auszugeben, geschweige denn einen Long Drink oder gar ein Abendessen, hatten sie plötzlich einen Friseurtermin. Oder Tennisstunden. Oder Surfen. Sechs Wochen im Paradies, umgeben von den schönsten Weibern Europas, und was war … ? If it wasn’t for bad luck, I wouldn’t have no luck at all* 

»Wenn isch endlisch widder in Kölle bin, muss isch mir wa’scheinlich dreimol eine rungerholle, eh’ isch misch bei dä Schöss röckmelde. Sönz platze isch jo schon, wenn mir ein nur en Hand jitt!«*, beschwerte ich mich bei der Möwe, die wieder auf ihren Platz zurückgekehrt war. Sie lachte kreischend auf, wie ein Haufen Nippeser Marktfrauen, die sich am Damenkegelabend einen Herrenwitz erzählen. Sie verstand mich also doch – ich musste nur laut und deutlich reden. Zum Dank warf ich ihr ein Stück trockenes Brot hin. Und von Brigitte Bardot, die hier angeblich immer vorbeikommt, wenn sie zum Einkaufen geht, hab’ ich auch noch kein Gramm gesehen!

 

***

 

»Büb! Mir zwei! Un’ et janze Johr Sommer!« An einem vergraupelt-vermatschten Heiligabend in Köln, gerade mit gebrochenem Herzen in einer Horrorfahrt aus Horrorstadt zurück, klingt so ein Song vom Sommer an der Côte d’Azur ziemlich verlockend – aber was sollte ein Schlagzeugberserker wie ich zwischen Bambusflöten wringenden, Gitarre zupfenden Hippies? »Kei’ Problem, Büb! Jeder kann Jitta’ spille!«*, hatte ’noh trompetet.

Er hatte mich begrüßt wie den lange verlorenen Sohn, nach meinem ziemlich misslungenen Versuch, in München Fuß zu fassen, obwohl wir uns im Frühjahr davor mit einem ziemlichen Krach getrennt hatten. Wir alle von Penner’s Radio hatten’s reichlich satt gehabt – den ewigen Tourneeschlauch, die ständigen Benefizkonzerte, all die Nächte auf zu kalten Matratzen nach heißen Abenden mit zu warmem Bier. Die zähen Tage, an denen man mit matschiger Birne auf ein paar hundert Kilometer Mittelstreifen stiert. Die Abzockereien von Veranstaltern, Agenturen und der kleinen »alternativen« Plattenfirma, die von unserem Hitalbum Wat dä Driss soll?!? – Penner’s Radio live in Habbelrath wahrscheinlich an die achtzehntausend Stück verkauft, aber bis heute nur neuntausend an uns abgerechnet hatte. Die Anlagenschlepperei, den Kampf gegen unseren Schuldenberg, gegen das Finanzamt, gegen das Getriebe und den ewig lockeren Auspuff unseres alten Opel Blitz.

Und dann all die fruchtlosen Diskussionen – die Frauenbewegerinnen hielten uns für heuchlerische Chauvis (»Was singt Ihr da – Eva, wenn du so mit deinem Fischbrötchen lachst? – Schwanz ab!«), die Autonomen für Kommerzsäue (»Ihr spielt doch bloß ohne Gage für unser Jugendzentrum, weil ihr Werbung für eure Platten machen wollt!«), die Konservativen für Anarchisten (»Ihr liefert doch die Hymnen für die RAF-Sympathisanten!«), die Politfreaks für unpolitische Klamaukrocker, und für ein Heer von Polizei– und Zollbeamten waren wir anscheinend alle Rauschgift schmuggelnde Terroristen (»Fahren Sie bitte mal rechts ran! Aussteigen, den Laderaum öffnen und ausladen!«)…

Und nicht zuletzt gingen wir uns selber gegenseitig ziemlich auf die Nerven: Weiter kölsch singen oder lieber hochdeutsch oder nicht doch besser gleich englisch? Mehr Geblödel oder mehr Politik? Mehr Jazz (Emerson, unser Organist)? Mehr Punk (Veedelvüür, der linke Gitarrist, von meinem Schlagzeughocker aus gesehen)? Zielstrebig auf die Hit-Single los (Veedelnoh, der rechte)? Mehr Showeffekte für Eiermann, unseren Bassisten? Schnellerhärterlauter für mich, Büb Klütsch, den sie auch Kanaldeckel’s Büb nennen, weil ich mein Schlagzeug-Set eher auf Autofriedhöfen zusammenklaube als bei metro-music?

Monatelange zermürbende Gruppenhydraulik hatte dann zu der Entscheidung geführt, Penner’s Radio für ein Jahr zu beurlauben. Oder so. Also den Blitz, unsere Anlage und unseren Proberaum an die Kollegen von Coppercabana Silver vermietet, im guten alten Maschinensaal der ehemaligen Stollwerck-Schokoladenfabrik noch ein denkwürdiges Abschiedskonzert hingelegt, nach dem nicht nur mein Schlagzeug in Trümmern lag, noch mal gemeinsam die Kante gegeben, zwei Tage Komaland – und dann die vorläufige Endabrechnung für fünf Jahre Penner’s Radio abgesegnet (nach Begleichung aller offenen Rechnungen für jeden sechshundert Mark, sowie vierhundert Platten und zweihundert Poster, die jeder selbst zu Geld machen durfte), bevor wir uns in alle Windrichtungen zerstreuten, um auf den Serpentinen der Selbstfindung und Selbstverwirklichung ein paar Raststätten weiterzukommen. Hardnose the highway* 

 

3

Karrieren

»Dat war ’n Abschiedsgig, wa’, ’noh?« Er hockte vor mir und drehte sich meinen Schädel zurecht, um mir die Blutkruste abzuwaschen. Leider benutzte er Meerwasser dazu, und ich war nahe dran, ihm eine zu kleben, aber ich hatte keine Hand frei – in der einen hielt ich eine halb volle Pulle Rotwein und in der andern eine von diesen dicken krummen Zigaretten, die Françoise spliff nannte. Eigentlich mochte ich sie nicht sonderlich (die Zigaretten), aber sie (Françoise) hatte mich überzeugt, dass sie gut gegen all meine Wehwehchen seien. Ich fand, dass sie mich nur besoffen machten, und nahm noch einen ordentlichen Schluck Roten, um gegenzusteuern.

»Dich kann man auch nich’ mal einen Abend alleine lassen, wie?«, knurrte er.

»Ich war nich’ allein.«

»Ach?«

»Na ja – am Anfang je’nfalls nich’. Un’ dann war ich noch kurz so was hier trinken«, erklärte ich und schwenkte die Flasche Richtung Kehle. »Un’ dann kam Blondie dazu.« Ich begann darüber nachzugrübeln, wie das Treffen überhaupt abgelaufen war.

»Mach’s nich’ so spannend, Büb!« Ich zuckte mit den Schultern. Autsch!

»Ich glaub’, er mag unsre Musik nich’. Er meint, wir würden ihm und seinem Rauschgoldengel das Geschäft versauen. Ich sag’ ihm, dass mich sein Geschäft nich’ interessiert, ein Wort gibt das andere …«

»Un’ dafür schlägt er dir den Schädel ein?«

»Na ja – er schreit reichlich rum un’ geht mir auf’n Sack, deswegen setz’ ich ihn draußen in den Blumenkasten vorm Boubou. Dann kommt er ziemlich sauer wieder rein und meint, wir sollen uns ’nen andern Platz suchen und schlägt so was wie Auschwitz vor. Daraufhin schlägt – eh, ich weiß nich’ mehr, wie sie hieß –, ihm vor, sich zu verpissen. Er gibt ihr ’n paar unfeine amerikanische Namen, un’ sie haut ihm ihre Crêpe Niçoise in die Fresse. Mit Teller. Er scheuert ihr eine, ich sag’ ihm, das reicht, und er –«

»Meinste, damit kriegste deine Erbsenprinzessjen endlich rum? Mit Blumenkinder verhauen?«

»Das waren keine Blumen – das war ’n Stilett. Un’ außerdem woll’n wir beide uns doch wohl nich’ unsere – eh …, Urlaubsbekanntschaften vorhalten …« Ich warf einen Seitenblick auf Françoise, die auf einer Bastmatte zwei Meter weiter im Lotussitz neben dem schnarchenden kleinen Frankfurter hockte und sich die meterlangen Haare frottierte. Sie strömte einen Moschusduft aus, dass ich mich wunderte, noch keine Büffel antraben zu hören. ’noh schnüffelte und grinste.

»Immerhin hat mir meine heute Mittag nach meinem kleinen Solokonzert in St. Raphael genug Zlotys für’n Abendessen eingesammelt. Ohne Tamburin.« Ich schielte fragend an ihm hoch. »Und ohne Oberteil,« fügte er achselzuckend hinzu.

»Und was hast du gesungen?«

»So – fertig,« verkündete er und erhob sich. »Siehs’ wieder halbwegs menschlich aus. Wenn du bis heut’ Abend wieder nüchtern bist, laden wir dich ein.« Ich stöhnte. Schon wieder Saufen?

»Zum Essen!« Ach so.

»Und was hast du gesungen?« Er nahm seine Klampfe und schüttelte eine Art Doobie Brothers-Riff aus dem Ärmel. Dann räusperte er sich und gab mit Falsettstimme When You’re In Love With A Beautiful Woman zum besten, die Nummer, mit der Dr. Hook letztes Jahr in die Hitparade geraten waren »Ach du Scheiße – kann man sich in St. Raph’ auch nich’ mehr blicken lassen! Langer Weg vom Freaker’s Ball bis dahin …« Aber er ließ sich nicht stören. Gitarre spielen konnte er ja, das musste ich ihm lassen.

 

***

 

Deswegen hatte er ja auch so wohlgemut die Pause von Penner’s Radio angetreten – es hatte ja tatsächlich schon ein paar von den EMI-, OMI-, IMI- und ATA-Talentscouts gegeben, die was von ihrem Job zu verstehen schienen und ihn für ihre jeweilige Firma abzuwerben versucht hatten. Aber jedes Mal hatte er abgewinkt, wenn sie nicht bereit waren, unsere gesamte Kapelle unter Vertrag zu nehmen – obwohl es ihn schon schwer gereizt hatte:

»Da oben am Front-Mikro stehen, Büb, ’ne Platin-Platte im Rücken, weltweit, versteht sich, ’ne Riesenhalle voll kreischender Fans …! Du singst, und die Mädels machen sich nass, un’ dann spielste ’n Solo, un’ die Jungs machen sich auch nass… un’ dann machste noch mal einen einzigen Benefiz-Gig – im Wembley-Stadion zum Beispiel –«

»Wembley? Benefiz? Für wen – die Queen?«

»Wat weiß ich, für wen – die Pest in Indien, Demokratie in Russland, Hunger in Afrika, datt die Berliner Mauer fällt, ejal! Un’ dann da oben, im Duett mit Tina Turner …!«

»’noh – die is’ doch schon lang in der Versenkung –«

»Die kütt widder, Büb! Die kütt widder! Un’ ich sing’ mit der! Un’ Millione’ luuren zo! Dä Fernseher! Weltweit! Wie beim Ali jejen Frazier! New York! Rio! Tokio!«

»Un’ Esch, Pesch, Wiggepesch! Wie alt willste weede, ’noh, öm dat ze erlääve – nüngßisch? Hundertveezisch?«*

»Wart’s ab, Büb! Du wirs’ noch von mir hören!«

 

***

 

Ich hörte von ihm – ein paar Monate später, ich war schon in München. Ich guckte mir einen dieser Fernsehkrimis an, die ablaufen, als seien sie von der Berufsberatungsstelle des BKA gesponsert. Der kleine dicke Inspektor hatte den Mörder eingeliefert und machte die letzten stimmungsauflockernden Witzchen mit seiner frischgeföhnten Frischverlobten, und ich wollte gerade abschalten, als nach ein paar bei Rachmaninov geklauten Klavierakkorden eine Stimme erklang, die mir schwer bekannt vorkam. Eine Ballade, nach der sich meine Schwägerin, Schaltertante bei der Raiffeisenbank Opladen, garantiert am nächsten Morgen bei Radio Nord erkundigt hatte: »Dat lief doch jestern in dem Film! Janz am Schluss! Un’ im Refräng singk der so unjefähr Änt venn se wummen trietz him reit, se mähn känn ßieh se scheining leit* …« Und darüber lief der Abspann, und nach dem zweiten Refrain blendeten sie aus – und wenn die paar Töne E-Gitarre, die man irgendwo zirpen und im Hall absaufen hörte, von unserm Veedelnoh gespielt waren, würde ich Heiligabend in einem Bett im Kornfeld verbringen.

Mit derselben Ballade, die inzwischen im Musikmarkt auf Platz vierundvierzig rangierte, Pfeil nach unten, und einer fröhlicheren Nummer zum Mitklatschen (Show me where the sun is and I show you where the fun is* …) sah ich ihn dann drei Wochen später in der Tele-Rundschau – sie hatten ihn zum Friseur und in Karstadts Young Fashion-Abteilung geschickt, ihm seine Gitarre weggenommen, seine eigenen Songs in die Tiefkühltruhe geschmissen und ihm zwei Stunden bei Rex Gildos Schauspiellehrer spendiert, inklusive Sonnenbank, und als er das Brötchen in der Frisur der Moderatorin küsste, die ihm gaans, gaans doll der Daumen drückte, ging ich runter in einen dieser Schwabinger Wir-haben-Chrom,-Spiegel,-Leder-und-einen-Filmregisseur-als-Stammgast,-da-kannst-du-für-nen-Heiermann-nicht-auch-noch-Schaum-aufm-Bier-verlangen!-Schuppen und bestellte mir acht Korn, zwei Rum, einen Calvados, einen Cointreau, zwei Apfelsaft und ein leeres Weizenglas. Selbst ist der Mann. Apfelkorn war ja mittlerweile auch von gestern. Feelin’ good was easy, Lord

 

***

 

An’ feelin’ good is good enough for me*, hatte sich unser Veedelvüür gedacht, war in Hamburg gelandet, bei Smegma Pudding, einer Punkband, die allerdings in der Hauptsache mit Molotowcocktails und Eisensägen an Hochspannungsmasten rumspielte; mittlerweile saß er in Celle im Knast und studierte Akupunktur, Schreinerei und Bootstechnik, weil er plante, sich ein Hausboot zu bauen und an der Alster eine alternative Gemeinschaftspraxis aufzumachen, die keine Krankenscheine akzeptieren würde. Eiermann, unser Fels-in-der-Brandung-Bassist, hatte einen festen Job am Stadttheater Bad Godesberg, wo er den zweiten Verfolgerspot bei Warten auf Godot bediente. Und wo unser Organist Emerson gelandet war, wusste keiner so recht.

Und ich, Kanaldeckel’s Büb, der mehr Schlagzeugknüppel geschafft hat als Gilbert Bécaud Gitanes? Nachdem mich Dubravka zum zweiten und wahrscheinlich letzten Mal verlassen hatte, weil sie es nicht ertragen konnte, dass Rock’n’Roll-Touren ohne Besäufnisse und Weibergeschichten für mich so spannend waren wie Fußballspielen mit ’nem Nylonball, war ich irgendwie – ja ja, Weibergeschichten und Besäufnisse! – in München gelandet, hatte Filmmusiken gemacht und Bier gezapft und Fleischpflanzerln gebraten und auf Flohmärkten rumgestanden und Resi’s Go-Go-Girls über die bayrischen Dörfer gekarrt und – aber das ist ’ne andere Geschichte …

 

4

E – A – D …

Und dann war ich eben wieder in Köln. Da es den Schrebergarten nicht mehr gab, guckte ich mich ein bisschen um und kriegte einen Job im Come Up, wo ich dreimal die Woche, außer an diesem blöden Nichtrauchermontag natürlich, nachmittags putzte und abends von zehn bis eins Platten auflegte. Die Hälfte der Platten war so langweilig wie die Leute, die dort verkehrten (Supertramp! Barclay James Hänänä!!), aber solange Akim, der Geschäftsführer, nicht da war, konnte ich die mit der anderen Hälfte quälen; das Bier war okay, und wenn ich meine sieben Personalbons versoffen hatte und mir bei Benjamin, dem Zahnmedizin studierenden Barkeeper, Nachschub holen ging, zahlte ich meistens mit ’nem schmutzigen Zehner und kriegte von ihm Wechselgeld auf ’nen sauberen Zwanziger raus – schließlich war der Laden doch ’ne Geldwaschanlage. Dafür nahm ich ihm dann während meiner Putzschichten Mix-Kassetten auf, die er wiederum kopierte und in seiner Heimatstadt Münster teuer als das Neueste und Größte aus Der Großen Stadt vertickte. Damals gab’s noch so was wie Solidarität – zumindest unter Schwarzarbeitern.

In Veedelnohs Rumpelkammer von Zweitzimmer, die er »Dat Schtudio« nannte, hatte ich mich ein bisschen häuslich eingerichtet, was heißt, dass ich eine der an den Wänden lehnenden schalldämmenden Matratzen bezog und auf den Boden legte, eine ausgeschlachtete Lautsprecherbox daneben, in die meine komplette Garderobe passte, obendrauf ein kleiner Spot, ein paar Bücher und ein großer Aschenbecher. An Büchernachschub herrschte kein Mangel – mein Freund Stevie arbeitete mittlerweile bei Föhler & Kalckmann, Kölns größtem Buchgroßhandel. Jeden Mittag trafen wir uns in der Kantine der Hauptpost, wo auch die F&K-Mitarbeiter ihr Stammessen kriegten, und nachdem er sein Mittagessen verputzt hatte, stellte ich mich mit seinem Ausweis an, um mein Frühstück abzuholen. Dann tranken wir noch ’ne Flasche Bier und rauchten eine, er ging wieder zurück zu seinem Job, und ich verließ ein paar Minuten später die Kantine mit der gut gefüllten Plastiktüte, mit der er hergekommen war. Chandler, Dostojewski und Loriot, Hammett, Kerouac und Sempé, Langenscheidt, Nietzsche und Gernhardt, Sartre, Anaïs Nin und Max Ernst, Tolkien, Spillane und Janosch, Hemingway, Dali und Luke Rhinehart, Böll, Highsmith und Dylan, Lennon, Beckett und -ky, Krishnamurti, Zane Grey und Henscheid, Wittgenstein, O’Donnell und Vian und wie sie alle heißen, die einem was über das Leben erzählen können (und wie es sein könnte) und über die Menschen (und wie sie sein könnten), und irgendwann hatten wir sogar die wunderschöne gebundene Sammlung Märchen aus aller Welt beisammen, alle vierundfünfzig Bände.

Als kleine Gegenleistung kümmerte ich mich jeden Nachmittag ein, zwei Stunden um die Erziehung des jungen Rottweilers seiner neuen Freundin. Unter anderem brachte ich dem bei, sich in jeder Kneipe sofort unter den Flipper zu legen und von dort aus ein Auge auf alles zu haben, bis wir wieder gingen. Leider wollte er das eines Tages, bei einem Sonntagsausflug ohne mich, auch in einer Kneipe im Bergischen Land, wofür er aber dem alten Dackel des Wirts seinen Stammplatz streitig machen musste. Er war gerade dabei, den Dackel in Stücke zu reißen, als ihm der Wirt mit einem Barhocker den Schädel einschlug. Stevies Freundin also ohne Hund, Stevie mal wieder ohne Freundin, ich zwei Stunden mehr Zeit, Gitarre spielen zu lernen.

Und langsam Zeit, ’ne eigene Gitarre zu haben. »Wä die Kääne nit probiert, weiß nit, wie die Prumme schmecke, Jung«*, hatte Opa Klütsch, der kölsche Konfuzius, mir schon frühzeitig mit auf den Weg gegeben. Also besorgten wir mir bei Fischer’s Jupp am Eigelstein* eine robuste Westernklampfe.

»Dat beste, wat du em Moment kriejen kanns’, Büb – auf dem Ding hat schon der Elvis jespielt. Der King!«

»Der King, Jupp?«

»Ja, der Ki-, eh, der Kuhn! Der Paul Kuhn!«

»Der spielt Klavier, Jupp …!«

»Jeck! Der kann alles! Dat is ene feine Kääl! Wat isch mit dem schon jesoffen hab’! Fünnefunachzisch?«

»Tu mir ’ne Tasche dazu, un’ isch geb’ dir fuffzisch.«

»Tasche?! Bis’ du beklopp’, Büb? Dat Schmuckstück muss doch jeder sehn können, wenn du damit zum Sartory jehs’! Fünnefunsecksisch?«

»Ich spiele nich’ im Sartory, Jupp – ich spiele an der Côte d’Azur!«*

»Ja, leckens am Dill! Do bruchste natürlisch en Täsch’, Büb – sönz hät dä Franzmann dir die Schrumm doch t’reck jeklemmp’! Hier hab’ isch jenau dat rischtije für disch – siebzisch?«*

»Fuffzisch.«

»Komm – weil du et bis’, Büb: jib mir secksisch, isch hab’ noch ene Termin.«

»Fuffzisch un’ ’ne Flasche Asbach.« Lippenlecken.

»Na ja, wat willste beim Franzmann met däm Schabau? Is jebongk!«* Also kurz rüber zum Stüssgen-Markt, eine Pulle Asbach gefringst*, und schon war ich stolzer Besitzer einer dunkelroten Framus in einer babyschissgelben Skai-Hülle mit einem Wienerwald-, einem Sendung-mit-der-Maus- und einem Bad-Dabringhausen-Aufkleber, und Veedelnoh führte mich in die hohe Kunst der Rhythmusgitarre ein: E-Dur, G-Dur, A-Dur, a-moll – zack! hatte ich For Your Love drauf, und dann Dust My Broom und Got My Mojo Working und, natürlich, House Of The Rising Sun und If I Were A Carpenter und One Scotch, One Bourbon, One Beer und und und …

 

***

 

… und gelegentlich verbrachte ich ein Wochenende in Veras Gästezimmer, was zwar nicht immer so ganz meiner Vorstellung von Eheleben entsprach – aber unser Eheleben hatte noch nie irgendwelchen Vorstellungen entsprochen, was schon damit anfing, dass wir damals bloß geheiratet hatten, damit sie in ihre wunderschöne, riesige Altbauwohnung in der Engelbertstraße ziehen konnte. Die Trauung fand während ihrer Mittagspause statt, Trauzeugen waren zwei Kollegen aus ihrem Verlag, und nach zwei feierlichen Bieren in der Bar vom Hotel Herzogenruh sollte planmäßig auch schon alles gelaufen sein, aber dann quatschten wir uns wohl ein bisschen fest, und ihre Mittagspause zog sich bis weit über irgendwelche unbezahlten Überstunden hinaus; und weil wir dann auch noch meinten, eine Hochzeit ohne Vollzug gewisser ehelicher Pflichten sei nur halber Kram, machte sie den Tag danach auch noch zum Flittertag, den wir im übrigen in all den Jahren seitdem auf ähnliche Art feierten, egal wer gerade ihre Lebensgefährtin war. Oder meine.