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J.R.R. Tolkien

DIE ABENTEUER
DES TOM BOMBADIL

und andere Gedichte
aus dem Roten Buch

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Mit Illustrationen von Pauline Baynes

Aus dem Englischen übertragen
von Ebba-Margareta von Freymann

Zweisprachige Ausgabe

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Hobbitpresse

IMPRESSUM

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Hobbit Presse

www.hobbitpresse.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Adventures of

Tom Bombadil« im Verlag George Allen & Unwin 1962

© The Tolkien Estate Limited 1962, 2014

Illustrationen © HarperCollinsPublishers 1962

Tolkien® ist ein eingetragenes Markenzeichen

der The Tolkien Estate Limited

Für die deutsche Ausgabe

© 2016 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung unter Verwendung der Illustration der Originalausgabe von Pauline Baynes

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-96091-4

E-Book: ISBN 978-3-608-10941-2

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

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INHALT

Vorwort

1 Die Abenteuer des Tom Bombadil

2 Tom geht rudern

3 Irrfahrt

4 Prinzessin Ich-Mi

5 Der Mann im Mond trank gutes Bier

6 Der Mann im Mond kam viel zu früh

7 Der Steintroll

8 Luftikus

9 Die Muhlipps

10 Olifant

11 Fastitokalon

12 Katz

13 Schattenbraut

14 Der Hort

15 Muschelklang

16 Das letzte Schiff

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CONTENTS

Preface

1 The Adventures of Tom Bombadil

2 Bombadil Goes Boating

3 Errantry

4 Princess Mee

5 The Man in the Moon Stayed Up Too Late

6 The Man in the Moon Came Down Too Soon

7 The Stone Troll

8 Perry-the-Winkle

9 The Mewlips

10 Oliphaunt

11 Fastitocalon

12 Cat

13 Shadow-Bride

14 The Hoard

15 The Sea-Bell

16 The Last Ship

Die Abenteuer des Tom Bombadil

und andere Gedichte aus dem Roten Buch

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VORWORT

Das »Rote Buch« enthält eine große Zahl von Gedichten. Von diesen sind einige in die Romantrilogie Der Herr der Ringe eingegangen oder in die Geschichten und Chroniken, die sich daran anschließen. Zum größeren Teil jedoch finden sie sich auf losen Blättern, manche auch an den Rand von Manuskripten oder auf leere Stellen hingekritzelt. Bei den Letzteren handelt es sich meist um Nonsensgedichte, die selbst im Falle der Lesbarkeit nicht mehr verständlich sind, oder um Fragmente, deren Urform schon zum Zeitpunkt der Niederschrift in Vergessenheit geraten war. Solche Stücke sind die Nummern 4, 12 und 13. Ein besseres Beispiel für den Typus wäre allerdings diese Marginalie zu Bilbos »Des Winters erster kalter Hauch«:

Der Wind zerwirbelte den Wetterhahn

und seinen Schwanz, packt’ ihn am Nacken;

der rauhe Frost kniff einen Drosselhahn,

der konnte keine Schneck’ mehr knacken.

»Gar alles ist so hart«, die Drossel greinte;

»Alles ist eitel«, der Hahn leise weinte.

Zusammen stimmten sie ihr Klaglied an.

Diese Auswahl gibt ältere Texte wieder, die sich hauptsächlich auf auenländische Sagen und Schwänke aus dem ausgehenden Dritten Zeitalter beziehen und allem Anschein nach von Hobbits stammen, namentlich von Bilbo und seinen Freunden oder deren direkten Nachkommen. Allerdings werden diese nur selten ausdrücklich als Verfasser genannt. Die Stücke, die außerhalb der Erzählungen vorliegen, wurden wahrscheinlich nach mündlicher Überlieferung niedergeschrieben, und zwar von verschiedenen Schreibern.

Im »Roten Buch« heißt es, dass Nr. 5 auf Bilbo und Nr. 7 auf Sam Gamdschie zurückgeht. Nr. 8 ist mit SG gezeichnet; diese Zuschreibung kann man akzeptieren. Auch Nr. 11 trägt die Signatur, in diesem Falle kann Sam aber höchstens einem älteren Stück eine neue Fassung gegeben haben. Es gehört zu jenem populären Überlieferungsgut, das Tiere zum Gegenstand von Ulkversen machte und den Hobbits offenbar besonderes Vergnügen bereitete. Im Herrn der Ringe sagt Sam, dass Nr. 10 im Auenland volkstümlich sei.

Nr. 3 ist ein Beispiel für einen anderen Typus, an dem die Hobbits ihren Spaß hatten: eine Gedichtform bzw. eine Geschichte, die in den eigenen Anfang mündet, sodass man sie ad infinitum aufsagen kann, bis die Hörer sich zur Wehr setzen. Davon finden sich im »Roten Buch« mehrere Beispiele, aber die übrigen sind einfach und kunstlos. Das Stück Nr. 3 ist bei weitem am längsten und am sorgfältigsten ausgefeilt; es stammt zweifellos von Bilbo. Darauf deutet seine auffallende Verwandtschaft mit dem Gedicht hin, das Bilbo als eigenes Werk in Elronds Haus vortrug. Seinem Ursprung nach ein »Nonsensgedicht«, ist es in der Bruchtaler Fassung umgeformt und den hochelbischen und númenórischen Sagen von Earendil einigermaßen inkongruent übergestülpt – wahrscheinlich, weil Bilbo dieses Metrum erfunden hatte und stolz darauf war. Es findet sich sonst nirgends im »Roten Buch«. Die hier abgedruckte ältere Version muss schon bald nach Bilbos Rückkehr von seiner Reise entstanden sein. Der Einfluss elbischer Überlieferung ist zwar unverkennbar, diese wird aber nicht ernst genommen, und die Namen (Derrilyn, Thellamie, Belmarie, Aerie) sind bloße Erfindungen, die den Klang des Elbischen nachahmen, in der Elbensprache jedoch gar nicht vorkommen.

Der Einfluss der Ereignisse am Ende des Dritten Zeitalters und die Erweiterung des auenländischen Horizontes durch den Kontakt mit Bruchtal und Gondor sind in anderen Texten deutlich greifbar. Nr.1 die durch das Südliche Königreich flossen, und verwendet den gondoranischen Namen Fíriel (i.e. »sterbliche Frau«) in seiner hochelbischen Form.2 In Langstrand und Dol Amroth war die Erinnerung an die alten elbischen Wohnsitze und auch an den Hafen an der Mündung des Morthond noch lebendig, von dem aus »westliche Schiffe« schon in den Tagen von Eregions Fall im Zweiten Zeitalter in See gegangen waren. Diese zwei Texte sind also nur Neufassungen von Stoffen aus dem Süden, die allerdings erst über Bruchtal zu Bilbos Kenntnis gelangt sein dürften. Auch Nr. 14 geht auf Bruchtaler Sagengut elbischer und númenórischer Herkunft zurück, das von den heroischen Tagen am Ende des Ersten Zeitalters handelt; ein Echo der númenórischen Sage von Túrin und Mîm dem Zwerg klingt darin nach.

Nr.3 wie es für Hobbits westlich des Bruchs kaum denkbar ist. Diese Texte zeigen auch, dass die Bockländer Bombadil kannten;4 allerdings hatten sie von seinen wahren Kräften wohl ebensowenig eine Vorstellung wie die Auenländer von denen Gandalfs: Beide galten als freundliche Personen, rätselhaft zwar und unberechenbar, aber doch eher zum Lachen. Nr. 1 ist das ältere Stück und besteht aus einer Reihe von Bombadil-Geschichten in ihrer hobbitischen Version. Nr. 2 verwendet ähnliches Erzählgut, wenngleich sich Toms Späße hier gegen seine Freunde richten, deren launige Reaktion auch eine Spur von Furcht verrät; wahrscheinlich ist dieses Gedicht aber viel später entstanden, nach dem Besuch Frodos und seiner Gefährten im Hause Bombadils.

Den hier vorgelegten Gedichten hobbitischen Ursprungs sind fast durchgehend zwei Züge gemeinsam: Sie zeigen eine Vorliebe für sonderbare Wörter und ausgefallene Reime und Metren – dem schlichten Gemüt der Hobbits galt dergleichen wohl als Ausweis hoher Inspiration; in Wirklichkeit handelte es sich bloß um Nachahmung elbischer Praxis. Weiterhin sind sie, wenigstens oberflächlich betrachtet, spielerisch, geradezu respektlos; allerdings mag sich der Leser hin und wieder unsicher fragen, ob nicht mehr dahinter steckt. Nr. 15, ohne Zweifel hobbitischer Herkunft, ist eine Ausnahme. Jüngeren Datums als die übrigen Stücke, gehört es dem Vierten Zeitalter an; wir haben es aufgenommen, weil jemand »Frodos Traum« darübergekritzelt hat. Das ist bemerkenswert: Dass Frodo selbst das Gedicht geschrieben hätte, muss zwar als außerordentlich unwahrscheinlich gelten, jedoch zeigt diese Überschrift, dass man es auf jene dunklen und quälenden Träume bezog, die ihn während seiner letzten drei Jahre im März und Oktober heimsuchten. Von Hobbits, die dem »Wanderwahn« verfielen und, soweit sie überhaupt zurückkehrten, sich fortan sonderbar und schweigsam zeigten, handelten aber mit Sicherheit auch andere Geschichten. In der Phantasie der Hobbits war das Meer zwar von jeher hintergründig gegenwärtig, jedoch herrschte gegen Ende des Dritten Zeitalters im Auenland eher eine Stimmung der Angst vor dem Meer und des Misstrauens gegen elbische Überlieferungen, und die Ereignisse und Veränderungen, mit denen jenes Zeitalter zu Ende ging, waren gewiss nicht dazu angetan, solche Ängste vollständig zu zerstreuen.

19

Tom Bombadil, der alte, war ein vergnügter Mann,

trug einen blauen Mantel, zog gelbe Stiefel an,

den grünen Gürtel um den Leib, die Hosen ganz aus Leder

und auf dem hohen, spitzen Hut noch eine Schwanenfeder.

Am Hügelhange stand sein Haus, am Quell der Weidenwinde,

die in den Alten Wald hinab sich schlängelte geschwinde.

Der alte Tom trieb sommers sich herum auf Wiesenmatten

und pflückte Butterblumen gern, verfolgte seinen Schatten,

er neckte dicke Hummeln oft bei ihren Blütenrunden,

saß darauf still am Uferrand für ungezählte Stunden.

Sein langer Bart hing tief herab bis in das kühle Nass;

der Flussfrau Tochter tauchte auf und gönnt’ sich einen Spaß:

Goldbeere zog Tom an dem Bart – er rutschte spritzend, prustend

kopfüber unversehens ab, voll Blubbern, Wasser hustend.

»Hei, Tom Bombadil! Wohin willst du denn rasen,

noch unter Wasserlilien, bläst dabei solche Blasen?

Du machst den kleinen Fischen Angst und auch der Enten Brut,

den braunen Wasserratten, ertränkst den Federhut!«

»Ach sei so lieb, du Wasserfrau, und bring ihn mir zurück«,

sprach Bombadil, »nur allzu gern ich mich ums Waten drück.

Dann tauch hinab und schlafe ein in deinem tiefen Teich,

dort unter Weidenwurzeln ist dein schattig-kühles Reich.«

Goldbeere tauchte, schwamm zurück zu ihrer Mutter Haus

am dunklen Wassergrund. Tom streckte sich nun aus,

auf alten Weidenwurzeln sonnte er in aller Ruhe,

er trocknete den Federhut und seine gelben Schuhe.

Da wachte auf der Weidenmann, sang einen Liederreigen,

er wiegte Tom fest in den Schlaf dort unter Weidenzweigen.

Und schnapp! Schon schlug die Falle zu! Man sah von Tom nun weder

den Mantel noch den spitzen Hut geschweige denn die Feder.

»Ha, Tom Bombadil! Was nimmst du dir denn da heraus,

schaust mir beim Trinken zu, und das in meinem eignen Haus?

Du kitzelst mich mit nassem Hut, siehst tief in meine Rinde,

Jetzt laufen mein Gesicht herab die Tropfen so geschwinde!«

»Lass frei mich, alter Weidenmann, das ist doch keine Art!

Ganz steif muss ich hier liegen, die Wurzeln sind so hart

und taugen kaum als Kissen. Trink nur dein Wasser, trink!

Dann wie des Flusses Tochter zurück in Schlaf versink!«

Als Weidenmanne dies vernahm, ließ er ihn wieder frei,

zog sich in seinen Stamm zurück und brummte allerlei,

zog zu die Türe. Tom entfloh dem harten Astgewinde,

spazierte fröhlich in der Sonne längs der Weidenwinde.

Am Waldrand setzte er sich hin, sah zu dem Vogelreigen,

und lauschte diesem Wohlgesang, dem Zwitschern in den Zweigen,

von Schmetterlingen zart umschwirrt und ihrem Flügelwinken,

bis graue Wolken grollten und die Sonne war am Sinken.

Da eilte Tom rasch weiter. Doch schon schauerte der Regen,

schlug runde Ringe in den reißenden Strom allerwegen.

Der Wind blies zitternd durch das Laub, es troffen kühle Tropfen,

und Tom verkroch sich in ein Loch, doch ohne anzuklopfen.

Mit weißgestreifter Stirn schoss Vater Dachs aus seinem Bau

und blickte finster drein. Er lebte dort mit seiner Frau

und seinen vielen Söhnen. Tom fiel flugs in ihre Fänge,

sie zogen ihn am Mantel, schleiften ihn durch enge Gänge.

Dumpf murmelnd saßen sie im tiefsten Innern ihres Baus:

»Ho, Tom Bombadil, was fällst du plötzlich ein in unser Haus,

so einfach durch die Wohnungstür? Wir haben dich gefangen

und niemals wirst den Weg zurück alleine du gelangen!«

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»Hör zu, du guter alter Dachs, lass mich sofort hinaus,

ich will nicht länger bleiben in eurem Höhlenhaus!

Drum zeige mir die Hintertür unter der Rosenhecke,

befreit dann Tatzen, Nasen rasch von jedem Schmutz und Drecke!

Hernach legt ihr euch wieder hin auf euer Bett aus Stroh,

Goldbeere und der Weidenmann machen es ebenso!«

Da sprachen alle Dachse: »Oh! Kannst du uns doch verzeihen?«

Und unter Dornen konnte Tom sich abermals befreien.

Dann kroch in ihren Bau zurück die kleine Dachsesherde,

die alle Türen fest verschloss mit aufgehäufter Erde.

Es regnete nicht mehr, der Abendhimmel blaute klar,

Tom lächelte vergnügt, als schließlich er zu Hause war.