Anthony Giddens
Wandel der Intimität
Sexualität, Liebe und Erotik in modernen Gesellschaften
Aus dem Englischen von Hanna Pelzer
FISCHER Digital
Anthony Giddens ist Professor für Soziologie und Fellow am King's College an der Cambridge University, Großbritannien.
Seit der »sexuellen Revolution« der siebziger Jahre ist das Thema Sexualität in aller Munde. Der Feminismus und das Coming-Out der Homosexuellen haben die tradierten Geschlechterrollen ebenso in Frage gestellt wie die sexuelle Moral. Trotzdem gelten Sex, Liebe und Erotik immer noch als ausschließlich private Bereiche. Der Wandel der Intimität, so Giddens, betrifft aber unsere ganze persönliche Beziehungskrise ebenso wie die Demokratie unserer modernen Gesellschaften.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
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ISBN dieser E-Book-Ausgabe: 978-3-10-561085-5
Alle Zitate sind entnommen: Julian Barnes, Als sie mich noch nicht kannte, Zürich 1988.
Vgl. Lawrence Stone, The Road to Divorce. England 1530–1987, Oxford 1990, S. 7.
Julian Barnes, Als sie mich noch nicht kannte, a.a.O., S. 8.
Vgl. Lillian Rubin, Erotic Wars, New York 1990, S. 8.
Ebd., S. 61.
Ebd., S. 146.
Vgl. Alfred C. Kinsey u.a., Sexual Behaviour in the Human Male, Philadelphia 1948 (dt.: Das sexuelle Verhalten des Mannes, Frankfurt am Main 1955); Sexual Behaviour in the Human Female, Philadelphia 1953 (dt.: Das sexuelle Verhalten der Frau, Frankfurt am Main 1954).
Vgl. June M. Reinisch / Ruth Beasley, The Kinsey Institute New Report on Sex, Harmondsworth 1990, S. 143.
Ebd., S. 144.
Ebd., S. 145.
Vgl. W.H. Masters / V.E. Johnson, Human Sexual Response, Boston 1966.
Michel Foucaults Sexualität und Wahrheit liegt in drei Bänden vor, wobei für uns der erste Teil, Der Wille zum Wissen, Frankfurt am Main 1977, der weitaus wichtigste ist.
Ebd., S. 58, S. 64.
»Ein Spiel um die Psychoanalyse.« Ein Gespräch mit Angehörigen des Departement de Psychoanalyse der Universität Paris VIII in Vincennes, in: ders.: Dispositive der Macht, Berlin 1978, S. 118–175.
Michel Foucault, »Technologien des Selbst«, in: ders.: Technologien des Selbst, Frankfurt am Main 1993, S. 24–63.
Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit, Bd. 1, Der Wille zum Wissen, a.a.O.
Michel Foucault, »Ein Spiel um die Psychoanalyse«, a.a.O.
Michel Foucault, Vorwort zu Sexualität und Wahrheit, Bd. 2: Der Gebrauch der Lüste, Frankfurt am Main 1986.
Foucault, »Genealogie der Ethik: Ein Überblick über laufende Arbeiten«, in: Hubert L. Dreyfus / Paul Rabinow, Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, Frankfurt am Main 1987, S. 283.
Stephen Heath, The Sexual Fix, London 1982, S. 7ff.
Ebd. zitiert, S. 17.
Für eine Version einer solchen Sichtweise, vgl. Stephen Heath, The Sexual Fix, a.a.O.
Lawrence Stone, »Passionate Attachments in the West in historical perspective«, in: William Gaylin / Ethel Person (Hg.), Passional Attachments, New York 1988. Es gab eine Reihe von Diskussionen über die »Repressionshypothese«. Zum Beispiel: Peter Gay, Die Erziehung der Sinne. Sexualität im bürgerlichen Zeitalter, München 1986. Vgl. auch: James MaHood / Kristine Wenburg, The Mosher Survey, New York 1980, über eine Untersuchung von 45 viktorianischen Frauen, die Celia Mosher vorgenommen hatte. 34 % der von ihr Befragten sagten, daß sie »immer« oder »gewöhnlicherweise« einen Orgasmus in sexuellen Begegnungen erwarteten, eine Rate, die im Gegensatz zum Kinsey-Report besser ausfällt. Die außergewöhnliche Arbeit von Ronald Hyam, Empire and Sexuality, Manchester 1990, zeigt, daß der Viktorianismus nicht als ein auf England begrenztes Phänomen verstanden werden kann. »Repression« zu Hause ging einher mit weitverbreiteter Zügellosigkeit in den Kolonien des Empire – von seiten der männlichen Kolonialherren.
Zitiert in: Carol Adams, Ordinary Lives, London 1982, S. 129.
Amber Hollibaugh, »Desire for the future: radical hope in passion and pleasure«, in: Carole S. Vance (Hg.), Pleasure and Danger. Exploring Female Sexuality, London 1984, S. 403.
Paul Brown / Carolyn Faulder, Treat Yourself to Sex, Harmondsworth 1979, S. 35.
Zitiert in: Carol Adams, Ordinary Lives, a.a.O., S. 138.
Dieser Punkt wird detailliert entwickelt in: Barbara Ehrenreich u.a., Re-making Love, London 1987.
Michel Foucault, »Ein Spiel um die Psychoanalyse«, a.a.O.
Jacques-Alain Miller, Gesprächsbeitrag in Foucault: »Ein Spiel um die Psychoanalyse«, a.a.O.
Betty Friedan, Der Weiblichkeitswahn oder Die Selbstbefreiung der Frau, Reinbek 1966.
Anthony Giddens, Modernity and Self-Identity, Cambridge 1991.
Sigmund Freud, »Die sexuellen Abirrungen«, in: ders., Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Frankfurt am Main 1972, S. 70.
Jeffrey Weeks, Sexuality, London 1986, Kap. 4.
Anthony Giddens, Modernity and Self-Identity, a.a.O.
Bronislaw Malinowski, Das Geschlechtsleben der Wilden in Nordwest Melanesien, Leipzig / Zürich 1929, S. 202.
Zitiert bei Martin S. Bergmann, The Anatomy of Loving, New York 1987, S. 69 (erscheint im Frühjahr 1994 auf deutsch im S. Fischer Verlag).
Der Begriff stammt von Stendhal, aber ich folge seiner Verwendung nicht und auch nicht seiner Klassifikation von Typen der Liebe. Man könnte in Klammern hinzufügen, daß die Sozialwissenschaften in der Anfangsphase ihrer Entstehung eng mit Spekulationen über die Natur der Liebe verknüpft waren und auch mit den Unterschieden zwischen den Geschlechtern. Stendhal war stark von Destutt de Tracy beeinflußt und bezog sich auf seine Arbeiten über Liebe als ein »Buch der Ideologie«. Darunter verstand er einen »Diskurs der Ideen«, der aber auch die Form einer sozialen Erforschung annehmen konnte. Comtes Faszination für die Liebe ist in seinen späteren Schriften dokumentiert und wird in seiner Verbindung zu Clothilde de Vaux offensichtlich. Zur Zeit der Ausbreitung der modernen Soziologie jedoch wurden diese Einflüsse unterdrückt. Durkheim zum Beispiel, der sich auf Comte in vielen Aspekten stark bezog, nahm sich nur wenig Zeit für dessen spätes Werk und verwies darauf nur mit einiger Verachtung.
Francesco Alberoni, Falling in Love, New York 1983.
Michael Mitterauer / Reinhard Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der Familie, München 1977.
Dies diskutiert Niklas Luhmann, Liebe als Passion, Frankfurt am Main 1982.
Beatrice Gottlieb, »The meaning of clandestine marriage«, in: Robert Wheaton / Tamara K. Hareven (Hg.), Family and Sexuality in French History, Philadelphia 1980.
Max Weber, Die Protestantische Ethik, München 1965.
Lawrence Stone, The Family, Sex and Marriage in England 1500–1800, Harmondsworth 1982, S. 189ff.
Ebd., S. 189.
Ann Dally, Inventing Motherhood, London 1982. Siehe auch: Elisabeth Badinter, Die Mutterliebe, München 1982.
Mary Ryan, The Cradle of the Middle Class, Cambridge 1981, S. 102.
Francesca M. Cancian, Love in America, Cambridge 1987, S. 21.
Ebd. zitiert, S. 15.
Nancy Cott, The Bonds of Womanhood, New Heaven 1977; Janice Raymond, A passion for friends, London 1986.
Janice A. Radway, Reading the Romance, Chapel Hill 1984.
Sharon Thompson, »Search for tomorrow: or feminism and the reconstruction of teen romance«, in: Carole S. Vance (Hg.), Pleasure and Danger. Exploring Female Sexuality, London 1989.
Ebd., S. 350.
Ebd., S. 351.
Ebd.
Ebd. zitiert, S. 361.
Ebd., S. 360.
Ebd., S. 356.
Alle Zitate sind entnommen: Emily Hancock, The Girl Within, London 1990.
Anthony Giddens, Modernity and Self-Identity, Cambridge 1991.
Steven Chapple / David Talbot, Burning Desires, New York 1990, S. 35.
Es gibt andere Organisationen und Abteilungen: Die Anonymen Sexaholiker sind in ihrer Orientierung hauptsächlich heterosexuell; solche Gruppen wie Sex Compulsives Anonymous sind Organisationen für Gleichgeschlechtliche.
Joyce Ditzler / James Ditzler, If You Really Loved Me. How to Survive an Addiction in the Family, London 1989 – dies ist nur ein Beispiel aus einer umfangreichen Literatur.
Charlotte Kasl, Women, Sex and Addiction, London 1990. Kasls Buch stellt eine wunderbare Quelle dar, um der Frage der Abhängigkeit vom Sex nachzugehen, und ich beziehe mich im folgenden darauf. Wie das meiste der therapeutischen Literatur, mit der ich mich in diesem Buch durchgehend beschäftigte, behandle ich es dennoch entsprechend Garfinkels ›dokumentarischer Methode‹: als ein Dokument über persönliche und soziale Veränderungen, aber auch als symptomatisch für sie.
Ebd., S. 86.
Ebd., S. 439.
Craig Nakken, The Addictive Personality. Roots, Rituals and Recovery, Centre City 1988.
Stanton Peele, Love and Addiction, New York 1975.
Vgl. Erving Goffman, Interaktions Rituale, Frankfurt am Main 1991.
Anthony Giddens, Modernity and Self-Identity, a.a.O.
Ebd.
Joy Melville, »Baby blues«, in: New Statesman and Society, 3. Mai 1991, S. 2.
Charlotte Kasl, Women, Sex and Addiction, a.a.O., S. 57.
Ebd., S. 58.
Ebd., S. 279.
Steven Chapple / David Talbot, Burning Desires, a.a.O., Kapitel 1.
Susan Forward, Liebe als Leid. Warum Männer ihre Frauen hassen und Frauen gerade diese Männer lieben, München 1988, S. 86.
Peter Trachtenberg, Der Casanova-Komplex. Vom Zwang lieben zu müssen, München 1988, S. 29.
Ebd., S. 307.
Ebd.
Havelock Ellis, Psychology of Sex, London 1946, S. 189.
Peter Trachtenberg, Der Casanova-Komplex, a.a.O.
Peter Trachtenberg, Der Casanova-Komplex. Vom Zwang lieben zu müssen, a.a.O.
Vgl. z.B. Colette Dowling, Der Cinderella-Komplex, Frankfurt am Main 1981.
Anne Wilson Schaeff, Codependence. Misunderstood-Mistreated, San Francisco 1986, S. 11.
Jody Hayes, Smart Love, London 1990, S. 31.
Charlotte Kasl, Women, Sex and Addiction, London 1990, S. 340.
Shad Helmstetter, Choices, New York 1989, S. 47.
Ebd., S. 97.
Charlotte Kasl, Woman, Sex and Addiction, a.a.O., S. 36.
Jody Hayes, Smart Love, a.a.O., S. 63.
Ebd., S. 73.
C.Edward Crowther, Intimacy. Strategies for Successful Relationsships, New York 1988, S. 156ff.
Jody Hayes, Smart Love, a.a.O., S. 174f.
Janet Finch, Family Obligations and Social Change, Cambridge 1989, S. 194ff.
Ebd., S. 204f.
J.Lewis / B. Meredith, Daughters Who Care, London 1988, S. 54.
Janet Finch, Family Obligations and Social Change, a.a.O., S. 205.
H.Gadlin, »Child Dascipline and the pursuit of the self: an historical interpretation«, in: Advances in Child Development and Behaviour, Vol. 12, 1978.
Ebd., S. 75ff.
Susan Forward, Liebe als Leid. Warum Männer ihre Frauen hassen und Frauen gerade diese Männer lieben, München 1988.
Ebd., S. 193.
Ebd., S. 195.
Ebd., S. 198f.
Ebd., S. 202 (Übersetzung leicht verändert, A.d. Ü.).
Stephen Gullo / Connie Church, Love-Shock. Wie man das Ende einer Liebesbeziehung positiv überwinden kann, Berlin 1991.
Zum klassischen Studium der psychologischen Implikationen der ›Kampfesmüdigkeit‹, vgl. William Sargant, Battler for the Mind, London 1959.
Stephen Gullo / Connie Church, Love-Shock, a.a.O., S. 28.
Susan Forward, Vergiftete Kindheit. Elterliche Macht und ihre Folgen, München 1993.
Ebd., S. 16.
Ebd., S. 109.
David Finkelhor u.a. (Hg.), The Dark Side of Families, Beverley Hills 1983.
Andy Metcalf, Introduction to Andy Metcalf / Martin Humphries (Hg.), The Sexuality of Men, London 1985, S. 1.
Die beste und neueste Diskussion ist dokumentiert in: Teresa Brennan (Hg.), Between Feminism and Psychoanalysis, London 1989.
Anthony Giddens, »Structuralism, post-structuralism and the production of culture«, in: Anthony Giddens / Jonathan Turner, Social Theory Today, Cambridge 1987.
Nancy Chodorow, Das Erbe der Mütter. Psychoanalyse und Soziologie der Mütterlichkeit, Berlin 1985.
Janine Chasseguet-Smirgel, »Freud and female sexuality«, in: International Journal of Psychoanalysis, Nr. 57, 1976.
Jessica Benjamin, Die Fesseln der Liebe, Frankfurt am Main 1991.
Hans Leowald, »Waning of the Oedipus complex«, in: Papers on Psychoanalysis, New Haven 1983.
Heather Formani, Men. The Darker Continent, London 1991, S. 13.
Michael Ross, The Married Homosexual Man, London 1983.
Lesley A. Hall, Hidden Anxieties. Sexuality, 1900–1950, Cambridge 1991.
Ebd., S. 121.
Andy Moye, »Pornography«, in: Andy Metcalf / Martin Humphries (Hg.), The Sexuality of Men, a.a.O.
Ebd., S. 68f.
Andrea Dworkin, Pornographie. Männer beherrschen Frauen, Frankfurt am Main 1990.
Susan Griffin, »Rape, the all-American crime«, in: Ramparts, Nr. 10, 1973; Susan Brownmiller, Against Our Will, London 1977.
Liz Kelly, Surviving Sexual Violence, Cambridge 1988.
Roy Porter, »Does rape have an historical meaning?«, in: Sylvana Tomaselli / Roy Porter (Hg.), Rape, Oxford 1986, S. 235.
Karay Lobel, Naming the Violence, Seattle 1986.
Zitiert in: Lynne Segal, Slow Motion, London 1990, S. 262.
George Stambolian, Male Fantasies / Gay Realities, New York 1984, S. 159f.
Lillian Rubin, Intimate Strangers, New York 1983. Siehe auch: Stuart Miller, Men and Friendship, London 1983.
Sigmund Freud, Zur Einführung des Narzißmus, in: Gesammelte Werke, Imago Publishing Co. 1946, S. 155.
Janine Chasseguet-Smirgel, Psychoanalyse der weiblichen Sexualität, Frankfurt am Main 1991.
Shere Hite, Frauen und Liebe. Der neue Hite-Report, München 1991.
Alle Zitate der vorhergehenden Paragraphen sind entnommen: Shere Hite, Frauen und Liebe, a.a.O., S. 611ff.
Charlotte Wolff, Bisexualität, Frankfurt am Main 1979.
Hite diskutiert in ihrem Buch dieses Phänomen zweimal, ohne offensichtlich die Wiederholung zu bemerken. Die Zahlen, die sie für die Frauen angibt, die mit ihren Ex-Geliebten eng befreundet bleiben, unterscheiden sich jedoch nur unwesentlich.
Shere Hite, Frauen und Liebe, a.a.O.
Sydney Abbott / Barbara Love, Sappho Was a Right-On Woman, New York 1977, S. 74.
Martin Hoffman, The Gay World, New York 1968, S. 49f.
Heather Formani, Men. The Darker Continent, London 1991, S. 23–30.
Shere Hite, Frauen und Liebe, a.a.O., S. 116.
Herb Goldberg, The Hazards of Being Male, New York 1976; Man(n) bleibt Mann, Reinbek 1986; und andere Arbeiten desselben Autors.
Herb Goldberg, The Hazards of Being Male, a.a.O., S. 3.
Herb Goldberg, Man(n) bleibt Mann, a.a.O., S. 164.
Barbara Ehrenreich, The Hearts of Men, London 1983.
Ebd., S. 86.
Ebd., S. 169.
Ebd., S. 182.
Herb Goldberg, Man(n) bleibt Mann, a.a.O., S. 254.
Eine etwas andere Typologie finden wie bei Shere Hite, Frauen und Liebe, a.a.O., S. 521–3.
Edward Carpenter, Selected Writings, Bd. I: Sex, London 1984.
Wilhelm Reich, Rede an den kleinen Mann, Frankfurt am Main 1992.
Ebd., S. 40f., 59.
Ebd., S. 108.
Wilhelm Reich, Charakteranalyse, Frankfurt am Main 1973.
Wilhelm Reich, Die Funktion des Orgasmus. Sexualökonomische Grundprobleme der biologischen Energie, Köln 1969.
Wilhelm Reich, Die sexuelle Revolution, Frankfurt am Main 1966.
Wilhelm Reich, Charakteranalyse, a.a.O., S. 364.
Herbert Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, Frankfurt am Main 1979, S. 25.
Herbert Marcuse, »Zur Kritik des Hedonismus«, in: Kultur und Gesellschaft I, Frankfurt am Main 1965.
Zitiert bei Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, a.a.O., S. 46.
Ebd., S. 47.
Ebd., S. 168.
Ebd., S. 200.
Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, Neuwied und Berlin 1967.
Herbert Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, a.a.O., S. 220.
Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit, Der Wille zum Wissen, Frankfurt am Main 1977, S. 190.
Ebd., S. 166.
Ebd., S. 174.
Ebd., S. 157.
Anthony Giddens, Modernity and Self-Identity, Cambridge 1991, Kapitel 5 und danach.
Vgl. Mitchell Dean, The Constitution of Poverty, London 1991.
Ebd.
Jeffrey Weeks, Sexuality and its Discontents, London 1985, S. 213.
Ebd., S. 219.
Ich folge Helds Gedanken im ersten Teil dieses Kapitels sehr stark, vgl. David Held, Models of Democracy, Cambridge 1986.
Ebd., S. 270.
Ebd., S. 271.
Anthony Giddens, The consequences of Modernity, Cambridge 1990, S. 154–58.
C.Edward Crowther, Intimacy. Strategies for Successful Relationsships, New York 1988, S. 45.
Allison James / Alan Prout, Constructing and Reconstructing Childhood, Basingstoke 1990. Das ›neue Paradigma‹, das James und Prout hier für die Erforschung der Kindheit vorschlagen, entspricht stark den hier entwickelten Vorstellungen.
Barbara De Angelis, Secrets About Men Every Woman Should Know, London 1990, S. 274.
Anthony Giddens, Modernity and Self-Identity, a.a.O., Kapitel 7.
Holly Devor, Gender Bending. Confronting the Limits of Duality, Bloomington 1989, S. 147–149.
Ebd., S. 128.
John Stoltenberg, Refusing to be a Man, London 1990.
Einige Leute haben frühere Entwürfe dieses Buches gelesen und kommentiert. Ich habe versucht, soweit ich es konnte, möglichst viel von ihrer Kritik zu berücksichtigen. Besonders danken möchte ich Grant Barnes, Michèle Barrett, Teresa Brennan, Montserrat Guiberneau, Rebecca Harkin, David Held, Sam Hollick, Graham McCann, Heather Warwick, Jeffrey Weeks und einem anonymen Rezensenten der Stanford University Press. Auch möchte ich Avril Symonds für ihre Arbeit an der Manuskriptvorbereitung danken und Helen Jeffrey für ihre sehr sorgfältige Bearbeitung.
Ich wollte ein Buch schreiben, das möglichst vielen Lesern, die es interessieren könnte, zugänglich sein sollte. So habe ich – wo immer möglich – versucht, einen Fachjargon zu vermeiden, auch an den Stellen, wo ich in Bereiche größerer Komplexität abschweife. Ich habe viele und unterschiedliche Quellen benutzt, aber im Interesse der Lesbarkeit Referenzen und Fußnoten auf ein Minimum begrenzt. Ein Hilfsmittel, das ich vielleicht sogar ein wenig zu ausgiebig benutzt habe, bedarf eines Kommentars: die Selbsthilfeliteratur. Diese hat mir, obwohl von vielen verachtet, Einblicke ermöglicht, die mir ohne sie nie zugänglich geworden wären, und in meiner eigenen Argumentation bleibe ich diesem Genre häufig so nahe wie möglich.
Sexualität: ein Thema, das in der Öffentlichkeit bedeutungslos zu sein scheint – von zwar fesselndem, aber dennoch eindeutig privatem Interesse. Darüber hinaus ein konstanter Faktor, so könnte man annehmen, weil er biologisch verankert und für den Fortbestand der Spezies unverzichtbar ist. Tatsächlich ist Sex heute überall in der öffentlichen Sphäre präsent, und man denkt in seinem Zusammenhang immer noch an revolutionäre Gehalte. In den letzten Jahrzehnten, so wird gesagt, habe eine sexuelle Revolution stattgefunden; revolutionäre Hoffnungen sind schon von vielen Denkern, für die Sexualität eine Sphäre der Freiheit repräsentiert, den Einschränkungen des Alltagslebens entzogen, in die Sexualität projiziert worden.
Wie soll man solche Behauptungen interpretieren? Es war diese Frage, die mich motivierte, dieses Buch zu verfassen. So machte ich mich daran, über Sex zu schreiben. Tatsächlich habe ich dann jedoch gleichermaßen über Liebe und über das Verhältnis der Geschlechter zueinander geschrieben. Untersuchungen über Sex tendieren dazu, geschlechtsspezifisch zu sein. In einigen der wichtigsten Arbeiten über die Sexualität, die von Männern verfaßt worden sind, wird Liebe kein einziges Mal erwähnt; und die Geschlechterfrage erscheint nur am Rande. Heute beanspruchen Frauen zum ersten Mal in der Geschichte Gleichberechtigung mit den Männern. Im folgenden versuche ich nicht zu analysieren, inwieweit in den ökonomischen oder politischen Sphären dennoch Ungleichheiten aufgrund von Geschlechtszugehörigkeit fortbestehen. Statt dessen konzentriere ich mich auf emotionale Ordnungen, in denen Frauen – Frauen in ihren alltäglichen Situationen und Frauen, die sich bewußt als Feministinnen verstehen – den Weg freigemacht haben für Veränderungen von enormer und umfassender Tragweite. Diese Veränderungen erfordern eine Untersuchung jener Möglichkeiten, die in der ›reinen Beziehung‹ liegen, einer sexuell und emotional gleichberechtigten Beziehung, die die alte Machtverteilung zwischen den Geschlechtern grundlegend in Frage stellt.
Das Aufkommen der romantischen Liebe kann als Fallstudie für die Ursprünge der reinen Beziehung herangezogen werden. Ideale der romantischen Liebe haben lange die Sehnsüchte der Frauen, mehr als die der Männer, beeinflußt, obwohl jene natürlich auch nicht ganz unberührt von diesen Idealen gewesen sind. Das Ethos der romantischen Liebe hat auf die Situation der Frauen jedoch einen doppelten Einfluß ausgeübt. Auf der einen Seite hat es dafür gesorgt, daß die Frauen auf ihren Platz verwiesen wurden – nämlich ins Haus. Auf der anderen Seite kann die romantische Liebe dennoch als aktive und radikale Auseinandersetzung mit der »Männlichkeit« der modernen Gesellschaft aufgefaßt werden. Romantische Liebe gibt vor, daß eine dauerhafte emotionale Bindung zur anderen Person hergestellt werden kann auf der Basis der Eigenschaften, die dieser Bindung selbst eigen sind. Die romantische Liebe geht der reinen Beziehung voraus, obwohl beide in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander stehen.
Der Aufstieg dessen, was ich ›modellierbare‹ Sexualität nenne, ist entscheidend für die Emanzipation der reinen Beziehung und für den Anspruch der Frauen auf sexuelle Lust. Modellierbare Sexualität ist dezentrierte Sexualität, von den Zwängen der Reproduktion befreit. Ihre Ursprünge zeichneten sich im späten 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit den Versuchen, die Familiengröße strikt zu beschränken, ab. Durch die Anwendung moderner Verhütungsmittel und neuer Reproduktionstechnologien fand sie später jedoch noch größere Verbreitung. Modellierbare Sexualität kann zu einem Zug der Person gemacht werden und ist dementsprechend Teil des Selbst. Gleichzeitig befreit sie – zumindest im Prinzip – die Sexualität von der Herrschaft des Phallus, von der überschätzten Bedeutung, die der männlichen Sexualität zugeschrieben wird.
Eine Geschichte der Gefühle in der modernen Gesellschaft ist bisher nicht geschrieben worden, sie muß erst noch geschrieben werden. Es wäre eine Geschichte der sexuellen Bestrebungen der Männer, die aus deren öffentlichem Leben verbannt waren. Die sexuelle Kontrolle der Frauen durch die Männer ist weitaus mehr als ein zufälliges Merkmal modernen sozialen Lebens. In dem Augenblick, in dem diese Kontrolle nicht mehr funktioniert, offenbart sich uns der Zwangscharakter der männlichen Sexualität – und überdies bringt der Verlust dieser Kontrolle auch eine ansteigende Welle männlicher Gewalt gegenüber Frauen mit sich. Im Moment tut sich ein emotionaler Abgrund zwischen den Geschlechtern auf, und es gibt keinerlei Gewähr dafür, daß dieser Abgrund überbrückt werden kann.
Trotzdem sind die Möglichkeiten eines radikalen Wandels der Intimität sehr real. Die Behauptung, daß Intimität eine Quelle der Unterdrückung sein kann, ist sicherlich richtig, wenn man sie als Forderung nach andauernder emotionaler Nähe versteht. Wenn man sie allerdings als Möglichkeit einer dauernden Bindung zwischen gleichberechtigten Personen betrachtet, erscheint sie in einem ganz anderen Licht. Intimität impliziert eine durchgreifende Demokratisierung der zwischenmenschlichen Sphäre in einer Weise, die durchaus mit Demokratie in der öffentlichen Sphäre vereinbar ist. Darüber hinaus beinhaltet sie jedoch noch mehr. Der Wandel der Intimität könnte einen subversiven Einfluß auf die Gesamtheit der modernen Institutionen ausüben. Denn eine soziale Welt, in der emotionale Erfüllung an die Stelle der Maximierung ökonomischen Wachstums treten würde, wäre von unserer heutigen sehr verschieden. Die Veränderungen, die heute auf die Sexualität einwirken, sind in der Tat in einem sehr fundamentalen Sinn revolutionär.
In seinem Roman Als sie mich noch nicht kannte stellt Julian Barnes das Schicksal eines gewissen Graham Hendrick dar, eines Historikers, der seine Frau verlassen hat, um eine Beziehung mit einer anderen Frau einzugehen. Am Anfang des Romans ist Graham in den späten Dreißigern, seit 15 Jahren verheiratet und spürt schon in der Mitte seines Lebens, »wie es bergab ging«. Auf einer ansonsten eher trüben Party trifft er Ann, die einmal als Filmschauspielerin gearbeitet hatte und nun Modeeinkäuferin ist. Aus irgendwelchen Gründen rührt beider Begegnung in ihm kaum mehr erwartete Gefühle von Hoffnung und Erregung auf. Er fühlt sich, »als sei eine lang abgerissene Verbindung zu einem zwanzig Jahre zurückliegenden Ich plötzlich wiederhergestellt worden«, und er »traute sich wieder Verrücktheiten und Idealismus zu«.
Nach einer Reihe von heimlichen Treffen, die zu einer ausgewachsenen Affäre führen, verläßt Graham Frau und Kind und fängt an, sich mit Ann einzurichten. Nachdem er geschieden ist, heiraten die beiden. Der Kern des Romans besteht jedoch darin, daß Graham nach und nach Anns Liebhaber entdeckt, mit denen sie zusammen war, bevor Graham in ihr Leben eingetreten ist. Ann verheimlicht wenig, gibt aber nichts freiwillig preis, es sei denn, Graham stellt ganz konkrete Fragen. Für Graham wird es zunehmend zu einer Obsession, die sexuellen Details aus Anns Leben zu enthüllen. Wieder und wieder schaut er sich die Rollen an, die Ann auf der Leinwand gespielt hat, um so einen Blickwechsel oder andere Zeichen zu erhaschen, die als Indiz dafür herangezogen werden können, daß Ann und der jeweilige Mann, mit dem sie gerade auftrat, eine Affäre hatten. Manchmal gibt sie zu, daß es eine sexuelle Beziehung gegeben hat, meistens beharrt sie jedoch darauf, daß nichts vorgefallen ist.
Der letzte Teil der Geschichte ist grausam, ihr Ende unterläuft fast vollständig den Stil des nichtssagenden Humors, in dem nahezu das ganze Buch verfaßt ist. Nach beharrlicher Forschung entdeckt Graham schließlich, daß sein bester Freund Jack – dem er seine Probleme mit Anns Leben, »bevor sie mich traf«, anvertraut hatte – vor mehreren Jahren selber eine sexuelle Beziehung mit Ann gehabt hatte. Graham arrangiert daraufhin ein Treffen mit seinem Freund unter dem Vorwand, das Gespräch mit ihm fortzusetzen. Er nimmt jedoch ein Messer mit, mit einer »15-Zentimeter-Klinge, die von einer Breite von drei Zentimetern in eine nadelscharfe Spitze auslief«. In dem Augenblick, in dem Jack – mit einer gänzlich unwichtigen Sache beschäftigt – Graham den Rücken zukehrt, sticht Graham auf ihn ein. Während Jack sich total verwirrt umdreht, stößt Graham ihm das Messer mehrmals »zwischen Herz und Genitalien«. Nachdem er seinen Finger, in den er sich während des Mordes geschnitten hat, mit einem Pflaster versorgt hat, setzt er sich mit dem Rest des Kaffees, den Jack für ihn gemacht hatte, auf einen Stuhl.
Mittlerweile versetzt Grahams Abwesenheit, die sich über die ganze Nacht hingezogen hat, Ann zunehmend in Beunruhigung. Nach ergebnislosen Telephonanrufen bei der Polizei und in Krankenhäusern, die über seinen Verbleib keine Auskunft geben können, fängt sie schließlich an, Grahams Schreibtisch zu durchwühlen und entdeckt dabei Unterlagen, die Grahams zwanghaftes Durchforsten ihrer Vergangenheit verraten. Außerdem findet sie heraus, daß Graham von ihrer Affäre mit Jack (die einzige sexuelle Begegnung, die sie Graham bewußt verschwiegen hat) weiß. Sie geht in Jacks Wohnung und findet dort Graham und den blutüberströmten Körper von Jack. Obwohl sie nicht versteht warum, läßt sie es zu, daß Graham sie beruhigt und währenddessen ihre Handgelenke mit einem Stück Wäscheleine zusammenbindet. Graham geht davon aus, daß ihm dies genug Zeit verschaffen wird, um sein Vorhaben durchzuführen, bevor Ann zum Telephon stürzen kann, um Hilfe zu holen. »Keine Schlußworte, kein Melodrama.« Graham nimmt das Messer und schneidet sich auf beiden Seiten tief in die Kehle. Aber er hatte nicht mit Ann gerechnet – »er liebte Ann; da bestand nicht der geringste Zweifel«. Laut schreiend stürzt sie sich, mit dem Kopf zuerst, durch ein Fenster. Zu dem Zeitpunkt, als die Polizei ankommt, ist der Sessel unwiderruflich mit Blut durchtränkt, und Graham ist tot. Die letzten Absätze des Romans deuten darauf hin, daß auch Ann sich umgebracht hat – unabsichtlich oder absichtlich, das bleibt offen.
Als sie mich noch nicht kannte ist kein Roman, in dem es primär um Eifersucht geht. Während Ann sich das Material durchliest, das Graham über sie zusammengebracht hatte, erkennt sie, daß Eifersucht nicht das Wort war, »das sie auf ihn anwenden würde«. Das ausschlaggebende war, daß Graham mit »ihrer Vergangenheit nicht klar« kam.[1] Das Ende, das nicht zu dem halbkomischen Ton paßt, der dem Buch sonst eigen ist, ist gewaltsam, wenn auch recht cool. Grahams Gewalt ist ein vergeblicher Versuch, sie in den Griff zu bekommen. Der Autor läßt die Ursachen dieser Gewalt relativ im Dunkeln, was Grahams eigene diesbezügliche Unsicherheit widerspiegelt. Die Geheimnisse, die Graham in Anns sexuellem Leben ausfindig machen will, passen nicht zu seinen Vorstellungen darüber, was eine Frau zu sein hat – Anns Vergangenheit ist nicht mit Grahams Idealen zu vereinbaren. Das Problem ist ein emotionales; und Graham sieht ein, wie absurd es ist, davon auszugehen, daß Ann ihr vorheriges Leben hätte im Wissen darum gestalten können, Graham später zu treffen. Trotzdem kann er ihre sexuelle Unabhängigkeit, auch wenn er zu jenem Zeitpunkt für sie nicht existiert hat, nicht akzeptieren – bis er zu jenem Punkt gelangt, der in die gewaltsame Zerstörung mündet. Es spricht für Graham, daß er versucht, Ann vor der Gewalt, die sie in ihm provoziert hat, zu bewahren; trotzdem wird natürlich auch sie von ihr eingeholt.
Die Ereignisse, die in diesem Roman beschrieben sind, gehören eindeutig in unsere Zeit; ein Jahrhundert früher hätte dieser Roman als Beschreibung des Lebenszusammenhangs ganz gewöhnlicher Menschen nicht verfaßt werden können. Er setzt nämlich eine bestimmte Form sexueller Gleichberechtigung voraus, die erst für unsere Zeit typisch ist, und geht dabei davon aus, daß es heutzutage gewöhnlich ist, daß Frauen vor (und selbst während und nach) einer ›ernsthaften sexuellen Beziehung‹ mehrere Liebhaber gehabt haben. Selbstverständlich hat es immer eine Minderheit von Frauen gegeben, für die sexuelle Abwechslung, und in einem bestimmten Maß auch sexuelle Gleichberechtigung, möglich war. Aber zu fast allen Zeiten wurden Frauen entweder als tugendhafte oder als gefallene Frauen eingestuft; und die ›Gefallenen‹ existierten nur am Rande der respektablen Gesellschaft. ›Tugend‹ ist sehr lange als Weigerung der Frauen verstanden worden, der sexuellen Versuchung zu erliegen – eine Weigerung, die noch gestützt wurde durch verschiedenste institutionelle Schutzvorkehrungen wie etwa dem keuschen ›Umwerben‹, Zwangsehen und so weiter.
Auf der anderen Seite wurde den Männern traditionellerweise immer – und nicht nur von ihnen selbst – sexuelle Abwechslung für ihr körperliches Wohlbefinden zugestanden. Bei Männern war es immer akzeptiert, daß sie vor der Eheschließung mehrere sexuelle Beziehungen gehabt hatten, und die doppelte Moral nach der Heirat war keineswegs ungewöhnlich. So beschreibt Lawrence Stone in seiner Arbeit über die Geschichte der Scheidungen in England, daß noch bis vor kurzem die sexuellen Erfahrungen von Männern und Frauen strikt mit zweierlei Maß gemessen wurden. Der Tatbestand eines einzigen Fehltritts von seiten einer Frau stellte einen unverzeihlichen Bruch mit dem Eigentumsrecht und dem Konzept der Erbfolge dar, und seine Entdeckung zog unweigerlich scharfe Strafmaßnahmen nach sich. Ehebruch von seiten des Ehemannes wurde demgegenüber allgemein als bedauernswerte, aber nachvollziehbare Schwäche gedeutet.[2]
In einer Welt zunehmender sexueller Gleichberechtigung – auch wenn eine solche Gleichberechtigung noch lange nicht vollkommen ist – müssen beide Geschlechter fundamentale Änderungen in ihren Standpunkten und in ihrem Verhalten zueinander hinnehmen. Die geforderte Gleichstellung der Frau ist in dem Roman Als sie mich noch nicht kannte beachtenswert, aber – vielleicht weil er von einem männlichen Autor verfaßt worden ist – weder vollständig dargestellt, noch mit viel Sympathie präsentiert. Grahams erste Frau Barbara wird als schrilles, anspruchsvolles Geschöpf beschrieben, deren Einstellungen Graham schlicht verwirrend findet. Obwohl er für Ann wirkliche Liebe empfindet, geht sein Verständnis ihrer Sichtweisen und Handlungen kaum tiefer. Man könnte sogar sagen, daß er sie, trotz seiner intensiven Nachforschungen in Anns früherem Leben, überhaupt nicht wirklich kennenlernt.
Graham neigt dazu, Barbaras und Anns Verhalten in einem traditionellen Sinn abzulehnen: Frauen sind emotionale, launische Gestalten, deren Gedankengänge keiner Rationalität folgen. Trotzdem hat er mit beiden Mitleid, und während der Geschichte besonders mit Ann. Seine neue Ehefrau ist keine »lockere Frau«, und es gibt auch keinerlei Grund, daß Graham sie so behandeln sollte. Wenn sie nach ihrer Heirat Jack trifft, weist sie konsequent dessen Avancen zurück. Dennoch gelingt es Graham nicht, die Bedrohung aus seinem Kopf zu bannen, die von dem ausgeht, was passiert ist, bevor Ann »unter seine Kontrolle« gekommen ist.
Der Autor vermittelt sehr gut die Vorläufigkeit von Grahams zweiter Ehe, deren Ende nicht absehbar ist und die sich grundlegend von der ersten unterscheidet. Es wird klar, daß Grahams erste Ehe eher ein ›naturgegebenes‹ Phänomen war, konventionell aufgeteilt zwischen der Hausfrau und dem männlichen Broterwerber. Die Ehe mit Barbara war ein Normalzustand, kein sehr bereichernder Teil seines Lebens, wie ein Beruf, den man nicht besonders mag, dem man aber dennoch pflichtbewußt nachgeht. Die Ehe mit Ann ist demgegenüber eine komplexe Abfolge von Interaktionen, die ständig neu verhandelt und ›durchgearbeitet‹ werden.[3] Mit seiner zweiten Ehe hat Graham eine Welt betreten, von der er in seiner Jugend kaum eine Ahnung hatte. Eine Welt, in der Sexualität zur offenen Disposition steht, eine Welt von ›Beziehungen‹, in der ganz neue Begriffe von ›Verpflichtung‹ und ›Intimität‹ auftauchen.
Als sie mich noch nicht kannte ist ein Roman über die männliche Beunruhigung und die männliche Gewalt in einer sozialen Welt, die tiefgreifende Veränderungen durchmacht. Frauen akzeptieren die männliche sexuelle Dominanz nicht länger, aber beiderlei Geschlecht muß mit den Implikationen dieses neuen Phänomens erst umzugehen lernen. Das private Leben ist zu einem offenen Projekt geworden, das neue Anforderungen und Ängste produziert. Unser zwischenmenschliches Dasein ist in einer durchgreifenden Veränderung begriffen und verwickelt uns alle in das, was ich alltägliche soziale Experimente nennen möchte, denen wir uns aufgrund der allgemeinen sozialen Veränderungen nicht entziehen können. Wir sollten diese Veränderungen, die mit Ehe und Familie genausoviel zu tun haben wie mit Sexualität, soziologisch nun etwas anschaulicher beschreiben.
Lillian Rubin hat im Jahre 1989 die sexuellen Schicksale von fast tausend heterosexuellen Personen im Alter zwischen 18 und 48 Jahren in den USA untersucht. Damit brachte sie Klarheit in jene Thesen von den geradezu beunruhigenden Veränderungen in den Beziehungen zwischen Frau und Mann in den letzten Jahrzehnten.[4] Die frühen sexuellen Erfahrungen der über Vierzigjährigen, die befragt worden waren, unterschieden sich drastisch von den sexuellen Erfahrungen, die von den Jüngeren beschrieben wurden. Die Autorin, die zu der Gruppe der Älteren gehört, stellt ihrer Untersuchung ein Vorwort voran, in dem sie ihre früheren sexuellen Erfahrungen selber beschreibt. Als sie während des Zweiten Weltkriegs heiratete, war sie noch Jungfrau und dementsprechend ein Mädchen, das den Konventionen ihrer Zeit entsprach und nie ›alles‹ gewagt hätte. Die klaren Grenzen, in denen sie sexuelle Erfahrungen sammelte, teilte sie mit ihren Freunden. Ihr zukünftiger Ehemann war ein aktiver Verteidiger dieser Codes, denen seiner Meinung nach Folge geleistet werden sollte; seine Einstellung in bezug auf sexuell ›Richtiges und Falsches‹ entsprach ihrer.
Die Jungfräulichkeit der Mädchen vor der Ehe wurde von beiden Geschlechtern hochgeschätzt. Nur wenige Mädchen verrieten, wenn sie einem Freund erlaubt hatten, mit ihnen zu schlafen – und viele hatten diesem Akt nur zugestimmt, nachdem sie sich formal mit dem betreffenden Jungen verlobt hatten. Sexuell aktivere Mädchen wurden von den anderen und selbst von eben den Jungen, die davon ›zu profitieren‹ hofften, in Verruf gebracht. Genauso wie der soziale Ruf der Mädchen davon abhängig war, ob sie sexuellen Annäherungsversuchen widerstehen oder sich ihrer enthalten konnten, so beruhte der Ruf der Jungen auf den sexuellen Eroberungen, die sie vorweisen konnten. Diese Eroberungen gelangen ihnen jedoch nur, wie es einer der Befragten der 45jährigen formulierte, indem man »mit einer von denen ’rummachte, den Flittchen«.
Wenn wir uns die Sexualität der Teenager heutzutage anschauen, dann gilt bis zu einem gewissen Grad sowohl die Unterscheidung in ›gute und schlechte Mädchen‹ als auch der männliche Eroberungs-Ehrenkodex immer noch. Andere Einstellungen, besonders von seiten vieler Mädchen im Teenager-Alter, haben sich jedoch radikal geändert. Mädchen gehen davon aus, daß sie einen Anspruch auf Sexualität haben, inklusive Geschlechtsverkehr, und zwar in dem Alter, das ihnen angemessen erscheint. In Rubins Überblick spricht in der Tat nicht ein einziges Mädchen davon, sich für den Verlobten oder den Ehemann »aufsparen« zu müssen. Indessen bewegen sie sich in einer Sprache der Romantik und Verbindlichkeiten, die sich über den möglicherweise zeitlich begrenzten Charakter dieser frühen sexuellen Beziehungen im klaren ist. So etwa äußerte sich eine 16jährige, als sie nach ihren sexuellen Erfahrungen mit ihrem Freund befragt wurde: »Wir lieben einander, deswegen gibt es keinen Grund, warum wir nicht miteinander schlafen sollten.« Rubin fragte daraufhin, ob sie sich eine langandauernde Beziehung mit ihrem Partner vorstellen könnte. Ihre Antwort war: »Meinen Sie, ob wir heiraten werden? Die Antwort ist nein. Oder ob wir das nächste Jahr noch zusammen sein werden? Das weiß ich nicht; bis dahin ist es noch lange hin. Die meisten Jugendlichen bleiben nicht so lange zusammen. Aber wir werden uns nicht mit anderen treffen, solange wir zusammen sind. Dazu sind wir verpflichtet, oder?«[5]
In früheren Generationen gehörte es dazu, daß die sexuell aktiven Mädchen die Rolle der Unschuldigen übernehmen mußten. Normalerweise hängt beides heute nicht mehr miteinander zusammen: Die Unwissende spielt, wo nötig, die Rolle der Raffinierten. In den von Rubin unternommenen Befragungen haben die Mädchen über Veränderungen im sexuellen Verhalten und in den Einstellungen der Sexualität gegenüber viel offener gesprochen als die Jungen. Rubin interviewte aber auch einige Jungen, die sich über das Verhältnis von Sex und Verpflichtungen im klaren waren und die nichts mit der Gleichstellung von sexuellem Erfolg und männlicher Überlegenheit anfangen konnten. Trotzdem sprachen die meisten mit Bewunderung von Freunden, die viele Beziehungen mit Mädchen hatten, wohingegen sie umgekehrt Mädchen, die sich ähnlich verhielten, verachteten. Einige Mädchen in Rubins Befragung eiferten – sehr offen und recht herausfordernd – traditionellem, männlichem sexuellem Verhalten nach; auf ein solches Verhalten reagieren die Jungen jedoch nicht selten aggressiv. Sie wollen immer noch Unschuld, zumindest ein bißchen. Einige der jungen Frauen, die Rubin interviewt hatte, hielten es dementsprechend auch für nötig, ihren zukünftigen Ehemännern gegenüber die Bandbreite ihrer sexuellen Erfahrungen zu verheimlichen.
Eines der auffallendsten Ergebnisse in Rubins Untersuchung, das von anderen Forschungen – die sich auf alle Altersgruppen erstrecken – bestätigt wird, ist die wesentlich ausgedehnte Vielfalt der sexuellen Erfahrungen, die die meisten Leute entweder selber praktizieren oder die sie anderen zugestehen. So hatten unter den Frauen und Männern über 4024