Armin Öhri
Die letzte Reise der Hindenburg
Kurzroman
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Lektorat: Claudia Senghaas
E-Book: Mirjam Hecht
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Umschlaggestaltung: Simone Hölsch
ISBN 978-3-7349-9213-1
»Ich weiß gewiss: Sobald ich wieder Gelegenheit finden werde zu fliegen, werde ich es mit tausend Freuden tun.«
Hermann Hesse; ›Spazierfahrt in der Luft‹, 1911
Für Adrian
Manchmal wachte er auf. Dann öffnete er mühsam die Augen, ließ seinen Blick über die weiß getünchte Decke schweifen und wartete schicksalsergeben auf den Zeitpunkt, an dem das Morphin in seinem Körper die Wirkung verlor. Die Begriffe Raum und Zeit waren für ihn zu hohlen Worten geworden, zu leeren Hülsen. Weder wusste er die Uhrzeit noch ahnte er mit Gewissheit, was ihm eigentlich widerfahren war.
Die Schmerzmittel, die ihm täglich in Abständen von fünf bis sechs Stunden verabreicht wurden, vernebelten seine Sinne, und so bedachte er die junge Krankenschwester, die ihn sorgfältig wusch, fütterte und pflegte, nur mit einem ausdruckslosen Blick. Bald war es wieder so weit, dass die Schmerzen eintraten. Immer bestimmter spürte er in der Darmgegend die Krämpfe, die unter dem Einfluss des Morphins als Nebenwirkung entstanden. Seine Pupillen verengten sich zu Stecknadelkopfgröße, und obgleich er den Schmerz nicht als quälend empfand, nahm er ihn dennoch deutlich wahr.
Seine Augen suchten ihren Weg von der Decke über die in beigen Tönen gehaltene Wand hin zu der Frau in der weißen Schwesterntracht mit dem aufgenähten Emblem des Krankenhauses. Sie beugte sich über ihn, hielt ihm die Handfläche an die Stirn, um seine Temperatur zu fühlen, und ihr Gesichtsausdruck zeigte Besorgnis. Gütige, herzliche Besorgnis.
Mit kundiger Hand bereitete sie eine Spritze vor, indem sie das richtige Maß an Salicylsäure einfüllte. Dann verabreichte sie dem Patienten das fiebersenkende Mittel sowie eine weitere Dosis Morphin. In aller Ruhe erledigte sie ihre Arbeit, legte sogar neue Kompressen und Wickel zurecht. Die Spritzen verfehlten in der Zwischenzeit nicht ihre Wirkung, und so versank der Patient schon bald wieder in seinen Dämmerzustand. Ab und an öffnete er noch die Augen, blinzelte ein wenig oder murmelte Unverständliches vor sich hin, während Schlaf und Delirium in seinem Körper tobten und sich einen gnadenlosen Kampf lieferten.
Die Schwester schnitt ihm in diesen Minuten das Verbandszeug vom Körper, salbte seine vom Feuer verkohlte Haut, die an manchen Stellen schon eitrig gelb war, und wickelte seine Glieder mit frischen und sauberen Bandagen ein. Als sie ihre Verrichtungen beendet hatte, zog sie die Vorhänge zu und ließ den Mann in seinen Fieberträumen allein zurück.
Gegen Mittag erwachte er erneut – die Gardinen waren noch immer zugezogen. Während er geschlafen hatte, musste ihm die Krankenschwester wiederum die Verbände abgenommen haben, denn auf seiner Haut spürte er ihre sanften Hände, die ihn mit einem nassen Schwamm betupften.
Er hob langsam die Hand und konnte gerade noch auf seinen Mund deuten, bevor ihn die Kraft verließ und er sie senken musste. Die Schwester hatte verstanden. Langsam flößte sie ihm kalten Salbeitee ein. Er hustete, der Speichel rann ihm aus dem Mund, und schließlich ging sein Husten in ein Röcheln über, da ihm das Atmen Mühe bereitete.
»Ich habe nur noch ein so kleines Stückchen Lunge«, gab er mit stockender Stimme von sich. Mit dem Daumen und dem verkohlten Zeigefinger der rechten Hand deutete er einen kleinen, kaum zwei Zentimeter großen Abstand an.
Die Schwester nickte nur zaghaft und tauchte den Schwamm in das kühle Nass des Plastikbeckens, das sie neben das Bettgestell geschoben hatte. Sie wrang den Schwamm langsam aus und ließ eine Spur kleiner Tropfen auf das Gesicht des Patienten perlen.
»Wie geht es Ihnen heute?«, fragte sie mitfühlend.
Sie hatte deutsch zu ihm gesprochen, aber in ihrer Stimme war der amerikanische Akzent kaum zu überhören. Der Mann schaute sie mit seinen kleinen, mittlerweile wachen Augen an. Er atmete leise ein und aus.
»Ich habe Schmerzen«, brach es schließlich aus ihm hervor, und die Krankenschwester meinte verständnisvoll und mit leiser Stimme: »Ich weiß.«
Noch ein weiteres Mal tauchte sie ihren Schwamm in das Wasser, fuhr erneut über die von den Verbrennungen entstellte Haut, deren schwarze Wucherungen aufgegangen waren wie die Blüten einer Rose, und sie vernahm mit einem Lächeln auf den Lippen den Klang des wohltuenden Seufzers, den der Patient von sich gab. Wenige Minuten später versank der Mann wieder in den fiebrigen Schlaf, der ihn sein Befinden für kurze Zeit vergessen ließ.
Der hochgewachsene Herr, der die Szene vom Gang des Krankenhauses aus durch die in die Zimmertür eingelassene Glasscheibe beobachtet hatte, trug einen braunen Filzhut und einen teuren eleganten Mantel, an dessen Aufschlag ein kleines, aber gut sichtbares Parteiabzeichen befestigt war. Das entschlossene Auftreten und die korpulente Statur des Deutschen ließen unweigerlich erahnen, dass er ein Mann von etlichem Einfluss war.
Zögernd wandte er seinen faszinierten Blick von dem Geschehen im Krankenzimmer ab und dem neben ihm stehenden Arzt zu: »Wird es wohl möglich sein, diesen Patienten heute noch zu befragen?«
Der etwas beleibte ältere Mann im weißen Kittel zuckte mit den Schultern, während seine wulstigen Finger durch das langsam lichter werdende Haar fuhren.
»Schwer vorauszusagen«, antwortete er in jenem väterlichen Ton, der manchen erfahrenen Ärzten eigen ist. »Die Medikamente, die wir Herrn Bäumler verabreicht haben, lassen ihn zwar seine starken Schmerzen vergessen, lähmen aber auch sein Denken. Es kann sehr wohl sein, dass er gar unter einem Trauma leidet und sich nicht mehr an den genauen Ablauf der Katastrophe erinnert.«
Der Deutsche machte eine ernste Miene.
»Dr. Scott«, versetzte er plötzlich schroff, »als Mitglied des Untersuchungsausschusses bin ich Generaloberst Göring persönlich unterstellt. Ich möchte daher jeden einzelnen Zeugen des Unglücks eingehend befragen, um somit alle nur erdenklichen Quellen an Information auch wirklich ausgenutzt zu haben, bevor ich unserem Reichsminister der Luftfahrt einen kompletten Untersuchungsbericht vorweisen kann.« Ungeduld trat in die Gesichtszüge des Deutschen, als er zum Schluss noch hinzufügte: »Wie Ihnen sicher schon zu Ohren gekommen ist, werden Gerüchte laut, das Luftschiff sei einem verbrecherischen Anschlag zum Opfer gefallen, der einzig und allein das Ziel hatte, dem Führer sowie der deutschen Nation Schaden zuzufügen. Bekanntermaßen gibt es viele subversive Elemente, die nur allzu gerne bereit sind, Hitler eine politische Schlappe anzuhängen.«
Dr. Scott dachte an die vielen Juden, die von Hitlers rücksichtsloser Politik immer mehr geächtet wurden, und an das nebulöse Gemunkel über neu eingerichtete Arbeitslager in Deutschland.
»Ich werde nachschauen, ob Herr Bäumler schon aussagefähig ist«, meinte er distanziert und ließ den Deutschen stehen. Eine kleine Unterredung mit der anwesenden Krankenschwester, ein lakonischer Blick auf die Krankenakte – und schon kehrte er in den Gang zurück. Sachlich kühl ließ er den Wartenden wissen, man könne mit der Befragung beginnen, sobald der Verletzte aus seinem Schlaf erwacht sei. Mit diesen Worten verabschiedete sich der Arzt.
Ungefähr drei Stunden waren seit dem Gespräch zwischen Hugo Eckener und dem behandelnden Arzt, Dr. William Scott, vergangen, als der Patient seine Lider öffnete und von der Krankenschwester, die neben seinem Bett gewacht hatte, einen Schluck Tee verlangte.
»Na endlich!«, entfuhr es Görings Beauftragten.
Schwungvoll betrat er das Zimmer, und seine imposante Gestalt erfüllte den Raum. Unübersehbar platzierte er sich vor dem Krankenbett. Mit einem lauten, gänzlich unnötigen Räuspern machte er noch zusätzlich auf sich aufmerksam.
»Herr Bäumler!«, sprach ihn der Deutsche ohne Umschweife an. »Mein Name ist Dr. Hugo Eckener. Ich bin hier, um vielleicht mit Ihrer Hilfe aufzuklären, wie es zur Explosion des Luftschiffes LZ 129 kommen konnte.«
Kommentarlos ließ er einige Augenblicke verstreichen und studierte scheinbar abwesend das Rautenmuster des Fußbodens, ehe er fortfuhr. »Ich bin Mitglied einer Kommission, der neben mir noch fünf weitere Herren angehören: Direktor Dürr, die Professoren Bock und Dieckmann, Oberstleutnant Breithaupt sowie Fliegeroberstabsingenieur Hoffmann. Wir alle sind sehr darum bemüht, die Ursachen dieses tragischen Unglücks herauszufinden. In enger Zusammenarbeit mit der amerikanischen Kommission, die vom ›Department of Commerce‹ eingesetzt wurde, arbeiten wir fieberhaft daran, die Gründe aufzuzeigen, die zum traurigen Ende der ersten Nord-Atlantik-Fahrt der Hindenburg in diesem Jahr führen konnten.«
Der dickliche Eckener, seines Zeichens Präsident des deutschen Zeppelin-Konzerns, holte einmal tief Luft und ließ das Gesagte erneut im Raum stehen und auf den Mann vor ihm wirken. »Herr Bäumler, als sich die Hindenburg auf ihre letzte Reise machte, befanden sich insgesamt 97 Personen an Bord, davon 36 Fahrgäste – und Sie waren einer von ihnen …«
Der Patient musterte den Abgesandten der Reichsregierung mit einem eindringlichen Blick. Einzig seine Augen verrieten die qualvolle Erinnerung, welche die Worte dieses ungehobelten und so unmanierlich auftretenden Deutschen in ihm hervorriefen. Eine kalte Stille war eingetreten. Eckener betrachtete mit unverhohlener Faszination die Haut des Mannes, der da ausgestreckt auf dem Bett lag. Schwarze geröstete Flecken gingen in weiße über, an die Farbgebung einer Elster gemahnend; der Kopf war beinahe kahl, die Haut verschrumpelt wie Leder, das an der Sonne gegerbt worden war. Hätte Eckener nicht das Alter dieses Kurt Bäumlers gekannt, so würde er ihn unweigerlich für einen Greis gehalten haben.
»Und Sie wollen jetzt meine Geschichte hören?«, stieß Bäumler endlich leise aus.
Um seine Mundwinkel schien sich ein mokantes Lächeln anzusiedeln, das so gar nicht zu seinen Schmerzen passen wollte. Er begann zu husten.
Dr. Hugo Eckener nickte indessen beipflichtend.
»Ich weiß, wie es um mich steht, Herr Eckener«, sprach Bäumler bedächtig, ohne den geringsten Anflug von Angst oder Unsicherheit. »Meine Haut ist zum größten Teil verbrannt, die Spuren der Flammen haben sich tief in mich eingegraben, in meinen Körper und in meine Seele«, fügte er noch leiser hinzu. »Sie hoffen natürlich inbrünstig darauf, dass ich meinen Lebenswillen noch nicht aufgebe. Wohl auch nur, um wichtige Informationen zu sammeln, die Sie hinterher, in ein paar sachliche Zeilen umgewandelt und auf einige Quartbogen gequetscht, in Ihrem Bericht verwenden können. Für Sie bin ich nur ein Gegenstand – eines der vielen Opfer, dessen Name einmal in der Zeitung steht und dann wieder in Vergessenheit gerät.«
Bäumlers Atem stockte, und er hustete erneut. Eckener schaute nicht einmal beschämt zu Boden, er hielt sogar dem musternden Blick des Patienten stand.
Schließlich meinte er ausweichend: »Ich mache lediglich meine Arbeit, Herr Bäumler!«
Der Patient lächelte müde.
»Die Zeit, die mir verbleibt, ist kurz bemessen.« Er blickte auf seinen geschundenen Körper und unterstrich die Bemerkung unnötigerweise mit einer leichten Handbewegung. »Aber ich will Ihnen meine Geschichte erzählen. Eine Geschichte über das größte und zugleich luxuriöseste Luftschiff der ganzen Welt; eine Geschichte über die Anmaßung des Menschen, mit seinen Maschinen höher hinaus zu wollen als Gott, und wie er daran scheitert; eine Geschichte über Menschen und ihre Ängste, ihre Gefühle, ihre Höhen und Tiefen. Geben Sie gut acht, es ist meine Geschichte …«
Während Dr. Eckener umständlich seinen edlen Ledernotizblock aus der linken Manteltasche hervorkramte und sich mit einem gespitzten Bleistift auf den Erzählfluss des Patienten vorbereitete, sammelte Bäumler seine Gedanken. Er rief sich jedes einzelne Detail in Erinnerung, das ihm von der Reise auf der Hindenburg geblieben war, jedes Bruchstück seiner Sinneseindrücke wurde geordnet, alles, was ihm einfiel, bekam seinen Platz zugewiesen in seiner Geschichte, und so flog er im Geist eine weite Reise; hinaus aus dem zum monotonen Lebensraum degradierten Krankenzimmer und zurück an jenen Ort, an dem alles begann.
Wände und Decke des Zimmers existierten nicht mehr, die Krankenschwester und der korpulente Mann verwischten vor Bäumlers Augen. Sein Antlitz, das eigentlich keines mehr war, bekam seine Konturen zurück. Seine durch das Liegen zurückgebildeten Muskeln bäumten sich wieder auf, die braunen kurz geschnittenen Haare säumten seinen Kopf und ließen aus dem von schweren Verbrennungen gezeichneten und zum gesichtslosen Menschen verkommenen Mann wieder jenen adrett gekleideten Jüngling werden, der noch vor 17 Tagen in Frankfurt an Bord des riesigen Zeppelins gestiegen war. Wie aus dem Nichts tauchten die Erinnerungen in Bäumlers Gedächtnis auf, wo sie umhergeisterten und den letzten Flug der Hindenburg wieder zum Leben erweckten – und mit seiner Schilderung ließ er Hugo Eckener eintauchen in die Hintergründe einer der größten und sinnlosesten Katastrophen, welche die Menschheit bis anhin je erlebt hatte.
Der Himmel hüllte sich in ein tristes Grau, und die dichten Wolken, die über dem engen Frankfurter Häusermeer ihre lautlosen unbeirrten Bahnen zogen, waren die ersten Vorboten eines aufkommenden Sturms. Gleichmäßig und bedächtig fielen die ersten Regentropfen auf die asphaltierte Fahrbahn, die zum weiträumigen Flugfeld der Stadt führte.
Der kleine, jedoch bequem ausgestattete Bus, der die ersten Passagiere an die Abfertigung bringen sollte, fuhr gemächlich über das Areal des Flugplatzes, und das rhythmische Klopfen des Niederschlags auf dem metallenen Dach lieferte jenen Passagieren, die das erste Mal die Reise in einem Zeppelin wagten, eine willkommene Beruhigung.
Eine ältere schmächtige Dame mit einem warmherzigen Lächeln auf den Lippen schnippte fröhlich mit ihren Fingern.
»Ach, ist das schön«, meinte sie aufseufzend, als sie aus dem beschlagenen Fenster blickte. »Bald werden wir in luftigen Höhen schweben und bei Sonnenschein über unzählige Länder hinwegsegeln. Wenn ich nur daran denke, wird mir schon wohl ums Herz.« Fest drückte sie ihre prall gefüllte Handtasche, die aus allen Nähten zu platzen drohte, an die Brust. Der Mann, der neben ihr saß, konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Ihre erste Reise auf einem Luftschiff?«, fragte er die rüstige Dame.
»Aber nicht doch! Wo denken Sie hin?«, antwortete sie mit gespielter Empörung. »Vor drei Jahren reiste ich auf der Graf Zeppelin nach Südamerika. Das war aber mal ein Erlebnis, kann ich Ihnen sagen, Herr …?«
»Bäumler«, stellte er sich vor. »Kurt Bäumler.«
Er trug einen eleganten Anzug, in der Hand hielt er den dazu passenden Hut. Sein dunkelbraunes kurzes Haar war gepflegt, und seine attraktive und einnehmende Gestalt verriet eine gutbürgerliche Herkunft.
»Und wie ist Ihr werter Name, junges Fräulein?«, fragte er spielerisch-galant.
Die alte Frau lächelte geschmeichelt.
»Margaret Mather«, antwortete sie.
Der Fahrer hatte unterdessen immer mehr verlangsamt, bis der Bus vor einem in Grau gehaltenen Gebäude zum Stillstand gekommen war. Ruckartig öffneten sich die Türen, und eine junge, gefällig wirkende Frau in weißer Uniform hieß die Fluggäste willkommen.
»Meine Damen! Meine Herren!«, rief sie aus. »Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten!« Mittlerweile waren die Passagiere ausgestiegen und hatten sich um die freundliche Frau versammelt, und sobald ein wenig Ruhe eingekehrt war, fuhr sie fort: »Ich heiße Emilie Imhoff, und ich werde in den nächsten zweieinhalb Tagen um Ihr aller Wohl besorgt sein. Als Stewardess ist es meine Aufgabe, jeden Ihrer Wünsche zu erfüllen. Falls es also Probleme geben sollte oder Sie ein spezielles Anliegen haben, so wenden Sie sich doch bitte an mich.«
Noch einmal lächelte sie kurz in die Runde und zeigte dann zum Eingang der Abfertigungshalle. »Wenn Sie sich nun bitte alle nacheinander in eine Reihe stellen würden. Vielen Dank.«
Bäumler zog eine Uhr aus seiner Hosentasche und blickte voller Ungeduld auf das Zifferblatt. Dass noch weitere Zeit vergehen sollte, bis er endlich an Bord des Luftschiffs steigen durfte, ließ ihn leicht verdrießlich werden. Gelangweilt musterte er seine Fingernägel, während vor ihm die Schlange in das Gebäude immer kürzer wurde. Schließlich kam auch er an die Reihe, gleich nach der fünfköpfigen Familie Döhner und dem Justizrat Bentheim, einem grauhaarigen Greis, der berlinerisch sprach.
Ein bärtiger Zöllner mit grimmigem Gesicht verlangte, Bäumlers Papiere zu sehen. Er streckte ihm seinen Ausweis hin. Der Mann nahm den Pass entgegen, betrachtete ihn argwöhnisch und gab ihn unter einem unverständlichen Murmeln zurück.
»Tragen Sie vielleicht Streichhölzer mit sich? Oder etwa ein Feuerzeug?«, fragte der Bärtige.
»Ein Feuerzeug«, bestätigte Bäumler.
»Und benutzen Sie eine Fotokamera?«
Kurt Bäumler bejahte erneut.
»Mit Blitzlicht?«
Er nickte. »Ja, weshalb?«
»Es tut mir leid, mein Herr«, meinte der Beamte streng, »aber ich muss sowohl Fotoapparat als auch Feuerzeug beschlagnahmen. Es ist aus Sicherheitsgründen nicht gestattet, Materialien mit an Bord zu nehmen, die entflammbar sind oder elektrostatische Ladungen verursachen könnten.«
Bäumler dachte an die gewaltigen Traggaszellen der Hindenburg, die mit etwas mehr als 200.000 Kubikmeter brennbarem Wasserstoff gefüllt waren, und rückte trotzdem noch etwas widerwillig seine beanstandete Habe heraus.
»Vielen Dank!«, sagte der Zöllner. »Sie werden sie wieder zurückbekommen, sobald wir in Lakehurst gelandet sind.«
»Das hoffe ich«, entgegnete Bäumler schlecht gelaunt, nahm seinen Reisekoffer vom Boden auf und trat zur Seite.
»Der Nächste!«, rief der Beamte aus.
Nach einer halben Stunde hatten die 36 Fahrgäste die Kontrollen hinter sich gebracht, und Emilie Imhoff führte die Gruppe durch einen schmalen Gang nach draußen. Endlich erblickten sie das mächtige Luftschiff! Andächtig reckten die Passagiere die Köpfe empor und betrachteten den Zeppelin, der wie ein silbernes Ungeheuer über ihren Häuptern schwebte, einzig und allein von ein paar unscheinbaren Landetauen und einigen Gewichten gehalten, die man als Ballast an den Rumpf des Schiffes gebunden hatte. Das metallene Gerippe – Aluminiumträger und Dutzende von gespannten Drahtseilen – zeichnete sich durch die Außenhaut des Ungetüms ab, und am Bug des Schiffes hing die Führergondel, in der die Kommandobrücke des Kapitäns untergebracht war. An den übergroßen Heckflossen befanden sich die vier Heckruder, mit denen die Hindenburg gesteuert werden konnte: je zwei Ruder in vertikaler und horizontaler Ausrichtung.
Bäumler und Frau Mather blickten beide auf die riesige Kielflosse, wo eine überdimensionale Hakenkreuzflagge auf der silbernen Haut prangte. Angewidert wandte der Mann sein Gesicht ab; die Frau jedoch starrte wie gebannt auf jenes Symbol einer Gesellschaft, deren Ideologie dafür eintrat, das Völkische zu fördern und alles Fremde zu eliminieren.
Wenige Meter hinter der Kommandobrücke befand sich die Passagiergondel, gefolgt von vier riesigen Dieselmotoren, die paarweise backbord und steuerbord angeordnet waren.