Slavoj Žižek
Absoluter Gegenstoß
Versuch einer Neubegründung des dialektischen Materialismus
Aus dem Englischen von Frank Born
FISCHER E-Books
Slavoj Žižek, geboren 1949, ist Philosoph, Psychoanalytiker und Kulturkritiker. Er lehrt Philosophie an der Universität von Ljubljana in Slowenien und an der European Graduate School in Saas-Fee und ist derzeit International Director am Birkbeck Institute for the Humanities in London. Seine zahlreichen Bücher sind in über 20 Sprachen übersetzt. Im S. Fischer Verlag sind zuletzt erschienen ›Was ist ein Ereignis?‹ (2014) und ›Das Jahr der gefährlichen Träume‹ (2013).
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Dem philosophischen Materialismus in all seinen Formen ist es bislang nicht gelungen, die zentralen theoretischen und politischen Herausforderungen der modernen Welt in sein Gedankengebäude einzupassen. Das will Slavoj Žižek in seinem neuen Buch ändern: In drei Teilen entfaltet er sein Vorhaben, Hegels Begriff des absoluten Gegenstoßes zu einem allgemeinen ontologischen Prinzip zu erheben. Ausgehend von einer kritischen Lektüre Badious und Althussers über eine Auseinandersetzung mit dem Hegel’schen Absoluten skizziert Žižek die Grundzüge einer Ontologie des »den«, des »Weniger-als-nichts«, um eine neue Grundlegung des dialektischen Materialismus zu formulieren. Ein so aufregender wie zentraler Beitrag zur zeitgenössischen Philosophie, mit Witz und Verve vorgetragen.
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Absolute Recoil: Towards a New Foundation of Dialectical Materialism« 2014 im Verlag Verso, London.
© Slavoj Žižek 2014
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2016 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Umschlaggestaltung: hißmann, heilmann, Hamburg
Coverabbildung: Marcin Kalinski/laif
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403413-3
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Beide kursiv gesetzten Ausdrücke im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
»Gelassenheit« hier und im Folgenden im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original kommt das Tautologische deutlicher zum Ausdruck als in der deutschen Synchronisation. Hier heißt der Satz: »You have to do whatever you can’t not do.« Anm. d. Übers.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Beide kursiv gesetzten Begriffe hier und im Folgenden im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Im Original deutsch.
Wladimir Iljitsch Lenin, Werke, Band 14: Materialismus und Empiriokritizismus, Berlin: Dietz 1971, S. 250.
William Shakespeare, Sämtliche Werke in vier Bänden, hg. v. Anselm Schlösser, Band 2, Berlin: Aufbau 1975, S. 100.
Ebd., S. 65f.
William Shakespeare, Sämtliche Werke in vier Bänden, hg. v. Anselm Schlösser, Band 4, Berlin: Aufbau 1975, S. 291.
G.W. F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 6: Wissenschaft der Logik II, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, S. 79f.
Vor etwa einem Jahrzehnt verurteilte die katholische Kirche eine Frau, die mit Anfang sechzig ein Kind bekommen hatte, weil sie auf unnatürliche Weise entbunden habe, und erhob so eine Tatsache unserer biologischen Natur zu einer unverletzlichen Norm.
Jean-Michel Besnier, Demain les posthumains. Le Futur a-t-il encore besoin de nous?, Paris: Fayard 2012.
Dabei lassen wir natürlich außer Acht, dass bei genauerem Hinsehen zwischen dem dialektischen »Setzen der Voraussetzungen« und dem naturwissenschaftlichen Programm der Selbstproduktion eine irreduzible Lücke klafft.
Vgl. Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, 2 Bände, München: Beck 1956.
Vgl. den Beitrag v. Jean-Pierre Dupuy in: Le Debat, 129 (März–April 2004), zit. n. Besnier, Demain les posthumains, S. 195.
Man kann sich Auschwitz als eine solche Assemblage vorstellen – deren Akteure nicht nur die Nazis waren, sondern auch die Juden, das komplexe Schienennetzwerk, die Gaskammern, die Logistik der Ernährung der Gefangenen, die Sortierung und Verteilung der Kleidung, das Ziehen von Goldzähnen, das Einsammeln von Haaren, von Asche und so weiter.
Jane Bennett, Vibrant Matter. A Political Ecology of Things, Durham: Duke University Press 2010, S. 122.
Ebd., S. 117.
Immanuel Kant, Werkausgabe Band X: Kritik der Urteilskraft, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1974, S. 352.
Darwin ist in gewisser Weise genau dieser von Kant beschriebene »Newton der Grashalme«: Seine Evolutionstheorie hat zum Ziel, nichtteleologische Erklärungen für die Phänomene des Lebens zu liefern. Auch wenn die Begriffe, die er verwendet (»Angepasstheit«, »Selektion«, »Kampf ums Überleben«, »Survival of the fittest«), einen eindeutig zweckhaften Charakter haben, bietet die natürliche Auslese ein Design ohne die Notwendigkeit eines intelligenten Designers: Der Evolution wohnt keine Richtung oder Teleologie inne, Teleologie in der Natur ist immer eine Illusion.
Vgl. Alexandre Koyré, Études d’histoire de la pensée scientifique, Paris: Presses universitaires de France 1966, S. 166.
Jela Krečič, Filozofija, fantazma, film, Diss. Ljubljana 2008.
Zitiert nach Antoine de Baecque, Andrei Tarkovski, Paris: Cahiers du Cinema 1989, S. 108.
Für eine genauere Interpretation der Filme Tarkowskis siehe Slavoj Žižek, »The Thing from Inner Space«, in: Renata Salecl (Hg.), Sexuation (Sic 3), Durham: Duke University Press 2000, S. 216–259.
G.W. F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 8: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830. Erster Teil. Die Wissenschaft der Logik. Mit den mündlichen Zusätzen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, S. 91; Hervorhebung im Original.
Ebd., S. 93; Hervorhebungen im Original.
Robert B. Pippin, Hegel’s Practical Philosophy. Rational Agency as Ethical Life, Cambridge: Cambridge University Press 2008, S. 56.
Ebd., S. 46.
Ebd., S. 48.
Ebd., S. 53.
Ebd., S. 51.
Ebd., S. 52.
Man beachte die radikale Implikation von Pippins Position: Das Subjekt ist konstitutiv dezentriert im Lacan’schen Sinne, die Entscheidung über seinen ureigensten Status als frei handelndes Wesen fällt außerhalb von ihm, in der sozialen Anerkennung, und rückwirkend, mit Verspätung, nachträglich beziehungsweise nach der Tat.
Ebd.
Robert B. Pippin, »Back to Hegel?«, in: Mediations. Journal of the Marxist Literary Group 26, 1–2 (2012–2013), S. 7–28, im Internet abrufbar unter www.mediationsjournal.org/articles/back-to-hegel.
Vgl. Thomas De Quincey, Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet, Frankfurt/M.: Insel 1977, S. 87.
Pippin, »Back to Hegel?«, S. 12.
Ebd., S. 14.
Ebd., S. 13.
Ebd., S. 15.
Ebd., S. 16.
Ebd., S. 19.
Ebd.
Ebd., S. 20.
Ebd.
In Bezug auf Schweden in den 1960er Jahren sollte Pippin vielleicht einmal einen Kriminalroman von Mankell oder Larsson lesen, um sich ein Bild davon zu machen, wie es im heutigen Schweden aussieht und in welchem Maße das Land seit den mythischen sechziger Jahren gegenreformiert wurde.
G.W. F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 7: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Mit Hegels eigenhändigen Notizen und den mündlichen Zusätzen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, S. 506.
In dieser Weise sollten wir Hegels letzten veröffentlichten Text (»Über die englische Reformbill«) interpretieren, eine scharfe Polemik gegen die britische Wahlrechtsreform, die unter Umgehung der Vermittlerrolle korporativer Strukturen auf ein allgemeines Wahlrecht zusteuerte. Hegel reagierte deshalb so panisch, weil der Gesetzentwurf die Antiquiertheit seiner Idee des Staates deutlich machte.
Ebd., S. 491.
Ebd.
Pippin, »Back to Hegel?«, S. 21.
Hegel, Werke, Band 7, S. 445.
Ebd., S. 449. Für eine ausführliche Interpretation von Hegels Konzept des Monarchen vgl. das Kapitel »Zwischenspiel 3« in Slavoj Žižek, Weniger als nichts. Hegel und der Schatten des dialektischen Materialismus, Berlin: Suhrkamp 2014.
Hegel, Werke, Band 7, S. 446.
Ebd., S. 450.
Ray Brassier, Nihil Unbound. Enlightenment and Extinction, London: Palgrave Macmillan 2007, S. 138.
G.W. F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 3: Phänomenologie des Geistes, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, S. 39.
Trifft dies nicht sogar auf die kognitivistische Sicht der Subjektivität zu? Die subjektive Selbstbewusstheit entsteht spät, als ein Medium, das registriert, was im Organismus und dessen Umgebung vor sich geht. Sobald sie jedoch einmal da ist, neigt sie dazu, sich als die wirkende Kraft zu behaupten, die das gesamte Handeln und sämtliche Interaktionen des Subjekts mit anderen steuert und koordiniert.
Fredric Jameson, The Hegel Variations. On the Phenomenology of Spirit, London: Verso 2010, S. 68.
Ebd.
Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band: Der Produktionsprozeß des Kapitals (= Karl Marx und Friedrich Engels, Werke. Band 23, Berlin: Dietz 1962), S. 169.
Ebd.
Jacques Lacan, Das Seminar Buch X: Die Angst. 1962–1963, Wien: Turia + Kant 2010, S. 35.
Vgl. beispielsweise Jacques Lacan, »Intervention sur le transfert«, in: Ders., Écrits, Paris: Seuil 1966, S. 215–226, hier S. 219.
Jacques Lacan, »Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freudschen Unbewußten«, in: Ders., Schriften II, Olten: Walter 1975, S. 165–204, hier S. 197.
Hegel, Werke, Band 3, S. 260.
Peter Osborne, »More Than Everything. Žižek’s Badiouian Hegel«, in: Radical Philosophy 177 (2013), S. 19–25, hier S. 22f.
Karl Marx, »Zur Kritik der politischen Ökonomie«, in: Karl Marx und Friedrich Engels, Werke. Band 13: Januar 1859–Februar 1860, Berlin: Dietz 1961, S. 3–160, hier S. 8.
Ebd.
Mladen Dolar hat diesbezüglich (in einem privaten Gespräch) eine schlichte Frage gestellt: Haben die Philosophen vor Marx die Welt wirklich nur interpretiert, statt sie zu verändern? Hat nicht vielmehr jeder von ihnen, angefangen mit Platon, einen Entwurf unterbreitet, der die Welt grundlegend verändern sollte? Denken wir an Platons Reise nach Syrakus, wo er den dort herrschenden Tyrannen Dionysios zu überzeugen versuchte, seine Reformen umzusetzen. Hegel war vielleicht der einzige wahrhaft kontemplative Philosoph, der alle Zukunftsprojekte ablehnte und sein Denken auf die »Grau in Grau« gemalte Gegenwart beschränkte – und die Paradoxie ist, dass ausgerechnet Hegels Denken genau aus diesem Grund zu den radikalsten Weltveränderungsversuchen geführt hat.
Karl Marx, »Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahr 1844«, in: Karl Marx und Friedrich Engels, Werke. Band 40: Ergänzungsband. Schriften bis 1844. Erster Teil, Berlin: Dietz 1968, S. 465–588, hier S. 512–515.
Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals, Hamburg: Meissner 1876, S. 771.
Eine Form, die diese katastrophale Umkehrung annehmen kann, ist die unerwartete praktische Auslegung des kommunistischen Ideals, die dessen Verwirklichung in einen Albtraum verwandelt. So beschlossen die chinesischen Kommunisten Ende der 1950er Jahre, während des »Großen Sprungs nach vorn«, dass China den Sozialismus überspringen und direkt zum Kommunismus übergehen sollte. Sie beriefen sich auf Marx’ berühmte kommunistische Formel »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!«. Der Haken dabei war, wie dieser Slogan gedeutet wurde, um die totale Militarisierung des Lebens in den landwirtschaftlichen Kommunen zu rechtfertigen: Der für die Kommune zuständige Parteikader weiß genau, wozu jeder Bauer fähig ist, also stellt er den Plan auf und legt die Verpflichtungen des Einzelnen gemäß seinen Fähigkeiten fest; er weiß auch, was jeder Bauer wirklich zum Überleben braucht, und organisiert entsprechend die Verteilung der Nahrungsmittel und anderer Güter. So wird aus dem Zustand militarisierter extremer Armut die Verwirklichung des Kommunismus. Es genügt nicht zu sagen, dass eine solche Deutung die edle Idee verfälscht – wir sollten vielmehr darauf hinweisen, dass sie schon als Möglichkeit in ihr schlummert.
Hegel, Werke, Band 7, S. 27f.
Vgl. Jean-Claude Milner, Le sage trompeur. Libres raisonnements sur Spinoza et les Juifs, Lagrasse: Verdier 2013, S. 14.
Ebd., S. 9.
Den Hinweis auf Hegels Begriff des Notrechts verdanke ich Costas Douzinas, der ihn in seinem Beitrag »The Right to Revolution?« auf dem Hegel-Kolloquium »The Actuality of the Absolute« entwickelte, das vom 10. bis 12. Mai 2013 an der Birkbeck School of Law in London stattfand.
Hegel, Werke, Band 7, S. 239–241.
Karl Marx, »Marx an Joseph Weydemeyer in New York, 5. März 1852«, in: Karl Marx und Friedrich Engels, Werke. Band 28: Briefe Januar 1952–Dezember 1855, Berlin: Dietz 1963, S. 503–509, hier S. 508.
Hegel, Werke, Band 7, S. 390.
In Indien sind Tausende von verarmten Geistesarbeitern in Betrieben beschäftigt, die ironisch als »Like-Farms« bezeichnet werden. Sie werden (schlecht) dafür bezahlt, dass sie den ganzen Tag vor dem Computer sitzen und auf Internetseiten, die ihre Besucher zu einer Stellungnahme über ein bestimmtes Produkt auffordern, unaufhörlich auf »Gefällt mir« klicken. Auf diese Weise lässt sich der Anschein großer Popularität erwecken, der dann unwissende potentielle Kunden dazu verlockt, das Produkt zu kaufen (oder zumindest auszuprobieren); dahinter steckt die Logik: »Es muss irgendetwas daran sein, wenn so viele Kunden derart zufrieden sind!« So viel zur Verlässlichkeit von Kundenreaktionen … (Ich verdanke diese Information Saroj Giri, New Delhi).
Ayn Rand, Der Ursprung, Hamburg: GEWIS 2000, S. 749.
Ich stütze mich hier auf Mladen Dolar, »Mimezis in komedija«, in: Problemi 5–6 (2012), S. 93–118.
Man könnte sogar die These vertreten, dass der Duschmord als Reaktion auf die (drohende) Langeweile aus dem Nichts hereinbricht: Als Marion duschen geht, hätte der Film auch zu Ende sein können, wenn sie der Versuchung widerstanden und beschlossen hätte, nach Phoenix zurückzukehren und das gestohlene Geld zurückzugeben.
Vgl. Simon Hajdini, Na kratko o dolgčasu, lenobi in počitku, Ljubljana: Analecta 2012, S. 196–199.
Louis Althusser, Philosophy of the Encounter. Later Writings, 1978–1987, London: Verso 2006, S. 103f.
Das Ganze ließe sich auch als Unterscheidung zwischen zwei Ebenen des Bluffens darstellen: 1) Auf der imaginären Ebene blufft man mit der spektakulären Gegenwart, die öffentliche Demonstration der Stärke verdeckt die Tatsache, dass dahinter gar keine substantielle Kraft steckt, die zuschlagen könnte; 2) auf der symbolischen Ebene blufft man mit der Abwesenheit selbst, indem man den Eindruck erzeugt, dass es hinter den Kulissen militärische Kräfte gibt, die jederzeit eingreifen könnten – man verbirgt die Tatsache, dass es nichts zu verbergen gibt, keine versteckte Macht, die zum Angriff bereit ist. Die gleiche Unterscheidung könnte man auch auf die digitale Kontrolle durch staatliche Behörden wie die NSA anwenden. Auf der ersten Ebene tun sie so, als besäßen sie eine Unmenge von Daten über uns, und enthüllen einige von ihnen, um ihrem Bluff Wirkung zu verleihen; auf der zweiten Ebene bluffen sie dann dadurch, dass sie die Gefahr der totalen Kontrolle heraufbeschwören, ohne irgendwelche konkreten Enthüllungen vorzunehmen – ihr Wissen bleibt unsichtbar und erscheint dadurch nur umso bedrohlicher.
Ebd., S. 104 (Fußnote).
Ein weiteres Beispiel: Wenn man einen Fehler gemacht hat und damit rechnet, dass eine Autoritätsperson daraufhin vor Wut platzen und einen anschreien wird, diese aber vollkommen ruhig und kühl bleibt, so kann dieses Verhalten sogar noch bedrohlicher wirken, weil ein Wutausbruch immer auch eine gewisse Spannungsentladung bedeutet – okay, das war’s, jetzt hab ich’s hinter mir und kann wieder atmen …
Ebd.
Vgl. Lacan, »Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens«, S. 182f.
Und dasselbe gilt auch für die Goldreserven: Man stelle sich vor, diese wären radioaktiv verseucht und damit praktisch unbrauchbar – wenn die Menschen sie weiterhin als Referenzpunkt akzeptieren würden, würde sich im Grunde nichts ändern.
Jacques Lacan, »Das Seminar über E.A. Poes ›Der entwendete Brief‹«, in: Ders., Schriften I, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1975, S. 7–60, hier S. 22f.
Michel Foucault, Einführung in Kants Anthropologie, Berlin: Suhrkamp 2010.
Vgl. ebd.; in Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1983, arbeitet Foucault das Thema der »transzendental-empirischen Dublette« weiter aus.
Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Band 7, Berlin: Reimer 1907, S. 117–333, hier S. 151–153.
Immanuel Kant, »Moralphilosophie Collins«, in: Ders., Gesammelte Schriften, hg. von der Akademie der Wissenschaften der DDR, Band 27, Abt. 4: Vorlesungen, hg. v. der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Band 4: Vorlesungen über Moralphilosophie, Berlin, Leipzig: de Gruyter 1978, S. 237–473, hier S. 456.
Louis Althusser, »Ideologie und ideologische Staatsapparate«, in: Ders., Ideologie und ideologische Staatsapparate, 1. Halbband, Hamburg: VSA 2010, S. 37–102, hier S. 88f.
Ich fasse hier eine ausführlichere kritische Auseinandersetzung mit Althussers Ideologiebegriff im dritten Kapitel von Slavoj Žižek, The Metastases of Enjoyment. Six Essays on Woman and Causality, London: Verso 2006, zusammen.
Ich schließe mich hier den scharfsichtigen Beobachtungen an, die Henry Krips in seinem ausgezeichneten Manuskript »The Subject of Althusser and Lacan« (unveröffentlicht) angestellt hat.
Immanuel Kant, »Über Pädagogik«, in: Ders., Gesammelte Schriften, hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Band 9, Berlin, Leipzig: de Gruyter 1923, S. 437–499, hier S. 441.
Ebd., S. 442.
Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 265.
Ebd., S. 266.
Ebd., S. 268.
Bevor wir die Prädestination als einen Versuch abtun, den Menschen auf eine Marionette zu reduzieren, die den unergründlichen und willkürlichen Entscheidungen Gottes machtlos ausgeliefert ist, sollten wir uns genauer anschauen, was mit diesem Begriff eigentlich gemeint ist: Es gibt keinen Handel, kein Quidproquo, keinen Austausch zwischen Mensch und Gott. Sobald wir glauben, dass unser Seelenheil von unseren guten Taten abhängt, verlieren diese ihren ethischen Charakter und werden zu einer rein geschäftsmäßigen Angelegenheit (»Wenn ich Gutes tue, werde ich dafür nach meinem Tod gebührend belohnt werden«).
Frank Ruda, »How to Act as if One Were Not Free. A Contemporary Defense of Fatalism«, in: Crisis & Critique 3 (2014), S. 175–199, hier S. 196f.
Seit Nietzsche haben postmoderne Philosophen ihre Vorliebe für den Katholizismus gegenüber dem Protestantismus bekundet: Der Katholizismus sei eine Kultur äußerlicher, spielerischer Rituale, wohingegen der Protestantismus von inneren Schuldgefühlen und dem Druck der Authentizität geprägt sei; im ersten Fall könnten wir einfach das Ritual befolgen und die Echtheit unseres inneren Glaubens ignorieren … Wir sollten uns von dieser Verspieltheit jedoch nicht täuschen lassen: Der Katholizismus wendet diese List an, um den göttlichen großen Anderen in seiner Güte zu bewahren, während die launenhaft »irrationale« Prädestination des Protestantismus uns mit einem Gott konfrontiert, der im Grunde nicht gut und allmächtig ist, sondern dem der unauslöschliche Verdacht anhaftet, dumm, launisch, ja sogar ausgemacht böse zu sein. Die implizite finstere Lektion des Protestantismus lautet: Wenn du Gott willst, musst du auf (einen Teil der göttlichen) Güte verzichten.
»Soave sia il vento, / Tranquilla sia l’onda / Ed ogni elemento / Benigno responda / Ai nostri desir.«
Jean-Claude Milner, Pour une politique des êtres parlants, Lagrasse: Verdier 2011, S. 21.
Frank Ruda, For Badiou. Idealism without Idealism, Northwestern University Press 2015. Auch die folgenden Zitate stammen aus diesem Buch.
Alain Badiou, Das Sein und das Ereignis, Zürich, Berlin: diaphanes 2005.
Alain Badiou, Logiken der Welten. Das Sein und das Ereignis 2, Zürich, Berlin: diaphanes 2010.
Alain Badiou, Bedingungen, Zürich, Berlin: diaphanes 2011, S. 232. Badiou benutzt im französischen Original den Begriff »frayage«, der im Deutschen korrekt mit »Bahnung« wiedergegeben wird. In der englischen Übersetzung ist dagegen fälschlicherweise von »working through« (»Durcharbeiten«) die Rede; ich glaube jedoch, dass diese Fehlübersetzung in die richtige Richtung weist.
Sigmund Freud, »Die endliche und die unendliche Analyse (1937)«, in: Ders., Studienausgabe, Ergänzungsband: Schriften zur Behandlungstechnik, Frankfurt/M.: S. Fischer, S. 351–392, hier S. 388.
Jacques Lacan, Das Freud’sche Ding oder der Sinn einer Rückkehr zu Freud in der Psychoanalyse, Wien: Turia + Kant 2005, S. 23.
Ebd., S. 24.
Ebd., S. 25.
Ruda, For Badiou. Idealism without Idealism.
Ebd.
Vgl. Giorgio Agamben, Stanzen. Das Wort und das Phantasma in der abendländischen Kultur, Zürich, Berlin: diaphanes 2005, S. 44f.
Rowan Williams, Dostoevsky. Language, Faith, and Fiction, London: Continuum 2008, S. 8.
Einer solchen passiven Acedia ist die aktive Version gegenüberzustellen, wie sie sich bei de Sade findet. In seinen tiefsten Momenten ist der Sade’sche Held nicht einfach ein Atheist – er weiß, dass Gott existiert, aber er wagt es, ihn herauszufordern und nicht an ihn zu glauben. Aufmerksame Leser de Sades (wie Pierre Klossowski) vermuteten schon vor langer Zeit, dass hinter dem Zwang zu genießen, der den Sade’schen Libertin antreibt, ein unterschwelliger Bezug auf eine verborgene Gottheit steckt, auf das, was Lacan »das höchste Wesen des Bösen« genannt hat, einen obskuren Gott, der mit dem Leid Unschuldiger gefüttert zu werden verlangt.
Die Prosaübersetzung stammt von mir, SZ.
Franco Bifo Berardi, After the Future, Oakland: AK Press 2011, S. 177.
Ebd., S. 176.
Ebd., S. 177f.
Søren Kierkegaard, Entweder–Oder. Ein Lebensfragment, Leipzig: Richter 1885, S. 225f.
Gilbert Keith Chesterton, »Verteidigung von Kriminalromanen«, in: Ders., Verteidigung des Unsinns, der Demut, des Schundromans und anderer mißachteter Dinge, Frankfurt/M.: S. Fischer 1986, S. 139–145, hier S. 145.
Ruda, For Badiou. Idealism without Idealism.
Für eine ausführlichere Darstellung des nichtdialektischen Kerns der Negativität vgl. das siebte Kapitel von Žižek, Weniger als nichts.
Zitiert nach www.friesian.com/hist-2.htm.
Christian E. Elger u.a., »Das Manifest. Elf führende Neurowissenschaftler über Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung«, in: Gehirn und Geist 6 (2004), S. 30–37, hier S. 37.
Jürgen Habermas, »Das Sprachspiel verantwortlicher Urheberschaft und das Problem der Willensfreiheit: Wie lässt sich der epistemische Dualismus mit einem ontologischen Monismus versöhnen?«, in: Hans-Peter Krüger (Hg.), Hirn als Subjekt? Philosophische Grenzfragen der Neurobiologie, Berlin: Akademie 2007, S. 263–304, hier S. 292.
Kann man sich »Heidegger in der Mojave-Wüste« vorstellen, wie er der trägen Maschinerie jener gigantischen Ruhestätte für alte Flugzeuge gegenübersteht, dem erschütternden Bild des dysfunktionalen Gestells? Welchen Status hat diese materielle Trägheit?
Martin Heidegger, »Die Frage nach der Technik«, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 7: Vorträge und Aufsätze, Frankfurt/M.: Klostermann 2000, S. 5–36, hier S. 21.
Brief von Heidegger an Elisabeth Blochmann vom 11. Oktober 1931, in: Martin Heidegger, Elisabeth Blochmann, Briefwechsel 1918–1969, hg. v. W. Storck, Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 1989, S. 44.
Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Band I: Abhandlungen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, S. 1238; der »neuere Autor«, den Benjamin zitiert, ist André Monglond, und das Originalzitat findet sich in Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Band V: Das Passagen-Werk, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, S. 603: »Le passé a laissé de lui-même dans les textes littéraires des images comparables à celles que la lumière imprime sur une plaque sensible. Seul l’avenir possède des révélateurs assez actifs pour fouiller parfaitement de tels clichés.«
Walter Benjamin, »Über den Begriff der Geschichte«, in: Ders., Gesammelte Schriften, Band I, S. 691–704, hier S. 693f.
Martin Heidegger, Gesamtausgabe, Band 29/30: Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, Frankfurt/M.: Klostermann 1983, S. 393.
Jacques Derrida, Das Tier, das ich also bin, Wien: Passagen 2010, S. 41.
Als kleine Kuriosität können wir hier anmerken, dass die Société de Linguistique de Paris im Jahr 1866 ihren Mitgliedern offiziell jede Art von Forschung über den Ursprung der Sprache untersagte, weil dies die kognitiven Fähigkeiten des Menschen übersteige: »Die Gesellschaft wird keine Kommunikation zulassen, die die Ursprünge der Sprache betrifft.« Zitiert nach Étienne Klein, Discours sur l’origine de l’univers, Paris: Flammarion 2011, S. 157.
Alexei Yurchak, Everything Was Forever, Until It Was No More. The Last Soviet Generation, Princeton: Princeton University Press 2005.
Claude Lévi-Strauss, Mythologica II: Vom Honig zur Asche, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1972, S. 524.
Claude Lévi-Strauss, »Einleitung in das Werk von Marcel Mauss«, in: Marcel Mauss, Soziologie und Anthropologie, Band 1: Theorie der Magie. Soziale Morphologie, München: Hanser 1974, S. 7–41, hier S. 38.
Ebd., S. 39.
Ebd., S. 40.
Ebd.
Ebd., S. 39. Für eine detailliertere Darstellung dieser Reflexivität vgl. auch das neunte Kapitel von Žižek, Weniger als nichts.
Christopher Johnson, »All Played Out? Lévi-Strauss’s Philosophy of History«, in: New Left Review 79 (2013), S. 55–69, hier S. 65.
Der Theologe John Milbank hat in diesem Zusammenhang eine alternative Moderne vorgeschlagen: Wenn sich, anstelle des Protestantismus, eine katholische Erneuerung durchgesetzt hätte, wie sie von Meister Eckhart und Nikolaus von Kues entworfen wurde, dann hätten wir einen viel »weicheren« Kapitalismus erlebt, in dem es weniger individualistischen Konkurrenzkampf und mehr gesellschaftliche Solidarität gäbe.
Hayden White, Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa, Frankfurt/M.: S. Fischer 2008, S. 16.
Ebd., S. 22.
Ebd., S. 29.
Ebd., S. 50f.
Vgl. Claude Lévi-Strauss, »Gibt es dualistische Organisationen?«, in: Ders., Strukturale Anthropologie, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1972, S. 148–180; die Grundrissskizzen finden sich auf S. 150 und S. 152.
Für eine genauere Analyse dieses Beispiels vgl. Kapitel 3 in Slavoj Žižek, Die Puppe und der Zwerg. Das Christentum zwischen Perversion und Subversion, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2003.
Sigmund Freud, Studienausgabe, Band II: Die Traumdeutung, Frankfurt/M.: S. Fischer 2000, S. 328f.
Die traditionelle Verteidigung Kants gegen Hegels Kritik läuft darauf hinaus, dass Hegel Kants Denken grob vereinfacht und dadurch dessen wahren Kern verfehlt habe. Dieser »wahre Kant«, dem Hegel nicht gerecht geworden sein soll, ist allerdings interessanterweise meist sehr hegelianisch. In einer wahrhaft hegelianischen Umkehrung liegt »Hegel« (die Hegel’sche Einsicht) genau in dem, was wir als den Punkt konstruieren, der Hegel entgeht. Verteidiger Kants erklären zum Beispiel, eine sorgfältige Lektüre seiner Texte mache deutlich, dass das Ding an sich nicht einfach eine positive transzendente Entität sei, sondern eine negative Kategorie, die eine Grenze unseres Denkens bezeichne – genau dies bringt Hegel in seiner Kant-Kritik vor. Man räumt gewöhnlich ein, dass Kant oft mehrdeutig gewesen sei und nicht vollständig gewusst habe, was er eigentlich tat – was Hegel in seiner Kritik macht, ist jedoch nichts anderes, als Kant mit dem ganzen Ausmaß seines Tuns zu konfrontieren.
François Balmès, Structure, logique, aliénation. Recherches en psychanalyse, Toulouse: érès 2011, S. 15. Das Zitat im Zitat stammt aus Jacques Lacan, »L’étourdit«, in: Ders., Autres écrits, Paris: Seuil 2001, S. 449–495, hier S. 455 [Lacans Ausdruck inter-dit ist eine schwer zu übersetzende Abwandlung von interdit (untersagt, verboten, Verbot), bei der das inter (zwischen) hervorgehoben und so auf einen »Zwischenbereich« der Sprache verwiesen wird; Anm. d. Übers.].
Aaron Schuster, The Third Kind of Complaint (unveröffentlichtes Manuskript).
G.W. F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 9: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830. Zweiter Teil. Die Naturphilosophie. Mit den mündlichen Zusätzen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, S. 35f.
Vgl. Maxwell Geismar, Henry James and His Cult, London: Chatto & Windus 1964.
Karl Marx, »Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848–1850«, in: Karl Marx und Friedrich Engels, Werke. Band 7: August 1849–Juni 1851, Berlin: Dietz 1960, S. 9–107, hier S. 79.
Saki (H. H. Munro), »Die offene Tür«, http://www.the-short-story.com/deutsche-stories/klassik/die-offene-tur/.
Ebd.
Lässt sich nicht sogar Platons Höhle auf diese Weise interpretieren? Ich erinnere mich an einen Cartoon in einer Zeitung vor einigen Jahren, in dem eine prähistorische Familie in einer Höhle gezeigt wurde, die abends zusammensaß und durch die Höhlenöffnung die Ereignisse betrachtete, die sich draußen abspielten – kämpfende Bären und andere Tiere. Das erste Beispiel für einen unterhaltsamen Kinoabend?
Pauline Kael, »Raising Kane«, in: The New Yorker, 21. und 27. Februar 1971, im Internet einsehbar unter http://www.paulrossen.com/paulinekael/raisingkane.html.
Ein Detail der berühmten Chéreau-Inszenierung von Wagners Ring in Bayreuth ließ mich auf seltsame Weise an diese Logik denken. Ganz am Ende des ersten Aufzugs der Walküre sahen wir Siegmund und Sieglinde eng umschlungen, er lag auf ihr, bereit zum Liebesakt (und zur Zeugung Siegfrieds). Just in diesem Moment fiel der Vorhang, doch ein Windstoß öffnete für einen kurzen Moment einen Spalt in der Mitte. Ich erinnere mich, wie ich angestrengt hindurchzuschauen versuchte, um zu erkennen, ob die beiden Sänger schon dabei waren aufzustehen, ihre Kleider glattzustreichen und so weiter, oder ob sie sich immer noch in den Armen lagen, wie auf frischer Tat ertappt und bereit weiterzumachen (was tatsächlich der Fall war!).
Die Figur des Luc Jardie basiert auf dem legendären Philosophen und Mathematiker Jean Cavaillès, der sich auf Wissenschaftstheorie spezialisierte, Mitglied der Résistance war und von der Gestapo gefoltert und am 17. Februar 1944 erschossen wurde. Sein Hauptwerk, Transfini et continu, das er 1942 im Gefängnis von Montpellier schrieb, wurde erst 1947, drei Jahre nach seinem Tod, veröffentlicht.
Dementsprechend sollte man sich auch stets vor Augen halten, dass die »Kastration« für die Psychoanalyse keine Tatsache, sondern eine Fabel, eine Phantasie, ein kulturelles Szenario ist, um dem Rätsel der Sackgasse der jouissance zu begegnen. (Daher ist der weibliche »Penisneid« auch ein Versuch, den Exzess der Sexualität zu renormalisieren.)
Aus diesem Grund ist in Heideggers Denken auch kein Platz für das lacanianische Reale. Die kürzeste Definition des Realen ist, dass es ein Gegebenes ohne Gegebenheit ist: Es ist einfach gegeben, ohne dass sein Gegebensein durch eine Instanz des Gebens erklärt werden könnte, und sei es das unpersönliche »es gibt/il y a«, und ohne dass ein phänomenologischer Horizont den Raum für sein Erscheinen erschließt. Es ist der unmögliche Punkt des Ontischen ohne das Ontologische.
Martin Heidegger, »Der Spruch des Anaximander«, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 5: Holzwege, Frankfurt/M.: Klostermann 1977, S. 321–373, hier S. 355.
Sören Kierkegaard, Der Begriff Angst, Hamburg: Meiner 1984, S. 41–45.
Ähnlich, aber nicht genauso ist es beim hermeneutischen Zirkel des Verstehens: Wir können nicht aus unserem Verstehenshorizont heraustreten, jedes Außen wird immer schon von innen interpretiert; der Zirkel ist zwar endlich, aber er bildet eine Schleife, so dass wir nie an seine Grenze gelangen und einen Blick auf seine Außenseite werfen können. Genau diese Abwesenheit einer sichtbaren Grenze macht unsere Erfahrung jedoch klaustrophobisch, denn wir wissen natürlich ganz genau, dass unser Horizont nicht der einzige ist, sondern es noch andere Horizonte gibt.
Kierkegaard, Entweder–Oder, S. 126–128.
Jonathan Lear, »Give Dora a Break! A Tale of Eros and Emotional Disruption«, in: Shadi Bartsch und Thomas Bartscherer (Hg.), Erotikon. Essays on Eros, Ancient and Modern, Chicago: Chicago University Press 2005, S. 196–212, hier S. 198.
Ebd., S. 199.
Ebd.
Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung, München: Fink 1992, S. 33–36.
Aurelius Augustinus, Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus ausgewählte Schriften, Band 8, München: Kösel & Pustet 1925, S. 418; im Internet verfügbar unter http://www.unifr.ch/bkv/kapitel2258-7.htm.
G.W. F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 17: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, S. 256.
1 Mose 3,7–11.
Das Christentum fordert uns somit auf, die Begriffe der »zwei Körper des Königs« umzukehren: Gott selbst hat zwei Körper, aber bei der Kreuzigung stirbt nicht der irdische Körper, während der erhabene als Heiliger Geist erhalten bleibt; was am Kreuz stirbt, ist vielmehr der erhabene Körper Christi.
Vgl. Alain Badiou, Paulus. Die Begründung des Universalismus, Zürich, Berlin: diaphanes 2009.
Röm 7,14–24.
Rudolf Bultmann, Theologie des neuen Testaments, Tübingen: Mohr 1968, S. 264–266.
William Lane Craig, »Slaughter of the Canaanites«, http://www.reasonablefaith.org/slaughter-of-the-canaanites.
Gilbert Keith Chesterton, Franziskus. Der Heilige von Assisi, Frankfurt/M.: S. Fischer 1986, S. 31–33.
Schelling brachte das gleiche Argument vor, als er betonte, dass dem Aufstieg des Christentums im Römischen Reich der Aufstieg von Dekadenz und Korruption vorausging.
Chandra Bhan Prasad, ein führender Intellektueller der Dalit, ehrte die Sprache sogar dadurch, dass er einen Tempel für die »Dalit Göttin Englisch« errichtete. Siehe S. Anand, »Jai Angrezi Devi Maiyya Ki«, im Internet abrufbar unter http://www.openthemagazine.com/article/nation/jai-angrezi-devi-maiyya-ki. Ich verdanke diesen Hinweis meinem guten Freund S. Anand (Neu-Delhi).
Frederick Douglass, Das Leben des Frederick Douglass als Sklave in Amerika von ihm selbst erzählt, Bornheim: Lamuv 1986, S. 79. Dieses Beispiel verdanke ich Ed Cadava, Princeton.
Ebd., S. 80.
Ebd., S. 80–82.
G.W. F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 18: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, S. 174f.
Vgl. Rebecca Comay, »Defaced Statues: Idealism and Iconoclasm in Hegel’s Aesthetics«, in: October 149 (2014), S. 123–142, hier S. 125.
Ebd., S. 126.
Ebd., S. 137.
Jonathan Clements, The First Emperor of China, Stroud: Sutton 2006, S. 16.
Ebd., S. 34.
Ebd., S. 77.
Der Topos des Sündenfalls klingt auch außerhalb des religiösen Bereichs wider und kann eine völlig antireligiöse Wendung nehmen – denken wir an die antiholistische Idee, dass etwas entsteht, wenn das Gleichgewicht des Ganzen gestört wird. Auf der elementarsten Ebene geschieht etwas, wenn etwas anderes schiefgeht, wenn eine Symmetrie gebrochen wird, wenn eine einseitige Entscheidung den vorhergehenden Frieden zunichtemacht.
Hegel, Werke, Band 3, S. 492.
Hegel, Werke, Band 17, S. 257.
Ebd., S. 258.
Ebd.
Ebd., S. 256.
Ich stütze mich hier schamlos auf die Spark Notes zur Kabbala, die unter http://www.sparknotes.com/philosophy/kabbalah/ zu finden sind.
Walter Benjamin, »Die Aufgabe des Übersetzers«, in: Ders., Gesammelte Schriften, Band IV/1: Kleine Prosa, Baudelaire-Übertragungen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, S. 9–21, hier S. 18.
Zachary Mason, Die verlorenen Bücher der Odyssee, Berlin: Suhrkamp 2012.
Gilbert Keith Chesterton, Orthodoxie. Eine Handreichung für die Ungläubigen, Frankfurt/M.: Eichborn 2000, S. 248f.
Hegel, Werke, Band 6, S. 27.
Richard Taruskin, Music in the Early Twentieth Century, Oxford: Oxford University Press 2010, S. 367.
Ebd., S. 375.
Ebd., S. 378.
Für eine ausführliche Beschreibung von Hegels Triade der Reflexion siehe Kapitel 6 von Slavoj Žižek, The Sublime Object of Ideology, London: Verso 1989.
Badiou, Logiken der Welten, S. 164.
G.W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Band 3: Die vollendete Religion, Hamburg: Meiner 1995, S. 141.
Ebd., S. 48f.
Ebd., S. 49. In der Werkausgabe lautet die Stelle: »›Einmal‹ ist im Begriff ›allemal‹, und das Subjekt muss sich ohne Wahl an eine Subjektivität wenden.« (Hegel, Werke, Band 17, S. 276).
Vgl. Judith Butler und Catherine Malabou, Sois mon corps. Une lecture contemporaine de la domination et de la servitude chez Hegel, Paris: Bayard 2010.
Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Band 3, S. 146.
Ebd., S. 143.
Ebd., S. 144.
Theologisch betrachtet liegt hier die Notwendigkeit von Jesus Christus begründet – nicht die einer Substanz vor dem Subjekt, sondern eines Subjekts vor dem Subjekt: Christus steht für die Selbstentfremdung der Substanz selbst – unsere Distanz zur Substanz ist die Distanz der Substanz zu sich selbst.
Wendell Kisner, »Erinnerung, Retrait, Absolute Reflection: Hegel and Derrida«, in: The Owl of Minerva 26, 2 (1995), S. 171–186; das Zitat stammt aus Hegel, Werke, Band 6, S. 24f.
Vgl. Jacques Lacan, Das Seminar Buch XI: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Weinheim, Berlin: Quadriga 1996, S. 118f.
Julien Gracq, Das Ufer der Syrten, Stuttgart: Klett-Cotta 1985, S. 14f.
Vgl. Jonathan Lear, Happiness, Death, and the Remainder of Life, Cambridge, Mass.: Harvard University Press 2000.
Zitiert nach Taruskin, Music in the Early Twentieth Century, S. 45.
G.W. F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 12: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, S. 325.
Taruskin, Music in the Early Twentieth Century, S. 327.
Josef Paul Hodin, Edvard Munch, London: Thames & Hudson 1972, S. 88f.
Das Libretto kann auf der Website des Arnold Schönberg Centers eingesehen werden; vgl. http://www.schoenberg.at/compositions/werke_einzelansicht.php?werke_id=472.
Ebd.
Ebd.
Claudia L. Friedlander, »Man sieht den Weg nicht … Musical, Cultural and Psychoanalytic Signposts Along the Dark Path of Schoenberg’s Erwartung Op. 17« (1999), online verfügbar unter http://liberatedvoice.typepad.com/clferwartung.pdf.
Rory Braddell, »Schoenberg and Atonality«, http://homepage.tinet.ie/~braddellr/schoenberg.htm.
Taruskin, Music in the Early Twentieth Century, S. 306.
Ebd., S. 330.
Arnold Schönberg und Wassily Kandinsky, Briefe, Bilder und Dokumente einer außergewöhnlichen Begegnung, hg. v. Jelena Hahl-Koch, Salzburg, Wien: Residenz 1980, S. 21.
Jacques Lacan, »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud«, in: Ders., Schriften II, Olten: Walter 1975, S. 15–55, hier S. 48f.
Jacques Rancière, Das ästhetische Unbewußte, Zürich, Berlin: diaphanes 2006, S. 58.
Ebd., S. 59.
Gary Tomlinson, Metaphysical Song. An Essay on Opera, Princeton: Princeton University Press 1999, S. 94.
Vladimir Nabokov, Gesammelte Werke, Band 20: Deutliche Worte. Interviews, Leserbriefe, Aufsätze, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1993, S. 63.
Taruskin, Music in the Early Twentieth Century, S. 704.
Charles Rosen, Arnold Schoenberg, Chicago: University of Chicago Press 1996, S. 34.
David Hurwitz, Shostakovich. Symphonies and Concertos. An Owner’s Manual, Pompton Plains, NJ: Amadeus 2006, S. 25.
Arnold Schönberg, »Neue Musik – Meine Musik«, handschriftliches Manuskript, online einsehbar in der Datenbank des Arnold Schönberg Centers unter http://213.185.182.229/writings/edit_view/transcription_view.php?id=86.
Rosen, Arnold Schoenberg, S. 21.
Philip Friedheim, »Rhythmic Structure in Schoenberg’s Atonal Compositions«, in: Journal of the American Musicological Society 16, 1 (1966), S. 59–72, hier S. 67.
Braddell, »Schoenberg and Atonality«.
Rosen, Arnold Schoenberg, S. 86.
Ebd.
Ebd., S. 57.
Arnold Schönberg, Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, Frankfurt/M.: S. Fischer 1976, S. 75.
Das Problem der seriellen Musik, das heißt der Gleichberechtigung aller Variationen und des versteckten Fokus auf der gesamten Matrix, lässt sich anhand einer banalen Begebenheit illustrieren, die sich Ende der 1960er Jahre, auf dem Höhepunkt der sexuellen Revolution, in einer slowenischen Hippie-Kommune zutrug. Ein »Koordinator« der Kommune (eigentlich ihr Chef, aber Chefs waren verpönt) schlug vor, ein komplexes Schema zum Partnerwechsel einzuführen, um beim Sex dem bourgeoisen Individualismus zu entkommen; über einen bestimmten Zeitraum sollte so jeder Mann in der Gruppe mit jeder Frau einmal Sex gehabt haben. Die Gruppe fand schnell heraus, dass der Koordinator dieses komplexe Schema nur aus einem einzigen Grund vorgeschlagen hatte: Er wollte mit einer bestimmten Frau schlafen, die mit einem anderen Kommunarden zusammen war, und das Schema schien ihm der einzige Weg zu sein, sein Ziel zu erreichen, ohne seine individuelle Vorliebe und sein besitzergreifendes Verlangen zugeben zu müssen.
Ein anderes Verfahren mit ähnlicher Funktion ist natürlich der Gebrauch der Klangfarbenmelodie. Bei dieser Technik wird eine musikalische Linie oder Melodie zwischen verschiedenen Instrumenten aufgeteilt, statt sie nur einem Instrument (oder einer Instrumentengruppe) zuzuordnen, wodurch sie an Klangfarbe und Textur gewinnt. Schönberg prägte den Begriff in seiner Harmonielehre von 1911.
Taruskin, Music in the Early Twentieth Century, S. 310.
Ebd., S. 340.
Ebd.
Rosen, Arnold Schoenberg, S. 45.
Die Position des Hofnarren wird schon am Ende des zweiten Teils erwähnt, als Waldemar in diese Rolle schlüpft und Gott aufs schärfste kritisiert und verflucht. Dass Gott den Mord an Tove geschehen ließ, beweist in Waldemars Augen, dass er »wohl Tyrann, nicht Herrscher« ist und deshalb jemanden braucht, der ihn zurechtweist, einen Hofnarren, der ihm die Wahrheit sagt: »Lass mich, Herr, die Kappe deines Hofnarr’n tragen!«
Taruskin, Music in the Early Twentieth Century, S. 353.
Der Erste, der auf Schönbergs Wiederverwertung des Materials von »Am Wegrand« aufmerksam machte, war Herbert Buchanan in seinem Aufsatz »A Key to Schoenberg’s Erwartung (Op. 17)«, in: Journal of the American Musicological Society 20, 3 (1967), S. 434–449.
Etwas Ähnliches können wir auch in der Fernsehserie 24 beobachten: Fast ein Drittel jeder Episode besteht aus Werbeblöcken, mit denen die Handlung jeweils unterbrochen wird. Die Art, wie die Werbung die Kontinuität der Erzählung durchbricht, ist selbst einzigartig und trägt zum Gefühl der Dringlichkeit bei, das die Serie vermittelt: Eine Folge dauert inklusive Werbung exakt eine Stunde, die Unterbrechungen sind also Bestandteil der zeitlichen Kontinuität der Serie. Wenn wir beispielsweise auf der eingeblendeten Digitaluhr »7.46« lesen und es folgt eine Werbeunterbrechung, dann wird die Uhr danach »7.51« anzeigen – die Länge der Unterbrechung in der realen Zeit des Zuschauers entspricht exakt der zeitlichen Lücke in der Filmerzählung. Es ist, als ob die Werbeblöcke auf wundersame Weise in die zeitliche Entwicklung der Ereignisse in der Filmhandlung hineinpassten; als ob wir eine Pause von den Ereignissen machten, die dennoch weiterlaufen, während wir Werbung schauen; als ob der Film eine Liveübertragung wäre, die vorübergehend unterbrochen wurde. Der Verlauf der Handlung erscheint dadurch so dringlich und akut, dass er sich sogar auf die Echtzeit des Zuschauers ausweitet und nicht einmal für Werbepausen unterbrochen werden kann.
Michael Cherlin, »Schoenberg and Das Unheimliche: Spectres of Tonality«, in: Journal of Musicology 11, 3 (1993), S. 357–373, hier S. 362Studienausgabe, Band IV: Psychologische Schriften2000241274264