Impressum
1. Auflage 2016
© Dryas Verlag
Herausgeber: Dryas Verlag, Frankfurt am Main, gegr. in Mannheim.Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.
Herstellung: Dryas Verlag, Frankfurt am Main
Lektorat: Andreas Barth, Oldenburg
Korrektorat: Birgit Rentz, Itzehoe
Umschlaggestaltung: Umschlaggestaltung: © Guter Punkt – Sabine Dunst – , München (www.guter-punkt.de) unter Verwendung von Motiven von Thinkstock und StockFoto: Big Ben © by-studio – Fotolia.com
Graphiken: England people and customs © kuco - Fotolia.com / London cab near Big Ben © Ievgen Melamud - Fotolia.com / Street Lamp Silhouette © Al - Fotolia.com / Lamplight © Al - Fotolia.com
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar
ISBN E-Book 978-3-941408-82-1, ISBN Print 978-3-940855-64-0
www.dryas.de
Inhalt
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
Prolog
Erster Teil
Zweiter Teil
Dritter Teil
Vierter Teil
Personen & Begriffe
Und hier ein kleiner Beweis dafür, dass Zauberei tatsächlich funktioniert:
Danksagung
Zur Baker Street Bibliothek
Impressum
Inspector Swanson und der Magische Zirkel
Ein Kriminalroman aus dem Jahre 1894
von Robert C. Marley
Die Baker-Street-Bibliothek
Romane aus den Anfängen der modernen Kriminalistik
Verfügte Sherlock Holmes in seinem Haus in der Baker Street 221b über eine literarische Bibliothek?
Wir wissen es nicht.
Aber wir stellen uns gern vor, dass er die Bücher dieser Reihe gelesen hätte: Geschichten rund um skurrile Morde, bizarre Motive und eigenwillige Ermittler, die allesamt in einer Zeit spielen, in der die Verbrechensermittlung noch in den Kinderschuhen steckte.
www.bakerstreetbibliothek.de
ERSTER TEIL
Misdirection
»Der Zauberkünstler ist ein Mann, der Dinge von da wegnimmt, wo sie nicht sind, und sie dorthin legt, wo man sie nicht finden kann, weil sie dort nicht sind.«
Unbekannt
Kapitel 1
London, 07. Januar 1894, 19:00 Uhr
Eine dünne Schicht aus Pulverschnee lag auf den Dächern der Häuser entlang des Kennington Park, und aus den unzähligen Schornsteinen ringsum stieg Rauch auf, der sich in der abendlichen Kälte gen Himmel kräuselte und die Luft mit dem aromatischen Duft verbrannter Holzscheite schwängerte.
Das neue Jahr war erst wenige Tage alt.
Donald Sutherland Swanson war an diesem Abend besonders guter Laune. Er hatte frei und endlich wieder einmal Gelegenheit, einen Abend mit Annie zu verbringen. Die gute, liebe Annie, die den Haushalt der Swansons klaglos und mit so viel Liebe führte, die Kinder großzog und die ihm niemals Vorhaltungen wegen der vielen Arbeitsstunden machte, und wegen der zahllosen Nächte, die er nicht zu Hause verbrachte.
Wie lange waren Annie und er schon nicht mehr zusammen ausgegangen? Er erinnerte sich kaum. Es musste wenigstens ein Jahr her sein, vermutlich länger. Doch heute war es endlich so weit. Er hatte ihr die Wahl überlassen. Nach all den Monaten der Entbehrungen hätte er Annie beinahe jeden Wunsch erfüllt. Sie hätten im Savoy oder im Rules speisen können (auch wenn ihn das sicherlich ein kleines Vermögen gekostet hätte). Sie hätten ein romantisches Stück im Theatre Royal in der Drury Lane besuchen oder einfach für ein paar Tage nach Brighton fahren können. Doch Annie hatte anders entschieden und sich die Abendvorstellung im Adelphi ausgesucht.
The Great van Dyke, einer der berühmtesten Illusionisten der Welt, trat dort seit einigen Tagen auf. Er hatte sich vor allem wegen seiner spektakulären und gefährlichen Darbietungen einen Namen gemacht. Besonders die Flucht aus der sogenannten Wasserfolter, einer Illusion, bei der van Dyke sich mit Ketten gefesselt in einen bis zum Rand gefüllten Wassertank einschließen ließ, begeisterte die Massen. Swanson war gespannt, ob er ihn heute Abend zu sehen bekam.
„Ich weiß doch, wie sehr du die Zauberei liebst“, hatte Annie zu ihm gesagt und ihm dabei zärtlich über die Wange gestreichelt. „Und ich liebe sie auch. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mit dir gemeinsam dorthin zu gehen.“
Swanson winkte eine vorüberfahrende Droschke herbei.
Der Einspänner hielt und Swanson half Annie in den Sitz. „Zum Adelphi am Strand, bitte“, sagte er und warf Annie und sich die bereitliegende Decke über die Beine, als sich der Hansom ruckelnd und schaukelnd in Bewegung setzte.
„Ich danke dir sehr, Annie“, sagte Swanson, legte ihr eine Hand aufs Knie und sah sie liebevoll an. „Es ist ewig her, dass ich einen Zauberkünstler auf der Bühne gesehen habe.“
Sie nahm seine Hand, drückte sie und sagte: „Ich weiß, Don. Ich weiß. Und deswegen macht mir dieser Abend besonders viel Freude.“ Sie streichelte mit dem Daumen seinen Handrücken und kicherte. „Ich kann es an deinen Augen sehen. Du bist aufgeregt wie ein kleiner Junge.“
Und genau so fühlte er sich. Schon seit seiner Kindheit hatte er die Zauberkunst geliebt. Wann immer er einen Zauberkünstler auf dem Jahrmarkt gesehen hatte, war er im wahrsten Sinne des Wortes verzaubert gewesen. Eine seiner frühesten Erinnerungen war ein Ausflug mit seiner Mutter nach Inverness. Donald Swanson vermochte sich nicht zu entsinnen, wo genau er den Mann mit dem Zauberstab gesehen hatte; ob auf dem Marktplatz oder vor einem der Geschäfte, die seine Mutter besucht hatte. Doch an eines erinnerte er sich so deutlich, als sei es erst gestern gewesen: Der Mann hatte ihm einen roten Ball in die Hand gegeben und ihn gebeten, ihn ganz fest zu halten. Und dann hatte der Mann drei Mal mit seinem Zauberstab auf Donalds kleine geschlossene Faust getippt und ihn mit einem Lächeln gebeten, die Hand wieder zu öffnen.
Kälte und Schnee um ihn herum waren vergessen, als er daran dachte. Noch immer vermochte Swanson sich an sein Erstaunen zu erinnern, als er die Hand langsam geöffnet hatte und der Ball daraus verschwunden war. Und dabei hatte er ihn ganz genau gespürt. Hatte den festen runden Ball, den seine Finger umschlossen, deutlich gespürt. Er hatte ihn festgehalten. Es war gar nicht möglich gewesen, dass er daraus verschwand. Und doch war genau das geschehen.
Der fremde Mann hatte ihn daraufhin freundlich angesehen, seine Hand ausgestreckt und hinter Donalds Ohr gegriffen.
„Was haben wir denn da versteckt?“, hatte er gefragt und plötzlich den roten Ball zwischen Daumen und Zeigefinger festgehalten. „Komisch, was?“, hatte der Mann gefragt. „Wie er da wohl hingekommen ist …“
Zauberei …
Seither hatte ihn die Zauberkunst nicht mehr losgelassen. Er hatte Bücher gelesen, sich seine ersten Requisiten selbst aus Papier und Holz gebastelt und sie in bunten Farben angemalt. Und irgendwann hatte ein Freund seines Vaters ihm ein paar Metallringe geschenkt. Die waren so wunderbar glänzend gewesen.
„Don?“ Annies Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Wir sind da.“
Der Hansom hatte The Strand erreicht und hielt schaukelnd an einem Droschkenstand vor dem Adelphi Theater auf der Nordseite der Straße.
Swanson schlug die Decke beiseite, öffnete die niedrige Tür des offenen Einspänners und hielt Annie zum Aussteigen die Hand hin.
Im Schwarm der übrigen Besucher führte Swanson Annie durch die breite Drehtür am Eingang, zeigte seine Billetts vor und gab an der Garderobe seinen Mantel und Annies Umschlagtuch ab. Annie konnte sich gar nicht sattsehen an alledem. Mit großen Augen wandelte sie am Arm ihres Gatten durch das mit rotem Teppich ausgelegte Foyer, durch den eleganten holzgetäfelten Flur hinein in den prunkvollen Saal und schien jedes noch so winzige Detail aufsaugen zu wollen.
Genau wie Annie war Donald Swanson noch nie zuvor im Adelphi gewesen, auch wenn er aus beruflichen Gründen schon einige Theater besucht hatte. Auch ihn beeindruckte die kolossale Größe des Theatersaals. Denn stand man draußen vor dem schmalen Gebäude am Strand, das das Theater beherbergte, bereitete einen nichts auf die fast unmögliche Weite in seinem Innern vor. Für Annie dagegen musste es noch beeindruckender sein; sie war in ihrem ganzen Leben noch in keinem Theater gewesen.
Swanson führte Annie, die mit großen Augen aufgeregt und ehrfürchtig die kostbaren Kristallkronleuchter an der Decke, die Lampen an den tapezierten Wänden und die prachtvolle, reich verzierte königliche Loge links der Bühne betrachte, zu ihrem Platz.
Swanson hatte Billetts für die zweite Reihe gekauft, um ganz nahe am Geschehen zu sein. Wenn ihn diese Zaubervorstellung schon ein halbes Monatsgehalt kostete, so hatte er gedacht, dann würden sie beide auch etwas davon haben. Von dort, wo sie saßen, hatten sie nicht nur einen ganz fabelhaften Blick auf die Bühne, auch den Orchestergraben konnten sie überblicken. Die Musiker saßen auf ihren Stühlen, blätterten in ihren Noten und trafen die letzten Vorbereitungen. Der Dirigent, ein grauhaariger Mann im Frack, stand an seinem Pult und bedeutete den Musikern mit einer ausladenden Geste, das Stimmen der Instrumente einzustellen.
Mit dem Verlöschen des modernen elektrischen Lichts verstummte auch das Gemurmel im Zuschauerraum allmählich, und Stille senkte sich über den Saal.
Der schwere rote Vorhang war noch geschlossen.
Donald Swanson nahm Annies Hand und lehnte sich mit einem glücklichen Seufzer in das Samtpolster seines Theatersessels zurück – gespannt darauf, was der Abend ihnen an Zauberhaftem bescheren mochte.
Zunächst trat der Intendant des Theaters auf die Bühne und hielt seine Begrüßungsrede. Während er davon sprach, wie glücklich er und auch das Publikum sich schätzen könnten, heute so berühmte Zauberkünstler und Illusionisten wie John Maskelyne, Brian Masterton und sogar den Großen van Dyke aus Übersee erleben zu dürfen, wallte hinter ihm der rote Bühnenvorhang.
„Ladies und Gentlemen, tauchen Sie nun ein in die Welt der Magie! Und begrüßen Sie jetzt unseren ersten Künstler! Brian Masterton, den Meister der Manipulation!“, schloss er und breitete die Arme aus, ehe er sich verbeugte und hinter dem rechten Seitenvorhang verschwand.
Applaus brandete durch den Theatersaal, als der Vorhang sich langsam hob und das Orchester zu spielen begann. Eine lustige Melodie, zu der ein blonder junger Mann im Robin-Hood-Kostüm auf die Bühne stolperte. Er trug eine Narrenmütze und hielt zwischen Daumen und Zeigefinger einen roten Ball in der ausgestreckten linken Hand.
Die Musik hielt einen Augenblick inne, und als sie wieder einsetzte, begann der Zauberkünstler zu singen: ein komödiantisches Stück, in dem es um einen König und seine sieben missratenen Söhne ging, die sich gegenseitig umzubringen versuchten, weil jeder von ihnen nach dem Tod des Königs den Thron für sich beanspruchte.
Er hielt den Ball in die Höhe, beäugte ihn, als handle es sich um einen besonders seltsamen Gegenstand. Und dann ruckte sein Arm in die Höhe, und plötzlich hatte er einen zweiten Ball zwischen Zeige- und Mittelfinger. Noch eine Bewegung des Armes und ein dritter Ball erschien unter dem tosenden Applaus der Zuschauer zwischen Mittel- und Ringfinger.
Swanson stieß Annie an und lachte. Das war genau die Unterhaltung, die er so liebte. Annie drückte glücklich seinen Arm und strahlte ihn an. Und sie klatschten in die Hände, als der Zauberer auf der Bühne die drei Bälle in die Luft warf, sie mit beiden Händen auffing, sie scheinbar zusammendrückte und dann mit einer übertrieben ausladenden Bewegung ein letztes Mal in die Luft zu werfen versuchte: Natürlich waren sie nun alle verschwunden.
Es gab eine kurze Umbaupause, in der ein Bauchredner mit seiner frechen Puppe, die sich selbst als Geoffrey vorstellte, das Publikum zum Lachen brachte.
Anschließend trat ein Zauberkünstler in einem schlichten blauen Abendanzug auf. Swanson musste zwei Mal hinsehen, um zu erkennen, dass es sich wieder um Masterton handelte, der nun so gar nichts Tölpelhaftes mehr an sich hatte. Auf geschickte Weise und in atemberaubender Geschwindigkeit ließ er während der nächsten zwanzig Minuten Unmengen von Karten, zahllose Bälle, bunte Blumensträuße und schließlich sogar einen ganzen Vogelkäfig samt Kanarienvogel erst erscheinen und dann wieder verschwinden. Am Ende seiner Nummer nahm er ein großes schwarzes Seidentuch vom Boden auf, hielt es vor sich, bis nur noch sein lustig grinsendes Gesicht dahinter hervorlugte, und ließ es dann eine Sekunde später wieder zu Boden fallen.
Annie stieß einen leisen Laut der Überraschung aus und hielt sich die Hand vor den Mund, als der Mann nun nicht mehr im blauen Anzug, sondern im schwarzen Frack und mit einer Blume im Knopfloch vor ihnen auf der Bühne stand!
Der Vorhang senkte sich wieder und der Bauchredner nahm auf einem eigens dafür hereingebrachten Barhocker Platz – Geoffrey wippte mit rollenden Augen auf seinem Knie vor und zurück und verkündete mit krächzender Stimme, man dürfe nun gespannt sein auf den ersten Höhepunkt der Show. „Der Große van Dyke persönlich gibt sich die Ehre!“ Und sehr zum Missfallen des Bauchredners, der ein übertrieben entsetztes Gesicht machte, fügte Geoffrey hinzu: „Verstehe einer diese Amerikaner – schwimmen den ganzen Weg über den großen Teich, nur um sich in England ersäufen zu lassen!“
Der Bauchredner verschwand unter verhaltenem Lachen, der Hocker wurde weggetragen und sofort hob sich der Vorhang wieder.
Auf der Bühne stand, von mehreren Strahlern angeleuchtet, ein mächtiger Kasten aus Glas. Daneben eine Leiter. Zwei kräftige Männer, die Feuerwehruniformen trugen, standen breitbeinig rechts und links des Kastens mit schweren Äxten in den Händen.
Auf Hector van Dykes Auftritt war Donald Swanson besonders gespannt gewesen. Seine Darbietungen entbehrten nicht eines gewissen Nervenkitzels, wenngleich die äußerst gefährlichen Kunststücke, für die er bekannt war, natürlich auch auf nichts weiter als auf ausgeklügelten Trickprinzipien beruhten. Swanson wollte unbedingt den Mann sehen, dessen Namen in Amerika jedes Kind kannte, jenen Mann, der aus einem Heißluftballon verschwunden war, um in einem anderen wieder aufzutauchen; der über den Grand Canyon geschwebt war und sich von einem Pottwal hatte verschlucken lassen, ehe er nur Minuten später unversehrt im Krähennest einer vorbeisegelnden Brigg wieder aufgetaucht war.
Die Musik wurde lauter und van Dyke erschien in einem langen schwarzen Mantel auf der Bühne. Er sprach nicht ein Wort. Stattdessen warf er theatralisch den Mantel von sich, wirbelte im Smoking herum und ließ sich von einem der beiden Feuerwehrmänner eine Zwangsjacke anlegen. Mehrere schwere Ketten wurden um seinen Körper geschlungen und mit Vorhängeschlössern gesichert, ehe er erhobenen Hauptes die Leiter erklomm, die Beine über den Rand des Wassertanks schwang und sich hineingleiten ließ. Wasser schwappte über den Rand. Dann wurde der Deckel des Tanks geschlossen. Swanson konnte noch sehen, wie van Dyke zum Boden des Behälters sank, ehe ein mächtiges schwarzes Tuch darübergeworfen wurde und die beiden Männer mit ihren Äxten wieder ihre Positionen rechts und links der Wasserfolter einnahmen.
Von dramatischen Trommelwirbeln begleitet, vertickten die Sekunden. Jeder im Saal schien den Atem anzuhalten.
Fasziniert starrte Swanson den verhüllten Kasten an. Wie lange mochte es dauern, bis van Dyke sich aus diesem Gefängnis aus Wasser befreite? Er nahm seine Taschenuhr heraus.
Zwei Minuten vergingen.
Die Spannung im Saal war beinahe körperlich zu spüren. Mit offenen Mündern beobachteten die Zuschauer das Geschehen auf der Bühne. Wann würde van Dyke dem gläsernen Sarg entsteigen?
Drei Minuten.
Swanson begann unruhig zu werden. Und er bemerkte, wie auch die beiden Männer mit den Äxten nervös von einem Bein auf das andere traten und anfingen, sich fragende Blicke zuzuwerfen.
Fünf.
„Da stimmt etwas nicht“, flüsterte Swanson und berührte Annie, die begeistert nickte, an der Schulter.
„Nein, Annie. Ich meine es ernst.“ Und er musste an die Bemerkung der Bauchrednerpuppe mit der hämischen Stimme denken.
… nur um sich in England ersäufen zu lassen …
Annie lächelte ihn an und schüttelte den Kopf. „Das ist doch alles nur ein Trick, Don. Gerade du solltest das wissen.“
Swanson zweifelte daran. Er hatte von jungen Perlentauchern gehört, denen es durch jahrelange Übung gelang, bis zu fünf Minuten am Stück zu tauchen. Doch dieser Mann dort in der Zwangsjacke war kein Perlentaucher, und er musste die fünfzig schon weit überschritten haben. Außerdem musste ihn die Anstrengung, sich aus seinen Fesseln zu befreien, weiteren Sauerstoff gekostet haben. Swanson schüttelte den Kopf. „Er schafft es nicht, Annie. Ich muss etwas unternehmen.“
„O, bitte sei nicht kindisch, Don.“ Sie stieß ein hilfloses kleines Lachen aus.
Der Trommelwirbel hielt an.
Swanson warf wieder einen Blick auf seine Taschenuhr. Schon elf Minuten. „Ich sage dir, da stimmt was nicht.“ Und er machte Anstalten, sich zu erheben. „Man muss ihn rausholen.“
„Don!“, flüsterte Annie ihm zu und versuchte, ihn am Ärmel festzuhalten. „Don, bitte bleib sitzen. Du störst die Vorstellung.“
„Ich muss etwas tun“, sagte er.
„Du machst uns zum Gespött der Leute, Don.“ Sie sah ihn flehentlich an. „Bitte!“
„Tut mir leid.“ Er streifte ihren Arm mit einem entschlossenen Ruck ab, stand auf und bahnte sich hastig seinen Weg durch die murrende Reihe von Zuschauern. Schob Beine beiseite und erreichte schließlich den Gang, der auf der rechten Seite entlang der Sitzreihen führte, und eilte der Bühne entgegen.
Mit einem Satz sprang Swanson über das Geländer, das den Gang vom Bühnenbereich trennte, und hastete die Stufen der kurzen Treppe hinauf.
Viele der Zuschauer hatten ihn mittlerweile bemerkt. Und es ging ein Raunen durch den Saal, das immer lauter wurde. Einige Männer waren aufgestanden und deuteten mit dem Finger auf ihn. Er konnte nicht verstehen, was sie riefen, nahm aber an, dass sie die Assistenten auf der Bühne warnen wollten, da sie vermutlich dachten, er sei irgendein Irrer und würde die Vorstellung absichtlich stören wollen. Er achtete nicht weiter auf sie. Das Leben des Zauberkünstlers dort in dem Wassertank war weit wichtiger als ein paar aufgebrachte Schreihälse.
Die zwei Männer, die breitbeinig rechts und links des abgedeckten Glaskastens standen, bemerkten ihn jedoch erst, als Swanson bei ihnen anlangte.
Ohne zu zögern ergriff er den Aufschlag des schwarzen Tuches, das den Kasten vollständig verhüllte, und zog es mit einem Ruck zur Seite. Doch es fiel nicht herunter, sondern gab nur den Blick auf die Seite des Glaskastens frei.
Swanson hatte damit gerechnet, Hector van Dyke in wilder Panik um sein Leben kämpfen zu sehen, doch in dem wenigen Licht, das nun von der Seite her in den Glasquader fiel, konnte er zunächst nur die auf dem Boden liegende Zwangsjacke und die schweren Ketten mit den Hand- und Fußfesseln erkennen.
Offensichtlich war es van Dyke also doch gelungen, sich ihrer zu entledigen. Für eine schreckliche Sekunde dachte er schon, einer peinlichen Fehleinschätzung erlegen zu sein, dann jedoch sah er im dunklen oberen Teil des Glaskastens einen schlaff im Wasser treibenden Arm, aus dessen schwarzem Smokingärmel eine bleiche weiße Hand hervorlugte.
Die Männer mit den Äxten standen wie steinerne Ölgötzen da. Sie glotzten ihn schweigend und mit offenen Mündern an; offensichtlich unschlüssig, was sie nun tun sollten.
Swanson wandte sich zu dem ihm am nächsten stehenden Mann um und riss ihm die Axt aus der Hand, hob sie hoch über den Kopf und wollte eben zu einem ersten kraftvollen Hieb gegen die Glasscheibe ansetzen, als der Theaterintendant mit wutverzerrtem Gesicht aus den Falten des Seitenvorhangs hinter ihm auftauchte und sich schreiend und mit fuchtelnden Armen zwischen Swanson und den Glaskasten stellte.
„Sind Sie wahnsinnig geworden, Mann?“, brüllte er gegen den anhaltenden Trommelwirbel an. Das glatte schwarze Haar hing ihm nun in Strähnen in die Stirn. „Sie ruinieren ja alles! Legen Sie die Axt aus der Hand!“
Durch die Unruhe aufgeschreckt kam nun Bewegung in die beiden Assistenten. Offensichtlich hatten sie begriffen, dass der panische Auftritt des Theaterintendanten nicht zur Showeinlage gehörte. Sie beide waren breitschultrige Kerle, die auf dem Jahrmarkt gut und gerne als Gewichtheber und Eisenverbieger durchgegangen wären. Swanson war augenblicklich klar, dass ihnen nicht mit vernünftigen Argumenten beizukommen wäre.
Der Mann, dem er die Axt aus den Händen gerissen hatte, kam als Erster auf ihn zugerannt – die Fäuste erhoben und offenbar zu allem entschlossen. Statt etwas zu sagen, ergriff Swanson blitzschnell die Handgelenke des Mannes, drückte sie ruckartig nach unten und schlug ihm mit beiden Handballen gleichzeitig gegen das Kinn. Der Kerl taumelte rückwärts, stolperte und fiel auf den Rücken. Dann bückte sich Swanson nach der Axt, trat entschlossen vor und ließ sie über dem Kopf des schreienden Theaterintendanten auf die Glasscheibe niedersausen, ehe der zweite Mann bei ihm anlangte und ihn von hinten bei den Schultern packte. Swanson tauchte unter dessen Armen hinweg und stieß ihn beiseite.
Aus dem Publikum erschollen entsetzte Schreie. Mittlerweile musste jeder im Saal mitbekommen haben, dass dieser Teil der Vorführung nicht zur Show gehörte.
Swanson schwang abermals die Axt. Und beim zweiten Schlag brach endlich die dicke Glasscheibe des Kastens und gut zwanzig Kubikmeter Wasser ergossen sich auf die Bühne und in den Orchestergraben.
Der Theaterintendant, der sich schützend die Hände über den Kopf hielt, wurde wie ein nutzloses Stück Holz davongespült, während der Chief Inspector weiter auf die Wasserfolter einschlug. Als das Loch in der Glasscheibe groß genug war, ergriff Swanson das schwarze Tuch, das noch immer den größten Teil des Wasserbehälters vor den Augen der Zuschauer verbarg, und riss es vollständig herunter.
Jetzt war für jedermann ersichtlich, was mit Hector van Dyke geschehen war. Sein schlaffer, lebloser Körper lag am Boden des Behälters. Und nun veränderte sich auch das Verhalten des Theaterintendanten.
Völlig kopflos lief er auf der Bühne umher und begann lautstark und wild gestikulierend nach einem Arzt zu schreien.
Kapitel 2
Der Schnee fiel in dicken, schweren Flocken und tanzte in den diffusen gelben Lichtkegeln der Gaslampen wie eine riesige Schar Spätsommermücken, als Swanson Annie zur Droschke brachte und ihr versicherte, er würde heimkommen, sobald er hier mit ein paar Leuten gesprochen und die Angelegenheit an den diensthabenden Chief Inspector übergeben hatte.
„Es tut mir so leid, Annie“, sagte er.
Sie streckte ihre Hand nach seiner Wange aus. „Geh rasch wieder hinein, Don. Du bist ja völlig durchnässt. Du wirst dir den Tod holen.“
Er schaute sie an. Suchte nach einer Spur Enttäuschung in ihrem Gesicht, doch konnte nichts davon entdecken. „Wir holen das nach, ja? Versprochen.“
„Du hast dem Mann das Leben gerettet, Don“, sagte sie, den Kopf schief gelegt und mit einem leisen Lächeln. „Du brauchst dich nicht bei mir zu entschuldigen.“ Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn leicht auf die Wange. „Ich liebe dich.“
„Danke, Annie“, sagte er.
Er half ihr beim Einsteigen und blickte den Lichtern des schaukelnden Wagens nach, bis dieser im Schneegestöber verschwunden war. Dann ging er ins Foyer des Theaters zurück.
Die Ärzte hatten van Dyke auf eine Pritsche gelegt und redeten mit ernsten Gesichtern auf ihn ein. Swanson konnte nicht hören, worüber sie sprachen, aber offenbar ging es van Dyke bereits wieder besser, denn er schüttelte immer wieder lebhaft den Kopf. Einem der Ärzte schien es schließlich zu bunt zu werden. Er wandte sich von der Pritsche ab und kam auf Swanson zu.
Der hielt ihn an und fragte: „Wie geht es ihm, Doktor.“
„Den Umständen entsprechend gut“, sagte der Arzt. „Er hat verdammtes Glück gehabt. Wahrscheinlich ein Laryngospasmus. Das hat ihm das Leben gerettet.“
„Entschuldigen Sie, Doktor“, fragte Swanson, der fand, dass das Wort nicht sonderlich nach etwas klang, das einem das Leben rettete. „Was bitte ist ein Laryngospasmus?“
„Die meisten Menschen ertrinken, weil sie Wasser in die Lungen bekommen“, erklärte der Arzt. „Kein schöner Tod, das kann ich Ihnen sagen. Doch es gibt Fälle, in denen sich bei Eintritt des Wassers in die oberen Atemwege die Stimmritzen des Kehlkopfes verkrampfen. Schotten dicht, Sie verstehen? Das Wasser gelangt gar nicht erst bis in die Lungenflügel. Trotzdem wäre es besser für ihn, man würde ihn rüber ins Krankenhaus bringen, denn er war eine ganze Zeit lang bewusstlos und ohne Sauerstoff. Aber er weigert sich standhaft. Will unbedingt hierbleiben. Eigensinniges Volk, diese Amerikaner. Bei denen ist Hopfen und Malz verloren.“ Er setzte sich seinen Zylinder auf, schob ihn zurecht und verabschiedete sich.
Swanson ließ ihn gehen und ging zu den beiden Helfern hinüber, die mit den Äxten auf der Bühne gestanden hatten. Sie saßen sichtlich mitgenommen in einer Ecke und konnten kaum fassen, was während der letzten Minuten geschehen war. Wie sich herausstellte, waren sie tatsächlich Feuerwehrmänner, die sich damit ein paar Shilling zusätzlich verdienten, und vor der Vorstellung nicht einmal in die Nähe des Zauberrequisits gekommen. Swanson entschuldigte sich für sein rüdes Eingreifen und schickte sie beide los, um Scotland Yard zu verständigen. Er nahm an, dass es ihnen besser ginge, wenn sie etwas zu tun hatten. Und er irrte sich nicht. Eilfertig machten sie sich auf den Weg.
Swanson kehrte auf die Bühne zurück.
Die Wasserfolter stand noch immer dort. Die Leiter, über die van Dyke in den Wassertank geklettert war, lehnte am Bühnenrand. Er schob sie zu dem großen Glaskasten und stieg hinauf.
Es musste einen Grund dafür geben, dass es van Dyke nicht gelungen war, dem mit Wasser gefüllten Behältnis zu entkommen. Da er das Trickprinzip kannte, auf dem die Illusion beruhte, nahm er an, irgendetwas musste ihn daran gehindert haben, das Schloss mit dem am Boden liegenden Schlüssel zu öffnen. Doch was mochte der Grund dafür gewesen sein. Hatte van Dyke, nachdem er sich der Ketten und der Zwangsjacke entledigt hatte, im letzten Moment die Kraft verlassen? Er konnte es sich kaum vorstellen. Diese Tricks waren sehr ausgeklügelt und basierten nicht auf Zufälligkeiten. Als van Dyke in den Wassertank gestiegen war, hatte er sehr genau gewusst, wie viel Zeit ihm dafür blieb, Zwangsjacke und Ketten abzulegen, den Schlüssel vom Boden aufzuheben und das Schloss aufzusperren.
Irgendetwas war dennoch falsch gelaufen, dachte Swanson. Aus irgendeinem Grund hatte sich das Schloss nicht geöffnet. Dessen war er sich sicher. Er klappte den massiven, an zwei Scharnieren befestigten Holzdeckel der Wasserfolter auf und besah sich das Schloss. Von außen war auf den ersten Blick nichts zu erkennen. Er würde es entfernen und öffnen müssen, um zu sehen, was damit nicht stimmte.
Swanson stieg von der Leiter herunter und ging um den Kasten herum. So, wie er die Sache sah, war van Dyke dabei gewesen, das Schloss mit dem Schlüssel zu öffnen, und daran gescheitert. Doch warum? War es der falsche Schlüssel gewesen? Hatte er nicht gepasst?
„Entschuldigen Sie, Mister, kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ Ein junger, vielleicht zwanzig Jahre alter Mann mit tiefschwarzen Locken und unverkennbar osteuropäischem Akzent war neben ihm aufgetaucht. „Sie dürfen da nicht einfach rangehen.“
Swanson stellte sich vor und sagte: „Ich habe Grund zu der Annahme, dass dieser Zwischenfall absichtlich herbeigeführt wurde.“
Der Junge sah schockiert aus. Er strich sich mit der Hand durch das dichte Haar und zog die buschigen Augenbrauen zusammen. „Das …“, stammelte er. „Das ist unmöglich.“
„Darf ich erfahren, wer Sie sind, mein Junge?“
„Erich“, sagte er. „Erich Weiß. Ich arbeite hier.“
„Als Zauberkünstler?“
„Nein. Das wohl nicht. Obwohl ich gewisse Ambitionen hege“, sagte er.
„Und was ist Ihre Aufgabe im Adelphi?“
„O, eigentlich alles, Sir.“ Er breitete theatralisch die Arme aus. „Ich kümmere mich um die Künstler, richte ihre Zimmer her und sehe zu, dass jeder Bescheid weiß, wann er mit seinem Auftritt dran ist.“
Also ein regelrechter Laufbursche, dachte Swanson bei sich. Das schlecht bezahlte Mädchen für alles. „Woher stammen Sie?“, fragte er. „Deutschland?“
„Großer Gott – nein!“ Erich sah ihn an, als sei die Frage eine Beleidigung gewesen. „Ich bin Ungar.“
„Sagen Sie, Erich, ist Ihnen heute Abend irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen? Etwas, das zu dem hier geführt haben könnte?“ Und er nickte in Richtung der Wasserfolter.
„Nein, Sir. Es war alles wie immer.“ Er schüttelte kurz und ungläubig die schwarzen Locken. „Sie denken doch nicht – das ist mit Absicht geschehen?“
„Nehmen wir mal für einen Moment an, es wäre so“, begann der Chief Inspector vorsichtig, „würde Ihnen spontan jemand einfallen, der ein Interesse daran hätte, Mr van Dyke Schaden zuzufügen?“
„Nein, Sir. Wirklich nicht.“ Erich sah ehrlich schockiert aus. „Wir sind alle unglaublich stolz, ihn hier bei uns zu haben. Er ist schrecklich berühmt und alle verehren ihn.“
„Was ist mit den anderen Zauberkünstlern?“, fragte er. „Gab es eventuell mal Meinungsverschiedenheiten? Jemanden, der sich möglicherweise zurückgesetzt fühlte, weil Mr van Dyke die ganze Aufmerksamkeit bekam?“
„Das weiß ich nicht, Sir“, sagte Erich mit baumelnden Armen. „Kann ich mir aber nicht vorstellen. Ich hab noch nie was von Futterneid mitbekommen. Nicht bei dieser Truppe. Sie scheinen sich alle sehr gut zu verstehen. Sind manchmal richtig knuddelig untereinander.“
„Aus wie vielen Leuten besteht das Ensemble?“
„Warten Sie mal.“ Erich nahm die rechte Hand zu Hilfe und fing an, seine Finger zu zählen. „Da ist erst mal Mr van Dyke natürlich. Und dann Mr Masterton, der Taubenmann, er tritt immer am Anfang der Show auf.“
„Heute jedoch nicht“, stellte Swanson fest, der sich nicht daran erinnern konnte, ein Kunststück mit Tauben gesehen zu haben. „War er nicht da?“
„Doch, doch“, versicherte Erich. „Soviel ich weiß, gab es neulich ein Problem mit den Vögeln. Deshalb tritt er zurzeit mit Manipulationen auf. Karten, Bälle, Zigaretten und so was. Man muss flexibel sein.“
„Der Mann mit dem lustigen Lied über den König und seine Söhne, was?“
„Ganz recht, Sir.“
„Und wer ist noch dabei?“
„Adam, der Bauchredner, und Mr Maskelyne“, sagte Erich.
Swanson war nicht entgangen, dass Erich lediglich den Bauchredner beim Vornamen genannt hatte. Ganz offensichtlich standen sie sich näher; zumindest schien er ihn zu mögen. „Sind das alle?“
„Alle außer Abigail, unser Mädchen, und Mr Pollock natürlich“, sagte Erich. „Und morgen fängt noch ein anderer Zauberer an.“
„Wer ist das?“
„Edward McKinley“, sagte Erich und zuckte die Achseln. „Hab ihn noch nicht getroffen. Soll aber ausgesprochen brillant sein.“
„Sagen Sie, würden Sie mir einen kleinen Gefallen tun?“, fragte Swanson.
„Klar, wenn ich kann.“
„Ich bräuchte einen Schraubendreher. Könnten Sie mir den besorgen?“
Hector van Dyke lag noch immer auf der schmalen Pritsche im Foyer, als Swanson mit einem Stück Blei und der abgebrochenen Spitze einer kleinen Nagelfeile in der Hand zu ihm ging. Einer der Ärzte saß auf einem Schemel daneben.
Van Dyke sah blass aus, fand Swanson, und er würde ihn nicht über Gebühr anstrengen wollen. Trotz allem musste er mit ihm sprechen. Er warf dem Arzt auf dem Schemel einen fragenden Blick zu, und als der zustimmend nickte, ließ Swanson sich vor der Pritsche in die Hocke sinken und stellte sich dem Zauberkünstler vor.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte er dann.
Der berühmte Illusionist verzog gequält das Gesicht. „Na, großartig“, sagte van Dyke und hustete. „Könnte nicht besser sein, Chief Inspector.“
„Ich muss Ihnen einige Fragen stellen“, sagte Swanson. „Denken Sie, das geht?“
„Sicher. Alles halb so wild. Schießen Sie los.“
„Sagen Sie, Mr van Dyke, wer kümmert sich eigentlich um Ihre Requisiten, wenn Sie ein Engagement wie dieses haben? Machen Sie das selbst?“
„Normalerweise meine Assistenten und ich“, sagte van Dyke. Er war noch immer sehr schwach. Man hatte ihm die nassen Kleider ausgezogen und mehrere Decken über ihn gebreitet. „Die letzten Präparationen führe ich allerdings stets allein durch. Niemand aus dem Ensemble kennt alle Geheimnisse meiner Kunststücke.“
„Verstehe. Ihre Assistenten reisen mit Ihnen?“
„Für gewöhnlich schon. Nur diesmal habe ich auf sie verzichtet.“ Er hustete wieder. „Die haben ganz ausgezeichnete Leute hier. Absolut vertrauenswürdig. Einer meiner Leute brachte mein Equipment her. Den Rest mache ich selbst.“
„Und außer Ihnen?“, wollte Swanson wissen, „wer hat sonst noch Zugang zu den Requisiten?“
„Nun, wenn es jemand darauf anlegt, kann jeder sie sich ansehen, der im Theater arbeitet“, meinte van Dyke. „Bis die Requisiten gebraucht werden, stehen sie unter der Bühne bereit. Aber ich versichere Ihnen, niemand hier würde sich daran zu schaffen machen.“
„Sie vermuten selbst, es könne sich jemand an der Wasserfolter zu schaffen gemacht haben?“, fragte Swanson.
„Ich habe einfach den Schlüssel nicht in das Schloss bekommen“, sagte van Dyke mit leiser Stimme und räusperte sich mehrmals. „Ich war ungeschickt, nichts weiter.“
Swanson war sich da nicht so sicher. Er zog die beiden kleinen Metallstücke, die er beim Auseinanderschrauben des Schlosses gefunden hatte, aus der Innentasche seines Mantels, legte sie sich in die Handfläche und hielt sie dem Zauberkünstler wortlos hin.
„Was … was ist das?“
„Das hier“, sagte Swanson. „Das hier hat verhindert, dass Sie das Schloss von innen öffnen konnten.“