Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Dezember 2016
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Die italienische Originalausgabe erschien 2014 bei Raffaello Cortina Editore, Mailand, unter dem Titel «La realtà non è come ci appare. La struttura elementare delle cose»
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Lektorat Frank Strickstrock
Wissenschaftliche Beratung Bernd Schuh
Umschlaggestaltung Anzinger und Rasp, München
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ISBN Printausgabe 978-3-498-05806-7 (1. Auflage 2016)
ISBN E-Book 978-3-644-05251-2
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Zum wissenschaftlichen Denken Milets und insbesondere Anaximanders siehe C. Rovelli, Che cos’è la scienza. La rivoluzione di Anassimandro, Mailand 2012.
Dass Leukipp aus Milet stammen soll, ist beispielsweise durch Simplikios überliefert (siehe M. Andolfo, Atomisti antichi. Frammenti e testimonianze, Mailand 1999, S. 103). Diese Herkunft ist allerdings ungewiss. Als Alternative kommt nach antiken Autoren auch Elea in Frage. Mit Blick auf die kulturellen Wurzeln von Leukipps Denken wird bezeichnenderweise auf Milet und Elea verwiesen. Zum Einfluss Zenons von Elea auf Leukipp siehe die nachfolgenden Seiten.
Seneca, Naturales quaestiones, VII 3, 2d.
Cicero, Academica priora, ii, 23, 73., Marcus Tullius Cicero, Akademische Abhandlungen Lucullus: lateinisch – deutsch, Text und Übers. von Christoph Schäublin. Einl. von Andreas Graeser und Christoph Schäublin. Anm. von Andreas Bächli und Andreas Graeser, Hamburg 1995, S. 95.
Sextus Empiricus, Adversus mathematicos, VII, 135; dt.: Gegen die Dogmatiker, übers. von Hansueli Flückiger, 1. Aufl., Sankt Augustin 1998, S. 37.
Siehe Aristoteles, De generatione et corruptione, A1, 315b 6. (Dt.: Über Werden und Vergehen, Griechisch–Deutsch, Griech. Text nach Harold H. Joachim, Übers., mit einer Einl. und Anm. hg. v. Thomas Buchheim, Hamburg 2011.)
Eine Sammlung von Fragmenten und antiken Zeugnissen zur Atomlehre siehe M. Andolfo, Atomisti antichi, a.a.O. Eine schöne vollständige Sammlung zu den Fragmenten Demokrits und Zeugnissen siehe Solomon Lur’e, Demokrit: teksty, perevod, issledovanija ia, Leningrad 1970.
Ein kurzer und interessanter neuerer Text zum Denken Demokrits, der den Humanismus ins Blickfeld rückt, siehe S. Martini, Democrito: filosofo della natura o filosofo dell’uomo?, Rom 2002.
Platon, Phaidon, nach der Übersetzung von Friedrich D.E. Schleiermacher, in: Platons Werke, zweiten Teiles dritter Band, 3. Aufl., Berlin 1861. Siehe auch unter http://www.opera-platonis.de/Phaidon.pdf.
R. Feynman, Feynman-Vorlesungen über Physik, Bd. 1, Berlin und Boston 2015, S. 3.
Siehe Aristoteles, De generatione et corruptione, a.a.O., A2, 316a. (Dt.: Über Werden und Vergehen, Griechisch–Deutsch, Griech. Text nach Harold H. Joachim, Übers., mit einer Einl. und Anm. hg. von Thomas Buchheim, Hamburg 2011.)
Ein schöner neuerer Text zu Zenons Paradoxa und deren philosophische und mathematische Bedeutung siehe V. Fano, I paradossi di Zenone, Rom 2012.
Mathematisch gesprochen, gibt es konvergente unendliche Reihen oder «Summenfolgen». Die des Beispiels der Schnur ist , die gegen 1 konvergiert. Zu Zenons Zeit wurden unendliche Summenfolgen noch nicht verstanden. Aber später nutzte sie Archimedes dazu, Flächeninhalte zu berechnen. Newton setzte sie ebenfalls ein. Dennoch sollte das mathematische Konzept erst im neunzehnten Jahrhundert durch Bolzano und Weierstraß umfassend aufgeklärt werden. Aber schon Aristoteles deutete mit seiner Antwort auf Zenon in diese Richtung. Seine Unterscheidung zwischen dem aktualen und dem potenziellen Unendlichen enthält bereits die Unterscheidung zwischen einer fehlenden Grenze der Teilbarkeit und der Möglichkeit, dass etwas schon unendlich viele Male geteilt wurde.
«Die Verse des erhabenen Lukrez / sterben erst an jenem Tag, an dem die gesamte Erde untergeht» (I,15, 23f.).
Diogenes Laertios hat einige der Titel von Demokrits Werken überliefert: Große Weltordnung; Kleine Weltordnung; Kosmographie; Über die Planeten; Über die Natur I, Über die Natur des Menschen, Über den Geist; Über die Sinne; Über die Seele; Über die Geschmacksarten; Über Farben; Über verschiedene Gestaltungen; Über Gestaltenwechsel; Astronomische Erklärungen; Atmosphärische Erklärungen; Erklärungen über Feuer und Feuersubstanz; Akustische Erklärungen; Erklärungen zu Samen, Pflanzen und Früchten; Zoologische Erklärungen III; Verschiedene Erklärungen; Uranographie; Geographie; Polbeschreibung; Über die unterschiedliche Auffassung der Tangente des Kreises und der Kugel; Über Geometrie; Geometrische Probleme; Zahlen; Über inkommensurable Linien und Körper II; Projektionen; Das große Jahr oder Astronomie; Strahlendarstellung; Über Abbilder; Über Rhythmus und Harmonie; Über Poetik; Über epische Schönheit; Über wohlklingende und misstönende Buchstaben; Über Homer oder
Sprachrichtigkeit und eigentümliche Ausdrücke; Über Gesang, Über Verben, Über Benennungen; Über Tapferkeit oder über Tugend; Über die Disposition des Weisen, Prognostik, Über Diät und Diätetik; Ärztliche Diagnose, Über Landwirtschaft oder Landarbeiten; Über Malerei; Zur Taktik; Zum Waffengebrauch; Über die heiligen Schriften in Babylon; Über die heiligen Schriften in Meroe; Küstenbeschreibung des Ozeans; Über Geschichtsforschung; Traktat über die Chaldäer; Traktat über die Phryger; Über Fieber und Husten; Rechtsgründe; Handwerkliche Fragen; Das Horn der Amaltheia, über Gemütsheiterkeit; Ethische Aufzeichnungen; Wohlbefinden. Alle diese Schriften sind verschollen … Siehe hierzu Diogenes Laertios, Leben und Lehre der Philosophen, aus dem Griech. übers. und hg. v. Fritz Jürß, Stuttgart 2010, S. 427f.
Lukrez, De rerum natura, I, 129, dt.: Über die Natur der Dinge, in deutsche Prosa übertragen und kommentiert von Klaus Binder. Mit einer Einführung von Stephen Greenblatt, Berlin 2014, S. 42.
Ebenda, II, 990; Über die Natur der Dinge, a.a.O., S. 98.
Ebenda, I, 5ff; Über die Natur der Dinge, a.a.O., S. 39.
Ebenda, II, 18ff; Über die Natur der Dinge, a.a.O., S. 71.
Guido Cavalcanti, Sämtliche Gedichte. Tutte le rime, übertragen und herausgegeben von Tobias Eisenmann und Wolfdietrich Kopelke, Tübingen 1990, S. 31.
Eine Rekonstruktion der Wiederentdeckung der Schrift des Lukrez und deren Auswirkungen auf die europäische Kultur siehe S. Greenblatt, Die Wende: wie die Renaissance begann. Aus dem Engl. von Klaus Binder, München 2013.
Siehe M. Camerota, «Galileo, Lucrezio e l’atomismo», in: F. Citti und M. Beretta (Hgg.), Lucrezio, la natura e la scienza, Florenz 2008, S. 141–175.
Siehe R. Kargon, Atomism in England from Hariot to Newton, Oxford 1966.
W. Shakespeare, Romeo und Julia, I, 4 (üb. von A.W. von Schlegel).
Lukrez, De rerum natura, a.a.O., II, 160; Über die Natur der Dinge, a.a.O., S. 74f.
Eine sehr gelungene kommentierte italienische Übersetzung von Lukrez’ Lehrgedicht, konzipiert als Unterrichtsmaterial, siehe Piergiorgio Odifreddi, Come stanno le cose. Il mio Lucrezio, la mia Venere, Mailand 2013. Ich würde mir ihren Einsatz an zahlreichen Schulen in Italien wünschen, um diesen herausragenden Text bekannter zu machen. Als diametral entgegengesetzt kann eine romantisierende Darstellung des Lehrgedichts und seines Verfassers gelten: V.E. Alfieri, Lucrezio, Florenz 1929, betont den sehnsuchtsvollen Charakter dieser Dichtung und arbeitet mit Blick auf den Verfasser das Bild eines erhabenen, aber auch bitteren Charakters heraus.
H. Diels, W. Kranz (Hg.), Die Fragmente der Vorsokratiker, Weidmann, Berlin 1903, 68 b 247, S. 194.
Dass die aristotelische Physik heute einen schlechten Ruf genießt, geht auf Angriffe Galileis zurück, der sie kritisieren musste, um weiter voranzukommen. Als streitlustiger Geist nahm er sie mit Ironie aufs Korn.
Giamblico di Calcide (Jamblichos von Chalkis), Summa pitagorica: vita di Pitagora, escortazione alla filosofia, scienza matematica comune, introduzione all’aritmetica di Nicomaco, teologia dell’aritmetica. Introduzione, traduzione, note e apparati di Francesco Romano, Mailand 2006.
Genau genommen ziehen die Himmelskörper nach Kepler nicht in Kreisen, sondern in Ellipsen ihre Bahn. Das Quadrat der Umlaufzeit ist proportional zur dritten Potenz der großen Halbachse einer solchen Ellipse. Dieses Gesetz erwies sich nicht nur für die Planeten der Sonne (Kepler), sondern auch für die Monde des Jupiter (Huygens) als richtig. Newton schließt daraus, dass es auch für die hypothetischen Monde der Erde gelten müsse. Die Proportionalitätskonstante hängt vom umrundeten Körper ab: Deswegen ist es anhand der Daten der Mondumlaufbahn möglich, die Umlaufzeit des kleinen Mondes zu berechnen.
Newton, Opticks (1704); dt.: Optik oder Abhandlung über Spiegelungen, Brechungen, Beugungen und Farben des Lichts. Üb. u. hg. v. William Abendroth. Eingel. u. erläutert v. Markus Fierz, Braunschweig und Wiesbaden 1983, S. 266.
I. Newton, «Über das Weltsystem», in: Mathematische Prinzipien der Naturlehre, übers. v. Jakob Philipp Wolfers, Berlin 1872, S. 513.
Die in einem Explosionsmotor freigesetzte Energie ist chemischen Ursprungs und folglich letztlich ebenfalls elektromagnetisch.
I. Newton, Letters to Bentley, Whitefish, MT, 2010, zitiert nach Thayer, Newton’s Philosophy of Nature, New York 1953, S. 54.
Ebenda.
M. Faraday, Experimental Researches in Electricity, London 1839–1855, Bd. 3, S. 436f.
In Maxwells Originalabhandlung füllen die Gleichungen eine ganze Seite aus. Heute lassen sie sich in einer halben Zeile darstellen: dF = 0, d *F = J. Warum, sehen wir weiter hinten im Buch.
Wenn man sich das Feld als einen Vektor (einen kleinen Pfeil) in jedem Punkt des Raumes vorstellt, so gibt dieser die Richtung von Faradays Linie in diesem Punkt, also die Tangente zu ihr, an. Die Länge des Pfeils ist dann proportional zur Dichte von Faradays Linien in diesem Punkt.
Die Gesamtheit der raumartigen Ereignisse bezogen auf einen Beobachter.
Der listige Leser wird einwenden, dass der Augenblick, der in der Mitte meiner Viertelstunde liegt, als zeitgleich mit dem seiner Antwort gelten könne. Wer Physik studiert hat, erkennt dies als die «Einstein-Synchronisation», eine Konvention, um Gleichzeitigkeit zu definieren. Diese Konvention hängt allerdings von meinem Bewegungszustand ab und definiert Gleichzeitigkeit folglich nicht direkt zwischen zwei Ereignissen, sondern nur als eine «relativ» zur Bewegung bestimmter Körper. In Abbildung 3.3 befindet sich ein Ball zwischen den Punkten a und b, in denen ich die Vergangenheit des Beobachters verlasse und in dessen Zukunft eintrete. Der andere Ball befindet sich auf halbem Weg zwischen den Punkten c und d, in denen ich die Vergangenheit des Beobachters verlasse und in seine Zukunft eintrete, wenn ich mich auf einer anderen Bahn bewege. Beide Bälle befinden sich nach dieser Definition der Gleichzeitigkeit für den Beobachter zeitgleich am jeweiligen Punkt, und doch erfolgt dieses Ereignis in aufeinanderfolgenden Momenten. Beide Bälle befinden sich gleichzeitig mit dem Leser an ihrem Standort, aber relativ zu verschiedenen Bewegungen. Daher die Bezeichnung «Relativität».
Simplikios, Aristotelis Physica, 28, 15.
Flugzeug und Ball folgen geodätischen Linien, also den lokal kürzesten Verbindungskurven zweier Punkte. Im Fall des Balls lässt sich die Geometrie mit der Abstandsmessung ds2 = (1 – 2Φ(x)) dt2 – dx2 annähern, wobei Φ(x) für das Newton’sche Potenzial steht. Folglich reduziert sich die Auswirkung des Gravitationsfeldes faktisch ganz auf die Zeitdilatation. (Dem Leser, der mit der Theorie vertraut ist, dürfte die seltsame Vorzeichenumkehr auffallen: Die physische Bahn ist jene, die die Eigenzeit maximiert, wie es im Umfeld der Speziellen Relativitätstheorie häufig vorkommt.)
Bei der Beobachtung des Doppelsternsystems PSR B1913+16 zeigt sich, dass die beiden umeinander rotierenden Sterne Gravitationswellen aussenden. Diese Beobachtung trug Russell Hulse und Joseph Taylor 1993 den Nobelpreis ein.
Plutarch, Adversus Colotem, 4, 1108ff. Der Ausdruck φύσιϛ bedeutet «Natur», allerdings im Sinn von «natürlicher Beschaffenheit von etwas».
Dieser Term heißt «kosmologischer Term», weil er sich nur in sehr großem – dem kosmischen – Maßstab auswirkt. Die Konstante heißt «kosmologische Konstante». Ihr Wert wurde Ende der neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts mit Messungen ermittelt. Diese trugen den Astronomen Saul Perlmutter, Brian P. Schmidt und Adam G. Riess 2011 den Nobelpreis für Physik ein.
A. Calaprice, Lieber Herr Einstein … Albert Einstein beantwortet Post von Kindern, Frankfurt a.M. und New York 2007, S. 92. Siehe auch «Briefwechsel mit Kindern» unter http://www.einstein-website.de/z_kids/briefekids.html.
Timothy Ferris, Die rote Grenze. Auf der Suche nach dem Rand des Universums, mit einem Vorwort von Carl Sagan, a.d. Engl. v. Tony Westermayr u.a., Basel u.a. 1982, S. 52. Göttingen, wo Hilbert wirkte, war damals der bedeutendste Forschungsstandort für Geometrie.
Albrecht Fölsing, Albert Einstein. Eine Biografie, Frankfurt a.M. 1993, S. 422.
F.P. De Ceglia (Hg.), Scienziati di Puglia: secoli v a.C.-xxi, Teil 3, Bari 2007, S. 18.
Die gewöhnliche Sphäre ist die Menge der Punkte in R3, die von der Gleichung x2 + y2 + z2 = 1 bestimmt werden. Die 3-Sphäre ist die Menge der Punkte in R4, die von der Gleichung x2 + y2 + z2 + u2 = 1 bestimmt werden.
Gegen diese Beobachtung wurde eingewendet, dass Dante von cerchi, also «Kreisen», und nicht von sfere, «Sphären» oder «Kugeln», spricht. Aber der Einwand trägt nicht. In seinem Buch spricht Brunetto Latini von einem «Kreis wie eine Eierschale». Wie für seinen Lehrer und Mentor steht für Dante cerchio für alles Runde, auch für Sphären.
Dagegen kann man auf der Erdoberfläche den Nordpol und zwei geeignet gewählte Punkten auf dem Äquator zu einem Dreieck mit drei gleichen Seiten und drei rechten Winkeln verbinden. In einer Ebene ist dies unmöglich.
A. Calaprice, Lieber Herr Einstein …, a.a.O., S. 155.
A. Einstein, «Über einen die Erzeugung und Verwandlung des Lichtes betreffenden heuristischen Gesichtspunkt», in: Annalen der Physik 17, S. 132–148. Siehe unter http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/andp.19053220607/pdf.
Mehr oder weniger ausgeprägte Formen des Autismus kommen unter Wissenschaftlern häufiger vor. (Natürlich gibt es auch besonders kontaktfreudige Forscher.) Das Asperger-Syndrom ist eine leichte Form des Autismus, die im Alltagsleben keine (allzu großen) Probleme bereitet. Mit der Frage, ob zwischen autistischen Befunden und wissenschaftlichen Fähigkeiten eine Beziehung besteht, haben sich Psychologen befasst. (Siehe zum Beispiel Baron-Cohen u.a., «The autism-spectrum quotient (AQ): Evidence for Asperger syndrome/high-functioning autism, males and females, scientists and mathematicians», in: The Journal of Autism and Developmental Disorders 31, (1) (2001), S. 5–17.) Wissenschaftliches Arbeiten, insbesondere auf theoretischer Ebene, erfordert ein besonders hohes Konzentrationsvermögen und die Fähigkeit, sich begeistert auf eigene Ideen einzulassen – typische Begabungen autistischer Persönlichkeiten, die allerdings häufig auf Kosten der empathischen und sozialen Fähigkeiten gehen. Betroffene von ihren absonderlichen Verhaltensweisen kurieren zu wollen läuft häufig darauf hinaus, sie ihrer Persönlichkeit zu berauben und darin zu hindern, ihre herausragenden Talente fruchtbar zu nutzen.
Eine schöne Biographie Diracs, die seinen absonderlichen Charakter gut illustriert, siehe Graham Farmelo, The strangest man: the hidden life of Paul Dirac, quantum genius, London 2009.
Einem sogenannten Hilbertraum.
Dies sind die Eigenwerte des mit der fraglichen physikalischen Variablen assoziierten Operators. Die Schlüsselgleichung ist folglich die Gleichung für die Eigenwerte.
Die «Wolke», welche die Punkte im Raum darstellt, wo man das Elektron wahrscheinlich antrifft, wird von der «Wellenfunktion», einem mathematischen Objekt, beschrieben. Der österreichische Physiker Erwin Schrödinger stellte eine Gleichung auf, die zeigt, wie sich diese Wellenfunktion in der Zeit entwickelt. Schrödinger hatte gehofft, dass die «Welle» die Merkwürdigkeiten der Quantenmechanik erklären könne: Von denen im Meer bis zu den elektromagnetischen sind Wellen inzwischen ziemlich gut verstanden. Noch heute versuchen einige die Quantenmechanik so zu verstehen, als würde sich Realität mit der Schrödinger-Welle decken. Heisenberg und Dirac erkannten freilich sofort, dass dieser Weg in die Irre führt. Die Schrödinger-Welle als etwas Reales zu begreifen und ihr zu großes Gewicht beizumessen ist für das Verständnis der Theorie wenig hilfreich und stiftet im Gegenteil nur größere Verwirrung. Die Funktion betrifft nicht den physikalischen Raum, sondern einen abstrakten, der von allen möglichen Anordnungen des Systems gebildet wird. Dadurch verliert sie ihren gesamten intuitiven Charakter.
Der Hauptgrund, warum die Schrödinger-Welle kein gutes Bild für die Realität liefert, liegt darin, dass sich das Elektron bei der Kollision mit etwas anderem stets an einem Punkt befindet und nicht wie eine Welle im Raum verteilt ist. Wenn man sich das Elektron als Welle vorstellt, steht man vor dem Problem, erklären zu müssen, wieso sich diese Welle bei jeder Kollision für einen Augenblick in einem Punkt konzentriert. Die Schrödinger-Welle ist keine nützliche Darstellung für die Realität: Sie ist ein mathematisches Hilfsmittel, das es ermöglicht, mit höherer Präzision vorherzusagen, wo das Elektron wiederauftaucht. Die Realität des Elektrons ist keine Welle: Sie ist dieses intermittierende Auftauchen in Kollisionen, das man sich so vorstellen kann wie diesen Mann, der ab und zu im Schein einer Laterne auftauchte, als der junge Heisenberg gedankenversunken durch die Kopenhagener Nacht spazierte.
Die Dirac-Gleichung.
Dies gilt allgemein als Konsequenz der Quantenmechanik und der Speziellen Relativitätstheorie.
Ein Phänomen scheint auf das Standardmodell nicht rückführbar: die sogenannte Dunkle Materie. Astrophysiker und Kosmologen beobachten im Universum Auswirkungen von Materie, die nicht dem Typ Materie entspricht, die vom Standardmodell beschrieben wird. Wir wissen vieles noch nicht.
Nicht ernst zu nehmen sind Äußerungen von Journalisten, wonach das Higgs-Boson «die Erklärung für die Masse der Teilchen» sei. Teilchen haben an sich eine Masse. Das Higgs-Boson erklärt über deren Ursprung rein gar nichts. Der Punkt ist technischer Art: Das Theoriegebäude des Standardmodells stützt sich auf einige Symmetrien, die nur Teilchen ohne Masse zuzulassen scheinen. Aber Higgs erkannte, dass sie sowohl Symmetrien als auch Masse haben können, insofern diese durch indirekte Wechselwirkungen mit einem Feld entsteht, das wir heute eben deshalb das Higgs-Feld nennen. Da jedes Feld seine Teilchen hat, musste es folglich ein entsprechendes «Higgs-Teilchen» geben. 2013 wurde es denn auch experimentell nachgewiesen.
Eine endliche Region des Phasenraums, also des Raums der möglichen Zustände eines Systems, enthält eine unendliche Anzahl an unterscheidbaren klassischen Zuständen, entspricht aber immer einer endlichen Zahl von orthogonalen Quantenzuständen. Diese Anzahl wird vom Volumen der Region bestimmt, dividiert durch die Planck-Konstante, potenziert mit der Anzahl der Freiheitsgrade. Dieses Ergebnis ist ganz allgemein.
Lukrez, De rerum natura, a.a.O., II, 218.
Oder «Feynman’sches Pfadintegral». Die Möglichkeit, von A nach B zu gelangen, ist das Betragsquadrat des Integrals über sämtliche Pfade mit der Exponentialfunktion der klassischen Wirkung des Pfades, multipliziert mit der imaginären Einheit und dividiert durch die Planck-Konstante als Integrand.
Eine eingehende Erörterung dieser relationalen Deutung der Quantenmechanik siehe den Eintrag «Relational quantum mechanics» der (ausgezeichneten) Online-Enzyklopädie The Stanford Encyclopedia of Philosophy, http://plato.stanford.edu/archives/spr2003/entries/qm-relational/. Siehe ebenso C. Rovelli, «Relational quantum mechanics», in: International Journal of Theoretical Physics, 35, (1996), S. 1637–1678. Siehe auch http://arXiv.org/abs/quant-ph/9609002.
Ein Mechanismus im Kasten öffnet kurz das Loch auf der rechten Seite und lässt zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Photon entweichen. Wenn man den Kasten vor und nach diesem Vorgang wiegt, lässt sich aus dem Ergebnis die Energie des entwichenen Photons berechnen. Mit diesem Gedankenexperiment hoffte Einstein die Quantenmechanik in Bedrängnis zu bringen, weil sie vorsieht, dass der Zeitraum, in dem ein Quantenteilchen einen Raum verlässt, und dessen Energie nicht beide beliebig genau bestimmt werden können. Die angemessene Antwort auf Einsteins Einwand, auf die Bohr selbst nicht kam, die aber heute klar ist, lautet, dass die Position des entweichenden Photons und das Gewicht des Kastens noch miteinander verbunden («korreliert») bleiben, wenn das Photon längst entwichen ist.
B. van Fraassen, «Rovelli’s world», in: Foundations of Physics 40 (2010), S. 390–417; M. Bitbol, Physical Relations or Functional Relations? A Non-metaphysical Construal of Rovelli’s Relational Quantum Mechanics, Philosophy of Science Archives, 2007, http://philsci-archive.pitt.edu/3506/; M. Dorato, Rovelli’s Relational Quantum Mechanics, Monism and Quantum Becoming, Philosophy of Science Archives, 2013, http://philsci-archive.pitt.edu/9964/, und ders., Che cos’è il tempo? Einstein, Gödel e l’esperienza comune, Rom 2013.
Siehe den vielzitierten Artikel zur Messbarkeit der Felder Niels Bohrs und Leon Rosenfelds, «Det Kongelige Danske Videnskabernes Selskabs», in: Mathematiks-fysike Meddelelser 12 (1933).
Der Strich durch den Buchstaben ħ für die Planck-Konstante gibt lediglich an, dass diese durch 2π geteilt wird.
Siehe M. Bronstein, «Quantentheorie schwacher Gravitationsfelder», in: Physikalische Zeitschrift der Sowjetunion 9 (1936), S. 140–157; «Kvantovanie gravitatsionnykh voln», in: Pi’sma v Zhurnal Eksperimental’noi i Teoreticheskoi Fiziki 6 (1936), S. 195–236.
Siehe F. Gorelik und V. Frenkel, Matvei Petrovich Bronstein and Soviet Theoretical Physics in the Thirties, Boston 1994. «Bronstein» war auch der bürgerliche Name Leo Trotzkis.
Eine Beschreibung dieses Vergleichs mit Wheelers Originalstimme siehe unter http://www.webofstories.com/play/9542?o=MS.
Bryce DeWitts Erinnerung an diese Episode siehe unter http://www.aip.org/history/ohilist/23199.html.
DeWitt ersetzt Ableitungen durch Ableitungsoperatoren in den Hamilton-Jacobi-Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie (erstmals von Peres aufgestellt). Damit vollzieht er genau den Schritt, den Schrödinger bei der Aufstellung seiner Gleichung in seiner ersten Arbeit unternommen hatte: Ersetzung von Ableitungen durch Ableitungsoperatoren in den Hamilton-Jacobi-Gleichungen eines Teilchens.
Die bekannteste Alternative zur Schleifen-Quantengravitation ist die Stringtheorie.
Folglich werden die Quantenzustände der Schwere angegeben mit (jl, vn), wobei n die Knoten und l die Links des Graphen angeben.
Man stelle sich vor, Aristoteles’ und Platons Gedanken wären uns nur durch schriftliche Kommentare anderer überliefert. Sie erschienen uns wohl als ein Sammelsurium von Unfug, könnten wir nicht ihre klare und komplexe Gedankenführung anhand der Urtexte nachvollziehen!
Die Quantenzahl der Photonenzustände im Fockraum ist der Impuls, die Fourier-Transformierte des Ortes.
Der zur Geometrie des gequantelten Raums konjugierte Operator ist die Holonomie der gravitativen Zusammenhangsform oder, physikalisch ausgedrückt, ein «Wilson-Loop» für die Allgemeine Relativitätstheorie.
Am weitesten vorangetrieben wurde das Verständnis dieser Quantengeometrie von einem Italiener, der in Marseille arbeitet: Simone Speziale.
«Ebensowenig könnten wir zugeben, dass irgendwer, unabhängig von Bewegung […] der Dinge, Zeit mit seinen Sinnen wahrnehmen kann.» Lukrez, Über die Natur der Dinge, a.a.O., I, 462f., S. 52.
Das Gravitationspotenzial.
Insbesondere angesichts seiner Aufregung …
Die ersten bedeutenden Berechnungen zu den gravitativen Kollisionen von Teilchen anhand von Spin foam-Techniken wurden von jungen italienischen Forschern wie Emanuele Alesci, der heute in Polen arbeitet, sowie Claudio Perini und Elena Magliaro durchgeführt. Die beiden zuletzt Genannten mussten die theoretische Forschung aufgeben, weil sie in Italien keine Festanstellung an einer Universität erhielten.
Die erste definiert den Hilbertraum der Theorie, die zweite die Algebra der Operatoren, die dritte die Übergangsamplitude zu jedem Vertex wie dem in Figur 7.4. dargestellten.
[Es] können alle verschiedenen Elementarteilchen zurückgeführt werden auf einen universellen Grundstoff, den man Energie oder Materie nennen mag; keines der verschiedenen Elementarteilchen könnte von den anderen grundsätzlich als ein besonders ‹fundamentales› Elementarteilchen unterschieden werden. Diese letzte Ansicht entspricht genau der Doktrin des Anaximander, und ich bin selbst überzeugt, dass in der modernen Physik diese Ansicht die richtige ist.» Werner Heisenberg, Physik und Philosophie, Stuttgart 2007, S. 90.
W. Shakespeare, Ein Sommernachtstraum, V, 1, übers. v. A.W. v. Schlegel, in: Shakespeare, Sämtliche Werke, Bd. 1, Komödien, Stuttgart 1974, S. 563.
Seine Rede siehe die Website des Vatikans unter http://www.vatican.va/holy_father/pius_xii/speeches/1951/documents/hf_p-xii_spe_19511122_di-serena_it.html»top.
Siehe S. Singh, Big Bang, London 2010, S. 362. (Dt.: Big Bang: der Ursprung des Kosmos und die Erfindung der modernen Naturwissenschaft, 4. Aufl., München 2011.)
Einen Beitrag zur Möglichkeit, Spin foam-Techniken in der Quantenkosmologie einzusetzen, leistet die Dissertation der Italienerin Francesca Vidotto, die derzeit in Holland arbeitet.
Archimedes, Über schwimmende Körper und die Sandzahl, hg. v. Wolfgang Ostwald, übers. u. mit Anm. vers. v. Dr. Arthur Czwalina, Leipzig 1925, S. 67.
Ein wichtiger Punkt: Der Informationsgehalt gibt nicht das an, was ich weiß, sondern die Anzahl möglicher Alternativen. Der Informationsgehalt, der mir verrät, dass die Roulette-Kugel auf der 3 gelandet ist, entspricht N = 37, weil es 37 Zahlen gibt. Dagegen beträgt der Informationsgehalt, dass sie unter den roten Zahlen auf der 3 gelandet ist, N = 18, weil es 18 rote Zahlen gibt. Wie viel Information habe ich, wenn ich weiß, welcher der Brüder Karamasow deren Vater getötet hat? Die Antwort hängt von der Anzahl der Brüder in der Familie ab.
Auch wenn Boltzmann das Konzept der Information selbst nicht verwendet hat, lässt sich sein Werk in diesem Sinne deuten.
Die Entropie ist proportional zum Logarithmus des Volumens des Phasenraums. Die Proportionalitätskonstante k ist die Boltzmann-Konstante, die die Maßeinheit des Informationsgehalts, Bit, in die Maßeinheit der Entropie, Joule pro Kelvin, überführt.
Was sich in einem endlichen Gebiet seines Phasenraums befindet.
Eine eingehende Erörterung dieser beiden Postulate siehe C. Rovelli, «Relational quantum mechanics», a.a.O.
Es handelt sich um den «Kollaps» der Wellenfunktion, wie er unangemessenerweise genannt wird.
Die Zustandswahrscheinlichkeit wird in der Boltzmannstatistik durch eine Funktion über dem Phasenraum, der Exponentialfunktion der Hamilton-Funktion, beschrieben. Die Hamilton-Funktion ist die Erzeugende derjenigen Transformation, welche die Zeit vergehen lässt. In einem System, in dem die Zeit nicht definiert ist, gibt es keine Hamilton-Funktion. Aber wenn wir es mit einem statistischen Zustand zu tun haben, genügt es, den Logarithmus der Zustandswahrscheinlichkeit zu nehmen, um eine Hamilton-Funktion, also einen Zeitbegriff, zu definieren.
Cicero, Academica priora, a.a.O., II, 23, 73.
Zitiert nach Diogene Laerzio, Vite e dottrine die più celebri filosofi, Mailand 2005.
Augustinus von Hippo, Confessiones, XI, 12. Dt.: Bekenntnisse, übers. v. Wilhelm Thimme. Mit einer Einleitung von Norbert Fischer, Düsseldorf 2007, S. 277.
«Die Hölle», 26, 119f. in: Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie, übers. v. Hermann Gmelin, Stuttgart 1984, S. 103.
M. Luzi, «Dalla torre», in: Dal fondo delle campagne, Turin 1965, S. 214.
In der ganzen Zeit, in der ich mich mit der Quantengravitation befasste, haben mich Freunde und Neugierige immer wieder um Erklärungen gebeten, was sich in diesem Forschungsbereich eigentlich abspielte. Wie war es möglich, auf neue Art über Raum und Zeit nachzudenken? Wieder und wieder wurde ich gebeten, eine allgemeinverständliche Darstellung zu diesem Gebiet zu verfassen. Zur Kosmologie und zur Stringtheorie lag bereits eine Fülle entsprechender Veröffentlichungen vor, aber zur Quantennatur von Raum und Zeit und insbesondere zur Schleifen-Quantengravitation gab es noch kein einziges Buch. Da ich mich auf meine Forschungen konzentrieren wollte, zögerte ich lange. Aber vor einigen Jahren, nach Abschluss meines Fachbuchs zum Thema, hatte ich das Gefühl, dass zahlreiche Wissenschaftler den Themenbereich gemeinschaftlich so weit vorangebracht hatten, dass die Zeit für eine allgemeinverständliche Darstellung reif war. Wir erkundeten ein bezauberndes Gebiet. Warum unsere Forschungen unter Verschluss halten?
Aber ich zögerte mit dem Projekt noch immer, weil ich das Buch im Kopf noch nicht vor mir «sah». Wie sollte ich eine Welt ohne Raum und Zeit erklären? Als ich 2012 nachts auf einer langen einsamen Fahrt von Italien nach Frankreich unterwegs war, wurde mir klar, dass sich die gegenwärtigen Veränderungen der Begriffe von Raum und Zeit nur dann verständlich erläutern ließen, wenn man die Geschichte von Anfang an erzählt: beginnend mit Demokrit über den ganzen Weg bis hin zu den Raumquanten. So jedenfalls verstehe ich die Geschichte. Ich begann das ganze Buch zu entwerfen und wurde immer aufgeregter, bis ich eine Polizeisirene hörte: Ich musste rechts heranfahren, weil ich deutlich zu schnell gewesen war. Höflich fragte mich der italienische Polizeibeamte, ob ich verrückt sei, mit so einem Tempo über die Straße zu jagen. Ich erklärte ihm, dass mir soeben eine Idee gekommen war, nach der ich so lange gesucht hatte. Der Polizist ließ mich ohne Strafzettel weiterziehen und wünschte mir für mein Buch viel Glück. Und hier ist es nun.
Dieses Buch ist Anfang 2014 entstanden und zunächst auf Italienisch erschienen. Wenig später verfasste ich für eine italienische Zeitung einige Artikel zu den Grundlagen der Physik. Der angesehene italienische Verlag Adelphi bat mich, den Inhalt zu einer Version zu erweitern, die als kleines Bändchen erscheinen sollte. So entstand Sieben kurze Lektionen über Physik, ein Buch, das zu meiner großen Überraschung ein internationaler Bestseller wurde und einen herrlichen Kommunikationskanal zwischen mir und zahlreichen wunderbaren Lesern rund um die Welt eröffnet hat. Die Sieben kurzen Lektionen entstanden folglich nach diesem Buch und fassen bis zu einem gewissen Maß einige der Themen zusammen, die hier behandelt werden. Wer dieses Bändchen gelesen hat und Weiteres erfahren, tiefer in die seltsame Welt eintauchen will, die es skizziert hat, der findet hier mehr davon.
Auch wenn ich die althergebrachte Physik aus meiner besonderen Perspektive präsentiere, entspricht diese Darstellung weitgehend dem allgemeinen Konsens. Dagegen entspringt der Teil des Buchs, der schildert, wo die Forschung in der Quantengravitation gegenwärtig steht, meinem ganz persönlichen Verständnis: im Grenzbereich zwischen dem, was wir verstanden haben, und dem, was wir noch nicht begreifen. In dieser Region ist bei weitem noch keine Einigkeit in Sicht. Einige Physikerkollegen werden dem, was ich hier schreibe, zustimmen, andere dagegen nicht. Auch wenn es für jede Forschung in den Grenzbereichen des Wissens gilt, sage ich es klar und deutlich: Dies ist kein Buch über Gewissheiten, sondern eines über das Abenteuer einer Reise, die ins Unbekannte führt.
Es ist insgesamt ein Reisebuch, das eines der spektakulärsten Unternehmungen beschreibt, auf das sich die Menschheit eingelassen hat: eine Reise, auf der wir uns aus unseren engen beschränkten Anschauungen über die Realität herausbegeben und auf ein immer umfassenderes Verständnis der Struktur der Dinge zubewegen. Eine magische Reise, weg von unserer alltäglichen Sichtweise der Dinge, aber längst nicht zu Ende.
Marseille, 4. Mai 2016
Wir sind besessen von uns selbst. Wir studieren unsere Geschichte, unsere Psychologie, unsere Philosophie, unsere Literatur und unsere Götter. Der Großteil unseres Wissens kreist um uns selbst, als seien wir Menschen das Wichtigste im Universum. Ich glaube, dass mich die Physik deshalb so fasziniert, weil sie ein Fenster öffnet und in die Ferne hinausblickt. Nach meiner Empfindung lässt sie wieder Frischluft ins Haus einziehen.
Der Blick aus dem Fenster versetzt uns ins Staunen. Wir haben über das Universum unglaublich viel gelernt. Im Verlauf der Jahrhunderte haben wir zahlreiche unserer Irrtümer erkannt. Wir glaubten, dass die Erde flach und unbeweglich im Mittelpunkt der Welt stehe, in einem kleinen, ewig gleichbleibenden Universum. Ebenso glaubten wir, dass der Mensch ein ganz eigenes Wesen ohne jede Beziehung zur Tierwelt sei. Wir erfuhren, dass es Quarks, Schwarze Löcher, Lichtteilchen, Raumwellen gibt – und erstaunliche molekulare Strukturen in allen unseren Körperzellen. Die Menschheit ist wie ein Kind, das größer wird und verwundert entdeckt, dass sich die Welt nicht auf sein Kinderzimmer und seine Spielplätze beschränkt, sondern riesengroß ist, dass es tausend Dinge und Ideen zu entdecken gibt, die anders sind als jene, mit denen es herangewachsen ist. Das Universum ist vielfältig und grenzenlos, und ständig entdecken wir neue Aspekte. Je mehr wir über die Welt erfahren, desto ehrfürchtiger staunen wir über ihre Vielfalt, Schönheit und Einfachheit.
Aber mit jeder neuen Entdeckung wird uns auch klar, dass die Menge dessen, was wir noch nicht wissen, deutlich größer ist als alles, was wir bereits verstanden haben. Je leistungsfähiger unserer Teleskope werden, desto mehr seltsame und überraschende Himmelsregionen entdecken wir. Je genauer wir die winzigen Bestandteile der Materie untersuchen, auf desto mehr Tiefenstrukturen stoßen wir. Heute blicken wir fast schon bis zum Urknall, der großen Explosion, aus der vor rund 14 Milliarden Jahren das Weltall und danach alle Galaxien am Himmel hervorgingen. Und inzwischen ahnen wir, dass es auch jenseits des Urknalls noch etwas gibt. Wir haben gelernt, dass sich der Raum krümmt, und beginnen schon zu erkennen, dass ebendieser Raum aus einem Gewebe von vibrierenden Quantenkörnchen besteht.
Unser Wissen über den Grundaufbau des Universums wächst kontinuierlich. Wenn wir die Erkenntnisse über die physische Welt, die wir im zwanzigsten Jahrhundert gewonnen haben, miteinander in Einklang zu bringen versuchen, deuten zahlreiche Hinweise auf etwas ganz anderes hin als auf die Vorstellungen, die uns über Materie und Energie, Raum und Zeit in der Schule vermittelt worden sind. Inzwischen zeichnet sich eine Grundstruktur der Welt ab, in der es weder Zeit noch Raum gibt und die vielmehr aus einem Gewimmel aus Quantenereignissen hervorgeht. Quantenfelder bilden Raum, Zeit, Materie und Licht, indem sie von einem Ereignis zum nächsten Informationen austauschen. Die Realität ist ein Netzwerk aus körnigen Ereignissen, zusammengehalten durch eine Dynamik, die probabilistischer Natur ist. Zwischen zwei Ereignissen sind Raum, Zeit, Materie und Energie in einer Wolke aus Wahrscheinlichkeiten aufgelöst.
Diese seltsame neue Welt kristallisiert sich heute aus der Beschäftigung mit dem ungelösten Hauptproblem der physikalischen Grundlagen heraus: die Quantengravitation. Dieses Problem besteht darin, das unterschiedliche Weltverständnis der beiden großen Entdeckungen der Physik des zwanzigsten Jahrhunderts – der Allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantentheorie – miteinander in Einklang zu bringen. Um die Quantengravitation und die seltsame Welt, die uns eine solche Forschung eröffnet, geht es in diesem Buch.
Es berichtet gewissermaßen live aus der derzeitigen Forschung: über das, was wir lernen, was wir wissen und was wir vom Wesen der Dinge heute allmählich zu verstehen glauben. Es beginnt bei den weit zurückliegenden Ursprüngen einiger wichtiger Ideen, dank derer wir heute Ordnung in unsere Vorstellung von der Welt bringen können. Es beschreibt die beiden großen Entdeckungen des zwanzigsten Jahrhunderts, Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, und nimmt den Kern ihres physikalischen Gehalts in den Blick. Es stellt das Weltbild vor, das sich heute in den Forschungen zur Quantengravitation abzeichnet, und berücksichtigt die Hinweise, die uns die Natur in jüngster Zeit gegeben hat: So bestätigten Beobachtungen mit dem Planck-Weltraumteleskop (2013) das kosmologische Standardmodell, während sich die von vielen erwarteten supersymmetrischen Teilchen im CERN (2013) nicht blicken ließen. Das Buch erörtert die Konsequenzen dieser Konzepte: die Körnchenstruktur, das Verschwinden der Zeit, wenn wir die Welt im kleinsten Maßstab betrachten, die Physik des Urknalls, die Entstehung der Wärmestrahlung Schwarzer Löcher und schließlich das, was wir allmählich über die Rolle erkennen, die Information für die Grundlagen der Physik spielt.
In seinem vielzitierten Gleichnis in Buch VII von Der Staat erzählt Platon (428/7–348/7 v. Chr.) von Menschen, die tief im Inneren einer finsteren Höhle angekettet sind und im Schein eines Feuers, das hinter ihnen lodert, nur Schatten an der Wand sehen. Sie halten diese für die Realität. Einer kann sich befreien, steigt ins Freie empor und entdeckt das Sonnenlicht und die weite Welt. Das Licht blendet und verwirrt ihn zunächst: Aber als sich seine Augen daran gewöhnt haben, kehrt er glücklich zu seinen Gefährten zurück und verkündet ihnen, was er erblickt hat. Sie wollen ihm nicht glauben. Wir alle sind in einer Höhle gefangen, liegen in den Ketten unserer Unwissenheit, Vorurteile und unzulänglichen Sinne, die uns nur Schatten zeigen. Zu versuchen, in größere Ferne zu blicken, stürzt uns häufig in Verwirrung: Wir sind dies nicht gewohnt. Dennoch versuchen wir es. So funktioniert Wissenschaft. Wissenschaftliches Denken erkundet die Welt, gestaltet sie neu und bietet uns ein immer wirklichkeitsnäheres Bild von ihr: Es lehrt uns, sie in tauglicheren Begriffen zu denken. Wissenschaft ist die ständige Erkundung von Denkschemata. Sie bezieht ihre Kraft und ihre Visionen aus der Fähigkeit, althergebrachte Denkgebäude zum Einsturz zu bringen, neue Wirklichkeitsfelder zu erschließen und neue, tauglichere Weltbilder zu entwickeln. Auch wenn sich dieses Abenteuer auf das gesamte bislang angehäufte Wissen stützt, besteht sein Kern im Wandel. Weiter hinauszublicken in eine uferlose und schillernde Welt. Umfangen von ihrem Mysterium und ihrer Schönheit, wollen wir ausziehen, sie zu erkunden. Hinter dem nächsten Berg harren unerforschte Gefilde ihrer Entdeckung. Die Ungewissheit um uns, die Unsicherheit, mit der wir in die unermesslichen Tiefen unseres Nichtwissens blicken, macht das Leben keineswegs sinnlos, sondern kostbar.
Ich habe dieses Buch verfasst, um zu schildern, was für mich das wunderbare Abenteuer der Wissenschaft ausmacht. Es richtet sich an Leser, die von Physik keine Ahnung haben, aber neugierig sind, was wir heute vom Grundgewebe der Welt wissen oder nicht wissen und wo wir nach ihm suchen. Und um etwas über den atemberaubend schönen Ausblick auf die sichtbare Realität mitzuteilen, der sich von diesem Standpunkt aus bietet.
Im Sinn habe ich dabei auch die Kollegen, Weggefährten auf der ganzen Welt, und junge Wissenschaftsbegeisterte, die diesen Weg beschreiten wollen. Ich habe versucht, die allgemeine Übersicht über den Aufbau der physikalischen Welt im doppelten Licht der Relativität und der Quanten so zu beleuchten, dass sich meiner Überzeugung nach ein zusammenhängendes Bild ergibt. Dies ist nicht nur ein allgemeinverständliches Buch, sondern auch eines, das einen kohärenten Standpunkt auf einem Forschungsgebiet darlegen will, auf dem das große Ganze hinter der abstrakten Fachsprache zuweilen aus dem Blick zu geraten droht. Auch wenn zur Wissenschaft Experimente, Hypothesen, Gleichungen, Berechnungen und lange Diskussionen gehören – sie sind doch nur Instrumente: so wie jene der Musiker. Wie in der Musik am Ende nur die Musik zählt, so zählt auch in der Wissenschaft am Ende nur das Weltverständnis, das sie vermitteln kann. Um die Bedeutung der Entdeckung zu erkennen, dass die Erde um die Sonne kreist, braucht es keine tiefe Einarbeitung in die komplizierten Berechnungen des Kopernikus. Um nachzuvollziehen, wie wichtig die Entdeckung ist, dass alle Lebewesen auf unserem Planeten von gemeinsamen Vorfahren abstammen, kommt man ohne die komplexen Argumentationen aus, die Darwin in seinem Buch niedergelegt hat. Wissenschaft besteht darin, die Welt aus einem sich ständig erweiternden Blickwinkel heraus zu deuten.
In diesem Buch stelle ich den gegenwärtigen Forschungsstand zu diesem neuen Bild der Welt vor, wie ich sie derzeit verstehe, und versuche, die wesentlichen Probleme und logischen Verbindungen in dieser Forschung herauszuarbeiten. So wie man es einem Kollegen und Freund gegenüber tun würde, wenn er einen während eines langen nächtlichen Spaziergangs am Meer fragt: «Und was meinst du, wie sind die Dinge wirklich?»
Diese Erzählung beginnt in der kleinasiatischen Stadt Milet vor sechsundzwanzig Jahrhunderten. Wieso fängt ein Buch zur Quantengravitation mit Ereignissen, Personen und Gedanken aus einer Zeit an, die so lange zurückliegt? Der Leser, der rasch zu den Raumquanten vordringen möchte, möge es mir verzeihen. Konzepte sind stets leichter nachzuvollziehen, wenn man sich mit ihren Ursprüngen auseinandersetzt. Und diese reichen bei einem bedeutenden Teil der Ideen, die sich als nützlich erwiesen, um die Welt zu verstehen, weit über zwanzig Jahrhunderte zurück. Wenn wir kurz rekapitulieren, wie diese entstanden, verstehen wir die nachfolgende Entwicklung besser und können sie einfacher und logischer darlegen.
Mehr noch: Einige der Probleme, die in dieser frühen Zeit aufgeworfen wurden, sind für das Verständnis der Welt noch heute von zentraler Bedeutung. Einige neuere Konzepte zur Struktur des Raumes speisen sich aus damals eingeführten Vorstellungen und Problemen. Indem ich über dieses antike Gedankengut spreche, bringe ich sofort einige Grundfragen aufs Tapet, die entscheidend sein werden, wenn man die Grundlagen der Quantengravitation verstehen will. Wir sind dann in der Lage, zwischen solchen Ideen zu unterscheiden, die, wenn auch wenig bekannt, auf die Ursprünge des wissenschaftlichen Denkens zurückgehen, und anderen, die ihnen radikal neue Aspekte abgewinnen. Wie wir sehen werden, besteht zwischen den Problemen, die von antiken Naturphilosophen formuliert wurden, und den Lösungen, mit denen Einstein und die Quantengravitation aufwarteten, eine enge Beziehung.
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