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Lateinische Stilmittel

Ausgewählt und herausgegeben

von Michael Bradtke

Reclam

2016, 2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen. Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961083-2

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014119-9

www.reclam.de

Inhalt

Einleitung

Die Stilanalyse

Zur Benutzung dieser Ausgabe

Lateinische Stilmittel (Auswahl)

Die Abbildende Wortstellung

Das Adýnaton

Die Allegoríe

Die Alliteration

Die Anadiplóse

Das Anakolúth

Die Anápher

Die Anastrophé

Die Antiklímax

Die Antithése

Die Antonomasíe

Das Apokoinú

Die Aposiopése

Die Apostrophé

Der Archaísmus

Das Asýndeton

Die Brevitas

Der Chiásmus

Die Constructio ad sensum

Die Ellípse

Die Empháse

Die Enallagé

Die Epípher

Das Epítheton ornans

Der Euphemísmus

Die Exclamatio

Die Exponierte Wortstellung

Die Figura etymologica

Die Geminatio

Das Gesetz der abnehmenden Glieder

Das Gesetz der wachsenden Glieder

Das Hendiadyóin

Das Homoiotéleuton

Das Homoným

Das Hypérbaton

Die Hypérbel

Das Hýsteron próteron

Die Inkonzinnität

Die Inversion

Die Ironie

Die Klímax

Die Litótes

Die Metápher

Die Metonymíe

Die Occupatio

Die Onomatopoesíe

Das Oxýmoron

Das Parádoxon

Der Parallelísmus

Die Parenthése

Die Paronomasíe

Das Pars pro toto

Die Periphráse

Die Personifikation

Der Pleonásmus

Das Polýptoton

Das Polysýndeton

Die Praeteritio

Die Prolépse

Die Rhetorische Frage

Die Ringkomposition

Der Sarkasmus

Die Sentenz

Die Symplóke

Die Synékdoche

Das Synoným

Die Tmésis

Das Trikólon / Das Tetrákolon

Der Vergleich

Das Zeúgma

Anhang

Abkürzungen

Stellenverzeichnis

Literaturhinweise

Einleitung

Zum Verstehen eines Textes gehört einerseits die reine Übersetzungsarbeit, andererseits eine Analyse des vom Verfasser gebotenen Stils, also der von ihm verwendeten sprachlichen Stilmittel. Es ist zwar möglich, dass manche Sprachfiguren rein zufällig entstanden sind, doch kann und sollte man zunächst davon ausgehen, dass die jeweiligen Verfasser Besonderheiten in Sprache und Ausdruck bewusst eingesetzt haben.

Dieses Verzeichnis soll die Möglichkeit geben, Stilmittel systematisch zu lernen, aber auch einzelne Begriffe nachzuschlagen. Es versammelt eine Auswahl der gebräuchlichen Stilmittel; auf eine kurze Definition folgen jeweils einige signifikante Beispiele. Bei der Auswahl dieser Beispiele wurde versucht, mindestens jeweils eines aus Rede, Dichtung und Geschichtsschreibung vorzustellen, wobei vor allem Texte der Schulautoren Caesar, Catull, Cicero, Livius, Martial, Ovid, Phaedrus, Sallust, Tacitus und Vergil Berücksichtigung fanden.

Die Stilanalyse

Durch Wortwahl oder Wortstellung kann ein einzelner Satzteil herausgestellt, ein beschriebener Sachverhalt oder eine Situation besonders anschaulich, betont, deutlich, gegliedert oder lebendig dargestellt und hinzu noch Aufmerksamkeit erregt, Spannung oder Mitgefühl erzeugt werden. Der Leser soll mit dem Schreiber die leidenschaftliche Erregtheit der Situation teilen, sich betroffen zeigen, mit ihm leiden oder aber sich freuen; die Handlung soll durch den Einsatz von Stilmitteln an Lebendigkeit gewinnen und wie ein Film vor dem inneren Auge des Lesers ablaufen.

Cicero äußert sich im Folgenden über die Aufgaben eines Redners, doch kann diese Aussage auch verallgemeinert auf die Literatur seiner Zeit bezogen werden (Cic. de orat. 2,115):

ita omnis ratio dicendi tribus ad persuadendum rebus est nixa, ut probemus vera esse, quae defendimus; ut conciliemus eos nobis, qui audiunt; ut animos eorum, ad quemcumque causa postulabit motum, vocemus – So stützt sich die gesamte Redekunst, um zu überzeugen, auf drei Faktoren: (erstens,) dass wir beweisen, dass das, was wir vertreten, wahr ist, (zweitens,) dass wir diejenigen für uns gewinnen, die zuhören, (drittens) dass wir ihre Sinne in diejenige Stimmung versetzen, welche die Sache gerade erfordert.

Jeder Redner versuchte mit besonderen Mitteln, die Zuhörer für sich und sein Anliegen zu gewinnen; dies erreichte er zum einen natürlich mit inhaltlichen Argumenten, zum anderen aber auch mithilfe seiner Ausdrucksweise, Gestik und Mimik. Ein Schriftsteller aber – um es allgemein auszudrücken – konnte sich nur auf seine Ausdrucksweise, seinen Stil, stützen und dann noch auf einen guten Vorleser (lector) hoffen.

Stilmittel dienten also im Grunde dazu, im geschriebenen Text die fehlende Ausdruckskraft von Mimik und Gestik zu ersetzen; der Rhythmus, die Anordnung langer und kurzer Silben (Versmaß), war ein weiteres solches Werkzeug.

Da allgemein laut gelesen wurde (ore legere) bzw. man vorlesen ließ, musste – kurz gesagt – der Stil so ausgelegt sein, dass, wie das Cicero-Zitat zeigt, das Ziel des Belehrens und Beweisens (probare, docere), des Gewinnens und Erfreuens (conciliare, delectare) und des Bewegens und Erregens (movere, concitare) erreicht wurde.

Bei den Stilmitteln unterscheidet man zwischen Tropen und Figuren. Bei einem Tropus handelt es sich immer um ein einzelnes Wort; es wird vertauscht mit einem anderen Wort oder Ausdruck, der einem verwandten Vorstellungsbereich entstammt.

Von Figuren spricht man im Zusammenhang mit Wortgruppen, mit denen eine schmucklose Sprache kunstvoll verändert werden sollte.

Eine rein technische Analyse, ein einfaches Feststellen von Stilmitteln darf nicht genügen:

Beispiel aus Caesars De bello Gallico (1,1,2):

hi omnes lingua, institutis, legibus inter se differunt – Diese alle unterscheiden sich durch ihre Sprache, durch ihre Einrichtungen und Gesetze.

Dieser Satz enthält rein formal ein Asyndeton und ein Trikolon. Es muss aber geprüft werden, ob die drei Begriffe nur eine reine Aufzählung oder eine Steigerung darstellen sollen. Einen Unterschied in der Sprache (lingua) stellt man fast bei jedem Volk fest, da es verschiedene Mundarten gibt; ebenso gibt es Unterschiede in den Einrichtungen (institutis), die ja auch heute regional unterschiedlich sein können; aber eine Unterscheidung durch Gesetze (legibus) wiegt schwer. Es liegt also eine Klimax vor; das Asyndeton gibt den Berichtsstil Caesars wieder.

Beispiel aus Ciceros 2. Rede gegen Catilina (2,1):

non in campo, non in foro, non in curia, non denique intra domesticos parietes pertimescemus – Nicht auf dem Marsfeld, nicht auf dem Forum, nicht in der Kurie, schließlich nicht in unseren häuslichen Wänden werden wir uns fürchten müssen.

Leicht erkennbar ist formal eine Anapher mit dem vierfachen non, ein Parallelismus (non in campo, non in foro, non in curia), eine erweiterte vierte Aussage (non denique intra domesticos parietes) und eine Alliteration (parietes pertimescemus). Prüft man gründlicher, kann man auch eine Antiklimax ausmachen (campo, foro, curia, domesticos parietes): Die geschilderten Räume werden immer kleiner.

Aber das allein kann nicht Ciceros Absicht gewesen sein: Er wollte doch mit seiner Rede vor dem Volk darauf hinweisen, dass es sich zu jeder Zeit und an jedem Ort sicher fühlen kann; also ist in diesem Sinne hier auch eine Klimax zu sehen. Das Asyndeton mit Trikolon spitzt die Klimax zu. Weiter sollte man sich Ciceros Gestik und Mimik sowie seine Sprechpausen und die sich wohl steigernde Reaktion, den Beifall der Zuhörerschaft, vorstellen.

Beispiel aus Ovids Metamorphosen

Vor dem Einsetzen der eigentlichen Handlung zeichnet Ovid in seinen Metamorphosen oft ein Szenenbild, um dem Leser den Ort des Geschehens vor Augen zu führen. Geradezu wie ein Kameramann zoomt er dann näher an die handelnden Personen heran.

Schon in den ersten Versen der hier vorliegenden Passage zu »Orpheus und Eurydike« (Ov. met. 10,1–77) deutet Ovid mit einem Polysyndeton mit Trikolon, einer Klimax und der Litotes (nec felix) an, dass die Geschichte ein tragisches Ende nehmen wird (Ov. met. 10,4 f.):

adfuit ille quidem, sed nec sollemnia verba / nec laetos vultus nec felix attulit omen – Jener (der Hochzeitsgott) war zwar zugegen, aber er brachte weder feierliche Worte noch fröhliche Gesichter noch ein glückliches Vorzeichen mit.

Nach der einleitenden Erzählung redet Orpheus die Götter der Unterwelt direkt an, eine Captatio benevolentiae (Ov. met. 10,17):

… o positi sub terra numina mundi – O ihr Götter der unter die Erde gesetzten Welt

Auffallend ist die Emphase.

Orpheus rechtfertigt sein Erscheinen in der Unterwelt (Ov. met. 10,23):

causa viae est coniunx – Der Grund des Weges ist meine Gattin.

Diese Aussage wird besonders betont durch das exponiert gesetzte coniunx.

Voller Bitterkeit über den frühen Tod seiner Gattin und das anscheinend nicht vorhandene Einfühlungsvermögen bei den Göttern der Unterwelt spricht Orpheus sarkastisch (Ov. met. 10,26 f.):

vicit Amor; supera deus hic bene notus in ora est / an sit et hic, dubito – Gesiegt hat Amor; oben auf der Welt ist dieser Gott gut bekannt, ob auch hier, das bezweifle ich.

Doch ihm und damit auch der Leserschaft scheint aufzufallen, dass er mit den Göttern so nicht reden darf und seinen Sarkasmus zügeln muss.

Orpheus nimmt ihn in den folgenden Versen deutlich zurück (Ov. met. 10,27 ff.):

… sed et hic tamen auguror esse, / famaque si veteris non est mentita rapinae, / vos quoque iunxit Amor – Aber ich vermute dennoch, dass er auch hier bekannt ist, wenn die Kunde des früheren Raubes nicht gelogen ist; auch euch hat Amor verbunden.

Amor ist exponiert an die letzte Stelle im Vers gesetzt. Die Geminatio et hic zeigt die enge Verbindung beider Aussagen an.

Die Verzweiflung des Orpheus wird wiederum durch diese sarkastische Aussage deutlich (Ov. met. 10,38 f.):

quod si fata negant veniam pro coniuge, certum est / nolle redire mihi: leto gaudete duorum – Wenn aber das Schicksal die Gnade für meine Gattin verweigert, ist es sicher für mich, nicht an die Erdoberfläche zurückkehren zu wollen: Erfreut euch an dem Tod beider.

Orpheus ist bereit zum Selbstmord, falls sein Begehren kein Gehör finden sollte.

Zum Ende überlässt es Ovid der Leserschaft, ob sie sich mit Eurydike oder Orpheus identifizieren will, indem er die eindeutige Bestimmung des Genus der handelnden Person offenlässt (Ov. met. 10,58 f.):

bracchiaque intendens prendique et prendere certans / nil nisi cedentes infelix adripit auras – Offen die Arme ausstreckend, kämpfend gefasst zu werden und (selbst) zu fassen, fasst der/die Unglückliche nichts außer weichender Luft.

Zur Benutzung dieser Ausgabe

Einige Bezeichnungen von Stilmitteln haben ihren Ursprung im Griechischen; die Betonung wird in diesem Fall durch einen Akzent dargestellt.

Mit wird auf vergleichbare Stilmittel verwiesen. Die Abkürzungen der Autoren und ihrer Werke werden im Anhang aufgelöst.

Jeder Artikel besteht im Prinzip aus folgenden Elementen:

Das Stilmittel

Definition bzw. Erklärung

Deutsches Beispiel

Verweis auf vergleichbare, gegensätzliche oder auch zugleich vorkommende Stilmittel

Stellenangabe: Zitat – Übersetzung

ggf. weitere Erklärung/Einordnung

Bei der Übertragung der Beispielsätze ins Deutsche wurde der Wörtlichkeit gegenüber einer besseren Lesbarkeit der Vorrang gegeben. Es wurde versucht, die stilistischen Besonderheiten der gebotenen Zitate auch ins Deutsche zu übertragen, was nicht immer möglich war. Bei der Bewertung der Stilmittel muss der entsprechende Kontext des lateinischen Zitats herangezogen werden, worauf in dieser Ausgabe aus Platzgründen verzichtet wird. Alle lateinischen Zitate erscheinen mit Ausnahme der Namen in Kleinschreibung; Auslassungszeichen (…) sind nur dort gesetzt, wo es für das Textverständnis wichtig ist.

Lateinische Stilmittel

(Auswahl)