Christoph Neuenschwander; Beatrice Kaufmann; Christof Ramser
Solothurn
Porträt einer Stadt
Impressum
»Es lit es Stedtli wunderhübsch am blauen Aarestrand, ’s isch immer so gsi, ’s isch immer so gsi.«
Solothurner Lied, Carl Robert Enzmann
1 Solothurn ist meine Seele
Sami Daher verwöhnt im Lokal Pittaria
2 Die andere Welt mitten in der Stadt
Taucherin Pema Bannwart entrümpelt die Aare
3 Auch Kaffeetrinken gehört zum Job
Peter Fedeli inoffiziell auf Streife im Restaurant Bistraito
4 Die Ambassadoren liessen Münzen regnen
Der Ritter von Beauteville residierte im Ambassadorenhof
5 Die Sagensammlerin, die schreiben musste
Elisabeth Pfluger reminisziert in der Confiserie Suteria
6 Die ersten Heiligen
Urs und Viktor sind in der Dreibeinskreuz-Kapelle verewigt
7 Solothurn noch lebenswerter machen
Architekten vom Verein Masterplan in der Hauptbahnhofstrasse
8 Wie der Bildungsminister ins Museum kam
Samad Qayumi restaurierte Harnische im Alten Zeughaus
9 »Meine Lust am Theater ist unbändig«
Dieter Kaegi ist Direktor des Stadttheaters
10 Eine Art Schatzsuche
Chris von Rohr entspannt sich in der Verenaschlucht
11 Der Stadtpräsident in der Patrizier-Beiz
Kurt Fluri verbringt unzählige Stunden im Von-Roll-Zimmer
12 Wo die Herkunft keine Rolle spielt
Emebet Gebeyehu singt im Proberaum des Chors der Nationen
13 Der Chef, der keiner ist
Michael Wilhelm leitet die Genossenschaft Kreuz mit
14 Wo die Stadt noch ein wenig schöner ist
Gadi Saiti und Jürg Maeder wachen über den St.-Ursen-Turm
15 Der Märetfescht-Präsi aus der Ostschweiz
Chris van den Broeke mag die Brunnenbar auf dem Klosterplatz
16 Sie muss Leute und Material spüren
Eva Gauch leitet das Kulturzentrum Altes Spital
17 »Man muss Bier und Menschen gern haben«
Alex Künzle gründete die Öufi-Brauerei
18 Das darf nur der Oberchessler!
Reto Stampfli chesslet als Erster auf dem Friedhofplatz
19 Der Lieblingsplatz der Hochzeitspaare
Martin Geissbühler und die Blumenpracht der Chantier-Anlage
20 Das wilde Mädchen vom Friedhofplatz
Marguerite Mistelis Grossmutter führte die Weinstube
21 Aalglatt sein? Ist nicht sein Ding.
Wolfgang Wagmann spielte auf der Riedholzschanze
22 Er kennt jeden Winkel der Stadt
Kurt Käser putzt am liebsten den Verenaweg
23 »Hallo, hier ist der Araber«
Thair Alsaadi fand sein Zuhause im Landsitz Glutzenhübeli
24 Singknaben-Freundschaft hält ewig
Andreas, Silas und Nourdin musizieren im Pfarreiheim
25 Die Solothurner Literaturtage
Veronika Jaeggi leitete das Festival an der Buchrainstrasse
26 »Essen sollen sie die anderen«
Michael Leuenberger bäckt an der Herbstmesse Berliner
27 Sie erhalten die »schönste Barockstadt«
Mit Pius Flury und Martin Stebler auf der Jesuitenkirche
28 Am besten Flecken der Stadt
Marzio Strazzini mittendrin auf dem Marktplatz
Marzio Strazzini mittendrin auf dem Marktplatz
29 Zu Hause im »viereckigen Wasser«
Carla Stampfli liebt den Chlorduft im Freibad an der Aare
30 Wo Mami, Papi und Kids im Ausgang sind
Pipo Kofmehl über den Erfolg der Kulturfabrik
31 Wo sich die Stadt nach oben öffnet
Cellistin Barbara Gasser flaniert im Kunstmuseumspark
32 »Man muss mit Stil durchs Leben gehen«
Andy Zaugg kocht im Restaurant zum Alten Stephan
33 Felix-Bier kommt beim Namensgeber gut an
Mit Bischof Felix Gmür im Schloss Steinbrugg
34 Der Industrie auf der Spur
Silvano Cerutti erforscht die Geschichte der Firma Roamer
35 Im Rausch der grünen Fee
Roger Liggenstorfer führt die einzige Absinthe-Bar im Land
36 Mythen um einen berühmten Solothurner
Niklaus von Wengis »Heldentat« auf der Wengibrücke
37 Der wohl grösste Solothurner Märetfahrer
Niklaus Bolliger verkauft seit 30 Jahren in der Hauptgasse
38 Übersetzungsmarathons und Rauchpetarden
Ueli Blaser erzählt im Landhaus vom Leben an den Filmtagen
39 Balanceakt zwischen Seelsorge und Stille
Schwester Benedikta war Eremitin der Einsiedelei St. Verena
40 Das letzte Original
Fritz Beetschen musiziert auf dem Kreuzackerplatz
Karte
Bildverzeichnis
Quellenverzeichnis
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Kamele. Wo man hinblickt in der Pittaria, sie sind schon da. »Jedes Jahr kommt eines hinzu«, sagt Sami Daher. Mindestens. Seit 1997 betreibt er das orientalische Imbiss- und Teehaus. Für ihn sind die Höckertiere Ausdruck der Weisheit und des Wissens. Und ein Mittel gegen den Schmerz. Es werden noch viele hinzukommen müssen, um die seelische Pein zu überwinden, die den lebensfrohen Palästinenser nie ganz verlässt.
Es ist Sonntagmorgen. Im Lokal an der Theatergasse ist nach einer geschäftigen Woche Ruhe eingekehrt. Nur vereinzelt schlendern vor dem grossen Schaufenster Passanten vorbei. Jeder Zweite wendet den Kopf und nickt. Der Mann mit dem glänzenden Kahlkopf, der auf der niedrigen Bank hinter der Scheibe sitzt, ruft ein herzliches »Ciao« hinterher. Fast alle nennt er beim Namen. Die Pittaria ist ein Magnet, selbst wenn sie geschlossen ist.
Wieder gingen reihenweise Falafel, Hallumi, Schisch-Kebab, Betanjan oder Sabanech über die grün angestrichene Theke. Hunderte Pittabrote hat Sami Daher in der vergangenen Woche gebacken und die Feinschmecker mit 120 Kilo Chutney versorgt. Gastronomie-Fachleute überbieten sich mit Lob. Für manche gilt die Pittaria als bester Imbiss der Schweiz. Diverse Auszeichnungen dokumentieren den Erfolg.
Für Sami Daher ist es eine Bestätigung seiner Arbeit. Als er eine Filiale in Bern eröffnete, priesen ihn die Hauptstädter wie einen Messias. Falafel als religiöser Fetisch. Manchmal geht die Vereinnahmung dem sensiblen Pittabäcker zu weit. Sie brachte ihn einst an den Rand der Überlastung. Er wollte sich zurückziehen, ging mit Scheuklappen durch die Gassen, haderte damit, ständig erkannt zu werden.
Geboren wurde Sami Daher 1958 in Nazareth. Von acht Geschwistern war er der Zweitjüngste. »Wir lebten in ganz normaler Armut«, beginnt er seine Geschichte zu erzählen. Der Vater, ein einfacher Verdiener, betrieb am Basar in der Altstadt einen Krämerladen. In den Regalen standen Olivenöl, Reis, Zucker, Getränke, Spielzeug, Haarspangen, Lippenstift. »Alles, was man für den Alltag braucht.« Einmal pro Woche kam Fleisch auf den Tisch. Für den kleinen Sami fiel neben zwölf hungrigen Mäulern bloss ein Stücklein ab.
Die Familiengeschichte war geprägt von Daher el-Omar. Erzählt Sami Daher von ihm, beginnen seine Augen zu leuchten, als stünde der charismatische Vorfahre leibhaftig in der Pittaria. Über 40 Jahre herrschte er über einen grossen Teil Palästinas, unabhängig vom Osmanischen Reich. Er brachte wirtschaftlichen Aufschwung und Frieden. Händler aus aller Welt trieben ihre Geschäfte in der Region, Überfälle von Beduinen auf den Handelswegen blieben aus. Sami Daher identifiziert sich mit der glorreichen Familiengeschichte, und sie macht ihn angesichts der heutigen Situation der Palästinenser traurig. »Ich bin zur Welt gekommen in eine zerstörte Kultur, durfte nicht in einer florierenden Gesellschaft aufwachsen. Weil uns dies durch Belagerung genommen wurde.« Die Risse des Nahost-Konflikts ziehen sich durch Sami Dahers Seele.
Die Kamele sind ein Symbol für Weisheit und Wissen
Als Teenager übernahm er den Krämerladen vom kranken Vater. Er ergänzte das Sortiment, bildete sich weiter, schrieb Gedichte. Sein Leben in Palästina war vorgespurt. Bis Sonja auftauchte. Die Schweizerin arbeitete in Nazareth als Krankenschwester in einem christlichen Missionarsspital. Der Krämer vom orientalischen Basar verliebte sich. Es war die erste Liebe, und der junge Mann mochte sein Begehren nicht verstecken, lebte die Zuneigung gegen den Willen der Eltern öffentlich aus.
»Das war in einer konservativen Gesellschaft mit klar verteilten Rollenbildern nicht einfach. Gegen diese Strukturen rebellierte ich.« Sonja blieb ein Jahr, das Paar wuchs zusammen. Dann kehrte sie zurück, und er fiel in ein Loch. »Ich war wie ausgelöscht, habe zwei Monate nicht geschlafen.« 1980, als 22-Jähriger, brach er Hals über Kopf in die Schweiz auf. »Ich wollte nur eines: sie wiedersehen.« Der Stadt seiner Kindheit, seiner Jugend und seines grossen Clans kehrte er den Rücken. »Das war schwierig. Das Ankommen in der Schweiz war ein Sprung ins trübe Wasser. Ich hatte keine Sicht.«
Aber er hatte Sonja wieder. Die beiden heirateten, bekamen drei Kinder: Janine, Karim und Selim. Er bildete sich in der psychiatrischen Klinik Rosegg in einer dreijährigen Lehre zum Psychiatriepfleger aus. Nicht bei allen Arbeitskollegen war der Einwanderer willkommen. Die ständigen Teamwechsel setzten ihm zu. Sein erster Pflegefall, eine alte Dame, fragte ihn nach seinem Pass. »Israelisch«, antwortete er. Da geriet die Frau ins Schwärmen über die fleissigen und intelligenten Israeli. Ganz anders die Palästinenser, behauptete sie, dies seien schmutzige, dumme und faule Leute.
Der junge Pfleger brachte nicht über die Lippen, dass er Palästinenser mit israelischem Pass ist. Nach zwei Monaten rückte er mit der Wahrheit heraus. Und auf einmal beschimpfte die Frau die Juden als schlechte Menschen. »Geizig und blutsaugend.« Jetzt protestierte der Pfleger scharf gegen die Vorverurteilungen. Die Anekdote wühlt ihn noch heute auf. Er seufzt. »Es ist dieser mangelnde Respekt, diese Fragen zu Herkunft und Existenz, diese Einteilung in Schwarz und Weiss, die mich schmerzen lässt.«
Aus Solidarität mit seiner Heimat engagierte er sich für die Gesellschaft Schweiz–Palästina. An vielen Anlässen bereitete er Falafel zu. Oft rief er seine Mutter in Nazareth an, fragte nach Rezepten. Bei Besuchen in der alten Heimat stand er in der Küche, beobachtete und lernte. Bald regnete es Komplimente für seine Gerichte. Sami Daher experimentierte, fügte aus den Küchen der Welt Noten hinzu und fand seinen eigenen Stil. Das indisch inspirierte Chutney entstand, heute eine unverzichtbare Zutat seiner Gerichte. Die würzige Sauce besteht aus Äpfeln, Ingwer, Knoblauch, Kürbis und getrockneten Aprikosen.
Manchmal spielt der Gastronom mit den Zutaten, »um die Leute zu überraschen«. Dazu kommt Tahini, eine proteinreiche Sesampaste, aufgelöst mit Zitronensaft und Wasser, gewürzt mit Knoblauch, Paprika, Koreander, Kreuzkümmel und Salz. »Einfach, aber einmalig und gesund.« Schliesslich ein kräftig gewürztes Relish aus Zwiebeln, Peperoni, Tomatenmark und Olivenöl. Es ist das Zusammenspiel dieser drei Saucen, das den Pittaria-Jüngern das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Das Lammfleisch für die Schisch-Kebab wird jede Woche frisch aus Irland geliefert, Poulet- und Rindfleisch bezieht die Pittaria aus der Schweiz. Für das Tierwohl nimmt Sami Daher eine tiefere Marge in Kauf.
Der Duft der hausgemachten Pita-Brote erfüllt das Lokal
Mit dem Gastronomiebetrieb erwirtschaftet er nicht einfach den Lebensunterhalt für sich und seine Angestellten. In seinem Essen stecken Liebe, Leidenschaft und Selbstverwirklichung. Das sprach sich herum. Bald nach der Eröffnung wurde aus dem Insidertipp eine Institution. Zeitungsredaktoren wollten dem Geheimnis der Falafeln aus Solothurn auf die Spur kommen, das Lokal gewann den Swiss Gastro Award. Doch der Zauber der Pittaria wohnt nicht bloss zwischen den Fladenbroten. Er liegt in Sami Dahers Person, seinem Gesang, seiner Lebendigkeit – und dem Schmerz. »Ein fürchterlicher Schmerz, der nicht entweicht.«
Er erzählt von seinem Sohn Karim, der 2003 in der Aare ertrank. Er erwähnt die »zerstörte palästinensische Kultur«, den vergangenen wirtschaftlichen Reichtum seines Herkunftslandes. Davon zeugen Schwarz-Weiss-Aufnahmen der Daher-Familie, die zwischen Ornamenten und arabischen Schriftzeichen an den gelben Wänden der Pittaria hängen. Die Frauen tragen modische Kleider, zeigen Bein und Haarpracht. »Das ist das Bild der selbstbewussten Frau, das mir zuspricht.« Unterdrückung jeglicher Art ist ihm zuwider. Er schlägt ein Buch auf, schwärmt von der blühenden Vergangenheit Jaffas, einer multikulturellen Stadt mit wertvoller Architektur. Bilder zeigen prächtige Häuser und kunstvoll gezimmerte Möbel, Dielenmalereien italienischer Künstler, die florierende Orangen-Industrie. Wenn ihn heute junge Flüchtlinge aus Syrien oder Palästina nach Arbeit fragen, steigt der Kummer hoch. Manchen kann er ein Sprungbrett bieten für ein selbstständiges Auskommen. »Das ist wunderschön. Doch es tut weh, dass ich nicht allen helfen kann.«
Klaffen die seelischen Abgründe, kommen die Kamele in der Pittaria wie gerufen. Sie sind Lastenträger für die Bedrückung und spenden Kraft. Kehrt Sami Daher nach langen Arbeitstagen in Bern nach Solothurn zurück, sagt er: »Ich gehe nach Nazareth.« Die Grenzen seiner beiden Heimatstädte verwischen sich. »In Solothurn bleibe ich. Ich habe mich integriert in der Stadt und die Stadt in mir selbst integriert. Solothurn ist meine Seele.«
Pittaria – das orientalische Imbiss- und Teehaus
Theatergasse 12
4500 Solothurn
www.pittaria.ch
Solothurn liegt am Meer. So lautet nicht bloss der Titel eines Buches von Franco Supino. So steht es auch in grossen blauen Lettern auf der Promenade am Südufer der Aare geschrieben, direkt vor der Hafenbar. An sonnigen Nachmittagen oder in lauen Sommernächten sitzen dort scharenweise Menschen auf der Aaremauer, geniessen das Dolce Vita und trinken ein Glas Wein oder ein Bier. Genau das gleiche Bild zeigt sich am Landhausquai am Nordufer, wo zahlreiche Bars die Aare säumen. Das mediterrane Treiben am Aarestrand führt allerdings dazu, dass das Flussbett mit heruntergefallenen Gläsern und Flaschen geradezu übersät ist.
Pema Bannwart sitzt in einem schwarzen Neoprenanzug an der Aare und bereitet sich auf ihren Tauchgang vor. Es ist ein heisser Tag im August und der Tauchclub Solothurn führt seine alljährliche Aare-Entrümpelung durch. Um Gläser aufzusammeln, wie der Laie vermuten möchte. Aber Pema Bannwart winkt ab. »Glas sammeln wir kaum, denn für die Umwelt ist es nicht besonders schlimm. Oft leben sogar Flusskrebse in den Gläsern.« Wichtiger finde sie, möglichst viel Plastik aus dem Wasser zu holen. »Plastik ist sehr schädlich«, sagt sie und schaut auf den Fluss, der gemächlich durch die Altstadt zieht.
Die Aare hat es der jungen Lehrerin angetan. »Der Flussabschnitt hier in Solothurn ist einer der schönsten Tauchplätze der Schweiz. Man sieht Hechte, Egli, Forellen, Aale, Krebse, Welse …« Und dann eben ganz viel Gerümpel, das eigentlich nicht in den Fluss gehört. »Es ist erstaunlich, was man hier alles findet. Wir haben in den vergangenen Jahren schon zweimal einen gestohlenen Tresor geborgen. Einer war leer, der andere noch voll.«
Diebesgut lande sehr oft im Wasser: geklaute Brieftaschen und haufenweise Fahrräder, zum Beispiel. Und es ist schon beinahe absurd, wie viele Baustellen-Schranken und Verkehrsschilder die Taucherinnen und Taucher aus dem Fluss holen. »Einmal haben wir einen riesigen Teppich gefunden«, erzählt Pema Bannwart, die seit 2009 Mitglied des Tauchclubs ist. Seit 2011 gibt sie als Chefredaktorin das Cluborgan heraus, das dreimal jährlich erscheint.
Sie hievt ihre Sauerstoffflaschen hoch und klettert ins Boot, das die rund 20 Aare-Entrümpler immer paarweise an ihre jeweiligen Tauchplätze bringt. »Unter Wasser ist man in einer anderen Welt«, schwärmt Bannwart. »Es ist eine Welt, die von vielen Menschen nicht wahrgenommen wird und der gegenüber sie sich nicht verantwortlich fühlen. Es ist unglaublich, was alles achtlos ins Wasser geworfen wird.« Sie schüttelt den Kopf und zuckt mit den Schultern. »Schuld daran hat unsere Wegwerfgesellschaft.«
Pema Bannwart hat in der Aare eine »Schatzkiste« gefunden
Das Boot legt ab. Am Steuer steht Urs Jenni, der technische Leiter des Tauchclubs Solothurn. Er hat die ersten Tauchteams bereits abgeladen. Nun ist Pema an der Reihe. Zwei Tauchgänge stehen heute auf dem Programm. Jeder dauert etwa eine Stunde. »Mehr ist nicht möglich, das wäre ungesund«, erklärt Jenni. Immerhin ist die Aare in Solothurn rund neun Meter tief. Das ständige Ab- und Auftauchen, um Material vom Grund an die Oberfläche zu bringen, stelle eine grosse physische Belastung dar.
Pema Bannwart lässt sich von diesen Strapazen nicht beirren und freut sich auf ihre Aufgabe. Mit dem Tauchen habe sie etwa 2008 angefangen, an einem Schulungsplatz im Bielersee. Aber bald zog es die Solothurnerin in die Aare. »Man hängt sich einfach ein bisschen mehr Blei um, damit es einen nicht davonspühlt«, erklärt sie. Aber ansonsten sei es keine grosse Umstellung. Sie lässt sich ins Wasser fallen und verschwindet kurz darauf in ihrer verborgenen Welt.
Urs Jenni steuert sein Boot weiter flussaufwärts. Er verjagt Motorboote, deren Kapitäne trotz Signalisierung nicht bemerkt haben, dass es heute im Fluss von Tauchern nur so wimmelt, und kümmert sich um das Wohlergehen seiner Vereinsmitglieder: bringt ihnen Trinkwasser, koordiniert die Entrümpelung. Ein Floss fährt von Tauchplatz zu Tauchplatz und sammelt ein, was die Taucher an die Wasseroberfläche bringen. Auf der Kreuzackerbrücke steht zusätzlich ein Galgen, mit dem schweres Material aus dem Fluss gezogen wird.
1976 wurde der Tauchclub Solothurn gegründet. Bereits 1978 führte er zum ersten Mal eine Aare-Entrümpelung durch. Ehrenamtlich, versteht sich. Die Stadt habe sich noch nie für die Dienstleistung bedankt, bedauert Jenni, während sich auf dem Kreuzackerplatz nach und nach eine ganze Mulde mit Abfall füllt. Auf einem Tischchen gleich daneben liegt der Schmuck aus, den die Taucher aus den Tiefen des Flusses geborgen haben: alte Uhren, Halsketten und Ohrringe.
Auch Pema hat eine Schatztruhe gefunden: eine Kasse voller Münzen. »Das Entrümpeln ist körperlich zwar anstrengend, aber es befriedigt ungemein, wenn ich am Ende sehe, was ich alles rausgeholt habe«, erklärt sie nach dem zweiten Tauchgang. »Und die Suche stillt einen kindlichen Entdeckergeist, wenn man Gerümpel aus dem Sand ausgräbt, der schon fast völlig verborgen war«, sagt sie und schmunzelt.
Aare
Kreuzackerbrücke
4500 Solothurn
www.tauchclub-solothurn.ch
Wallander, Brunetti, Durandt – was die Helden aus den Federn von Henning Mankell, Donna Leon und Andreas Franz erleben, ist für manchen Krimifan Unterhaltung auf höchstem Niveau. Von ihren fiktiven Mordfällen will ich mich bei meinem heutigen Interview aber lieber nicht leiten lassen. Stattdessen betrete ich möglichst unvoreingenommen den Polizeiposten, wo ich auf einen bestens gelaunten Peter Fedeli treffe. Auf dem kurzen Spaziergang ins Restaurant Bistraito wird der Kommandant immer wieder in kurze Gespräche verwickelt. Sichtlich erfreut über die spontanen Begegnungen, lässt er sich erzählen, was seine Gesprächspartner beschäftigt.
In der blauen Uniform ist Fedeli als Polizist leicht erkennbar. Doch auch ohne sie dürfte er in jedem Winkel der Stadt erkannt werden, ist er doch seit über 30 Jahren im Dienst der Stadtpolizei. »Ich hatte das grosse Glück, dass ich immer denselben Arbeitgeber, aber nicht immer denselben Job hatte.« So begann Fedeli seine Karriere in den 80er-Jahren als Polizeibeamter, wechselte später in die Verkehrspolizei, bildete sich zum Verkehrsinstruktor weiter und unterrichtete als solcher in den 90ern gut 2.000 Kinder in Sachen Verkehrssicherheit.
Als wir im Bistraito Platz nehmen, trifft Fedeli wieder auf bekannte Gesichter. »Die Kontaktpflege gehört einfach dazu. Ich treffe immer wieder jemanden, kann kurz einen Kaffee trinken gehen und das ist sehr schön«, bemerkt er strahlend. Die Polizei lebe von Informationen. Zudem schätze er es, so nahe am Bürger zu sein. Für Termine – oder auch für dieses Interview – verabrede er sich daher gerne in der Stadt. Dass er zu einer öffentlichen Person geworden ist, scheint er gerne in Kauf zu nehmen. Selbst wenn ihn das bis in die Ferien verfolgt: »Als wir mal in Italien in einem Restaurant sassen, kam ein Kind zu mir, rüttelte an meinem Stuhl und sagte, es kenne mich von der Verkehrsinstruktion«, was der Vater zweier erwachsener Kinder mit einem Lächeln erzählt.
Das Bistraito lockt im Sommer auch mit Glace
Angesichts der guten Laune Fedelis vergesse ich fast, dass ich einem Polizisten gegenübersitze, der öfter als manch anderer die Schattenseiten des Lebens gesehen hat. Wie gesagt, von Mankell und Co. lasse ich mich nicht leiten, meine offene Frage zielt daher auf die Momente ab, die Fedeli besonders geblieben sind. Seine Antworten lassen mich dann doch an meine Lektüre denken. Es sei schwierig, aus all den Jahren etwas herauszupicken. »Wir hatten mal um 4 Uhr morgens Feierabend, da kam ein Anruf, dass in Zuchwil etwas passiert sei. Als wir ankamen, sahen wir dort einen Töfffahrer, der in eine Signalanlage gefahren war. Wir waren mit der völlig falschen Erwartung angekommen, der Fahrer ist noch auf der Unfallstelle verstorben.« Einmal habe er eine Wasserleiche bergen müssen, andere Male Messiewohnungen betreten. Und im Nachtdienst seien er und seine Kollegen mal mit einer Waffe bedroht worden, die sich später als Spielzeugwaffe herausgestellt habe. »Das gehört aber alles dazu, damit lebt man auch.«
Seit 2002 ist Fedeli offiziell Kommandant der Stadtpolizei und damit seltener auf der Strasse in Solothurn anzutreffen. Seine Schreibtischarbeit hat mit dem Karrieresprung zugenommen. Das sei aber grundsätzlich so bei der Polizei, auch seine Mitarbeiter verbringen mehr Zeit im Büro als das noch vor dreissig Jahren der Fall war. »Mit der neuen Strafprozessordnung haben sich die Vorgaben verändert.« Zudem würden Anwälte verstärkt auf Formfehler achten, weshalb der Qualitätssicherung der Rapporte ein grosses Augenmass geschenkt werden müsse. Ausserdem gebe es wesentlich mehr Einvernehmungen. Und wer einvernehme, fehle draussen auf der Strasse. Dennoch ist die Polizei in Solothurn natürlich präsent – wenn sie dabei auch nicht immer sichtbar ist. »Wir wollen den Bürgern ja nicht das Gefühl geben, dass sie in einem Polizeistaat leben.« Die Konsequenz sei ein stetes Abwägen zwischen Präsenz markieren und Freiheiten lassen. »Zum Beispiel jetzt auf dem Märet sind Taschendiebe und Bettler unterwegs, da schicken wir die Leute in zivil.« Sind die Polizisten zu häufig in zivil unterwegs, komme in der Bevölkerung bald das Gefühl auf, die Polizei unternehme angesichts dieser Problematik zu wenig. »Schicken wir die Leute hingegen in Uniform in die Stadt, heisst es: ›Ja so fangt ihr garantiert keinen.‹«
»Solothurn ist ein Bijou einer Stadt und es macht schon stolz, wenn man hier arbeiten darf.« Er helfe gerne mit, Sicherheit und Wohlbefinden weiterzuentwickeln. Und »Solothurn ist touristisch«. Es interessiere ihn folglich, wie Touristen die Barockstadt wahrnehmen. Was die Zukunft bringt, weiss auch der Hüter des Gesetzes nicht. Seinen Job möchte er noch möglichst lange ausführen. »Offiziell wären’s noch acht Jahre. Ich nehme acht und alles, was drunter ist.«
Restaurant Bistraito
Marktplatz 1
4500 Solothurn
www.bistraito.ch