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IMPRESSUM

Torsten Woywod

In 60 Buchhandlungen durch Europa

Meine Reise zu den schönsten Bücherorten unseres Kontinents

eISBN: 978-3-959100-84-7

Eden Books

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

Copyright © 2016 Edel Germany GmbH, Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edenbooks.de | www.facebook.com/EdenBooksBerlin | www.edel.com

1. Auflage 2016

Einige der Personen im Text sind aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes anonymisiert.

Projektkoordination: Svenja Monert und Nina Schumacher

Lektorat: Sylvia Gredig | www.wortfischen.de

Umschlag- und Innenteilgestaltung: Johanna Höflich | www.johannahoeflich.de

Lithografie und Bildredaktion: Frische Grafik| www.frische-grafik.de

Satz und E-Book-Konvertierung: Datagrafix Inc., www.datagrafix.com

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden

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1. Kapitel

NIEDER
LANDE

Einmalige Kulisse: Der Boekhandel Dominicanen ist in der ältesten gotischen Kirche der Niederlande beheimatet.

Es geht los! Am Morgen des 10. Juli nehme ich den Bus Richtung Maastricht und habe dabei – zugegebenermaßen – gemischte Gefühle im Gepäck. Als ich meinen übervollen Reisetrolley, der mehr als dreißig Kilogramm auf die Waage bringt, im Bus verstaut habe, breitet sich eine unbändige Vorfreude in mir aus – schließlich handelt es sich hierbei um nicht weniger als meinen großen, lang gehegten Traum, der genau jetzt in Erfüllung geht und mich den kommenden Tagen und Wochen des Reisens entgegenfiebern lässt. Zugleich spüre ich eine vage Unsicherheit. Immerhin bin ich diese Reise recht spontan angegangen. Gerade einmal fünf Wochen sind vergangen, seit ich den Entschluss dazu fasste, und jetzt breche ich auf, um innerhalb von vier Wochen Buchhandlungen in einem Dutzend Länder zu besuchen! Hätte es dafür nicht mehr Planung und Vorbereitung gebraucht, als eine lange Liste mit außergewöhnlichen und besonders schönen oder beliebten Buchhandlungen zu erstellen, zu jeder einen Google-Maps-Ausdruck sowie eine grobe Reiseroute? Ich habe nicht einen Nachtzug, nicht eine Fähre und nicht eine Unterkunft im Voraus gebucht, zumal ich mir auch die Möglichkeit bewahren wollte, meinen Aufenthalt an jenen Orten, die mir besonders gut gefielen, spontan verlängern zu können.

Als der Bus anfährt, wische ich die Zweifel in Gedanken fort. Jetzt freue ich mich einfach nur auf alles, was ich sehen und erleben werde. Und mit dem Blick auf die vorbeiziehende vertraute Gegend wächst auch die Abenteuerlust: Vor mir liegt ein ganzer Monat voller Freiheit und möglicher Überraschungen – inwieweit mein Geld für so viel Spontaneität während der Hauptreisesaison ausreicht, und ob das Roaming-Volumen der Herausforderung eines täglichen Reiseblogs standhält, scheinen mir da plötzlich Fragen zu sein, deren Beantwortung ein Teil dieser Herausforderung ist. Zufrieden lehne ich mich in meinem Sitz zurück und genieße die Wärme der strahlenden Sonne durch das Fenster.

Während der Fahrt lasse ich meinen Blick immer mal wieder durch den inzwischen gut gefüllten Bus schweifen. Kurz vor Maastricht dann, entdecke ich wenige Sitzreihen hinter mir eine junge Frau, ganz und gar in ein Buch vertieft. Während um sie herum gelacht, geredet und telefoniert wird, geht von ihr eine unerschütterliche Ruhe aus. Ich frage mich, ob sie Studentin ist, wie sie wohl heißen mag, und schaue ihr ein wenig beim Lesen zu. Ihre Blicke fahren rhythmisch über das Papier, und ihre Lippen bewegen sich fast unmerklich zu dem Gelesenen – fast so, als würden sie alles verarbeiten. Dann blickt sie auf, klappt das Buch zu und steckt es in ihre Umhängetasche; der Bahnhof Maastricht ist fast erreicht.

Obwohl der Buchumschlag nur für Sekunden in meinem Blickfeld war, habe ich den Titel sofort erkannt: Die junge Frau las In die Wildnis. Allein nach Alaska – Jon Krakauers eindrucksvolles und traurig-schönes Porträt eines jungen Amerikaners, der sich nach dem College von jeglichen Besitztümern trennt und eine unglaubliche Reise zu seinem persönlichen Glück antritt, fernab der gesellschaftlichen Konventionen. Eine Weile hänge ich in Gedanken dieser ungeheuerlichen wie berührenden Geschichte nach – gerade so lange, dass sie nicht mein eigenes Abenteuerempfinden zu schmälern vermag.

Bevor wir halten, zücke ich mein Handy und gebe auf Facebook Folgendes bekannt: »Update: Es geht los!«

Maastricht ist die Hauptstadt der Provinz Limburg und liegt im äußersten Südosten der Niederlande, wo sie von der Maas durchzogen wird. In den Niederlanden gilt Maastricht inzwischen als die Einkaufsstadt schlechthin und lockt – vor allem am Wochenende – auch zahlreiche Besucher aus Deutschland und Belgien an.

Warum das so ist, habe ich nicht nur in der Vergangenheit schon mehrfach erleben dürfen, sondern wird mir auch diesmal nachdrücklich vor Augen geführt, während ich die lang gezogene Promenade in Richtung Servaas-Brücke hinunterlaufe: Die ganze Stadt strahlt. Niederländische Blumenläden und köstlich duftende Waffelstände sprechen ebenso die Sinne der Passanten an wie die zahlreichen Cafés, Bäckereien und Restaurants. Auf der anderen Seite der Maas kommen nicht nur einige Boutiquen, Kaufhäuser und größere Supermärkte hinzu, sondern vor allem eine der eindrucksvollsten Buchhandlungen überhaupt:

BOEKHANDEL DOMINICANEN

Nur wenige Meter vom zentral gelegenen Entre Deux entfernt, das einst zum besten Einkaufszentrum Europas gewählt wurde, findet sich auf der Dominicanerkerkstraat 1 die älteste gotische Kirche der Niederlande (1294 fertiggestellt), die seit 2006 regelmäßig Bücherfans aus aller Welt zum Schwärmen bringt und vom britischen Guardian als »bookshop made in heaven« geadelt wurde.

Wenn man vor dem großen, bronzefarbenen Tor der Buchhandelskirche stehen bleibt, auf dem der Begriff »Bücher« in vielen unterschiedlichen Sprachen eingestanzt ist, und den Eingangsbereich beobachtet, kann man sehr gut zwischen jenen Besuchern unterscheiden, die zum ersten Mal den Boekhandel Dominicanen betreten, und denen, die zuvor schon einmal dort gewesen sind: Fast möchte ich wetten, dass es noch niemandem bei seinem ersten Besuch gelungen ist, nicht staunend im Foyer zu verweilen und ungläubig nach oben, in Richtung der Deckenfresken zu schauen.

Auch mir war es – natürlich – so ergangen, als ich die Buchhandlung vor rund drei Jahren zum ersten Mal besuchte. Nachdem ich zunächst im Internet viel Schönes von der Dominikanerkirche gesehen und gelesen hatte, wollte ich diesen Ort möglichst bald mit eigenen Augen erblicken.

Also wagte ich einen Ausflug nach Maastricht, wo es gleich beim Betreten der Buchhandlung um mich geschehen war. Seitdem bin ich oftmals hierher zurückgekehrt, um abermals durch die Gänge zu stöbern, den weltberühmten Karottenkuchen im hauseigenen Café zu essen oder einfach nur die unvergleichliche Atmosphäre zu genießen, die von dieser Buchhandlung ausgeht.

Und während ich mir diese schönen Erinnerungen ins Gedächtnis zurückrufe, wird mir bewusst, dass es demnach gar keinen besseren Auftakt für meine Reise hätte geben können.

Immer noch auf dem Kirchenvorplatz stehend, lasse ich meinen Blick noch einmal über die Fassade gleiten, wo sich über dem Eingangstor ein meterhoher Fensterbogen anschließt, in dem sich das wolkenlose Blau des Sommerhimmels spiegelt. Erst dann trete ich ein.

Das ohnehin schon eindrucksvolle Bild der aufwendig restaurierten Kirche und ihrem weitläufigen Inneren wird dabei durch ein riesiges, begehbares Bücherregal auf der rechten Kirchenhälfte abgerundet: Dreißig Meter lang und knapp 18 Meter hoch, verfügt es über drei Etagen, die frei im Raum stehen und für die Kunden ein umfassendes Bücher- und Musikalienangebot bereithalten; im Obergeschoss sind sogar einige antiquarische Schätze zu entdecken.

Durch das Konzept des offenen Raumes bieten die beiden Flügelseiten die wohl schönste Aussicht und geben jeweils den Blick auf die rund eintausendzweihundert Quadratmeter große Bücherwelt frei. Vor allem beim Betreten der Buchhandlung, wenn sich die Augen erst noch an das leicht grünstichige Licht der Dominikanerkirche gewöhnen müssen, ist dies ein unvergesslicher Eindruck.

Aber auch die gegenüberliegende Seite hat Besonderes zu bieten: Vorbei an den Bestsellern, den Krimis und den fremdsprachigen Titeln, findet sich hier die Kinderbuchabteilung, deren unangefochtener Liebling eine überdimensional große Plüschfigur mit Namen Nijntje (nach einer Cartoonfigur von Dick Bruna) ist.

Desirée, die leitende Buchhändlerin, die man im Zweifelsfall auch an ihren Gute-Laune-Grübchen erkennt, erzählte mir bei einem meiner ersten Besuche, dass vor allem die asiatischen Touristen verrückt nach Nijntje seien und unzählige Fotos mit ihm machten.

Neben der Kinderbuchabteilung schließt das Café Coffeelovers an, das sich mit seiner langen Theke und den zahlreichen Sitzgelegenheiten an die östliche Kirchenseite anschmiegt und von einem riesigen Rund-Kronleuchter imposant überthront wird.

Dass es hier nicht nur den besten Kaffee der Stadt gibt, sondern auch die leckersten Kuchen, passt da nur ins Bild.

Ich gehe ins erste Obergeschoss und stöbere auf dem Weg dorthin durch die im großen, mehrstöckigen Bücherregal ausgestellten Titel. Einige ausgewählte Bücher werden frontal präsentiert und sind teilweise mit einem persönlichen Tipp der Buchhändler ausgestattet – ich versuche, bekannte Titel auszumachen, und muss schließlich über die Entdeckung der niederländischen Version von Jonas Jonassons Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand schmunzeln. Überhaupt fällt auf, dass die niederländischen Buchumschläge deutlich farbenfroher und sehr individuell anmuten – Liebhaber von kreativ gestalteten Covern kommen hier voll auf ihre Kosten.

Im Obergeschoss lehne ich mich für einen Moment an die Balustrade und genieße die Aussicht: Während im vorderen Teil ständig neue Besucher die Buchhandlung betreten (und, ja: im ersten Moment oftmals stehen bleiben) oder verlassen, ist im hinteren Teil Gemütlichkeit angesagt. Im Café wird gegessen und geplaudert – in besonderen Fällen wird dieser Bereich aber auch umfunktioniert; etwa dann, wenn – wie in der Vergangenheit – bekannte Autoren wie Carlos Ruiz Zafón, Karin Slaughter oder John Boyne zu Gast sind.

Dabei kann die Dominikanerkirche nicht nur in ihrer heutigen Funktion als Buchhandlung, sondern ganz grundsätzlich auf eine ausgesprochen bewegte Vergangenheit zurückblicken: Bereits seit über zweihundert Jahren wird sie nämlich nicht mehr als Kirche, sondern mehr oder weniger funktional genutzt. So fanden hier neben Weihnachtsmärkten auch schon Boxkämpfe und Autoshows statt – und neben einem Intermezzo als Abstellraum für Fahrräder wurden sogar schon Karnevalssitzungen in der Dominikanerkirche abgehalten.

Doch auch als Buchhandlung ist sie scheinbar erst jetzt zur Ruhe gekommen: Nach einer aufwendigen Restaurierung zwischen 2002 und 2006 beherbergte sie zunächst einen Ableger der niederländischen Buchhandelskette Selexyz. Nachdem diese in eine finanzielle Notlage geraten war, wurde sie von einer Investorengruppe aufgekauft und fusionierte anschließend mit der belgischen Gebrauchtbuchkette De Slegte unter dem Namen Polare. Da es auch hier zu wirtschaftlichen Problemen und einem anschließenden Konkurs kam, sah es zunächst so aus, als wäre das Buchhandelskapitel der Dominikanerkirche endgültig abgeschlossen.

Im Frühjahr 2014 startete Ton Harmes, der zuvor schon als Filialleiter für Selexyz und Polare tätig gewesen war, dann jedoch eine groß angelegte Crowdfunding-Kampagne, die innerhalb kürzester Zeit einhunderttausend Euro in die Kassen spülte. Den größtenteils privaten Investoren wurden dabei im Gegenzug Belohnungen wie »eine Nacht in der Buchhandlung« angeboten. Harmes kaufte die Buchhandlung schließlich vom Treuhänder zurück und führt sie bis heute als unabhängiges Unternehmen weiter.

Als ich den Dominicanen-Buchhändler Peter an der Infotheke, die im Erdgeschoss der Außenseite zugewandt ist, entdecke, gehe ich schließlich wieder hinunter und gratuliere ihm sogleich. Vor wenigen Tagen ist er mit der Goldenen Nadel für seine vierzigjährige Buchhändlerzeit ausgezeichnet worden, wie ich im Internet gelesen habe. Wie immer trägt Peter ein feines Hemd, und er lächelt etwas verlegen, als ich ihn nach dem schönsten Erlebnis in all den Jahren frage.

»Zuletzt die Party«, sagt er und lacht fröhlich. Er meint die Verleihungsfeier, die am Abend zuvor stattgefunden hat. Aber dann erzählt er noch begeistert von der feierlichen Neueröffnung im Jahr 2014, zu der über sechshundert geladene Unterstützer gekommen waren – »ein sehr emotionaler Moment«.

Ich wünsche Peter alles Gute und verabschiede mich mit einem letzten, ganz bewussten Blick auf diese einmalige Kulisse, bevor ich mich auf den Weg zum Bahnhof mache.

Der Zug, der mich zu meinem nächsten Ziel, einer Buchhandlung im rund dreihundert Kilometer entfernten Zwolle im Norden der Niederlande, bringen soll, bewegt sich die meiste Zeit nur schneckenlangsam fort. Dann in Weert, das dreißig bis vierzig Kilometer nördlich von Maastricht liegt, müssen alle Fahrgäste aussteigen. Es sollen ersatzweise Busse verkehren, wie mir einige Mitfahrer zu berichten wissen, doch zunächst einmal passiert gar nichts. Als schließlich doch ein Zug einfährt, steige ich, ohne zu wissen, wo die Fahrt hingeht, ein und hoffe, dass diese Bauchentscheidung sich nicht rächen wird. Die Türen schließen sich, und der Zug fährt an, da entdecke ich einen kleinen, gelben Zettel an der Wand, auf dem handschriftlich »Have a nice day!« notiert wurde – ich werte dies als gutes Zeichen.

Tatsächlich fahren wir nun weiter in Richtung Norden – für mich und diesen Tag jedoch zu spät. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich schon hektisch und orientierungslos durch Zwolle laufen, um letztendlich doch nur vor verschlossenen Türen der gesuchten Buchhandlung zu stehen, sodass ich meine Bedenken für eine weitere spontane Entscheidung nutze: Statt nach Zwolle geht es zunächst einmal nach Amsterdam, das ich nur dreißig Minuten später erreiche.

Amsterdam erscheint bunt, ansteckend lebendig und unglaublich jung – irgendwo habe ich einmal gelesen, dass beinahe fünfzig Prozent der Einwohner jünger als 35 sind. Und natürlich ist Amsterdam die Hauptstadt der Fahrräder, was mir heute allerdings etwas ungelegen kommt. Meine Reisetasche, die sowohl Rucksack als auch Trolley sein will, ist im Moment nämlich vor allem eines: unhandlich. Also bugsiere ich meinen fahrbaren Kleiderschrank durch das dichte Gedränge und bin froh, als die Menschenmassen irgendwo auf Höhe der Singelgracht weniger werden.

Zehn Minuten später habe ich die Prinsengracht Ecke Berenstraat erreicht und tupfe mir den Schweiß von der Stirn. Der Taschenkoloss, das Kopfsteinpflaster und die Hitze sind keine gute Kombination; ich fühle mich etwas mitgenommen. Dummerweise erwartet mich ausgerechnet jetzt die Design-Buchhandlung Amsterdams:

MENDO

MENDO ist eine relativ junge Spezialbuchhandlung, die sich selbst als »candy store for book aficionados«, also eine Art Süßwarenladen für Buchliebhaber, bezeichnet.

Dass sie in erster Linie auf Bildbände aus den Bereichen Kunst, Design, Fotografie, Mode und Reise spezialisiert ist, sieht man auf den ersten Blick … Diese Buchhandlung ist selbst ein Kunstwerk!

Während die seitlichen Regalwände, der Boden, die Decke und die Möbel allesamt schwarz daherkommen, funkelt im hinteren Bereich eine Spiegelwand. An der Decke kontrastiert eine silberne, bis nach hinten durchlaufende Spotleiste mit dem Rest und leuchtet die linke Regalseite komplett aus. Auf der rechten Seite hängen silberne Halbkugeln von der Decke, die vor allem die Tischpräsentationen ins richtige Licht rücken.

Dahinter folgt eine Wand in einem warmen Rotton, die nicht nur für einen großflächigen Farbkontrast sorgt, sondern auch den Eingangsbereich von dem hinteren Ausstellungsraum abtrennt – dazwischen liegen fünf Stufen und ein schmaler Gang. Hier hat alles ein ästhetisches Konzept. Ich muss an den Onlineauftritt der Buchhandlung denken, der schon für sein besonderes Präsentationskonzept unter anderem mit dem »Dutch Design Award« ausgezeichnet wurde.

Roy, einer der Gründer, mit dem ich vorab ein wenig gemailt und mich leichtsinnigerweise erst für den morgigen Sonntag verabredet habe, ist heute nicht da – stattdessen nimmt mich der Buchhändler Iljaas in Empfang, dem die Beleuchtung von MENDO extrem schmeichelt: Ohnehin ein etwas dunklerer Typ, wirkt sein Gesicht hier honigfarben und eben. Meinen Teint kann heute wohl nichts mehr auffrischen, also konzentriere ich mich lieber darauf, Iljaas mein Reiseprojekt vorzustellen. Er ist sofort Feuer und Flamme. Ich erfahre von ihm, dass MENDO 2002 gegründet wurde und just in diesen Tagen einen zusätzlichen Pop-up-Store im Hôtel Droog eröffnen wird.

Wir schlendern durch den Laden, während Iljaas mich mit weiteren Informationen über MENDO versorgt und es ihm sichtbar Freude bereitet, mich auf meiner ersten Entdeckungstour durch die Buchhandlung zu begleiten. Zwischen den mitunter sehr speziellen Titeln, wie einem Bildband über Luxus-Armbanduhren, finden sich immer wieder großartige Fotobände, die ich am liebsten sofort mitnehmen würde: High Tide. A Surf Odyssey ist so ein Buch, das nicht nur in Bezug auf seine Haptik seinesgleichen sucht, sondern auch inhaltlich beeindruckt: Unglaubliche Natur- und Surfaufnahmen, die sofort für Fernweh sorgen – und während ich mich durch den großformatigen Bildband blättere, kommt mir plötzlich wieder Krakauers In die Wildnis in den Sinn.

Ich lege den Bildband zurück, und wir gehen nochmals in den hinteren Teil der Buchhandlung. Als ich die lange Regalwand entlanglaufe und mir die darin ausgestellten Titel genauer ansehe, bemerke ich die vielen schwarzen Buchrücken, die einen MENDO-Schriftzug tragen.

Iljaas lacht und erklärt, dass dies nur Bücherattrappen seien. Dieser Idee liegt das Konzept zugrunde, dass man die komplette Buchhandlung aus Büchern bestehen lassen wollte, Regalflächen und Wände inklusive! Ich fahre mit meiner Hand an der Regalwand und den unzähligen stilisierten Buchrücken entlang und versuche vorsichtig, einen dieser mattschwarzen MENDO-Titel zu entnehmen … unmöglich. Ein wenig berauscht von diesem Designkonzept trete ich ein paar Schritte zurück und betrachte die Regalwand noch einmal aus einer etwas größeren Entfernung: Eine Buchhandlung, die komplett aus Büchern gebaut ist – eine geniale Idee!

Iljaas fügt an, dass diese Bücherregale ganz aktuell auch im Zentrum einer neuen Veranstaltungsreihe stünden, die sich The Shelf Sessions nennt und im Herbst Premiere feiern wird (übrigens mit dem Brüderpaar Frank und Ronald de Boer, ehemals niederländische Fußballnationalspieler).

Ich werfe noch einen letzten Blick in einen weiteren Reisebildband, bevor ich mich von Iljaas verabschiede und die Buchhandlung in Richtung Innenstadt verlasse.

Drei Grachten weiter östlich, direkt neben der alten Lutherkirche und der Universitätsbibliothek gelegen, befindet sich die Spui – ein zentraler, weitläufiger Platz, auf dem gerade der Boekenmarkt op het Spui stattfindet. Doch mein Ziel ganz in der Nähe ist:

WATERSTONES ENGLISH BOOKSHOP AMSTERDAM

Das von außen fast barock anmutende Gebäude thront geradezu auf der Straßenecke. Die großen und nach oben hin abgerundeten Schaufenster, die sowohl in Richtung Spui als auch zur Kalverstraat verlaufen, müssen Bücherfans magisch anziehen. An jedem der Fensterrahmen, die komplett schwarz gehalten sind und sich somit von der cremeweißen Fassade absetzen, ist auf Höhe der Abrundung jeweils ein Waterstones-Schriftzug in goldenen Buchstaben angebracht, der in der gleißenden Sonne blitzt.

Während die eine Seite vollständig dem in wenigen Tagen erscheinenden Buch Go set a watchman (Gehe hin, stelle einen Wächter) von Harper Lee gewidmet ist, und zahlreiche Origami-Vögel vor einer orangefarbenen Bücherwand von der Decke schweben, finden sich auf der anderen Seite allerhand Bestseller und Empfehlungen. Den Hintergrund bilden Waterstones-eigene Dekowände, auf denen Slogans abgedruckt sind, die nicht nur das Herz eines jeden Lesers höherschlagen lassen, sondern ganz offensichtlich auch ein sehr beliebtes Fotomotiv darstellen, wie ich schon nach wenigen Augenblicken feststellen darf.

»Words cannot do justice to the pleasures of a good bookshop. Ironically« – »Man kann nicht in Worte fassen, welche Freude ein guter Buchladen bereitet«. Ironischerweise – ist so einer. Ich stimme zu und gehe zum Eingang, der genau an der Ecke des Gebäudes liegt und mit »The home of English language books« überschrieben ist. Diesem Versprechen steht die Buchhandlung in nichts nach: Sie wirkt britisch, ein wenig gediegen – aber voller Charme, Wärme und augenzwinkerndem Humor, wie schon die ersten Tischschilder beweisen (»A true classic never goes out of fashion« – »Wahre Klassiker kommen niemals aus der Mode«).

Auf Anhieb ist mir diese Buchhandlung sympathisch, zumal auch die Waterstones-Slogans an verschiedenen Stellen eine Fortsetzung finden.

In der Mitte des offenen Erdgeschosses, von dem ein Treppenaufstieg in die drei oberen Etagen führt, befindet sich eine Infotheke. Ich stelle mich kurz vor und erhalte sogleich eine persönliche Führung von einem Buchhändler, der mich mit seinen schwarz gescheitelten Haaren und dem extravaganten Kragenhemd ein wenig an Raj Koothrappali aus The Big Bang Theory erinnert. Auch wenn Filialisten oftmals nachgesagt wird, dass sie jegliche Individualität ausschließen würden: Dieser Laden steckt voller Persönlichkeit! Handgeschriebene Buchempfehlungen finden sich über alle Regalwände verteilt – außerdem gibt es eine eigene »Books we love«- Abteilung, in der ich spontan nach zwei nebeneinanderstehenden Titeln greife. Äußerlich könnten sie kaum unterschiedlicher sein, und doch scheinen sie irgendwie zusammenzugehören: The Happiness Project (Das Happiness-Projekt) von Gretchen Rubin und Off the Map (Die seltsamsten Orte der Welt) von Alastair Bonnett.

»Oh ja«, sagt der Buchhändler, »Off the Map ist einfach großartig und mein aktuelles Lieblingsbuch! Es versammelt die unglaublichsten Geschichten über Orte, von denen man noch nie etwas gehört hat – die man ab sofort aber auch nicht mehr missen möchte.«

Ich blättere ein wenig darin und mache schließlich ein Foto des Covers, um mir den Titel zu merken, bevor wir weitergehen und mir erklärt wird, dass Waterstones, wovon es allein in Großbritannien über dreihundert Filialen gibt, seinen Mitarbeitern größtenteils freie Hand lässt, was die Führung der Buchhandlung anbelangt. So verwundert es mich schließlich auch kaum, dass selbst die wunderbare Origami-Deko im Schaufenster von den Buchhändlern – in liebevoller Kleinarbeit – handgefertigt wurde.

Seit 1998 ist man nun schon in dem Belarge-Gebäude auf der Kalverstraat vertreten, und wo auch immer ich hinschaue, überrascht mich die Buchhandlung mit all ihren Details und Ideen. Dazu gehört auch eine großformatige Pinnwand, die »Where are you from?« fragt und darauf schon jede Menge Antworten erhalten hat: Curacao, Hongkong, Sydney, Griechenland, Israel … Ein Besucher aus Aruba hat seine Antwort sogar mit einer Palmen-Zeichnung verziert.

Passenderweise wird gleich daneben eine Auswahl an Büchern präsentiert, deren jeweiliger Handlungsort eine zentrale Rolle spielt und daher das Sortierprinzip der gesamten Abteilung vorgibt.

In den oberen Etagen widerstehe ich lange Zeit der Versuchung von britischen Süßigkeiten und Shortbreads, entdecke in der Reiseabteilung wunderbare Bildbände sowie Notizbücher und bewundere die gut sortierte Young-Adult-Etage, bevor ich schließlich mein erstes Souvenir erstehe: eine Tragetasche mit der Aufschrift »Keep calm and read on« – »Bleib ruhig und lies weiter«, dazu schenken mir die Buchhändler noch eines ihrer selbst gemachten Harper-Lee-Origamis, das mich an meinen Besuch erinnern soll. Als ich mich verabschiede, entdecke ich auf dem Monitor des Info-PCs, dass meine Facebook-Seite geöffnet wurde und wende mich lächelnd dem Ausgang zu.

»A good book will keep you fascinated for days. A good bookshop for your whole life« – »Ein gutes Buch wird dich tagelang begeistern«, eine gute Buchhandlung dein ganzes Leben lang, mit diesen Worten entlässt mich Waterstones in Richtung Einkaufsstraße.

Ich gehe zurück zur Spui, wo der Boekenmarkt inzwischen abgebaut wird, gönne mir eine eisgekühlte Cola und lade eine kleine Auswahl an Fotos auf Facebook hoch.

Als ich von meinem Handy wieder aufblicke, sehe ich, dass der Tirza-Verkäufer – nur unweit von mir entfernt – seinen Stand inzwischen komplett abgebaut und verladen hat. Ich muss daran denken, dass es auch Arnon Grünberg war, der einst die Idee äußerte, eine große Tour unternehmen und dabei all seine Facebook-Freunde besuchen zu wollen; und mit einem Mal scheint mir diese Idee in leicht abgewandelter Form noch viel sympathischer zu sein: Ein Buchhändler reist um die Welt und lässt sich von ausgewählten Autoren ihre jeweiligen Lieblingsbuchhandlungen zeigen.

Doch bevor ich anfange, mich um die Welt zu träumen, ist inzwischen nicht nur meine Cola geleert, sondern die nächste Buchhandlung auch gar nicht weit entfernt. Ich schlendere zur gegenüberliegenden Seite, denn direkt hinter den langsam verschwindenden Buchpavillons befindet sich:

THE AMERICAN BOOK CENTER (ABC)

Ohne den Büchermarkt auf dem Vorplatz wirkt das Gebäude noch einmal deutlich präsenter, zumal es so etwas wie den Übergang zum Herzen der Innenstadt darstellt. In azurblauen, großen Lettern steht der Name der Buchhandlung über dem Eingang geschrieben – eingerahmt von zwei farblich passenden Sonnensegeln sowie den ebenso strahlend blauen Rollläden an den Fenstern im ersten Obergeschoss.

Zunächst bewundere ich die Schaufenster – eine komplette Fensterfront ist ausschließlich Harper Lee gewidmet, auf der anderen Seite werden vorwiegend Bestseller präsentiert. Das absolute Highlight sind jedoch die eigens dafür ausgewählten Zitate, die von Hand auf die Schaufenster übertragen wurden.

Aus Richtung der seitlich passierenden Hauptstraße kann man dies lesen:

»What I say is, a town isn’t a town without a bookstore. It may call itself a town, but unless it’s got a bookstore it knows it’s not fooling a soul.«

Neil Gaiman, American Gods

Das American Book Center setzt auf naturhelle Holztöne, die mit schwarzen Regalelementen kombiniert werden. Im Zentrum: ein Baum.

Diese Ansicht teile ich, auch für mich gehören zu einer Stadt Buchhandlungen – und als ich jetzt ins ABC eintrete, bin ich überwältigt: Im Erdgeschoss gibt es neben diversen Bestsellern und Büchern aus den Bereichen Fashion, Beauty und Lifestyle eine größere Zeitschriftenabteilung, in deren Mitte eine Bank sowie Palmen zum Verweilen einladen. Etwas versetzt davon ragt ein großer Baumstamm aus dem Boden der Buchhandlung empor, zu dessen linker Seite sich ein Treppenaufgang anschließt.

Während auf der einen Seite die Fensterfront für viel Licht sorgt, wird die andere Seite des Treppenaufgangs von einer deckenhohen Regalwand gebildet, in der sich Reiseführer und Reisebücher finden.

Ich gehe bedächtig die Treppen hinauf und lasse meinen Blick dabei über die ausgestellten Bücher gleiten, wobei mir – direkt neben der englischsprachigen Ausgabe von Judith Schalanskys Atlas der abgelegenen Inseln (in der Penguin-Version beinahe ebenso schön wie die 2009 als schönstes deutsches Buch ausgezeichnete mare-Version) – ein Bildband ganz besonders auffällt: You Only Live Once: A Lifetime of Experiences for the Explorer in All of Us.

Zugegeben: Der Titel ist etwas reißerisch gewählt, aber die Aufmachung gefällt mir. Vorsichtig streiche ich über den dunkelgrünen Buchrücken und blättere dann ein wenig im Buch. Wunderbare Reisefotografien – einige sogar von Orten, die ich im Rahmen meiner Buchhandlungstour selbst noch sehen möchte und mich somit in dem Glauben bestätigen, dass diese Reise etwas ganz Besonderes werden kann.

Gut gelaunt stelle ich das Buch zurück ins Regal und gehe weiter die Treppe hinauf. Dabei bemerke ich, dass die gesamte Architektur auf diesen einen Baumstamm ausgelegt zu sein scheint, der auch in der nächsten Etage auffällig präsent ist. Die leicht ovalen Bücherregale ranken sich um ihn herum. Besonders auffällig dabei: Die Regale reichen ausnahmslos vom Boden bis zur Decke.

Der Aufgang zur dritten und vierten Etage (letztere ist allerdings dem Personal vorbehalten) wird von einer mittig verlaufenden Treppe gebildet, die mit Bambus verkleidet ist und somit das Gesamtbild verstärkt: Die Buchhandlung wirkt insgesamt überaus hell, modern und freundlich; durch die vielen Holztöne sowie -elemente erfährt sie einen unbeschwert natürlichen Touch.

Was das Sortiment anbelangt, findet sich hier auf drei Etagen so ziemlich alles, was das Bücherherz begehrt und in englischer Sprache angeboten wird – für den Fall der Fälle wartet in der zweiten Etage aber noch eine echte Besonderheit: die Espresso Book Machine. Hiermit lassen sich nicht vorhandene Bücher innerhalb weniger Minuten auf Wunsch aus- oder nachdrucken.

Nach meinem Rundgang plaudere ich noch ein wenig mit den Buchhändlern im Erdgeschoss und erfahre dabei unter anderem, dass der Bambus sinnbildlich für den Charakter der Buchhandlung stehen soll: Bambus ist nachhaltig, robust und widerstandsfähig – zugleich aber auch sehr flexibel –, ein sehr schönes Bild, wie ich finde.

Das American Book Center gibt es bereits seit 1972, wobei sowohl die Inhaber als auch der Standort mehrfach wechselten. Seit 1983 ist Lynn Buller die Chefin und Eigentümerin des ABCs, nachdem sie sich dem Buchhandelsunternehmen schon im Gründungsjahr – ganz spontan während eines Urlaubsaufenthaltes – angeschlossen hatte.

Am aktuellen Standort, dem Spuimarkt, der so etwas wie das Herz des Amsterdamer Bücherviertels darstellt, existiert das American Book Center nun seit 2006 und ist dort inzwischen zu einer echten Institution geworden.

Das ABC veranstaltet auch regelmäßig unterschiedlichste Events, die in der gegenüberliegenden Treehouse Gallery stattfinden und von Kunstausstellungen über Lesungen und Signierstunden bis hin zu Open-Mike-Events reichen.

Schweren Herzens verabschiede ich mich von dieser wundervollen Buchhandlung und seinen sehr netten Buchhändlern, als das American Book Center um zwanzig Uhr schließt.

Mir schwirren beim Hinausgehen unzählige Eindrücke durch den Kopf – und dann fällt mir plötzlich ein, dass ich noch gar keine Unterkunft für die Nacht habe.

Also zücke ich das Handy und entscheide mich schließlich für ein halbwegs bezahlbares Hotel, das ungefähr zwei Kilometer südlich entfernt liegt.

Der zweite Tag beginnt so ähnlich, wie der vorherige aufhörte: Dusche, Check-out, Supermarkt, Essen bei strahlendem Sonnenschein.

Mein Frühstück genieße ich im Museumspark und beobachte zunächst das bunte Treiben am frühen Morgen. Während vor dem »I amsterdam«-Zeichen bereits 1.001 Posen vollführt werden, studiere ich den Reiseführer und befrage anschließend mein Handy nach Zugverbindungen in Richtung Zwolle. Ich erkundige mich auch auf Facebook – bei meinen virtuellen Mitreisenden – nach Sightseeing-Tipps, dann steuere ich die Innenstadt an. Über die Leidsestraat geht’s in Richtung Singel sowie Bloemenmarkt – und von dort aus gleich weiter auf den Straßen Rokin und Damrak, die mich nicht nur zuverlässig zum Hauptbahnhof führen, sondern auch an vielen Sehenswürdigkeiten wie dem Nationalmonument und dem Königspalast vorbei.

Kurz vor dem Hauptbahnhof mache ich noch einmal eine Panoramaaufnahme und bin fast ein bisschen traurig, dass ich schon wieder weiterziehe.

Über Almere geht es also – nun wirklich – nach Zwolle, das einen ziemlichen Kontrast zu Amsterdam darstellt. Während in der Hauptstadt das Leben pulsiert, sobald man den riesigen Hauptbahnhof verlässt, parkt hier ein einzelner Linienbus auf dem verlassenen Bahnhofsvorplatz, dessen Fahrer gerade schläft.

Am Kiosk kaufe ich mir zwei Kaltgetränke, um der Hitze entgegenzuwirken, und laufe den Stationsweg hinauf. Und, wow: So trostlos und verlassen der Bahnhof gerade auch wirkte, so schön und idyllisch erscheint die Gegend hier. Die Stadsgracht, in der einige Paddelboote treiben, wird vom Grün eines weitläufigen Parks gesäumt, und einer der Wegweiser, die in Richtung des Stadtzentrums zeigen, berücksichtigt mein nächstes Reiseziel bereits als Sehenswürdigkeit.

Ich gehe weiter und nähere mich dem historischen Kern, der ringsum von Wasser gesäumt ist und von einer altertümlichen Burg umgeben wird. Über die Sassenpoortenbrug gelange ich auf die andere Seite des Ufers und laufe die Wilhelminasingel entlang. Für mein eigentliches Ziel ist dies zwar ein Umweg, wie ich später feststellen muss, doch in diesem Moment erscheint mir meine Wahl geradezu perfekt. Im angrenzenden Pelkwijkpark findet gerade ein Festival statt, das die halbe Stadt versammelt zu haben scheint und schon von Weitem für gute Laune sorgt.

Die gesamte Grünanlage ausfüllend, mutet das Festival wie ein großer, bunter Freizeitpark an – und ich bin mittendrin. Zwischen unzähligen Essensständen und Cocktailbars sind Bühnen aufgebaut, von denen Musik tönt; ich drehe mich langsam um die eigene Achse und sortiere die Eindrücke.

Zwischen all der Ausgelassenheit und Leichtigkeit, die von diesem Fest und seinen Besuchern ausgeht, wirke ich mit meinem riesigen Trolley anscheinend wie ein Exot. Zwei junge Frauen steuern auf mich zu und grinsen zunächst etwas mitleidig, als sie mein Übergepäck sehen – von ihnen erfahre ich dann jedoch, dass es sich hierbei um ein dreitägiges Food Festival handelt, das in der Region Kultcharakter besitzt. Und die Falafel-Tasche, die ich mir schließlich gönne, ist wie erwartet köstlich.

Nach diesem kleinen Umweg, der mich auch noch an der historischen Stadkamer vorbeiführt, biege ich auf die Broerenstraat ein. Hier verlangsame ich ganz bewusst mein Tempo, um nicht den Moment zu verpassen, in dem die Buchhandlung vor mir sichtbar wird. Durch die schmale Gasse ab der Nieuwstraat hat man freie Sicht in einen Hof – und genau in dessen Mitte erblicke ich sie:

WAANDERS IN DE BROEREN

Was von außen zunächst einmal wie eine große gotische Kirche aussieht, die mit ihren haushohen Fenstern und den kupferroten Backsteinen zufrieden in der Mittagssonne schlummert, entpuppt sich beim Betreten als Eintausend-Quadratmeter-Buchhandlung, die wahrhaft ihresgleichen sucht.

Und so bleibe ich nach wenigen Schritten staunend bis ungläubig darin stehen und weiß gar nicht, wohin ich mich zuerst wenden soll: Diese Buchhandlung ist umwerfend schön!

Beinahe kommt es mir so vor, als gäbe es hier sogar mehr Licht als draußen – so viel Sonne bricht durch die großen Fenster der Südseite herein und wird auf die gegenüberliegende, schneeweiße Wand projiziert, von wo aus sie in sämtliche Richtungen abstrahlt und die unzähligen Schmuckverzierungen und Ornamente erst richtig zur Geltung bringt.

Aber auch aus östlicher Richtung, wo sich das buchhandlungseigene Café im Binnenchor der Kirche befindet, strahlt viel Licht in den hohen Raum. Dabei ist das mittlere Fensterglas der Apsis nicht transparent, sondern blau gefärbt und sorgt für einen ganz besonderen Akzent.

Atemberaubend schön: Das Buntglas im meterhohen Fensterbogen sorgt für außergewöhnliche Lichtverhältnisse in der Buchhandlung Waanders in de Broeren.

Ich drehe mich um und will mich gerade einer Buchhändlerin vorstellen, da entgegnet sie bereits: »Torsten?«

Ich nicke.

»Janny.«

Janny, die ihre brünett-grau melierten Haare im Nacken zusammengesteckt hat, begrüßt mich mit einem freundlichen Lächeln und führt mich zunächst einmal in den Personalraum, wo ich meine Tasche abstellen kann.

Erst vor einigen Tagen hatte ich mit Ellen Waanders, der Inhaberin, gemailt, und ihr von meinem Reiseprojekt erzählt. Wie ich nun von Janny erfahre, war das Projekt daraufhin ein großes Gesprächsthema unter den Buchhändlern, sodass mir die meisten von ihnen bereits über Facebook folgten und sie sich ausrechnen konnten, dass ich heute hier aufschlagen würde … Verrückt!

Ich werde also zunächst weiteren Kollegen vorgestellt, bevor Janny mich einmal komplett durch die Buchhandlung führt. Die Waanders sind ein Familienbetrieb mit beinahe hundertachtzigjähriger Tradition, dem nicht nur die Buchhandlung angehört, sondern auch ein auf Kunstbücher und Bildbände spezialisierter Verlag.

Die Buchhandlung in der Broerenkirche, einem denkmalgeschützten Bauwerk aus dem 15. Jahrhundert, gibt es nun seit fast genau zwei Jahren.

Bei unserem Rundgang entdecke ich am westlichen Ende des Mittelschiffs, das zu beiden Längsseiten endlos lange Bücherregale beheimatet, ein parkendes Auto, das die Outdoor- sowie Reiseabteilung flankiert. Daneben führt ein Aufgang zur Empore mit einer Orgel hinauf, deren Pfeifen mit Goldornamenten und weißen Engeln verziert sind.

Während über der Belletristikabteilung eine zusätzliche Etage angebaut wurde, sind auf der Südseite gleich drei