VII ff. Inhaltsverzeichnis Werkbuch Psalmen I–III
Danach mit Nummerierung in arab. Ziffern die Wb Pss I, II und III im Einzelnen analog zu Print-Ausgaben (mit Impressum/Widmung, Vorwort, Inhaltsverzeichnis etc.).
VI.2016 bw
Was die Abkürzungen bei bibliographischen Angaben (Zeitschriften, Buchreihen etc.) angeht, sind diese hier nicht aufgeführt, sondern richten sich nach S.M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG 2 ), Berlin – New York 2 1992 bzw. S.M. Schwertner, Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, Berlin – New York 2 1994.
Gen Ex Lev Num Dtn Jos Ri Rut 1. Sam 2. Sam 1. Kön 2. Kön 1. Chr 2. Chr Esr Neh Est Hi Ps Spr Koh Hld Jes Jer Klgl Ez Dan Hos Jo Am Obd Jon Mi Nah Hab Zeph Hag Sach Mal
Mt Mk Lk Joh Apg Röm 1. Kor 2. Kor Gal Eph Phil Kol 1. Thess 2. Thess
1. Tim 2. Tim Tit Phlm Hebr Jak 1. Petr 2. Petr 1. Joh 2. Joh 3. Joh Jud Offb
EG |
[Deutsches] Evangelisches Gesangbuch (für Gottesdienst, Gebet, Glaube, Leben) (Hannover 1993) Der Stammteil (Nummern 1–535) ist allen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Evangelischen Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses in Österreich sowie der Kirche Augsburgischer Konfession und der Reformierten Kirche im Elsass und in Lothringen (Frankreich) gemeinsam. Darüber hinaus wurden konsultiert: |
EG-BT |
Ausgabe für die Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Bayern und Thüringen (München – Weimar o.J.) |
EG-West |
Ausgabe für die evangelischen Kirchen des Westverbundes: Evangelischreformierte Kirche (Synode evangelisch-reformierter Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland), die Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen, in Gemeinschaft mit der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Lippischen Landeskirche, in Gebrauch auch in Gemeinden des Bundes evangelischreformierter Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland (Gütersloh – Bielefeld – Neukirchen-Vluyn 1996) |
EG-Wü |
Ausgabe für die Evangelische Landeskirche in Württemberg (Stuttgart 1996) |
GL |
Gotteslob. [Deutsches] Katholisches Gebet- und Gesangbuch. Stammteil (Stuttgart 1975) |
KG |
Katholisches Gesangbuch. Gesang- und Gebetbuch der deutschsprachigen Schweiz (Zug 1998). Ergänzend dazu: |
KG CN |
Cantionale. Kantoren- und Chorbuch zum Katholischen Gesang- und Gebetbuch der deutschsprachigen Schweiz (Zug 1999) |
RG |
Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachi gen Schweiz (Basel – Zürich 1998) |
abs |
absolutus |
Adh |
Adhortativus |
Adj |
Adjektiv |
Adv |
Adverb |
äg. |
ägyptisch |
AK |
Afformativkonjugation ("Perfekt") |
aram. |
aramäisch |
Art. |
Artikel |
AT |
Altes Testament |
atl. |
alttestamentlich |
cs |
constructus |
d.h. |
das heisst |
du |
Dual (Zweizahl) |
Ed. |
Editor(en), Herausgeber |
etc. |
et cetera (und so weiter) |
etw. |
etwas |
ev.-ref. |
evangelisch-reformiert |
evtl. |
eventuell |
f |
femininum |
f. |
folgender (Vers) |
ff. |
folgende (Verse) |
FS |
Festschrift |
G |
griechische Textüberlieferung |
griech. |
griechisch |
hap leg |
hapax legomenon (einmaliges Vorkommen im AT) |
hebr. |
hebräisch |
hi |
hiphil |
hitp |
hitpa'el (und Sonderformen des hitp-Stammes) |
ho |
hophal |
Hrsg. |
Herausgeber |
Impt |
Imperativ |
Inf |
Infinitiv |
Jh. |
Jahrhundert |
jm. |
jemanden |
Juss |
Jussiv |
K |
Ketib (Geschriebenes) |
Koh |
Kohortativ |
koll |
kollektiv |
KTU |
The Cuneiform Alphabetic Texts from Ugarit … (s. Literaturverzeichnis 1d unter Dietrich M.) |
Lw. |
Lehnwort |
LXX |
Septuaginta (griechische Übersetzung des ATs) |
M |
masoretische (hebräische) Textüberlieferung |
m |
maskulinum |
m.E. |
meines Erachtens |
m.W. |
meines Wissens |
Ms(s) |
Handschrift(en) |
n.Chr. |
(Jahr) nach Christus |
Nf |
Nebenform |
ni |
niphal |
NT |
Neues Testament |
ntl. |
neutestamentlich |
o.ä. |
oder ähnlich |
o.J. |
ohne Jahr |
o.O. |
ohne Ort |
par |
Parallele(n), Parallelstellen |
pass |
passiv |
pi |
pi'el |
pil |
pilpel (Sonderform des pi-Stammes) |
PK |
Präformativkonjugation ("Imperfekt") |
pl |
plural |
po |
po'el (Sonderform des pi-Stammes) |
pol |
polel (Sonderform des pi-Stammes) |
Präp |
Präposition |
Ptz |
Partizip |
pu |
pu'al (Passivstamm des pi-Stammes) |
Q |
Qere (Gelesenes) bzw. (mit Zahl davor, z.B. 4Q) Fundort (Höhle) in Qumran (am Toten Meer) |
qal |
Grundstamm des Verbes |
R |
Refrain oder Rahmen |
s. |
siehe |
sg |
singular |
sog. |
sogenannte |
s.o. |
siehe oben |
s.u. |
siehe unten |
Suff |
Suffix |
T |
Targum (aramäische Übertragung des ATs) |
u.a. |
unter anderem |
Übers. |
(alte) Übersetzung(en) |
ug. |
ugaritisch |
u.U. |
unter Umständen |
V. |
Vers |
v.a. |
vor allem |
v.Chr. |
(Jahr) vor Christus |
w |
Konjunktion ו ("und") |
Wb Pss |
Werkbuch Psalmen (Band I, II, III) |
wiss. |
wissenschaftlich |
wPK |
Konjunktion ו mit Verdoppelung (bzw. Dehnung) bei nachfolgender PK ("Imperfektum consecutivum") |
z.B. |
zum Beispiel |
z.T. |
zum Teil |
(?) |
Unsicherheit in der Übersetzung (unklare Vorlage bzw. Textverderbnis) |
I, II, III |
Bezeichnung unterschiedlicher Wurzeln (Homonymie) oder der Stanzen (Struktureinheiten) |
1 |
1. Person (Konjugation) |
2 |
2. Person (Konjugation) |
3 |
3. Person (Konjugation) |
(…) |
"wörtliche" Textbedeutung |
[…] |
sinngemässe Ergänzung |
{…} |
möglicherweise späterer Eintrag (Ergänzung, Glosse o.ä.) |
// |
Markierung der Verszeilen-Trennung innerhalb eines Verses ("Parallelismus") bzw. Abtrennung der einzelnen Eintragungen beim Vokabular |
| |
Abtrennung von (strophischen bzw. stanzischen) Einheiten |
|| |
parallel zu |
– |
bis |
= |
gleich, identisch |
≠ |
ungleich, nicht (identisch) |
=> |
in Beziehung zu |
<= |
in Beziehung zu |
<=> |
gegensätzlich zu |
Jedem der insgesamt 150 atl. Psalmen (Band I: Ps 1–72, Band II: Ps 73–150) ist ein Abschnitt gewidmet, der jeweils die nachfolgenden Teile bzw. Rubriken enthält:
Es handelt sich um eine Arbeitsübersetzung, die sich möglichst eng an die hebr. Ursprungssprache hält. Es wird darauf geachtet, im Hebräischen gleiche Wörter (bzw. Wurzeln) nach Möglichkeit ebenfalls stets mit der gleichen deutschen Begrifflichkeit (bzw. Wortwurzel) wiederzugeben, damit Wiederholungen von Wörtern, die für den Bedeutungsaufbau des Textes und das Spiel der bibelhebr. Poesie so wichtig sind, auch im Deutschen erkennbar bleiben. Über den eigentlichen Gottesnamen (JHWH) hinaus werden auch die Bezeichnungen für "Gott" (bzw. "Herr" o.ä.) hebr. belassen bzw. eingedeutscht (v.a. Adonaj, El, Eljon, Elohim), damit die Vielfalt der Gottesbenennung kenntlich bleibt. Die in der deutschen Übersetzung nötigen bzw. sinngemässen Ergänzungen, die aber im Hebräischen fehlen, sind mit eckigen Klammern markiert […], im Hebräischen ursprüngliche, "wörtliche" oder Varianten-Bedeutungen haben runde Klammern (…). Zeilen, die möglicherweise spätere Zusätze darstellen, werden mit geschweiften Klammern {…} angezeigt – letzteres wird allerdings äusserst sparsam verwendet (eine eigentliche Literarkritik kommt hier nicht zum Tragen).1
Viele deutsche Übersetzungen verwenden in einer gewissen Beliebigkeit das deutsche Präsens zur Wiedergabe unterschiedlicher hebr. Konjugationen und Satzsysteme. Dieser m.E. unsachgemässe Weg wird hier nicht beschritten. In der Regel liegen der Übersetzung der Verben und Satzsysteme folgende Prämissen zugrunde:2 Das deutsche Präsens für Sachverhalte der Gleichzeitigkeit und der Dauer wird überwiegend der Wiedergabe von Partizipien und Nominalsätzen vorbehalten. Die Afformativkonjugation (AK, "Perfekt") dient zum Ausdruck von vorzeitigem Geschehen und wird in der Übersetzung weitgehend mit Vergangenheitsformen wiedergegeben. Die im Hebräischen vielschichtigere Präformativkonjugation (PK, "Imperfekt") wird vielfach futurisch oder aber mit modalen Hilfsverben ("wollen", "können", "sollen", "müssen") übersetzt. Auch wiederholte, von der Vergangenheit in die Gegenwart hineinragende Tätigkeiten ("immer wieder etwas tun") oder generelle Sachverhalte können mit der PK bezeichnet werden. In einigen Fällen kann daher für die Wiedergabe der PK das deutsche Präsens zutreffend sein. Die namentlich bei Satzfolgen verwendete und mit der Konjunktion "zusammengesetzte" Form wPK ("Imperfektum consecutivum") entspricht weitgehend dem zur AK Gesagten, nur dass vielfach ein "Fortschreiten" angezeigt wird. Analoges gilt im Blick auf die Form wAK – insofern sie einem "Perfektum consecutivum" entspricht – im Blick auf die PK. Mit diesen wenigen Hinweisen sind nur die wichtigsten Sachverhalte im komplexen hebr. Verbal- und Syntaxsystem angezeigt.
Ein weiteres Kennzeichen der beigegebenen Übersetzung ist, dass sie die Psalmstruktur transparent machen will. So wird nicht einfach der traditionellen (nicht immer sachgerechten) Verszählung gefolgt, sondern der Psalm mit seinen Verszeilen dargeboten. Durch die Abstandmarkierung wird zudem ersichtlich, welche zwei (oder seltener drei) Zeilen "parallel" laufen (man spricht vom "Parallelismus der Glieder"), d.h. zusammengehören und sich in der Aussage "ergänzen". Neben den Verszeilen (a, b…) und den Versen (zwei oder drei Zeilen) sind als höhere Bausteine des Psalms auch die Strophen oder noch grössere Einheiten (Hauptteile, Stanzen) angezeigt (I, II … bzw. I A, I B …). Soweit es mir ersichtlich war, wird zudem unterhalb der angezeigten Strophen- und Stanzen in Klammern angegeben, wo solche Strophen bzw. Stanzen aufeinander bezogen bzw. einander ergänzend zu interpretieren sind (z.B. A – A'). Trotz allem Bemühen ist es nur beschränkt möglich, die Eigenheiten der hebr. Ursprungssprache in der deutschen Zielsprache kenntlich zu machen. Viele Besonderheiten (z.B. Wörter mit mehrfacher Bedeutung, Wort- und Sinnspiele und v.a. Klangmuster) können im Deutschen nicht adäquat wiedergegeben werden (z.T. wird in den der Übersetzung folgenden "Anmerkungen" darauf hingewiesen).3
Für solche, die den Psalmtext vom Hebräischen her erschliessen wollen, wird als Hilfestellung für die Übersetzung das Vokabular in Auswahl angegeben. Es werden nicht alle im Text vorkommenden Wörter angezeigt, sondern seltenere, besonders wichtige oder solche, die im vorliegenden Psalm eine besondere Bedeutungsfärbung haben. Angegeben ist die lexikalische Grundform des Wortes und eine oder mehrere Übersetzung(en) dazu.4 Die deutschen Begriffe geben mögliche Wiedergaben des hebr. Ausdrucks an. Für die präzise Erfassung sind die einschlägigen Lexika5 sowie der Kontext einzubeziehen. Dem Benützer des Wb Pss wird zugemutet, dass er die im Text zur Anwendung kommende Form selber bestimmen kann. Eine Ausnahme bilden die (angegebenen) Verbformen; hier wird nach dem Auflisten von Grundform und Übersetzung(en) in Klammer die Auflösung der im Text verwendeten grammatikalischen Form dargeboten. Für die verwendeten Sigla und Abkürzungen sei auf das Abkürzungsverzeichnis hingewiesen.
Diese Rubrik bietet eine knappe gattungsmässige und inhaltliche Erschliessung des Psalms. Es finden sich Überlegungen zum Genre (Typus, Gattung) des Psalms, eine inhaltliche Gliederung, Hinweise zur Sprachform und allenfalls zur entstehungsgeschichtlichen Situation. Auf spezielle sprachliche Schwierigkeiten und Interpretationen wird hingewiesen.
In diesem Abschnitt werden Beobachtungen zur poetischen Gestalt des Psalms dargeboten. Dazu wird auf Leitwörter oder Begriffsfelder hingewiesen, auf wichtige poetische Figuren aufmerksam gemacht und die Struktur des Psalms erörtert. Aus der Überzeugung heraus, dass die poetischen Figuren und Strukturen nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern Träger von Bedeutung sind, kommt diesen Beobachtungen eine für die Interpretation wichtige Bedeutung zu (s.u.).
Unter dieser Rubrik wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der einzelne Psalm nicht isoliert zu uns kommt, sondern eingebettet in Kontexte. Dazu gehört namentlich die Stellung und Einbettung des Psalms im Psalter, dann im AT und endlich in der Heiligen Schrift beider Testamente (s.u.).
In diesem letzten Abschnitt wird ein erster Brückenschlag vom Text zum heutigen Leser versucht. Dabei kommen theologische, frömmigkeitspraktische und gemeindliche Aspekte zum Tragen. Eine auch nur einigermassen erschöpfende Auslegung bzw. Aktualisierung ist nicht angestrebt. Die kurzen und subjektiv gefärbten "Farbtupfer" wollen Anstoss zum Weiterdenken geben sowie zur persönlichen und gemeindlichen Neuverwendung des Psalms in der heutigen Zeit. Den Schluss machen Hinweise, wo sich der Psalm in den wichtigen deutschsprachigen Gesangbüchern der Evangelischen und Katholischen Kirche(n)6 – sei es als Lesetexte7 oder vertont mit Melodieangaben – findet.8
Die in diesem und im nachfolgenden Kapitel dargebotenen Erläuterungen bieten ein theoretisches Gerüst, vermitteln Hinweise, die für das Arbeiten mit dem Wb Pss dienlich sind und zeigen dem Leser meinen Interpretationsansatz.9 Sie fundieren und ergänzen damit die Erläuterungen zu den einzelnen Psalmen.10
Die Geschichte der Psalmenauslegung zeigt, dass unterschiedliche Zugangsweisen zu diesen Texten, Gebeten und Liedern möglich sind. Da ist etwa der Zugang über das liturgische Lesen, Beten oder Singen der Psalmen im Gottesdienst zu erwähnen, das neben dem eher intuitiven und existentiellen Erfassen durch den einzelnen Leser und Beter steht. Es gibt meditative, seelsorgerliche, (tiefen)psychologische, didaktische und theologische Erschliessungen zu den Psalmen. Der Christenmensch wird den Psalter auch vom NT her, d.h. von Christus her und auf Christus hin, lesen und interpretieren. Das Wb Pss will – ohne andere Zugänge abzuwerten – insbesondere der bibelwiss. Erschliessung dienen und sie für die kirchliche Praxis im weitesten Sinn fruchtbar machen. Doch bereits die in der Alttestamentlichen Wissenschaft vornehmlich gepflegte exegetischtheologische Zugangsweise ist heute vielgestaltig und zeigt sich in unterschiedlichen Schwerpunkten und Forschungsrichtungen. Ich möchte anhand eines einfachen 3-Kreise-Modells drei wesentliche Verstehensdimensionen der exegetisch-theologischen Zugangsweise skizzieren und kurz erläutern.
Die Begründung für dieses Modell liegt darin, dass bei allen drei Verstehensdimensionen ein konstitutiver Sachverhalt des Bibelwortes, in unserem Fall: der Psalmen, angesprochen ist. So liegt die Berechtigung des historischen Zugangs darin, dass wir es mit einem "Dokument" aus einer andern Zeit und Kulturepoche zu tun haben, das über einen grossen Zeitraum hinweg bis zu uns heute überliefert wurde. Es gilt, sich dieser "Zeitdifferenz" gewahr zu werden, die geschichtlichen und sozio-kulturellen Entstehungsbedingungen, die damit auch wesentlich Verstehensbedingungen sind, zu erarbeiten. Dies in einer sachgerechten Weise zu leisten, ist Aufgabe und Dienst der historischen Auslegung.
Wir haben es aber nicht nur mit einem Dokument vergangener Zeit, sondern zugleich mit einem literarischen Erzeugnis, einem "Kunstwerk", zu tun. Diesem Umstand trägt das literarische Verstehen Rechnung, das sich um die originalsprachliche Erschliessung, das Textverständnis, aber auch die Wirkabsichten im Blick auf Hörer bzw. Leser bemüht. Im Fall der Psalmen, die verspoetisch verfasst sind, d.h. besonders kunstvolle Textgebilde darstellen, kommt der literarischen bzw. poetologischen Auslegung ein entsprechend hoher Stellenwert zu. Dies unter der Annahme, dass sich in der "Gestalt" der Psalmen wesentlich auch deren "Gehalt" anzeigt.
Das theologische Verstehen schliesslich kann als dritter Teilbereich (aber auch als die einzelnen Teilbereiche umfassende Verstehensleistung) angesehen werden. In ihr bricht sich der Umstand Bahn, dass wir es nicht mit irgendwelchen Texten zu tun haben, sondern mit solchen, die in ein Buch eingeordnet und mit andern im Kanon biblischer Bücher vereint wurden. Sie wurden durch die jüdische und christliche Glaubensgemeinschaft überliefert und kommen mit dem autoritativen Anspruch auf uns zu, "Heilige Schrift" zu sein. Es sind Glaubenszeugnisse im doppelten Sinn, indem sie von Glaubenserfahrungen zeugen und zu Glaubenserfahrungen anstiften wollen. Auf dem Weg der Kanonisierung ist das Menschenwort der Psalmen, die weithin Gebete zu Gott sind, zugleich Gottes Wort an uns Menschen geworden. Diese normative, "über-geschichtliche" Gültigkeit hebt die Psalmen für die jüdische wie die christliche Glaubensgemeinschaft aus der Vielzahl alter und neuer Lieder und Gebete heraus.
Jede der drei skizzierten Verstehensweisen hat ihre Voraussetzung, ihre Chance, aber auch ihre Grenze und Gefahr, wenn sie aus dem Modell herausgebrochen und absolut gesetzt wird. Das Modell überschneidender Kreise weist darauf hin, dass es Überlappungen zwischen den Zugangsweisen gibt. Es will als korrekturbedürftiges und offenes Modell in dem Sinn verstanden sein, als es nicht abschliessend den Bibelzugang auf diese drei Verstehensrichtungen einengen will. Dass der das theologische Verstehen markierende Kreis grösser und stärker in die andern beiden Kreise eindringend dargestellt ist, ist Absicht: Das theologische Verstehen kann die beiden "profanen" Methoden zwar nicht entbehren, ihm kommt aber eine Vorrangstellung durch den Umstand zu, dass wir es eben mit der Bibel zu tun haben, in der sich uns der Gott JHWH bzw. der Vater Jesu Christi offenbart.
Das Wb Pss behält alle drei Verstehenskreise im Blick (und will mit den "Anregungen zur Praxis" darüber hinaus das Fenster für andere Zugänge öffnen), legt aber ein besonderes Augenmerk auf das literarische bzw. poetologische Verstehen, zumal dieses in der deutschsprachigen (Kommentar-)Literatur zu den Psalmen bisher am Wenigsten aufgenommen wurde. Die nachfolgenden Erörterungen begründen und veranschaulichen das literarische Verstehen der Psalmen und zeigen das diesem zugrunde liegende Textverständnis.
Der Umstand, dass die biblischen Psalmen im Sprachmodus der Poesie (Versdichtung) verfasst sind, ist für ihre Interpretation wesentlich. Diese Ausgangsthese soll mit Hilfe des Modells der Kommunikation und der dabei beteiligten Sprachfunktionen verständlich gemacht werden. Gesprochene, aber auch vertextete Sprache dient normalerweise der Verständigung, der Kommunikation. Ein Partner will einem andern etwas sagen, und zwar so, dass dieser das Mitgeteilte so versteht, wie es beabsichtigt wurde. Damit haben wir das einfachste, dreiteilige Kommunikationsmodell angesprochen, das – vereinfacht und auf die Psalmen angewandt – folgendermassen skizziert werden kann.
In der Kommunikationssituation des Alltags besteht die Absicht des Sprechens (bzw. einer schriftlichen Mitteilung) vielfach darin, dass Wissen und Einsicht vermittelt werden will. Das Entscheidende ist also der nicht-sprachliche Sachverhalt (Referenz), der mit sprachlichen Mitteln von einer Person (Sender) zur anderen (Empfänger) vermittelt werden soll. Nun wissen wir aus der Alltagsrealität, dass es beim Sprechen keineswegs immer und ausschliesslich um Wissensvermittlung geht. Wenn jemand mit seiner Sprache Freude oder Not ausdrückt, steht nicht die Sachinformation, sondern das Empfinden im Vordergrund, das zum Einfühlen und weniger zum (logischen) Verstehen einlädt. Und wenn jemand einen Mitmenschen zu einer Handlung auffordert oder sie gar befiehlt, dann ist das primäre Ziel nochmals ein anderes: weder Verstehen noch Fühlen, sondern Tun. Bei jedem dieser Beispiele der Verwendung von Sprache oder Text steht eine andere Sprachfunktion im Vordergrund (Mitteilung eines Sachverhalts, Ausdruck von Gefühlen, Aufforderung zu einer Handlung), ohne dass dabei die andere völlig ausgeschaltet wäre. Bei der Poesie spielen diese Sprachfunktionen ebenfalls eine Rolle, doch stellt sich die Sachlage insofern noch einmal anders dar, als eine in der Alltagssprache selten verwendete Sprachfunktion als neue und wichtigste hinzukommt. Man spricht von der poetischen (oder ästhetischen) Sprachfunktion. Es ist diejenige Sprachfunktion, welche auf sich selbst zurückverweist, d.h. die die Formgebung der Mitteilung selbst (des Satzes, des Gedichts, des Psalms) in den Vordergrund schiebt.
Als einfaches Beispiel für die poetische Sprachfunktion kann ein Werbeslogan dienen wie z.B.: "Der Kluge reist im Zuge". Der Satz kommt daher wie eine einfache Information, doch insgeheim ist er "mehrdeutig": Er will auch Gefühle wecken und enthält eine implizite Aufforderung. Dies alles geschieht quasi über die "Drehscheibe" der poetischen Sprachfunktion, die im Vordergrund steht. Der Satz mit Lautspiel und Binnenreim "lädt" nämlich ein, über ihn selbst nachzudenken, "nachzufühlen" und "nachzuhandeln", indem er die durch (in diesem Fall lautliche) Wiederholungen verbundenen Wörter "Kluge" und "Zuge" als eng zusammengehörig assoziiert, so dass es dem Hörer eingängig und – nach dem Willen der Werber – klar ist, dass der wirklich kluge Mensch eben Zug (und nicht Auto) fährt. Ähnlich, wenn auch ohne ökonomische Abzweckung wie bei der Werbung, verhält es sich in poetischen Gebilden, wie es Psalmen sind.
Die poetische Sprachfunktion mit ihrer Rückbezüglichkeit leitet die Hörer bzw. Leser – durch vielfältige Wiederholungsmuster und anderes mehr – dazu an, den Text selber genau abzuhorchen, weil in seiner "Gestalt" eben wesentlich der "Gehalt" zum Vorschein kommt. In der Poesie ist also das "Was" (Inhalt der Mitteilung) engstens mit dem "Wie" (Art und Weise, "Gefäss" der Mitteilung) verknüpft. Deshalb ist das genaue Erfassen der Gestalt bei poetischen Texten, wie es die Psalmen sind, ausserordentlich wichtig. Der Wahl der Worte, dem Satzbau, der gewählten Ausdrucksweise, dem Klangbild, der Baustruktur und anderem mehr kann im Zusammenhang des Textganzen Bedeutung zukommen. Poesie als "Musik der Sprache" ist keine dahingeworfene, sondern eine sorgsam ausgewählte Sprachform. Es handelt sich um die kunstvollste und dichteste sprachliche Aussageform, die wir Menschen kennen. Poetische Texte sind zwar oft recht kurz, generieren aber mit ihren Anspielungen, versteckten Andeutungen, indirekten Hinweisen und Gefühlsassoziationen eine grosse Bedeutungsvielfalt. Der Komplexität der Poesie entspricht, dass sie oft nicht schnell und leicht verständlich ist, sondern auf Seiten des "Empfängers" nicht selten eine hohe Interpretations- und Verstehensleistung einfordert. Es bedarf dann eines mehrfachen (zyklischen) Lesens bzw. Hörens und Memorierens, um den im Gedicht bzw. Psalm eingelagerten Bedeutungsreichtum zu Tage heben zu können. Poesie im Allgemeinen und bibelhebr. Psalmenpoesie im Besonderen ist gekennzeichnet durch ein Spiel mit Mehrdeutigkeiten.
Ein Beispiel aus unserer Sprache: Das Wort "Bank" kann sowohl eine Sitzgelegenheit als auch ein Geldinstitut bezeichnen. In der Alltagssprache tun wir alles, um Mehrdeutigkeiten in Aussagen zu vermeiden, weil sie Missverständnisse heraufbeschwören, die u.U. fatale Folgen zeitigen können. Psalmenpoesie dagegen liebt das Spiel mit Mehrdeutigkeiten, die ihr dazu verhelfen, hinter einem Wort bzw. einer Aussage mehrere Deutungen gleichzeitig mitschwingen zu lassen (bei der Übersetzung geht diese Mehrdeutigkeit leider meist verloren). Der sich dadurch einstellende Bedeutungsreichtum und die Aussagevielfalt der Poesie gehen in den atl. Psalmen mit einer grossen "Offenheit" und damit einer "Flexibilität" einher, die Aussage an verschiedene Kontexte und damit auch auf verschiedene Hörer und Leser zu verschiedenen Zeiten "anzupassen". Die bis heute immer wieder erkannte Aktualität der Psalmen als "Wiederverwendungstexte" ist eine Folge davon.
Die poetische Funktion als Rückverweis auf den Text und sein "Muster" manifestiert sich auch in einem Beziehungsgefüge der einzelnen Textbausteine (Satz / Verszeile / Vers / Strophe / Stanze) untereinander und zum ganzen Poem (Gedicht, Lied, Psalm). Das Poem kann man daher als ein Netzwerk ansehen, in dem die einzelnen Fäden miteinander verknotet sind. Sein Aussagegehalt ergibt sich nicht nur durch die Bedeutung der Wörter und Sätze, sondern auch aus der genannten Wechselwirkung zwischen den einzelnen Elementen bzw. Bausteinen des Textes und ihrem Stellenwert im Text insgesamt. Die Wechselwirkung stellt sich aufgrund von Ähnlichkeit und / oder Gegensätzlichkeit ein. In der Textinterpretation poetischer Gebilde ist es daher wesentlich, auf jeder Stufe die durch "Wiederholungen" (Elemente, die identisch, ähnlich oder gegensätzlich zueinander sind) zustande kommenden Beziehungsgeflechte (zwischen Wörter, Klängen, Sätzen, Versen, Strophen etc.) zu erkennen und die dadurch erzeugte Sinndynamik zu erfassen.
Beim bereits erwähnten Werbeslogan "Der Kluge reist im Zuge" ergibt sich eine Wechselwirkung auf der "Klang"-Ebene (Binnenreim) zwischen dem Ähnlichkeitspaar "Kluge / Zuge". Über die Klangähnlichkeit werden die beiden Begriffe beim Hörer eng verbunden und damit Bedeutung "eingestiftet" (Klug-sein und Zug-fahren sind offensichtlich zusammengehörig). Ein etwas komplexeres Beispiel sei aus den Psalmen selbst herausgegriffen: In Ps 77 liegt – meist auch in den deutschen Übersetzungen erkennbar – eine Wechselwirkung zwischen denjenigen Versen vor, die Formulierungen des "Erinnerns / Gedenkens" (רכז 4.7.12f.) bzw. "Vergessens" (חכשׁ 10) enthalten. Damit wird in Ps 77 in vielschichtiger Weise Not und Notwendigkeit des "Erinnerns" – bzw. seines Gegenteils – von Gott wie vom Menschen her thematisiert und eine "Struktur" des (kollektiven) Gedenkens bzw. der Vergegenwärtigung aufgebaut. Um diesen Psalm verstehen zu können, ist es wesentlich, den Bedeutungssinn dieses vielschichtigen Wiederholungsmusters mit seinen nuancenreichen Variationen möglichst genau auszuloten.12
Ein Poem ist also keineswegs beliebig zusammengestellt, sondern erweist sich meist als hochgradig strukturiert, also durchkomponiert. Ein Psalm ist dementsprechend nicht nur dem Textfluss nach, d.h. linear von oben nach unten, aufzuschlüsseln, sondern quasi als "räumliches Gebilde" aufzufassen, das von verschiedenen Seiten "beschaut" werden will. Lyrische Psalmdichtung hat durch ihre Intensität, Schönheit und Offenheit eine Nähe zum Geheimnis.
Wie sich die genannten allgemeinen poetischen Eigenheiten in der bibelhebräische Psalmenpoesie konkretisieren, soll in diesem Abschnitt dargelegt werden. Das bereits genannte "Prinzip der Wiederholung" (Rekurrenz), mittels dem verschiedene Sprachelemente und Textbausteine miteinander in Beziehung gesetzt werden, ist auch für die althebräischen Psalmenpoesie leitend. Nicht alle Wiederholungselemente können in einer Übersetzungssprache wie dem Deutschen erkannt werden, deshalb ist es gerade bei poetischen Texten wichtig, sich – wenn möglich – der Originalsprache zuzuwenden. Nachfolgend werden wesentliche Muster der Wiederholung (bzw. Ähnlichkeit oder Gegensätzlichkeit) genannt und einige Hilfestellungen bei der Erarbeitung und Interpretation derselben gegeben. Die ersten beiden Rubriken behandeln Entsprechungen auf der Sprachebene, die letzten beiden solche auf der Strukturebene eines Psalms.
Ein wesentliches Mittel zum Verständnis der Poesie besteht darin, im Text angelegte Entsprechungen (Äquivalenzen) zu erkennen und zu interpretieren. Mit Entsprechungen sind innertextliche Bezugssysteme (in unserem Fall zwischen Wörtern und Begriffen) gemeint, die durch (variierende) Wiederholung von gleichen, ähnlichen oder gegensätzlichen Wortbedeutungen und Begriffen zustande kommen.13 Durch solche Beziehungen wird die poetische Sprachfunktion aktiviert und der Psalmtext mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladen bzw. angereichert.
Dominieren einzelne Wörter bzw. Begriffe in einem Text, so spricht man von Leitwörtern (vgl. z.B. das Substantiv לוֹק "Stimme" in Ps 29). Sie zeigen textbestimmende Themenbereiche an, mit Hilfe derer der Autor den Hörer bzw. Leser u.a. auf seine Aussageabsichten hinleitet. Neben den wortwörtlichen Wiederholungen gibt es Varianten der Wiederholung, z.B. durch veränderte grammatikalische Formen ("seine Furcht" bzw. "die Furcht Gottes") oder dadurch, dass die gleiche Wurzel (z.B. "Furcht") in unterschiedlichen Wortarten und Konjugationsformen auftaucht (z.B. auch "sich fürchten", "in Furcht versetzen", "furchtbar" etc.).
Das Feld erweitert sich zusätzlich, wenn neben der wörtlichen Wiederholung sinnverwandte Begriffe ähnlicher (Synonyme) oder gegensätzlicher Art (Antonyme) verwendet werden (z.B. "Gerechtigkeit" und "Recht" bzw. "Unrecht", "Frevel" etc.). Wort- und Wurzelwiederholungen, Synonyme und Antonyme lassen sich dann zu "Wort- und Begriffsfeldern" gruppieren, anhand derer sich wesentliche Aussageschwerpunkte erheben lassen. Für die Interpretation eines Psalmtextes kann es hilfreich sein, z.B. mit Hilfe eines Rasterdiagramms, ein Inventar solcher Wiederholungen und Begriffsfelder zusammenzustellen.14 Für die Textinterpretation ist allerdings nicht nur die Erhebung häufiger Begriffe und Wortfelder wesentlich; auch die Verwendung von seltenen und auffälligen Vokabeln und Formen kann ein Indikator für Gewichtiges sein.
Die Beobachtung und Registrierung wesentlicher Wiederholungen (eingeschlossen Bedeutungsähnlichkeiten und -gegensätze) innerhalb eines Textes ist jedoch nur der erste, einfachere Schritt zum Verstehen. Anhand der Häufigkeit dieser Phänomene, der Platzierung, der Nuancierung, der Einbettung und Beziehung der jeweiligen Begriffe gilt es dann, im Zusammenhang des Textganzen eine Gewichtung der Aspekte vorzunehmen und die Aussageabsicht zu erheben. Hierzu gibt es keine einfachen Regeln und Methoden, vielmehr ist in diesem Interpretationsprozess eine gewisse Fertigkeit nicht ohne vielfaches "Üben" an Texten und immer neues Hinhören auf die offenen und versteckten Aussageabsichten zu gewinnen. Die Anmerkungen zu den jeweiligen Psalmen möchten dazu anzuleiten.
Diese Bereiche der Wiederholungen, Ähnlichkeiten und Gegensätze sind, anders als auf der semantischen Ebene (Wortbedeutung, Begrifflichkeit), vielfach nur im hebr. Originaltext erfassbar. Ausgenommen sind Beobachtungen zu den Satzsubjekten. Der Subjekts- und Redewechsel, mit dem vielfach eine Textgliederung (Strophenwechsel) verbunden ist, muss man gebührend beachten. In der bibelhebr. Psalmenpoesie ist ferner der weite Bereich klanglicher Entsprechungen bedeutsam. Häufig sind Alliterationen (Häufung gleich- oder ähnlich klingender Konsonanten) und andere Lautspiele.
Ist für die deutschsprachige (und anderssprachige) Versdichtung oft der Endreim (Telestie) charakteristisch, so liegt in der bibelhebr. Poesie ein stärkeres Gewicht auf einer Art von "Anfangsreim" (Akrostichie), einem Spiel mit Lauten und Buchstaben am Zeilen- oder Versanfang. Bei der alphabetischen Variante, die sich insbesondere in weisheitlich gefärbten Psalmen (u.a. Ps 34; 111f.; 119; 145) und auch im Buch Threni / Klagelieder findet, sieht das so aus, dass die Vers(zeilen) jeweils mit einem der 22 hebr. Konsonanten, und zwar in der Abfolge des Alphabets, anfangen (א, ב, ג … ת). Der Sinn dieses Musters ist nicht vollends geklärt. Gedacht wird u.a. an eine Memorierungshilfe. Im Vordergrund steht aber vermutlich die Absicht, damit Fülle und Totalität (im Sinne: "von A bis Z") zum Ausdruck zu bringen.
Schliesslich lassen sich auch Entsprechungen in der Versrhythmik (Abfolge der Silben und Betonungen) beobachten, die Verszeilen und ihre Aussagen dadurch näher miteinander verknüpfen wollen.
Das auffälligste Prinzip der Entsprechung der bibelhebr. Poesie manifestiert sich am Umstand, dass eine Verszeile (Kolon) selten isoliert dasteht, sondern (meist) mit benachbarten, ähnlichen Zeilen zu einer eng verbundenen Zweier- und Dreiergruppe formiert ist. Man spricht dann – in Aufnahme eines Begriffs aus der Geometrie – von einem "Parallelismus (der Glieder)".15 Ein Psalm setzt sich also im Bereich der kleinsten poetischen Bausteine (Mikrostruktur) aus Verszeilen (Kola) zusammen, die in der Regel aus 2–5 Wörtern bzw. Worteinheiten bestehen und in der Übersetzung mit den Kleinbuchstaben "a", "b", "c" angezeigt werden. Zwei oder drei eng zusammengehörende Verszeilen bilden die Struktureinheit "Vers" (man spricht beim Zweizeiler von "Bikolon" respektive beim Dreizeiler von "Trikolon"). Die Abhebung der Verse untereinander wird in der Übersetzung durch leicht grössere Zwischenräume markiert (die Verszählung ist dabei nicht immer übereinstimmend mit der poetischen Versabgrenzung).16 Der "Parallelismus" der Verszeilen ist in den deutschen Übersetzungen, namentlich dort, wo er inhaltlich (semantisch) vorliegt, recht gut erkennbar. Die Erhebung des "Parallelismus" und damit der Versabgrenzung sowie der Bestimmung des Aussagegehalts desselben gehören zu den wesentlichen Aufgaben der Interpretation. Nicht immer sind die Aussagen der Verszeilen, die vielfach zugleich Satzeinheiten sind, inhaltlich "parallel" (auch hier ist Ähnlichkeit und Gegensätzlichkeit mit eingeschlossen). Vielfach sind es (auch bzw. nur) Wörter, die sich entsprechen (Wort-Paar), aber auch Satzbau, Klangmuster u.a. kann sich entsprechen und damit "parallel" sein.
Vereinfacht werden üblicherweise drei Haupttypen von Parallelismen unterschieden: 1. Synonymer Parallelismus: Die Verszeilen sagen inhaltlich Ähnliches aus (Sonderform: repetitiver Parallelismus: identische Verszeilen). Beispiel (Ps 5,12ab): "Dann werden sich alle freuen, die auf dich vertrauen, // allezeit werden sie jubeln."
2. Antithetischer Parallelismus: Die Verszeilen sagen inhaltlich Gegensätzliches aus (Achtung: Im Blick auf einzelne [negierte] Begriffe kann eine Antithese vorliegen, die Zeilenaussage insgesamt aber synonym sein und umgekehrt). Beispiel (Ps 1,6abd): "Fürwahr, JHWH kümmert sich um den Weg der Gerechten, // aber der Weg der Frevler wird zugrunde gehen!"
3. Synthetischer "Parallelismus" (umstrittener Typus, streng genommen kein "Parallelismus" mehr): Die nachfolgende Verszeile führt weiter, ergänzt die erste bzw. beide zusammen ergeben erst eigentlich eine Satzaussage (manchmal mit syntaktischem Zeilenüberfluss = "Enjambement"). Beispiel (Ps 130,6abc): "Meine Seele [harrte] auf Adonaj, // mehr als Wächter auf den Morgen, // [mehr als] Wächter auf den Morgen."17
Verszeilen gruppieren sich nicht nur zu Versen, sondern im Bereich der Makrostruktur bündeln sich (meist 2–4) Verse auch zu einer Strophe. Der Strukturbaustein "Strophe" wird in der Übersetzung üblicherweise mit römischen Ziffern (I, II, III etc.) markiert und die Strophengliederung durch einen grösseren Zwischenraum angezeigt. Abfolge und Zusammenstellung der Strophen ergibt das Poem als Ganzes, wobei bei grösseren poetischen Gebilden zwischen Strophe und Poem noch weitere Strukturebenen (Stanzen, Cantos) dazwischen geschoben sein können. In einem solchen Fall bezeichnen die römischen Ziffern (meist) die Stanzen, und die strophische Subgliederung wird durch römische Ziffern mit Grossbuchstaben angezeigt (I A, I B, I C; II A, II B etc.).
Während Verszeilen und Verse in vielen deutschsprachigen Bibelausgaben angezeigt werden, ist das im Blick auf die höheren Struktureinheiten von Strophen und Stanzen nicht der Fall. Das hängt damit zusammen, dass die strophische Gliederung manchmal schwer erkennbar ist und daher unterschiedliche Gliederungen vorgenommen werden. Dazu kommt, dass dieses poetische Bauprinzip in der Psalmenforschung noch nicht überall die ihm gebührende Beachtung und Anerkennung gefunden hat.
Folgende Textsignale können helfen, strophische Einheiten zu erkennen und voneinander abzuheben: Themawechsel; Subjektwechsel und andere Form- und Satzbaumerkmale; Eröffnungsmerkmale (z.B. vokativische Gottesanrede) oder Schlussmerkmale (z.B. Zeitdauer-Aussagen, "Sela"). Anhand einer Skizze seien die strukturellen Bausteine, aus denen sich ein poetisches Gebilde wie ein Psalm aufbaut, kurz dargestellt.
Bei der Interpretation eines Psalms gilt es den "Bauplan" von den Versen über die Strophen bis zum Poem zu beachten und im Blick auf die Aussageentwicklung und die Gesamtaussage auszuwerten. Wie es bei der Entsprechung der Versteile zueinander verschiedene Parallelismus-Muster gibt (s.o.), so gibt es auf der Ebene der grösseren Textbausteine oft Formen der Entsprechung. Die sich entsprechenden Teile sind aufgrund von thematischer Nähe (bzw. Gegensätzlichkeit) und Wortbezügen (Wiederholungen) erkennbar.
Auf der Ebene der Makrostruktur kann man von zwei Hauptmustern (dargestellt mit den Grossbuchstaben A, B, C bzw. A', B', C' etc.)18 ausgehen: das alternierende Muster (Schema: ABA'B' etc.) und das zentrierende Muster (Schema: ABCB'A' etc.). Beide Hauptmuster kommen in einer Reihe von Untervarianten und Mischformen vor.
Alternierende Muster sind dadurch gekennzeichnet, dass die einander entsprechenden Bausteine (Strophen oder Stanzen) nicht hintereinander gestellt erscheinen, sondern sich mit anderen, sich ebenfalls entsprechenden Teilen abwechseln. Bei längeren alternierenden Mustern (z.B. ABCDA'B'C'D') spricht man auch – einen Begriff aus der (sakralen) Malerei aufnehmend – von einem "Diptychon". Wie in einem zweiflügligen Altarbild sich die beiden Bildhälften ergänzen, so besteht der Psalm gleichsam aus zwei "Durchgängen", die als aufeinander bezogene Teile der Räumlichkeit eines Altarbildes nahekommen.19 Die alternierende Struktur bringt es bei den Psalmen (z.B. Ps 13020) mit sich, dass der Psalm quasi in zwei analogen Durchläufen erfasst werden will. Die Entsprechung der beiden Hauptteile geschieht als Ergänzung, als gegenseitige Interpretation im Sinne des genannten zweiteiligen Altarbildes: eine Zusammenschau (Synopse) beider Teile ist beabsichtigt.
Zentrierende Muster sind dadurch gekennzeichnet, dass das betonte, besonders unterstrichene Aussagemoment des Psalms nicht (nur) am Ende steht, sondern in der Mitte, im "Herzen" des Psalms. Die Abfolge der entsprechenden Teile ist zudem gegenläufig, d.h. spiegelbildlich. Es gibt zwei Untertypen des zentrierenden Musters. Beim einen ist (wie in der obigen Skizze) das mittlere Bauelement (C) singulär (Schema: ABCB'A') und damit ohne Entsprechung. Man spricht bei diesem Typus – aufgrund der Gestalt des griechischen Buchstabens "Chi" (Χ) – von einem "Chiasmus" (andere Bezeichnungen: "Zwiebelschalen"-Muster, Rahmen- oder Ringstruktur, Palindrom etc.). Beim andern Typus ist das mittlere Bauelement (C) ebenfalls gepaart (Schema: ABCC'B'A'). Man spricht dann auch von einer "Spiegelsymmetrie". Die äusseren Entsprechungselemente bei den zentrierenden Mustern (A und A') werden auch als "Rahmung" oder "Inclusio" bezeichnet. Die von den Psalmen mit zentrierenden Mustern (z.B. Ps 7721) eingeforderte Leseanleitung und Interpretation geht dahin, dass – wie bereits gesagt – die Kernaussage in der Mitte liegt und der Sinngehalt des Psalms quasi in einer doppelten Bewegung von aussen nach innen und von innen nach aussen aufzuschlüsseln ist.
Beim Vorstellen der verschiedenen Zugangsweisen wurde bereits deutlich, dass die literarische (poetologische) Verstehensweise neben Chancen auch ihre Grenzen hat und der Ergänzung durch andere Zugangsweisen bedarf. Darauf ist auch von Literaturwissenschaftlern selbst hingewiesen worden.22 So ist zu bedenken, dass die Bibel (und mit ihr die Psalmen) zwar eine hohe literarische Qualität aufweist, bei einem Eingehen auf ihren herausfordernden Anspruch aber eine distanziert-unterhaltende Schöngeistigkeit verunmöglicht wird. Die Bibel ist in dem Sinn zugleich hohe Literatur wie auch Anti-Literatur: "Gebete" wollen nicht (primär) gefallen, sondern ausdrücken und bewirken. Die hohe Poetizität der Psalmen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht – wie in der romantischen oder modernen Lyrik – das monologisch-subjektive Moment im Vordergrund steht. Ein angemessenes "Meditieren" der Psalmen ist primär nicht selbstbezogen (reflexiv), sondern Gott- (und Gemeinde-)bezogen (relational) angelegt. Die Psalmen sind zutiefst "dialogisch", nicht abzulösen vom Bundesgedanken, der das "Ich" nicht nur mit dem "Du" Gottes, sondern auch mit dem "Wir" des Gottesvolkes verbindet. Die Psalmen sind – auch wenn sie sich als "Wiederverwendungstexte" nicht auf ein biographisches oder geschichtliches Moment behaften lassen – nicht fiktive, sondern zeugnishafte Texte, Lieder und Gebete.
Jede sprachliche Äusserung trägt Kennzeichen von Originalität wie auch Konventionalität an sich. Mit "Originalität" ist der Sachverhalt bezeichnet, dass Äusserungen, die ich mache, bzw. Texte, die ich schreibe, individuell, spezifisch und charakteristisch sind für den Menschen, der sie macht bzw. schreibt. "Konventionalität" dagegen bezeichnet den gegenteiligen Sachverhalt, nämlich, dass ich mich in mündlichen oder schriftlichen Äusserungen immer auch auf Vorgegebenes, Vorgeformtes stütze. Dazu gehören Dinge wie die grammatikalischen Regeln, der Umstand, dass bestimmte Wörter bestimmte Gegenstände oder Sachverhalte bezeichnen, gewisse sprachliche oder textliche Konventionen etc. Die Konventionalität garantiert, dass Kommunikation, also gegenseitiges Verstehen, überhaupt gewährleistet ist; die Originalität bringt dagegen die je spezifische Äusserung zum Ausdruck.
Zwei Alltagsbeispiele sollen das Gesagte illustrieren helfen: Bei einer Todesanzeige haben wir in der Regel eine relativ stark formalisierte Textform vor uns (schwarzer Rand, Namen und Lebensdaten der verstorbenen Person, Nennung der Angehörigen und Trauerleute, Angaben über Trauerfeier, dazu wenige, oft ähnlich lautende Aussagen). Weil solches in ähnlicher Weise wiederkehrt, kann man von einem Texttypus oder einer Gattung "Todesanzeige" sprechen. Sie ist gekennzeichnet durch einen recht hohen Grad von Konventionalität. Bei der Gattung "Privatbrief" dagegen ist die Originalität ungleich stärker. Zwar gibt es – über die Sprachverwendung hinaus – auch einige konventionelle Elemente (Anrede, Gruss, Absenderangabe etc.), aber der Hauptteil des Briefes kann sehr Unterschiedliches, d.h. je Eigenes des Absenders, enthalten.
Alles Reden und Schreiben bewegt sich auf einer Bandbreite zwischen den Extremen: absolute Originalität und absolute Konventionalität. Originalität allein ohne Konventionalität würde ein Verstehen meiner Äusserungen durch andere Menschen verunmöglichen, und Konventionalität allein ohne Originalität würde dazu führen, dass zwar alles verstanden wird, aber inhaltlich nichts gesagt würde. Beides würde zum Stillstand jeglicher Kommunikation führen.
bzw.bzw.bzw.23