Ela van de Maan
Rache der Eitelkeit
Das Buch:
Liam Uí Madadhan, seines Zeichens Vampir aus Leidenschaft, beugt sich noch einmal dem Wunsch seines Freundes Alexandre, einen Auftrag als Leibwächter für eine Politikerin zu übernehmen, bevor er sich endlich auf die Suche nach neuen Abenteuern begibt. Das New York der Neuzeit hat ihm nichts mehr als Langeweile zu bieten. Alles ist sicher, voraussehbar, beherrschbar und längst bekannt. Sogar den für ihn so anziehenden Blondinen kann er nicht mehr das abgewinnen, was sie einmal für ihn bedeuteten. Doch der Auftrag birgt eine Überraschung in Person der zurückhaltenden Sekretärin seiner Schutzbefohlenen. Und auch New York ist plötzlich nicht mehr so sicher und beherrschbar, wie er glaubt. Ehe er sich versieht, gleiten ihm die Fäden aus der Hand und er steht einem unbekannten Wesen gegenüber, das dabei ist, eine Katastrophe auszulösen.
Die Autorin:
Ela van de Maan wurde 1969 in einer Kleinstadt in Süddeutschland geboren. Seit sie lesen kann, wollte sie auch schreiben. Ihre frühe Leidenschaft waren Groschenromane in Heftform. Leider konnte sie sich nie kurz genug fassen, um die Geschichte auf den vorgegebenen sechzig Seiten unterzubringen. Nun schreibt sie halt ihre Geschichten so lang oder so kurz, wie sie möchte; aber immer mit Happy End, denn tragisch ist das Leben selbst genug. Im »reellen« Leben ist sie beruflich in allen möglichen Bereichen unterwegs, um ihrer Vorliebe für Abwechslung gerecht zu werden. Die meisten Tätigkeiten sind aber durchaus kreativer Natur.
www.elavandemaan.de
Ela van de Maan
Roman
Rache der Eitelkeit – Into the dusk 6
Ela van de Maan
Copyright © 2016 at Bookshouse Ltd.,
Villa Niki, 8722 Pano Akourdaleia, Cyprus
Umschlaggestaltung: © at Bookshouse Ltd.
Coverfotos: www.shutterstock.com
Satz: at Bookshouse Ltd.
ISBNs: 978-9963-53-373-2 (E-Book .pdf)
978-9963-53-374-9 (E-Book .epub)
978-9963-53-375-6 (E-Book Kindle)
www.bookshouse.de
Urheberrechtlich geschütztes Material
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
Epilog
Nieuw Amsterdam, 1657
Schreie durchschnitten die Nacht. Menschen flohen in Panik aus ihren Hütten. Sie versuchten, den Wesen zu entkommen, die sich in ihre Siedlung geschlichen hatten und jeden, den sie ergreifen konnten, an sich rissen und zerfleischten. Manche standen wieder auf und fielen wiederum ihre Nachbarn, Freunde, sogar ihre eigene Familie an. Nur wenige konnten mit Schüssen aus den Musketen außer Gefecht gesetzt werden. Sie schienen unsterblich und doch so tot.
Pfeile sirrten durch die Luft, während das aufkommende Kriegsgeheul die Hilferufe der fliehenden Menschen übertönte. Durch die halb offenen Tore der Siedlung galoppierten Pferde. Ihre Reiter versuchten mit Lassos, der hässlichsten Kreatur von allen habhaft zu werden. Die ersten Seile zerrissen wie Bindfäden, doch je mehr Schlingen sich um sie zogen, desto schwerer tat sich die Kreatur damit, sich zu wehren. Ein Pfeil traf sie direkt ins Herz. Es schien sie zu schwächen und mit ihr ihre Hörigen.
Manche fielen unter die Hufe der Pferde und wurden bis zur Unkenntlichkeit zertrampelt. Andere wankten davon. Die Reiter zerrten die Kreatur aus der Siedlung hinaus und hinunter zum Wasser, wo weitere Einheimische mit ihren Kanus warteten. Sie schleiften das Wesen durch den Meeresarm zum gegenüberliegenden Ufer. Unter grauenvollem Jammern folgten die Gewandelten ihrem Anführer, aber die meisten wurden von der Strömung abgetrieben. Nur wenige erreichten die andere Seite, wo sie sofort ein Regen aus Pfeilen empfing. Langsam wich die Dunkelheit der Dämmerung und das erste Tageslicht offenbarte das ganze Ausmaß des Grauens der Nacht.
Kapitel 1
New York 2015
Ich sah auf die hübsche Blondine hinab. Ihre Lider flatterten leicht, und ein Lächeln lag auf ihren Lippen. Sie schwebte noch tief im Land der Träume, wo ich meine Amouren am liebsten hatte, wenn ich nach einem vergnüglichen Abend und einem guten Schluck Blut von der Bildfläche verschwand.
Schnell suchte ich Jeans und T-Shirt zusammen und schlüpfte so leise, wie es nur möglich war, hinein, um nicht Gefahr zu laufen, mich für mein schnelles Verschwinden rechtfertigen zu müssen. Doch bevor ich meine Jacke unter der Couch hervorgezogen hatte, unter der sie aus unerfindlichen Gründen bei dem leidenschaftlichen Aufeinandertreffen unserer Körper gelandet war, ertönten daraus pupsende Geräusche. Crystal, dieses Luder! Wie schaffte sie es nur immer, unbemerkt an mein Telefon zu gelangen, um meine Klingeltöne zu ändern?
»Ja«, knurrte ich leise ins Mikrofon, während ich den Reißverschluss meiner Jeans hochzog.
»Liam?«, fragte Alex.
»Wer sonst?«
»Warum flüsterst du?«
Die Blondine rekelte sich auf dem Bett. »Hi«, raunte sie verschlafen. »Du bist ja angezogen. Willst du schon gehen?«
Das war genau der Grund, warum ich flüsterte. »Ja«, murrte ich.
»Ja, was?«, fragte Alex.
Wie mich das alles nervte. Schnell schnappte ich mir meine Jacke und zwinkerte der Blondine zu, bevor ich mich umdrehte. »Ich muss los.«
»Sehen wir uns wieder?«, fragte sie und erprobte sich an einem verführerischen Unterton in der Stimme, der sich allerdings anhörte, als würde sie mit einer Feile über rostiges Eisen kratzen.
Ich verdrehte die Augen. Diese Frage verursachte mir immer Übelkeit, weshalb ich mich normalerweise auch still und leise davonzuschleichen versuchte. »Ich fürchte, Honey, ich bin in der nächsten Zeit schwer beschäftigt«, antwortete ich, bevor ich die Tür schloss.
»Ist ja schön, dass du mich Honey nennst«, kommentierte Alex. »Womit bist du denn so schwer beschäftigt?«
»Alex, du nervst.«
Er lachte.
»Was willst du eigentlich? Es ist mitten in der Nacht.«
»Mitten in der Nacht? Es ist noch nicht mal elf Uhr bei euch, und du schläfst doch sowieso nicht. Oder habe ich was verpasst?«
»Ich schlafe sehr wohl, nur halt selten so tief, dass es nach Schlaf aussähe«, erwiderte ich gereizt. Manchmal könnte ich alle in den Arsch treten. »Und außerdem bin ich ein Vampir, die schlafen den Mythen nach am Tag.«
»Dann ist es ja gut, also krieg dich wieder ein. Ich habe einen Job für dich.«
»Ganz was Neues. Wen soll ich denn diesmal um die Ecke bringen?«
»Haha«, witzelte er. »Der Bürgermeister hat uns um den Gefallen gebeten, seine Security um einen unserer Leute aufzustocken, weil er befürchtet, die neue Leiterin der Stadtplanung könnte bei ihren Vorhaben enormen Ärger bekommen. Und er hat nicht das Budget, um weitere Leute einzustellen.«
»Ach, und ich soll Kindermädchen spielen? Was interessiert mich das Budget des Bürgermeisters?«
»Liam, du musst den Job übernehmen. Wir brauchen ihn auf unserer Seite, das weißt du genau. Ich möchte nicht auch noch Probleme in New York bekommen, mir reichen schon die anderen.«
»Dann würde es nicht schaden, wenn du mal wieder hier vorbeischneien würdest, anstatt dich von Mel zum Dauerurlaub zwingen zu lassen.«
»Das verstehst du nicht.«
»Du machst dich zum Sklaven einer Frau.«
Alex lachte mich aus. »Das kann dir ja nicht passieren, oder? Deshalb bist du der Beste, der auf die neue Hoffnungsträgerin des Bürgermeisters aufpassen kann. Tom hat alle Fakten. Er wartet im Büro auf dich.«
Ich hörte Mel kichern. Vermutlich hatte Alex seine Hand unter der Bettdecke und erledigte das Telefonat nur mit dem halben Verstand. »Sag mal, bei euch in Paris muss es doch fast Mittag sein. Warum ist die Tussi nicht beim Shoppen oder in der Kosmetik oder sonst wo, sodass man mal in Ruhe mit dir telefonieren kann?«
Es kotzte mich an, dass sich Alex so verändert hatte. Noch vor wenigen Wochen hätte er sich nicht durch eine Frau davon abbringen lassen, in seinen Geschäften die Zügel in der Hand zu halten. Seit dieser dämlichen Europareise war er nur noch aus der Ferne erreichbar, gab Anweisungen und verteilte seine Aufgaben. Nicht, dass es mir was ausgemacht hätte, etwas zu tun. Das Leben war ohnehin langweilig genug. Aber früher konnte man wenigstens mit ihm um die Häuser ziehen und allerhand anstellen. Stattdessen hing er jetzt am Rockzipfel seiner Angebeteten.
Es knackte in der Leitung. »Liam, bist du noch dran?«
»Ja, und ich bin auch schon auf dem Weg. Dann werde ich das alte Schrapnell eben bewachen.«
»Wie kommst du drauf, dass es ein altes Schrapnell ist?«
»Sie ist Politikerin, oder nicht? Welche Frau wird schon so etwas Langweiliges wie Politikerin? Eine alte, männerlose Emanze, die Haare auf den Zähnen hat und morgens immer ihren Damenbart rasiert.«
Alex lachte aus vollem Halse. Wie oft er neuerdings lachte. Auch nur wegen Mel. Wie konnte ausgerechnet ihm das passieren? Der große Alexandre de Mirecourt war zu einem Weichei geworden. Frauen – da sah man wieder, was die anrichteten.
Ich schwang mich auf meine Streetfighter. Wenigstens darauf konnte ich mich verlassen. Die Maschine zickte nicht herum, tat, was ich wollte, und stellte keine Ansprüche. Ich gab Gas, bis mir der Wind an den Haaren zog. Was gab es Schöneres, als mit Vollgas durch die nächtlichen Straßen von Manhattan zu jagen? Die lahmarschigen Autofahrer bekamen gar nicht so schnell mit, was da an ihnen vorbeiflog, als dass sie hätten hupen können. Was waren das nur für jämmerliche Gestalten. Tagein, tagaus, mussten sie um ihre Existenz bangen. Wenn ich auch nur den geringsten Hang zum Mitleid hätte, müsste ich den ganzen Tag um sie klagen. Ich vermied es zu grinsen, obwohl mir schwer danach war, aber ich konnte es nicht leiden, mir danach die Fliegen aus den Zähnen kratzen zu müssen.
Der Weg zu unserem Büro- und Wohnturm war zu kurz, um mir den großen Kick zu geben, auch wenn der Verkehr für eine Sekunde die Höchstgeschwindigkeit zugelassen hatte. Was war schon eine Sekunde in einem unendlichen Leben. Ich gab noch mal ordentlich Gas, während ich in die Tiefgarage hinabstach. Es donnerte laut genug, sodass Tom im dreizehnten Stock sicher sofort wusste, dass ich angekommen war. Vielleicht hatte der ja später noch Lust, um die Häuser zu ziehen. Es konnten doch nicht alle todlangweilig geworden sein auf ihre alten Tage. Ich zog meinen Kamm aus der Jackentasche und brachte die Strähnen, die der Fahrtwind durcheinandergeblasen hatte, wieder in Form. Ein letzter Blick in den Rückspiegel meines Motorrads zeigte, ich sah aus wie immer. Es reichte mir schon, dass sich die Drachenbiester darüber lustig machten, dass ich mir meine Haare abgeschnitten hatte, weil mich eine meiner letzten Affären mit einer Vehemenz verfolgte, wie ich sie selten erlebt hatte. Selbst meine Versuche, mich vollständig aus ihrem Gedächtnis zu löschen, waren an ihrer Vernarrtheit gescheitert. Das größte Problem daran war, dass sie auch noch in einer Firma um die Ecke arbeitete. Immer wenn sie mir zufällig über den Weg lief, sprang sie auf mich zu, als würde ich sie magnetisch anziehen. Und sofort kam derselbe Satz aus ihrem Mund. »Ich kenn dich doch!« Das war mehr als nervtötend. Ich kam mir schon wie in einer Neuauflage des Films Und täglich grüßt das Murmeltier vor. Ich musste in Zukunft deutlich besser aufpassen, wen ich mir angelte.
Wenigstens schien sich das Problem erledigt zu haben, seit ich mir auf den ersten Blick nicht mehr wirklich ähnlich sah. Und ich fand, dass die kurzen Haare nicht so übel aussahen. Das Dumme daran war nur, dass ich die Prozedur fast täglich wiederholen musste, weil auch die Haare eines Vampirs immer wieder in den Ursprungszustand bei der Wandlung zurückkehren wollten, genauso wie die zu dem Zeitpunkt vorhandenen Bartstoppeln. Aber vermutlich gab es Schlimmeres. Ich hätte ja auch schon vor meiner Wandlung eine kreuz und quer gebrochene Nase haben können, die bis in alle Ewigkeiten, ohne jegliche Aussicht auf Besserung, mein Gesicht zieren würde.
Tom stand an der Bürotür und grinste, als ich aus dem Aufzug stieg.
»Cooler Sound, hast du den Auspuff aufgebohrt?«
»Ich würde eher sagen, er hat ihn aufgebissen, als er noch glühte. Grr.« Saphire saß auf der Couchlehne und wickelte sich die Strähnen ihrer Haare um den Finger, während sie demonstrativ knatschend Kaugummi kaute.
Ich warf ihr einen bösen Blick zu, den sie sofort mit einem hämischen Grinsen quittierte. Weiber – sie waren nur zu einem Zweck gut, und dabei hatten sie besser den Mund zu halten.
»Meine Güte, was bist du denn schon wieder so mies drauf. Hat dich eine gegen den Strich gekrault?«, stänkerte sie und ploppte mir eine Kaugummiblase entgegen.
»Sag deiner Schwester, wenn sie noch einmal mein Handy anfasst, dann …«
»Dann was?«, fiel sie mir ins Wort. »Dann poppst du grundsätzlich nur noch menschliche Blondinen? Oder dann schläfst du zukünftig unter der Brooklyn Bridge? Oder wie wär es mit dieser Drohung: Dann nimmst du ihr ihren alten Kuschelhasen weg, der vor Dreck starrend seit hundertfünfzig Jahren in der Kiste hinter ihrem Bett vor sich hin fault? Ich glaub, das würde sie beeindrucken.«
»Ach, ihr könnt mich alle mal.«
»Weißt du, Liam, such du erst mal nach deiner guten Laune. Und wenn du sie gefunden hast, können wir uns auch über eine schmutzige Nummer unterhalten.«
»Könnt ihr zwei jetzt aufhören zu streiten?«, mischte sich Tom ein und wandte sich an mich. »Wie Alex dir ja schon mitgeteilt hat, haben wir ein kleines Problem.«
»Hat er mitgeteilt. Wobei ich ehrlich gesagt nicht verstehe, warum das nicht ein anderer macht. Du bist doch eher so ein Menschenfreund. Es würde dir sicher besser gefallen als mir, auf eines dieser hilflosen Wesen aufzupassen. Noch dazu auf eine alte Frau, der du wirklich helfen könntest.«
»Wer hat was von alter Frau gesagt?«, fragte Tom irritiert.
»Es geht um eine Politikerin«, erwiderte ich.
»Man merkt, dass du dich nicht für das Weltgeschehen interessierst, Liam. Politikerinnen sind schon lange nicht mehr das, was sie einmal waren. Es gibt in Europa sogar ein paar, von denen es Nacktfotos gibt.«
Ich verzog angewidert das Gesicht. »Zur Abschreckung möglicher Gegner oder wie?«
Tom öffnete kopfschüttelnd eine Akte. »Sondra Dwane ist knapp vierzig, gut aussehend und ein schlauer Kopf, wenn man dem Bürgermeister glauben darf. Aber du kannst beruhigt die Finger von ihr lassen, sie ist nicht blond.«
Ich warf einen Blick auf das Foto. Vielleicht sollte ich mich doch hin und wieder für Politikerinnen interessieren, falls es die tatsächlich auch in blond und nackt gab. »Das erklärt immer noch nicht, warum ausgerechnet ich auf sie aufpassen muss.«
»Weil du der Einzige von uns bist, der auch mit ein paar leichten Sonnenstrahlen keine Probleme hat.«
»Na ja. Ich will ihnen aber auch nicht freiwillig begegnen. Die entwickeln sich immer so rasant zu richtig heißen Dingern. Warum nimmst du nicht Ian? Der hat noch weniger Probleme damit.«
»Ich korrigiere, du bist der Einzige, der etwas Sonne verträgt und über genügend Grips verfügt, um sich nicht zu verraten, wenn ihm ein weibliches Wesen die Linsen nach außen biegt.«
Ich seufzte. »Gut, was ist das Problem der Frau?«
»Sie hat diesen Drohbrief hier erhalten.«
Ich überflog die beiden Zeilen aus orthografisch und grammatikalisch völlig planlos zusammengesetzten Zeitungsbuchstaben. Da hatte wohl einer sehr oft in der Schule gefehlt. »Wer hat denn so ein Problem damit, dass die alten Anlagen abgerissen werden, dass er ihr gleich mit dem Tod droht?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Hast du Parker nicht gefragt? Vielleicht kann man das unter der Hand regeln, und ich muss nicht den Aufpasser spielen.«
»Die Drogenbande ist in der Ecke nicht ansässig. Er meinte, dass hin und wieder Waffenlieferungen in den Hallen gelagert werden, allerdings nicht regelmäßig. Keine Ahnung, wer sich dort versteckt. Die Sicherheitsleute des Bürgermeisters halten das Schreiben für einen Fake, weil kein echter Krimineller so doof wäre, die Polizei auf seine Fährte zu locken, indem er ihnen seine Hausnummer gibt.«
»Haben die die Anlagen schon durchsucht?«
»Klar, und natürlich nichts gefunden.«
»Hm, vielleicht ist es wirklich nur ein armer Irrer, der groß rauskommen will. Ich gähne jetzt schon. Das wird ein elendig langweiliger Job werden. Endet der auch irgendwann?«
»Wir werden sehen. Mach erst mal, damit wir guten Willen zeigen und der Bürgermeister glücklich ist. Nicht, dass der noch die Fühler nach unseren Klubs ausstreckt. Wir können dort keine Schnüffler brauchen, denen womöglich auffällt, dass wir anders sind. Sonst können wir einpacken und umziehen.«
»Okay, ich tu mein Bestes, dass ich nicht während der Arbeit einschlafe.«
»Du schläfst doch sowieso nie.«
»Ich tu nur so.«
»Als ob du nicht schläfst?«
»Ach, vergiss es. Wann muss ich da antanzen?«
»Dwanes Büro möchte morgen die Einteilung der Dienste für die kommende Woche machen und deine Schichten mit dir besprechen. Wir haben die Wetterlage gecheckt, und so wie es aussieht, hast du in den nächsten Tagen gute Karten, bei ihren öffentlichen Auftritten keinen Sonnenbrand zu bekommen, falls sie dich unbedingt tagsüber dabeihaben wollen. Sollte sich die Vorhersage irren, musst du halt einen Schnupfen vortäuschen oder einen Hexenschuss, oder was dir sonst noch einfällt.«
»Wie schlechte Laune wegen des schlechten Sex«, ergänzte Saphire gelangweilt.
»Pah, wenn du glaubst, nur ihr Drachen seid gut im Bett, hast du dich getäuscht.« Auch wenn ich aus dem Stegreif nicht aufzählen könnte, wer besser wäre. Doch alles mussten diese Emanzendrachen ja auch nicht wissen.
Sie lächelte überheblich. Ich hatte die Schnauze schon wieder voll, obwohl ich erst vor einer halben Stunde das Gebäude betreten hatte. Irgendwie hatte sich alles zum Negativen verändert, seit wir uns immer mehr unter die Menschen mischten beziehungsweise sie unter uns, ob wissentlich oder nicht.
»Kommst du noch eine Runde mit um den Block?«, fragte ich Tom.
Er nickte. »Muss nur noch mal mit Alex telefonieren, dann hab ich nichts anderes mehr vor.«
Seine Miene verriet, dass es mit ihm auch nicht spaßiger werden würde. Vielleicht sollte ich auswandern und eine Weile allein um die Welt ziehen.
Der Bauschutt hob sich Stück um Stück an der Stelle, an der vor einigen Stunden noch die Verwaltung einer alten Brauerei gestanden hatte. Das Licht weniger schwacher Laternen erhellte den Platz nur dürftig. Aber Angus benötigte es ohnehin nicht.
Aus einiger Entfernung beobachtete er, wer oder was da zum Vorschein kommen würde. Ein Mensch war es sicher nicht. War es vielleicht ein Tier, das in einem der Keller gelebt hatte? Dazu müsste es aber ein großes und starkes Tier sein, wenn es so viele Steine über sich wegschieben konnte. Er versuchte, das ungute Gefühl zu ignorieren, das in ihm aufkam. Im Grunde genommen konnte es ihm egal sein, was es war. Er wollte nur das Gelände inspizieren, auf dem er sich mit seinen Mittelsmännern treffen sollte, um die Lieferung abzuholen. Anschließend würde er ohnehin wieder aus der Stadt verschwinden. Trotzdem konnte er den Blick nicht von der Stelle wenden, an der immer mehr Steine zur Seite geschoben wurden und den Hügel hinunterpolterten.
Ein bestialischer Gestank kam auf. Er hielt sich die Nase zu. Welch ein Glück, dass er in seiner menschlichen Gestalt hier stand. In seiner wahren hätte er wohl sofort Reißaus genommen. Er verzog das Gesicht, als er sah, wie eine krallenbewehrte, haarige Klaue nach den letzten Steinen griff, die den Weg versperrten. Ob dieses eklige Etwas, das da aus den Tiefen der Hölle zu kommen schien, oder zumindest aus den Abwasserkanälen darüber, ihm gefährlich werden könnte? Die Wahrscheinlichkeit ging gegen null, soweit er über die Wesen der verborgenen Welt Bescheid wusste. Es sei denn, es versuchte, ihn zu Tode zu stinken.
Das übel riechende Monster hielt inne, als sich schnelle, leise Schritte auf der anderen Straßenseite außerhalb des Bauzauns näherten. Angus wich zurück in den Schatten eines Gebäudes. Die Schnauze des Untiers fuhr heraus, und es nahm die Witterung auf. Roch es überhaupt etwas anderes außer sich selbst? Er konnte es sich kaum vorstellen. Die Nase, die der einer überdimensionalen Ratte glich, zuckte. Mit einem Satz sprang das Höllenwesen aus seinem Versteck und verbarg sich hinter den Mauerresten, aus denen es gekrochen war. Die junge Frau, die vorbeieilte, bemerkte davon nichts. Genauso wenig wie die Jugendlichen, die in dem Hauseingang schräg gegenüber herumlungerten und sich gegenseitig mit den neuesten Apps auf ihren sicher nicht legal erworbenen Smartphones zu beeindrucken versuchten.
Das Höllenwesen leckte gierig über seine Krallen, als hätte es seit Jahrzehnten nichts mehr in seinen Fängen gehabt. Angus wich noch ein Stück weiter zurück. Ganz leise und darauf bedacht, die Aufmerksamkeit dieses Wesens nicht auf sich zu lenken. Es schien sie voll und ganz auf die junge Frau gerichtet zu haben. Sie tat ihm leid. Es würde bestimmt kein schöner Tod für sie werden.
Ich ging ans Fenster, weil ich keine Lust hatte, Saphire für ihre Versuche, eine Megakaugummiblase zu erzeugen, zu applaudieren, während ich darauf wartete, dass Tom endlich sein erneutes Gespräch mit Alex beendete. Im East River spiegelten sich die Lichter der Brooklyn Bridge, wohingegen es drüben am Ufer unwirklich dunkel war. Die alten Anlagen waren nur noch spärlich beleuchtet. Fast so wie früher, als in ihren Höfen noch die Gaslaternen standen, die den Arbeitern der Spätschichten den Weg nach Hause erleichtern sollten. Wie sich die Stadt im Laufe der Zeit doch verändert hatte. Als wir hier ankamen, wurden viele der Brauereien, Werften und Raffinerien erst gebaut und kaum hundertfünfzig Jahre später waren sie längst stillgelegt und sollten Neubauten weichen. Die alten Fähren, die über den East River hin- und herfuhren, um Waren und Menschen von einem Ufer ans andere zu bringen, und die wir nur zu gern genutzt hatten, um nicht schwimmen zu müssen, waren schon vor hundert Jahren verschwunden, als begonnen wurde, Brücken zu bauen.
Ich konnte mich noch so gut daran erinnern, als wäre es gestern gewesen, doch für die Menschen, die hier lebten, war es eine Ewigkeit her. Mehrere Generationen waren seither zur Welt gekommen und wieder gegangen. Für uns war selbst ein Jahrhundert kaum mehr als ein Wimpernschlag. Die Zeit verging, die Welt veränderte sich, nur wir blieben, wie wir waren.
Oder auch nicht.
Seltsamerweise hatten wir uns in den letzten Jahren auch verändert. Früher waren wir ein Haufen unternehmungslustiger Leute, die ihre beinah unendliche Existenz genossen. Wir taten, was wir wollten, mussten uns an keine Gesetze halten, weil es sowieso niemanden gab, der sie durchsetzen konnte.
Damals kannten wir alle Ecken von Brooklyn wie unsere Westentasche, vor allem die finsteren, während wir heute meist nur noch drüben waren, wenn wir dort etwas bezüglich unseres Gebiets zu regeln hatten. Aber selbst das wurde immer seltener.
Ich ließ die alten Bilder vor meinem geistigen Auge Revue passieren. Zu der Zeit waren die Stadtgebiete völlig anders aufgeteilt. Die verschiedenen menschlichen Einwanderergruppen begannen, sich ihre Viertel zu schaffen, je nachdem, aus welchem Land sie kamen. Es gab viele Kämpfe zwischen den rivalisierenden Nationalitäten, die in wahren Gangkämpfen mündeten. Unter sie hatten sich die verschiedensten Wesen der verborgenen Welt gemischt, die die Stadt ebenfalls unter sich verteilten. Vampire, Werwölfe, Gestaltwandler, Hexen, Drachen und was es sonst noch alles hier gab, hatten ihre Gebiete ebenfalls abgesteckt, deren Grenzen sie nicht überschritten, wenn sie ihre ewige Existenz nicht aufs Spiel setzen wollten. Genau das war der Spaß gewesen. Die Wenigsten hatten sich daran gehalten, und wir mussten immerzu damit rechnen, in Auseinandersetzungen verwickelt zu werden, sobald wir unsere Behausung verließen. Und unsere eigenen Rivalitäten fachten auch immer wieder die der Menschen mit an, die keine Ahnung hatten, wer wir wirklich waren und uns lediglich als Mitkämpfer oder manchmal auch als Anführer in ihren eigenen Gangs wahrnahmen. Man konnte damals so herrlich Unruhe stiften, ohne dass es irgendjemandem auffiel.
Heute gab es nur noch ein paar Vampirclans und Gestaltwandler hier, und alle waren damit beschäftigt, bloß nicht aufzufallen. Es gab kaum noch Konflikte untereinander. Wir verschwanden zunehmend in der Versenkung. Als Unsterbliche verdrängt von den Sterblichen. Der Gedanke an sich erschien mir schon absurd. Ich verspürte den Drang, aus diesem langweiligen Gebilde auszubrechen, das so mancher Mensch Luxusleben nennen würde. Ich brauchte keinen Luxus, ich hatte ja auch kein Leben im eigentlichen Sinne. Alles, was ich brauchte, waren Abenteuer, Herausforderungen, Adrenalinstöße. Aber darauf würde ich in New York vergebens hoffen.
Die Stadt war sicher und langweilig geworden.
Polina warf einen Blick über die Schulter. War da nicht etwas? Sie hatte deutlich gespürt, dass jemand hinter ihr herschlich. Fast war ihr, als hätte er sie am Arm berührt. Doch sie konnte niemanden ausmachen, abgesehen von den üblichen Herumlungernden, die sich in den Hauseingängen und an den Straßenecken versammelten, sobald es dunkel wurde. Sie achteten nicht mehr auf sie als sonst. Bildete sie sich nur ein, verfolgt zu werden?