Wie Betty das Wut-Gewitter bändigt
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© Copyright Festland Verlag Wien, 2015
Umschlag- und Innenillustrationen: Anne Wöstheinrich
Umschlaggestaltung und Satz: Thomas Wukovits
ISBN 978-3-9504121-2-3 (Druckversion)
ISBN 978-3-9504121-3-0 (Kindle-Version)
ISBN 978-3-9504121-5-4 (ePUB-Version)
Betty Kugler ist acht Jahre alt. Eigentlich heißt sie Bettina. Aber so mag sie nicht genannt werden. Ganz und gar nicht. Wenn jemand sie doch so nennt, hält sie sich die Ohren zu oder tut so, als hätte sie nichts gehört.
Mit ihren Eltern, ihrem jüngeren Bruder Max und dem Hund Tommy wohnt sie in einem Vorort, am Rande einer großen Stadt in Norddeutschland. Dort geht sie in die dritte Klasse der Grundschule. Genau genommen geht sie in die Klasse 3b. Betty hat zwei Freundinnen in ihrer Klasse. Sie heißen Daniela und Maren. Die Mädchen kennen sich schon aus dem Kindergarten und spielen in den Schulpausen und an den Nachmittagen zusammen.
Betty darf bereits allein zur Schule gehen und sie findet ihren Schulweg besonders schön. Er führt vorbei an einer Pferdeweide, auf der Momo grast, das dunkelbraune Pony ihrer Nachbarn. Betty bleibt jeden Morgen stehen und ruft nach Momo. Momo spitzt die Ohren und kommt leise wiehernd angelaufen. Es weiß, dass Betty eine Brotdose mit Apfelstückchen dabei hat. Betty teilt gerne mit Momo. Sie liebt es, das Pony zu füttern und zu streicheln.
Anschließend führt Bettys Schulweg an einer Häuserreihe mit prächtigen Vorgärten vorbei. Rudi, der Hund der Familie Berger, begrüßt sie schwanzwedelnd hinter dem Gartenzaun. Jeden Morgen findet Betty ein freundliches Wort für ihn: „Na, Rudi, hast du schon gefrühstückt?", oder: „Rudi, heute ist ein schöner Tag, bestimmt gehst du gleich Gassi!"
Danach bleibt Betty an dem Gartentor mit einem üppigen Rosenstrauch stehen und steckt ihre Nase in eine der Rosen. Sie duften so herrlich, dass Betty ihre Augen schließt und fast vergisst, dass sie auf ihrem Schulweg ist und nicht zu spät kommen darf. Meist legt sie den Rest ihres Schulweges laufend zurück und trifft andere Schulkinder, die aus allen Richtungen zur Schule strömen.
Die Klassenlehrerin der 3b ist Frau Schuster. Meistens ist sie nett zu den Kindern. Aber wenn die Kinder die Klassenregeln nicht einhalten, kann sie sehr streng sein. Betty mag es nicht, wenn Frau Schuster laut schimpft. Am liebsten möchte sie sich dann die Ohren zuhalten. Betty mag es nämlich nicht, wenn es irgendwo laut zugeht. Leider geht es in der Schule immer wieder laut zu: kurz bevor die Pausen beginnen, auf dem Schulhof während der Pausen oder nachmittags bei der Hausaufgabenbetreuung. Betty kann nicht nachdenken, wenn es laut ist. Vor allem kann sie dann nicht rechnen.
Als Betty in der ersten Klasse war, hat sie laut „Seid endlich ruhig!" in das Klassenzimmer gerufen. Aber Frau Schuster hat mit Betty geschimpft: „Betty, du möchtest keinen Lärm, aber schreist selbst am lautesten! Das geht nicht!" Dann war Betty ganz besonders still. Aber auf die Zahlen konnte sie sich trotzdem nicht konzentrieren.
Das war im vorletzten Jahr. Jetzt ist sie Drittklässlerin und weiß, wie es in der Schule läuft. Wenn es ihr zu viel wird, stellt sich Betty vor, dass sie den lauten Kindern ein Pflaster auf den Mund klebt.
Das ist natürlich nur eine Idee, die Betty von ihrer Oma Trude bekommen hat. In Wirklichkeit macht sie das nicht.
Betty liebt die Mittwoche und die Freitage. Denn an diesen Tagen geht sie nach der Schule direkt nach Hause. Dann ist die Mama schon zu Hause und hat das Mittagessen gekocht. Anschließend machen die Hausaufgaben richtig Spaß! Die Mama rührt einen Kakao für Betty an und setzt sich zu ihr an den Küchentisch. Während Betty ihre Hausaufgaben macht, ist die Mama ganz still, trinkt ihren Kaffee und liest die Tageszeitung. Tommy, der Hund, legt sich lautlos zu ihren Füßen. Jetzt kann sich Betty gut auf das Rechnen und Schreiben konzentrieren. Es geht beinahe von selbst.
Um 15 Uhr holt die Mama den Max ab. Er ist vier Jahre alt und liebt es, im Kindergarten mit den anderen Kindern zu toben. Auch zu Hause tobt er gerne. Manchmal steckt sich Max eine Taubenfeder in sein Haar und rennt mit Indianergeheul und einer Lasso-Leine durch die Wohnung. Mit dem Lasso versucht er, Betty oder Tommy zu fangen und an den Marterpfahl zu fesseln. Der Marterpfahl ist in diesem Fall das Gerüst der Gartenschaukel.
Betty spielt oft mit Max und lässt sich dabei quer durch die Wohnung und den Garten jagen. Wenn beide außer Atem sind, sagt sie: „Jetzt kannst du mich an den Marterpfahl fesseln, Indianer Max. Aber ohne Indianergeheul, sonst renne ich weg!" Max sagt dann: „Und dann fange ich dich wieder mit meinem Lasso! Und heule so laut wie ich will!" Aber das will Betty nicht zulassen: „Machst du nicht, Max. Denn dann höre ich auf zu spielen! Echte Indianer heulen auch gar nicht. Echt wahr. Die schleichen sich leise an!", sagt sie.
Max ist enttäuscht. Mit Geheul macht das Indianerspielen viel mehr Spaß. Aber er weiß, dass Betty es nicht mag, wenn es laut ist. Mama hat ihm erklärt: „Betty ist eben empfindlich. Sie mag es nicht so laut wie du! Darauf musst du Rücksicht nehmen." Max versteht nicht so recht, was ,empfindlich' bedeutet. Und er findet es komisch, dass Betty manchmal selbst lauthals trällert oder in schrillen Tönen quiekt und fiept. Sie schreit ihn sogar öfters an. Das ist dann auch sehr laut. Selbst Tommy verzieht sich dann in sein Körbchen.