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Jenny Lawson

Irre glücklich

Ein unfassbares Überlebenstraining
für depressive Zeiten

Aus dem amerikanischen Englisch von
Elisabeth Liebl

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Die amerikanische Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »Furiously Happy. A Funny Book About Horrible Things« bei Flatiron Books, New York.

1. Auflage

Deutsche Erstausgabe

© 2016 Kailash Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München

© 2015 by Jenny Lawson
All rights reserved. Published in the United States by Flatiron Books,
a division of St. Martin’s Press, LLC., New York.

Lektorat: Anne Nordmann

Umschlaggestaltung: ki 36, Sabine Krohberger Editorial Design, München

Umschlagmotiv: Shutterstock/Silviya Skachkiva

Satz: Fotosatz Amann, Memmingen

ISBN 978-3-641-18992-1
V001

www.kailash-verlag.de

Dieses Buch ist meiner Tochter gewidmet, der glucksenden Beobachterin dieser seltsam-wunderbaren Welt, die ihre Familie aus purem Wahnsinn (realer und metaphorischer Natur) für sie erschaffen hat.

Gott steh uns bei, wenn sie erst mal alt genug ist, ihre eigenen Memoiren zu schreiben.

Vorschusslorbeeren

Ein großartiges Buch, aber völlig ungeeignet zum Haarebürsten. Lesen Sie’s. Aber kämmen Sie sich nicht damit.

Charles Dickens

Jesus hat mir dieses Buch gegeben, als er damit fertig war. Und er sprach zu mir: »Das musst du verdammt noch mal lesen, Kevin. Es ist irre gut!« Er kann sich einfach keine Namen merken.

Ernest Hemingway

Es gibt nur wenige Menschen, die ich aufrichtig liebe, und noch weniger, von denen ich nur Gutes denke, doch nur einen einzigen gibt es, dessen Gesicht ich am liebsten abnehmen und in meinem Salon aufsetzen würde. Ich möchte Ihnen dringend ans Herz legen, Ihre Tür gut zu verschließen, werte Mrs Lawson.

Jane Austen

Ich kann ohne Übertreibung sagen: Das ist der beste Bierdeckel, den ich je hatte.

Dorothy Parker

Das Leben zählt, nichts als das Leben – der Prozess des Entdeckens, dieser ewig währende, nie zu Ende gehende Prozess, nicht die Entdeckung selbst, in keinster Weise. Das und dieses Buch. Dieses Buch ist auch recht hübsch.

Fjodor Dostojewski

Wer hat Sie hier hereingelassen?

Stephen King

Ich glaube, ich habe meinen Mantel verloren.

William Shakespeare

Sie kennen die Leute doch gar nicht, denen Sie diese Worte in den Mund legen. Die meisten sind tot, und Stephen King wird vielleicht gerichtlich gegen Sie vorgehen. Sie sollten wirklich wieder öfter herkommen.

Meine derzeitige Psychotherapeutin

Inhalt

Vorschusslorbeeren

Eine Reihe missglückter Disclaimer

Geleitwort der Autorin

Irre glücklich. Gefährlich traurig

Ich habe eine Schlafstörung, und das bringt mich bestimmt noch um … oder jemand anderen

Tu einfach so, als hättest du’s drauf

George Washingtons Dildo

Ich bin nicht psychotisch. Ich habe nur das zwingende Bedürfnis, vor Ihnen in der Schlange zu stehen

Warum sollte ich mehr tun, wo ich doch mittlerweile richtig gut darin bin, nichts zu tun?

Was ich zu meinem Psycho-Doc sage und was ich tatsächlich meine

Schau dir nur mal diese Giraffe an!

Die Angst

Haut-Kutür und Ponytox

Schwer zu sagen, wer von uns nun wirklich geisteskrank ist

Ich ließ mein Herz in San Francisco

(Ersetzen Sie »in San Francisco« jetzt durch »beim Lemurenhaus« und »Herz« durch ein trauriges Fragezeichen.)

Legen Sie sich einen Vorrat an Schneekugeln zu. Falls die Zombie-Apokalypse ausbricht

Anhang: ein Interview mit der Autorin

Ich werde zum Zombie, Organ für Organ

Katzen sind total selbstsüchtige Gähner, und keiner unternimmt etwas dagegen

Koalas sind voller Chlamydien

Voodoo-Vagina

Die Erde sollte mal Diät machen. Aber wirklich

Dinge, die ich versehentlich während peinlicher Schweigeminuten gesagt haben könnte

Mein Skelett ist potateriffic

Man nennt das »Katzouflage«

Wir sind besser als Galileo. Weil der nämlich tot ist

Dinge, die mein Vater mich gelehrt hat

Ich werde sterben. Irgendwann

Das hängt ganz davon ab, wie man es sieht (Das Buch Nelda)

Nun, zumindest sind deine Nippel nicht zu sehen

Der Große Persönlichkeitstest

Dieses Baby war einfach köstlich

Diese Kekse haben doch überhaupt keine Ahnung von meiner Arbeit

Es wäre einfacher. Aber es wäre nicht besser

Nachwort: Meldung aus dem Schützengraben

Danksagung

Bildnachweis

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An dieser Stelle wollte ich eigentlich ein harmloses Mary-Oliver-Zitat bringen, aber dann fiel mir etwas anderes ein: Ich hatte nämlich eine tolle Idee für das Cover dieses Buches, aber vermutlich zieht da der Verlag nicht mit. Trotzdem, ich möchte meine Idee auf jeden Fall verwenden. Das Tolle daran ist nämlich Folgendes: Wenn Sie das Buch beim Lesen hochhalten, dann sieht es so aus, als hätten Sie wenigstens zur Hälfte ein ekstatisch grinsendes Waschbärengesicht. Sie wirken also zugleich nett und furchterregend. Und die Leute, die vorbeigehen, stören Sie nicht beim Lesen. Wenn Sie die Seite kopieren und sich einen wiederverwendbaren Umschlag daraus basteln, dann können Sie ihn auch für alle anderen Bücher, die Sie lesen, nutzen. Damit senden Sie ein höchst subtiles »Bitte nicht stören«-Signal. Nach ein paar Jahren werden die Leute Sie zwar für einen ultra-langsamen Leser halten, aber dafür haben Sie beim Lesen Ihre Ruhe, und das ist die Sache doch allemal wert. Außerdem macht es Spaß, halb Waschbär zu sein. Wenn Sie nicht derselben Meinung sind, ist dieses Buch für Sie vielleicht nicht ganz die richtige Lektüre.

Ich habe Sie gewarnt!

Eine Reihe missglückter Disclaimer

Nein, nein. Ich muss darauf bestehen: Lesen Sie nicht weiter!

Immer noch dabei? Cool! Ab jetzt dürfen Sie sich über nichts mehr, was in diesem Buch steht, beschweren, schließlich habe ich Ihnen gesagt, dass Sie nicht weiterlesen sollen, und Sie haben es trotzdem getan. Sie erinnern mich an Blaubarts Frau, als sie all die Köpfe im Schrank gefunden hat. (Achtung: Spoilerwarnung!) Ich persönlich finde das gut. Die abgeschlagenen Köpfe im Schrank zu übersehen ist nämlich auch kein Patentrezept für eine gute Beziehung. Eher ein Indiz für mangelnde Schrankhygiene und ein Grund für eine Anklage wegen Beihilfe. Sie müssen den abgeschlagenen Köpfen ins Gesicht sehen, weil Sie als Mensch nicht wachsen können, ohne die Verrücktheiten ins Licht des Bewusstseins zu heben, die wir mit so viel Eifer vor dem Rest der Welt verbergen. Jeder hat doch ein paar abgeschlagene Köpfe im Schrank. Manchmal handelt es sich dabei um Geheimnisse, manchmal um unausgesprochene Bekenntnisse, manchmal um verborgene Ängste. Dieses Buch ist so ein abgeschlagener Kopf. Sie halten meinen abgeschlagenen Kopf in Händen. Ich weiß, das ist jetzt kein gutes Bild, aber ich habe Ihnen ja schon oben gesagt, Sie sollen nicht weiterlesen. Ich will Ihnen daraus jetzt keinen Strick drehen, aber nun stecken wir beide in der Schlinge.

***

Alles in diesem Buch ist wahr – bis auf ein paar Kleinigkeiten, die ich geändert habe, um die Schuldigen zu schützen. Ich weiß, normalerweise schützt man die Unschuldigen, aber warum sollten die eigentlich Schutz brauchen? Sie sind ja schließlich unschuldig. Und über sie zu schreiben ist nicht annähernd so lustig wie über die Schuldigen, deren Geschichten immer viel interessanter sind. Außerdem kann man sich nach so einer Lektüre eindeutig als besserer Mensch fühlen.

***

Dies ist ein lustiges Buch über das Leben mit einer psychischen Störung. Das hört sich jetzt schräg an, aber ich bin nun mal psychisch gestört, und die meisten besonders witzigen Leute, die ich kenne, sind es auch. Wenn Ihnen dieses Buch also nicht gefällt, sind Sie vielleicht einfach nicht gestört genug, um es genießen zu können. So oder so haben Sie also nichts zu verlieren.

Geleitwort der Autorin

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie halten gerade mein neues Buch in der Hand und fragen sich wahrscheinlich, ob es sich lohnt, es zu lesen. Möglicherweise nicht, aber es ist ein 25-Euro-Schein im Buchrücken versteckt, also kaufen Sie es schnell, bevor der Buchhändler es merkt.1

Gern geschehen.

IRRE GÜCKLICH ist der Titel dieses Buches. Er steht in seiner Kürze für eine Kleinigkeit, die mir das Leben gerettet hat.

Meine Großmutter sagte immer: »Ein bisschen Regen gibt es in jedem Leben. Regen, Arschlöcher und Scheiße in jeder Form.« Gut, vielleicht hat sie das ein wenig anders ausgedrückt, aber recht hatte sie auf jeden Fall. Jeder von uns hat sein Päckchen zu tragen, was Tragödie, Irrsinn und Drama angeht. Die Frage ist, wie wir damit umgehen.

Ich habe das vor einigen Jahren am eigenen Leib erfahren, als ich plötzlich in eine Depression stürzte, die so tief war, dass ich keinen Weg heraus sah. Dabei war die Depression nicht mal eine neue Erfahrung für mich. Seit meiner Kindheit habe ich mit diversen seelischen Störungen zu kämpfen, doch meine Angststörung drängt sich in der Regel wesentlich mehr in den Vordergrund. Manchmal ist die Depression so leicht, dass ich sie mit einer Grippe verwechsle oder mit Pfeiffer’schem Drüsenfieber. Aber damals war das anders. Ich wollte zwar meinem Leben kein Ende setzen, aber ich wollte, dass die Krankheit aufhörte, mir dauernd ein Bein zu stellen. Ich erinnerte mich immer wieder daran, dass die Depression eine Lügnerin ist, denn genau das ist sie. Ich sagte mir, dass es schon besser werden würde. Ich tat all die kleinen Alltagsdinge, die manchmal helfen, aber ich fühlte mich immer noch total hoffnungslos. Und plötzlich wurde ich so richtig wütend. Wütend, dass einem das Leben solche Knüppel zwischen die Füße werfen kann. Wütend über die Ungerechtigkeit, mit der uns unser Maß an Unglück zugemessen wird. Wütend, weil es außer der Wut kein anderes Gefühl mehr in mir gab.

Also schrieb ich einen Post in meinen Blog, und dieser Post sollte meine Sicht auf das Leben für immer verändern:

Oktober 2010

Alles in allem waren die letzten sechs Monate eine gottverdammte viktorianische Tragödie. Heute hat mir mein Mann Victor einen Brief in die Hand gedrückt, in dem stand, dass noch einer unserer Freunde unerwartet gestorben ist. Jetzt glaubt ihr vermutlich, dass dies der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt. Dass ich jetzt unweigerlich in den Abgrund aus Tafil und Regina-Spektor-Songs stürzen werde, aus dem es kein Entkommen gibt. Falsch. Absolut falsch. Denn ich habe verdammt noch mal die Schnauze voll vom Traurigsein. Ich weiß nicht, was mit der Welt in letzter Zeit los ist, aber MIR REICHT’S. ICH WERDE IRRE GLÜCKLICH SEIN, AUS REINER BOSHEIT.

Hört ihr das? Ja, meine Lieben, ich lächle. Ich lächle so laut, dass ihr es hören könnt. Ich werde das verdammte Universum mit meiner irrationalen Freude überfluten, und ich werde im Stakkato Bilder von tapsigen Kätzchen und niedlichen Hundewelpen ausspucken, die von Waschbären adoptiert wurden. ICH WERDE VERDAMMT NOCH MAL NEUGEBORENE LAMAS ZEIGEN, DIE MIT GLITZERSTAUB UND DEM BLUT VON SEXY VAMPIREN BESPRENGT WURDEN, UND ES WIRD DER TOTALE HAMMER SEIN! Ich rufe hiermit den Beginn einer neuen Bewegung aus. Der IRRE-GLÜCKLICH-Bewegung. Und das wird der absolute Oberhammer, erstens, weil wir alle HELLLODERND glücklich sein werden, und zweitens, weil allen, die uns nicht leiden können, die Kinnlade nach unten klappen wird, weil diese Arschlöcher es schon nicht mit anschauen können, wenn wir mal ein bisschen fröhlich sind, und irre glücklich schon gar nicht. Das wird ihr Weltbild ins Wanken bringen und ihnen Angst machen. Und das macht uns nur noch glücklicher. Und zwar ganz legal. Dann wendet sich für uns nämlich endlich alles zum Guten. Wir: 1 Person. Arschlöcher: 8000000 Personen. Das sieht jetzt noch nicht so beeindruckend aus, weil die anderen uns natürlich noch um eine Nasenlänge voraus sind. Aber wisst ihr was? Scheißegal! Wir fangen einfach von vorne an.

Wir: 1 Person. Arschlöcher: 0 Personen.

***

Innerhalb weniger Stunden lag #FURIOUSLYHAPPY [irre glücklich] bei Twitter weltweit ganz vorne, denn es gab offenkundig viele Menschen, die ihr Leben dem Ungeheuer Depression aus den Klauen reißen wollten. Und das war erst der Anfang.

In den nächsten Jahren zwang ich mich dazu, zu allen Albernheiten und Peinlichkeiten einfach Ja zu sagen. Ich sprang in Springbrunnen, die nicht zum Reinspringen gedacht waren. Ich machte spontane Exkursionen, um UFOs zu jagen. Ich fuhr hinter Tornados her. Ich trug zur Twilight-Premiere in unserem Kino einen toten Wolf (der an Nierenversagen gestorben war) und hatte keine Angst, vor den aufgebrachten Vampirfans Flagge zu zeigen: »Team Jacob!«, schrie ich, mich zum Film-Werwolf Jacob Black bekennend. Ich leaste stundenweise ein Faultier. Mein neues Mantra war: »Gutes Benehmen wird maßlos überschätzt und kann Krebs verursachen.« Kurz gesagt: Ich tickte ein bisschen aus, in langen, aber recht regelmäßigen Abständen. Und das war das Beste, was mir hätte passieren können.

Das soll nicht heißen, dass ich nicht mehr depressiv war oder ängstlich oder psychisch krank. Ich verbrachte immer noch Wochen im Bett, wenn ich einfach nicht aufstehen konnte. Ich versteckte mich immer noch unter meinem Schreibtisch, wenn die Angst zu schlimm wurde, um gegen sie ankämpfen zu können. Der Unterschied war nur, dass ich jetzt einen kleinen Speicher im Hinterkopf hatte, in dem all diese anderen Augenblicke lagerten: Balancieren auf einem Drahtseil, Schnorcheln in längst vergessenen Höhlen, barfuß über einen Friedhof laufen, während mein rotes Ballkleid hinter mir herschwingt. Das erinnerte mich daran, dass ich, sobald ich die Kraft hätte, wieder aufzustehen, erneut irre glücklich sein würde. Nicht um mein Leben zu retten, sondern um mein Leben zu leben.

Die Depression hat etwas an sich, das es uns ermöglicht (uns mitunter auch zwingt), eine emotionale Tiefe zu erleben, die die meisten »normalen« Menschen nicht einmal ansatzweise erleben. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Krankheit, die Sie so tief in die Knie zwingt, dass Ihr Verstand Ihnen den Wunsch eingibt, sich umzubringen. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine bösartige Störung, die kein Mensch versteht. Stellen Sie sich vor, Sie haben gefährliche Gefühle, die nicht einmal Sie selbst kontrollieren oder unterdrücken können. Stellen Sie sich vor, alle Menschen leben in Frieden. Stellen Sie sich vor, dass die Erben von John Lennon mich nicht vor Gericht zerren, weil ich diesen Satz geschrieben habe. Und dann stellen Sie sich noch vor, dass eben diese (mitunter tödliche) Krankheit zu den am stärksten missverstandenen Störungen auf der Welt gehört … eine, über die niemand reden will und der viele von uns nie ganz entkommen können.

Ich habe oft schon darüber nachgedacht, dass schwer depressive Menschen mit extremen Emotionen so vertraut sein müssen, dass sie möglicherweise auch Freude auf eine Weise empfinden, die »normale« Menschen nicht begreifen. Genau darum geht es bei IRRE GLÜCKLICH. Dass wir, wenn alles gerade gut läuft, dieses »alles« nehmen und es so außergewöhnlich machen, dass es unvergesslich wird, denn diese Augenblicke machen uns zu dem, was wir sind. Wir können sie mitnehmen in die Schlacht, wenn unser Gehirn unserem Leben wieder einmal den Krieg erklärt. Es geht um den Unterschied zwischen »das Leben überleben« und »unser Leben leben«. Den Unterschied zwischen »eine Dusche nehmen« und »dem kleinen Affen, den wir neuerdings zum Butler ausbilden, beizubringen, wie er uns die Haare shampooniert«. Den Unterschied zwischen »zurechnungsfähig« und »irre glücklich«.

Manche Menschen glauben, dass diese »IRRE GLÜCKLICH«-Bewegung nur eine Rechtfertigung für pubertäres, verantwortungsloses Verhalten sei, zum Beispiel, wenn man eine Horde Kängurus mit nach Hause bringt, ohne seinem Mann vorher Bescheid zu sagen, weil man ziemlich genau weiß, dass er sowieso Nein sagen würde, denn schließlich war er noch nie so der Kängurufreund. Aber das Beispiel ist eigentlich total blöd, weil ja kein vernünftiger Mensch jemals gleich eine ganze Horde Kängurus mit nach Hause bringen würde. Allerhöchstens zwei. Ich spreche da aus Erfahrung. Mein Mann Victor meint ja, dass die maximal zulässige Obergrenze für Kängurus in unserem Haus auf null festgesetzt wurde, aber ich finde, dass er sich das hätte überlegen müssen, bevor ich all die Kängurus gemietet habe.

Aus der IRRE-GLÜCKLICH-Bewegung ist übrigens auch die Silver-Ribbon-Initiative hervorgegangen. Sie entstand aus einem Blogpost und hat Tausende von Menschen angesprochen. Natürlich hat niemand von uns je so ein silbernes Band selbst gemacht, wir sind alle viel zu depressiv fürs Handarbeiten. Hier der ursprüngliche Post:

Wenn Krebskranke kämpfen und es schaffen, den Krebs zu besiegen, dann preisen wir ihre Tapferkeit. Wir tragen ein rotes Band, um ihren Sieg zu feiern. Wir nennen sie »Überlebende«. Weil sie genau das sind.

Wenn Depressionskranke kämpfen und es schaffen, die Depression zu besiegen, bekommen wir das in der Regel gar nicht mit, weil die meisten im Verborgenen leiden. Aus Scham, etwas öffentlich zu machen, was sie als persönliche Schwäche erleben. Aus Angst, dass ihre Mitmenschen sich um sie sorgen könnten oder, schlimmer noch, dass sie es nicht tun. Wir sind meist zu nicht mehr imstande, als auf dem Sofa zu liegen und uns zum Atmen zu zwingen.

Eine Depression überwunden zu haben verschafft einem eine unglaubliche Erleichterung, aber keine, die wir uns trauen würden zu feiern. Denn statt uns stark zu fühlen, weil wir die Krankheit besiegt haben, beschleicht uns die Angst, sie könnte wiederkommen. Und die Scham und Verletzlichkeit, wenn wir mitbekommen, wie sehr die Krankheit unsere Familie mitgenommen hat und unsere Arbeit beeinträchtigt. Alles ist liegengeblieben, während wir uns unseren Weg zurück ins Leben erkämpft haben. Wir kommen dünner, blasser und schwächer zurück … aber auch wir sind Überlebende. Überlebende, denen am Arbeitsplatz niemand auf die Schulter klopft, weil wir es geschafft haben. Überlebende, die mehr leisten müssen als zuvor, weil Freunde und Familie jedes Quäntchen Energie verbraucht haben, um uns in einem Kampf beizustehen, den sie vermutlich nie begreifen werden.

Ich hoffe, ich werde irgendwann ein Meer von Menschen das silberne Band tragen sehen, zum Zeichen, dass sie diesen geheimen Kampf verstehen. Als Zeichen des Sieges, den wir jeden Tag erringen, an dem es uns gelingt, aus unserem Kaninchenbau heraus ans Licht zu klettern, wo unsere Wunden heilen können und wir uns wieder daran erinnern, wie es ist, wenn die Sonne scheint.

Ich hoffe, dass es mir eines Tages wieder besser geht, und ich bin mir ziemlich sicher, dass dies der Fall sein wird. Ich hoffe, eines Tages in einer Welt zu leben, wo der persönliche Kampf um seelisches Gleichgewicht statt von Scham von Stolz und Jubelschreien begleitet sein wird. Ich hoffe das auch für dich.

Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Ich habe mich drei Tage lang nicht selbst verletzt. Ich singe in der Dunkelheit seltsame Schlachtlieder für mich, um die Dämonen zu verscheuchen. Ich bin eine Kämpfernatur, wenn es nötig ist.

Und darauf bin ich stolz.

Ich feiere jeden Menschen, der dies liest. Ich feiere die Tatsache, dass du deinen Kampf ausgefochten hast und weiter siegreich sein wirst. Ich feiere die Tatsache, dass du diesen Kampf vielleicht nicht verstehst, aber trotzdem den Stab aufnimmst, wo ein geliebter Mensch ihn hat fallenlassen, um ihn aufzubewahren, bis er ihn wieder selbst in die Hand nehmen kann. Ich habe überlebt, und ich halte mir vor Augen, dass wir mit jedem Mal stärker werden, wenn wir wieder eine Episode hinter uns gebracht haben. Wir lernen neue Taktiken auf dem Schlachtfeld. Sie zu lernen ist schrecklich, doch wir wenden sie an. Wir kämpfen nicht vergeblich.

Wir gewinnen.

Wir sind am Leben.

***

Ja, wir sind am Leben.

Ich möchte, dass dieses Buch Menschen hilft, die unter psychischen Erkrankungen leiden, und ebenso ihren Freunden und Familien, die auch davon betroffen sind. Ich möchte Menschen zeigen, dass es ein Vorteil sein kann, »nicht ganz richtig« zu sein, wie meine Großmutter zu sagen pflegte. Ich möchte, dass meine Tochter begreift, was mit mir nicht stimmt und was schon. Ich möchte Hoffnung schenken. Auch ich möchte die Welt lehren, in vollkommener Harmonie zu singen wie im Coca-Cola-Werbespot – nur ohne Coca Cola.

Dieses Buch ist nicht Band 2 meiner Autobiografie, sondern eher eine Sammlung schräger Essays und Gespräche sowie einiger konfuser Gedanken. Sie alle werden nur durch den roten Faden einer verschütteten Flasche Rotwein und den Tränen meiner Lektorin einen inneren Zusammenhalt bekommen, sehr zum Leidwesen meiner entsetzten Verleger, denen nichts anderes übrig bleibt, als sich mit meiner Überzeugung, man könne Wörter durchaus erfinden, wenn es für bestimmte Dinge noch kein passendes gibt, zu fügen. Man nennt so etwas übrigens ein »Klügelat«2. Ich hoffe, Sie kommen zu dem Schluss, dass dieses Buch dem ersten das Wasser reichen kann: merkwürdig, witzig, ehrlich – und halt ein bisschen sehr seltsam.

Aber auf bestmögliche Weise.

Wie wir alle eben.

Jenny Lawson3

1 Meine Lektorin besteht darauf, dass ich klarstelle, dass in diesem Buch kein 25-Euro-Schein versteckt ist, was irgendwie lächerlich ist, wenn man so was erklären soll, denn schließlich gibt es ja gar keinen 25-Euro-Schein. Wenn Sie dieses Buch gekauft haben, weil Sie dachten, Sie finden einen 25-Euro-Schein darin, dann haben Sie für Ihr Geld eine wichtige Lektion erhalten, nämlich: »Verkaufen Sie Ihre Kuh nicht für sogenannte Zauberbohnen.« Ich weiß, es gab vor einigen Jahren schon mal ein Buch mit so einer Lektion, aber ich glaube, mein Beispiel ist viel plausibler. Sozusagen die Fifty Shades of Grey-Version des Märchens von Jack und der Bohnenranke. Nur mit weniger Anal-Toys. Und natürlich ohne Bohnenranke.

2 »Klügelat« ist ein Wort, das ich erfunden habe, um Ihnen ein Beispiel zu geben für Worte, die man erfinden muss, weil es sie noch nicht gibt. Es ist eine Schöpfung aus »ausklügeln« und »Elaborat«. Ich wollte es eigentlich »imaginär« nennen (ein Klügelat aus »imaginiert« und »Diktionär«), aber es stellte sich heraus, dass das Wort »imaginär« schon klügeliert wurde, was im Grunde ein Glück ist, denn »Klügelat« hört sich ein bisschen edel an, und es macht Spaß, es auszusprechen. Versuchen Sie es mal: KLÜ-GE-LAT. Da ist Musik drin.

3 Meine psychische Erkrankung ist nicht Ihre psychische Erkrankung. Selbst wenn man uns beiden die exakt gleiche Diagnose gestellt hat, werden wir sie auf völlig unterschiedliche Weise erleben. Dieses Buch stellt daher nur meine ureigenste Sicht auf meinen ganz persönlichen Weg bis heute dar. Es ist kein Lehrbuch. Wäre es das, würde es vermutlich sehr viel mehr Geld kosten und weniger obszön ausfallen. Und es würde ganz sicher keine Geschichten über Leute enthalten, die einem per Post Vaginas schicken. Es ist so wie mit allen Geschichten, schnellen Autos, Bären, seelischen Erkrankungen und dem Leben im Allgemeinen: Der Kilometerstand Ergebnis ist bei jedem anders.

Irre glücklich. Gefährlich traurig

»Du bist nicht verrückt. HÖR AUF, DICH ALS VERRÜCKT ZU BEZEICHNEN«, sagt meine Mutter gerade zum hunderttausendsten Mal. »Du bist einfach nur sensibel. Und vielleicht … ein bisschen … eigen.«

»Und so im Arsch, dass ich kiloweise Medikamente schlucken muss«, füge ich hinzu.

»Das hat doch nichts mit verrückt zu tun«, sagt meine Mutter und wendet sich wieder dem Abwasch zu. »Du bist nicht verrückt, und du musst aufhören, das dauernd zu sagen. Du hörst dich ja an, als wärst du gaga.«

Ich muss lachen, denn der Streit ist keineswegs neu. Wir haben das Thema schon Millionen Mal diskutiert und werden es wohl auch noch weitere Millionen Mal tun. Also lasse ich es einfach. Außerdem: Rein technisch gesehen hat sie ja recht, ich bin nicht »verrückt«, aber die Bezeichnung »verrückt« ist so viel handlicher als die exakte Benennung dessen, was ich wirklich bin.

Den meisten Seelenklempnern zufolge, die ich in den letzten zwei Jahrzehnten aufgesucht habe, bin ich eine hochfunktionale Depressive mit einer schwerwiegenden Angststörung, einer moderaten klinischen Depression und einer leichten Autoaggressions-Problematik, die von einer Impulskontrollstörung herrührt. Ich habe eine selbstunsichere Persönlichkeitsstörung (eine Art sozialer Phobie auf Speed) und gelegentliche Depersonalisations-Momente (bei denen ich mich dem Leben ungeheuer fern fühle, aber nicht auf diese »Hey, das LSD haut echt rein«-Art, sondern mehr auf die »Was mein Gesicht wohl gerade macht«-Art oder auf die »Es wäre toll, mal wieder Gefühle zu haben«-Weise). Ich habe rheumatoide Arthritis und eine Autoimmunstörung. Und das Sahnehäubchen auf diesem geistig destabilisierten Kuchen sind eine milde Zwangsneurose und eine Trichotillomanie – der Zwang, sich selbst die Haare auszureißen. Ich beende meine Aufzählung immer mit dieser Störung, denn sobald die Leute »Manie« hören, rücken sie automatisch ein Stück ab, und man hat mehr Platz in einem ausgebuchten Flugzeug. Vielleicht, weil man in einem ausgebuchten Flugzeug eigentlich nicht über Manien spricht. Das ist einer der Gründe, warum Victor, mein Mann, es hasst, mit mir zu fliegen. Der andere Grund ist, dass ich häufig mit ausgestopften Tieren unterwegs bin, weil sie mir bei meiner Angststörung helfen. Doch im Wesentlichen reisen wir deshalb nicht oft zusammen, weil er von unvergesslichen Dingen keine Ahnung hat.

»Du hast keine Manie«, sagt meine Mutter gerade mit ihrer Beschwörungsstimme. »Du zupfst halt nun mal gern an deinen Haaren. Das hast du schon gemacht, als du noch klein warst. Es beruhigt dich einfach. So als würdest du … eine Katze streicheln.«

»Aber ich zupfe mir die Haare aus«, korrigiere ich sie. »Da ist ein Unterschied. Daher nennt man es auch ›Manie‹ und nicht ›Katzenstreichel-Störung‹. Die im Übrigen echt schlimm wäre, denn dann hättest du am Ende ein paar halbkahle Miezen, die dich mit Sicherheit hassen würden. Mein Gott, hoffentlich bekomme ich nie eine Katzenfell-ausreiß-Störung!«

Meine Mutter seufzt, aber genau aus diesem Grund liebe ich diese Gespräche mit ihr. Weil sie mir eine andere Sicht vermittelt. Aus demselben Grund hasst meine Mutter diese Gespräche: weil ich ihr gewisse Einblicke gebe.

»Du bist absolut normal«, sagt meine Mutter und schüttelt dabei den Kopf, als wolle sogar ihr Körper sie nicht mit dieser Lüge davonkommen lassen.

Ich lache und zupfe unwillkürlich an meinen Haaren. »Ich war noch nie normal, und ich glaube, das wissen wir beide.«

Meine Mom hält einen Augenblick inne und versucht, ein Gegenargument zu finden, aber das ist vergebliche Liebesmüh.

Ich war schon immer recht ängstlich, manchmal bis zur Lächerlichkeit. Meine erste Erinnerung an die Schule ist ein Klassenausflug in ein Krankenhaus, wo uns ein Arzt verschiedene Blutproben zeigte. Ich kippte daraufhin sofort um und fiel über eine Reihe von (glücklicherweise leeren) Bettpfannen. Meine Mitschüler erzählten mir später, der Lehrer hätte gesagt: »Beachtet sie nicht, sie will sich nur aufspielen.« Da ich am Kopf blutete, holte der Arzt wohl eine Kapsel mit Ammoniak heraus und brach sie unter meiner Nase auf. Das ist ungefähr so, als würde man von einer unsichtbaren Stinkefaust eins auf die Nase bekommen.

Ehrlich, ich weiß nicht, weshalb ich da in Ohnmacht gefallen bin. Meine Angst wurde dadurch nicht weniger, aber mein Unbewusstes war offensichtlich so entsetzt gewesen, dass es beschloss, der sicherste Ort für mich sei am Fußboden, inmitten von Bettpfannen. Was wiederum zeigt, dass mein Körper einen an der Waffel hat, denn ein Zwangsschläfchen ist ja mit Sicherheit die schlechteste Verteidigungsstrategie. Wahrscheinlich die humanoide Version der Opossum-Strategie. (Die Viecher stellen sich nämlich tot, wenn ein Bär sie angreift. Auch nicht gerade die beste Methode, sollte man meinen, aber vielleicht sagt sich der Bär: »Wie cool ist das denn? Ich greife sie an, und die legen sich schlafen? Da pass ich wohl besser auf.«)

Das war der Anfang einer lächerlich langen Zeit in meinem Leben, in der ich etwas hatte, was Psychologen als »Weißkittel-Syndrom« bezeichnen. Meine Familie erfand dafür die Bezeichnung: das »Was zum Teufel stimmt mit Jenny nicht?«-Syndrom. Ich glaube, meine Familie lag da eher richtig, denn in Ohnmacht zu fallen, wenn man einen Arztkittel sieht, ist verdammt lächerlich und mehr als peinlich, vor allem, wenn man dann wieder zu sich kommt und zugeben muss: »Entschuldigen Sie, dass ich gerade wegen Ihnen in Ohnmacht gefallen bin. Offensichtlich habe ich Angst vor Kitteln.« Was das Ganze noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass ich anscheinend, wenn ich da so auf dem Boden liege, mit den Armen rudere und gutturale Laute von mir gebe. »Wie Frankenstein«, meinte meine Mutter einmal, die solche Szenen mehrfach erlebt hat.

Andere Menschen kämpfen vielleicht gegen ihre unbewusste Angst vor Schicksalsschlägen, Versagen oder dem Gesteinigt-Werden an, meine Phobie aber lässt mich vor Oberbekleidung zurückscheuen. Ich bin einmal vor dem Optiker in Ohnmacht gefallen, zweimal beim Zahnarzt und zwei besonders schreckliche Male bei der Gynäkologin. Bei der Frauenärztin in Ohnmacht zu fallen hat zweifelsohne den Vorteil, dass man nicht weit fällt, wenn man schon auf den Stuhl geklettert ist. Aber das gilt natürlich nur für Personen, die nicht sind wie ich und in der Ohnmacht mit Armen und Beinen rudern und die besagten Laute ausstoßen. In Ohnmacht zu fallen, während jemand an Ihrer Vagina herummacht, ist echt schrecklich. Es ist, als hätte man einen total lahmen Orgasmus, für den es sich nicht mal lohnt aufzuwachen. Ich erinnere meine Gynäkologin immer daran, dass ich mitunter recht lautstark in Ohnmacht falle, während sie den Abstrich macht, woraufhin sie grimmig antwortet, dass ich sie daran nun wirklich nicht zu erinnern brauche. »Vielleicht«, meint meine Schwester, »weil andere Leute nicht so eine Show daraus machen, wenn sie in Ohnmacht fallen.«

Das einzig wirklich Schlimme an den Gynäkologen-Ohnmachten ist, dass Sie beim Erwachen mitunter irgendein unerwartetes Spekulum in der Vagina haben, was die drittschlimmste Art des Aufwachens nach einer Bewusstlosigkeit ist. (Die zweitschlimmste Art ist, wenn Sie ohne Spekulum aufwachen und der ganze Zirkus dann von vorne losgeht. Daher sage ich meinen Frauenärzten immer, sie sollten ruhig weitermachen, wenn ich das Bewusstsein verliere, denn dann sind sie wenigstens fertig, wenn ich wieder wach bin.

Die allerschlimmste Art des Aufwachens aber ist, wenn ein Bär an Ihnen rumknabbert, weil Ihr Körper sich einbildet, es sei die beste Verteidigung gegen Bären, sich tot zu stellen. Diese Opossumnummer klappt so gut wie nie. Gut, das weiß ich natürlich nicht aus eigener Erfahrung, weil ich noch nie angesichts eines Bären in Ohnmacht gefallen bin – das wäre ja auch echt total lächerlich. Ehrlich gesagt bin ich eher dafür bekannt, dass ich auf Bären zulaufe, um ein möglichst gutes Foto zu schießen. In Ohnmacht fallen lässt mich wie gesagt nur der Anblick von Labor-Oberbekleidung, und mein Kopf sagt mir, dass das wirklich besorgniserregend ist.)

Tatsächlich habe ich sogar einmal das Bewusstsein verloren, als ich beim Tierarzt war und der laut meinen Namen rief. Anscheinend bekam mein Unbewusstes einen Schock, weil ich auf dem Kittel des Tierarztes Blut gesehen hatte. Und dann brach ich über meiner Katze zusammen. (Das ist kein Witz!) Als ich wieder aufwachte, lag ich im Wartezimmer, ohne T-Shirt an, und starrte einigen Hunden und ihren Besitzern ins Gesicht, die auf mich heruntersahen. Offensichtlich hatte der Tierarzt die Sanitäter gerufen, die wiederum meinen Puls nicht finden konnten und mir deshalb das T-Shirt aufgeschnitten hatten. Ich persönlich glaube ja, sie waren nur auf einen billigen Kick aus. Die Hunde waren wohl derselben Meinung, denn sie schienen etwas peinlich berührt, während sie dem ganzen Spektakel aufmerksam zusahen. Aber das kann man den Hunden nun wirklich nicht vorwerfen, denn wer kann schon den Blick von einem solchen Wrack abwenden?

»Ohne T-Shirt umringt von besorgten Hundeaugen aufzuwachen, die auf deinen BH starren, nur weil du Angst vor weißen Kitteln hast, ist vermutlich die siebtschlimmste Art des Aufwachens«, brummle ich laut in Richtung meiner Mutter.

»Hmm«, antwortet meine Mutter so neutral wie möglich und hebt die Braue. »Nun ja, vielleicht bist du nicht richtig normal wie andere Leute«, räumt sie widerstrebend ein. »Aber wer will schon richtig normal sein? Dir geht’s doch gut. Absolut gut. Besser als gut, weil du ja weißt, was mit dir nicht stimmt. Du siehst es und kannst es … irgendwie … auf die Reihe kriegen

Ich nicke. Damit hat sie recht, obwohl der Rest der Welt vermutlich mit unserer Definition von »es auf die Reihe kriegen« nicht ganz einverstanden wäre.

Als ich klein war, »kriegte ich es auf die Reihe«, indem ich mich vor der Welt in meine leere Spielzeugkiste verkroch, wenn meine damals noch nicht diagnostizierten Ängste zu stark wurden. In der Highschool kriegte ich es auf die Reihe, indem ich mich von anderen abkapselte. Im College kriegte ich es auf die Reihe, indem ich eine Essstörung entwickelte. Ich kontrollierte mein Essen, um die mangelnde Kontrolle über meine Emotionen auszugleichen. Heute, als Erwachsene, kriege ich es auf die Reihe mit Medikamenten, mit Besuchen beim Arzt und mit Verhaltenstherapie. Ich kriege es auf die Reihe, indem ich schmerzhaft ehrlich bin, was das Ausmaß meiner Verrücktheit angeht. Ich kriege es auf die Reihe, indem ich mir erlaube, mich bei wichtigen Ereignissen im Badezimmer einzuschließen oder unter dem Tisch zu verstecken. Und manchmal kriege ich es auf die Reihe, indem ich zulasse, dass es mich überrollt, weil ich ohnehin keine andere Wahl habe.

Es gibt Phasen, da schaffe ich es eine Woche lang nicht, aus dem Bett zu kommen. Angstattacken sind immer noch ein schwieriger und beängstigender Teil meines Lebens. Doch seit meiner Erleuchtung, was das »Irre-glücklich-Sein« angeht, habe ich gelernt, wie wichtig es ist weiterzumachen, weil ich weiß, dass ich eines Tages wieder glücklich sein werde. (Wenn Sie diesen Satz jetzt nicht verstehen, dann liegt das vermutlich daran, dass Sie mein schönes Geleitwort nicht gelesen haben, wie sich das eigentlich so gehört. Blättern Sie zurück und lesen Sie es, denn es ist wichtig. Außerdem finden Sie dort möglicherweise einen Geldschein.)

Aus diesem Grund schleiche ich in gruseligen Hotels in anderer Leute Toiletten. Ich habe apokalyptische Zombie-Workouts in überfüllten Tanzsälen hingelegt und bin auf einem Flugzeugträger auf hoher See gelandet. Per Crowdfunding habe ich mal genug Geld gesammelt, um einen ausgestopften Pegasus zu kaufen. Ich bin irre glücklich. Und das ist keine neue Heilmethode für psychische Erkrankungen – es ist eine Waffe, mit der man gegen die Erkrankungen ankämpfen kann. Ein Weg, sich etwas von der Freude zurückzuholen, die Ihnen genommen wird, wenn Sie verrückt sind.

»Aaaah! Du bist nicht verrückt«, sagt meine Mutter jetzt wieder und fuchtelt mit einem nassen Teller herum. »Hör endlich auf zu sagen, dass du verrückt bist. Die Leute werden dich für gaga halten.«

Und das stimmt. Genau das werden sie. Ich google das Wort »gaga« auf meinem Smartphone und lese ihr eine der Definitionen vor:

gaga (Adjektiv): »albern und unvernünftig«

Meine Mutter hält inne und starrt mich an. Dann seufzt sie laut auf, weil sie genau weiß, dass das perfekt auf mich passt. »Hm«, meint sie und zuckt mit den Schultern, bevor sie sich wieder dem Abwasch zuwendet. »Dann ist verrückt zu sein ja vielleicht gar nicht so übel.«

Genau.

Manchmal ist Verrücktsein genau das Richtige.