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Zum Buch

Wahre innere Stärke erwächst nicht aus Siegen, sondern aus Niederlagen: Gerade zu straucheln und hinzufallen, birgt die Chance für inneres Wachstum und weist uns den Weg zu Weisheit, Hoffnung und einem tieferen Lebenssinn. Die US-amerikanische Starpsychologin Brené Brown erforscht seit vielen Jahren die Gesetzmäßigkeiten innerer Stärke. Anschaulich und anhand vieler Beispiele beschreibt sie den Entwicklungsprozess, der uns in Krisenzeiten positiv formt: Wir lernen, mit Scham umzugehen. Uns trotz widriger Umstände als wertvoll zu empfinden. Gehen das Wagnis ein, uns in unserer Verletzlichkeit zu zeigen. Entwickeln den Mut, uns über die eigenen Grenzen hinauszuwagen und unser Leben aktiv zu gestalten – und sind schließlich stärker als je zuvor.

Zur Autorin

Brené Brown ist Professorin am Graduate College of Social Work in Houston, Texas. Seit dreizehn Jahren erforscht sie die Themen Verletzlichkeit, Scham, Authentizität und innere Stärke. Ihr TED-Talk „Die Kraft der Verletzlichkeit“, der über 23 Millionen Mal heruntergeladen wurde, machte sie weltweit bekannt. Ihre Bücher, darunter „Die Gaben der Unvollkommenheit“ und „Verletzlichkeit macht stark“, avancierten in den USA zu Bestsellern. Die beliebte Vortragsrednerin lebt mit ihrem Mann Steve und zwei Kindern in Houston.

Weitere Informationen unter www.brenebrown.com.

Brené Brown

Laufen lernt man nur durch Hinfallen

Wie wir zu echter innerer Stärke finden

Aus dem amerikanischen Englisch von Margarethe Randow-Tesch

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Sollte dieses E-Book Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung dieses E-Books verweisen.1. Auflage

Deutsche Erstausgabe

© 2016 der deutschsprachigen Ausgabe

Kailash Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Neumarkter Str. 28, 81673 München

© 2015 by Brené Brown. All rights reserved.

Lektorat: Ralf Lay

Umschlaggestaltung: Daniela Hofner, ki 36 Editorial Design, München

Umschlagmotiv: plainpicture/Mint Images/Frans Lanting

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-19712-4
V001

www.kailash-verlag.de

Für die Mutigen und die mit gebrochenem Herzen,

die uns gelehrt haben, wie man nach

einer Niederlage wieder aufsteht.

Euer Mut ist ansteckend.

INHALT

Methodische Anmerkung zum Thema »Forschung und Geschichtenerzählen«

Wahrheit und Wagnis – Eine Einführung

1. Die Physik der Verletzlichkeit

2. Die Zivilisation endet am Uferrand

3. Unsere Geschichten anerkennen

4. Die Bestandsaufnahme

5. Die Neubewertung

6. Kanalratten und Regelbrecher

7. Die Mutigen mit den gebrochenen Herzen

8. »Leichte Beute«: Vom Helfen und Brauchen

9. Mit Scheitern umgehen

10. Du musst mit denen tanzen, die dich hergebracht haben

11. Die Revolution

Anhang

Anmerkungen zum Trauma und zu komplizierter Trauer

Die Gaben der Unvollkommenheit – Zusammenfassung der Schlüsselerkenntnisse

Verletzlichkeit macht stark – Zusammenfassung der Schlüsselerkenntnisse

Danksagung

Anmerkungen

METHODISCHE ANMERKUNG ZUM THEMA »FORSCHUNG UND GESCHICHTENERZÄHLEN«

Als ich in den 1990er-Jahren mein Studium der Sozialarbeit aufnahm, steckte das Fach mitten in einer polarisierenden Debatte über das Wesen von Erkenntnis und Wahrheit: Sind erfahrungsbasierte Erkenntnisse wertvoller oder weniger wertvoll als Daten, die mithilfe von kontrollierter Forschung gewonnen werden? Welche Art Forschung sollten wir in unseren Fachzeitschriften zulassen und welche sollten wir ablehnen? Es war eine hitzige Debatte, die oft für beträchtliche Reibung unter den Professoren sorgte.

Als Doktoranden wurden wir häufig gezwungen, Partei zu ergreifen. Unsere Forschungsprofessoren brachten uns bei, uns für wissenschaftliche Beweise statt für Erfahrung, für Vernunft statt Glauben, für Wissenschaft statt Kunst und Daten statt Geschichten zu entscheiden. Paradoxerweise lehrten uns unsere praxisorientierten Professoren, dass Sozialwissenschaftler sich vor falschen Dichotomien hüten sollten – diesen »Entweder du bist dies oder du bist jenes«-Formulierungen. Tatsächlich lernten wir, dass wir angesichts eines Entweder-oder-Dilemmas als Erstes die Frage stellen sollten: Wer profitiert davon, Menschen zu einer Wahl zu zwingen?

Wenn man die Frage, wer profitiert, auf die Debatte in der Sozialarbeit anwandte, war die Antwort klar: Es waren die traditionellen, quantitativ ausgerichteten Forscher, die davon profitierten, wenn das Fach beschloss, dass nur ihr Ansatz den Weg zur Wahrheit bildete. Und in meinem College hatten die Traditionalisten die Oberhand. Es gab kaum eine bis gar keine Ausbildung in qualitativen Methoden, und die einzige Dissertationsmöglichkeit bot sich im Bereich der quantitativen Methodik. Nur in einem einzigen Buch wurde qualitative Forschung behandelt, und der Buchumschlag war hellrosa – es wurde oft »das Forschungsbuch für Mädchen« genannt.

Diese Debatte wurde für mich persönlich relevant, als ich mich in die qualitative Forschung verliebte – um genau zu sein, in Grounded Theory oder datengestützte Theoriebildung. Meine Reaktion bestand darin, diesen Ansatz trotz allem zu verfolgen und mir ein paar Verbündete in der Fakultät innerhalb und außerhalb meines Colleges zu suchen. Als meinen Professor für Methodologie wählte ich Barney Glaser von der University of San Francisco Medical School, der zusammen mit Anselm Strauss der Begründer der Grounded Theory ist.

Ich bin immer noch tief berührt von einem Editorial mit dem Titel »Viele Erkenntniswege«, das ich in den 1990er-Jahren las. Es stammt von Ann Hartman, der einflussreichen Herausgeberin einer der angesehensten Zeitschriften zur damaligen Zeit. Im Editorial schrieb sie:

Die Herausgeberin ist der Ansicht, dass es viele Wahrheiten gibt und viele Arten der Erkenntnis. Jede Entdeckung trägt zu unserem Wissen bei, und jede Erkenntnis vertieft unser Verständnis und fügt unserer Sicht von der Welt eine weitere Dimension hinzu … Großangelegte Studien über Heiratstrends in der heutigen Zeit liefern hilfreiche Informationen über eine sich rapide verändernde gesellschaftliche Institution. Aber ein Einblick in eine einzige Ehe wie bei »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?« zeigt die Komplexität einer Ehe im Detail und schenkt uns neue Einsichten über den Schmerz, die Freuden, die Erwartungen, die Enttäuschungen und die letztliche Einsamkeit in Beziehungen. Sowohl die wissenschaftlichen als auch die künstlerischen Methoden stellen uns Erkenntniswege zur Verfügung. Und wie Clifford Geertz … herausgestellt hat, gehen innovative Denker auf vielen Gebieten genreübergreifend vor und finden Kunst in der Wissenschaft, Wissenschaft in der Kunst und Gesellschaftstheorie in jeder menschlichen Schöpfung und Aktivität.1

In den ersten Jahren meiner Laufbahn als Professorin für Lehre und Forschung auf Widerruf gab ich der Angst und dem Mangeldenken nach (dem Gefühl, dass die von mir gewählte Forschungsmethode nicht hinreichend war). Ich fühlte mich als qualitative Forscherin wie eine Außenseiterin, deshalb stand ich den Verfechtern der Auffassung »Wenn man es nicht messen kann, existiert es nicht« so nah, wie ich konnte. Das hatte sowohl mit meinem Anpassungsbedürfnis als auch mit meiner tiefen Abneigung gegen Unsicherheit zu tun. Doch das Editorial ging mir nie mehr aus dem Kopf oder dem Herzen. Und heutzutage bezeichne ich mich selbst stolz als Forscherin und Geschichtenerzählerin, denn ich glaube, dass die nützlichsten Erkenntnisse über menschliches Verhalten auf den gelebten Erfahrungen der Menschen basieren. Ich bin Ann Hartman unendlich dankbar dafür, dass sie den Mut hatte, diese Position zu vertreten, Paul Raffoul dafür, dass er mir eine Kopie des Artikels gegeben hatte, und Susan Robbins, dass sie unerschrocken den Vorsitz in meinem Dissertationskomitee führte.

Beim Lesen dieses Buches werden Sie feststellen, dass ich Glaube und Vernunft nicht für natürliche Feinde halte. Meiner Ansicht nach haben unsere menschliche Sehnsucht nach Gewissheit und unser oft verzweifeltes Bedürfnis, »recht zu haben«, zu dieser falschen Dichotomie geführt. Ich traue keinem Theologen, der die Schönheit der Wissenschaft abtut, noch einem Wissenschaftler, der nicht an die Macht des Mysteriums glaubt.

Aufgrund dieser Überzeugung finde ich Erkenntnis und Wahrheit mittlerweile in einer großen Bandbreite von Quellen. In diesem Buch werden Ihnen Zitate von Wissenschaftlern und Songschreibern begegnen. Ich werde aus wissenschaftlichen Quellen und aus Filmen zitieren. Ich werde den Brief eines Mentors wiedergeben, der mir zu verstehen half, was es heißt, ein gebrochenes Herz zu haben, und ein Editorial über Nostalgie von einem Soziologen. Ich würde Crosby, Stills & Nash nicht als Akademiker bezeichnen, aber ich spreche Künstlern auch nicht die Fähigkeit ab, Wahrheiten über das menschliche Denken einzufangen.

Ich möchte auch nicht behaupten, dass ich Expertin auf allen Gebieten bin, die sich in der Forschungsarbeit für dieses Buch als wichtig herausgeschält haben. Stattdessen werde ich von der Arbeit anderer Forscher und Experten berichten, die akkurat das wiedergibt, was sich in meinen Daten zeigte. Ich kann es kaum erwarten, Sie mit einigen der Denker und Künstler bekannt zu machen, die sich der Untersuchung des inneren Wirkens von Emotion, Gedanken und Verhalten gewidmet haben.

Ich glaube mittlerweile, dass wir alle uns in unserem Leben zeigen und gesehen werden wollen. Das heißt, dass wir kämpfen und Niederlagen erleiden werden; wir werden erfahren, was es heißt, sowohl mutig zu sein als auch ein gebrochenes Herz zu haben.

Ich bin dankbar, dass wir diese Reise gemeinsam unternehmen. Wie Rumi sagt: »Wir begleiten uns alle gegenseitig nach Hause.«

Für weitere Informationen über meine Methodologie und meine aktuellen Forschungen besuchen Sie meine Webseite brenebrown.com.

Danke, dass Sie sich mir bei diesem Abenteuer anschließen.

Die Wahrheit ist,

dass Fallen wehtut.

Wir müssen wagen,

mutig

zu bleiben

und uns langsam wieder

zurückzutasten.

WAHRHEIT UND WAGNIS – EINE EINFÜHRUNG

Bei einem Interview im Jahr 2013 sagte mir ein Reporter, nachdem er meine Bücher Die Gaben der Unvollkommenheit und Verletzlichkeit macht stark gelesen habe, wolle er anfangen, an seinen eigenen Problemen mit Verletzlichkeit, Mut und Authentizität zu arbeiten.2 Lachend fuhr er fort: »Es klingt nach einem langen Weg. Können Sie mir erläutern, warum sich die Arbeit lohnt?« Ich erwiderte, dass ich beruflich wie auch persönlich zutiefst davon überzeugt sei, dass Verletzlichkeit – die Bereitwilligkeit, sich zu zeigen und gesehen zu werden, ohne das Ergebnis zu kennen – der einzige Weg zu mehr Liebe, Zugehörigkeitsgefühl und Freude sei. Rasch schloss er die nächste Frage an: »Und was ist der Nachteil?« Dieses Mal war ich es, die lachte. »Sie werden stolpern, stürzen und anecken.«

Nach einer langen Pause meinte er: »Wollen Sie damit sagen, dass sich das Wagnis dennoch lohnt?« Ich reagierte mit einem leidenschaftlichen Ja, dem das Bekenntnis folgte: »Im Augenblick sage ich unumschränkt Ja, weil ich zurzeit nicht in einem tiefen Loch stecke. Doch selbst mitten in der Turbulenz würde ich sagen, dass diese Arbeit sich nicht nur lohnt, sondern die Arbeit schlechthin ist, die man machen muss, um ein Leben aus vollem Herzen zu führen. Aber glauben Sie mir: Hätten Sie mich das mitten in der Niederlage gefragt, wäre ich weitaus weniger enthusiastisch gewesen und wohl eher stocksauer. Ich bin nicht gut darin, zu fallen und mich langsam wieder aufzurappeln.«

Seit diesem Interview sind einige Jahre vergangen – Jahre, in denen ich geübt habe, mutig zu sein und mich draußen zu zeigen –, und dennoch finde ich es immer noch unangenehm, verletzlich zu sein, und das Stürzen tut weiterhin weh. Das wird auch so bleiben. Aber ich lerne weiterhin, dass der Prozess, sich durch die Verletzung hindurchzukämpfen, genauso viel zu bieten hat wie der Prozess, mutig zu sein und sich zu zeigen.

In den vergangenen Jahren hatte ich das große Privileg, Zeit mit einigen beeindruckenden Menschen zu verbringen. Die Spanne reicht von hochrangigen Unternehmern und von Führungskräften der fünfhundert wichtigsten Firmen der USA bis hin zu Paaren, die seit über dreißig Jahren eine liebevolle Beziehung führen, und Eltern, die daran arbeiten, das Bildungswesen zu verändern. Während sie ihre Erfahrungen und Geschichten schilderten, die von Mut, Niederlagen und dem Wiederaufstehen handelten, fragte ich mich laufend: Was haben diese Menschen mit tragfähigen Beziehungen, Eltern, die tief mit ihren Kindern verbunden sind, Lehrer, die Kreativität und Lernen fördern, Geistliche, die Menschen im Glauben begleiten, und Führungskräfte, denen man vertraut, miteinander gemein?

Die Antwort war klar: Sie erkennen die Macht der Emotionen, und sie haben keine Angst davor, sich auf Unbehagen einzulassen.

Während Verletzlichkeit die Grundvoraussetzung vieler erfüllender Erfahrungen ist, nach denen wir uns sehnen – Liebe, Zugehörigkeit, Freude, Kreativität und Vertrauen, um nur einige zu nennen –, ist es der Prozess, mitten in der Turbulenz emotional wieder Tritt zu fassen, bei dem unser Mut auf die Probe gestellt und unsere Werte geschmiedet werden. Nach dem Fallen unerschrocken wieder aufzustehen ist die Methode, wie wir Rückhaltlosigkeit in unserem Leben kultivieren. Es ist der Prozess, der uns am meisten darüber lehrt, wer wir sind.

In den letzten Jahren haben mein Team und auch ich jede Woche E-Mails von Menschen erhalten, die schreiben: »Ich habe etwas Großes gewagt. Ich war mutig. Ich bin angeeckt, und jetzt werde ich ausgezählt. Wie stehe ich wieder auf?« Als ich die beiden genannten Bücher geschrieben hatte, wusste ich, dass ich irgendwann noch eins über den Umgang mit Niederlagen verfasse würde. Ich sammelte laufend Datenmaterial dazu; und was ich über die Bewältigung von Verletzungen gelernt habe, hat mich selbst immer wieder gerettet. Es hat mich gerettet, und im Lauf des Prozesses hat es mich verändert.

So sehe ich den roten Faden in meinen Büchern:

Der rote Faden, der sich durch alle drei Bücher zieht, ist unsere Sehnsucht nach einem Leben aus vollem Herzen. Aus vollem und tiefstem Herzen zu leben definiere ich als die Haltung, uns selbst etwas wert zu sein und uns von dieser Grundlage aus auf unser Leben einzulassen. Es bedeutet, Mut, Mitgefühl und Verbundenheit zu kultivieren und morgens mit dem Gedanken aufzustehen: »Ganz gleich, was ich heute schaffe und wie viel heute liegen bleibt, ich bin gut genug.« Es bedeutet, abends zu Bett zu gehen mit dem Gefühl: »Ja, ich bin unvollkommen und verletzlich und bisweilen auch ängstlich, aber das ändert rein gar nichts daran, dass ich mutig bin und liebenswert und dass ich dazugehöre.«

Sowohl Die Gaben der Unvollkommenheit als auch Verletzlichkeit macht stark sind Bücher, die wachrütteln sollen. Sie handeln davon, den Mut zu haben, sich zu zeigen und gesehen zu werden, selbst wenn es bedeutet, Fehlschläge, Verletzung, Scham und vielleicht sogar einen tiefen Fall in Kauf zu nehmen. Warum? Weil die Haltung, sich zu verstecken, etwas vorzutäuschen und sich gegen Verletzlichkeit zu wappnen, tödlich ist: Sie tötet unseren Geist, unsere Hoffnungen, unser Potenzial, unsere Kreativität, unsere Fähigkeit zu führen, unsere Liebe, unseren Glauben und unsere Freude. Meiner Meinung nach haben diese Bücher aus zwei simplen Gründen so viel Anklang gefunden: Die Menschen sind es leid, Angst zu haben, und überdrüssig, rastlos um ihren Selbstwert zu kämpfen.

Wir wollen mutig sein, und tief im Innern wissen wir, dass Mut Verletzlichkeit voraussetzt. Die großartige Nachricht ist, dass wir meiner Ansicht nach auf dem Weg sind, ernsthafte Fortschritte zu machen. Überall, wo ich hinkomme, begegnen mir Menschen, die mir sagen, sie ließen sich auf Verletzlichkeit und Ungewissheit ein und es verändere ihre Beziehungen und ihr Arbeitsleben.

Wir bekommen Tausende E-Mails, in denen Menschen die Erfahrungen schildern, die sie bei der Anwendung der zehn Wegweiser aus dem Buch Die Gaben der Unvollkommenheit machen (siehe Anhang) – sogar der schwierigen, wie Kreativität, Spiel und Selbstmitgefühl zu kultivieren. Ich habe mit Unternehmenslenkern, Lehrern und Eltern zusammengearbeitet, die sich mit aller Kraft um einen kulturellen Wandel bemühen, der darauf abzielt, Menschen zu motivieren, sich zu zeigen und Großes zu wagen. Die Erfahrung ist viel umfassender, als ich mir das vor über sechzehn Jahren hätte träumen lassen. Damals fragte mich mein Mann Steve: »Was ist deine berufliche Vision?« Und ich antwortete: »Ich möchte einen weltweiten Dialog über Verletzlichkeit und Scham in Gang bringen.«

Wenn wir mit einem Herzen voller Liebe in die Öffentlichkeit gehen, wird uns tiefer Kummer nicht erspart bleiben. Wenn wir neue, innovative Dinge ausprobieren, werden wir zuweilen scheitern. Wenn wir Fürsorglichkeit und Engagement riskieren, werden wir auch Enttäuschungen erleben. Es spielt keine Rolle, ob die Ursache unserer Verletzung eine schmerzhafte Trennung oder etwas Trivialeres wie der abschätzige Kommentar eines Kollegen oder ein Streit mit den Schwiegereltern ist. Gelingt es uns, uns behutsam durch diese Erfahrungen hindurchzutasten und die Verantwortung für unseren inneren Kampf zu übernehmen, können wir etwas Großes wagen und unser eigenes mutiges Ende schreiben. Wenn wir unsere Geschichten anerkennen, vermeiden wir es, zu passiven Figuren in den Geschichten anderer zu werden.

Die Formulierung »etwas Großes wagen« geht auf ein beeindruckendes Zitat aus der Rede »Der Mann in der Arena« zurück, die Theodore Roosevelt im Jahr 1910 hielt:

Es ist nicht der Kritiker, der zählt, nicht derjenige, der aufzeigt, wie der Starke gestolpert ist oder wo der Mensch, der Taten gesetzt hat, sie hätte besser machen können. Die Anerkennung gehört dem, der wirklich in der Arena ist; dessen Gesicht verschmiert ist von Staub, Schweiß und Blut; der sich tapfer bemüht, der irrt und wieder und wieder scheitert; der die große Begeisterung kennt, die große Hingabe, und sich an einer würdigen Sache verausgabt; der, im besten Fall, am Ende den Triumph einer großen Leistung erfährt; und der, im schlechtesten Fall des Scheiterns, zumindest dabei scheitert, dass er etwas Großes gewagt hat …3

Es ist ein inspirierendes Zitat, das für mich in der Tat zum Prüfstein geworden ist. Als Frau, die viel Zeit in der Arena verbringt, möchte ich jedoch den Blick auf einen bestimmten Teil von Roosevelts Rede lenken: »Die Anerkennung gehört dem, der wirklich in der Arena ist; dessen Gesicht verschmiert ist von Staub, Schweiß und Blut …« Halt. (Stellen Sie sich das Geräusch vor, das eine kratzende Nadel auf einer Schallplatte erzeugt.) Halten Sie hier inne! Bevor ich mich mit Triumph oder Leistung befasse, möchte ich an dieser Stelle ins Zeitlupentempo wechseln, damit ich mir genau vorstellen kann, was als Nächstes geschieht.

Wir liegen in der Arena mit dem Gesicht am Boden. Vielleicht ist das Publikum still geworden wie beim Football oder bei dem Hockeyspiel meiner Tochter, wenn sich die Spieler auf dem Platz über jemanden beugen, der sich verletzt hat. Vielleicht haben die Zuschauer auch mit Spott- und Buhrufen begonnen. Oder wir haben einen Tunnelblick und hören nur unsere Eltern rufen: »Steh auf! Lass dich nicht kleinkriegen!«

Unsere »schwarzen Augenblicke« können großes Gewicht haben – wenn wir beispielsweise gekündigt werden oder herausfinden, dass unser Partner uns betrügt. Sie können relativ unbedeutend sein – etwa wenn unser Kind uns die Unwahrheit über sein Zeugnis sagt oder wir eine Enttäuschung am Arbeitsplatz erleben. Beim Begriff »Arena« ist man geneigt, an etwas Großes zu denken; aber eine Arena ist jeder x-beliebige Augenblick beziehungsweise Ort, wenn wir riskieren, uns zu zeigen und gesehen zu werden. Das Risiko, sich im neuen Gymnastikkurs ungelenk und dumm anzustellen, ist eine Arena. Ein Arbeitsteam zu leiten ist, wie in der Arena zu stehen. Ein Problem in der Erziehung versetzt uns in eine solche Situation. Und sich zu verlieben ist definitiv eine Arena.

Als ich begann, über dieses Projekt nachzudenken, nahm ich die Daten in Augenschein und fragte mich: Was geschieht, wenn wir am Boden liegen? Was läuft in einem solchen Augenblick ab? Was haben die Frauen und Männer miteinander gemein, die sich erfolgreich aufgerafft und den Mut gefunden haben, einen neuen Versuch zu starten? Worin besteht der Entwicklungsprozess zu innerer Stärke?

Ich war mir nicht sicher, ob es möglich sein könnte, den Ablauf so zu verlangsamen, dass sich dieser Prozess einfangen ließe, doch Sherlock Holmes inspirierte mich dazu, es zumindest zu probieren. Anfang 2014 versank ich in der Datenfülle, und meine Zuversicht schwand. Überdies erholte ich mich gerade von anstrengenden Ferien, in denen ich den größten Teil meiner freien Zeit mit einem Atemwegsvirus gekämpft hatte, der orkanartig über Houston hereingebrochen war. An einem Februarabend machte ich es mir mit meiner Tochter Ellen auf der Couch gemütlich, um die neueste Staffel des Meisterwerks »Sherlock« mit Benedict Cumberbatch und Martin Freeman zu sehen.4 (Ich bin ein großer Fan der Serie.)

In der dritten Staffel gibt es eine Episode, in der Sherlock von einer Kugel getroffen wird. (Keine Sorge, ich werde nicht verraten, von wem oder warum, aber, wow, ich hatte es nicht kommen sehen.) In dem Augenblick, in dem er getroffen wird, steht die Zeit still. Statt auf der Stelle zu Boden zu fallen, betritt Sherlock seinen »Gedächtnispalast« – den seltsamen kognitiven Raum, in dem er Erinnerungen aus zerebralen Aktenschränken abruft, Fahrtrouten plant und überraschende Verbindungen zwischen vermeintlich zufälligen Fakten herstellt. In den folgenden zehn Minuten erscheinen viele Hauptfiguren der Serie vor seinem geistigen Auge, die ihm, jede aus ihrer eigenen professionellen Sicht, Ratschläge geben, wie er am besten überleben kann.

Als Erstes taucht die Londoner Gerichtsmedizinerin auf, die einen Narren an ihm gefressen hat. Kopfschüttelnd betrachtet sie den völlig verwirrten Sherlock, der gar nicht versteht, was los ist, und sagt: »Es ist nicht wie im Film, nicht wahr, Sherlock?« Mit Unterstützung von jemandem aus dem forensischen Team von New Scotland Yard und Sherlocks martialischem Bruder erklärt sie ihm, was die günstigste Art ist zu fallen, wie sich der Schock auswirkt und was Sherlock tun kann, um bei Bewusstsein zu bleiben. Die drei bereiten ihn auf das Eintreten der Schmerzen und alles Übrige vor, was ihn erwartet. Was sich in realer Zeit in vermutlich in drei Sekunden abspielt, dauert im Film über zehn Minuten. Ich fand das Drehbuch genial, und es gab meinen Bemühungen, mein eigenes Zeitlupenprojekt zu verfolgen, neuen Auftrieb.

Mein Ziel in diesem Buch ist, den Prozess des Fallens und Wiederaufstehens ganz langsam, Schritt für Schritt darzustellen: sämtliche Entscheidungen bewusst zu machen, mit denen wir in diesen Augenblicken des Unbehagens und der Verletzung konfrontiert sind, und die Folgen dieser Entscheidungen zu erforschen. Wie schon in meinen anderen Büchern greife ich auf die empirische Forschung und das Geschichtenerzählen zurück, um meine Erkenntnisse zu vermitteln. Der einzige Unterschied ist, dass ich dieses Mal viele meiner eigenen Geschichten als Beispiel anführe. Auf diese Weise habe ich nicht nur einen Zuschauerplatz in der ersten Reihe, was die äußeren Ereignisse angeht, sondern kann auch einen Blick hinter die Kulissen werfen: Ich habe Zugriff auf die Gedanken, die Gefühle und das Verhalten im Hintergrund. In meinen Geschichten kenne ich alle Details. Es soll so sein, als würde man sich den Director’s Cut eines Spielfilms anschauen oder das Bonusmaterial auf einer DVD, das Einblick in die Entscheidungen und Überlegungen des Regisseurs gewährt. Das heißt keineswegs, dass ich Einzelheiten in den Erfahrungen anderer Menschen nicht erfassen könnte – was ich ja laufend praktiziere. Doch ich kann deren Geschichte, Kontext, Emotion, Verhalten und Denken einfach nicht mit derselben Dichte verweben.

In der letzten Phase der Entwicklung meiner Theorie traf ich mich mit Menschen, die meine Arbeit kennen, um ihnen in Kleingruppen meine Erkenntnisse vorzustellen und mir ihr Feedback über die Gültigkeit und Relevanz der Theorie einzuholen. War ich auf der richtigen Spur? Bei diesen Treffen schilderten zwei Teilnehmer später ausführlich die Erfahrungen, die sie im Alltag mit den Prinzipien des unerschrockenen Wiederaufstehens gemacht hatten. Ich war von ihren Berichten bewegt und fragte sie, ob ich sie ins Buch aufnehmen dürfe. Sie gaben mir dankenswerterweise beide ihr Einverständnis. Ihre Geschichten sind beeindruckende Beispiele für das Aufstehen nach Niederlagen.

In kultureller Hinsicht hat das Fehlen einer aufrichtigen Diskussion darüber, welch harte Arbeit es ist, nach dem Fallen in der Arena unerschrocken wieder aufzustehen, zwei gefährliche Folgen: die Neigung zur Verklärung von Krisen und einen Mangel an Kampfgeist.

VERGOLDETE KIESELSTEINE

Wir alle sind schon mal gefallen, und wir haben aufgeschürfte Knie und wunde Herzen, die Zeugnis darüber ablegen könnten. Aber es ist leichter, über Narben zu reden, als sie wirklich zu zeigen und alle damit zusammenhängenden Gefühle zu offenbaren. Eher selten bekommen wir Wunden zu sehen, die noch nicht ganz verheilt sind. Ich bin mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass wir uns zu sehr schämen, jemanden an einem Prozess teilhaben zu lassen, der so intim ist wie das Überwinden einer Verletzung. Oder daran, dass die Leute reflexartig wegschauen, selbst wenn wir den Mut aufbringen, über unseren Heilungsprozess zu reden.

Wir bevorzugen Geschichten des Fallens und Wiederaufstehens, die bereinigt und inspirierend sind. In unserer Kultur wimmelt es von solchen Storys. In einer etwa halbstündigen Rede wird normalerweise nur etwa dreißig Sekunden thematisiert, dass man sich seinen Weg zurück erkämpft oder jemand Neues kennengelernt hat, oder wie ich im Rahmen meines TEDx-Vortrags einfach sagte: »Es war eine beinharte Auseinandersetzung.«5

Uns ist es lieb, wenn Geschichten von Krisen und ihrer Bewältigung schnell das Dunkel hinter sich lassen, um auf das mitreißende und erlösende Ende zuzusteuern. Ich habe die Sorge, dass dieser Mangel an ehrlichen Schilderungen, was das Überwinden von Krisen angeht, eine Romantik des Scheiterns geschaffen hat. In den letzten Jahren gab es Konferenzen zum Thema Scheitern, Festivals und sogar Preisverleihungen fürs Scheitern. Wohlgemerkt: Ich befürworte und unterstütze den Gedanken, dass wir Fehlschläge als Teil jedes Unterfangens ins Kalkül ziehen und akzeptieren sollten, die der Mühe wert sind. Aber Scheitern zu verklären, ohne die potenziell damit verbundene tiefe Verletzung und Angst zu erwähnen oder den beschwerlichen Weg, den man beschreiten muss, um unerschrocken wieder aufzustehen, ist, als würde man Kies mit Blattgold überziehen. Wenn wir die emotionalen Auswirkungen verschweigen, die das Scheitern haben kann, leugnen wir beim Mut und bei der Resilienz genau die Eigenschaften, die beide so wichtig machen – Zähigkeit, Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen.

Ja, Erneuerung, Lernen oder Kreativität ohne Fehlschläge gibt es nicht. Dennoch tut Scheitern weh. Es ist verbunden mit Gedanken wie »Ich sollte lieber« und »Hätte ich doch besser«, was bedeutet, dass Verurteilung und Scham immer schon auf der Lauer liegen.

Ja, ich stimme Alfred Lord Tennyson zu, der schrieb: »Es ist besser, man hat geliebt und verloren als niemals geliebt.«6 Dennoch nimmt uns ein gebrochenes Herz erst mal die Luft zum Atmen. Verlustgefühle und Sehnsucht können es zu einer unüberwindlichen Aufgabe machen, morgens das Bett zu verlassen. Wieder vertrauen und lieben zu lernen kann sich schier unmöglich anfühlen.

Ja, wenn wir uns genug um etwas kümmern und Wagnisse eingehen, ist es normal, dass wir Enttäuschungen erleben. Dennoch kann der Abschied von unseren Erwartungen in dem konkreten Augenblick, in dem die Enttäuschung über uns zusammenschlägt und wir verzweifelt versuchen, im Kopf und Herzen zu verarbeiten, was geschieht oder nicht geschehen wird, überaus schmerzlich sein.

Die Arbeit von Ashley Good ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass wir die schwierige Emotion des Fallens willkommen heißen sollten. Good ist Begründerin und Firmenchefin von Fail Forward, einem gemeinnützigen Unternehmen mit dem Auftrag, Organisationen bei der Entwicklung einer Kultur zu unterstützen, die zu Risikofreudigkeit, Kreativität und kontinuierlicher Anpassung ermuntert – Eigenschaften, die für Innovationen unentbehrlich sind.7 Sie begann als Entwicklungshelferin in Ghana bei den Ingenieuren ohne Grenzen (EWB, Engineers Without Borders) und kümmerte sich dort um die Erstellung der Misserfolgsberichte von EWB und um AdmittingFailure.org, eine Art Internetseite mit Berichten über Fehlschläge, auf der jeder Geschichten über sein Scheitern und das, was er daraus gelernt hat, veröffentlichen kann.

Die ersten Berichte waren mutige Versuche, mit dem Schweigen zu brechen, das Fehlschläge auf dem gemeinnützigen Sektor umgibt – einem Bereich, der abhängig ist von Spendengeldern. Frustriert von den verpassten Lernchancen aufgrund dieses Schweigens, stellte EWB seine Misserfolge zusammen und veröffentlichte sie im jährlichen Hochglanzbericht. Das Engagement der Organisation bei einigen der schwierigsten Probleme der Welt wie der Armutsbekämpfung erfordert Innovationsgeist und Lernen. Also gab man der Erfüllung der Mission Vorrang vor dem schönen Schein und löste damit eine Revolution aus.

In ihrer Grundsatzrede bei der FailCon in Oslo – einer Konferenz zum Thema »Scheitern«, die einmal im Jahr in Norwegen stattfindet – fragte Good das Publikum nach Assoziationen zum Thema »Scheitern«. Die Zuhörer riefen ihr Begriffe zu wie »Traurigkeit«, »Angst«, »sich zum Gespött machen«, »Verzweiflung«, »Panik«, »Scham« und »gebrochenes Herz«. Anschließend hielt sie den Misserfolgsbericht der EWB hoch und erklärte, dass die dreißig Hochglanzseiten vierzehn Berichte über Fehlschläge enthielten, die belegten, dass die EWB mindestens vierzehnmal im Jahr zuvor gescheitert war. Danach fragte sie dieselben Zuhörer, mit welchen Begriffen sie den Bericht und die Menschen, die ihre Geschichten öffentlich gemacht hatten, beschreiben würden. Dieses Mal waren unter den Wörtern, die ihr zugerufen wurden, »hilfreich«, »großzügig«, »offen«, »sachkundig«, »tapfer« und »mutig«.

Good führte eindringlich vor, welch große Diskrepanz zwischen der Art und Weise herrscht, wie wir über den Begriff »Scheitern« denken und was wir von Menschen und Organisationen halten, die mutig genug sind, ihre Misserfolge zu Zwecken des Lernens und Wachsens offenzulegen. So zu tun, als könnten wir Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft, Großzügigkeit und Mut erwerben, ohne zuvor durch so schwierige Emotionen wie Verzweiflung, Scham und Panik zu steuern, ist eine zutiefst gefährliche und fehlgeleitete Annahme. Statt Kieselsteine zu vergolden und Fehlschläge schönzureden, wären wir besser damit beraten zu lernen, welche Schönheit in Wahrhaftigkeit und Hartnäckigkeit steckt.

MANGELNDER KAMPFGEIST

Wenn Menschen voll und ganz in ihrer Wahrheit stehen oder wenn jemand, der gefallen ist, wieder aufsteht und sagt: »Verdammt. Das hat wirklich wehgetan, aber es ist mir wichtig, und ich probier es noch einmal«, dann ist meine intuitive Reaktion: »Was für eine Kämpfernatur!« Es gibt zu viele Menschen, die, statt ihre Verletzung zu fühlen, aus ihrer Verletzung heraus handeln oder, statt sich ihren Schmerz einzugestehen, anderen Schmerz zufügen. Statt zu riskieren, sich enttäuscht zu fühlen, entscheiden sie sich dafür, enttäuscht zu leben. Emotionaler Stoizismus ist kein Kampfgeist. Eine stürmische Haltung ist kein Kampfgeist. Großtun ist kein Kampfgeist. Perfektion ist wohl das, was am weitesten von Kampfgeist entfernt ist.

Für mich ist eine Kämpfernatur jemand, der sagt: »Unsere Familie leidet wirklich. Wir könnten Ihre Unterstützung gebrauchen.« Und der Mann, der zu seinem Sohn sagt: »Du darfst traurig sein. Wir werden alle ab und zu mal traurig. Wir können einfach darüber reden.« Und die Frau, die sagt: »Unser Team hat es vermasselt. Lasst uns aufhören, uns gegenseitig die Schuld zu geben, und uns lieber schonungslos darüber unterhalten, was passiert ist, damit wir es korrigieren und beim nächsten Mal besser machen können.« Menschen, die in Unbehagen und Verletzlichkeit hineinwaten und mit ihren Geschichten wahrhaftig sind – das sind die echten Kämpfernaturen.

Wagnisse einzugehen ist unabdingbar, um jene Probleme auf der Welt zu lösen, die unlösbar erscheinen: Armut, Gewalt, Ungleichheit, missachtete Bürgerrechte und Umweltprobleme, um nur einige zu nennen. Deswegen brauchen wir Menschen, die bereit sind, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren, Kämpfernaturen, die bereit sind, Wagnisse einzugehen, Niederlagen zu kassieren, sich behutsam durch schwierige Emotionen zu tasten und sich wieder aufzurichten. Diese Menschen sind unentbehrlich, damit sie vorangehen, eine Vorbildfunktion übernehmen und die Kultur auf jegliche Art prägen: als Eltern, Lehrer, Verwalter, Führungskräfte, Politiker, Geistliche, Kreative und Organisatoren des Gemeinwesens.

So vieles von dem, was wir heutzutage über Mut hören, ist aufgeblasene und leere Rhetorik, hinter der sich bloß persönliche Ängste tarnen. Es geht dabei in Wirklichkeit nur um die eigene Sympathieausstrahlung, die Frage, wie man von anderen bewertet wird, und die Aufrechterhaltung des Lebensstandards. Wir brauchen aber mehr Menschen, die bereit sind zu zeigen, wie es aussieht, wenn man Risiken eingeht und Fehlschläge, Enttäuschungen und Reue aushält – Menschen, die bereit sind, ihre Verletzung zu fühlen, statt sie an anderen Menschen auszulassen, Menschen, die Verantwortung für ihre eigenen Geschichten übernehmen, ihre Werte leben und sich kontinuierlich einbringen. Es macht mich sehr glücklich, dass ich in den vergangenen Jahren mit einigen wahren Kämpfernaturen gearbeitet habe, von Lehrern und Eltern bis hin zu Firmenchefs, Filmemachern, Kriegsveteranen, Personalreferenten, Beratungslehrern und Therapeuten. In diesem Buch werden wir erforschen, was sie miteinander gemein haben, aber hier ist schon einmal ein Vorgeschmack: Sie stehen der Welt der Emotionen offen und neugierig gegenüber, und sie gehen Unbehagen frontal an.

Ich hoffe, dass der Prozess, den ich in diesem Buch beschreibe, uns eine Orientierungshilfe geben kann, mit deren Hilfe wir wieder auf die Beine kommen. Ich bringe alles zur Sprache, was ich weiß, fühle, glaube und erlebt habe, wenn es ums Wiederaufstehen nach dem Fall geht. Es sei noch einmal wiederholt, dass das, was ich von den Teilnehmern an meinen Projekten gelernt habe, mir nach wie vor eine Hilfe ist, und dafür bin ich zutiefst dankbar. Es soll nicht geleugnet werden, dass Fallen wehtut. Wir müssen es trotzdem wagen, mutig zu bleiben und uns immer wieder aufzurichten.

Wir sind

geborene Macher.

Wir bewegen,

was wir lernen,

von unserem Kopf

zu unserem

Herzen

und durch unsere

Hände.