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KLAUS SCHWAB

Die Vierte
Industrielle Revolution

Aus dem Englischen von
Petra Pyka und Thorsten Schmidt

Pantheon

Die englische Originalausgabe erschien 2016
unter dem Titel »The Fourth Industrial Revolution«.
Diese Übersetzung erscheint in Abstimmung mit dem
World Economic Forum, Colony, Schweiz.

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Erste Auflage

Juni 2016

Copyright © 2016 by World Economic Forum – All rights reserved.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016 by
Pantheon Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagmotiv: © World Economic Forum

Satz: Ditta Ahmadi, Berlin

Grafiken: Peter Palm, Berlin

ISBN 978-3-641-20317-7
V004

www.pantheon-verlag.de

Inhalt

Einleitung

1. Die Vierte Industrielle Revolution

Historische Einordnung

Tiefgreifender und systemischer Wandel

Ungleichheit als systemische Herausforderung

2. Triebkräfte

Megatrends

Physische Megatrends

Digitale Megatrends

Biologische Megatrends

Wendepunkte

3. Auswirkungen

Wirtschaft

Wachstum

Beschäftigung

Das Wesen der Arbeit

Unternehmen

Kundenerwartungen

Digital aufgewertete Produkte

Innovation durch Kooperation

Neue Betriebsmodelle

Nationale und globale Auswirkungen

Staat

Länder, Regionen und Städte

Internationale Sicherheit

Die Gesellschaft

Ungleichheit und die Mittelschicht

Gemeinschaft

Der Mensch

Identität, Ethik und Moral

Menschliche Bindungen

Der Umgang mit öffentlichen und privaten Daten

Wie es weitergeht

Dank

Anhang – Tiefgreifende Veränderungen

Umwälzung 1
Implantierbare Technologien

Umwälzung 2
Unsere digitale Präsenz

Umwälzung 3
Die Augen als neue Schnittstelle

Umwälzung 4
Umwälzung 5
Allgegenwart der Datenverarbeitung

Umwälzung 6
Supercomputer für die Hosentasche

Umwälzung 7
Speicher für alle

Umwälzung 8
Das Internet der Dinge

Umwälzung 9
Das vernetzte Heim

Umwälzung 10
Intelligente Städte

Umwälzung 11
Entscheidungen auf der Grundlage von Big Data

Umwälzung 12
Selbstfahrende Autos

Umwälzung 13
Künstliche Intelligenz und Entscheidungsprozesse

Umwälzung 14
KI und Arbeitsplätze von Angestellten

Umwälzung 15
Robotik und Dienstleistungen

Umwälzung 16
Bitcoin und die Blockchain

Umwälzung 17
Die Sharing-Economy

Umwälzung 18
Staaten und die Blockchain

Umwälzung 19
3D-Druck und -Fertigung

Umwälzung 20
3D-Druck und die menschliche Gesundheit

Umwälzung 21
3D-Druck und Konsumprodukte

Umwälzung 22
Designer-Organismen

Umwälzung 23
Neurotechnologien

Anmerkungen

Einleitung

Die größte und wichtigste der vielen verschiedenen, faszinierenden Herausforderungen, denen wir gegenwärtig gegenüberstehen, ist das Verständnis und die Gestaltung der neuen technologischen Revolution, die mit nichts Geringerem als einem tiefgreifenden Wandel der menschlichen Zivilisation einhergeht. Wir stehen am Anfang einer Revolution, die unsere Art zu leben, zu arbeiten und miteinander zu interagieren, grundlegend verändern wird. Aufgrund ihrer enormen Tiefen- und Breitenwirkung sowie ihrer Komplexität ist das, was ich als die Vierte Industrielle Revolution bezeichne, ein in der Geschichte der Menschheit beispielloser Vorgang.

Die Geschwindigkeit und das Ausmaß dieser neuen Revolution verstehen wir noch immer nicht vollständig. Nehmen wir die unbegrenzten Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, dass Milliarden von Menschen über mobile Endgeräte miteinander verbunden sind: Rechenleistung, Speicherkapazität und der Zugang zu Wissen stehen in einem bislang ungekannten Umfang zur Verfügung. Oder denken wir an die erstaunliche Gleichzeitigkeit bahnbrechender technischer Innovationen bei neuen Technologien, in so breit gefächerten Gebieten wie Künstlicher Intelligenz (KI), Robotik, Internet der Dinge (IoT), selbstfahrenden Kraftfahrzeugen, 3D-Druck, Nanotechnologie, Biotechnologie, Materialwissenschaft, Energiespeicherung und Quantenrechner, um nur einige zu nennen. Viele dieser Innovationen stecken zwar noch in den Kinderschuhen, dennoch erreichen sie bereits einen Wendepunkt in ihrer Entwicklung: Über die Grenzen der physischen, digitalen und biologische Welt hinweg verschmelzen sie miteinander und verstärken sich gegenseitig.

Wir erleben tiefgreifende Veränderungen in sämtlichen Wirtschaftszweigen, die durch das Aufkommen neuer Geschäftsmodelle, die Disruption etablierter Unternehmen und neue Produktions-, Konsum-, Transport- und Liefersysteme gekennzeichnet sind. 1 Im gesellschaftlichen Bereich vollzieht sich ein Paradigmenwechsel in unseren Arbeits- und Kommunikationsformen und in der Art und Weise, wie wir uns äußern, informieren und miteinander unterhalten. In ähnlicher Weise werden staatliche Strukturen und Institutionen umgestaltet, ändern sich Bildungs-, Gesundheits- und Verkehrssysteme. Neue Ansätze nutzen Technik, um das menschliche Verhalten sowie unsere Produktions- und Konsumsysteme zu verändern, und können so dazu beitragen, natürliche Lebensräume zu schützen und wiederherzustellen, statt versteckte Kosten in der Form externer Effekte zu erzeugen. All diese Veränderungen sind in ihrem Ausmaß, ihrer Schnelligkeit und ihrer Reichweite historisch beispiellos.

Wie sich diese neuen Technologien weiterentwickeln und am Markt behaupten werden, ist ungewiss. Ebenso wenig können wir momentan abschätzen, wie die von der industriellen Revolution angestoßenen Transformationen konkret aussehen und welche Folgen sie zeitigen werden. Die Komplexität und die bereichsübergreifende Vernetzung der Entwicklung machen es nötig, dass alle Stakeholder der Weltgesellschaft – Regierungen, Unternehmen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft – zusammenarbeiten, um die aufkommenden Trends besser zu verstehen. Ein gemeinsames Verständnis ist unabdingbar, wenn wir eine Zukunft gestalten wollen, in der sich gemeinsame Ziele und Werte widerspiegeln. Die Frage, wie neue Technologien unser Leben und das der nachfolgenden Generationen verändern und wie sie das ökonomische, soziale, kulturelle und menschliche Umfeld umformen werden, bedarf einer weltweit abgestimmten, umfassenden Antwort.

Die Veränderungen sind so tiefgreifend, dass es in der Menschheitsgeschichte noch nie eine Zeit größerer Chancen, aber auch gravierenderer potentieller Gefahren gegeben hat. Meine Sorge ist, dass Entscheidungsträger zu oft traditionellen, linearen (und nicht-disruptiven) Denkmustern verhaftet sind oder zu sehr von kurzfristigen Belangen in Anspruch genommen werden, sodass sie nicht in der Lage sind, mit strategischem Weitblick über die Kräfte der Disruption und Innovation, die unsere Zukunft prägen werden, nachzudenken.

Ich bin mir bewusst, dass einige Wissenschaftler und Experten die Entwicklungen, die ich hier näher betrachte, lediglich als einen Teil der Dritten Industriellen Revolution ansehen. Drei Faktoren untermauern jedoch meine Überzeugung, dass eine eigenständige, eine Vierte Industrielle Revolution im Gange ist:

Geschwindigkeit

Die Vierte Industrielle Revolution verläuft im Gegensatz zu den vorangegangenen industriellen Revolutionen nicht mit linearer, sondern mit exponentieller Geschwindigkeit. Dies ist darauf zurückzuführen, dass wir in einer facettenreichen, stark vernetzten Welt leben und dass neue Technologien ihrerseits neuere und noch leistungsfähigere Technologien hervorbringen.

Breite und Tiefe

Die Vierte Industrielle Revolution basiert auf der digitalen Revolution und verknüpft vielfältige Technologien, die zu beispiellosen Paradigmenwechseln in der Wirtschaft, in der Gesellschaft, aber auch in der individuellen Lebensgestaltung führen. Sie ändert nicht nur, was wir tun und wie wir es tun, sondern auch, wer wir sind.

Systemische Auswirkungen

Die Vierte Industrielle Revolution geht mit der Transformation ganzer Systeme einher, über Länder, Unternehmen und Branchen hinweg sowie quer durch die Gesellschaft insgesamt.

Ich habe dieses Buch als eine Art Einführung in die Vierte Industrielle Revolution geschrieben und mich darum bemüht, einige einfache Fragen zu beantworten: Was ist sie? Was wird sie uns bringen? Welche Auswirkungen wird sie auf uns haben? Was können wir tun, um sie zur Förderung des Gemeinwohls zu nutzen? Dieser Band richtet sich an all diejenigen, die sich für unsere Zukunft interessieren und die entschlossen sind, die Chancen dieses revolutionären Umbruchs zu nutzen, um eine bessere Welt zu schaffen. Mir geht es im Wesentlichen um drei Ziele:

– Ich möchte den Leser für den umfassenden Charakter und die Schnelligkeit der gegenwärtigen technologischen Revolution und ihre vielfältigen Auswirkungen sensibilisieren.

– Ich möchte einen konzeptionellen Bezugsrahmen für das Nachdenken über die technologische Revolution schaffen, der zentrale Probleme skizziert und mögliche Antworten aufzeigt.

– Ich möchte eine Plattform anbieten, die den Anstoß zu öffentlich-privaten Kooperationen und Partnerschaften gibt, die Probleme in Zusammenhang mit dieser technologischen Revolution lösen.

Vor allem aber soll dieses Buch die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Technologie und Gesellschaft verdeutlichen. Technologie ist keine von außen wirkende Kraft, über die wir keine Gewalt hätten. Wir sind nicht gezwungen, eine Wahl zu treffen zwischen »hinnehmen und damit leben« oder »ablehnen und darauf verzichten«. Vielmehr sollten wir den tiefgreifenden technologischen Wandel als eine Einladung betrachten, darüber nachzudenken, wer wir sind und wie wir die Welt sehen. Je eingehender wir uns mit der Frage befassen, wie wir diese technologische Revolution nutzen können, umso gründlicher werden wir uns selbst und die Gesellschaftsmodelle, die diese Technologien verkörpern und ermöglichen, hinterfragen, und desto eher werden wir in der Lage sein, die Revolution in einer Weise zu gestalten, die dem globalen Gemeinwohl dient.

Es ist nicht die Aufgabe eines einzelnen Stakeholders oder Sektors, einer einzelnen Region, Industrie oder Kultur, die Vierte Industrielle Revolution so zu gestalten, dass sie den Einzelnen ermächtigt und den Menschen in den Mittelpunkt stellt, statt spaltend und entmenschlichend zu wirken. Die fundamentale und globale Natur dieser Revolution bedeutet, dass sie sich auf alle Länder, Volkswirtschaften, Sektoren und Menschen auswirken und ihrerseits von diesen beeinflusst werden wird. Daher kommt es entscheidend darauf an, dass wir Aufmerksamkeit und Energie in die Zusammenarbeit verschiedener Stakeholder investieren, über wissenschaftliche, soziale, politische, nationale und Sektorengrenzen hinweg. Dieses Zusammenwirken und -arbeiten ist notwendig, um gemeinsame, positive und hoffnungsvolle Narrative zu kreieren, die Individuen und Gruppen aus allen Teilen der Welt dazu befähigen und anspornen, an den Transformationen mitzuwirken und von ihnen zu profitieren.

Ein Großteil der Informationen, aber auch meine eigene Analyse in diesem Buch, basiert auf laufenden Projekten und Initiativen des Weltwirtschaftsforums; diverse Veranstaltungen des Forums in jüngster Zeit gaben mir Gelegenheit, meine Analyse zur Diskussion zu stellen und kritische Anmerkungen bei der weiteren Ausarbeitung zu berücksichtigen. Dieses Buch entwirft insofern auch einen Rahmen für die Gestaltung der zukünftigen Aktivitäten des Weltwirtschaftsforums. Vielfältige Anregungen verdanke ich zudem zahlreichen Gesprächen, die ich mit Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft sowie mit Technologie-Pionieren und jungen Menschen geführt habe. In diesem Sinne handelt es sich um ein »Crowdsourcing«-Buch, ein Produkt des kollektiven Wissens und der Intelligenz der verschiedenen Gemeinschaften, die im Forum vertreten sind.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil bietet einen Überblick über die Vierte Industrielle Revolution. Der zweite Teil stellt die wichtigsten transformativen Technologien vor. Im dritten Teil werden die (möglichen) Auswirkungen der Revolution und einige der damit verbundenen politischen Herausforderungen eingehend analysiert. Zum Schluss stelle ich einige praktische Ideen und Lösungsansätze vor, die zeigen, wie sich dieser einschneidende Transformationsprozess am besten steuern und sein Potential optimal nutzen lässt.

1.
Die Vierte Industrielle Revolution

Historische Einordnung

Das Wort »Revolution« bezeichnet einen jähen, tiefgreifenden Umbruch. Revolutionen fanden im Lauf der Geschichte immer wieder statt, wenn neue Technologien und neuartige Weltsichten einen tiefgreifenden Wandel der Wirtschaftssysteme und Gesellschaftsstrukturen auslösten. Die Geschichte lehrt uns allerdings, dass es Jahre dauern kann, bis sich die Folgen dieser abrupten Veränderungen manifestieren.

Die erste epochale Umwälzung unserer Lebensweise – der Übergang von der Zivilisationsstufe der Jäger und Sammler (»Wildbeuter«) zu Ackerbau und Viehzucht – geschah vor rund 10000 Jahren und wurde durch die Domestizierung von Tieren ermöglicht. Die landwirtschaftliche Revolution verknüpfte die Arbeitskraft von Mensch und Tier zum Zweck der Produktion, des Transports und der Kommunikation. Allmählich erhöhte sich die Nahrungsmittelproduktion, wodurch das Bevölkerungswachstum angekurbelt wurde und größere menschliche Siedlungen entstanden. Dies führte schließlich zur Urbanisierung und zum Aufstieg der Städte.

Auf die landwirtschaftliche Revolution folgte eine Reihe industrieller Revolutionen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begannen. In ihrem Verlauf wurde Muskelkraft mehr und mehr durch mechanische Kraft ersetzt, ein Prozess, der sich bis zur Vierten Industriellen Revolution fortsetzt, bei der gesteigerte kognitive Kräfte die menschliche Produktion verändern.

Die Erste Industrielle Revolution erstreckt sich von etwa 1760 bis um 1840. Sie wurde ausgelöst durch den Bau von Eisenbahnen und die Erfindung der Dampfmaschine und leitete die Ära der mechanischen Produktion ein. Die im späten 19. Jahrhundert beginnende und bis ins frühe 20. Jahrhundert hineinreichende Zweite Industrielle Revolution, die maßgeblich von der Nutzung der Elektrizität und der Erfindung des Fließbandes angetrieben wurde, ermöglichte die Massenproduktion. Die Dritte Industrielle Revolution begann in den 1960er Jahren. Sie wird für gewöhnlich Computer- oder digitale Revolution genannt, weil sie durch die Entwicklung von Halbleitern, Großrechnern (1960er Jahre), Personalcomputern (1970er und 1980er Jahre) und des Internets (1990er Jahre) befeuert wurde.

Eingedenk der verschiedenen Definitionen und der wissenschaftlichen Kriterien, mit denen die ersten drei industriellen Revolutionen beschrieben werden, bin ich fest davon überzeugt, dass wir heute am Beginn einer Vierten Industriellen Revolution stehen. Sie begann um die Jahrhundertwende und basiert auf der digitalen Revolution. Ihre Kennzeichen sind ein allgegenwärtiges, mobiles Internet, kleinere und leistungsfähigere Sensoren, deren Herstellungskosten stark gesunken sind, sowie Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen.

Digitale Technologien, deren Kern Computer-Hardware, -Software und -Netzwerke bilden, sind nicht neu, werden jedoch, in einem qualitativen Innovationssprung gegenüber der Dritten Industriellen Revolution, immer komplexer und integrierter. Dadurch leisten sie einem grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturwandel auf nationaler und globaler Ebene Vorschub. Aus diesem Grund haben die am Massachusetts Institute of Technology (MIT) lehrenden Professoren Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee diese Epoche in ihrem 2014 erschienenen Buch »das zweite Maschinenzeitalter« genannt.2 Sie behaupten, die Welt stehe an einem Wendepunkt: Die Auswirkungen der neuen digitalen Technologien würden sich durch die Automatisierung und die Produktion »gänzlich neuartiger Dinge« mit »voller Wucht« manifestieren.

In Deutschland wird intensiv über die »Industrie 4.0« diskutiert, ein Begriff, der auf der Hannover-Messe 2011 geprägt wurde, um zu beschreiben, wie die enge Verzahnung der industriellen Produktion mit digitalen Technologien die Organisation globaler Wertschöpfungsketten revolutionieren wird. Dadurch, dass die Vierte Industrielle Revolution »intelligente Fabriken« ermöglicht, erschafft sie eine Welt, in der virtuelle und physische Fertigungssysteme in flexibler Weise weltweit miteinander kooperieren. Dies ermöglicht es, Produkte vollständig gemäß den Kundenwünschen zu gestalten und neue operative Modelle zu entwickeln.

Doch geht es in der Vierten Industriellen Revolution nicht nur um intelligente Systeme. Ihre Tragweite ist deutlich größer. Gensequenzierung, Nanotechnologie, erneuerbare Energien oder Quantencomputer. Auf vielen verschiedenen Gebieten kommt es gleichzeitig zu regelrechten Wellen weiterer Durchbrüche. Der grundlegende Unterschied zwischen der Vierten Industriellen Revolution und den früheren Revolutionen besteht in der engen Verzahnung dieser Technologien und in ihren Wechselwirkungen über die physische, digitale und biologische Sphäre hinweg.

In der Vierten Industriellen Revolution verbreiten sich neue Technologien und Innovationen viel schneller und viel weiter als in den früheren Revolutionen, die in einigen Regionen der Welt noch im Gange sind. 17 Prozent der Weltbevölkerung (fast 1,3 Milliarden Menschen) hat die Zweite Industrielle Revolution noch immer nicht vollständig erreicht, da sie bis heute keinen Zugang zu Elektrizität haben. Dies gilt auch für die Dritte Industrielle Revolution: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung – 4 Milliarden Menschen, die meisten davon in den Entwicklungsländern – hat keinen Internetzugang. Bei der Spindel (das Symbol der Ersten Industriellen Revolution) hat es fast 120 Jahre gedauert, bis sie sich außerhalb Europas verbreitete. Dagegen hat das Internet weniger als ein Jahrzehnt benötigt, um sich über den gesamten Globus zu spannen.

Noch immer gilt die Lehre aus der Ersten Industriellen Revolution, wonach die Bereitschaft, mit der eine Gesellschaft technische Innovationen annimmt, ein wichtiger Faktor des Fortschritts ist. Gelingen kann das nur, wenn Staat, öffentliche Institutionen und Privatwirtschaft ihren Beitrag dazu leisten. Es kommt aber auch ganz entscheidend darauf an, dass die Bürger den langfristigen Nutzen erkennen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Vierte Industrielle Revolution genauso wirkmächtig, folgenreich und historisch bedeutsam sein wird wie die vorhergehenden drei Revolutionen. Dennoch treibt mich die Sorge um, dass sich das Potential der Vierten Industriellen Revolution aufgrund von zwei Faktoren womöglich nicht effektiv und umfassend ausschöpfen lässt.

Erstens scheint es mir, über alle Sektoren hinweg, an Führungsstärke zu mangeln und an Verständnis für die Veränderungen, die gerade im Gang sind. Zudem ist der institutionelle Ordnungsrahmen, der für die erfolgreiche Durchsetzung von Innovationen und für die Abmilderung disruptiver Effekte erforderlich wäre, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene bestenfalls nur unzureichend und schlimmstenfalls gar nicht vorhanden. Wir müssen unsere Wirtschafts-, Gesellschafts- und politischen Systeme überdenken, um sie für die Vierte Industrielle Revolution fit zu machen.

Zweitens fehlt uns ein in sich stimmiges, positives und verbindendes Narrativ, das die Chancen und Herausforderungen der Vierten Industriellen Revolution aufzeigt. Eine solche Erzählung ist unverzichtbar, wenn wir eine heterogene Gruppe von Individuen und Gemeinschaften ansprechen und zu aktiver Mitgestaltung bewegen möchten und gleichzeitig verhindern wollen, dass eine breite gesellschaftliche Gegenreaktion gegen die grundlegenden Veränderungen entsteht.

Tiefgreifender und systemischer Wandel

Die Prämisse dieses Buches lautet, dass die neuen Technologien und die Digitalisierung sämtliche Lebensbereiche revolutionieren werden, sodass das überbeanspruchte und oftmals falsch verwendete Diktum »Dieses Mal ist alles anders« auf dieses Zeitalter tatsächlich zutrifft. Kurz gesagt: Grundlegende technologische Innovationen stehen kurz davor, in globalem Maßstab weitreichende Veränderungen herbeizuführen – und zwar unweigerlich.

Die Innovationsgeschwindigkeit ist im Hinblick auf die Entwicklung und Ausbreitung neuer Technologien höher denn je. Die heutigen Disruptoren – Firmen wie Airbnb, Uber, Alibaba und andere Unternehmen – waren vor ein paar Jahren noch relativ unbekannt. Das iPhone etwa kam erst im Jahr 2007 auf den Markt. Ende 2015 gab es zwei Milliarden Smartphone-Nutzer weltweit. Im Jahr 2010 kündigte Google sein erstes selbstfahrendes Auto an. Solche völlig autonomen Fahrzeuge könnten schon bald in großer Zahl über unsere Straßen rollen. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.

Aber nicht nur die Geschwindigkeit des Wandels, auch die Skalenerträge sind gigantisch. Digitalisierung bedeutet Automatisierung. Automatisierung bedeutet, dass Unternehmen keine (oder zumindest weniger) rückläufige Skalenerträge hinnehmen müssen. Um zu verstehen, was das gesamtwirtschaftlich bedeutet, lohnt es sich, Detroit im Jahr 1990 (damals ein Zentrum traditioneller Industrien) mit dem Silicon Valley im Jahr 2014 zu vergleichen. Im Jahr 1990 hatten die drei größten Unternehmen in Detroit zusammengenommen eine Marktkapitalisierung von 36 Milliarden Dollar, einen Umsatz von 250 Milliarden Dollar und 1,2 Millionen Beschäftigte. Im Jahr 2014 hatten die drei größten Unternehmen im Silicon Valley einen deutlich höheren Marktwert (1,09 Billionen Dollar), sie erwirtschafteten einen annähernd gleich hohen Umsatz (247 Milliarden Dollar), aber mit nur zehn Prozent der Beschäftigten (137000).3

Die Tatsache, dass eine Wertschöpfungseinheit heute von viel weniger Beschäftigten generiert wird als vor zehn oder 15 Jahren, erklärt sich dadurch, dass digitale Unternehmen Grenzkosten haben, die gegen null tendieren. Zudem produzieren viele neue Unternehmen des digitalen Zeitalters »Informationsgüter« mit Speicher-, Transport- und Replikationskosten, die ebenfalls praktisch gleich null sind. Einige disruptive Technologiefirmen benötigen nur wenig Kapital, um sich am Markt erfolgreich zu etablieren. Unternehmen wie Instagram oder WhatsApp zum Beispiel brauchten keine große Anschubfinanzierung, sodass sich die Rolle von Kapital und betrieblichen Größenvorteilen im Kontext der Vierten Industriellen Revolution wandelt. Insgesamt zeigt dies, dass Skalenerträge eine weitere Skalierung begünstigen und systemübergreifende Veränderungen nach sich ziehen.

Abgesehen von ihrer Geschwindigkeit und ihrer Breitenwirkung ist die Vierte Industrielle Revolution auch deshalb einzigartig, weil sie viele verschiedene Fachgebiete harmonisiert und unterschiedliche Entdeckungen miteinander verknüpft. Konkrete Innovationen, die aus den Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Technologien hervorgehen, sind keine Science-Fiction mehr. So können heute beispielsweise digitale Fertigungstechnologien mit der biologischen Sphäre in Wechselwirkung treten. Einige Designer und Architekten verknüpfen bereits rechnergestütztes Entwerfen mit generativen Fertigungsverfahren, Werkstofftechnik und synthetischer Biologie, um Systeme zu entwickeln, die auf die Wechselwirkungen zwischen Mikroorganismen, unserem Körper, den Produkten, die wir verzehren, und sogar den Gebäuden, in denen wir wohnen, reagieren. So erzeugen (»züchten«) sie Objekte, die sich ständig verändern und anpassen – eigentlich ein Merkmal von Pflanzen und Tieren.4

In ihrem Buch The Second Machine Age: Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird schreiben Brynjolfsson und McAfee, Computer seien so vielseitig und intelligent geworden, dass es praktisch unmöglich geworden sei vorherzusagen, für welche Anwendungen sie in ein paar Jahren genutzt werden. Die Künstliche Intelligenz (KI) ist mittlerweile allgegenwärtig in unserem Alltag, von virtuellen Assistenten und Übersetzungssoftware bis zu selbstfahrenden Autos und Drohnen. Dies verändert unser Leben von Grund auf. Angetrieben von der exponentiellen Zunahme von Rechenleistung und von der Verfügbarkeit riesiger Datenmengen, hat die KI beeindruckende Fortschritte gemacht. Es gibt Software, mit der neue pharmazeutische Wirkstoffe entdeckt werden, und Algorithmen, die unsere kulturellen Interessen vorhersagen können. Viele dieser Algorithmen lernen von den Datenspuren, die wir in der digitalen Welt hinterlassen. Dies führt zu neuen Typen von »maschinellem Lernen« und vollautomatischer Entdeckung, die »intelligente« Roboter und Computer befähigen, sich selbst zu programmieren und ausgehend von bestimmten Grundprinzipien optimale Lösungen zu finden.

Intelligente digitale Assistenten wie etwa Siri von Apple vermitteln uns einen Eindruck davon, wie leistungsfähig dieser Teilbereich der sich rasch weiterentwickelnden KI schon heute ist. Die ersten intelligenten persönlichen Assistenten sind vor gerade einmal fünf Jahren auf den Markt gekommen. Heute machen Spracherkennung und Künstliche Intelligenz so schnelle Fortschritte, dass die Sprachsteuerung von Computern schon bald die Regel sein wird. Auf diese Weise wird das entstehen, was einige Technologen »smarte Umgebung« (»ambient computing«) nennen, in der persönliche Roboter-Assistenten permanent verfügbar sind, um unsere Gedanken und Wünsche zu notieren und auf unsere Fragen zu antworten. Unsere Geräte werden in zunehmendem Maße Teil unseres persönlichen Ökosystems; sie hören uns zu, erahnen unsere Bedürfnisse und helfen uns – vielleicht sogar, wenn sie nicht eigens darum gebeten werden.

Ungleichheit als systemische Herausforderung

Die Vierte Industrielle Revolution birgt große Chancen, aber auch große Risiken. Ein besonderer Anlass zur Sorge ist die zunehmende Ungleichheit. Die Herausforderungen, die wachsende Ungleichheit mit sich bringt, lassen sich allerdings nur schwer quantifizieren, da die allermeisten von uns sowohl Konsumenten als auch Produzenten sind, sodass Innovation und Disruption unseren Lebensstandard sowohl positiv als auch negativ beeinflussen werden.

Am meisten zu profitieren scheint der Verbraucher. Die Vierte Industrielle Revolution hat uns neue Produkte und Dienstleistungen gebracht, die die Effizienz unseres Lebens als Verbraucher erhöhen. Ein Taxi bestellen, einen Flug buchen, ein Produkt kaufen, eine Zahlung tätigen, Musik hören oder einen Film ansehen – jede dieser Tätigkeiten lässt sich heute problemlos aus der Ferne, online erledigen. Der Nutzen der neuesten technologischen Innovationen für uns alle ist unbestreitbar. Das Internet, das Smartphone und Tausende von Apps machen uns das Leben leichter und uns unter dem Strich produktiver. Ein einfaches Gerät wie ein Tablet, das wir zum Lesen, Surfen und Kommunizieren verwenden, besitzt die gleiche Rechenleistung wie 5000 Desktop-Computer vor 30 Jahren, während die Kosten für die Speicherung von Information inzwischen verschwindend gering sind (ein Gigabyte an Daten zu speichern kostet heute im Schnitt weniger als 0,03 Dollar pro Jahr, im Vergleich zu 10000 Dollar vor 20 Jahren).

Die Herausforderungen, die mit der Vierten Industriellen Revolution einhergehen, scheinen überwiegend die Angebotsseite zu betreffen – die Welt der Arbeit und der Produktion. In den letzten Jahren haben die überwältigende Mehrheit der höchstentwickelten Länder und auch einige schnell wachsende Volkswirtschaften wie China einen erheblichen Rückgang der Lohnquote (Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Bruttoinlandsprodukt) verzeichnet. Dieser Rückgang ist zur Hälfte auf das Sinken der relativen Preise von Investitionsgütern zurückzuführen, das seinerseits von der hohen Innovationsgeschwindigkeit angetrieben wird (die Unternehmen dazu zwingt, Arbeit durch Kapital zu ersetzen).5 Daher sind diejenigen, die geistiges oder physisches Kapital bereitstellen, die großen Gewinner der Vierten Industriellen Revolution – die Innovatoren, die Investoren und die Aktionäre. Dies erklärt die wachsende Vermögensungleichheit zwischen denjenigen, die auf ihre Arbeitskraft angewiesen sind, und denjenigen, die Kapital besitzen. Es erklärt auch die Enttäuschung vieler Arbeitnehmer, die mittlerweile davon ausgehen, dass ihr Realeinkommen im Laufe ihres Lebens nicht steigen wird und dass es ihren Kindern nicht besser gehen wird als ihnen.

Zunehmende Ungleichheit und die lauter werdende Kritik an sozialer Ungerechtigkeit stellen eine so große Herausforderung dar, dass ich diesem Thema in Kapitel 3 einen eigenen Abschnitt widme. Die Konzentration des Nutzens und der Wertschöpfung bei einem kleinen Prozentsatz der Bevölkerung wird noch durch den sogenannten Plattform-Effekt verstärkt: Digitale Unternehmen bauen Netzwerke auf, die Käufer und Verkäufer einer breiten Palette von Produkten und Dienstleistungen zusammenführen, wodurch sie steigende Skalenerträge erzielen.

Der Plattform-Effekt führt zu einer Konzentration weniger, aber mächtiger Plattformen, die eine beherrschende Stellung auf ihren Märkten erringen. Die Vorteile sind offensichtlich, insbesondere für die Verbraucher: ein höherer Kundennutzen, eine größere Annehmlichkeit und niedrigere Kosten. Aber es entstehen auch Risiken. Um die Konzentration der Wertschöpfung und Macht in einigen wenigen Händen und die Abhängigkeit von Plattformen zu verhindern, müssen wir Mittel und Wege finden, damit sich Nutzen und Risiken digitaler Plattformen (einschließlich Industrie-Plattformen) in etwa die Waage halten. Offenheit und Chancen zu Kooperationen im Innovationsprozess müssen gewährleistet bleiben.

All dies sind grundlegende Veränderungen, die sich auf Wirtschaft, Gesellschaft und Politik auswirken und die sich nur schwer rückgängig machen lassen, selbst wenn der Prozess der Globalisierung an sich umgekehrt werden könnte. Die Frage für ausnahmslos alle Branchen und Unternehmen lautet nicht länger »Werde ich von Disruption betroffen sein?«, sondern »Wann werde ich von einer disruptiven Innovation betroffen sein, welche Form wird sie annehmen, und wie wird sie sich auf mich und meine Organisation auswirken?«.

Die Realität der Disruption und ihre unvermeidlichen Auswirkungen auf uns bedeuten nicht, dass wir ihr ohnmächtig ausgeliefert sind. Es ist unsere Aufgabe, einen verbindlichen Wertekanon zu definieren, an dem sich unsere politischen Entscheidungen orientieren sollten, und die Veränderungen so zu gestalten, dass die Vierte Industrielle Revolution zu einer Chance für alle wird.