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Das Buch

Wolfgang Stoephasius ist der Großvater aller Traveller. Heute ist er der meistgereiste Deutsche, ein »Ländersammler«. Er war bei Voodoo-Priestern auf Haiti, hat in den Waffenschmieden der Taliban Tee getrunken und Unberührbaren am Ufer des Ganges die Hand gegeben. Er war Ende der 70er Jahre in Thailand, lange bevor die Backpacker dort aufschlugen, einer der ersten Touristen im noch jungen Wüstenstaat Südsudan – und hat immer wieder Länder besucht, die es heute gar nicht mehr gibt. Genug gesehen hat er nicht. Reisen macht süchtig.

In diesem Buch erzählt er von seinen stärksten Eindrücken und buntesten Erinnerungen aus einem langen und reichen Reiseleben.

»Wolfgang Stoephasius sammelt Einreisestempel wie andere Leute Facebook-Freunde.« FOCUS

Der Autor

Wolfgang Stoephasius, 74, war vor seiner Pensionierung Erster Kriminalhauptkommissar beim Bayerischen Landeskriminalamt und nutzte jeden Urlaubstag, um die Welt zu erkunden. Wenn er nicht gerade auf Reisen ist, lebt er mit seiner Frau in München.

WOLFGANG STOEPHASIUS

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Der meistgereiste
Deutsche erzählt
seine größten Abenteuer

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Ullstein

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ISBN 978-3-8437-1293-4

Zum Schutz der Personen wurden Namen und
Biographien zum Teil verändert und Handlungen,
Ereignisse und Situationen an manchen Stellen
abgewandelt.

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Titelabbildung: © Wolfgang Stoephasius; © FinePic®, München
Bilder im Innenteil: © Wolfgang Stoephasius

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Umschlag

Über das Buch und den Autor

Titelseite

Impressum

Prolog

TEIL I

Chaos am Ku’damm

Niemandsland

Ein Ungar in München

Eintauchen in eine neue Welt

Auf der Rollbahn

»Kapitalist!«

Feindbilder

Was ist Heimat

Hoffnungsschimmer

Bärenland

Himmel und Hölle

Die reine Lehre

TEIL II

Gefährliches Missverständnis

Nacht in Bethlehem

Paviane als Busfahrer

Der Weg nach Timbuktu

Libretti in Libyen

Mein Sohn in Uganda und Abenteuer in Ostafrika

Herz der Finsternis

Nachbarshexe

Botschafter in Badehose

Der Schamane mit dem Krebs

Der Sultan von Bamileke

Exodus aus Afrika

Von Ghana durch Rebellengebiet nach
Liberia und weiter in den Senegal

Begegnung mit Albert Schweizer, die Suche
nach einer Wunderdroge und der Weg über
eine schwierige Grenze

Ethnien im Lower Omo Valley

Der Hyänenmann von Harar und eine
riskante Fahrt nach Somalia

Der Kampf des Bürokraten gegen
den König der Lüfte

Lois aus Puerto Rico

TEIL III

Kumsitz mit Salome

Scham

Gartenwirtschaft am See Genezareth

Auf Jesus Christus’ Spuren

Tod eines Friedensnobelpreisträgers

Wasserpfeifen in Hebron

Abraham und Hiob

Auf den Spuren des achten Imam

Frauen in Saudi-Arabien

Der kleine Hadsch – auf verbotenen Wegen

Krummdolch und Kalaschnikow

Tradition und Moderne

TEIL IV

Blau für den Himmel

Ärzte für die Dritte Welt

Das Prinzip der Nächstenliebe

Zunge zeigen

Unberührbar

Das Mandala von Thiksey

Grenzerfahrung

Ein Imam in Srinagar

Im Exil des Dalai Lama

Feuerbestattung

Friseure

Bakschisch

Kamelmarkt

Waffenschmieden der Taliban

Tausendundeine Nacht

West trifft Ost

Bannspruch

Die zwei Gesichter Thailands

Prophezeiungen

Schmugglernest

Von tätowierten Damen und solchen,
die keine sind

Thaipusam

Im Land des Totenkultes

Blütenparadies

Killing Fields

Eine Familie bei Savannakhet

TEIL V

Robinsonade in Moll

Das Geheimnis der Steinmänner

Stammesfehden

Geld so groß wie Mühlsteine und
am Rande des Taifuns

»Pleasant Island«

Fallschirmspringen in Brisbane

Fernab von allem

Südseeparadies?

TEIL VI

Tricky

Grenzerfahrungen

Auf Darwins Spuren

Valparaíso und ein kleiner Überfall

Donnerndes Wasser, donnernde Motoren und wertlose Steine

Reise in ein unruhiges Land

Brasilianische Hochzeit

Das afrikanische Brasilien

Magisches in Salvador

Bettgeschichten in Rio

Ein stiller Ohrenzeuge

Karibik

Voodoo

Schießerei und Black Pudding in Kingston

Ein Trommler mit krimineller Energie

Der gefährlichste Airport der Welt

TEIL VII

USA in vier Wochen

Hochzeit in Vegas

Bei Verwandten, Freunden und
Pseudo-Indianern

Auf der legendären Motherroad –
quer durch die USA von Ost nach West
von Chicago nach Santa Monica, 2011

TEIL VIII

Schiffsreise zur Antarktischen Halbinsel

Richtung Arktis

TEIL IX

Brenner

Bei den Zyklopen

Jedes Jahr aufs Neue

Der Heilige Berg

Gipsy-Caravan

Begegnung mit dem Boandlkramer

Dank

Bildteil

Prolog

I Eiserner Vorhang

II Afrika

III Naher und Mittlerer Osten

IV Asien

V Südsee

VI Lateinamerika und Karibik

VII Nordamerika

VIII Polargebiete

IX Europa

Feedback an den Verlag

Empfehlungen

Prolog

Alles ist weiß, meine Hände, mein Haar, der Himmel, der steinige Pfad. Gegen Schneeböen kämpfe ich mich voran, bergwärts. Mein Atem geht schwer, alle zehn Meter bleibe ich stehen, versuche, zu Luft zu kommen. Die Kälte kriecht mir in die Knochen. Unser Führer und die beiden Belgier sind längst aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich denke nur an den nächsten Schritt, und doch lässt mich dieses Gefühl nicht los: Verlorensein. Im Himalaya spüre ich eine Einsamkeit im Tosen des Windes, im Schnee, der alles zudeckt und verschwinden lässt.

Der Pass über den Kongmaru-La im indischen Ladakh liegt auf über 5000 Metern – und die Höhe macht mir zu schaffen. Als ich endlich am Ende des Schneefeldes das Lager erreiche, das meine Weggefährten in einer Senke aufgeschlagen haben, möchte ich nur noch schlafen. Die Natur ist mir fremd, in dieser Landschaft bin ich nicht zu Hause. Während unser Lager einschneit, falle ich in tiefen bewusstlosen Schlaf.

Als wir am nächsten Morgen durch ein Schneebrett (frischer Schnee auf dem Gestein) vorsichtig absteigen, ist der Himmel über dem Himalaya noch immer undurchsichtig weiß. Der Abstieg erfordert höchste Konzentration. Erst als wir einen Weg erreichen, wende ich den Blick nach oben. Es hat aufgehört zu schneien, die Sonne steht hoch am Himmel, vor hellem Blau zeichnet sich die Zanskar-Bergkette mit ihren weißen Gipfeln ab.

Plötzlich kommt Leben in die Szene, ein Ladakhi treibt seine Schafherde den Weg entlang, wir haben die Weidegründe erreicht. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich über eine Herde Kaschmir-Ziegen freuen würde wie über das Wiedersehen mit einem lang vermissten Freund. Noch vor dem Abend werden wir das Tal erreichen.

Glück durchströmt mich. Das verschneite Lager auf der Passhöhe, die Kälte, der Stein, das Blau des aufgerissenen Himmels, das Gebirge, das wie ein Scherenschnitt am Himmel steht, die Tiere und das Lächeln im wettergegerbten Gesicht des Schäfers. Selten habe ich so deutlich gespürt, dass ich am Leben bin.

In diesem Augenblick weiß ich genau, warum ich seit über einem halben Jahrhundert mit schmalem Budget die entlegensten Orte der Welt bereise – mit Frau und Kind, Freunden, flüchtigen Bekannten, alleine und in Gruppen. Tage, Wochen oder Monate. In Buschtaxis und Langbooten, Planwagen und Intercitys. Auf Eseln, Kamelen und immer wieder Schusters Rappen. Ich war bei Voodoo-Priestern auf Haiti, habe in den Waffenschmieden der Taliban Tee getrunken und Unberührbaren am Ufer des Ganges die Hand gegeben. Genug gesehen habe ich nicht.

Reisen macht süchtig.

Heute bin ich der »meistgereiste Deutsche«, ein »Ländersammler« unter vielen anderen. Wie die meisten Traveller liebe ich nicht nur das Unterwegssein – ich mag auch den Moment des Heimkommens, wenn aus Eindrücken und Bildern Erinnerungen werden und meine Liebste mich bittet zu erzählen.

Bevor ich Sie mitnehme in die Welt des Reisens, gestatten Sie mir noch einen kleinen Abstecher, eine Zeitreise nach Landeshut, in eine niederschlesische Kleinstadt der vierziger Jahre.

»Auch die größte Reise beginnt mit dem ersten Schritt«, sagt ein chinesisches Sprichwort. Ich tat ihn in den Wirren der letzten Kriegsjahre, als alles im Umbruch war.

Als meine Mutter irgendwann keine Lust mehr hatte, mich zu tragen, stellte sie mich behutsam auf den Boden der kleinen Stadt am Fuße des Riesengebirges. Kaum hatte ich, festgeklammert an ihre Hand, den legendären ersten Schritt getan, riss ich mich los und stolperte hinein ins Wanderleben.

Von nun an sahen Mutter oder Großmutter meine weiße Bommelmütze immer wieder am Bahnhof in irgendeinem Zugabteil verschwinden, flink hinter einer Straßenecke abbiegen oder irgendwelche Stufen hinunterhüpfen.

Mein Vater war damals weit weg.

Als Kriegsgefangener war er auf die britischen Inseln gebracht worden. Er war fort, aber in meine niederschlesische Heimatstadt zogen verwegene Gestalten: »Der Russ« war da. Auf kleinen Holzwägen, Pferde davor gespannt, manchmal auch merkwürdige Kamele, nämlich mit zwei Höckern. Diese Soldaten fand ich wild und verwegen, viele hatten Schlitzaugen, so hatte ich mir immer Chinesen vorgestellt. Nach den Russen kamen Polen, viele Polen.

Bald hatte ich eines heraus, nämlich auf saublöde Vorurteile zu setzen. So verbrüderte ich mich mit den Russen mit den Worten: »Russen gut, Polen nix gut« – und mit den Polen: »Polen gut, Russen nix gut«. Als mich ein halbwüchsiger polnischer Bursche aus heiterem Himmel verprügelte, nutzte es wenig. Dass ich mit dem Leben davonkam, verdanke ich nur einer Polin, die couragiert einschritt und mich rettete. Nachts hieben manchmal besoffene russische Soldaten mit ihren Kalaschnikows an unsere mit dem Klavier verrammelte Tür, und irgendwann stand ein Kosak (ich sehe das rote, versoffene Gesicht unter der Pelzmütze noch vor mir) in unserer Küche und bedrohte meine Großmutter mit einem Dolch. Ob er wohl wieder abzog, weil ich »Russen gut, Polen nix gut« stammelte?

In meiner Jungenwelt war der Krieg ein Abenteuer, die Nachkriegszeit ein Tor, das sich ins Fremde öffnete und meine Phantasie beflügelte. Heute danke ich den Frauen in meiner Familie, Mutter und Großmutter, die alles Böse von mir abhielten, mich vor Hunger und Angst bewahrten und mich spielen ließen.

Mein Vater war in England. Ich hatte keine Ahnung, wo das war, aber dort wollte ich hin. Schon als ich fünf war, schlummerte ein gewisses Organisationstalent in mir – und so schmiedete ich einen Plan. Durch Zufall hatte ich entdeckt, dass auf dem Dachboden einer Nachbarsfamilie, die geflohen war, in einer Ecke allerhand Nützliches lag, u. a. einige Heiligenfiguren aus Keramik, eine Kinderraper (ein Schubkarren) aus Holz und ein Vogelkäfig. Diese Schätze schleppte ich die Treppe hinunter und machte mich auf den Weg in Richtung Bahnhof. Auf der Straße begegneten mir zwei russische Soldaten, welche ich mit der bereits bekannten Floskel begrüßte. Denen verkaufte ich die Porzellanfiguren, wobei ich das abgebrochene Ohr des Heiligen Joseph sorgsam verdeckte. Kleine Jungen trugen damals lange Strümpfe mit Strapsen, da gab es eine kleine Tasche – und darin verschwanden die schwer verdienten Zloty (Reichsmark waren out). Am Bahnhof erklärte ich irgendeinem Polen in Uniform, den ich wie oben geschildert begrüßte, meinen Reisewunsch – und er setzte mich tatsächlich in ein Zugabteil, in welchem viele nach Knoblauch riechende, polnisch sprechende Menschen saßen. Als der Zug anrollte, stand der Uniformierte vorm Fenster, Menschen hoben mich sanft von drinnen nach draußen in seine Arme. Damit endete meine erste Reise dort, wo sie begonnen hatte.

Meine erste große Reise begann im Sommer 1947 in einem Güterwagen. Niederschlesien war im Vertrag von Potsdam – wahrscheinlich durch ein Missverständnis der westlichen Alliierten, sie hatten wohl die Glatzer mit der Lausitzer Neiße verwechselt – Polen zugeschlagen worden. Mutter, Großmutter und ich knapp sechsjähriges Bürschchen fanden mit einigen Bündeln Wäsche in dem Wagen Platz. Mutter hatte etliche Alben (mein Großvater hatte ein fotografisches Atelier) und einen fast kompletten Satz WMF-Besteck zwischen den Laken verborgen. Es war der letzte Transport – Landeshut wurde endgültig zu Kamienna Góra und polnisch und ich vom Schlesier zum Bayern. Beim Ausfahren des Zuges erklang das Riesengebirgslied aus Hunderten von Kehlen. Vielleicht spürte ich in diesem Moment zum ersten Mal, was Heimat bedeutet.

Die Strecke von ehemals Landeshut nach Passau in Niederbayern könnte man mit dem Auto bequem an einem Tag bewältigen. Wir brauchten sechs Wochen. Stationen waren Sammellager in Hirschberg (heute Jelenia Góra), Bitterfeld und Gutenfürst.

In Passau, meiner neuen Heimat, sah ich am Bahnhof schließlich meinen Vater wieder. Ich erinnere mich noch an die Farbe seines kurzärmeligen Hemdes – es war hellblau – und an die kurze, khakifarbene Hose, die er trug. Fiel er meiner Mutter in die Arme? Hob er mich hoch und schleuderte mich in die Luft? Möglich ist beides, aber sagen kann ich es nicht – die Szene liegt im Dunkeln. Mein Vater war mir fremd geworden. In der ersten Zeit nach unserem Wiedersehen nannte ich ihn »Onkel Papa«, da fremde Männer eben für mich Onkel waren. »Fremdsein« ist nicht nur etwas, das ich mit meinem Vater verband – wenig später erlebte ich es am eigenen Leib.

Als Mutter, Vater und ich über die notdürftig reparierte Innbrücke gingen, kam uns eine dicke Frau mit wehenden Rockschößen entgegengerannt und schrie: »Was woids denn ihr do, schaugts doch, dass do hi zruck geht’s, wo’s herkemts!« Es war Frau Fischer, in deren Haus mein Vater, meine Mutter, meine Großmutter und ich in einem 16 Quadratmeter großen Zimmer unter dem Dach einquartiert wurden.

Vielleicht begann in dieser Stunde meine Karriere als Multi-Kulti: vom Schlesier zum Bayern, vom Bayern zum Deutschen, vom Deutschen zum Europäer und vom Europäer zum Weltbürger.

Meine Lehrerin hatte bald entdeckt, dass mein Abenteuerdrang schulischem Erfolg nicht gerade zuträglich war. Großzügig eröffnete sie mir die Welt der Bücher in der Stadtbücherei, und ich wurde durch Winnetou und Tecumseh zum Indianer. Immerhin lernte ich dabei Lesen und Schreiben.

Zwar schaffte ich den Übertritt ans Gymnasium nicht, aber dafür gelang es mir, die Buben in meiner Nachbarschaft für mein Indianertalent zu begeistern. Eines Tages brach ich mit einigen von ihnen (Seckl, Tschwinkl und zwei anderen) auf, um die Großen Seen des Mittleren Westens zu erkunden. Der größte dieser Seen hieß Chiemsee und war etwa 80 Meilen entfernt. Ausgestattet mit bei den Amis abgestaubten Zeltplanen machten wir uns mangels eigener Pferde per Anhalter auf den Weg. Das nötige Kleingeld hatten wir uns durch das Entkernen von Fundmunition und den Verkauf des daraus gewonnenen Kupfers verdient. Alois, einer aus unserer Clique, hatte es einige Tage vorher übertrieben. Als er den Zünder einer Tellermine zerlegen wollte, war der explodiert und ihm um die Ohren geflogen.

Nun konnte er nicht mit, weil ihm ein Auge und zwei Finger fehlten. Was heute undenkbar klingt, war für uns ein beinahe alltägliches Abenteuer. Drei Tage, nachdem Alois die Mine aus dem Inn gefischt (wo wir nachmittags nach Munition suchten, die Wehrmachtssoldaten in den Fluss geworfen hatten), sie nach Hause getragen und ihren Zünder im Keller zur Explosion gebracht hatte, erschien er wieder in der Schule. Einen Verband um die Stirn, einen an der Hand, ansonsten ganz der Alte. Auch wenn wir ihn nicht um sein Erlebnis beneideten, feierten wir ihn insgeheim als Helden. »A Hund is er scho«, dachte ich damals mit einer gewissen Ehrfurcht.

Während unser Freund verarztet wurde, erreichten wir anderen den See im Mittleren Westen und staunten, dass die Squaw des Zelt- und Campingplatzes, an dem bereits einige Tipis standen, Geld von uns wollte. Obwohl sie uns einen großzügigen Nachlass gewährte, reichte unser Schwerverdientes nicht aus. Die Freiheit war so nah – und wir mussten ihr den Rücken kehren. Niedergeschlagen machten wir uns auf den Rückweg. Zu Hause setzte es eine gehörige Tracht Prügel, weil wir »vergessen« hatten zu sagen, dass wir einige Tage unterwegs sein würden.

Damals steckte in jeder Margarinepackung ein Sammelbildchen. Eines Tages fiel mir ein Motiv in die Hände, das mich mein Globetrotterleben lang nicht mehr loslassen sollte. In Blau- und Brauntönen gehalten, zeigte es kamelreitende Männer mit Turbanen auf dem Kopf. Die Aufschrift lautete: »Tombouctou 52 Jours – 52 Tage nach Timbuktu«. Ich nahm meinen Schulatlas zur Hand und suchte diese geheimnisvolle Stadt. Sie lag irgendwo in Afrika. Mein Zeigefinger glitt über die Karte und sondierte den günstigsten Weg zum Schwarzen Kontinent – bei der Straße von Gibraltar verharrte er.

Es sollte noch lange dauern, bis meine Füße die Sandstraßen der Wüstenstadt betraten – aber viele Jahre später wurde mein Jungentraum Wirklichkeit.

Die Reise nach Timbuktu ist eine jener Geschichten, die ich Ihnen erzählen will – womit wir endlich beim eigentlichen Thema wären: der Welt des Reisens.

Gewidmet ist dieses Buch meiner Mutter. Als Agnostiker glaube ich nicht an ein Leben nach dem Tod, aber so widersprüchlich es auch klingen mag, ich würde mich freuen, wenn sie, die mit 96 Jahren immer noch den Atlas auf dem Tisch liegen hatte, um mich aus der Ferne auf meinen Reisen zu begleiten, dieses Buch lesen könnte. Ihr, die ihrem Buben vor einem Dreivierteljahrhundert in einer schlesischen Kleinstadt beibrachte, wie Geborgenheit sich anfühlt, gilt mein Dank. Ich glaube, nur wer sich zu Hause sicher fühlt, kann mutig und unbeschwert in die Welt ziehen.

Kürzlich wurde ich gefragt, ob es eine Art Leitfaden gebe, Tipps oder Ratschläge, die es beim Reisen zu beachten lohne.

»Du musst halt a bisserl offen sein, a bisserl mit dem Herzen denken«, gab ich zurück – auch das hat meine Mutter mir beigebracht.

TEIL I

EISERNER
VORHANG