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Rebecca Drake

Seelendunkel

Thriller

Aus dem Amerikanischen
von Verena Kilchling

Buch

Jill Lassiter ist mit ihrer dreijährigen Tochter auf dem Spielplatz, als das Undenkbare geschieht: Jill lässt Sophia nur für einen Moment aus den Augen, und das Kind ist verschwunden. Vierzig endlos lange Minuten durchlebt Jill die Hölle auf Erden, bis Sophia plötzlich wieder vor ihr steht. Mit der Zeit lässt der Schock nach, doch bald wird klar, dass die Familie nicht aufatmen kann. Drei Monate später wird Sophia nachts aus ihrem Bett entführt. Sofort schalten Jill und ihr Mann David die Polizei ein, doch die Ermittlungen laufen ins Leere. Bis Hinweise auftauchen, die das Schlimmste befürchten lassen: Immer mehr deutet darauf hin, dass das kleine Mädchen ermordet wurde, und die Eltern Jill und David geraten selbst in den Fokus der Ermittlungen. Ohnmächtig muss Jill mit ansehen, wie ihr bisheriges Leben in sich zusammenfällt, als die Polizei immer mehr belastendes Material gegen sie und ihren Mann zu Tage fördert. Jill steht mit dem Rücken zur Wand, und ihr wird klar, dass sie selbst ihre Tochter finden muss, denn da die Polizei nun Sophias Mörder jagt, sucht sie nicht mehr nach der Person, die das kleine Mädchen in ihrer Gewalt hat …

Autorin

Die Kindheit und Jugend der gebürtigen New Yorkerin Rebecca Drake war durch viele Ortswechsel geprägt – und ihre Liebe zu Büchern. Sie gaben ihr Halt: Sobald die Bücherkisten ausgepackt waren, fühlte sie sich zuhause. Auch beruflich dreht sich bei Rebecca Drake alles um das Schreiben: Sie arbeitete unter anderem als Journalistin und Lektorin, ist Dozentin für den Master-Studiengang Writing Popular Fiction an der Seton Hill University in Pennsylvania und Verfasserin von psychologisch komplexen Spannungsromanen. Rebecca Drake lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Pittsburgh, PA.

Die amerikanische Originalausgabe »Only Ever You«
erschien 2016 bei Thomas Dunne Books.
An imprint of St. Martin’s Press, New York.

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Deutsche Erstveröffentlichung April 2017
Copyright © der Originalausgabe 2016 by Rebecca Drake
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Published in agreement with the author, c/o BAROR INTERNATIONAL,
INC., Armonk, New York, USA.
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: plainpicture/Tobias Leipnitz
Redaktion: Ann-Catherine Geuder
An · Herstellung: Str.
Gesamtherstellung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-641-11415-2
V001
www.goldmann-verlag.de

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Für Joe,
der glaubte, als ich es nicht konnte.

»Es bricht das Herz,
doch lebt gebrochen fort.«

Lord Byron

Teil I
Davor

Kapitel
EINS

Juli 2013 – drei Monate

An dem Tag, an dem ihr Leben aus den Fugen geriet, schmierte Jill Lassiter Sonnencreme auf die zarte Haut ihrer dreijährigen Tochter und fuhr mit ihr wie versprochen zum Park.

Es war ein heißer Nachmittag, und sie hielt Sophia bei der Hand, als sie die Straße überquerten, beugte sich leicht nach unten, damit ihre Tochter das Ärmchen nicht so weit strecken musste.

Auf dem Weg zum Spielplatz plapperte Sophia über die Schaukeln, über ihren Plastikring mit dem rosa »Edelstein«, über einen kleinen Terrier, der im Park Gassi geführt wurde. Die ältere Dame, die ihn an der Leine hielt, schmunzelte über Sophias begeisterten Aufschrei beim Anblick ihres Hundes, aber Jill war mit ihren Gedanken woanders und bekam nicht richtig mit, was ihre Tochter sagte, sondern tat nur so, als würde sie zuhören, indem sie kleine interessierte Laute von sich gab.

Hinterher fühlte sie sich schuldig. Welche Mutter hört ihrem eigenen Kind nicht zu? Sie hatte über die beiden Bar-Mizwas und die Hochzeit nachgedacht, die sie als Fotografin begleiten sollte, hatte versucht, die Termine so zu koordinieren, dass ihre Kollegin Tania und sie alles unter einen Hut bekamen.

»Loslassen, loslassen!« Sophia zerrte an ihrer Hand, und Jill ließ sie gehen. Während sie ihrer Tochter dabei zusah, wie sie über die Wiese zum Spielplatz rannte und auf eine Schaukel kletterte, hob sie die Kamera vors Auge. Sophia war klein für ihr Alter, jedoch begierig darauf, alles allein zu machen. Jill bot an, sie anzustoßen, bis sie genug Schwung hatte, und Sophia willigte mit ernster Miene ein, wollte danach aber keine Hilfe mehr annehmen.

Jill trat zur Seite und schoss Fotos, beobachtete, wie die feinen blonden Härchen ihrer Tochter jedes Mal hochflogen, wenn die Schaukel am höchsten Punkt ankam. Sie hatte keine dunkle Vorahnung, spürte keine nahende Katastrophe.

An einem derart heißen Tag waren nur wenige Besucher auf dem Spielplatz, selbst im Schatten war es unerträglich warm. An Sophias Schläfen waren die blonden Haare dunkel vor Schweiß, und auf ihrer Oberlippe hatten sich Schweißperlen gebildet. Ihre Wangen waren gerötet, aber sie sah nicht aus, als würde sie einen Sonnenbrand bekommen. Jill spürte die Feuchtigkeit an ihrem eigenen Hals und hob für einen Moment ihre dunklen Haare an, damit der Wind ihre Haut ein wenig kühlte. Sie würden nicht mehr lange bleiben, beschloss sie.

Als Sophia Richtung Rutsche rannte, kam Jill überhaupt nicht auf die Idee, ihre Tochter zurückzuhalten. Es war ein sicherer, moderner Spielplatz mit gepolstertem Bodenbelag unter allen Spielgeräten. Die Kinder mussten sich schon sehr anstrengen, um sich hier ein Knie aufzuschürfen oder einen Ellbogen zu zerschrammen. Langsam schlenderte Jill hinterher, bis sie vom Weinen eines anderen Kindes abgelenkt wurde. Sie entdeckte eine Mutter, die im einen Arm einen brüllenden Säugling hielt, während sie mit dem anderen einem kleinen Jungen auf eine Schaukel half. Jills Blick blieb an dem kleinen Jungen hängen. Sie starrte ihn an und spürte einen vertrauten Stich in der Brust, weil er dunkle Haare hatte und auch das Alter ungefähr gestimmt hätte.

Das Heulen des Babys und die offenkundigen Schwierigkeiten der anderen Mutter rissen sie aus ihrer Träumerei. »Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Sie machte kehrt und gab dem kleinen Jungen die Unterstützung, die er brauchte.

»Oh, vielen Dank«, versuchte die Mutter das Geschrei ihres Babys zu übertönen. »Sie hat ganz furchtbar Hunger. Könnten Sie mir vielleicht die Tasche dort drüben bringen?« Sie wies mit dem Kinn auf eine große Tragetasche, die in der Nähe auf dem Boden stand, und setzte sich auf eine Parkbank, um ihr Baby zu stillen.

Jill stellte die Tasche neben ihr ab, bevor sie davoneilte, um sich um ihr eigenes Kind zu kümmern. Es hatte nur eine Minute gedauert, der anderen Mutter zu helfen, allerhöchstens zwei. Als sie Sophias Blondschopf nicht auf dem bunten Klettergerüst entdecken konnte, war sie nicht weiter beunruhigt. Noch nicht.

Mit schnellen Schritten ging sie auf die Rutsche zu und schirmte sich mit der Hand die Augen ab. Es handelte sich nicht um eine dieser altmodischen Rutschen aus Metall, auf der man sich im Sommer die Rückseite der Beine verbrannte und deren Leiter bei Regen rutschig wurde. Hier war alles aus Kunststoff: die Rutsche und die Kletterburg mit ihren Tunneln und Gängen und der Kletterwand. Bestimmt war Sophia irgendwo in diesem Labyrinth zu finden. Aber nein.

Jill suchte weiter nach Sophias blondem Kopf und rief laut ihren Namen: »Sophia?« Sie rechnete jede Sekunde damit, dass ihre Tochter mit hoher Stimme antwortete, dass sie plötzlich auftauchte und ihre Mutter aus hellblauen Augen fragend ansah. Fehlanzeige.

Zwischen Jills erstem Ruf nach Sophia und der verzweifelten Suchaktion, die darauf folgte, entstand ein Moment von solch unheimlicher Stille, dass Jill das Stocken ihres eigenen Atems hörte.

Andere Erwachsene schlossen sich ihrer Suche an, die Frau mit den beiden Kindern, ein männlicher Jogger, ein älteres Paar Spaziergänger. Ihre nach Sophia rufenden Stimmen hallten durch den Park. Jill wählte Davids Nummer bei der Arbeit und sprudelte hastig alles hervor, sobald er ans Telefon ging, sodass er sie bitten musste: »Langsam, langsam, ich verstehe kein Wort.«

Sie wusste nicht, wer die Polizei gerufen hatte, doch sie traf noch vor ihrem Mann ein, ein Streifenwagen mit Blaulicht und Sirene. Es waren zwei Beamte, einer klein, der andere groß, beide männlich, der eine weiß, der andere schwarz. Sie konnte sich nicht auf sie konzentrieren, spähte an ihnen vorbei und suchte immer wieder das Gelände ab. Schaukeln, Rutsche, große leere Wiese, Wald, der alles umgab. Dort drüben hatte Sophia vorhin noch gestanden, und nun war sie weg.

»Läuft sie öfter einfach davon?«

»Wie aufgeschlossen ist sie Fremden gegenüber?«

»Könnte es sein, dass ein Familienmitglied sie mitgenommen hat?«

Sie beantwortete die Fragen und blickte nervös auf die Uhr, während die Beamten sich von ihr zeigen ließen, welche Route sie über den Spielplatz genommen hatte.

»Sind Sie auf dem Weg hierher an irgendjemandem vorbeigekommen?«

»Wer war noch alles auf dem Spielplatz?«

Sie wollten ihre Kamera sehen, und Jill gab sie ihnen und zeigte ihnen, wie sie durch die Fotos scrollen konnten. Ihr Mann traf ein und brachte sein Auto hinter dem Streifenwagen quietschend zum Stehen. David kam schneller über die Wiese, als sie ihn je hatte rennen sehen, mit fliegender Krawatte, zerzaustem Haar und gerötetem Gesicht. »Wo ist sie? Habt ihr sie gefunden?«

Die Polizei schwärmte aus, um die Umgebung abzusuchen, und David lief noch einmal Jills Route über den Spielplatz ab, bevor er zu seiner Frau zurückkehrte und ungläubig die Hände über dem Kopf verschränkte.

Ein zweites Polizeiauto traf ein, dann ein drittes. An den Rändern des Parks versammelten sich Schaulustige. Eine Polizistin legte Jill die Hand auf den Arm, eine gutgemeinte Geste, die ihr den letzten Nerv raubte.

Die Polizisten wechselten rasch ein paar Worte miteinander und sprachen in ihre Funkgeräte, knapp und leidenschaftslos. Es war die Rede davon, dass sie den bewaldeten Bereich des Parks in einem weiteren Radius absuchen und sämtliche Parkeingänge abriegeln wollten. Zwanzig Minuten vergingen, dann vierzig.

Im Moment der völligen Verzweiflung, im Moment, als Jills Gewissensbisse nackter Panik wichen und ihr Körper zu zittern begann, tauchte Sophia plötzlich wieder auf, unter den Bäumen jenseits der Straße. Obwohl sie etwa zwanzig Meter entfernt stand, entdeckte Jill sie sofort, denn ihr kleiner blonder Kopf und ihr weißes Kleid leuchteten geradezu in all dem Grün.

Jill schob sich an der Polizistin vorbei und rannte auf ihre Tochter zu, ihre Stimme überschlug sich, als sie ihren Namen rief. Jills Beine waren bleischwer; sie schien kaum voranzukommen. Als sie Sophia endlich erreicht hatte, war sie zu sehr von ihren Gefühlen überwältigt, um die Ruhe zu bewahren und ihrer Tochter keine Angst einzujagen. Sie riss das kleine Mädchen so heftig an sich, dass es zu weinen begann.

»Oh, Sophia, Sophia!« Der Name ihrer Tochter war alles, was Jill hervorbrachte. Sie drückte sie fest an sich, bis David atemlos hinter ihr eintraf und seine Tochter ebenfalls in den Arm nehmen wollte. Jill reichte sie an ihn weiter, behielt jedoch die Hände auf dem kleinen Körper, tastete Rücken und Beine nach Verletzungen ab.

Die Polizei versuchte, Sophia zu befragen. »Bist du vom Spielplatz bis hierher alleine gegangen?« Sophia schüttelte den Kopf, antwortete auf sämtliche Nachfragen mit Nein. Sie gähnte und senkte den Blick, bevor sie murmelte: »Ich war bei ein Wauwau.«

Die Polizisten wirkten erleichtert. »Bist du deshalb weggelaufen?«, fragte die Polizistin. »Weil du einem Wauwau hinterher wolltest?« Sie lächelte, die Atmosphäre war mit einem Mal viel entspannter. Unter den Parkbesuchern, die sich an der Suche beteiligt hatten, verbreitete sich die Neuigkeit, woraufhin sich die kleine Menschenmenge allmählich zerstreute. Eltern ließen ihre Kinder zurück auf den Spielplatz, und Paare schlenderten Hand in Hand davon.

»Glauben Sie, sie könnte einem Hundebesitzer gefolgt sein, der mit seinem Hund Gassi gegangen ist?«, fragte ein älterer Polizist.

David nickte. »Sie ist ganz verrückt nach Hunden und bettelt ständig, dass wir ihr einen schenken sollen.«

Jill trug Sophia auf dem Arm, als sie zusammen mit der Polizei zu den Autos gingen. Ein Polizist schlug lachend vor, sie solle ihr kleines Mädchen in Zukunft auch besser an die Leine nehmen, und David schüttelte allen die Hand und bedankte sich wiederholt für das schnelle Eintreffen der Beamten. Jill versuchte zu lächeln, obwohl ihr vor lauter Erleichterung eher nach Weinen zumute war. Einige Polizisten tätschelten Sophia den Kopf, bevor sie in ihre Streifenwagen stiegen und davonfuhren.

David öffnete die Türen von Jills Auto, damit die Hitze entwich. »Du darfst nicht einfach so davonlaufen, Sophia«, sagte Jill eindringlich, während sie ihrer Tochter die runden Wangen küsste. »Du hast deiner Mommy einen Schrecken eingejagt.«

»Hab mein Ring verlort«, murmelte Sophia und kratzte sich den Oberarm. Jill warf einen Blick auf ihre molligen kleinen Hände, und tatsächlich: Der Plastikring mit dem rosa Glitzerstein war verschwunden.

»Macht nichts«, sagte sie tröstend. »Wir finden einen neuen für dich.«

Sophia kratzte wieder ihren Arm. Jill zog die Hand ihrer Tochter nach unten, damit sie den Flügelärmel ihres Sommerkleidchens nach oben schieben konnte.

»Sie hat einen roten Punkt am Oberarm, David. Den hatte sie vorher nicht!« Auf der zarten Innenseite von Sophias Arm war ein winziger Nadelstich zu sehen, um den herum die Haut leicht geschwollen war. »O Gott, jemand hat ihr eine Spritze gegeben!«

»Kann nicht sein, zeig her …« Ihr Mann ergriff den Arm seiner Tochter, um ihn zu inspizieren.

»Jemand hat ihr Drogen gespritzt! Sophie, hat dich jemand gepiekt?« Sie musterte prüfend die blauen Augen ihrer Tochter, konnte jedoch nicht erkennen, ob ihre Pupillen geweitet waren. Sophia starrte ihre Mutter an, während ihr Daumen zu ihrem Mund wanderte.

»Sieht aus wie ein Insektenstich«, sagte David.

»Das ist kein Insektenstich.«

Auf Jills Beharren fuhren sie zum nächsten Krankenhaus. Auf dem Weg dorthin saß Jill mit Sophia auf dem Schoß auf der Rückbank von Davids Auto und bestürmte ihre Tochter mit Fragen, die sie nicht beantworten wollte oder konnte. »Wie bist du in den Wald gekommen? Hat dich jemand angefasst? Hat dich jemand in den Arm gepiekt?«

Sophia murmelte nur immer wieder vor sich hin: »Ich war bei den Wauwau. Bei den Wauwau war ich.«

In der Notaufnahme sah sich eine Ärztin mit dunklen Augenringen Sophias Arm an. »Schwer zu sagen. Sieht aus wie ein kleiner Nadelstich, aber es könnte auch ein Insektenstich sein.« Sie untersuchte Sophia und empfahl für alle Fälle eine Tetanusspritze. Das kleine Mädchen brüllte, als es die Nadel sah.

Jill hielt Sophia fest und zuckte zusammen, als die Ärztin die Nadel in das weiche Fleisch von Sophias anderem Arm stieß und ihre Tochter aufschrie.

»Was ist mit einer Blutuntersuchung?«, fragte Jill, während die Schwester ein Pflaster mit Elmo-Aufdruck auf Sophias Arm klebte.

Die Ärztin blickte vom Krankenblatt auf. »Blutuntersuchung? Auf was?«

»Wenn ihr jemand eine Spritze gegeben hat, könnte es doch sein, dass sie irgendwelche Substanzen im Blut hat.«

»Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich, Mrs Lassiter.«

»Aber Sie haben selbst gesagt, dass Sie einen Nadelstich nicht ausschließen können. Wenn ihr eine Droge oder ein Medikament gespritzt wurde, müssen wir das wissen.«

»Jill«, schaltete sich David ein. »Möchtest du ihr wirklich noch eine Nadel zumuten?«

»Keine Nadel!« Sophia fing sofort wieder an zu heulen.

»Was, wenn sie unter Drogen gesetzt wurde?«, fragte Jill ihren Mann. Sie wandte sich an die Ärztin. »Müssten Sie sie nicht darauf testen oder sie sicherheitshalber präventiv behandeln?«

Die Ärztin seufzte. »Ich glaube wirklich nicht, dass das notwendig ist, Mrs Lassiter, aber wir können natürlich einen Drogentest machen.«

Sophia brüllte, und Jill öffnete die Arme. Diesmal war es David, an den sich das kleine Mädchen klammerte. Er wirkte genauso aufgebracht wie seine Tochter und hielt sie so fest, dass Sophia ihm sagen musste, er solle sie nicht zerquetschen.

Nach Ablauf der Stunde, die sie warten mussten, bis die Laborergebnisse eintrafen, hatte Sophia beide Spritzen längst vergessen. Sie hockte auf dem Boden vor einem Tisch voller alter Zeitschriften und amüsierte sich mit einer Sprachnotiz-App auf Davids Mobiltelefon. Jill saß neben ihr und legte ihre Hand auf die kleine Schulter ihrer Tochter, bis Sophia sie wegschubste. Eine Viertelstunde nach Ablauf der Stunde erschien endlich die Ärztin und überflog die Laborergebnisse. »Alles negativ«, wandte sie sich mit einem etwas herablassenden Lächeln an Jill. »Es wurden keine Drogen in ihrem Blut gefunden.«

David fuhr zurück zum Park, damit Jill ihr Auto holen konnte. Jill saß neben Sophia und strich ihr mit der Hand immer wieder über die seidig weichen Haare, unfähig, die Finger von ihrer Tochter zu lassen. »Ich hätte sie nicht aus den Augen lassen dürfen, sie ist so unglaublich schnell geworden.«

»Sie muss lernen, bei dir zu bleiben«, sagte David. Er fuhr zügig. Sie sah, wie seine Hände das Lenkrad umklammerten, wie angespannt seine Schultern waren.

»Es ist vorbei«, versuchte sie, sich selbst und ihren Mann zu beruhigen. »Sie ist in Sicherheit.«

In dieser Nacht träumte sie, jemand würde im Wald auf ihre Tochter lauern und Sophia würde ihr zum Abschied zuwinken, bevor sie zwischen den Bäumen verschwand. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn, als sie aus dem Schlaf schreckte und im Dunkeln aus dem Bett stieg. Leise tappte sie den Flur entlang, um nach Sophia zu sehen, und war überrascht, als sie Stimmen aus deren Kinderzimmer hörte.

Im trüben Schein des Nachtlichts sah sie Davids Profil. Er saß auf Sophias Bett, dem Bett für große Mädchen, das sie sich so sehr gewünscht hatte, nicht zuletzt deshalb, weil sie nachts gern herauskletterte. Sophia sah so winzig aus und das Bett so riesig. Als Jill ins Zimmer trat, hob ihr Mann den Kopf.

»Was ist los?«, fragte sie.

»Sie hatte einen Albtraum.«

Sophia wimmerte und streckte die Arme nach ihrer Mutter aus. Jill nahm Davids Platz ein und drückte ihre Tochter an sich, wiegte sie hin und her.

Nachdem das kleine Mädchen wieder eingeschlafen war, schlich sie zurück ins Schlafzimmer und schlüpfte neben David ins Bett. Er streckte die Hand aus und zog sie an sich. »Du weißt, wie sehr ich dich liebe, oder?«, fragte er. »Dich und Sophia?«

»Natürlich.«

»Ich würde niemals zulassen, dass euch jemand etwas antut.«

»Warum sagst du das?«, wollte sie wissen und musterte sein Gesicht im Dunkeln. »Hast du Angst wegen des Vorfalls heute?«

Er schüttelte den Kopf, nicht gewillt oder nicht in der Lage zu antworten, aber seine Umarmung wurde noch fester.

Der Tag hatte ihnen beiden einen Schrecken eingejagt. Sie hatten dem schlimmsten Albtraum aller Eltern ins Gesicht geblickt und waren noch einmal davongekommen. Da war es ganz normal, dass ein Gefühl der Beklemmung in ihnen nachhallte, fand Jill. Alles war gut. Ihre Tochter war bei ihnen, sie war wohlauf. Was ihr heute passiert war, war ein einmaliger Vorfall. So etwas Schlimmes würde nie wieder passieren. Sie hatten nichts zu befürchten.

Jill irrte sich.

Kapitel
ZWEI

August 2013 – zwei Monate

Die Maklerin hatte ein nervöses Lachen und roch nach den Pfefferminzbonbons, die sie lutschte, um zu verschleiern, dass sie rauchte. Ohne Erfolg. Der Pfefferminzgeruch wurde von penetrantem Nikotingestank begleitet. Beides war ekelerregend und entströmte Patsy Duckworths Land Rover, wann immer sie die Fahrertür öffnete.

»Bereit fürs nächste Haus?«, fragte sie mit breitem Lächeln. Sie war noch genauso unbeirrt fröhlich wie vor zwei Stunden, als sie mit ihrer Besichtigungstour begonnen hatten. Ihre geringe Körpergröße kompensierte sie mit lächerlich hohen Absätzen. Erstaunlich, dass sie sich nicht längst bei einer Hausbegehung das Genick gebrochen hatte. Bea Walsh nickte, ohne das Lächeln zu erwidern. Sie hatten sich bereits fünf Häuser angesehen, und keins davon war geeignet gewesen. Bei jedem Haus hatte sie schon nach zwei Minuten gewusst, dass es nicht in Frage kam – weil es zu nah an den Nachbarhäusern lag oder keinen ausgebauten Keller hatte. Aber sie hatte dennoch mitspielen müssen, hatte Zimmer für Zimmer abgeschritten und Ausstattungsmerkmale zur Kenntnis genommen, die völlig unwichtig waren.

»Suchen Sie das Haus nur für sich?«, hatte Patsy gefragt, als Bea ins Maklerbüro gekommen war, während sie einen nicht sehr diskreten Blick auf ihre linke Hand geworfen hatte. »Oder wird noch jemand mit Ihnen einziehen?«

Das Gold von Beas schlichtem Ehering war blankgerieben, weil sie ihn schon so viele Jahre trug. »Das Haus wäre für mich und meinen Mann.«

»Kinder?«

Sie war dem neugierigen Blick der Frau ausgewichen. »Nur ein kleiner Hund.«

»Pittsburgh ist sicher eine ganz schöne Umstellung nach Florida.«

Bea hatte nur gelächelt.

Die Maklerin hatte nervös gelacht. »Ich wette, Sie vermissen die Sonne.«

Wenn sie die Augen schloss, konnte Bea die Hitze über dem Asphalt des Krankenhausparkplatzes flimmern sehen und die feuchten Achseln ihrer Schwesternuniform spüren. »Nein.«

Sie fuhren mit separaten Autos zu den Häusern. Bea folgte dem Geländewagen der Maklerin in ihrer bescheidenen Limousine durch die bewaldeten, hügeligen Straßen, die das Viertel Fox Chapel säumten. »Ich glaube, die Lage des nächsten Hauses wird Ihnen gefallen«, sagte Patsy. »Es liegt in einer Sackgasse; sehr abgeschieden.«

Sie waren ungefähr im gleichen Alter, doch während Patsy offenbar Schwierigkeiten hatte, sich mit ihrer schwindenden Jugend abzufinden, und viel Zeit und Mühe in ihre Frisur, ihr Make-up und ihre Nägel steckte, kümmerte sich Bea längst nicht mehr um ihr Äußeres. Sie war letzte Woche zweiundsechzig geworden und wusste, dass sie älter aussah. Der Stress des vergangenen Jahres hatte die einst schwachen Fältchen auf ihrer Stirn und in ihren Augenwinkeln tiefer eingegraben. Inzwischen hatte sie mehr graue als dunkle Haare auf dem Kopf und trug sie unmodisch kurz geschnitten, machte sich nicht mehr die Mühe, sie zu färben. Die Längsfalten auf beiden Seiten ihrer Nase waren markant geworden, und sie erbleichte beim Anblick ihres Gesichts, als sie den Rückspiegel richtig einstellte. Ihre äußerlichen Veränderungen erschreckten sie, genau wie das gelegentliche Aufflackern des jüngeren, hübscheren Gesichts ihrer Tochter in ihren eigenen Zügen.

Sie warf einen Blick auf die Adresse, die die Maklerin ihr für den Fall mitgegeben hatte, dass sie sich im Verkehr verloren: 115 Fernwood Road. Bea gab sie in ihr Navigationsgerät ein, woraufhin sich auf dem Bildschirm ein Pfeil erst nach Norden bewegte und sie dann Richtung Nordwesten eine bewaldete Straße entlangführte, vorbei an den palastartigen Anwesen von Menschen, die zu den reichsten des Landes zählten. Dahinter folgten weit bescheidenere Häuser. Sie waren sieben Minuten gefahren, als das Navi signalisierte, dass sie die Abzweigung erreicht hatten.

Eine Tafel in Form eines Schutzschildes hing an einem Holzpfosten und verkündete den Namen der Sackgasse: FERNWOOD. Die Straße war in einem schlechten Zustand. Der Asphalt war brüchig, sodass Bea ordentlich durchgerüttelt wurde, so langsam sie auch fuhr. Es ging bergauf, und nach einer langen, geraden Strecke zweigte rechts eine Einfahrt ab, bevor nach einer weiteren langen Strecke eine zweite Einfahrt nach links führte. Immer noch bergauf ging es erneut dreißig Meter geradeaus, und dann tauchte sie auf, eine schmale Zufahrt zur Rechten, kaum sichtbar zwischen den Kiefern, lediglich markiert durch einen schwarzen Zinnbriefkasten, auf dem mit Klebeziffern die Hausnummer 115 befestigt war. Die Zahl Fünf hing schief.

Der Belag der Zufahrt bestand aus feinen Kieseln, die wie Schrotkugeln von unten gegen das Fahrgestell des Wagens prasselten. Bea hörte nichts vor lauter Lärm und konnte sich auch nicht umblicken, weil sie langsam fahren und sich auf die enge Zufahrt konzentrieren musste, die nur eine Wagenbreite maß und sich zwischen den schlanken Stämmen von Kiefern und Ahornen hindurchschlängelte, die auf beiden Seiten so dicht am Wegrand wuchsen, dass ihre fedrigen Zweige die Autofenster streiften und aufs Dach klopften.

Nach weiteren zwei Minuten verbreiterte sich die schmale Zufahrt plötzlich, und sie standen vor dem Haus, einem grauen Steingebäude mit silbrig glänzendem Schieferdach, das sich an den Berghang schmiegte und inmitten des Grüns der Bäume aussah wie ein Pilz an einem bemoosten Felsen.

»Das Haus ist zweistöckig, der Keller ist voll ausgebaut«, erklärte Patsy und machte Bea auf die im Untergeschoss angebaute Garage aufmerksam. »Die Besitzerin vermietet zwar auch, würde das Haus jedoch am liebsten verkaufen. Letztes Jahr gab es einen Interessenten, aber der Kauf kam dann doch nicht zustande. Trotzdem: Der Eigentümerin ist nach wie vor an einem Verkauf gelegen. Sehr sogar.« Sie wartete auf eine Reaktion von Bea. Als keine kam, lachte sie und hob die Hand an ihre Haare, als wollte sie eine widerspenstige Strähne zurückstreichen, doch ihre künstlich wirkende rote Helmfrisur war mit genügend Haarspray fixiert, dass sich trotz der spätsommerlichen Brise nichts regte.

Die Maklerin ging voraus und stöckelte eine steinerne Eingangstreppe hinauf, die den Hang entlang zur Haustür führte. Lange Gräser kletterten an den Mauern des Hauses empor, und übergroße Rhododendronbüsche hielten das spärliche Licht ab, das durch das wellige, staubige Glas der alten Fenster ins Haus hätte dringen können. Es war nicht zu übersehen, dass das Gebäude schon länger leer stand.

»Vor vielen Jahren wohnte hier der Verwalter eines größeren Anwesens«, erklärte Patsy, während sie sich an einem kleinen Schließfach zu schaffen machte, das an der schweren Holztür befestigt war. Sie entnahm ihm den Hausschlüssel, schloss die Tür auf und ging voraus ins Innere des Hauses. »Das Anwesen existiert noch, angeblich gehört es jetzt einer Stiftung. Dieses Gebäude und die achttausend Quadratmeter Land, auf denen es steht, wurden hingegen schon vor Jahren dem Verwalter vermacht. Sie würden es von seiner Enkelin mieten.«

Im Haus roch es moderig und nach Mottenkugeln. Ihre Schritte hallten auf dem alten, dunkel gewordenen Hartholzparkett, während sie langsam durch die spärlich möblierten Räume gingen. Das Wohnzimmer war mit einem antiken grünen Samtsofa und zwei dazu passenden Sesseln ausgestattet, deren Polster an einigen Stellen so abgewetzt waren, dass sie glänzten, und deren Beine dicke Kratzer aufwiesen.

»Das Haus wird möbliert vermietet«, sagte Patsy. »Ist das nicht wunderbar?« Meinte sie das ironisch? Bea gab ein unverbindliches Geräusch von sich und verlagerte ihre Handtasche auf die andere Schulter. Es war ein bewölkter Tag, und das dichte Blätterdach der Bäume schirmte das wenige verbleibende Tageslicht ab, sodass es im Haus ziemlich duster war.

In einigen Räumen ging das Licht nur flackernd an, als Patsy den Schalter betätigte. Die Wände waren entweder mit einer Blasen schlagenden, in den Ecken abblätternden Tapete versehen oder in verblichenen Gelb- und Blautönen gestrichen. Derartige Kleinigkeiten waren Bea egal. Sie blickte aus dem Fenster eines nach vorn hinausgehenden Zimmers und entdeckte ein Stück Dach, das in der Ferne über das dichte Laub der Bäume ragte. »Das ist das Haus, an dem wir auf dem Weg vorbeigekommen sind«, erklärte Patsy. »Dort wohnt ein älterer Witwer, aber der ist nur das halbe Jahr über hier – im Winter flieht er in den Süden.«

Bea lächelte kaum merklich. Es war das erste wirklich abgeschiedene Haus, das sie sich bisher angesehen hatte. »Sie sagten, es gäbe einen Keller?«

»Ach ja, das Untergeschoss.« Patsy ging den Flur entlang zu einer Tür in der Küche, hinter der eine steile Holztreppe nach unten führte. Es wurde immer dunkler beim Hinabsteigen, als würden sie eine Gruft betreten. Unten angekommen tastete Patsy an der Wand nach dem Lichtschalter, woraufhin über ihnen flackernd und brummend eine alte Neonröhre anging. Die Decke war niedrig, ein klaustrophobisches Gefühl. Patsy wandte sich nach links und stöckelte einen beidseitig von rostigen Metallregalen gesäumten Flur entlang. Staubbedeckte Einweckgläser lauerten im Schatten. Der Flur verbreiterte sich, und die Decke wurde links und rechts von großen Pfeilern abgestützt. Patsy trat nach links zu einer angelehnten Tür. »Hier ist das zweite Badezimmer.« Sie drückte einen Lichtschalter, und Bea erspähte eine Toilette und ein Waschbecken in Siebzigerjahre-Babyblau sowie eine klapprige Duschkabine mit schmuddeliger Glastür. Mit schonungslosem Optimismus verkündete Patsy: »Einmal gründlich durchputzen, und schon sieht alles viel einladender aus.«

Links vom Badezimmer führte eine weitere Tür in eine Waschküche mit einer alten Waschmaschine und einem Trockner, zwischen denen ein Waschzuber stand. Zur Rechten verschwand der Flur in der Dunkelheit. Teilweise vom Stützpfeiler verdeckt, konnte Bea im trüben Neonlicht eine Tür ausmachen. »Was ist da?«

»Das vierte Schlafzimmer.« Patsy klapperte mit ihren Absätzen über den Betonboden und drehte den Türgriff. Knarrend ging die Tür auf und gab den Blick auf einen vollkommen leeren Raum frei. »Als vollwertiges Schlafzimmer kann man es natürlich nicht bezeichnen, weil es keine richtigen Fenster hat.« Patsy zeigte auf das einzige Fenster, das hoch an der Wand angebracht war und auf einen mit altem Laub und Schutt gefüllten Schacht hinausblickte.

»Sie könnten es ja neu streichen«, fügte sie hinzu und klopfte gegen die angegraute weiße Wand. »Dann sähe alles schon viel freundlicher aus.«

Bea ging durchs Zimmer und begutachtete dann die Tür. Sie war schwer und schloss plan mit dem Türrahmen ab, ganz anders als diese billigen Sperrholztüren.

Patsy führte Bea den Flur entlang zurück und zeigte ihr eine weitere Tür, die in eine moderig riechende Garage führte. Sie drückte auf einen Knopf an der Wand, woraufhin das Licht anging und das Garagentor langsam nach oben surrte. »Das wurde offenbar in neuerer Zeit eingebaut«, erklärte Patsy, während Tageslicht von draußen hereinströmte. »Vor allem im Winter sehr praktisch.«

Das Letzte, was sie sich ansahen, war der Garten. Patsy stöckelte die Treppe wieder nach oben, um aus der Küchentür auf eine mit Steinplatten ausgelegte Terrasse hinauszutreten, die die ganze Länge des Hauses einnahm. Dahinter war dem Berghang ein schmaler, begradigter Streifen Gras abgerungen worden, den ein Holzzaun umgab. Zwischen den Latten rankten sich Efeuzweige und hohe Gräser empor, und jenseits des Zauns begann sofort der Wald.

Während sie zusammen auf der Terrasse standen, hörte Bea ein Auto, das außer Sichtweite die Straße hinunterrumpelte. »Es gibt noch ein Haus ganz oben auf dem Hügel«, erklärte Patsy, »aber ich glaube kaum, dass Sie die Bewohner jemals zu Gesicht bekommen würden.« Sie machte eine ausschweifende Handbewegung. »Ist das nicht ein Paradies für Naturliebhaber?«

Bea beäugte die losen, ausgebrochenen Steinplatten, die wuchernden Sträucher und die modernden Laubhaufen, die sich entlang der durchhängenden Zaunpfosten angesammelt hatten.

»Lassen Sie sich Zeit und denken Sie in Ruhe über die Häuser nach, die wir uns angesehen haben«, schlug Patsy Duckworth vor und klimperte mit ihren Schlüsseln herum. »Vielleicht möchten Sie ja noch einmal mit Ihrem Mann wiederkommen, damit er sich eins der Häuser mit Ihnen …«

»Nein«, unterbrach Bea sie. »Ich nehme das hier.« Sie blickte sich in dem trostlosen Gärtchen um und lächelte. »Es ist perfekt.«

Kapitel
DREI

Tagebuch – Februar 2009

Erinnerst du dich noch an unsere erste Begegnung? Ich glaube, ich kann jedes Detail wieder heraufbeschwören, aber vielleicht irre ich mich auch. Das menschliche Gedächtnis ist bekanntermaßen nicht besonders verlässlich, und unser erstes Aufeinandertreffen ist schon über drei Monate her.

Hier also meine zweifellos fehlerhafte Schilderung: Regen. Ein kalter, gleichmäßiger Sprühregen aus einem bleigrauen Himmel. Schirme, von denen es auf den Marmorboden des Foyers tropft. Zwei Fahrstühle, die achtundzwanzig Etagen hinauf- und hinunterfahren und jeden Stopp mit einem Pling ankündigen. Horden schlaftrunkener Angestellter, die darauf warten, dass sie endlich an der Reihe sind. Nur ich bin hellwach; es ist mein erster Monat in der Kanzlei. Bevor ich in den offenen Fahrstuhl trete, schüttle ich meinen Schirm aus. Er ist natürlich schwarz. Überhaupt trage ich nur düstere Farben, um die Tatsache wettzumachen, dass ich eine Frau bin. Alle tappen hinein, dicht zusammengedrängt wie eine Herde etwas merkwürdiger Schafe.

Und dann der Moment, als ich dich zum ersten Mal sehe. Beziehungsweise höre. Zuerst nehme ich nur deine Stimme wahr, es ist ein klarer, tiefer Tenor. Die ersten Worte, die du zu mir sagst: »Halten Sie den Aufzug auf!« Natürlich nicht nur zu mir. Deine Stimme – autoritär, manche würden sagen gebieterisch – beeindruckt die anderen Insassen nicht. Sie wollen nicht zu spät kommen. Die Frau hinter mir tritt ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Ich höre deine Schritte – bald schon werde ich deinen typischen strammen Gang schon von Weitem erkennen – und schiebe meinen triefnassen Regenschirm in die Türen, die gerade beginnen sich zu schließen.

»Warum hast du das getan?«

Das hast du mich neulich gefragt. Allerdings ging es nicht um unsere erste Begegnung. Wir hatten uns gerade in diesem schrecklichen, miefigen Motelzimmer geliebt, unsere Kleider bildeten ein Knäuel auf dem dünnen roten Teppichboden, und unsere Körper und die Laken waren gleichermaßen verschwitzt. Und plötzlich war er wieder da, dieser Moment danach, wenn die Gefühle zurückkehren und das Leben einen überfällt mit all seinen Forderungen. Mein Körper war nicht mehr interessant für dich. Du hast dir deinen Ehering übergestreift und wolltest wissen, warum ich mich bereiterklärt hatte, dich zu treffen. In diesem Moment wolltest du, dass ich die Verantwortliche war, die Agierende, diejenige, die dich zu diesem Verhalten gedrängt hatte, das rückblickend auf abstoßende Weise animalisch wirkte.

Aber zurück zu jenem ersten Aufeinandertreffen. Zurück zu jenem Moment im Aufzug. Warum habe ich damals die Türen aufgehalten? Ich konnte dein Gesicht nicht sehen, noch nicht, aber deine Stimme gefiel mir. Als die Türen wieder aufgehen, ertönt ein kollektives genervtes Stöhnen im Aufzug. Dann erscheinst du, gleitest um die Ecke, hechtest an Bord, als handle es sich um den letzten Zug des Tages. »Danke«, sagst du und schüttelst deinen nassen, blonden Kopf wie ein Hund. Und dann blickst du mir direkt in die Augen und verziehst deine vollkommenen, ein wenig schiefen Lippen zu einem Lächeln.

Kapitel
VIER

September 2013 – ein Monat

Im dämmrigen Licht des frühen Morgens wurde Jill von einem hohen Stimmchen geweckt. Ihr Wecker hatte noch nicht geklingelt. »Mommy? Ist es jetzt Morgen?«, flüsterte ihre Tochter laut. Jill öffnete ein Auge. Sophia stand in der Tür, eine gespenstische Silhouette im dünnen Baumwollnachthemd. Sie war vorher schon einmal wach gewesen, um drei, hatte Jills Gesicht angetippt und verlangt, zu ihr ins Bett zu dürfen. Verschlafen spähte Jill auf die Uhr. Es war fast halb sieben, immerhin.

»Ja, jetzt ist Morgen.« Sie breitete die Arme aus, und Sophia tappte zu ihr, wobei sie Blinky, ihren heißgeliebten Stoffhund, an einer Pfote hinter sich herschleifte. Jill schaltete den Wecker aus, bevor er klingelte, und streckte eine Hand über die weite Fläche ihres breiten Doppelbetts aus, um Davids nackte Schulter zu berühren. »Aufwachen!« Als Antwort murmelte er etwas in sein Kissen und blieb mit über dem Kopf verschränkten Armen bäuchlings liegen wie eine träge Raubkatze. David war kein Morgenmensch.

Jill schlang die Arme um ihre Tochter und zog sie aufs Bett. Das hier war die Realität, das Hier und Jetzt – nicht der immer wiederkehrende Angsttraum, aus dem sie erwacht war, ein endloses Voranschreiten auf einem engen, schwach beleuchteten Flur, mit klopfendem Herzen und einem vertrauten Gefühl des Grauens, während sie sich der geschlossenen Tür am Ende des Flurs näherte. Jill wachte jedes Mal auf, bevor sie die Tür öffnete; dieses Mal hatte Sophia sie geweckt, noch ehe sie bei ihr angekommen war.

Jill kuschelte sich an ihre Tochter, atmete ihren einzigartigen, süßen, leicht milchigen Kleinkindduft ein. Seit vier Monaten schlief Sophia nicht mehr in ihrem alten Gitterbett, und seit vier Monaten hatten Jill und David fast jede Nacht damit zu kämpfen, dass sie aus ihrem neuen Bett für große Mädchen kletterte und zu ihnen ins Schlafzimmer kam. David hatte für das große Bett plädiert, allerdings nicht, damit Sophia sie nachts mit ihrem Gezappel wachhielt. Meist ließ er sie ein paar Minuten mit ihnen schmusen, bevor er sie unter tränenreichem Protest in ihr Zimmer zurücktrug. Jill war durchaus auch der Meinung, dass Sophia lernen musste, in ihrem eigenen Bett zu schlafen, genoss es jedoch insgeheim, wenn sich der warme kleine Körper an sie schmiegte. Jetzt drückte sie Sophia fest an sich und spürte, wie die innere Unruhe von ihr abglitt, zumindest ein bisschen. »Wer ist meine für immer allerallerbeste Sophia?«

Sophia kicherte. »Ich!«

»Ja, du!« Jill küsste ihre Wangen ab und drückte ihr dann einen lauten Schmatz auf den Bauch, ein vertrautes Ritual zwischen ihnen. Mutter und Tochter lachten gemeinsam.

»Keine Küsse für mich?« David lächelte schläfrig zu ihnen herüber. Sophia befreite sich aus den Armen ihrer Mutter und kletterte auf den Rücken ihres Vaters, um ihn mit ihren kleinen Fäusten zu bearbeiten.

»Daddy, aufstehen!«

David stöhnte und griff hinter sich, um Sophia abzuwehren, womit er Jill zum Lachen brachte. Sie beugte sich über ihn, gab ihm einen raschen Kuss auf den Mund und zog Sophia in ihre Arme. »Ich gehe mal Frühstück machen.«

Unten in der Küche schaltete Jill die Kaffeemaschine ein, füllte ihrer Tochter Frühstücksflocken in eine Schüssel und sah ihr beim Essen zu. Sophia kniete auf einem Barhocker an der Kücheninsel und hatte Blinky neben sich gesetzt, mit dem sie ein angeregtes Gespräch führte. Hin und wieder bot sie ihm einen Löffel voll durchgeweichter Cheerios an und verteilte dabei die Milch auf der ganzen Arbeitsfläche.

Jill ließ sich vom Geplapper ihrer Tochter berieseln und starrte gähnend und gedankenverloren aus dem Fenster über der Spüle. Sie ging den vor ihr liegenden Tag durch. Fünf Termine, darunter ein Fotoshooting in einer Grundschule um Viertel vor neun. Aber vorher musste sie Sophia anziehen und fertig machen, damit David sie zum Kindergarten bringen konnte, musste sich selbst zurechtmachen und die fünfundzwanzigminütige Fahrt in die Innenstadt hinter sich bringen, wo ihr Studio lag. Sie schenkte sich einen Becher Kaffee ein und gähnte erneut, während sie vorsichtshalber noch einmal den Terminkalender auf ihrem Laptop checkte. Es war ein Wunder, dass sie sich überhaupt irgendetwas merken konnte. Schlafmangel war zum Dauerzustand geworden. Sie war ständig gereizt, und auch David war gestresst, zumal er unzählige Überstunden machte, um bei Adams Kendrick, seiner Kanzlei, endlich zum Partner aufzusteigen. Wenn sie doch nur Sophia dazu bewegen könnten, die ganze Nacht in ihrem eigenen Bett durchzuschlafen. Und wenn Jill nicht mehr von ihrem wiederkehrenden Albtraum geplagt würde. Er weckte sie fast so häufig auf wie Sophia.

»Hast du meine rote Krawatte gesehen?«, rief David die Treppe herunter und riss Jill damit aus ihren Gedanken. Sie verdrehte seufzend die Augen.

»Welche?«, schrie sie laut, damit er sie hörte. David besaß mindestens acht rote Krawatten, die immer am gleichen Ort im Kleiderschrank hingen.

»Nicht schreien, Mommy«, mahnte Sophia und hob ihren Löffel aus dem Schälchen, um nachdrücklich damit herumzufuchteln.

»Die mit den kleinen gelben Wappen«, rief David.

»Die müsste auf deinem Krawattenhalter hängen«, erwiderte Jill und sagte dann zu Sophia: »Vorsicht, Baby, nicht die Milch überall herumspritzen.«

»Ich bin kein Baby.«

»Ich weiß«, versicherte Jill. »Du bist ein großes Mädchen.«

Nach einer Pause ertönte erneut Davids Stimme. »Ich hab nachgesehen, find sie aber nicht. Ist sie vielleicht in der Reinigung?«

»Warte kurz!«, rief Jill. »Ich komme hoch.« Sie wischte die Milchspritzer von der Kücheninsel. »Bist du fertig mit Essen?«

Sophia kippte ihr Frühstücksschälchen ein wenig zur Seite, um ihr zu zeigen, dass es leer war.

»Gut. Dann geh doch mit Blinky zum Spielen ins Fernsehzimmer, während ich Daddy helfe, seine Krawatte zu finden.«

»Blinky will aber nicht spielen. Blinky will noch mehr Cheerios.«

»Vielleicht später«, sagte Jill und nahm ihrer Tochter das Schälchen weg, um es in die Spülmaschine zu räumen. »Ab ins Fernsehzimmer. Du darfst Sesamstraße gucken.« Sie beobachtete, wie Sophias kleine Augenbrauen nach unten sanken und sich eine Abfolge von Emotionen auf ihrem Gesicht abzeichnete. Zuerst zog – einer Gewitterwolke gleich – das Wort »Nein« herauf, doch am Ende siegte die Aussicht auf Fernsehen über das Beharren auf ihrer Unabhängigkeit.

»Du darfst auch mitkommen, Blinky.« Sophia drückte ihren Stoffhund an sich und drehte sich auf den Bauch, um vom Hocker auf den Boden zu rutschen. Jill sah ihr dabei zu, bereit, sie jederzeit aufzufangen, falls sie stürzte. Mühsam verkniff sie es sich, ihrer Tochter unerwünscht ihre Hilfe anzubieten. Sie folgte ihr ins Wohnzimmer und vergewisserte sich, dass Sophia auf dem Sofa saß und der Fernseher lief, bevor sie nach oben eilte.

David stand vor dem großen Spiegel im Badezimmer und knöpfte gerade ein gestärktes weißes Hemd zu.

»Bist du sicher, dass du auf dem Krawattenhalter nachgesehen hast?« Jill ging in den begehbaren Kleiderschrank.

»Natürlich.« David kam hinter ihr herein und griff nach einer dunkelgrauen Anzughose. Seine Anzüge waren grundsätzlich konservativ, die Krawatten nur ein klein wenig gewagter. Jill ging den Regenbogen aus verschiedenfarbigen Seidenkrawatten durch und hatte rasch die meisten roten aussortiert.

»Hier ist sie doch.« Sie fand die Krawatte mit den kleinen goldenen Wappen und hielt sie ihm hin.

Er war so anständig, ein zerknirschtes Gesicht zu machen. »Wo war sie?«

»Hinter der blauen Krawatte mit den roten Streifen und neben der gelben mit den blauen Tupfen.«

»Ich hab zweimal nachgesehen!«

Sie verkniff sich einen besserwisserischen Kommentar und beobachtete, wie er sich die Krawatte um den Hals legte, sie rasch zu einem Knoten band und ungehalten vor sich hin murmelte, als er merkte, dass sie zu kurz geraten war.

»Warte, lass mich mal«, sagte Jill.

Er drehte sich vom Spiegel zu ihr, und sie löste den Knoten und fing von vorne an. Geschickt band sie die Krawatte noch einmal neu.

»Du bist wirklich eine Frau mit vielen Talenten.« David schlang ihr einen Arm um die Taille und zog sie an sich.

Sie entspannte sich für einen kurzen Moment, protestierte aber dennoch: »Wir haben keine Zeit, Schatz.«

»Ein paar Minuten hat man immer Zeit«, murmelte er und drehte ihr Gesicht zu sich, um es zu küssen. Im Erdgeschoss war ein dumpfer Knall zu hören.

Sie löste sich mit einem Ruck von ihrem Mann. »Was war das? Ich muss nach Sophie sehen.«

David zog sie zurück. »Wahrscheinlich hat sie irgendein Spielzeug umgeworfen.« Er küsste sie auf den Mund und ließ seine Lippen dann zu ihrem Hals wandern.

»Oder sie hat sich verletzt.« Jill befreite sich und eilte zur Tür. »Sophie? Sophia, alles okay bei dir?« Sie hörte den Fernseher, jedoch kein kleines Stimmchen, das ihr antwortete. »Ich muss runter und nachschauen.«

David seufzte. »Ihr geht’s gut, Jill. Wenn es nicht so wäre, würdest du sie weinen hören.« Sie konnte nicht umhin zusammenzuzucken, eine kaum wahrnehmbare, unwillkürliche Reaktion. Er bemerkte sie trotzdem. Ein gequälter Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Tut mir leid. Ich wollte nicht …«

»Ich weiß.« Denk nicht darüber nach, denk nicht an ihn, nicht heute Morgen. Sie wich Davids Blick aus. »Ich muss nach Sophie sehen.«

Die Angst war immer da, floss wie ein unterirdischer Strom durch alle Situationen, die ihr Kind betrafen. Diese Angst frustrierte David. Jill wusste, dass er sie nicht verstand. Für ihn war das Geschehene Vergangenheit, und die Vergangenheit hatte keinen Einfluss auf die Gegenwart. David hatte seine Gefühle sorgfältig kategorisiert – diejenigen, die er als »nicht zielführend« erachtete, waren markiert und beiseitegeräumt. Vergangenheitsform. Für Jill hingegen war die Trauer immer noch aktuell. Sie lauerte am Rand ihres Lebens und neigte zu Überraschungsangriffen, die Jill emotional so mitnahmen, als wäre das Ganze erst gestern passiert.

Fast noch schlimmer als die Trauer war jedoch die Panik. »Du kannst sie nicht vor allem beschützen«, hatte David mehr als einmal zu ihr gesagt, wenn sie sich wieder einmal abmühte, Sophia vor jedem Unglück zu bewahren.

Jetzt rannte Jill die Treppe hinunter und durchquerte die Küche auf dem Weg ins Fernsehzimmer. Sophia saß an Blinky geschmiegt auf dem Sofa und starrte gebannt auf den Fernseher. »Was war das für ein Geräusch, Schätzchen?«

Sophia löste nur widerwillig den Blick vom Bildschirm und sah ihre Mutter mit glasigen Augen an. Sie wirkte wie eine zu klein geratene Drogensüchtige.

»Was war das für ein Geräusch?«, wiederholte Jill und schaute sich im Zimmer um. »Es hat sich angehört, als wäre irgendetwas umgefallen.« Alles sah so aus wie immer. Auf dem Boden herrschte ein wildes Durcheinander aus Sophias Spielsachen, nichts schien am falschen Ort zu sein. Vielleicht war irgendwo ein Holzklotz heruntergefallen. Jill bückte sich automatisch, um die Klötze aufzuheben und sie in ihre Kiste zu werfen. »Hatten wir nicht besprochen, dass du deine Spielsachen aufräumst, wenn du fertig mit Spielen bist?«

Sophia hielt den Kopf ihres Stoffhunds an ihr Ohr und tat so, als würde sie ihm lauschen. »Blinky sagt, es war jemand am Fenster.«

»Was? Wo?« Jill stand sofort vom Boden auf und spähte durch die Glasscheibe, aber es war noch zu dämmrig, um mehr als Silhouetten und Schatten zu erkennen. Sie drehte sich wieder zu Sophia um und hatte dabei das kribbelnde Gefühl, dass jemand sie beobachtete. »War das nur im Spiel, Sophie? Oder war wirklich jemand da?«

»Blinky hat sie gesehen.«

»Sie?« Ein erneuter rascher Blick durchs Fenster offenbarte nichts weiter als die Terrasse und den dahinter beginnenden Rasen. Die Person am Fenster entsprang bestimmt nur Sophias Fantasie, aber Jill hatte plötzlich ein ungutes Gefühl dabei, ihre Tochter allein im Erdgeschoss zu lassen. »Na komm, machen wir dich für den Kindergarten fertig.«

»Nein! Mehr Elmo!« Sophia rutschte tiefer ins Sofa.

Jill zog sie hoch, ignorierte ihre Proteste und schickte sie mit Blinky im Schlepptau die Treppe hoch. Sie selbst blieb im Flur stehen und ging dann zur Terrassentür zwischen Küche und Fernsehzimmer. Sie schaltete das Außenlicht ein und spähte hinaus, bevor sie vorsichtig die Tür öffnete. Vor ihr lagen die ummauerte Terrasse und die leere, mit silbrigem Tau benetzte Rasenfläche. Es war niemand zu sehen. Sie wollte gerade wieder die Tür schließen, als sie sah, dass einer der hohen Terrakotta-Töpfe umgekippt war, die die Tür flankierten. Erde und lila Chrysanthemen hatten sich auf die Steinplatten ergossen.