Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.
1. Auflage 2016
Text copyright © Julian Clary, 2015
Illustrations copyright © David Roberts, 2015
Map copyright © Chris Williams, 2015
Die englische Originalausgabe erschien 2015
unter dem Titel THE BOLDS bei Andersen Press Limited, UK.
© 2016 für die deutschsprachige Ausgabe by cbt Verlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten.
Aus dem Englischen von Mareike Weber
Umschlaggestaltung: Suse Kopp, Hamburg
Umschlag- und Innenillustrationen: David Roberts
MI · Herstellung: sto
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-18295-3
V001
www.cbt-buecher.de
Für meine großartigen Neffen und Nichten
Nico, Jake, Dani, Mia, Alex und Zac
Lügen ist NIE eine gute Idee. Einmal habe ich meinen Freunden erzählt, ich sei ein Hotdog. Ja, wirklich und wahrhaftig sei ich das, sagte ich. Als sie mir endlich glaubten, bespritzten sie mich mit Tomatenketchup und bissen mir ins Bein.
»Hört auf!«, musste ich am Ende schreien. »Ich bin kein Hotdog – ich bin ein Mensch!«
Das war mir eine Lehre, kann ich euch sagen. Ich erzähle keine Lügen mehr. Niemals.
Ihr könnt mir also glauben, wenn ich euch sage, die Geschichte, die ich euch jetzt erzählen werde, ist ABSOLUT WAHR. Es ist wichtig, dass ihr das wisst und begreift, denn es ist eine ziemlich außergewöhnliche Geschichte. Und sie ist komisch. Komisch im Sinne von merkwürdig. Sehr merkwürdig sogar.
Aber wahr. Jedes Wort.
Das Erste, was Ihr begreifen müsst, bevor ich mit dieser Geschichte beginne, ist: Aus irgendeinem Grund sind die Menschen über die Jahre ziemlich eingebildet geworden. Sie glauben inzwischen, dass sie weit klüger sind als alle anderen Lebewesen.
Das ist ein Irrtum. Bloß weil Menschen lesen und schreiben und Messer und Gabel und Computer benutzen können, glauben sie, dass sie besser sind als andere Tiere. Wie dumm! Wusstet ihr, dass ein Eichhörnchen zehntausend Nüsse im Wald verstecken und sich merken kann, wo jede einzelne versteckt ist? Nun frage ich euch: Könntet ihr euch merken, wo ihr zehntausend Nüsse hingetan habt?
Frösche können mit offenen Augen schlafen. Könnt ihr das?
Eine Katze kann ihren eigenen Po ablecken! Wenn das nicht clever ist!
Die Wahrheit ist, dass Tiere ganz genauso clever sind wie Menschen, aber auf andere Weise clever. Tiere glauben, dass die Menschen manchmal die Dummen sind.
Wenn ihr das nächste Mal an einer Wiese mit Schafen vorbeigeht, bleibt stehen und schaut sie an: Sie werden mit einem ruhigen, mitfühlenden Blick zurückstarren. Wenn ihr genau hinguckt, seht ihr sie vielleicht sogar den Kopf schütteln – belustigt darüber, dass wir Pullis und Jacken aus Wolle tragen müssen, die ihnen ganz selbstverständlich auf dem Rücken wächst. So etwas Blödsinniges!
Doch zurück zu meiner Geschichte. Sie beginnt vor zehn Jahren, weit weg in Afrika. Afrika ist, wie ihr vielleicht von Fotos und Fernsehsendungen wisst, ein sehr heißer und wunderschöner Ort. Dort gibt es Urwald, Buschland und endlose Savanne, wo viele wilde Tiere leben – Löwen und Elefanten und Giraffen. Es gibt schillernd bunte Vögel, die in den Bäumen leben, Affen und Gorillas, Eidechsen, Hyänen, Stachelschweine und Büffel. Es wimmelt nur so von Lebewesen in allen Größen und Formen, die ihr Euch vorstellen könnt.
Und in Afrika, das sage ich euch, sind die wilden Tiere auch sehr clever. Sie beobachten die Menschen und lachen in sich hinein. »Man stelle sich nur vor, eingepfercht in klimatisierten Bussen und Autos umherzukurven und langweilige gekochte Mahlzeiten zu essen! Menschen sehen immer so unbehaglich aus!«
»Wir sogenannten ›wilden‹ Tiere streifen frei umher«, sagen sie zueinander. »Atmen frische Luft und essen frische Mahlzeiten – selbst gefangen, gepflückt oder gegrast. Und unserer bescheidenen Meinung nach ist das doch um einiges besser!«
Was meint ihr, welcher Lebensstil klingt schöner?
Alle Tiere in Afrika wissen, dass die schlauesten unter ihnen die Hyänen sind. Sie sind nicht die schnellsten oder kampflustigsten oder – seien wir ehrlich – die hübschesten, aber sie sind gewieft und zielstrebig und arbeiten zusammen, um zu bekommen, was sie wollen. Und sie sind sehr gut darin, Fressen aufzustöbern.
Doch das, was Hyänen am besten können und womit sie alle anderen Tiere ganz und gar verrückt machen, ist: lachen.
Tatsächlich nennt man sie auch Lachhyänen. Man erkennt sie an ihrem langen, lauten Kreischen und Keckern.
Sie können ein Rudel Löwen austricksen, indem sie lachend und keckernd im Kreis um sie herumlaufen und ihnen dann in all dem Durcheinander das Abendessen stibitzen.
Ich will euch nichts vormachen: Hyänen sind nicht sehr beliebt bei den anderen Tieren. Vögel singen schön, Löwen brüllen beeindruckend, aber das ständige Lachen der schlauen Hyänen geht den anderen Tieren auf den Wecker.
Nun gut. Es war einmal ein großer Clan von Hyänen, der in der Masai Mara lebte (das ist ein riesiger Nationalpark in Afrika). Lachhyänen. Diese speziellen Hyänen lachten sogar noch mehr als die meisten.
Sie lebten in Erdhöhlen, in der Nähe eines Safaricamps, wohin viele Touristen kamen, um die Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum zu sehen. Nach und nach gewöhnten sich die Hyänen an ihre seltsamen Besucher. Sie rückten immer näher an das Camp heran, durchstöberten Essensabfälle, wurden kecker und kecker. Schließlich, mit der Zeit, begannen sie die menschliche Art der Kommunikation zu verstehen – sie lernten Menschensprachen zu verstehen.
In diesem speziellen Safaricamp gab es viele englische Besucher und nach einer Weile begannen die Hyänen, ihre Sprache nachzuahmen, und fingen an zu reden. Und zwar waren die ersten Worte, die sie zueinander auf Englisch sagten:
Eines Tages spazierte ein Pärchen auf Hochzeitsreise törichterweise alleine in den Busch, mit nichts als ihren Rucksäcken zum Schutz. Als ihnen die afrikanische Mittagssonne zu heiß wurde, schlüpften sie aus ihrer Safarikleidung, um sich in einem Teich zu erfrischen. Ein Riesenfehler. In dem Teich lebten ein paar hungrige Krokodile und verspeisten die dummen Menschen zum Mittag.
Zwei der englisch sprechenden Hyänen, Spot und Sue mit Namen, die übrigens sehr verliebt waren, sahen, was passiert war, und kamen, um in den zurückgelassenen Habseligkeiten herumzuschnüffeln.
»Hey!«, sagte Spot zu Sue. »Komm und guck dir das an!« Und er reichte ihr zwei Reisepässe, die er aus einem der Rucksäcke gefischt hatte.
»Na so was!«, rief Sue aus. »Fred und Amelia Keck hießen die armen beiden. Mögen sie in Frieden ruhen.« Die zwei Hyänen verstummten für einen Augenblick und senkten die Köpfe, während sie der armen toten Menschen gedachten.
Doch Hyänen sind bekanntermaßen gewiefte Geschöpfe und tatsächlich hatte Sue bald eine überaus kühne Idee.
»Kannst du auf den Hinterbeinen gehen, Liebling?«, fragte sie Spot.
»Dann hör zu«, sagte Sue aufgeregt. »Diese Kleider sehen aus, als könnten sie uns passen. Wir könnten sie anziehen und zur Safarilodge zurückgehen – als Fred und Amelia Keck!«
»Und was dann?« Spot runzelte die Stirn.
»Kapierst du denn nicht?«, sagte Sue. »Das ist unsere Chance, hier rauszukommen! Ich habe schon immer damit geliebäugelt, in England zu leben. Anscheinend ist es nicht so heiß wie Afrika und die Menschen dort lieben es, Schlange zu stehen. Das wäre doch mal was anderes, als ständig zu kämpfen und sich mit dem Rest des Hyänen-Clans um jedes Fleischstück zu reißen. Das ist unsere Chance auf ein neues Leben!«
»Mannomann!«, sagte Spot mit einem ungläubigen Lachen. »Das nenne ich eine kecke Idee! Denkst du wirklich, dass wir damit durchkommen würden?«
»Warum nicht?«, sagte Sue, während sie weiter die Habseligkeiten des toten Pärchens durchsuchte. »Schau, hier sind zwei Flugtickets, ein Führerschein, Haustürschlüssel, Autoschlüssel – und unsere neue Adresse: Greenfield Street 41 in Teddington in Südengland …«
»Das klingt wirklich nett«, sagte Spot, während er in die größere der beiden Shorts schlüpfte. »Und ich muss sagen, die Hosen passen wie angegossen.«
»Lass deinen Schwanz verschwinden, um Himmels willen! Er guckt unten aus deinen Shorts raus. Das verrät doch alles.«
Spot lachte. »Oh, Sue, ich liebe dich einfach!«, sagte er und probierte einen großen Sonnenhut auf.
»Ich bin nicht mehr Sue, schon vergessen?«, antwortete sie mit vornehmem Akzent, während sie ihr Khakihemd zuknöpfte. »Von jetzt an musst du mich Amelia nennen. Und du, mein Mann, bist Fred! Wir sind Fred und Amelia Keck.«
Und damit kugelten sie sich beide auf dem Boden vor Lachen, bevor sie sich aufrichteten und auf ihren Hinterbeinen zurück ins Camp und in ein neues Leben gingen.
Ich habe euch doch gewarnt, dass es eine sehr ungewöhnliche Geschichte ist, oder etwa nicht? Gut. Also, bekleidet wie Menschen und auf den Hinterbeinen gehend, gelangten die zwei Hyänen unerkannt nach England und begannen ihr neues Leben als Fred und Amelia Keck.
Einfach war es nicht. Ihre Schwänze mussten die ganze Zeit versteckt werden. In aller Regel haben Menschen nun mal keinen Schwanz und es würde sicher für Gerede sorgen, wenn die Kecks mit den ihren in der Gegend herumfegen würden.
Außerdem stellten sie fest, dass sie sehr viel menschenartiger aussahen, wenn sie Hüte trugen (zusätzlich zur Kleidung). Spot (jetzt Fred) hatte unter Freds Sachen einen grünen Sonnenhut gefunden und Sue (jetzt Amelia) machte sich einen bezaubernden Turban aus Amelias Tüchern – welcher ihre großen Ohren wunderbar verdeckte.
Sie begriffen auch sehr schnell, dass Menschen nicht halb so viel lachten wie Hyänen und man dadurch zu sehr auffiel. Tatsächlich hatte sich eine Stewardess auf dem Flug nach England darüber beschwert, dass sie während der Sicherheitsdemonstration zu viel lachten.
Sie mussten lernen, ihr Lachen zu unterdrücken, bis sie zu Hause und in Sicherheit waren, und selbst dann mussten sie sich manchmal ein Kissen vor die Schnauze halten, damit die Nachbarn nicht Verdacht schöpften.
»Wir dürfen keine Aufmerksamkeit auf uns lenken, Liebes«, sagte Fred. »Die Leute glotzen so schon genug.«
Es ist wahr, dass die Menschen in Teddington sie für ein ungewöhnliches Paar hielten. Doch niemand zog daraus den vorschnellen Schluss, dass es sich um zwei Hyänen handelte. Und weil sie beide den ganzen Tag lachten, sahen die Leute in ihnen ein lustiges Paar, mit dem man gerne zusammen war, und sie schlossen schnell Freundschaften.
Kinder waren manchmal etwas schwieriger auszutricksen. Aber das liegt daran, dass Kinder oft viel cleverer und aufmerksamer sind als ihre Eltern. Das ist euch wahrscheinlich auch schon aufgefallen. Ihr sitzt im Bus und es steigt jemand zu, der total anders aussieht oder irgendetwas Seltsames an sich hat, und sobald ihr sagt: »Mama, warum hat der Mann da …?«, rufen sofort alle Erwachsenen um euch herum »Pscht! Jetzt guck nicht so, das macht man nicht.« Und ihnen selbst scheint nie aufzufallen, dass Leute anders aussehen.
Genau das ist auch Amelia am Anfang ein paarmal passiert. Kinder starrten sie an und zupften ihre Eltern am Ärmel. Doch den Kindern wurde schnell eingeschärft, nicht auf andere zu zeigen, und bald hatte Amelia gelernt, dass mit Brille und breitkrempigem Hut nicht einmal Kinder ihre schnauzenartige Nase und ihre spitzen Zähne bemerkten.
Das neue Zuhause der Hyänen in der Greenfield Street 41 war sehr nett, fanden sie. Eine Doppelhaushälfte mit drei Schlafzimmern und einem hübschen Garten. Und eine Garage mit einem glänzend blauen Honda darin.